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[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

Das Policy Paper wurde von den Beteiligten an Geld : Technik : Demokratie und dem ZEVEDI-Ad hoc-Vorhaben Geld als Datenträger erarbeitet.

Spätestens mit dem Legislativvorschlag der Europäischen Kommission im Juni 2023 für einen Rechtsrahmen zur möglichen Einführung des digitalen Euro als Retail CBDC nimmt die Diskussion über das Projekt einer digitalen Zentralbankwährung für Europa konkretere Gestalt an.1Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369 Nach der Europawahl 2024 ist es Zeit für eine über die damit befassten Gesetzgebungsorgane hinausreichende gesellschaftliche Adressierung und öffentliche Beratung der Demokratiefragen, die damit verknüpft sind.

Das Vorhaben „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors“ (eFin & Demokratie) nimmt nachfolgend Stellung. Es folgt nicht zuletzt dem Motiv, Europa in der strategisch relevanten Infrastruktur des digitalen Zahlungsverkehrs hinreichend souverän zu machen, denn bislang wird diese von außereuropäischen Dienstleistern dominiert. Abgesehen von grundsätzlicher Ablehnung orientiert sich die Debatte darüber allerdings bisher an nur wenigen Motiven:

  • Einerseits geht es um die praktische Realisierbarkeit des digitalen Euro im Rahmen des existierenden Geldsystems; dieser Diskussionsstrang wird vor allem durch die Interessen der Geschäftsbanken bestimmt.
  • Andererseits hat die Europäische Zentralbank mit der Rede vom „digitalen Bargeld“ für die Bürgerinnen und Bürger ein prägnantes Leitbild geschaffen, an das sich Positionen von Daten- und Verbraucherschutz anschließen lassen (und auch die Sorge ums Bargeld wird adressiert).

Es entspricht der Logik politischer Machbarkeit, dass die vorgeschlagene Ausgestaltung des digitalen Euro partiell – lediglich – wie ein Kompromiss zwischen diesen Polen anmutet. Wir sehen hierin die Gefahr einer Verengung der Perspektiven. Konkrete Gestaltungsvorschläge werden sich dem skizzierten Spannungsverhältnis zwar nicht vollständig entziehen können. Es sollten jedoch auch weitere Optionen („Anforderungen“) im Blickfeld bleiben, um ein im Vergleich zu den existierenden privaten Angeboten für die Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger bestmögliches Digitalgeld in Europa zu etablieren. Die Diskussion um den digitalen Euro eröffnet aus unserer Sicht eine einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Dazu werden allerdings geeignete Diskussionsforen und Diskursformate gebraucht.2Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .

I Der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel

Es ist ein erfolgskritischer und im Ergebnis auch für Bürger:innen spürbarer Punkt, dass der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingestuft wird. Hierbei geht es um mehr als bloße Symbolik. Als gesetzliches Zahlungsmittel ist der digitale Euro komfortabel nutzbar und eine Kohärenz/funktionale Äquivalenz zum physischen Bargeld ist gegeben. Einzelhändler und andere Geschäfte werden ihn dann ähnlich selbstverständlich akzeptieren wie Behörden und öffentliche Dienstleister. Natürliche Personen, die nicht im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit handeln, bleiben von der Verpflichtung zur Annahme von Zahlungen in digitalen Euro ausgenommen.

Ebenso folgt aus dem Status des gesetzlichen Zahlungsmittels eine Bereitstellungspflicht seitens der Staaten/des Systems der Zentralbanken. Dies heißt, dass der digitale Euro natürlichen Personen für die Tätigung betreffender Zahlungen kostenfrei und ohne Transak­tionsgebühren bereitgestellt wird. Gebühren, die zur Annahme verpflichtete Akteur:innen an Zahlungsdienstleister dafür zu entrichten haben, sollten niedriger als vergleichbare Kosten im Zusammenhang mit privaten Zahlungsmitteln sein. Auch dürfte es eigentlich – so unsere Lesart – für eine Person keine notwendige Voraussetzung zur Nutzung des digitalen Euro sein, ein Konto bei einer Geschäftsbank zu besitzen, auch wenn ein normales Girokonto gewiss der erwartbar üblichste Weg sein wird, den digitalen Euro zu bewegen. Das Thema „Zugang“ bleibt – jenseits sozial problematischer Kriterien auch technisch anspruchsvoll. Das Aufladen und die Auszahlung von entsprechenden Guthaben mittels einer nicht an ein Konto gebundenen Geldkarte sollte von daher auch durch ein neuartiges, digital beschaffenes Bargeld möglich sein (und also trotz Bargeldlosigkeit nicht allein an ein Geschäftsbank-Konto geknüpft). In dieser mehrfachen Form (wie Bargeld „direkt“ oder aber durch Geschäftsbanken vermittelt) sollte der digitale Euro allen seinen Nutzer:innen zur Verfügung gestellt werden.

Allerdings sollte ein digitales Zentralbankgeld möglichst einfach zugänglich gemacht und nicht zu restriktiv gestaltet werden, sodass viele gesellschaftliche Gruppen, einschließlich Touristen und Geflüchteter, Zugang haben. Der digitale Euro sollte folglich so niedrigschwellig nutzbar sein wie möglich.

II Distribution und Attraktivität des digitalen Euros

Der digitale Euro sollte aus unserer Sicht direkter (also intermediärsunabhängig) und leichter zugänglich sein als ein konventionelles Bank-Konto. Insofern wäre das ausschließliche „Aufladenkönnen“ einer Wallet auf dem Umweg über ein existierendes Bank-Konto zunächst einmal abzulehnen. Technisch wäre eine Option wünschbar, die weder direkt die Zentralbank noch direkt eine (kontoführende) Geschäftsbank mit der Zuständigkeit für eine „offline“-Version des digitalen Euro betraut.

Uns scheint es überdies geboten zu sein, Bürger:innen, die den digitalen Euro nutzen wollen, nicht zur Verwendung eines Smartphones zu zwingen („finanzielle Inklusion“). Es sollte also zumindest eine aufladbare Karte optional angeboten werden. Eine solche Karte sollte zudem – wie jede andere Distributionsform des digitalen Euro – als Direktzugang zu physischem Bargeld funktionieren. 3Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.

Jenseits der für Bargeld-Transaktionen generell bereits geltenden (und für viele nicht gut nachvollziehbaren) Grenzen sind Haltelimits für den digitalen Euro begründungsbedürftig. Ein zu niedrig angesetztes Limit macht das neue digitale Bargeld unattraktiv. Ob überhaupt und wenn ja, ab welcher Höhe eine Gefährdung des Geschäftsmodells einzelner Institute eintritt, so dass Risiken für die Finanzmarktstabilität und die Kreditvergabefähigkeit entstehen, ist das Ergebnis von Prognosen des Nutzerverhaltens. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Gleichzeitig sind alternative Maßnahmen zur Risikominimierung in Betracht zu ziehen. Aus unserer Sicht sollten hier nicht einzelne Marktteilnehmer (Banken) Limits benennen. Über angemessene Mechanismen sollte im Gesetzgebungsprozess beraten und entschieden werden. Konkrete Kennziffern sollten bei Bedarf basierend auf einer umfangreichen Evaluation eruiert werden und die Auswirkungen auf die gesamteuropäische Finanzstabilität einbeziehen. Es ist zu prüfen, ob die EZB die geeignete Instanz für diese Einordnung ist oder ein unabhängiges Gremium zur Beurteilung herangezogen wird. Zur Nachvollziehbarkeit bedarf es einer Veröffentlichung der Beurteilung und ihrer Grundlagen. Das Verzinsungsverbot macht den digitalen Euro ebenfalls dem physischen Bargeld vergleichbar.

III Anonymität von Offlinezahlungen und Datenschutzniveau von Online-Zahlungen

Die Offline-Variante des digitalen Euro sollte für kleinere Zahlungen den gleichen Grad an Anonymität wie klassisches Bargeld ermöglichen. Dies wirft die Frage auf, ob die „Zahlung“ (etwa, weil die Sensorik eines individualisierten, digitalen Lesegeräts gebraucht wird) der physischen Anwesenheit der Zahlenden bedarf, oder ob der digitale Euro zu Zahlungszwecken auch offline anonym „versandt“ (etwa per Briefpost) oder „deponiert“ (unter dem Kopfkissen) „versteckt“ (vergraben im Garten) etc. werden kann. Insofern ergibt sich für eine solche Variante zumindest die Beschränkung des Betrags, die die EU zukünftig auch für anonyme Barzahlungen im geschäftlichen Verkehr vorsieht.4Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.

Der digitale Euro sollte datensparsame Online-Zahlungen ermöglichen. Aus unserer Sicht sollte die maximale Datensparsamkeit sogar eines seiner Alleinstellungsmerkmale – im Vergleich zu den Diensten anderer Zahlungsintermediäre – sein. Eine Datengewinnung bei der Ausführung von Zahlungen mit dem digitalen Euro durch Geschäftsbanken oder andere Intermediäre sollte der Gesetzgeber daher weitgehend einschränken. Dies scheint auch politisch in der Diskussion zu sein (vgl. Stellungnahme des Bundesrats: „Dafür sollten insbesondere die Zwecke für die Datenerhebung und -verarbeitung auf den eigentlichen Zahlvorgang beschränkt und die Weitergabe von Daten an Dritte zu kommerziellen Zwecken ausgeschlossen werden.”).

Die technische wie administrative Ausführung gerade den Datenschutz betreffender Vorkehrungen und Verfahren sollte möglichst transparent dokumentiert werden sowie geeigneten Kontrollverfahren unterliegen; etwa einer Auditierung durch unabhängige Expertise inklusive Veröffentlichung relevanter Angaben.

IV Besser als klassisches Bargeld?

Die Ausgestaltung des digitalen Euro als programmierbares Geld, das mit komplexen Konditionierungen bezüglich seiner Nutzung versehen wird, schließen Politik und EZB bisher aus. Bloße automatisierte Zahlungen wären allerdings möglich. Wünschenswert wäre eine Smart-Contract-Fähigkeit, um auf dieser Basis Maschine-zu-Maschine-Zahlungen zu ermöglichen. Politik und Forschung sollten durchaus prüfen, welche technologischen Voraussetzungen Bürger:innen auch smarte oder auf „Distributed Ledger“-, also auf Blockchain-Technologie basierende Vertragsabwicklungen ermöglichen. Dabei ist ein möglichst effizienter Einsatz von Energie zu berücksichtigen.

V Zur Bedeutung der Bürgerkommunikation

Es ist weder mit einer attraktiven Ausgestaltung, noch mit einem demokratisch legitimierten Rechtsrahmen für den digitalen Euro getan. Vielmehr bedarf es einer umfassenden und dauerhaften kommunikativen Vermittlung des neuartigen, digitalen Bargeldes als öffentliches Gut, welches sich von privaten digitalen Zahlungsmitteln wie auch von online bewegtem Giralgeld unterscheidet.

Wir empfehlen performative Interventionen, um das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern am Thema zu wecken und die Kerngedanken einer Mitwirkung aller am Umlauf des neuen Geldes sowie der demokratischen Kontrolle der Ausgestaltung des digitalen Bargeldes in Szene zu setzen. Ein Ansatzpunkt könnte die demonstrative Ausführung der unterschiedlichen Zahlungsoptionen off- und online in einer Geldkarte sein, die Freiheitsspielräume markiert: das digitale Bargeld erweitert die Möglichkeiten, auszuwählen, wie wir künftig bezahlen wollen. Auch die statuierte Datensparsamkeit bei Transaktionen könnte durch eine solche Karte öffentlich sinnfällig werden. Denkbar wäre auch ein großes, im öffentlichen Raum ausgestelltes dynamisches Objekt in Form einer analogen Installation, die zeigt, wie Zahlungen mit dem digitalen Euro-Token funktionieren. Sollte die Politik bzw. die EZB in den kommenden Jahren (technologische) Veränderungen an der Konfiguration des digitalen Zentralbankgelds vornehmen, könnte diese am Objekt „nachinstalliert“ werden, so dass das Denkmal auch symbolisch „garantiert“, dass die Funktionsweise des digitalen Euro nicht hinter dem Rücken der Bürger verändert wird.

Unsere [Mindest-]Anforderungen lauten daher:

Der digitale Euro als öffentlich zugängliche Zentralbankwährung

  • ist nur mit einem europaweit harmonisierten rechtlichen Status als „gesetzliches Zahlungsmittel“ sinnvoll,
  • muss abgelöst vom Bankkonto und auch offline ohne Bankkonto nutzbar sein,
  • muss möglichst frei zirkulieren können (was in den Punkten Haltelimit, Distribution und Nutzergruppen maximale Offenheit bedeutet),
  • muss eine anonyme Offline-Nutzung und eine datensparsame Online-Nutzung eröffnen (in der Hauptsache wird wohl das ihn für Bürger:innen attraktiv machen),
  • sollte künftige „smarte“ Nutzungsformen auch für Bürger:innen technisch nicht ausschließen.

Hier finden Sie das Policy Paper als Pdf-Datei zum Download.

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Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

  • 1
    Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369
  • 2
    Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .
  • 3
    Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.
  • 4
    Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.
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Autor: Caroline Marburger eFin-Blog Farbe: hellblau

Nach der US-Wahl: Trumps schöne neue Kryptowelt?

Nach der US-Wahl: Trumps schöne neue Kryptowelt?

Ein Beitrag von Caroline Marburger

22. November 2024

Im Wahlkampf hatte Donald Trump versprochen, die USA zur „crypto capital of the planet“ zu machen. Seit seinem Sieg jagt Bitcoin ein Allzeithoch nach dem anderen, die Hunderttausendmarke scheint in Reichweite. Andere Kryptowerte wie Ether und Ripple(XRP) klettern mit ihm um die Wette. Der bekennende DogeCoin-Fan Elon Musk soll das neue „Department of Government Efficiency“ leiten, kurz: DOGE. Die Bezeichnung hatte er natürlich selbst angeregt. Als Meme Coin im Wert ohnehin besonders von Social Media, Prominenzfaktoren und Hypes beeinflusst, übertrumpfte zumindest die unmittelbare Wertsteigerung des DogeCoins die von Bitcoin.

Und wie steht es um Trumps eigenen World Liberty Financial Token? Noch im September hatte er gemeinsam mit seinen Söhnen eine Kryptobörse dieses Namens eröffnet. Aber trotz Wahlsieg und Kryptoboom: kein Wertzuwachs des hauseigenen Tokens. Nun haben sich eigene wirtschaftliche Erfolglosigkeit und politischer Erfolg bei ihm auch bisher nicht ausgeschlossen. Und ein völliges Novum ist auch nicht, dass Teile seiner Politik, in diesem Fall Pro-Krypto-Politik, nun unmittelbar seinem eigenen wirtschaftlichen Interesse dienen würde.

Es ist, wie bereits in diesem Blog vor der Wahl erörtert, eklatant viel Geld der Kryptobranche in den US-Wahlkampf geflossen. Aber war das wahlentscheidend? Schließlich wurden nicht ausschließlich republikanische Kandidat:innen unterstützt. Einen 2/3-Überhang der Kryptospenden zugunsten der Republikaner gab es schon,1Große Kryptounternehmen wie Coinbase oder Ripple hatten im Dezember 2023 noch für demokratische wie republikanische PACs (Political Action Committees) gleich viel Geld ausgegeben, jeweils 1,5 Millionen. Später aber wurden beide PACs aus dem Fairshake-PAC gespeist, in das Ripple und Coinbase wie auch der Venture Capital Fund Andreessen Horowitz wieder jeweils 45 Millionen eingezahlt haben. Fairshake wiederum verteilte diese Gelder mit 2/3 zu 1/3 stärker für republikanische Kandidat:innen oder Anliegen. Siehe hierzu: https://www.followthecrypto.org/committees/C00835959 aber Krypto wird als „non-partisan“, also als parteipolitisch uneindeutiges Thema eingestuft – anders als beispielsweise Waffengesetze oder Abtreibungsverbote. Zwar ergänzen sich die grellen Ausprägungen der Kryptoszene und die laute MAGA-Welt Trumps scheinbar ganz gut, doch was sieht man, wenn man das gesamte Spektrum von Kryptonutzer:innen in den Blick nimmt? Und was ist nun, nach der Wahl, für die zukünftige Kryptopolitik aus Washington und die Kryptoregulierung in den USA zu erwarten?

Hat Krypto an der Wahlurne einen Unterschied gemacht?

Studien zeigen, dass ein Großteil jener, die in den USA Krypto besitzen und handeln, junge, männliche Stadtbewohner sind. Diese Szene, in der es um Finanzen und IT geht, die nach Innovation riecht und sozialen Aufstieg verspricht, zieht nicht nur vornehmlich jüngere Männer an. Diese Gruppe jüngerer Männer ist gleichzeitig ethnisch gemischter als der amerikanische Durchschnitt.2Fairleigh Dickinson University/ Dan Cassino: FDU Poll finds Trump’s Embrace of Crypto Pays Off, 30. August 2024. Siehe auch: Evans, Tonya: Crypto Voters in 2024 and Beyond: Shaping Policy and Political Power, Forbes Opinion, 4. November 2024.

Der Weg in das Weiße Haus in Washington führt über ein großes Bitcoinzeichen. Erstellt mit Adobe Firefly.

Eine Universitätsstudie Ende August stellte aber auch fest, dass diese Gruppe gleichzeitig nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit konservativ oder mit weniger Wahrscheinlichkeit liberal oder progressiv sei.3Fairleigh Dickinson University/ Dan Cassino: FDU Poll finds Trump’s Embrace of Crypto Pays Off, 30. August 2024. Eine auf die Swing States konzentrierte Auftragsstudie der Digital Currency Group hatte im Mai bereits einen vergleichbaren Befund. Dennoch favorisierten der Studie der Fairleigh Dickinson University zufolge Kryptonutzer:innen Trump gegenüber Harris um ganze 12 %. Als plötzlicher Kryptoenthusiast hat Trump also womöglich – denn entsprechende Wahlanalysen liegen nicht vor – eine Wählerschaft gewonnen, die sonst auch für ein demokratisches Programm einzunehmen gewesen wäre. Der Studienleiter Dan Cassino vermutete in einem Kommentar für die Washington Post, dass hierfür insbesondere eine Verbindung von Trumps Kryptoerzählung mit Maskulinitätsnarrativen verantwortlich sein könnte. Eine weitere Möglichkeit: zu wenig Krypto-Botschaften auf Seiten der Demokraten.

Ein gutes Dutzend von ihnen hatte in einem Brief ihre Partei aufgefordert, sich Krypto weniger zu verschließen. Die Funde einer Auftragsstudie teils im Wortlaut aufgreifend, schrieben sie, wie Kryptowerte aus Sicht der Demokraten politisch thematisiert werden könnten: In der öffentlichen Wahrnehmung würde das existierende Finanzsystem die Eliten gegenüber der Allgemeinheit bevorteilen. „Digitale Assets und die Blockchaintechnologie“ seien „nicht nur Finanzinstrumente“.4Alle Übersetzungen aus dem Englischen durch die Beitragsautorin Vielmehr würden sie „einen revolutionären Wandel markieren, der es vermag, Transparenz zu erhöhen, Betrug zu reduzieren und ein inklusiveres Finanzsystem zu schaffen“.512 der 19 Unterzeichner:innen dieses Briefes erhielten „Follow the Crypto“ zufolge seitens der Kryptobranche eine Unterstützung von 100.000 bis knapp 2,4 Millionen für ihre Kampagnen. Ihr Brief wurde einen Tag später von Bitcoinbefürworter Pierre Rochard auf X gepostet: https://twitter.com/BitcoinPierre/status/1817219938672591310#. Trotz Signalen an die Branche, dass man für Gespräche und Veränderung offen sei, blieb eine solche Krypto-Botschaft an ihre Wählerschaft von Harris‘ Seite weitgehend aus.

Es ist also nicht unplausibel, dass Trump auch unter Kryptobegeisterten jene Wählergruppen gebunden hat, die Wahlanalysen zufolge auf Harris‘ Seite schmerzlich gefehlt haben: junge Männer, insbesondere Latinos und Afroamerikaner. Gerade sie, die in den USA historisch und systemisch von der Wohlstandsbildung ausgeschlossen werden,6Mit 1,9 % sind unter den Weißen etwas mehr als in Deutschland beispielsweise insgesamt „unbanked“, also ohne Zugang zu traditionellen Finanzdienstleistungen, in der schwarzen Community gilt das allerdings für 10,6%, in der hispanischen Community für 9,5% und unter den Native Americans für 12 Prozent. Siehe hierzu den 2023 National Survey of Unbanked and Underbanked Households der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) vom 12. November 2024. sähen Krypto als Möglichkeit für selbstbestimmtes, ökonomisches Empowerment  und finanzielle Teilhabe, so die Juraprofessorin Tonya Evans in einem Kommentar für Forbes. Krypto bleibt für die meisten Amerikaner:innen ein Randthema. Es aber nicht doch forscher thematisiert zu haben, erscheint im Nachhinein als eine verpasste Chance für die Demokraten und Krypto als einer der Puzzlesteine, mit denen Trump diese Wahl für sich entschieden hat.

Kryptopolitik nach Trumps Wahlsieg: Was sind die Versprechen, was die Hoffnungen und wer redet ab jetzt mit?

Trump hatte der Kryptoszene auf einer Bitcoinkonferenz in Nashville im Juli vollmundig geschmeichelt, sie träten in die Fußstapfen „der Pioniere und Patrioten, der Risikobereiten und Renegaten, die diesen Kontinent besiedelt und die moderne Welt aufgebaut haben“.7Für Auszüge eines Transkripts der Rede im Original siehe: https://www.coindesk.com/policy/2024/07/27/in-donald-trumps-own-words-a-partial-transcript-of-his-bitcoin-2024-speech/. Sie wüssten doch wohl, umgarnte er seine Zuhörer weiter, dass sie die modernen Edisons, Carnegies und Henry Fords seien, die zu Ihren Lebzeiten etwas täten, das noch kommende Generationen inspirieren würde? Der amerikanische Traum 2.0, die Kryptoszene als die neuen Pioniere, als die innovativen Heilsbringer der Welt.

Konkret versprochen hatte er dort, den Kryptogegner Gary Gensler als Chef der Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde SEC zu feuern, das inländische Bitcoin-Mining zu stärken und eine staatliche Bitcoinreserve anzulegen. Die Kryptojobs und -gewinne sollen in den USA bleiben. In rechtlicher Hinsicht ist es Trump gar nicht möglich, Gensler zu feuern, dennoch rechnen viele damit, dass Gensler sich zurückziehen wird.8Tonya Evans: How Democrats Fumbled Crypto And How To Recover Before 2028 Clock Runs, Forbes Opinion, 14.November 2024; Molly White: The Cryptocurrency States of America, Citation Neeeded, Issue 70, 15. November 2024. Dabei hatte die Freigabe von Bitcoin-Spot-ETFs9Ein Bitcoin Spot ETF ist ein börsengehandelter Fonds (ETF), der den tatsächlichen Marktpreis (Spot-Preis) von Bitcoin widerspiegelt. Das bedeutet, dass ein solcher ETF direkt in echte Bitcoins investiert und diese hält, anstatt nur Derivate auf Bitcoin abzubilden bzw. auf einen zukünftigen Preis zu wetten. Es erfordert kein technisches Wissen über Kryptowährungen, die Umgebung ist reguliert und somit geschützt, der Anbieter übernimmt die Lagerung von Bitcoin. durch den angefeindeten Gensler im Januar 2024 ein positives Signal gesendet. Er hatte die Zulassung zwar mit kritischen Bemerkungen begleitet,10Siehe Gary Gensler: Statement on the Approval of Spot Bitcoin Exchange-Traded Products, 10. Januar 2024. aber Analysten werteten diese Zulassung als eines der Anzeichen dafür, dass in den USA Kryptowerte zusehends im Mainstream ankommen:11Chainanalysis: The 2024 Geography of Crypto Report, Oktober 2024, S. 12. Siehe dazu online:  https://www.chainalysis.com/blog/2024-global-crypto-adoption-index Das traditionelle Finanzwesen assimiliert den einstigen Revoluzzer.

Die Implosion der Kryptobörse FTX Ende 2022, die damit einhergehenden Verluste und Bankrotte für Nutzer:innen, Anleger:innen und Banken und die Verurteilung ihres Gründers Sam Bankman-Fried, schienen Genslers restriktive Politik zu bestätigen, teilweise zu verstärken. Kryptounternehmen wurden reihenweise verklagt. Vorgeworfen wurde ihnen, nicht genügend Sicherheiten zu bieten und Antigeldwäschevorgaben nicht vorschriftsgemäß einzuhalten. Ein „Terrorregime“, so der Vorwurf von Brad Garlinghouse, CEO von Ripple, dessen anhaltender Rechtsstreit mit der SEC schon vor Gensler begonnen hat.

Nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben: Die CEOs der Big Spender Coinbase und Ripple suchen den Kontakt zu Trumps Team und geben nicht nur qua X politische Empfehlungen für die zukünftige Kryptopolitik. Schließlich hatte Trump versprochen, ein präsidiales Kryptoberatungsgremium zu schaffen, das besetzt werden will. Wenn der Chief Legal Officer von Coinbase, Paul Grewal die SEC auf X adressiert, die Wähler hätten sich in Sachen Krypto für Veränderung entschieden, ist das allerdings eine gewagte Auslegung. Denn selbst wenn man annimmt, dass Wählergruppen, in deren Entscheidung Kryptopolitik eine Rolle gespielt hat, mit wahlentscheidend waren, blieb Krypto im Wahlkampf insgesamt ein randständiges Thema. Von Kryptounternehmen bezahlte Wahlwerbung verhandelte meist keine kryptospezifischen Themen.12Siehe z.B. Luke Goldstein: The Staying Power of Crypto’s Political Machine, Prospect, 3. April 2024. 60 % sind Studien der Digital Currency Group zufolge nicht der Meinung, Krypto sei das Zahlungsmittel der Zukunft oder ein neuer Weg zu mehr Wohlstand.13Digital Currency Group / Harris Poll Insights: Crypto Attitudes in Swing States, 7. Mai 2024, S.31, gesamte Studie als PDF: https://theblockchainassociation.org/wp-content/uploads/2024/05/DCG_HarrisPoll-Research-Report.pdf. Der CEO von Coinbase Brian Armstrong hat jedoch fraglos recht, wenn er feststellt, dass die Wählerinnen und Wähler, bewusst oder unbewusst, „America’s most pro-crypto Congress ever“ gewählt haben. Ein Großteil der von der Kryptobranche unterstützten Kandidat:innen beider Parteien haben ihre Mandate gewonnen.

Auf der Suche nach der neuen Kryptoregulierung

Aber welche konkrete Politik damit letztlich einhergehen wird, ist schwer zu sagen. Selbst der Venture Capital Fund a16z (Andreessen Horowitz), seinerseits einer der zigmillionenfachen Spendengeber, gab nach der Wahl auf der Seite der Kapitalsparte a16zcrypto seinen Kund:innen zu bedenken, alles künftige Gerede über das, was legislativ und regulatorisch zu erwarten sei, werde zum Großteil „just noise“ sein, also nur Lärm oder leere Worte. Man könne das nicht vorhersehen. Das hindert die Autor:innen aber nicht daran, unmittelbar darauf zu grundsätzlichem Optimismus für die Zukunft von Kryptowerten überzugehen.14 Miles Jennings, Michele Korver & Brian Quintenz: A Positive Path Forward, a16zcrypto, 10. November 2024.

Aber eine Gesetzgebung, die statt der praktizierten Von-Fall-zu-Fall-Regulierung „größere regulatorische Klarheit“ schaffen solle, wie sie nun allerorten gefordert, beschworen oder erhofft wird, wird auch unter Trump nicht über Nacht entwickelt und verabschiedet.15Siehe auch Hannah Lang: Crypto industry pushes for policy sea change after trump victory, Reuters, 14. November 2024. Denn wie ein innnovationsförderliches, regulatives Umfeld aussieht, ist umstritten. Man darf erwarten, dass der Kryptoindustrie bisherige Stolpersteine aus dem Weg geräumt und Posten zu ihren Gunsten umbesetzt werden. Aber das wird nicht sofort geschehen oder Früchte tragen, egal wie frenetisch sich gerade die Kurse gebärden.

Die Skeptiker fürchten hingegen, dass mit einem größeren Einfluss der Kryptobranche auf das US-Finanzwesen auch deutlich größere Risiken Einzug halten. Der Journalist Zeke Faux veranschaulicht das in einem Beitrag für Bloomberg plakativ so: „Stellen Sie sich vor, es ginge um traditionelles Glücksspiel. Die SEC möchte Wetten auf einige wenige Rennbahnen beschränken, mit strengen Drogentests für die Pferde. Die Kryptobranche hingegen will das Feld so weit öffnen, dass die Menschen ihre Wohnsitze einsetzen können, um auf live übertragene Hahnenkämpfe in Nicaragua zu wetten, Aktien der siegreichen Kampfhähne zu kaufen und dann damit den Kaffee bei Starbucks bezahlen.“

Die Liberalisierungs- und De/Regulierungswünsche der unterschiedlichen Kryptoplayer derart über einen Kamm zu scheren, greift sicher zu kurz. Doch es zeigt, dass die Frage im Raum steht, wie man eine Branche fördern kann, ohne das Wohl der Verbraucher aus den Augen zu verlieren. Mehr Einfluss der Kryptobranche in Washington könnte Innovationen freisetzen. Doch unter Trump profitieren wohl eher jene, die finanzielle Risiken ohnehin tragen können. Mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress und einem konservativ geprägten Supreme Court könnte sich die regulatorische Landschaft in den USA so wandeln, dass den großen Kryptoplayern nun weniger Prozesskosten drohen als Gewinne winken. Nun ist das US-Finanzsystem ohnehin weniger inklusiv als was wir in Europa kennen. Dass aber unter Trump das Kryptoengagement für diejenigen, die Krypto als Vehikel für größere Teilhabe und Inklusion nutzen wollen, fairer und sicherer wird, das steht zu bezweifeln.

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Autor: Christian Grothoff Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: hellblau Uncategorized

„Security through obscurity?” Die EZB und mögliche Design-Probleme des Digitalen Euro

„Security through obscurity?” Die EZB und mögliche Design-Probleme des Digitalen Euro

Christian Grothoff im Interview mit Eneia Dragomir – Teil 2

23. September 2024

Bezahlsysteme reichen weit in unseren Alltag hinein und werfen fundamentale datenschutzrechtliche Fragen auf. Wenn man solche Systeme konzipiert, sollte man so tun, als würde man sich selbst nicht über den Weg trauen, so Christian Grothoff. In Teil 2 des Interviews mit dem Experten für IT-Sicherheit und Taler-Initiator geht es um das Design einer CBDC sowie um mögliche Probleme des Digitalen Euro.

Herr Grothoff, das berühmte Bitcoin-White-Paper ist 2008 damit angetreten, die Banken, Zentralbanken und andere Third Parties aus dem Spiel zu nehmen. Taler will das nicht. Dennoch heißt es in einem Paper, die Zentralbanken sollten sich als böswillige Akteure imaginieren, wenn sie das System konzipieren. Warum?

Wir haben mit unserem Text auf ein Paper der Europäischen Zentralbank (EZB) geantwortet, in dem es sinngemäß hieß, wir sind eine öffentlich-rechtliche Institution, deswegen können Sie uns Ihre Daten anvertrauen, die EZB werde sie nicht verkaufen. Das erste Problem dabei: Die EZB ist keine rein öffentlich-rechtliche Institution. Das Eurosystem beinhaltet Griechenland und die griechische Zentralbank ist in privater Hand. Nicht alle Zentralbanken sind öffentlich-rechtliche Institutionen. Die Schweizer Nationalbank beispielsweise auch nicht. Sie hat zwar staatliche Aufgaben und ist staatlich reguliert, aber sie ist eine Aktiengesellschaft.

Das zweite Problem: Es ist schön, dass eine Behörde meint, dass sie zu den Guten gehört, aber vielleicht ist das irgendwann nicht mehr der Fall. Ich sollte daher mein System nie in der Annahme designen, dass ich zu den Guten gehöre. Wenn wir Systeme bauen, die so fundamentale Eingriffe ermöglichen, wie Bezahlsysteme, von denen die Wirtschaft abhängt, die aber auch in das Alltagsleben der Menschen hineinreichen, dann ist besondere Vorsicht geboten. Ich sollte immer den Fall berücksichtigen, dass ein Böser an meine Stelle tritt. Selbst, wenn ein Diktator an meine Stelle tritt, sollte nichts Schlimmes passieren können, selbst dann sollte der Datenschutz gegeben sein. Das ist der richtige Anspruch für das Systemdesign. Dass meine Daten verkauft werden, ist bei weitem nicht das größte Problem. Da sollte der Anspruch sein: Ich vertraue mir selbst nicht und baue das System entsprechend. So halten wir es auch mit dem Taler-System.

Wir laden alle ein, sich unser System anzusehen und nach Schwachstellen zu suchen: Alle Spezifikationen, der gesamte Quellcode, die gesamte Dokumentation, das ist im Netz für alle einsehbar. Alle können sich das ansehen und analysieren und Schwachstellen gerne veröffentlichen, damit wir sie beheben können. Es gibt bestimmt Fehler in der Software, aber maximale Transparenz ist das beste Mittel, das wir haben, um diese zu finden und zu beheben. Das macht die EZB leider anders: Der EZB-Sprecher wurde von einem unserer Mitarbeiter auf einem Forum in Wien gefragt, wie die EZB die Offline-Funktion des Digitalen Euro sicher machen möchte. Antwort: das ist geheim. „Security through obscurity?“, kommentierte mein Mitarbeiter. Sicherheit durch Geheimniskrämerei? Wikileaks und Edward Snowden haben gezeigt, dass selbst Geheimdienste nicht alle ihre Geheimnisse sichern können, aber der EZB wird das gelingen? Geheimhaltung bringt uns weder mehr Sicherheit noch eine vernünftige demokratische Kontrolle der Institution.

Wenn eine Zentralbank das Taler-Bezahlsystem nutzen würde, dann wäre es eine CBDC, also ein digitale Zentralbankwährung?

Genau, eine Retail-CBDC.

Sie haben in verschiedenen Papern die Pläne der EZB für den Digitalen Euro kritisiert. Das letzte ist 2022 erschienen. Gilt diese Kritik auch für den Verordnungsentwurf aus dem Juni 2023?

Auch die aktuellen Entwürfe sind schlecht. Ich sehe da ganz grundlegende Probleme: Der Digitale Euro, so wie die Pläne derzeit sind, bringt eigentlich niemandem einen Vorteil. Ein weiteres Bankkonto, nur diesmal bei der Zentralbank? Die meisten Menschen im Euro-Raum haben schon ein Bankkonto, als europäische Bürger haben wir ein Recht darauf. Brauchen wir ein weiteres Bankkonto? Mit 3.000 Euro Maximalguthaben und ohne Kredit? Bei meiner regulären Bank habe ich eine Einlagensicherung bis 100.000 Euro. In einem weiteren Konto sehe ich keinen Mehrwert.

Weiteres Problem: Für die Kunden sollen die Transaktionen kostenlos sein, für die Händler aber nicht. Für eine SEPA-Überweisung zahle ich heute auch schon nichts. Für die Händler, die dazu verpflichtet werden sollen, Digitale Euro anzunehmen, soll die Transaktion aber nicht kostenlos sein. Wer trägt die Kosten, die bei der Umstellung entstehen? Die Händler werden die Kosten auf die Preise umlegen. Millionen Händler im Euro-Raum werden diese Umstellung vornehmen müssen, innerhalb einer bestimmten Frist, die nicht allzu groß sein darf. Was werden dann die Dienstleister machen, die diese Umstellung vornehmen und die mit Aufträgen überrannt werden? Die Kosten für die technische Umstellung werden steigen, wenn nur wenige Dienstleister Millionen Kunden zeitnah umstellen sollen.

Ein weiteres Problem ist die Verknüpfung mit dem Konto, das man bei seiner Geschäftsbank hat. Warum? Weil auf dem Konto mit den Digitalen Euros nicht mehr als 3.000 Euro gehalten werden dürfen. Jeder Euro, der darüber liegt, soll automatisch auf mein Geschäftsbankkonto „fließen“, das ist die sogenannte Waterfall-Funktion. So soll verhindert werden, dass den Geschäftsbanken die Liquidität entzogen wird. Das leuchtet mir ein. Aber der Wasserfall geht auch in die andere Richtung: Wenn die Deckung des Kontos, auf dem ich Digitale Euro halte, nicht ausreicht, soll automatisch auf das Guthaben des Geschäftsbankkontos zugegriffen werden. Dadurch ergeben sich erhebliche Probleme: Was passiert, wenn mein Konto, auf denen ich Digitale Euro halte, gehackt wird? Dann wird mein Girokonto gleich von den Angreifern über den Wasserfall auch leergeräumt. Wer haftet dann dafür? Die Geschäftsbanken werden wohl kaum das Risiko auf sich nehmen. Und was, wenn das Girokonto ins Minus gezogen wird? Müssen die Geschäftsbanken automatisch Kredite vergeben? Und für die Geschäftsbanken ergibt sich durch das Onboarding auch ein Kostenproblem.

Inwiefern?

Die EZB will nicht selbst 300 Mio. Kunden onboarden – 300 Mio. Kunden prüfen bedeutet, 300 Mio. Personalausweise prüfen etc. Dafür wäre ein Filialnetz nützlich, das die EZB nicht hat. Die EZB will diesen Know-Your-Customer-Prozess an Payment Service Provider (PSP) auslagern, also an kommerzielle Anbieter. Welche kommerziellen PSP sollen diesen KYC-Prozess kostenlos für 300 Mio. Menschen durchführen? Es soll die Kunden ja nichts kosten. Die Eröffnung eines Bankkontos kostet eine Bank etwa 50 Euro. Welche kommerziellen Unternehmen werden das für potenziell 300 Mio. Menschen übernehmen, ohne den Kunden die Kosten zu berechnen?

Eine Antwort ist die europäische eID, also die europäische digitale Identität. Die ist aber erstens nicht ausgerollt und zweitens ist der Aufwand auch mit der eID nicht gleich null, denn auch die eID könnte gestohlen worden sein oder es gibt Probleme beim Vorgang. Und überhaupt ist die Frage nicht geklärt, ob wir die eID wirklich wollen. Die eID birgt erhebliches Überwachungspotential: Muss ich mich, wenn sie eingeführt wird, überall im Netz damit ausweisen? Haben wir diese Gefahr politisch diskutiert?

Zurück zur Kostenfrage: Neben der Kontoeröffnung sollen kommerzielle PSP auch den Kundensupport übernehmen, auch das soll für die Kunden kostenlos sein. Aber sie dürfen bei den Händlern Gebühren erheben. Damit der Digitale Euro attraktiv ist, sollen diese Gebühren gedeckelt werden. Jetzt sind zwei Fälle denkbar: Der Deckel ist zu hoch und der Digitale Euro ist für die Händler unattraktiv oder der Deckel ist zu niedrig, niedriger als die aktuellen Gebühren. Welches private Unternehmen steigt dann aber da ein? Als jemand, der sich mit IT-Sicherheit befasst, überlege ich mir, was könnte das Geschäftsmodell für die privaten Unternehmen sein? Ich darf bei den Kunden keine Gebühren erheben und die Gebühren für die Händler sind stark gedeckelt – wo verdiene ich da Geld? Es bleibt nur die Möglichkeit: Ich spare bei der Sicherheit. Und zwar nicht ein wenig, sondern im WireCard-Stil: gar keine Sicherheit. Sicherheitskosten gehören neben den Kosten für Compliance zu den höchsten Kosten im Bankenumfeld. Ich weiß nicht, wie die EZB sowohl hohe Sicherheit als auch niedrige Kosten erreichen will.

Mit dem Taler-Bezahlsystem können wir das erreichen, weil es technisch ganz anders aufgestellt ist: Die Kundenidentifizierung bleibt bei den Geschäftsbanken, das Double-Spending-Problem lösen wir durch Kryptografie und Anonymität stellen wir durch blinde Signaturen her. So kann ich Einiges einsparen. Der Digitale Euro soll aber kontenbasiert sein, es soll ein Bankkonto sein, also werden auch die Kosten eines Bankkontos anfallen.

Im Bezug zur Retail-CBDC wird die Möglichkeit von Offline-Zahlungen diskutiert. Eine taler-basierte CBDC soll aber „online only“ sein. Warum?

Das Problem bei Offline-Zahlungen mit einer CBDC ist, wie bei anderem digitalem Bargeld, das schon angesprochene Double Spending: Wie verhindere ich, dass jemand seine elektronischen Wertbestände kopiert und doppelt ausgibt? Und die Antworten, die wir historisch kennen, raten zur Vorsicht: Wir haben die verschiedensten Arten des Digital Restrictions Managements (DRM), also des Kopierschutzes. Und was hat das gebracht? Waren die Film- und die Musikindustrie mit ihrem Kopierschutz erfolgreich? Nein! Man kann das Kopieren erschweren, aber mit genügend Aufwand geht es immer. Man muss auch kein Informatiker sein, um Filme oder Musik zu kopieren. Das Kopierproblem verschärft sich beim digitalen Bezahlen: Wenn die kriminelle Energie da ist, einen Film zu kopieren, wie groß ist dann die kriminelle Energie, Geld selbst zu drucken? Dazu kommen noch geopolitische Interessen: Wenn Russland der Wirtschaft der EU schaden könnte, indem es Trillionen von Digitalen Euros druckt, wäre es blöd, das nicht zu tun. Es geht also nicht nur darum, dass Privatleute mit beschränkten Ressourcen versuchen könnten, eine CBDC zu kopieren, sondern wir müssen damit rechnen, dass staatliche Akteure mit großem Budget und guter Technik das versuchen werden.

Und deswegen sollte mit einer CBDC nur online gezahlt werden können?

Ja, denn die einzige effektive Möglichkeit, das Kopieren zu verhindern, ist das Digital Watermarking: Ich markiere jede Kopie mit einem mehr oder weniger eindeutigen Siegel, das sagt, „diese Kopie hatte ich dem Herrn Müller gegeben“. Und wenn Herr Müller Kopien anfertigt, dann weiß ich, dass es seine Kopien sind. Jetzt kommt das Problem mit dem Offline-Modus ins Spiel: Die Europäische Zentralbank (EZB) sagt, das Offline-Zahlen wird vollanonym sein. Dann kann ich aber nicht mehr feststellen, dass es Herr Müller war, der die Kopien gemacht hat, denn er war anonym. Und selbst ohne Anonymität gibt es dann noch das Enforcement-Problem. Ein denkbarer Fall wäre: Eine Person in der Familie steht kurz vor dem Tod, ich kopiere ihr Geld, sie verstirbt und ich bringe das kopierte Geld in Umlauf. Selbst wenn der Bezahlvorgang nicht anonym ist, wie soll die EZB das kopierte Geld von der verstorbenen 90-jährigen Oma zurückbekommen? Eine dritte Möglichkeit, das entstehende Problem zu lösen: Die EZB kann dem Händler, der kopiertes Geld entgegengenommen hat, schlicht sagen, dass es doppelt ausgegeben wurde und er Pech gehabt hat und auf seinen Kosten sitzen bleibt. Das kann auch bei Kreditkartenzahlungen passieren: Wenn jemand mit einer gestohlenen Kreditkarte bei einem Händler bezahlt, der gerade offline ist, kann es sein, dass die Kreditkartenfirma dem Händler sagt, „Die Karte war schon gesperrt, Du hast das nicht geprüft, Du bleibst auf Deinen Kosten sitzen.“ Die EZB verspricht aber hohe Sicherheit. Das Erste, was ich von einem sicheren digitalen Bezahlsystem erwarten würde, wäre, dass, wenn mir mein Computer sagt, „Du hast das Geld bekommen“, dass ich das Geld auch wirklich bekommen habe. Das ist aber im Offline-Modus schlicht nicht möglich.

Wir wissen, dass es trotz der DRM-Maßnahmen möglich sein wird, digitale Daten zu kopieren. Man könnte auch Taler offline nutzen, dann können wir aber auch nicht garantieren, dass die Daten nicht kopiert sind bzw., dass das Geld, das ich erhalte, nicht doppelt ausgegeben wurde. Das muss man den Leuten erklären: Das Offline-Bezahlen mit digitalem Cash ist möglich, aber nicht sicher und anonym.

Im Katastrophenfall könnten wir das Risiko hinnehmen. So macht man das in Japan beispielsweise mit der Bezahlkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel: Kommt es zu einem Erdbeben und ist das System offline, dann funktioniert die Karte trotzdem, damit die Leute nachhause kommen können. Man rechnet damit, dass es in wenigen Fällen zu Betrug kommen wird, aber wichtiger ist, dass die Menschen nach Hause kommen können. Im Katastrophenfall wird also Menschlichkeit gegenüber korrekter Abrechnung priorisiert.

Die EZB betont immer wieder, der Digitale Euro wird erst nach einem politischen Beschluss eingeführt. Haben Sie noch Hoffnung, dass der Digitale Euro doch noch als token-basiertes System umgesetzt wird?

Während die EZB das verspricht, hat sie schon eine Ausschreibung für 1,3 Mrd. Euro gemacht, in der schon ganz konkrete Vorgaben genannt werden. Und auf diese Ausschreibung konnten sich nur Unternehmen mit einem Mindest-Jahresumsatz von 10 Mio. Euro bewerben. Kleine Akteure, die angeblich auch gefördert werden sollen, sind also schon aus dem Spiel. Die Ausschreibung hatte eine Frist von sechs Wochen, die kürzeste mögliche legale Frist. Man kann doch nicht sagen, wir machen nichts ohne politischen Beschluss und gleichzeitig Gelder für die technische Umsetzung vergeben, die an enge technische Vorgaben geknüpft sind. Damit werden Fakten geschaffen. Und von einem token-basierten Ansatz ist in der Ausschreibung nichts zu finden. Dass die EZB nach einem politischen Beschluss auf einen grundlegend anderen Ansatz umschwenkt, ist nicht zu erwarten.

Ich glaube, dass man sich nur nach einem Scheitern der aktuellen Pläne Hoffnungen darauf machen kann, dass ein token-basierter Ansatz verfolgt wird. Erst wenn der Digitale Euro entweder politisch oder ökonomisch oder technisch gescheitert ist, haben wir aus meiner Sicht eine Chance, eine ordentliche politische Debatte darüber zu führen, was wir eigentlich als Gesellschaft haben wollen. Vielleicht könnte es dann in 15 Jahren einen neuen Anlauf geben. Und dann können wir sehen, ob es mit der Tokenisierung was wird oder nicht.

Herr Grothoff, vielen Dank für das Gespräch.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #9: Politisierung

Ein Beitrag von Petra Gehring

25. Juni 2024

Seit zwei Jahren hat die Politikwissenschaft das Thema Geld entdeckt: Geldtheorien werden rekonstruiert, vor allem aber geht es um Gegenwartsdiagnosen. Haben in in den länger zurückliegenden Jahren nicht Politikwissenschaftler, sondern Soziologen wie Urs Stäheli oder Elena Esposito das Bankensystem, die Börse, Spekulationen und Derivate attackiert, so geht es nun um die Frage, ob politische Systeme – und auch gerade moderne Demokratien – „das Geld“ als eine vermeintlich bloß technische Angelegenheit in viel zu starkem Maße den Zentralbanken überlassen. Das Geld werde „zur unpolitischen Technologie verklärt“ (Sahr 2022, Ankündigungstext), demokratische Akteure kümmerten sich zu wenig um „grundlegende demokratische Fragen der monetären Gewalt“ (Eich 2023: 13). Die politische Theorie solle jedoch „dazu beitragen, den unklaren Ort des Geldes in der demokratischen Politik neu zu fassen“ (Eich 2023: 18), in den Blick zu nehmen sei dessen „genuin politische Architektur“ (Sahr 2022: 12).

Die Appelle sind mehr als plausibel – die Finanzkrise, die digitale Umgestaltung der Werte und Wertzeichen hätten dazu eigentlich gar nicht nötig sein sollen. Worüber man aber doch grübelt: Die Forderung der Autoren nach einer „Politisierung“ des Geldes, die konkret in einer Entzauberung der vermeintlichen Neutralität der Zentralbanken zu bestehen hätte, und die dann ohne Wenn und Aber zugleich eine „Demokratisierung“ sein soll. In den Worten von Stefan Eich: „Die Welt braucht dringend eine neue globale monetäre Verfassung und eine Währungsordnung, die demokratischer gesteuert wird.“ (276) Was meint das konkret? Mehr Rechenschaftslegung, mehr Aufsicht, mehr „finanzielle Bürgerrechte“ gegenüber Banken, mehr öffentliche Kreditversorgung, vor allem aber: Zentralbanken sollten „Labore“ werden für eine offene Demokratie. Es gälte, Personen hinein zu wählen, dabei alle gesellschaftlichen Gruppen zu repräsentieren, sie zwar nicht der Exekutive, aber umso mehr den Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen, im Sinne einer eigenständigen monetären Gewalt (vgl. 284).

Dezentral organisierte Kryptowährungen lehnt Eich als „eine Fälschung demokratischen Geldes“, und Plattformwährungen lehnt er als „Vorstoß zu einer Privatisierung des Geldes“ ab (vgl. 277). Das Geld selbst bezeichnet er als „kollektive Fiktion“ (287) und sieht eben darin dann auch das Versprechen der Gestaltbarkeit: „Anstatt uns vom fiktiven Charakter des Geldes blenden oder verängstigen zu lassen, können und sollen wir seine nie vorab festgelegten politischen Potenziale ausschöpfen …“ (287). Möglicherweise falle ich genau hier aus dem Film: Wie kann ich eine kollektive „Fiktion“, ohne sie zu zerstören, kollektiv steuern? In welchem Sinne heißt „fiktiv“ in einem ergebnisoffenen Sinne „unfestgelegt“ (wo wir doch an Fiktionen – als Annahmen, Setzungen, vielleicht sogar Erfindungen – ein Stück weit auch glauben müssen)? Und woher nimmt der demokratische Diskurs den Sinn für die „politischen Potenziale“ einer Fiktion – ohne dass diese Potenziale nicht auch verflixt leicht „fiktiv“ zu nennen wären?

So berechtigt der Hinweis darauf ist, am Geld sei nichts natural, wenig neutral und vieles politisch – Politisierung ist jedenfalls nicht automatisch Demokratisierung. Auch Krypto und Libra „politisieren“ die kollektive Fiktion.

Stefan Eich: Die Währung der Politik. Eine politische Ideengeschichte des Geldes (2022). Hamburg: Hamburger Edition 2023.

Aaron Sahr: Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft. München: C.H. Beck 2022.

 

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Autor: Frank Engster eFin-Blog Farbe: hellblau

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Ein Beitrag von Frank Engster

28. März 2024

Der Anlass des Buches Kleine Philosophie des Geldes ist ein Verschwinden, das denkbar paradox ist: Das Geld verschwindet in seiner sinnlich wahrnehmbaren, empirischen Gestalt als Bargeld – aber seine Geltungsmacht wird durch dieses Verschwinden nur um so absoluter. Ja, es ließe sich sogar sagen, dass das Geld gerade in diesem

Verschwinden seinem Begriff und seiner Logik adäquat wird. Denn ist uns das Geld nicht darum so rätselhaft, weil es letztlich etwas Unsichtbares, nicht Fassliches repräsentiert? Steht es nicht in seinem materiellen Dasein buchstäblich für einen ökonomischen Wert, der ideell und übersinnlich ist? Ein Wert, der einerseits durch das Geld überhaupt erst greifbar wird und eine Existenz erhält, andererseits aber gerade durch das Geld zu etwas Übersinnlich-Ideellem wird? Das Geld würde dann in der Geschichte seiner De- und Entmaterialisierung derjenigen Logik adäquat, die von Anfang an das Geld der kapitalistischen Gesellschaft auszeichnet. Das Geld gibt, was auch immer seine empirische Gestalt sein mag, ob Gold und Edelmetall, ob Papier oder ob bloßer elektronischer Impuls – das Geld gibt einem rein quantitativen Wert objektive, ja sogar universelle Geltung, aber diese empirisch reine und universelle Geltung des Quantitativen ist aus keiner seiner materiellen Gestalten ableitbar oder erklärbar. Es scheint daher umgekehrt, dass die De-Materialisierung des Geldes diesem Wesen adäquat wird.

Das Geld im Schnittpunkt dreier Entwicklungen

Dieses eigentümliche Verschwinden des Geldes, dem zugleich eine Art Zu-sich-Kommen seiner rein quantitativen Geltung entspricht, wird im Buch im Fluchtpunkt von drei Entwicklungen angesiedelt. Die erste Entwicklung ist die eben angeführte gleichsam metaphysische Entwicklung, dass das Geld in der Geschichte seiner zunehmenden Ent- und Dematerialisierung seine reine Geltung durchzusetzen und ihr adäquat zu werden scheint.

Die zweite Entwicklung, in deren Fluchtpunkt wir uns heute befinden, beginnt mit der kleinen „Sattelzeit“ (Koselleck) um das Jahr 1973. In diese Zeit fällt das Ende des Goldstandards und des Abkommens von Bretton Woods, die Erschöpfung des klassischen Fordismus sowie der Umbruch in den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und in eine post-fordistische, vielleicht gar post-industrielle Gesellschaft. Auch der Neoliberalismus mit seinen politischen Techniken (Deregulierung, Privatisierung, Abbau des Sozialstaates, Schwächung der Gewerkschaften) beginnt in diesem Jahr, und zwar mit dem Putsch in Chile gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende. Auf den Putsch folgte die neoliberale Konterrevolution durch die Militärdiktatur von August Pinochet und einer Gruppe chilenischer Wirtschaftswissenschaftler, der „Chicago Boys“, die u.a. die monetaristische Theorie ihres Lehrers Milton Friedman installierten.

Diese kleine Sattelzeit war für die ungeheure Ausweitung einer Geldmenge wichtig, die einerseits, vor allem qua Kreditgeld, gleichsam aus dem Nichts geschöpft wird und die andererseits nicht mehr durch Gold gedeckt oder zumindest umtauschbar sein muss. Die ausgeweitete Geldmenge ist allein durch diejenige ökonomische Verwertung „gedeckt“, die sie erst in Kraft setzt und gleichsam nach sich zieht. Gelingt das aber nicht, stehen Entwertungsprozesse und Kapitalvernichtungen an, etwa durch das Platzen von „Blasen“ in monetär überhitzten Bereichen der Ökonomie (die dann wiederum Kettenreaktionen auslösen, die andere Bereiche betreffen und mitunter globale Ausmaße annehmen).

Die dritte Entwicklung ist, dass der Aufstieg der ökonomischen Techniken des Finanzkapitalismus und der politischen Techniken des Neoliberalismus begleitet wurde von einer Revolution, die in der Technologie im engeren Sinne stattfand. Die Rede ist natürlich von der Digitalisierung. Das Geld wird durch seine Digitalisierung nicht einfach dematerialisiert, es erlangt einen neuen Status. Denn mit dem Geld wird auch der ökonomische Wert nicht einfach nur elektronisch, digital, immateriell, der Wert wird Information. Er wird zu einer Information in einem viel radikaleren Sinne als in den Wirtschaftstheorien, die Wert oder Preis schon seit langem als eine Information fassen. Denn fortan sind alle einzelnen Zahlungen, alle finanziellen Transaktionen und alle Geld- und Finanzströme elektronisch und digital nicht nur abwickelbar, sie sind auch rekonstruierbar, speicherbar, steuerbar und sogar vorhersagbar und berechenbar, zumindest bestimmter Wahrscheinlichkeit nach. Mit dieser technischen Transformation wird die Information des (vermeintlich bloß) ökomischen „Werts“ nun mit individuellen, mit sozialen, mit politischen und überhaupt mit allen Arten von Information überlagert.

Das hat ungeheure Auswirklungen auf neue Formen der politischen und sozialen Überwachung und Kontrolle, der Planung, Steuerung und Machtausübung. Hatte das Geld seit jeher die berühmten „zwei Seiten der Medaille“, indem es in seiner geprägten Gestalt als Münze Kopf und Zahl, Politik und Ökonomie, Staat und Markt (re-)präsentiert, so befindet sich das Ökonomische nun auf eine ganz neue, eben immaterielle Weise (mit jener Rückseite) verbunden, denn was in der Münze noch in zwei Seiten geschieden war, befindet sich jetzt im Zustand der Überlagerung. Ökonomische Informationen überlagern sich auf eine ganz unmittelbare Weise mit allen anderen Arten von Information, etwa über das Verhalten von Individuen, Gruppen und Bevölkerungen, über ihre Entscheidungen, ihre Vorlieben, ihre Geheimnisse usw., und diese Informationen können über elektronisch-digitale Geldströme ausgelesen werden.

Durch die Überlagerung sind diese Informationen in einer Art Unschärfe gehalten und können für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet werden. Genauer gesagt kann mit diesen Informationen für unterschiedliche Zwecke gerechnet werden. Dieses Rechnen bezieht sich nicht auf das profane Kommodifizieren der Daten. Es geht vielmehr um ein politisches und soziales „Bewirtschaften“ der Daten. Auch dieses Rechnen mit Daten und Informationen geht über ihre bloße Kommodifizierung, also ökonomische (Weiter)Verwertbarkeit hinaus. Es erhält einen eigentümlichen Status, der dem Status der Überlagerung, in dem sich Informationen befinden, entspricht. Denn einerseits kann mit den Daten und Informationen auf eine eng ökonomische und quantitative Weise gerechnet werden, wobei das Rechnen aber auch ein Berechnen ist und zur Programmierung, Algorithmisierung und für KI genutzt wird: Kaufentscheidungen und Konsumverhalten lassen sich rekonstruieren und berechnen, ja vorhersagen und steuern. Und andererseits ist dieses Berechnen entgrenzt, denn es gilt nicht nur für die Ökonomie, sondern im Prinzip für alles, was mit großen Datenmengen und schneller Rechenleistung berechenbar gemacht werden kann: Migrationsströme, Gesundheitsrisiken, Kriminalitätsentwicklung, Wählerverhalten usw.

Diese umfassende Auslesbarkeit des, vereinfacht zusammengefasst, Sozialen ist auch der Grund für die enorme Bedeutung der Frage, wer über die Daten verfügt, wer sie sammeln, auswerten, verwenden und auch manipulieren kann, kurz, wer mit den Informationen rechnen kann. Sind Daten, Informationen und die gesamte Grundstruktur, die mittlerweile daran hängt, nicht eine Art gesellschaftliche Infrastruktur geworden wie einst Energie, Eisenbahn oder die Post (also die klassischen Netze mit ihren Übermittlungen und Strömen)? Sollten die Daten und ihre Infrastruktur wirklich einzelnen großen Quasimonopolen gehören? Oder sind sie dort vielleicht gerade vor staatlichem Zugriff und Missbrauch geschützt? Und wie könnte eine gesellschaftliche Kontrolle jenseits von Staat und privaten Kapitalen aussehen?

Chronos, Kosmos, Logos

Kurzum beide, Geld und Wert, erlangen mit der Digitalisierung einen neuen Status. Das Geld erscheint nicht mehr analog dem Hegelschen Geist, dem „Gott der Philosophen“, der ja bereits eine Art Verweltlichung des christlichen Gottes war. Auf diese Analogie hatte u.a. der Marxismus und die Kritische Theorie zurückgegriffen, aber auch Marx selbst. Vielmehr funktioniert das Geld heute, im Zeitalter einer globalen und zunehmend digitalisierten Ökonomie, des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und des Informationszeitalters, anscheinend wie ein gewaltiger Prozessor. Das Datennetz mit seinen Algorithmen gleicht einem gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Gehirn, in dem Informationen aller Art als Daten unendlich schnell prozessiert und verarbeitet werden. Und darin scheint es das Wesen des Geldes zu sein (insbesondere im Banken- und Finanzsystem, dem zentralen Nervensystem der Ökonomie), Informationen über ökonomische Werte, die sich mit weiteren Informationen überlagern, mit Lichtgeschwindigkeit zu übertragen. Erschien den Philosophen das Geld einst unverfügbar wie ein (Welt-)Geist, so scheint ein passendes Bild für sein unfasslich übersinnliches und doch ungeheurer wirksames Wesen heute der Welt-Computer zu sein.

Das Verschwinden des Geldes im Elektronisch-Digitalen ist indes, wie oben schon gesagt, für mich und meine Mitautoren (nur) der Anlass gewesen, das Geld noch einmal einer Kritik zu unterziehen. Das ist allein schon darum stets akut, weil bis heute keine allseits akzeptierte Theorie oder Kritik des Geldes gelungen ist. Weitgehende Einigkeit besteht bestenfalls darin, dass das Geld seiner Bewältigung durch Wissenschaft und Theorie offenbar Probleme aufgibt. Der notorische Begriff dafür, der von einer Reihe Autoren verwendet wurde, ist das Geldrätsel.  Wenn aber das Geld keine allseits akzeptierte Bestimmung gefunden hat und rätselhaft geblieben ist, legt das zwei Konsequenzen nah. Zum einen scheint dem Geldrätsel nur arbeitsteilig beizukommen zu sein, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Und zum anderen muss der Gegenstand der gemeinsamen Kraftanstrengung diese Rätselhaftigkeit des Geldes sein – vielleicht führt, so unser Gedanke, gerade dieser Umweg über die Bestimmung seiner Rätselhaftigkeit zu einer angemessenen Bestimmung des Geldes. Ja, wenn es gelingt, seine Rätselhaftigkeit zu bestimmen, so ist das vielleicht bereits die Lösung des Geldrätsels.

Von diesen beiden Konsequenzen ausgehend, hat das Buch sich vorgenommen, drei Dimensionen zu bestimmen, die das Geld gleichsam von sich aus herausfordert. Die drei Dimensionen, die zugleich den drei Teilen des Buches „Chronos“, „Kosmos“ und „Logos“ entsprechen, sind 1.) die Ökonomie der Zeitlichkeit, die das Geld eröffnet und geradezu mit sich bringt, 2.) die Kosmologie, die es dadurch in der Moderne entwirft, sowie 3.) die Logik, die es zu etablieren scheint. Die drei Dimensionen werden von den drei Autoren jeweils im Rückgriff auf drei große Geld-Theorien und ihre Autoren vorgenommen, nämlich im Rückgriff auf Marx, Simmel und Hayek. Geld bringt mit der kapitalistischen Moderne also eine Temporalität, einen Kosmos und eine Logik mit sich, und wir argumentieren, dass in allen drei Fällen ein Entzug und Verschwinden des Geldes in diese drei Dimensionen von Anfang an im kapitalistischen Geld angelegt ist.

Was die Dimension der Zeit angeht, so setzt das Geld durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere durch die In-Wert-Setzung und Quantifizierung sowohl der Arbeits- und Produktionsverhältnisse als auch ihrer Resultate, der Waren, eine „Ökonomie der Zeit“ (Marx) in Kraft.

Mit dem kapitalistischen Geld fängt indes nicht nur eine neue – quantifizierte – Zeit durch einen ökonomischen Umgang mit ebendieser Zeit an, es fängt auch eine neue Kosmologie an. Sie fällt zusammen mit der „kopernikanischen Wende“, durch die das alte Weltbild gestürzt und durch einen neuen, nun nicht mehr geozentrischen und gottgegebenen Kosmos ersetzt wurde: Die alten „Verschuldungszusammenhänge“ werden ersetzt durch einen „Bereicherungszusammenhang“. Dieser Bereicherungszusammenhang hängt an einem Geld, das einerseits quasi aus dem Nichts geschöpft werden kann, weil andererseits Reichtum in abstrakter Form unendlich vermehrbar zu sein scheint. Reichtum scheint nicht mehr, wie in vor- und nicht-kapitalistischen Gesellschaften, eine Art Nullsummenspiel zu sein, das letztlich nur auf der Auf-, Ein- und Verteilung einer gottgegebenen und zugleich quasi natürlichen Endlichkeit beruht (darum „Verschuldungszusammenhang“). Vielmehr scheint Reichtum, obzwar er immer ein endliches Dasein führt, aus sich selbst heraus ins Unendliche vermehrbar zu sein – jedoch, ohne dass klar wäre, auf welche Weise dieses Unendliche durch Geld in Anspruch genommen, bewirtschaftet und ökonomisiert wird. Das Unendliche scheint eine Art unsichtbares Drittes zu sein, bei dem sich der kapitalistische Bereicherungszusammenhang durch Geldvermehrung und Wachstum verschuldet und das durch die ständigen gesellschaftlichen Krisen ebenso im endlichen Dasein beständig wiederkehrt, wie es verdrängt wird.

Mit dem kapitalistischen Geld hält schließlich auch eine ökonomische Rationalität und Logik Einzug. Einerseits scheint diese Logik quasi natürlich zu sein, ganz so, als käme im Kapitalismus endlich eine Rationalität zu sich, die überhistorisch ist und insofern schon immer gegolten haben müsse. Andererseits kann die Wirtschaftswissenschaft nicht angeben, was genau im Preis eigentlich in Wert gesetzt ist und was diese geheimnisvolle Qualität ist, die quantifiziert wird. Vor allem aber kann sie die Qualität des Quantifizierens selbst, die uns durch das Geld gegeben ist, nicht recht angeben. So wurde einerseits, besonders im Zuge des Neoliberalismus, die Quantifizierung auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausgedehnt und noch zur Lösung der dadurch entstehenden Probleme eingesetzt (schlagendes Beispiel ist der Emissionshandel), während andererseits die Logik des Quantifizierens selbst ein blinder Fleck blieb.

Das Geld verschwindet also nicht erst, wenn es elektronisch und digital wird. Vielmehr ist es das Wesen des Geldes, sich in seine Darstellungsweise zu entziehen. Es präsentiert uns in diesem Entzug unmittelbar eine Zeitökonomie, ein Weltbild und eine Logik und Rationalität, die jeweils vertrackterweise durch das Geld und durch seinen Entzug so erscheinen, wie sie (schon) ohne Geld zu sein scheinen. Das Geld löst durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse einerseits eine kapitalistische Ökonomie der Zeit ein, und entzieht sich dadurch andererseits in eine Zeit, die durch Geld quantitativ anwesend wird; die Schöpfung und Vermehrung des Geldes und des abstrakten Reichtums führt in der Moderne zu einer radikal neuen Kosmologie, die das Unendliche auf eine unklare Weise in Anspruch nimmt und im Wachstumszwang verendlicht; und das Geld beherrscht eine ökonomische Rationalität, die durch Werte und Preisinformationen mit dem Rechnen des Geldes rechnet, ohne dieses Rechnen des Geldes selbst zu fassen zu kriegen.

In Kürze erscheint eine noch umfangreicher angelegte arbeitsteilige Kraftanstrengung zur Bestimmung des Geldes, nämlich das Handbook of Philosophy and Money. In 2 Bänden wird die Geschichte des Verhältnisses von Geld und Philosophie von der Antike bis zur (Post-)Moderne von einer Vielzahl von Wissenschaftler:innen und Philosoph:innen rekonstruiert.

Frank Engster, Aldo Haesler, Oliver Schlaudt: Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens, Berlin: Matthes & Seitz.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #7: Token

Ein Beitrag von Petra Gehring

15. Februar 2024

Rachel O’Dwyer schreibt als kluge Ethnologin des digitalisierten Bezahl-Alltags. Ihre Umschau zum schillernden „Wert“ nicht nur von Kryptotoken liest sich hinreißend: man ist fasziniert von Vouchern, Giveaways, Amazon-Wishlists, Fortnite-Skins wie überhaupt Gaming-Währungen aller Art, des Weiteren: virtuellen Trophäen, Andenken, Memes – alles das ist informelles Digitalgeld!

„Throughout history, tokens have littered the edges of the economy …” (7). Dieser Ausgangsthese zufolge erscheint offizielles, staatlich abgesichertes und quasi vereindeutigtes Geld geradezu als moderne Ausnahme. Diesseits davon existieren Welten voller Wert-Zeichen, die zirkulieren, temporär in Geltung sind, Käuflichkeit organisieren und Macht verleihen. O‘Dwyer, die am National College of Art and Design in Dublin Digital Culture lehrt, nennt die Träger solcher Wertmarkensysteme (und ihr Buch) Tokens: „As something that is ‘not quite money’, tokens blur the hard edges between legitimate and illegitimate work and legitimate and illegitimate transactions.” (7) Vor der Digitalisierung kannten wir das vereinzelt auch: Rabattmarken, Lebensmittelkarten, Sammelbildchen. Im Netz kommen informelle Bezahlformen nun jedoch in großem Stil zurück: Aus Spiel wird Ernst.

“Tokens confer identity and access.” (10) Digitales Blingbling – nicht Geld, aber money-ish und überall klickbar zu haben sowie spielfigurenartig zu bewegen – ist auch Anerkennungsmittel. Das Wertzeichen kann besagen: Du bist wertvoll, und: Du bekommst genau deshalb, weil du so aussiehst oder dies tust, virtuelles Kapital. Das Spielgeld schafft also vertragsartige Bindungen und steuert: „Tokens can thus […] be a way of attaching special conditions to payments. They can bring spending, eating, parenting, and, well, living in line with the issuer’s objectives. Not just value, then, but values.” (vgl. 10) Ebenso schafft dieses Geld schlimme Belohnungssysteme: physische Demütigungswetten, sadistische “Mutproben”, Online-Sex: „The token is a communication designed to express itself not only with the channel, but immediately and directly on the body of the performer.” (23)

Im Ganzen ist Tokens nicht nur ein cooles, sondern auch ein politisches, zorniges Buch über Geld. Es gibt Kapitel über Tracking durch Geld, über Geld und Identitätsfeststellung, über Code als schlechten Ersatz für Recht und über das Metaverse („Litter is there to create Realism“, 271). Unbedingt lesenswert. Ein einziges Aber: die Begriffswahl. Was alles um Himmels willen nennt O‘Dwyer „Token“? Die Entscheidung für einen Schlüsselbegriff ist sicher immer ein kniffeliger Tauf-Akt. Und sicher ist mein Störgefühl dasjenige einer Philosophin. Token meint aber eben nicht nur Wertzeichen, sondern Zeichen ganz generell. Wären also alle Zeichensysteme letztlich Wertsysteme? Ist das die These: Bedeutung ist (oder wird im Netz) per se Wert?

Zum Einstieg bemerkt O’Dwyer selbst kurz, ihre Verlegerin fände den Begriff zu weit gefasst. Sie räumt ein: Tokens faszinieren als Grenzfall. „A token can be a game, a passcode, a ticket, a social tie, a keepsake, a bribe, a secret message, a gift, a promise, a vote, an ownership stake, a joke, a meme, an art, a flex, a bet, a law, another token.” (11 f.) Die Frage bleibt: Was genau meint more and less than money (11)? Absorbiert die digitale Bezahlfunktion letztlich sogar das Konzept des Zeichens selbst? Oder sprechen wir doch besser dezidiert von Wertzeichen, also von einer zusätzlichen Performance, die – sagen wir: einem digitalen Symbol oder Schriftzug zuwächst, sobald er als bezahlmittelartiger Anreiz Macht gewinnt? Zumindest theoriebegrifflich hieße letzteres: Zwischen „Token I“ (digitales Bezahlen) und „Token II, III, … n“ (Zeichensysteme ohne genau diesen beinahe-Geld-Effekt) wären zu unterscheiden. Auch einen Kapitalismus neuen Typs könnte man wohl nur dann scharf analysieren, wenn man nicht gleich alles im selben Sinne – und sei es ironisch – „Token“ nennt.

Rachel O’Dwyer: Tokens. The Future of Money in the Age of the Platform. London/New York: Verso 2023.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #6: Metaverse

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 4. Januar 2024

Ich seufze. Mein erster lesender Anlauf, zu verstehen, womit Zuckerbergs Firma Meta in den nächsten Jahren alles revolutionieren will. „Metaverse“: Einerseits geht es um virtuelle Realität, um fancy 3D-Spaß, Helm auf und los. Andererseits hat „alles“ mit Geld zu tun – so jedenfalls Matthew Ball, ehemaliger Chefstratege bei Amazon Studios und derzeit wohl Wirtschaftsjournalist. Das Metaverse, schreibt Ball, werde ein „Unternehmensinternet“ sein, es werde „von privaten Unternehmen mit dem ausdrücklichen Ziel des Handels, der Datenerfassung, der Werbung und des Verkaufs virtueller Produkte entwickelt und aufgebaut.“ (31) Und weiter: „Das Metaverse ist als eine parallele Ebene für menschliche Freizeit, Arbeit und Existenz im weiteren Sinne gedacht.“ (173)

Im zehnten Kapitel seines Buches stellt Ball die These auf, „das zentrale Schlachtfeld“ für das ganze Projekt werde der Kampf darum sein, die dominierende „Zahlungsschiene“ im Metaverse zu werden. Zahlungsdienste stehen gegeneinander, aber auch Spieleplattformen, die einerseits Gebühren­systeme, andererseits Erfolge, Trophäen, Level etc. – also symbolische Guthaben – verwalten (und behalten): im Grunde Vorformen von Zahlungsdiensten oder eigentlich sogar mehr. Denn Spieleplattformen ähneln sozialen Netzwerken, verwalten die spielgebundene Online-Existenz, Freund­schaften und Datenspuren der Aktivitäten ihrer Nutzer:innen. Auch der App Store von Apple ist nicht bloß ein Shop, sondern ein gigantischer Zahlungsintermediär. Das zugrundeliegende Geschäftsmodell sichert Apple 30% des Ertrags, den der Verkauf App-Anbieter:innen einbringt. Billiger wird es, wenn Anbieter:innen sich ihrerseits verpflichten, den Nutzer:innen beim Bezahlen zusätzlich Werbung zu zeigen (Werbezeit, die Apple dann auch wiederum verkauft). So bauen virtuelle Bezahlgeschäftsmodelle aufeinander auf. Und die Endkund:innen zahlen mit Geld und Daten. Firmen wie Apple (mit Apple Pay) oder eben auch Facebook, jetzt Meta, streben eine Art Jokerrolle an: Sie liefern Produktportfolios und zugleich Portfolios von Zahlungswegen. Dass es für einen solchen Universaldienst viel profitabler ist, virtuelle Güter zu verkaufen als Dinge, die man „physisch“ produzieren, versenden und zustellen muss, versteht sich von selbst.

Das Metaverse wiederum? Wäre wohl – habe ich es richtig verstanden – eine Art Riesen-Obervermieter für Dienste, die auf allen möglichen Geräten und Betriebssystemen laufen. Aber ein exklusiv Meta gehörendes 3D-Portal würde genutzt, um in virtuellen Räumen wiederum 3D-Versionen von was auch immer im Netz oder in einer Cloud abspielbar bzw. „besuchbar“ ist, vorzuhalten – zwecks Kaufs oder kostenpflichtiger Teilnahme, kostenpflichtigem Konsum. Ball nennt: Bildung, Lifestyle, Unterhaltung, dazu Sexarbeit und „Mixed-Reality-Orgien“ (263). Er findet das Leistungsspektrum okay, mir scheint es deprimierend. Was könnten Applikationen an noch Hässlicherem vermarkten? Kriege? Sklaverei? Voodoo-Verfluchungen? Gladiatoren? Gehirnwäsche? Folter?

Im relativ besten Fall dürfte es jede Menge Kontrollen, Aufsicht, Überwachung – und neue Kosten – geben, um das zu verhindern.

Matthew Ball: Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird (2022). München: Vahlen 2022.

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Autor: Carola Westermeier und Marek Jessen Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: hellblau

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Ein Beitrag von Carola Westermeier und Marek Jessen

15. November 2023

Auch wenn der Mehrwert eines digitalen Euros auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich ersichtlich ist, bringt er doch viele Chancen mit sich: auf mehr Souveränität für europäische Anbieter und Bürgerinnen und Bürger. Dafür müssen allerdings noch ein paar Weichen gestellt werden.

Das Eurosystem hat eine wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung getroffen. Die Notenbanken der Länder, die den Euro eingeführt haben, und die Europäische Zentralbank (EZB) werden die Entwicklung eines digitalen Euro weiter vorantreiben und in einigen Jahren könnten europäische Bürgerinnen und Bürger Zugang zu einer neuen Art des Geldes haben. Kritische Stimmen werfen dem Projekt vor, dass es keinen Mehrwert habe. Ob ich 50 Euro mit meiner EC-Karte oder mit dem digitalen Euro ausgebe, ist meinem Kontostand egal, er wird verringert. Allerdings reduzieren die Kritikerinnen das Bezahlen mit einer solchen Argumentation auf den Austausch von Werten. Im digitalen Zeitalter sind Bezahlen und der Einsatz des Geldes in Transaktionen jedoch weit mehr.

Alles neu macht der digitale Euro – aber was eigentlich genau?

Es scheint paradox: Der digitale Euro wird unser Bezahlverhalten womöglich kaum verändern, obwohl er eine völlig neue Form des Geldes darstellt. Mit dem digitalen Euro nimmt Zentralbankgeld – die sicherste Form des Geldes, da die Zentralbank hinter ihr steht – eine digitale Form an, die für alle zugänglich sein soll. Bisher war diese Form des Geldes und die damit verbundene direkte Forderung gegen die Zentralbank lediglich mit dem Bargeld vorhanden.

Derzeit jedoch liegen alle digitalen Formen des Geldes in den Händen der Privatwirtschaft und stellen eine Forderung der Bürgerinnen gegen diese dar. Entsprechende Einlagen sind bei dem jeweiligen Kreditinstitut über die gesetzliche Einlagensicherung bis zu 100.000 € geschützt. Der digitale Euro soll die Versorgung mit Zentralbankgeld, für das es keine Einlagensicherung braucht, auch im digitalen Zeitalter und bei gleichzeitig rückläufigem Gebrauch von Bargeld sicherstellen.

Eine Frage der europäischen Souveränität

Derzeit ist digitales Bezahlen vor allem ein Markt, in dem Unternehmen um Anteile kämpfen, um über Gebühren Gewinne zu erzielen. Zahlungsdienstleister können Transaktionen aufgrund ihrer Geschäftsbedingungen untersagen und sind verpflichtet, Sanktionen durchzusetzen. In Europa dominieren vorwiegend nicht-europäische Akteure diesen Markt, während europäische Transaktionen über ihre Netzwerke laufen. Ein Umstand, den europäische Institutionen bereits zu Zeiten der Trump-Administration in den USA als Gefahr für die Souveränität des Euroraums identifiziert haben.

Der digitale Euro hingegen soll auf Infrastrukturen basieren, die in europäischer Hand liegen. Die Ausgestaltung dieser technischen Infrastrukturen wird in den kommenden Jahren konkretisiert und könnte entscheidend für die Akzeptanz des neuen Geldes sein. Die besten Chancen für eine breite Adaption bieten sich, wenn sich der digitale Euro von den genannten Marktlogiken löst und vielmehr als öffentliches Gut entwickelt wird, bei dessen Entwicklung die Rolle des Geldes in all seinen Facetten überdacht und digitales Geld im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gestaltet wird.

Datenschutz als höchste Priorität

Ein zentrales Thema wird dabei der Schutz der Privatsphäre und der Umgang mit den anfallenden Daten sein. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist dies der zentrale Aspekt des Bezahlens, das haben Befragungen im Auftrag der EZB gezeigt. Zugleich fehlt das Bewusstsein, was bereits im derzeitigen Modell mit den eigenen Daten passiert und wie diese ausgewertet werden können.

Transaktionen im digitalen Raum hinterlassen Daten, die für die Abwicklung von Zahlungen notwendig sind. Bereits heute werden Transaktionsdaten genutzt, um gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorzugehen. Hierbei arbeiten Banken, die etwa verpflichtet sind, verdächtige Transaktionen zu melden, und Strafverfolgungsbehörden eng zusammen. Die Analyse von Transaktionsdaten beruht also auf der einen Seite auf regulatorischen Vorgaben, sie sind aber auch für kommerzielle Zwecke interessant. Finanztransaktionsdaten bieten umfangreiche Einblicke in das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer und sind somit besonders aussagekräftige und sensible Daten. Die EZB hat wiederholt betont, dass sie kein Interesse an der kommerziellen Nutzung von Transaktionsdaten hat. Dennoch wird es eine Herausforderung sein, die Interessen der unterschiedlichen Akteure im Laufe des weiteren Prozesses in Einklang zu bringen.

Die konkrete Rollenverteilung für den digitalen Euro und welche Intermediäre eingebunden werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Grundlegend ist vorgesehen, dass die EZB den digitalen Euro ausgibt und er Nutzerinnen und Nutzern durch Intermediäre, wie Banken und Zahlungsdienstleister, über Wallets zugänglich gemacht werden soll. Der digitale Euro soll für alltägliche Bezahlfunktionen, wie beispielsweise an der Ladenkasse oder im Onlinehandel, aber auch zwischen Privatpersonen, genutzt werden.

Gesetzesvorschlag muss Datensammelwut besser vorbeugen

Obwohl die EZB eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des digitalen Euro spielt, sollte nicht übersehen werden, dass sie nicht allein über dessen Ausgestaltung entscheidet. Die Einführung des digitalen Euro erfordert die Schaffung einer entsprechenden rechtlichen Grundlage. Die Europäische Kommission hat im Sommer einen ersten Legislativvorschlag vorgelegt, der nun Rückmeldungen erhält. Der Datenschutz spielte darin eine wichtige Rolle. Laut aktuellem Bericht der EZB sollen Intermediäre dabei personenbezogene Daten lediglich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für Aufnahme von Kundinnen und Kunden und die Abwicklung der Zahlung verarbeiten. Jegliche Nutzung dieser Daten für kommerzielle Zwecke erfordert nach den Plänen der EZB die ausdrückliche Zustimmung vonseiten der Nutzerinnen und Nutzer. Diese Klarheit sollte sich auch im Gesetzesentwurf wiederfinden. Ein klar umrissener Katalog, der die Zwecke der Datenverarbeitung präzise darlegt, schafft Rechtssicherheit für die Intermediäre und fördert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Gleiches gilt für die EZB und das Eurosystem. Es muss klar sein, welche Daten verarbeitet werden und dass keine nachträgliche Zuordnung der Identität der Nutzerinnen und Nutzer der Daten möglich ist. Um dem Überwachungspotential einer zentralisierten Datensammlung vorzubeugen, empfehlen europäische Datenschützerinnen und Datenschützer, die mit dem Kundenmanagement (insbesondere Verwaltung digitaler Euro-Accounts) verbundenen Aufgaben dezentral und damit über Intermediäre zu organisieren. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass ab einem bestimmten Punkt Daten in aggregierter Form der EZB zur Verfügung stehen, da sie den digitalen Euro ausgibt und über die im Umlauf befindliche Geldmenge Kenntnis hat. In dem gesetzlichen Rahmenwerk sollte eindeutig festgelegt werden, dass diese Daten nach Pseudonymisierung keine nachträgliche Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer ermöglichen.

Auch wenn die Vorzüge des Bargelds nicht vollständig in den digitalen Raum transferiert werden können, ist es wünschenswert, dass Zahlungen zumindest unter einem gewissen Schwellenwert komplett anonym möglich sein sollen. An vielen – vor allem ländlichen – Orten sind Bargeldzahlungen nicht mehr möglich, weil die entsprechenden Geschäfte außer Reichweite und Online-Bestellungen die einzige Möglichkeit sind, an bestimmte Waren zu gelangen. Der Schutz der Privatsphäre beim Bezahlen sollte jedoch keine Frage des Wohnortes sein, sondern ist im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger.

Nach Aussage von Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, wird es voraussichtlich noch etwa fünf Jahre dauern, bis der digitale Euro für Zahlungen genutzt werden kann. Diese Zeitspanne sollte als eine Gelegenheit betrachtet werden, den digitalen Euro nicht als kommerzielles Projekt, sondern im Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln. Ein starker Datenschutz spielt dabei eine wichtige Rolle.

Redaktionelle Notiz: Dieser Text wurde im Tagesspiegel Background (KI & Digitalisierung: Standpunkte») am 6. November erstveröffentlicht.

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Autor: Alexandra Keiner eFin-Blog Farbe: hellblau

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Alexandra Keiner im Interview mit Caroline Marburger

2. November 2023

Beim von ZEVEDI in Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt veranstalteten Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen mit dem Titel Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt war Alexandra Keiner als Expertin für Bezahlverbote dabei. Caroline Marburger von eFin & Demokratie hat mit ihr über ihre Forschung geredet und darüber, wie sie diesen Abend und die 1:1-Gespräche mit Nichtexpert:innen wahrgenommen hat.

Frau Keiner, wie sind Sie eigentlich auf Ihr Thema „Bezahlverbote im Netz“ gekommen und mit welchen Fragen befassen Sie sich in Ihrer Forschung?

Meine Abschlussarbeit habe ich über die staatliche und private Regulierung von Pornographie im Internet geschrieben. Darüber, wie eine Art Zweiteilung des kommerziellen Internets entstanden ist: Auf der einen Seite stehen Big-Tech-Unternehmen, die die Darstellung pornografischer und sexueller Inhalte zunehmend einschränken. Und auf der anderen Seite die Internet-Pornographie-Industrie, wo eine starke Machtkonzentration zugunsten der großen Pornographie-Plattformen zu beobachten ist.

Und dann wurde mir schnell klar, welche wichtige Rolle Zahlungsdienstleister im Netz spielen – und zwar für beide Seiten. Daraus ergab sich für mich eine breitere und intensivere Auseinandersetzung mit Fragen der Rolle von Zahlungsinfrastrukturen und finanzieller Inklusion: Wer wird warum und wie von der Nutzung bestehender, insbesondere grenzüberschreitender Zahlungsinfrastrukturen ausgeschlossen? Inzwischen untersuche ich dies insbesondere am Beispiel der Digitalisierung von Auslandsüberweisungen.

Wie können wir uns das denn konkret vorstellen? Haben Sie ein Beispiel für Ausschlussverfahren durch Zahlungsdienstleister, die Sie aus Ihrer Forschung kennen?

Zum Beispiel bei der Internetpornographie, wo viele Performer:innen in Lateinamerika leben, aber ihre Kund:innen in Europa oder den USA: Die Performer:innen sammeln ihre Einkünfte, die sie meist über Plattformen erwirtschaften, meist auf ihrem Paypal-Account. Erfahrungsberichte in Interviews, Studien oder Social Media Posts, die sich mit dem Konsum und dementsprechendem Bezahlen von pornografischen Inhalten im Netz beschäftigen, zeigen: Meist ist Paypal die komfortabelste Option oder sogar die einzige Option, die die Plattformen überhaupt anbieten. Außerdem sind Brasilien, Bolivien, Argentinien zum Teil Länder mit unglaublich hoher Inflation. Anbieter:innen von dort haben also gute Gründe, die Zahlungen, die sie in Euro oder Dollar erhalten, als Paypal-Guthaben auf ihrem Account liegen zu lassen.

Paypal hat 2019 beschlossen, die Zahlungen auf einer der größten Porno-Plattformen einzustellen. Aber die Frage ist: Für wen gilt das? Wenn ich jetzt dort bei Pornhub ein Premiumkonto habe, dann wird mein Paypal-Konto nicht gesperrt. So ein Konto bleibt natürlich unangetastet, die Konsument:innen bleiben unbelangt. Der einzige Nachteil ist, dass Paypal auf dieser Plattform nicht mehr als Zahlungsoption zur Verfügung steht.

Aber auch das Konto der betreibenden Unternehmen bleibt unberührt. Pornhub bzw. das dahinterliegende Unternehmen Mindgeek sagt, sie seien nur eine Werbe- oder Datenplattform. Die Werbetreibenden wiederum sagen, sie würden nur Werbung schalten. Die Einzigen, die davon betroffen sind und ihr Geld nicht bekommen, sind Hunderttausende von Performer:innen oder Produzent:innen, weil dort, so die Aussage, die Situation klar sei. Die verdienen ihr Geld zu 100 Prozent mit Pornographie, die anderen nicht.

Ihr Paypal-Konto mit, sagen wir, 5000 Euro, wird eingefroren. Die Darsteller:innen haben dann vorerst keinen Zugang mehr. Gemäß der AGB ist Paypal zu solchen Maßnahmen berechtigt. Wie Performer:innen bezahlt werden oder ob sie überhaupt bezahlt werden, wird immer undurchsichtiger und trotzdem läuft das Geschäft natürlich weiter, nur die Bezahlung wird schwieriger.

Was wird von Zahlungsdienstleistern denn konkret reguliert?

Im beschriebenen Fall verwies Paypal auf seine AGBs, wonach Zahlungen für sexuell orientierte Produkte und Dienstleistungen untersagt werden können. Sie geben in ihren AGBs auch an, dass sie Zahlungen von terroristischen Organisationen oder extremistischen Gruppen verbieten.

Die Frage bleibt aber: Was tun sie konkret? Denn sie müssen ihr Handeln nicht im Einzelfall begründen. Daher ist es schwierig nachzuweisen, wo genau die Mechanismen greifen. Gerichtsurteile und vorliegende Studien zeigen aber, dass die bestehenden Mechanismen letztlich dafür sorgen, dass eher linke als rechte Gruppen, eher kleine als große Unternehmen, eher Frauen als Männer, mehr im globalen Süden betroffen sind – mehr als etwa rechte Organisationen in den USA.

Gibt es denn eine Kooperation zwischen Zahlungsdienstleistern und staatlichen Stellen?

Um nicht (noch) stärker reguliert zu werden, arbeiten Zahlungsdienstleister auch über die normale Gesetzeslage hinaus vermehrt mit Staaten zusammen. Die kanadische Soziologin Natasha Tusikov nennt diese Abmachungen handshake deals. Das kann zum Beispiel heißen: Das US-Markenrecht soll weltweit eingehalten werden, also wird eine entsprechende „Schwarze Liste“ erstellt. Kommt bei Transaktionen ein Name von dieser Liste vor, also zum Beispiel ein Name, hinter dem der Verkauf von Raubkopien vermutet wird, dann werden diese Transaktionen automatisch ohne Überprüfung unterbunden. Auch wenn die Betroffenen nicht der US-Gesetzgebung unterliegen.

Es kann auch sein, dass bestimmte Wörter in Transaktionen ausreichen, um zum Problem zu werden. Zum Beispiel Aleppo-Seife. Potenzielle Käufer:innen dieser Seife können, da hier versucht wird, Terrorfinanzierung zu verhindern, in einem normalen Onlineshop nicht mehr mit Paypal bezahlen.

Sie verstehen also bei aller Kritik den Erfolg von Paypal? Und meinen Sie, man sollte es nutzen?

Es ist klar, dass es so erfolgreich ist, weil es im Vergleich einfach, schnell und teilweise günstig ist. Wenn man dem Problem mit dem Vorwurf begegnet „Was nutzt du denn auch Paypal?“, oder es boykottiert, dann wird das Problem wieder individualisiert. Du benutzt deren Dienste eben, weil es einfach ist und weil es viele Möglichkeiten bietet, die es vorher nicht gab, aber die es geben sollte.

Sie befassen sich derzeit mit dem Phänomen der Rücküberweisungen oder „remittances“ auf Englisch , also damit, dass Menschen entweder in ihre Herkunftsländer oder an Familienmitglieder im Ausland Teil ihres Lohnes überweisen – meist in vergleichsweise ärmere Länder. Diese Überweisungen gelten als ein Kernbestandteil des globalen Finanzsystems, zumal ihr Volumen das humanitärer Hilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer übersteigt. Man geht davon aus, dass diese Finanzflüsse wesentlich zu Stabilität und Wachstum der Länder beitragen, in die diese Gelder fließen. Wie verbindet sich dieses Feld mit dem, was Sie bisher erforscht und wir besprochen haben?

Ich hatte aus meiner bisherigen Forschung die Erkenntnis mitgenommen, dass die Einschränkungen und Probleme von Zahlungsinfrastukturen bestimmte Personengruppen mehr als andere betreffen. Und dann bin ich auf Western Union aufmerksam geworden. Ich habe mich gefragt, warum zum Beispiel in Berlin-Mitte immer noch Menschen Schlange stehen, um Geld für ihre Verwandten im Ausland aufzugeben. Ändert sich hier etwas durch die Digitalisierung? Digitalisieren sich auch Unternehmen wie Western Union? Und was hat das dann für eine Bedeutung, wenn sich die Macht über diese Rücküberweisungen in so wenigen Unternehmen konzentriert? Was bedeutet es gesellschaftlich, dass es eine gänzlich parallele Infrastruktur gibt, deretwegen bestimmte Menschen mit horrend hohen Gebühren Geld zur Unterstützung ihrer Familien ins Ausland schicken, während deutsche Bürger:innen ohne Migrationsgeschichte dies kaum kennen, da sie selbst zumindest in den meisten Fällen so gut wie gebührenfrei überweisen.

Kommt für diese Auslandsüberweisungen eigentlich auch Paypal in Frage? Oder Kryptowährungen?

Paypal, ja, teilweise, sofern man ein Bankkonto hat. Das haben viele der Empfänger:innen der Rücküberweisungen nicht. Es gibt auch Länder die gänzlich ausgeschlossen sind, wie Iran, Nordkorea und derzeit Russland. Überweisungen via Paypal können aber je nach Wechselkurs und Zielland sehr teuer sein. Auch beim Währungsumtausch erhebt Paypal ggf. hohe Gebühren und zudem tauscht es das Geld der Sender:innen zu schlechteren Wechselkursen um.

Das gilt auch für Western Union: Nach dem Erdbeben in Marokko warben sie damit, dass die Überweisungen für ein paar Wochen gebührenfrei wären. Aber diese Werbung war mit Sternchen versehen und nahm die Währungsumrechnung davon aus. Ihr Verdienst liegt schließlich neben den Gebühren in der sogenannten Wechselmarge, also der Differenz zwischen dem von ihnen angebotenen und dem aktuellen Marktkurs. Letztlich werden so mit einer Aktion, die immer noch Verdienst erlaubt, ggf. ganz neue Kunden gewonnen – eben die, die den Opfern finanzielle Hilfe zukommen lassen wollen.

Krypto kann teilweise eine Option sein, aber dafür muss man sich mit der Infrastruktur auskennen und es ist nicht immer gebührenfrei. Wenn ich jetzt beispielsweise meinem Opa in Rumänien Geld schicken wollen würde: Er würde es mit Krypto nicht hinbekommen. Das heißt, vereinzelt ja, aber da ist die Schwelle recht hoch. Ich halte das noch nicht für eine gangbare Option.

Warum, meinen Sie, wird bei aller Kritik an Internetplattformen so wenig über die Zahlungsdienstleister im Netz diskutiert? Was genau beim digitalen Bezahlen passiert, ist eigentlich nie Thema. Ist das wirklich zu schwierig? Oder nutzen wir es schlicht, weil es so schön einfach ist und denken gar nicht drüber nach? Sind wir da gutgläubig?

Ich glaube, es ist auch nicht zu unterschätzen, dass es den Anschein einer rein technologischen Lösung hat: eine App, die wir schlicht als Lösung eines früheren Problems akzeptieren, oft ohne größere Fragen zu stellen. Das war kompliziert, hat früher mehrere Tage gedauert und was gekostet. Und jetzt plötzlich geht es ganz schnell und kostet kaum was. Toll, dass die Digitalisierung das geschafft hat. Nehme ich. Muss es doch auch für alle geben.

Über diese Forschungsthemen bzw. konkreter das Thema Bezahlverbote haben Sie mit Laien in einem Tischgespräch auf dem Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens» gesprochen. Ein Gespräch, das ihre Gegenüber am Marktschalter für einen Euro gebucht hatten. Titel dieses Marktes war „Follow the Money“. Könnten Sie schildern, wie Sie den Abend wahrgenommen haben?

Du wirst eingelassen und dann erfasst es Dich. Es ist zum einen echt, wirkt authentisch, eben ein vielstimmiges Gespräch zahlreicher Expert:innen und ihrer Gegenüber. Gleichzeitig ist aber auch ein performiertes Marktgeschehen. Diese Mischung war unglaublich spannend.

Durch das Programm zu gehen und so viele Leute zu sehen, die sich dafür interessieren, das war schön. Ich gebe zu, ich war ein wenig besorgt, meine Gesprächspartner:innen zu enttäuschen. Schließlich gab es so viele spannende Themen. Der Experte am Nachbarstisch kann buchstäblich zaubern – und ich erzähle was vom Zahlungsverkehr.

Stimmt, das ist harte Konkurrenz. Aber diese Sorge hat sich schließlich gelegt, oder?

Man denkt kurz: Habe ich überhaupt was zu erzählen? Was könnte ich sagen? Aber die Gespräche waren dann sehr angenehm und kurzweilig.Meine Gesprächspartnerinnen waren beide aus der Kreativszene, keine, die irgendwie 3.000 € im Monat auf ihr Konto bekommen, sondern eben auch Minusstände kennen. Und bei einer gab es die Angst, dass irgendwann die Existenz unsicher wird. Was, wenn ihre Kunst plötzlich als problematisch oder pornografisch gilt und kein Geld mehr fließt. Welche Umstände könnten ggf. dazu führen, dass man selber ins Hintertreffen gerät?

Welche Frage oder Ansicht hat Sie ggf. überrascht?

Besonders überrascht hat mich die Frage, warum die Staaten nicht in die Macht der großen Finanzakteure eingreifen, auch wenn diese international agieren. Eine andere Frage war, warum es überhaupt rechtlich möglich sei, Menschen einfach von Finanzdienstleistungen auszuschließen. Es müsse doch so etwas wie ein Grundrecht auf (internationalen) Geldtransfer geben.

Hat es Sie im allerersten Moment nicht vielleicht auch überrascht, dass Paypal so einfach Zahlungen unterbinden kann?

Doch, mir ging es auch so, aber in der letzten Zeit habe ich mich weit davon entfernt. So dass ich jetzt dachte, es sei merkwürdig, dass Bürger:innen davon ausgehen, man habe generell sowas wie ein Recht auf ein Bankkonto oder ein Recht auf Bezahlung.

Ich finde auch zunehmend, dass wir das in der Schule lernen sollten. Ich habe ja Sozialwissenschaften studiert und nicht Ökonomie. Und als ich zu diesem Thema gekommen bin, hatte ich erstmal wenig Ahnung und das fühlt sich ungut an. Man denkt: Bin ich naiv? Warum weiß ich das nicht? Aber letztlich scheint es mir strukturell bedingt, dass man so wenig weiß über so eine wichtige Infrastruktur oder darüber, wie eigentlich Banken und Geldschöpfung funktionieren.

Sie sagen, es sei strukturell bedingt. Was glauben Sie, sind die Ursachen? Haben Sie eine Hypothese?

Ich glaube ich habe zwei Antworten. Die eine wäre offiziell und die andere, sehr zugespitzt, was ich selber denke.

Ich fange mal mit der Offiziellen an. Man könnte es als eine Art Abkopplung beschreiben. In dem Moment, als das Geldsystem überhaupt sich tiefgreifend verändert hat. Der Finanzmarkt wurde beispielsweise mit dem Big Bang von 1986 in London sukzessive dereguliert und in England und den USA eröffneten sich völlig neue Dimensionen– eine Welle, dem auch der streng regulierte Finanzmarkt Deutschlands sich als Exportnation nicht gänzlich entziehen konnte. Der Finanzmarkt wurde komplizierter, aber auch schneller und größer. Und gleichzeitig sollten, glaube ich, die Leute nicht zu sehr verwirrt werden. Es gibt im Buch „Zentralbankkapitalismus“ von Joshua Wullweber ein Vorwort von Rainer Voss, einem ehemaligen Investmentbanker und inzwischen Befürworter einer gerechteren Finanzpolitik, in dem sagt er sinngemäß zur Entwicklung seit den 80er Jahren: „Da haben wir als Banker einfach die Tür zugemacht und gesagt, nee, wir wollen auch gar nicht, dass das jemand en detail versteht“.

Zugespitzt würde ich zudem sagen, dass gewisse Gruppen bei der vehementen Ungleichheit, die existiert, vielleicht nicht unbedingt wollen, dass alle sich im Klaren darüber sind, wie viel Macht Banken eigentlich haben, indem sie Geld schöpfen, und wie unsicher Geld sein kann.

Gab es Aspekte ihres Themas, die nicht vorgekommen sind, aber die Sie persönlich auch spannend gefunden hätten?

Die geopolitischen Aspekte dahinter, gerade heute. Zum Teil ist die Infrastruktur durch Krisen, Konflikte und Krisen fragmentierter. Man kann kein Geld mehr gen Russland senden. Das kann man natürlich angesichts des Angriffskriegs verstehen und gutheißen. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die im Ausland arbeiten und ihrer Familie in Russland kein Geld mehr schicken können. Oder Arbeitsmigrant:innen in Russland, die ihren Familien in Moldawien und Kasachstan kein Geld mehr schicken können. Oder humanitäre Organisationen, die kein Geld mehr bekommen. Für Arbeitsmigrant:innen mit geringem Einkommen bedeutet das höhere Kosten und unsichere Wege, während Oligarchen und Menschen mit mehr Ressourcen und besseren Netzwerken viel leichter alternative Wege finden.

Und was haben Sie als Expertin aus dem Gespräch mit jemandem, der kein Vorwissen hat, mitgenommen? Lernt man selber etwas?

Ja, auf jeden Fall. Was mir schönerweise durch diese Gespräche ganz stark bewusst geworden ist: die Relevanz des Themas. Ich glaube bis zu diesen beiden Gesprächen war ich mir nur im Abstrakten darüber im Klaren. Aber es ist ein relevantes Thema, wie dieser Zugang zu Zahlungsinfrastrukturen vergeben oder auch wieder genommen wird. Vielleicht geht es weniger um staatliche vs. private Akteure, sondern darum: Wer hat Zugang und wie wird er beherrscht oder reguliert? Und was können wir ggf. dagegen tun?

Es gibt ja in Sachen Finanzdienstleistungen selten kollektive Empörung. Aber ich habe die Empörung bei den Gesprächspartnerinnen gemerkt „Wie, ich kann nichts machen? Dann beschwere ich mich doch wenigstens bei meiner Bank!“. Aber die Bank hat auch nur einen Vertrag mit entweder Visa oder Mastercard. Mir ist deutlich geworden, dass beiden, die keineswegs naiv waren, sobald sie sich das Thema vor Augen geführt haben, das Potenzial von Zahlungsinfrastrukturen bewusst wurde: die gesellschaftlichen Chancen wie auch die Risiken.

Ich habe dazugelernt, dass es nicht stimmt, dass die Leute sich nicht dafür interessieren oder die Problematik nicht sehen. Die Fragen, die gestellt wurden, waren eigentlich sozial- oder politikwissenschaftliche Fragen. Und leicht hat man das Gefühl, man arbeite an etwas, für das sich niemand interessiert. Schließlich sind Finanzinfrastrukturen ein absolutes Nischenthema in der (Wirtschafts)Soziologie. Oft wird abgewinkt, weil man befürchtet, es sei schwer nachvollziehbar. Daher war es für mich ganz wichtig zu merken, dass es Relevanz hat, sich doch ein paar mehr mit diesen Themen befassen und es eben auch ein Publikum dafür gibt. Es hat für mich wie eine Art Empowerment gewirkt, auch andere Frauen zu sehen, die Wissenschaftler:innen und Expert:innen sind, auch aus anderen Disziplinen und aus dem globalen Süden.

Was nehmen Sie also mit?

Dass man reden muss. Auch gar nicht im Sinne von Aufklärung. Mangelnde Financial Literacy bzw. finanzielle Kompetenz ist nicht das einzige Problem. Es geht weniger oder nicht nur darum, wie Leute mit ihrem Geld umgehen, sondern DIESE Art von Gesprächen zu haben, die beide auf eine andere Ebene bringen und aus denen sich wichtige Fragen ergeben. Keine Begegnung der Art: Ich habe Ahnung, du hast keine und ich erkläre das jetzt mal. Das Gefühl hatte ich an dem Abend nicht und als ich die anderen beobachtet habe, schien mir das auch nicht so zu sein.

Sie haben es selber sehr schön gesagt: Es geht ja gar nicht um Aufklärung von oben nach unten. Aber wo anfangen, wo sehen Sie besonders viel Veränderungsnotwendigkeit oder -potenzial?

Ich würde mir nach wie vor wünschen, es würde in den Sozialwissenschaften weniger Nischenthema sein. Und wie bereits gesagt, fände ich es unglaublich wichtig, dass schon in der Schule thematisiert wird, wie etwa eine Bank funktioniert. Dass man sehr früh anfängt und idealerweise eine Selbstsicherheit bei Jugendlichen und Bürger:innen erzeugt, zu sagen: „Ich weiß zumindest diese Grundsätze. Dann kann ich vielleicht auch die Nachrichten und die Zeitung besser verstehen, und das auch als für mich relevant wahrnehmen.“ Das Problem dabei ist gar nicht die Komplexität, sondern wie man das rüberbringt.

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Autor: Isabel Schmidt eFin-Blog Farbe: hellblau

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld & Geld für Krypto-Werbung

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld & Geld für Krypto-Werbung

Ein Beitrag von Isabel Schmidt

vom 7. September 2023

Kim Kardashian hat es getan, aber auch Madonna, Larry David, Lebron James, Justin Bieber und Floyd Mayweather und andere mehr: Die Liste der Stars aus Unterhaltung und Sportindustrie, die für Kryptowerte, -handelsbörsen und NFTs Werbung gemacht haben, ist lang.1Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».

Als Höhepunkt kann dabei 2021 bis in die Anfänge des Jahres 2022 gelten. Kryptokurse – allen voran Bitcoin – erreichten ihr Allzeithoch und es herrschte ein Run auf NFTs. Und mitten drin Hollywood: Schauspieler Matt Damon warb für die Handelsbörse Crypto.com mit dem Slogan „Das Glück ist mit den Mutigen“. Paris Hilton tauschte sich mit Late-Night-Talker Jimmy Fallon in dessen The Tonight Show über ihre Bored-Apes-NFTs aus. Gisele Bündchen und Tom Brady standen als Testimonials für die US-Kryptobörse FTX in den Medien. Deutlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war dann die Werbesequenz in der Superbowlpause im Februar 2022 – hier traten zum ersten Mal Kryptounternehmen wie FTX, eToro, Crypto.com und Coinbase in Erscheinung.

Zwei Jahre später hat sich die Lage komplett verändert: FTX ist zusammengebrochen, viele Anleger:innen haben viel Geld verloren. Der Gründer, Sam Bankman-Fried, steht in den USA vor Gericht. Bitcoin brach zwischenzeitlich auf bis unter 16.000 Dollar ein. Andere Kryptowerte fielen noch stärker. Dieser sogenannte Kryptowinter hält zum Teil noch an und der massive Verlust am Markt sorgt dafür, dass auch Werbedeals der Stars und Sportler:innen zurückgingen.

Und nicht nur das: Nach dem Absturz der Kryptowerte erheben Anwaltskanzleien in den USA nun Anklage gegen jene Prominente, die nicht offenlegten, dass sie für ihre Werbung bezahlt wurden.

Der Einsatz von Stars zur Wertsteigerung von Kryptoassets wird vor Gericht zumindest in den Vereinigten Staaten als illegal eingestuft. Auch für Kim Kardashians Werbung über Instagram hatte dies bereits ein Minusgeschäft zur Folge: Sie hatte ihre Story aus dem Jahr 2021 über EMAX-Token, einem Kryptowert von EthereumMax, zwar mit dem Hashtag „#AD“ als Werbung markiert, das reichte vor Gericht aber nicht als Hinweis darauf aus, dass sie als Gegenleistung 250.000 Dollar erhielt.Der EMAX-Token fiel nach einem rasanten Anstieg innerhalb kurzer Zeit auf einen Kurs von weit unter einem Cent, enttäuschte Anleger:innen zogen in den USA vor Gericht und waren mit ihrer Klage erfolgreich: Kim Kardashian wurde auf 1,26 Mio. Dollar verklagt und darf drei Jahre lang keine Werbung für Kryptoassets machen.

Mindestens zwei weitere Sammelklagen gegen FTX sowie Yuga Labs und Moonpay und seine prominenten Unterstützer:innen laufen in den USA aktuell. Darunter sind etwa Paris Hilton, Snoop Dog, Jimmy Fallon, Justin Bieber und Madonna.2 Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.

Und natürlich ist diese Art der Werbung nicht ausschließlich in den USA verbreitet, sondern ein internationales Phänomen. Und es werden immer mehr Reaktionen darauf sichtbar. Bei Netflix gibt es seit Neuestem einen Bann für Kryptowerbung, auch die UEFA hat Richtlinien eingeführt – einzig Facebook/Meta geht in die andere Richtung. Hier galt bis 2018 ein Verbot, das nun wieder aufgehoben wurde.   

Auch in Deutschland haben bereits Prominente ihre Gesichter hergehalten, jedoch sind Sammelklagen hierzulande nicht möglich und die Kontroverse rund um die Dotcom-Blase3Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte. hat bereits gezeigt, dass es schwieriger ist, vor Gericht einen Zusammenhang von Werbung und Kauf zu beweisen. 

Viele Faktoren beeinflussen Kryptokurse. Neben Preisschwankungen durch Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage nehmen bestimmte Ereignisse kurz- wie langfristigen Einfluss. Zum Beispiel politische Entscheidungen können kurzfristig beeinflussen: Zinserhöhungen, aber auch Regulierungsbestrebungen sorgen für reichlich Bewegung. Und Verbraucher:innen sind damit noch nicht vertraut. Gleichzeitig lösen die Geschichten rund um Bitcoin-Millionär:innen FOMO-Effekte („Fear of missing out“) aus, die geschickt durch Marketing bedient werden können.  

Mittlerweile wird auch in Europa über die Form der Kursbeeinflussung durch Werbung diskutiert . Immer mehr nationale Finanzbehörden ziehen die Notbremse und führen ein Verbot von Werbungen für virtuelle Währungen ein – wie unlängst Großbritannien, wo nun bis zu zwei Jahre Haft drohen können.

Hype or harm – so heißt eine Studie des europäischen Verbraucherverbands (BEUC), der aus 46 unabhängigen Verbraucher:innenorganisationen aus 32 Ländern besteht. Die am 8. Juni 2023 erschienene Studie setzt sich mit der Frage auseinander, welche Gefahr von Werbung für Krypto in sozialen Medien für Verbraucher:innen ausgeht.4Die Studie ist hier» abrufbar. Insbesondere Instagram, YouTube, Twitter und TikTok werden hier als „Hauptakteure“ identifiziert und wegen ihrer Unterstützung bei irreführender Werbung für Kryptoassets Beschwerde bei der EU-Kommission und den Verbraucherschutzbehörden eingereicht. Hier zeigt sich, dass rund um das Geschäft mit Kryptowerten längst noch nicht alle Regulierungs-und Demokratiefragen diskutiert werden.   

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  • 1
    Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».
  • 2
    Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.
  • 3
    Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte.
  • 4
    Die Studie ist hier» abrufbar.