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Ein Türsteher für den Krypto-Club? Blacklisting im Kampf gegen Krypto-Kriminalität

Ein Türsteher für den Krypto-Club? Blacklisting im Kampf gegen Krypto-Kriminalität

Ein Beitrag von Leonard Dieckow

18. März 2025

Jemand macht Ärger im Restaurant, Club oder Festzelt. Er benimmt sich daneben, stört die anderen Gäste. Schnell kommt das Sicherheitspersonal und – nach einem kurzen Gerangel – entfernt den Störenfried. Er versucht noch einmal, ins Lokal zu kommen. Aber: Keine Chance bei den Türstehern, er steht auf der schwarzen Liste und wird schon an der Tür abgewiesen.

In etwa so kann man sich das Instrument des Blacklistings vorstellen. Diese im Bereich IT, aber auch im Personal- und Finanzwesen bekannte Methode kann auch auf die Krypto-Welt ausgedehnt werden. Hier soll sie dazu beitragen, die Abwicklung krimineller Geschäfte in der Anonymität von Krypto weniger attraktiv zu machen. In diesem Beitrag wollen wir klären, warum hier womöglich Handlungsbedarf besteht. Trägt die Türsteherallegorie auch im Bereich der Kryptowährungen?1Hier wird der im gängigen Sprachgebrauch übliche Begriff „Kryptowährungen“ verwendet. Dieser ist aber insofern irreführend, als dass die meisten digitalen Assets kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellen und damit nicht alle klassischen Merkmale einer Währung erfüllen. Korrekter wäre die Bezeichnung „Kryptowerte“, da sie eher als spekulative Anlage- oder Wertaufbewahrungsmittel fungieren. Und mit welchen Effekten darf und muss ein Gesetzgeber rechnen, implementiert er ein solches System?

Ein üschwarz gekleideter Mann im Hoodie hält die rechte Hand stoppend hoch, hinter ihm Börsenkurse des Bitcoins

Kreative Kriminelle

Oft gehören bei technischen Neuerungen neben risikofreudigen Pionieren Kriminelle zu den ersten Anwendern. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade unter dem Schutz der Anonymität von Kryptowährungen häufig die Grenzen der Legalität verlassen werden. Das soll die Verwendung von Kryptowährungen nicht per se in die Nähe der Kriminalität rücken – das Gesamtvolumen der illegalen Geschäfte liegt schätzungsweise bei nur 0,14% aller On-Chain-Transaktionen. Es muss jedoch anerkannt werden, dass Krypto kriminelles Verhalten teilweise erst ermöglicht.

Einige Daten hierzu: Im Jahr 2024 wurden weltweit 813,55 Millionen Dollar in Krypto an Erpresser mit Ransomware bezahlt, also Erpressungssoftware, die den Zugriff auf Daten erst nach Zahlung eines Lösegelds wieder freigibt. Im selben Jahr erhielten von Wirtschaftssanktionen betroffene Regime wie Russland oder der Iran ganze 15,8 Milliarden Dollar über Kryptowährungen – freilich um genau diese Sanktionen zu umgehen. Aber auch von nichtstaatlicher Seite wird der Kryptomarkt zur Geldwäsche genutzt. Aufgrund der dezentralen Funktionsweise von Kryptowährungen sind diese Probleme von staatlicher Seite aber nur schwer adressierbar.

Wovon wir sprechen

Beim Blacklisting können Marktakteure oder -objekte aufgrund bestimmter Kriterien von einer zentralen Stelle auf eine sogenannte schwarze Liste gesetzt werden. Die Aufnahme in diese Liste hat zur Folge, dass mit dem gelisteten Subjekt oder Objekt – auch und gerade durch Dritte – nicht mehr interagiert werden darf.

Die Idee ist nicht neu. Sie auch für Kryptowerte zur Anwendung bringen zu wollen, ist es auch nicht.2Möser/Böhme/Breuker, Towards Risk Scoring of Bitcoin Transactions, in: Böhme/Brenner/Moore/Smith, Financial Crytopgraphy and Data Security 2014, S.16-32, S. 16 und 21. Eine rechtliche Umsetzung ist dennoch trotz anhaltender Diskussion bisher ausgeblieben (Stand März 2025). Das mag an einer strategischen Schwäche des Blacklisting liegen – auf die wir noch zu sprechen kommen. Es lohnt dennoch, sich mit dem Konzept vertraut zu machen und seine eventuellen Stärken anzuerkennen. Die Regulierung des Kryptomarktes ist ohnehin schwierig; auch ein unvollkommenes Instrument kann hier ein gutes sein.

Wer oder was kommt auf die Liste?

Intuitiv scheinen Subjekte, also Individuen, Haushalte, Unternehmen oder Staaten geeignete Ziele für Blacklisting zu sein – wie auch das Türsteher-Beispiel verdeutlicht: Wer Ärger macht, wird rausgeschmissen und ist fortan geächtet bzw. wer geblacklistet wurde, darf von Finanzintermediären nicht mehr bedient werden. Gerade bei den Akteuren anzusetzen ist aber aufgrund der (technischen) Funktionsweise von Kryptowährungen wenig sinnvoll.

Im klassischen Bankgeschäft werden Konten und die dazugehörigen (Identitäts-)Daten zentral erfasst. Dies ermöglicht eine Identitätsprüfung der Zahlenden (Know Your Customer, KYC). Viele Kryptowährungen zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie offen (open/permissionless) sind, d.h. jedermann kann sich voraussetzungslos die notwendigen Zugänge verschaffen; eine Identitätsprüfung findet nicht statt. Mehr noch: Da sich jedermann jederzeit schnell und mit geringem Aufwand neue Zugänge (keys) generieren kann, lohnt sich ein solcher Zugang auch für eine einzelne Transaktion. Erscheint nun ein Zugang den zuständigen Stellen verdächtig und wird geblacklistet, kann sofort auf einen neuen Zugang ausgewichen werden. Das Blacklisting von Zugängen und Adressen ist daher auch im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand nicht zweckmäßig. Um bei unserem Eingangsbeispiel zu bleiben: Auch der beste Türsteher kann das Eintreten von Gästen nicht verhindern, die Namen und Erscheinung jedes Mal ändern.

Das macht das Konzept des Blacklisting keineswegs unbrauchbar. Die technische Funktionsweise der Kryptowährungen, die das Listing von Zugängen erschwert, öffnet nämlich gleichzeitig die Tür für einen gezielteren Ansatz: Statt der Zugänge werden einzelne Kryptowerte selbst geblacklistet. Ergebnis der Maßnahme ist dann, dass derart gelistete Werte von den regulierten Finanzintermediären nicht mehr in andere Zahlungsmittel konvertiert werden dürfen. Ohne die Möglichkeit zur Umwandlung wird ein Kryptowert faktisch wertlos: Weder kann er ausgegeben, d.h. konvertiert werden, noch wird ein rationaler Akteur den Wert im Rahmen einer Transaktion in der Kryptowährung annehmen.

Technische Umsetzung

Was das Blacklisting von Werten effektiv macht, ist die Rückverfolgbarkeit (recursivity) der meisten Blockchain-basierten Krypto-Transaktionen. Denn ein geblacklisteter Wert kann nicht intern weißgewaschen werden: Die Schwarze Liste zählt bestimmte Werte auf, die mit illegalen Aktivitäten wie Geldwäsche, Erpressung oder der Umgehung von Sanktionen assoziiert sind oder im Verdacht stehen es zu tun. Werden diese Werte im Rahmen einer Transaktion ausgegeben, überträgt sich die Markierung (taint) des Wertes auf die Transaktion – ein einmal derart markierter Wert verliert seine Markierung also auch nicht dadurch, dass er hin- und her transferiert wird.

Daraus ergeben sich technische Fragestellungen im Umgang mit geblacklisteten Werten. So ist etwa unklar, ob bzw. wie eine Prüfung des Status der Kryptowerte (tainted oder nicht) automatisiert durch Protokolle des jeweiligen Krypto-Wallets erfolgen kann. Letztlich hat der Gesetzgeber aber auf die Gestaltung von Krypto-Wallets wegen der Dezentralität der meisten Kryptowährungen keinen Einfluss; für uns sollen technische Fragen3Eine tiefgreifende – gerade auch technische – Auseinandersetzung findet sich bei Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019.hier schon deshalb außer Betracht bleiben.

Welche Anreize schafft das für wen?

Nachdem geklärt ist, was Blacklisting ist und was nicht, kommen wir also zur zentralen Frage: Welche Wirkungen sind von seinem Einsatz zu erwarten? Hier fehlen genaue Daten im Bezug auf das Listing von Werten. Wenn wir daher im Folgenden mögliche Auswirkungen des Blacklistings auf einzelne Marktteilnehmer prognostizieren, so geschieht dies unter der Annahme, dass diese (ökonomisch) rational auf die durch das Blacklisting gesetzten Anreize reagieren. Relevante Subjekte sind dabei diejenigen, die mit den Werten in Kontakt kommen, also (a) User und Finanzintermediäre sowie innerhalb dieser Gruppe die (b) kriminellen User. Zudem noch diejenigen, die die Blacklist führen, aktualisieren und gegebenenfalls nach Rechtsstreitigkeiten revidieren müssen, also (c) der Staat und schließlich (d) der Markt für Kryptowährungen als solcher.

User und Finanzintermediäre sichern sich ab

Für normale User wie auch die Finanzintermediäre, mit deren Hilfe sie ihre Kryptowährungen in Fiat-Währungen umwandeln, schafft das Blacklisting einen starken Anreiz, zu prüfen, ob die gehandelten Werte auf der Blacklist stehen. Andernfalls laufen sie Gefahr, im Rahmen einer Transaktion Werte zu akzeptieren, die sie nicht ausgeben können und die somit faktisch wertlos sind. Es ist hier davon auszugehen, dass eine Risikoprüfung über entsprechende Protokolle von der Wallet selbst durchgeführt werden kann.

Ein Risiko geht aber nicht nur von der Transaktion entsprechend gelisteter Kryptowerte aus. Im Rahmen der Aktualisierung der Schwarzen Listen besteht ständig die Gefahr, dass bereits erhaltene Werte nachträglich gelistet werden. Das könnte einen Anreiz schaffen, erhaltene Kryptowerte schnell in Fiat-Währungen umzuwandeln. In diesem Zusammenhang wird rechtlich zu klären sein, ob (und wie lange) Nutzer gegenüber einem Finanzintermediär haften, wenn bereits konvertierte Werte nachträglich gelistet werden. Damit zeichnet sich auch für die Versicherungswirtschaft ein völlig neues Geschäftsfeld ab, nämlich das Angebot von kostengünstigen Blacklist-Transaktionsversicherungen.

Ein neuer Impuls im Krypto-Markt

Auf staatlicher Seite ist die Implementierung eines Blacklistingsystems allerdings mit hohen Kosten verbunden. Der Gesetzgeber ist gefordert einen komplexen, ganzheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, in welchem die Exekutive eine Blacklist erstellt, diese kontinuierlich aktualisiert und die Compliance der Marktteilnehmer überwacht. Für den Kryptomarkt selbst bliebe die Einführung ebenfalls nicht folgenlos. Grundsätzlich stellt das Blacklisting einen Vorstoß auf den Kern- und Problempunkt der Kryptowährungen dar, die Privatsphäre und Anonymität.

Kritiker des Blacklistings4Die meisten Beiträge beschäftigen sich jedoch mit dem Blacklisting von Zugängen. Für eine Kritik des hier besprochenen Token-Blacklisting sei hier erneut auf Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019, verwiesen. weisen darauf hin, dass die Anonymität der Kryptonutzer:innen hier zwar nicht unmittelbar aufgehoben wird, User aber zur Absicherung und als Reaktion auf das Blacklisting-Risiko eine Deanonymisierung ihres Transaktionspartners zur Bedingung machen können. Zumindest mittelbar würde dadurch das anonyme Auftreten auf dem Kryptomarkt erschwert. Durch das Zusammenwirken des Absicherungsstrebens anderer Marktteilnehmer im Allgemeinen und dem daraus folgenden Trend zur Deanonymisierung im Besonderen macht das Blacklisting die Abwicklung von Transaktionen mit kriminellem Hintergrund aufwendiger, kostenintensiver und damit weniger attraktiv.

Rechtlicher Rahmen und rechtliche Gretchenfragen

Aus juristischer Perspektive birgt das Blacklisting eine Reihe von Grundsatzfragen, wie etwa jene, wie der mit einem Blacklisting verbundene Wertverlust rechtlich zu bewerten ist: Könnte die (nachträgliche) Aufnahme eines Kryptowertes in die Schwarze Liste einen Eingriff in die Eigentumsrechte des Eigentümers darstellen? Das wiederum würde voraussetzen, dass an den ggf. illegalen Geldern rechtliches Eigentum erworben werden kann. Weiter ist unklar, auf welcher Tatsachengrundlage ein Listing durch die entsprechenden Behörden vorgenommen werden soll. Je mehr ein Listing dabei auf einer noch unvollständig gesicherten Datenlage hinsichtlich einer kriminellen Nutzung basiert, desto stärker dürfte hier ein grundrechtssensibler Eingriff vorliegen.

Andererseits stellen sich schon vor Implementierung eines solchen Regulierungsinstruments Fragen mit Hinblick auf Prozesse und Rechtssicherheit. Die Gerichte – die schon jetzt mit der Beschlagnahmung krimineller Kryptogelder betraut sind – würden im Fall der Implementierung auch mit Verfahren befasst, die ein Delisting zum Ziel haben. Vor dem Hintergrund einer ohnehin und zunehmend überlasteten deutschen Justiz muss sich der Gesetzgeber hier fragen, ob der Verwaltungs- und Justizaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Effekten steht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der tatsächliche Wirkungsgrad letztlich stark von einer rechtspolitischen Voraussetzung abhängt: der internationalen Zusammenarbeit.

Die Achillesferse

Wie so oft in Zeiten globalisierter Märkte ist auch im Bereich der Finanzkriminalität internationale Zusammenarbeit gefragt. Ohne eine umfassende internationale Regulierung wird es weiterhin möglich sein, durch die Umwandlung von aus illegaler Aktivität stammendem Krypto- in Fiatgeld Sanktionen zu umgehen und Geld zu waschen.

Solange auch nur ein Regulierungsregime die Konvertierung ohne Rücksicht auf Herkunft oder Verwendung erlaubt, können kriminelle User das Blacklisting einfach umgehen, indem sie auf entsprechend ausländische Finanzintermediäre ausweichen, die nicht der Regulierung durch ein Blacklisting unterliegen. Betrachtet man wiederum das Finanzvolumen, das zur Umgehung von Wirtschaftssanktionen über Kryptowährungen nach Russland oder in den Iran fließt, erscheint es unwahrscheinlich, dass diese Länder bei der Erstellung einer internationalen Blacklist kooperieren würden.

Man mag hier einwenden, dass ähnliche Sorgen, also dass Marktakteure stattdessen das Ausland als Sitz oder zur Abwicklung von Transaktionen nutzen, für sämtliche Ansätze der Krypto- Regulierung bestehen. Das hindert die EU aber keineswegs daran, mit Instrumenten wie der MiCAR (Markets in Cryto-Assets Regulation / EU-Verordnung über Märkte für Kryptowerte) einen in Europa einheitlichen Rechtsrahmen für Kryptowerte zu schaffen. Hier besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zum Blacklisting: User (a) werden auch in einem regulierten EU-Markt Krypto nutzen, solange es für sie profitabel ist. Ziel des Blacklisting sind jedoch größtenteils gerade solche User (b), die aus dem regulierten Markt oder an diesem vorbei handeln wollen. Mit anderen Worten, für Blacklisting gilt: Der am wenigsten regulierte Markt bestimmt den effektiven Regulierungsgrad.

Fazit

Blacklisting soll nicht die bereits bestehenden und funktionierenden Systeme zur Bekämpfung von Geldwäsche und Kriminalität im Zusammenhang mit Digitalgeld ersetzen. Ergänzend kann der Ansatz jedoch sinnvoll gegen die missbräuchliche Verwendung von Kryptowährungen eingesetzt werden.

Das Eingangs gewählte Bild des Türstehers verdeutlicht zwar das Konzept des Blacklisting, zeigt aber auch dessen begrenzte Nutzen, bezieht es sich nur auf User-Zugänge/keys. Jurisdiktionen, die ein Blacklisting einführen, müssen sich daher darüber im Klaren sein, dass dies nur Sinn ergibt, stehen bestimmte Kryptowerte und nicht Zugänge auf der schwarzen Liste. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden müssen sich weiter darüber im Klaren sein, dass es sich um eine kostenintensive Maßnahme handelt, deren Nettonutzen nicht vollständig absehbar ist. Dies liegt auch an den zusätzlichen Impulsen, die von einem Blacklisting auf den Kryptomarkt als solchem ausgehen und in ihrem Grad schwer einzuschätzen sind – ein Trend zur Deanonymisierung und ein stärker zentralisierter Einfluss auf dezentrale Währungen. Schließlich wirft ein Blacklisting-System eine Vielzahl zu diskutierender Rechtsfragen auf, sowohl prozessualer als auch sachlicher Natur. Es wird sich zeigen, ob sich ein Gesetzgeber findet, der bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Ein Fachbeitrag, der sich aus deutscher Perspektive, aber im europarechtlichen Kontext vertieft mit den Rechtsfragen des Blacklisting auseinandersetzt, entsteht gerade in Zusammenarbeit von Prof. Dr. Andreas Kerkemeyer und Leonard Dieckow.

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    Hier wird der im gängigen Sprachgebrauch übliche Begriff „Kryptowährungen“ verwendet. Dieser ist aber insofern irreführend, als dass die meisten digitalen Assets kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellen und damit nicht alle klassischen Merkmale einer Währung erfüllen. Korrekter wäre die Bezeichnung „Kryptowerte“, da sie eher als spekulative Anlage- oder Wertaufbewahrungsmittel fungieren.
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    Möser/Böhme/Breuker, Towards Risk Scoring of Bitcoin Transactions, in: Böhme/Brenner/Moore/Smith, Financial Crytopgraphy and Data Security 2014, S.16-32, S. 16 und 21.
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    Eine tiefgreifende – gerade auch technische – Auseinandersetzung findet sich bei Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019.
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    Die meisten Beiträge beschäftigen sich jedoch mit dem Blacklisting von Zugängen. Für eine Kritik des hier besprochenen Token-Blacklisting sei hier erneut auf Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019, verwiesen.
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Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: hellblau

Auf der Suche nach dem besseren Geld: Die Bitcoin-Bundestagswahl?

Auf der Suche nach dem besseren Geld: Die Bitcoin-Bundestagswahl?

Ein Beitrag von Erik Meyer

17. Februar 2025

Der Streit ums Geld (Stichwort „Schuldenbremse“) war dafür ausschlaggebend, dass die Legislaturperiode des 20. Deutschen Bundestages vorzeitig zu Ende geht. Doch auch Digitalgeld, vor allem die auf europäischer Ebene verhandelte Einführung eines digitalen Zentralbankgelds (CBDC), spielte in der parlamentarischen Arbeit eine kontroverse, wenn auch randständige Rolle. Ebenso Bitcoin. Dafür sorgten nicht zuletzt die Bemühungen der fraktionslosen Joana Cotar (Ex-AfD), deren Initiative unter dem Titel „Bitcoin im Bundestag” (BiB) zahlreiche als Bildungsangebote für andere Abgeordnete deklarierte Events veranstaltet und sozial-medial begleitet hat. Dieses Format fungierte als parlamentarische Plattform einer sonst dezidiert staatsfernen Szene, die das technologisch tendenziell dezentrale Digitalgeld auf Blockchain-Basis als Alternative zum etablierten Geldsystem propagiert. Begünstigt wurde die eher außerparlamentarische Aufmerksamkeit für diesen mit Steuermitteln finanzierten staatsskeptischen Aktivismus durch eine Themenkonjunktur. Dies betraf einerseits die Veräußerung beschlagnahmter erheblicher Kryptowerte durch Behörden in den Bundesländern, die ungeachtet der gesetzlichen Vorgaben als voreilig kritisiert wurde.1Vgl. den betreffenden Beitrag im eFin-Blog: https://zevedi.de/wie-die-deutsche-justiz-beschlagnahmtes-kryptogeld-verkauft/. Unter Verzicht auf dieses Framing stellte auch die Gruppe „Die Linke” am 23.8.2024 eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung dazu: https://dserver.bundestag.de/btd/20/126/2012631.pdf. Andererseits manifestierte Donald Trump im Wahlkampf seine Affinität zur Krypto-Community u.a. durch das Versprechen, Bitcoin in den USA zur Reservewährung zu machen und verschaffte diesem mit seinem Wahlsieg zu einem erstmaligen Kurssprung über die 100.000 Dollar-Marke.2 Siehe dazu den betreffenden Beitrag im eFin-Blog: https://zevedi.de/efinblog-nach-der-us-wahl-trumps-schone-neue-kryptowelt/ Ende Januar 2025 hat sich die dafür in der Eurozone zuständige Präsidentin der Europäischen Zentralbank allerdings dezidiert gegen eine vergleichbare Vorgehensweise ausgesprochen: „Lagarde sagte, im EZB-Rat sei man sich einig, dass Währungsreserven von Zentralbanken liquide, sicher und vor illegalen Praktiken wie Geldwäsche geschützt sein müssten. Deshalb sei das Investieren in Bitcoins für die Notenbanken des Euroraums keine Option.“ (Zeit Online vom 30.1.2025 https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/bitcoin-waehrungsreserve-ezb-lagarde)

Mehr Trump wagen: Bitcoin-Adoption bei AfD und FDP

Als erste der im Bundestag vertretenen Parteien reagierte für die AfD der Sprecher ihres Bundesfachausschusses „Geld- und Währungspolitik“ auf das Signal aus den USA : Er kündigte unter der Überschrift „Erhalt der Bitcoin-Freiheit durch Besteuerungs- und Regulierungszurückhaltung der Politik” eine entsprechende Passage für das Wahlprogramm an.3 Siehe die betreffende Pressemitteilung vom 22.11.2024: https://www.presseportal.de/pm/110332/5915082. Gleichzeitig positioniert sich die AfD dort gegen den digitalen Euro, den sie entgegen anderslautender Festlegungen des europäischen Gesetzgebers sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Deutschen Bundesbank als „Einfallstor für die schleichende Abschaffung des Bargeldes” auffasst.4Im Folgenden wird auf die zum Stichtag 2.2.2025 verfügbaren Programme der betreffenden Parteien zur Bundestagswahl 2025 verwiesen, die zu diesem Zeitpunkt überwiegend verabschiedet, aber im Einzelfall noch nicht vollständig publiziert waren. In diesen Fällen wird auf den letzten verfügbaren Stand verlinkt. Siehe für die folgenden Zitate aus dem Wahlprogramm der AfD: https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/AfD_Leitantrag-Bundestagswahlprogramm-2025.pdf. Demgegenüber soll durch weitgehende Deregulierung die Attraktivität von Bitcoin als staatsfreiem Geld gewährleistet werden. Bitcoin sei „ein begrüßenswerter Kandidat im Wettbewerb der Währungen”, den die Partei generell um eine weitere Dimension ergänzen will. So fordert die AfD die „Wiedereinführung einer nationalen Währung (…) ggf. unter Beibehaltung des Euro oder einer flexiblen ECU-ähnlichen Verrechnungseinheit”.

Auch in der liberalen Bundestagsfraktion fiel das Thema früh auf fruchtbaren Boden. Hier vertritt Frank Schäffler seit langem ein krypto-freundliches und CBDC-skeptisches Profil. Nach dem Aus der Ampelkoalition avancierte seine libertäre Position partiell zur Parteilinie. Diese proklamierte der Vorsitzende Christian Lindner prominent in der Plenardebatte zur Vertrauensfrage von Kanzler Scholz, als er Trumps Bitcoin-Doktrin als eine Innovation markierte und vor versäumten Chancen warnte. Im Wahlprogramm der FDP werden entsprechende Forderungen so formuliert: „Wir begrüßen die Entwicklung von Kryptowährungen und Digital Ledger Technologie und setzen uns für die Zulassung von Krypto-ETFs ein. Wir sind offen dafür, dass die Europäische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank Kryptowährungen wie Bitcoin als Währungsreserven verwenden.“5Siehe das Wahlprogramm der FDP, hier S. 16: https://www.fdp.de/sites/default/files/2024-12/fdp-wahlprogramm_2025.pdf.

Flankiert wurde diese Positionierung am Wählermarkt durch den fünften Blockchain-Roundtable der FDP-Fraktion, der sich am 10. Januar 2025 dem Thema „Bitcoin ­ Das bessere Geld?“ widmete.6Siehe zu den betreffenden Angaben: https://crm.fdpbt.de/termin/5-blockchain-roundtable-bitcoin-das-bessere-geld. Das Fragezeichen wurde hier bereits durch die Besetzung des Panels relativiert. Auf einen Impulsvortrag des ehemaligen Finanzministers Lindner folgte, moderiert von Schäffler, eine Diskussion zwischen insbesondere reichweitenstarken Multiplikator:innen im Krypto-Milieu: Eva Brauckmann (einemillionsatoshi – der Bitcoin Podcast), Dr. Alex von Frankenberg (Technologie-Entrepreneur im Bereich Venture Capital/Start-ups), Marc Friedrich („ein als Crash-Prophet bekannter Bestsellerautor mit Hang zu Verschwörungstheorien“7So Ruth Fend in einem ausführlichen Bericht über die Veranstaltung bei Zeit Online vom 10.1.2025: https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/fdp-christian-lindner-bitcoin-kryptowaehrungen.) sowie Roman Reher (unter dem nom de guerre „Blocktrainer“ als Bitcoin-Evangelist bekannt und bereits Vortragender bei BiB). Frankenberg und Friedrich sind zudem Mitglieder der Lobby-Organisation Bitcoin Bundesverband, die die Veranstaltung mit einem Dinner am Vorabend sowie einem Lunch im Anschluss begleitet hat. Schäffler hatte sich in einem Meinungsbeitrag der Zeitung Die Welt bereits am Vortag einschlägig positioniert: „EZB und Bundesbank sollten neben Gold und Devisen auch Bitcoins in ihre Währungsreserven aufnehmen.”8Siehe dazu die Online-Ausgabe: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article255069348/Die-Politik-muss-endlich-die-Bedeutung-von-Kryptowaehrungen-erkennen.html. Ein weiteres Signal ist in diesem Kontext die Forderung im FDP-Wahlprogramm: „Wir wollen das Aufgabenspektrum der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um die Finanzplatzförderung erweitern, um FinTech- und Kryptoinnovationen besser zu unterstützen.“

Liberaler Spagat zwischen Bitcoin-Maximalisten und CBDC-Realpolitik

Die Resonanz auf diese Avancen manifestierte sich nicht nur im guten Besuch des Blockchain-Roundtables durch sogenannte Bitcoin-Maximalisten9Vgl. die Darstellung von Ruth Fend bei Zeit Online – https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/fdp-christian-lindner-bitcoin-kryptowaehrungen – und ihre Charakterisierung „Bitcoin-Maximalisten (…) geht es um ein dezentrales alternatives Währungssystem, das sicher ist vor Inflation und staatlichem Zugriff“. Der Begriff „Maximalisten“ impliziert, dass in der Debatte differente Diskurspositionen identifiziert werden können (etwa pessimistisch, minimalistisch, realistisch oder pragmatisch), die hier nun weniger präsent waren.[/mfn], sondern etwa auch in der generellen Bewertung des Bitcoin Bundesverbands, der die FDP in einem Überblick als „klare Befürworter” benennt.9 Siehe dazu und für die folgenden Zitate daraus die Meldung vom 24.1.2025: https://bitcoin-bundesverband.de/bitcoin-und-die-bundestagswahl-2025. Sie konkurriere im Pro-Bitcoin-Spektrum nur mit der AfD („Kritisch, aber libertär”) und der rechts-randständigen Kleinpartei Bündnis Deutschland, die als „Innovationsförderer” wahrgenommen wird. Das Bündnis fordert eine „regulatorische Umgebung, welche die freie Nutzung von Bitcoin ermöglicht” und „zudem eine nationale Bitcoin-Reserve”.10Siehe das Wahlprogramm von Bündnis Deutschland: https://buendnis-deutschland.de/wp-content/uploads/2025/01/btw25-final.pdf. Der Bitcoin-Blog betitelt seinen Programm-Check der bereits im Bundestag vertretenen Parteien kritischer: „Gähnende Leere und ein Stückchen Populismus”.11Siehe den Beitrag von Christoph Bergmann vom 14.1.2025: https://bitcoinblog.de/2025/01/14/gaehnende-leere-und-ein-stueckchen-populismus. Übersehen wird dabei Bündnis Deutschland. Seit Dezember 2024 ist die Partei durch den Beitritt des Ex-AfD-Politikers Uwe Witt im Deutschen Bundestag vertreten. Flankiert werden die Positionsbestimmungen durch Parteispenden von interessierten Akteuren. Berichtet wurde etwa über das betreffende Engagement der Krypto-Handelsplattform Bitpanda. Jeweils 500.000 Euro hat sie an CDU, SPD und FDP gespendet; 250.000 Euro an die CSU. Dabei handelt es sich wohl um eines der größten Spendenpakete des aktuellen Wahlkampfs.12Siehe für diese Angaben der Bericht von Niklas Wirminghaus vom 16.1.2025 im Online-Angebot von ntv: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wichtiger-Krypto-Player-pumpt-Millionen-in-deutschen-Wahlkampf-article25492876.html.

In letzter Minute hat die FDP-Fraktion Ende Januar 2025 aus dieser Gemengelage sogar noch einen Antrag im Bundestag destilliert, der mit Blick auf den Wahlkampf insbesondere symbolpolitischen Charakter hat.13Siehe dazu und für die folgende Zitate den Antrag vom 28.1.2025: https://dserver.bundestag.de/btd/20/147/2014724.pdf. Unter dem Titel „Kryptowährungen als Chance – Bitcoin für Wohlstand und Wachstum in Deutschland nutzen“ erfolgt darin unter I zunächst eine Art historischer Herleitung der aktuellen liberalen Position aus den Glaubenssätzen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Daraus werden dann geld- und währungspolitische Konsequenzen abgeleitet und auf Bitcoin angewendet. Dieser Dreischritt deckt sich weitgehend mit Argumentationsmustern, die auch in der Bitcoin-Community zirkulieren. Unter II werden dann aus dieser Deutungsperspektive erzielte Erfolge des bis zum Ampel-Aus FDP-geführten Bundesfinanzministeriums begrüßt. U.a. habe man auf EU-Ebene ein „De-facto-Verbot von Bitcoin“ verhindert, „welches insbesondere BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der MiCA-Verordnung nur allzu gerne durchgesetzt hätten“. Unter III wird die amtierende Minderheitsregierung wenige Wochen vor der Wahl zu diversen dementsprechenden Maßnahmen aufgefordert. Insofern diese zum Großteil gar nicht in deren Zuständigkeiten fallen, geht es dabei auch um argumentative Einwirkung auf EZB und Bundesbank zur Aufnahme von Bitcoins in ihre Reserven. Ein entsprechendes Engagement wird gleichermaßen auf EU-Ebene bei der Prüfung der Einführung des digitalen Euro erwartet. Hier werden in sechs Unterpunkten konkrete Anforderungen formuliert. Neben Aspekten zur Ausgestaltung einer Retail-CBDC wird gefordert, dass die EZB „einen Großteil ihrer Ressourcen für die Entwicklung einer Wholesale-CBDC einsetzt, welche zur Abwicklung von Interbankengeschäften genutzt werden kann“. Unabhängig von der Bewertung der verhandelten Policy-Issues eröffnet die FDP-Fraktion mit dieser doppelten Stoßrichtung ein erhebliches Spannungsfeld, weil die Pro-Bitcoin-Position in der Regel mit einer Contra-CBDC-Haltung einhergeht.

Etablierte Digitalgeld-Distanz

Die meisten Parteien von elektoraler Relevanz zeigen sich gegenüber den aktuellen Konjunkturen digital-finanzieller Themen relativ resistent. Beim BSW und der SPD sind keine einschlägigen programmatischen Aussagen auszumachen. Die Union belässt es bei balancierten Aussagen wie „Vielfalt der Zahlungsmethoden erhalten” und: „Digitaler Euro nur bei echtem Mehrwert”.14Siehe das Wahlprogramm von CDU und CSU: https://www.csu.de/common/download/Wahlprogramm_2025_von_CDU_und_CSU.pdf. Die Grünen fordern im Verbraucherschutz-Modus eine bundesweite „Servicestelle” gegen den „Missbrauch von Kryptowährungen”.15Siehe dazu Kapitel 3 im betreffenden Beschluss von Bündnis 90/Die Grünen: https://cms.gruene.de/uploads/assets/WP-01-K3_Kapitel_3_Frieden_in_Freiheit_sichern__innen_und_au%C3%9Fen.pdf. Die Linke befürwortet kapitalismuskritisch den digitalen Euro als eine öffentliche „Alternative zu den Bezahlsysteme(n) der großen Internetkonzerne”: „Geld und Währung müssen Teil staatlicher Souveränität bleiben, eine schleichende Privatisierung lehnen wir ab.“16Siehe das Wahlprogramm von „Die Linke“: https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/Wahlprogramm_Langfassung_Linke-BTW25_01.pdf. Hier werden also in abstrakter Allgemeinheit vermutete Kompetenzzuschreibungen bedient, ohne sich in fachpolitischen Diskursen und ihren Fallstricken im Hinblick auf das jeweilige Klientel zu verheddern. Dies ermöglicht dann auch die häufig geforderte Beinfreiheit für Kandidierende, um sich zu ad hoc im Wahlkampf auftauchenden Fragestellungen flexibel (und opportun) verhalten zu können. Diesen Freiraum nutzen dann auch immer wieder einzelne Akteure, um auch dort Affinitäten herzustellen, wo programmatisch erstmal keine zu erkennen sind. So akzentuiert beispielsweise der in der letzten Legislaturperiode für den digitalen Euro als Berichterstatter im federführenden Ausschuss zuständige Europaabgeordnete Stefan Berger (CDU) zumindest in den sozialen Medien zu Krypto & Co affine Positionen, die sich nur bedingt mit den von seiner Partei vertretenen Vorstellungen zu deren restriktiver Regulierung decken.

So wie das Thema „Digitalgeld” derzeit im politischen Diskurs verankert ist, erwarten davon vor allem Parteien (und einzelne Personen) eine relevante Profilierung, zu deren Repertoire auch spezifische wirtschaftsliberale Vorstellungen gehören, die mit relativ simpler und bezogen auf unterschiedliche Handlungsfelder selektiv strikter Staatsferne verbunden sind. Diese politisieren das Heilsversprechen von monetärer Entbürokratisierung durch (vermeintlich) dezentrale Finanztechnologien. Auf der Gegenseite wiederum gelingt keine attraktive Erzählung, die über die strategischen Vorteile eines bürgerorientierten digitalen Geldes hinausreicht. Häufig bleibt es deshalb beim defensiven Motiv der generellen Einhegung von Big Tech als aktuelle Variation der Warnung vor der Macht von Banken unter dem Regime eines digital beschleunigten und entgrenzten Finanzkapitalismus. Zwischen diesen programmatischen Polen bewegen sich dann Vorschläge zum Daten- und Verbraucherschutz oder einer ­wie auch immer konkret verstandenen ­ Finanzbildung, die die goldene Mitte (des bürgerlichen Spektrums) adressieren. Aber versteht man demokratische Wahlen nicht nur als kurzfristige Mobilisierung von proto-politischen Affekten, sondern auch als Konkurrenz um Konzepte für die Zukunft von Gemeinwohl und -wesen, dann ist die derzeitige Beschlusslage der deutschen Parteien zum digitalen Wandel des Finanziellen jedenfalls noch ausbaufähig.

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Autor: eFin Blog Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: hellblau

[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

Das Policy Paper wurde von den Beteiligten an Geld : Technik : Demokratie und dem ZEVEDI-Ad hoc-Vorhaben Geld als Datenträger erarbeitet.

Spätestens mit dem Legislativvorschlag der Europäischen Kommission im Juni 2023 für einen Rechtsrahmen zur möglichen Einführung des digitalen Euro als Retail CBDC nimmt die Diskussion über das Projekt einer digitalen Zentralbankwährung für Europa konkretere Gestalt an.1Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369 Nach der Europawahl 2024 ist es Zeit für eine über die damit befassten Gesetzgebungsorgane hinausreichende gesellschaftliche Adressierung und öffentliche Beratung der Demokratiefragen, die damit verknüpft sind.

Das Vorhaben „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors“ (eFin & Demokratie) nimmt nachfolgend Stellung. Es folgt nicht zuletzt dem Motiv, Europa in der strategisch relevanten Infrastruktur des digitalen Zahlungsverkehrs hinreichend souverän zu machen, denn bislang wird diese von außereuropäischen Dienstleistern dominiert. Abgesehen von grundsätzlicher Ablehnung orientiert sich die Debatte darüber allerdings bisher an nur wenigen Motiven:

  • Einerseits geht es um die praktische Realisierbarkeit des digitalen Euro im Rahmen des existierenden Geldsystems; dieser Diskussionsstrang wird vor allem durch die Interessen der Geschäftsbanken bestimmt.
  • Andererseits hat die Europäische Zentralbank mit der Rede vom „digitalen Bargeld“ für die Bürgerinnen und Bürger ein prägnantes Leitbild geschaffen, an das sich Positionen von Daten- und Verbraucherschutz anschließen lassen (und auch die Sorge ums Bargeld wird adressiert).

Es entspricht der Logik politischer Machbarkeit, dass die vorgeschlagene Ausgestaltung des digitalen Euro partiell – lediglich – wie ein Kompromiss zwischen diesen Polen anmutet. Wir sehen hierin die Gefahr einer Verengung der Perspektiven. Konkrete Gestaltungsvorschläge werden sich dem skizzierten Spannungsverhältnis zwar nicht vollständig entziehen können. Es sollten jedoch auch weitere Optionen („Anforderungen“) im Blickfeld bleiben, um ein im Vergleich zu den existierenden privaten Angeboten für die Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger bestmögliches Digitalgeld in Europa zu etablieren. Die Diskussion um den digitalen Euro eröffnet aus unserer Sicht eine einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Dazu werden allerdings geeignete Diskussionsforen und Diskursformate gebraucht.2Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .

I Der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel

Es ist ein erfolgskritischer und im Ergebnis auch für Bürger:innen spürbarer Punkt, dass der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingestuft wird. Hierbei geht es um mehr als bloße Symbolik. Als gesetzliches Zahlungsmittel ist der digitale Euro komfortabel nutzbar und eine Kohärenz/funktionale Äquivalenz zum physischen Bargeld ist gegeben. Einzelhändler und andere Geschäfte werden ihn dann ähnlich selbstverständlich akzeptieren wie Behörden und öffentliche Dienstleister. Natürliche Personen, die nicht im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit handeln, bleiben von der Verpflichtung zur Annahme von Zahlungen in digitalen Euro ausgenommen.

Ebenso folgt aus dem Status des gesetzlichen Zahlungsmittels eine Bereitstellungspflicht seitens der Staaten/des Systems der Zentralbanken. Dies heißt, dass der digitale Euro natürlichen Personen für die Tätigung betreffender Zahlungen kostenfrei und ohne Transak­tionsgebühren bereitgestellt wird. Gebühren, die zur Annahme verpflichtete Akteur:innen an Zahlungsdienstleister dafür zu entrichten haben, sollten niedriger als vergleichbare Kosten im Zusammenhang mit privaten Zahlungsmitteln sein. Auch dürfte es eigentlich – so unsere Lesart – für eine Person keine notwendige Voraussetzung zur Nutzung des digitalen Euro sein, ein Konto bei einer Geschäftsbank zu besitzen, auch wenn ein normales Girokonto gewiss der erwartbar üblichste Weg sein wird, den digitalen Euro zu bewegen. Das Thema „Zugang“ bleibt – jenseits sozial problematischer Kriterien auch technisch anspruchsvoll. Das Aufladen und die Auszahlung von entsprechenden Guthaben mittels einer nicht an ein Konto gebundenen Geldkarte sollte von daher auch durch ein neuartiges, digital beschaffenes Bargeld möglich sein (und also trotz Bargeldlosigkeit nicht allein an ein Geschäftsbank-Konto geknüpft). In dieser mehrfachen Form (wie Bargeld „direkt“ oder aber durch Geschäftsbanken vermittelt) sollte der digitale Euro allen seinen Nutzer:innen zur Verfügung gestellt werden.

Allerdings sollte ein digitales Zentralbankgeld möglichst einfach zugänglich gemacht und nicht zu restriktiv gestaltet werden, sodass viele gesellschaftliche Gruppen, einschließlich Touristen und Geflüchteter, Zugang haben. Der digitale Euro sollte folglich so niedrigschwellig nutzbar sein wie möglich.

II Distribution und Attraktivität des digitalen Euros

Der digitale Euro sollte aus unserer Sicht direkter (also intermediärsunabhängig) und leichter zugänglich sein als ein konventionelles Bank-Konto. Insofern wäre das ausschließliche „Aufladenkönnen“ einer Wallet auf dem Umweg über ein existierendes Bank-Konto zunächst einmal abzulehnen. Technisch wäre eine Option wünschbar, die weder direkt die Zentralbank noch direkt eine (kontoführende) Geschäftsbank mit der Zuständigkeit für eine „offline“-Version des digitalen Euro betraut.

Uns scheint es überdies geboten zu sein, Bürger:innen, die den digitalen Euro nutzen wollen, nicht zur Verwendung eines Smartphones zu zwingen („finanzielle Inklusion“). Es sollte also zumindest eine aufladbare Karte optional angeboten werden. Eine solche Karte sollte zudem – wie jede andere Distributionsform des digitalen Euro – als Direktzugang zu physischem Bargeld funktionieren. 3Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.

Jenseits der für Bargeld-Transaktionen generell bereits geltenden (und für viele nicht gut nachvollziehbaren) Grenzen sind Haltelimits für den digitalen Euro begründungsbedürftig. Ein zu niedrig angesetztes Limit macht das neue digitale Bargeld unattraktiv. Ob überhaupt und wenn ja, ab welcher Höhe eine Gefährdung des Geschäftsmodells einzelner Institute eintritt, so dass Risiken für die Finanzmarktstabilität und die Kreditvergabefähigkeit entstehen, ist das Ergebnis von Prognosen des Nutzerverhaltens. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Gleichzeitig sind alternative Maßnahmen zur Risikominimierung in Betracht zu ziehen. Aus unserer Sicht sollten hier nicht einzelne Marktteilnehmer (Banken) Limits benennen. Über angemessene Mechanismen sollte im Gesetzgebungsprozess beraten und entschieden werden. Konkrete Kennziffern sollten bei Bedarf basierend auf einer umfangreichen Evaluation eruiert werden und die Auswirkungen auf die gesamteuropäische Finanzstabilität einbeziehen. Es ist zu prüfen, ob die EZB die geeignete Instanz für diese Einordnung ist oder ein unabhängiges Gremium zur Beurteilung herangezogen wird. Zur Nachvollziehbarkeit bedarf es einer Veröffentlichung der Beurteilung und ihrer Grundlagen. Das Verzinsungsverbot macht den digitalen Euro ebenfalls dem physischen Bargeld vergleichbar.

III Anonymität von Offlinezahlungen und Datenschutzniveau von Online-Zahlungen

Die Offline-Variante des digitalen Euro sollte für kleinere Zahlungen den gleichen Grad an Anonymität wie klassisches Bargeld ermöglichen. Dies wirft die Frage auf, ob die „Zahlung“ (etwa, weil die Sensorik eines individualisierten, digitalen Lesegeräts gebraucht wird) der physischen Anwesenheit der Zahlenden bedarf, oder ob der digitale Euro zu Zahlungszwecken auch offline anonym „versandt“ (etwa per Briefpost) oder „deponiert“ (unter dem Kopfkissen) „versteckt“ (vergraben im Garten) etc. werden kann. Insofern ergibt sich für eine solche Variante zumindest die Beschränkung des Betrags, die die EU zukünftig auch für anonyme Barzahlungen im geschäftlichen Verkehr vorsieht.4Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.

Der digitale Euro sollte datensparsame Online-Zahlungen ermöglichen. Aus unserer Sicht sollte die maximale Datensparsamkeit sogar eines seiner Alleinstellungsmerkmale – im Vergleich zu den Diensten anderer Zahlungsintermediäre – sein. Eine Datengewinnung bei der Ausführung von Zahlungen mit dem digitalen Euro durch Geschäftsbanken oder andere Intermediäre sollte der Gesetzgeber daher weitgehend einschränken. Dies scheint auch politisch in der Diskussion zu sein (vgl. Stellungnahme des Bundesrats: „Dafür sollten insbesondere die Zwecke für die Datenerhebung und -verarbeitung auf den eigentlichen Zahlvorgang beschränkt und die Weitergabe von Daten an Dritte zu kommerziellen Zwecken ausgeschlossen werden.”).

Die technische wie administrative Ausführung gerade den Datenschutz betreffender Vorkehrungen und Verfahren sollte möglichst transparent dokumentiert werden sowie geeigneten Kontrollverfahren unterliegen; etwa einer Auditierung durch unabhängige Expertise inklusive Veröffentlichung relevanter Angaben.

IV Besser als klassisches Bargeld?

Die Ausgestaltung des digitalen Euro als programmierbares Geld, das mit komplexen Konditionierungen bezüglich seiner Nutzung versehen wird, schließen Politik und EZB bisher aus. Bloße automatisierte Zahlungen wären allerdings möglich. Wünschenswert wäre eine Smart-Contract-Fähigkeit, um auf dieser Basis Maschine-zu-Maschine-Zahlungen zu ermöglichen. Politik und Forschung sollten durchaus prüfen, welche technologischen Voraussetzungen Bürger:innen auch smarte oder auf „Distributed Ledger“-, also auf Blockchain-Technologie basierende Vertragsabwicklungen ermöglichen. Dabei ist ein möglichst effizienter Einsatz von Energie zu berücksichtigen.

V Zur Bedeutung der Bürgerkommunikation

Es ist weder mit einer attraktiven Ausgestaltung, noch mit einem demokratisch legitimierten Rechtsrahmen für den digitalen Euro getan. Vielmehr bedarf es einer umfassenden und dauerhaften kommunikativen Vermittlung des neuartigen, digitalen Bargeldes als öffentliches Gut, welches sich von privaten digitalen Zahlungsmitteln wie auch von online bewegtem Giralgeld unterscheidet.

Wir empfehlen performative Interventionen, um das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern am Thema zu wecken und die Kerngedanken einer Mitwirkung aller am Umlauf des neuen Geldes sowie der demokratischen Kontrolle der Ausgestaltung des digitalen Bargeldes in Szene zu setzen. Ein Ansatzpunkt könnte die demonstrative Ausführung der unterschiedlichen Zahlungsoptionen off- und online in einer Geldkarte sein, die Freiheitsspielräume markiert: das digitale Bargeld erweitert die Möglichkeiten, auszuwählen, wie wir künftig bezahlen wollen. Auch die statuierte Datensparsamkeit bei Transaktionen könnte durch eine solche Karte öffentlich sinnfällig werden. Denkbar wäre auch ein großes, im öffentlichen Raum ausgestelltes dynamisches Objekt in Form einer analogen Installation, die zeigt, wie Zahlungen mit dem digitalen Euro-Token funktionieren. Sollte die Politik bzw. die EZB in den kommenden Jahren (technologische) Veränderungen an der Konfiguration des digitalen Zentralbankgelds vornehmen, könnte diese am Objekt „nachinstalliert“ werden, so dass das Denkmal auch symbolisch „garantiert“, dass die Funktionsweise des digitalen Euro nicht hinter dem Rücken der Bürger verändert wird.

Unsere [Mindest-]Anforderungen lauten daher:

Der digitale Euro als öffentlich zugängliche Zentralbankwährung

  • ist nur mit einem europaweit harmonisierten rechtlichen Status als „gesetzliches Zahlungsmittel“ sinnvoll,
  • muss abgelöst vom Bankkonto und auch offline ohne Bankkonto nutzbar sein,
  • muss möglichst frei zirkulieren können (was in den Punkten Haltelimit, Distribution und Nutzergruppen maximale Offenheit bedeutet),
  • muss eine anonyme Offline-Nutzung und eine datensparsame Online-Nutzung eröffnen (in der Hauptsache wird wohl das ihn für Bürger:innen attraktiv machen),
  • sollte künftige „smarte“ Nutzungsformen auch für Bürger:innen technisch nicht ausschließen.

Hier finden Sie das Policy Paper als Pdf-Datei zum Download.

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Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

  • 1
    Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369
  • 2
    Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .
  • 3
    Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.
  • 4
    Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.
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Autor: Caroline Marburger eFin-Blog Farbe: hellblau

Nach der US-Wahl: Trumps schöne neue Kryptowelt?

Nach der US-Wahl: Trumps schöne neue Kryptowelt?

Ein Beitrag von Caroline Marburger

22. November 2024

Im Wahlkampf hatte Donald Trump versprochen, die USA zur „crypto capital of the planet“ zu machen. Seit seinem Sieg jagt Bitcoin ein Allzeithoch nach dem anderen, die Hunderttausendmarke scheint in Reichweite. Andere Kryptowerte wie Ether und Ripple(XRP) klettern mit ihm um die Wette. Der bekennende DogeCoin-Fan Elon Musk soll das neue „Department of Government Efficiency“ leiten, kurz: DOGE. Die Bezeichnung hatte er natürlich selbst angeregt. Als Meme Coin im Wert ohnehin besonders von Social Media, Prominenzfaktoren und Hypes beeinflusst, übertrumpfte zumindest die unmittelbare Wertsteigerung des DogeCoins die von Bitcoin.

Und wie steht es um Trumps eigenen World Liberty Financial Token? Noch im September hatte er gemeinsam mit seinen Söhnen eine Kryptobörse dieses Namens eröffnet. Aber trotz Wahlsieg und Kryptoboom: kein Wertzuwachs des hauseigenen Tokens. Nun haben sich eigene wirtschaftliche Erfolglosigkeit und politischer Erfolg bei ihm auch bisher nicht ausgeschlossen. Und ein völliges Novum ist auch nicht, dass Teile seiner Politik, in diesem Fall Pro-Krypto-Politik, nun unmittelbar seinem eigenen wirtschaftlichen Interesse dienen würde.

Es ist, wie bereits in diesem Blog vor der Wahl erörtert, eklatant viel Geld der Kryptobranche in den US-Wahlkampf geflossen. Aber war das wahlentscheidend? Schließlich wurden nicht ausschließlich republikanische Kandidat:innen unterstützt. Einen 2/3-Überhang der Kryptospenden zugunsten der Republikaner gab es schon,1Große Kryptounternehmen wie Coinbase oder Ripple hatten im Dezember 2023 noch für demokratische wie republikanische PACs (Political Action Committees) gleich viel Geld ausgegeben, jeweils 1,5 Millionen. Später aber wurden beide PACs aus dem Fairshake-PAC gespeist, in das Ripple und Coinbase wie auch der Venture Capital Fund Andreessen Horowitz wieder jeweils 45 Millionen eingezahlt haben. Fairshake wiederum verteilte diese Gelder mit 2/3 zu 1/3 stärker für republikanische Kandidat:innen oder Anliegen. Siehe hierzu: https://www.followthecrypto.org/committees/C00835959 aber Krypto wird als „non-partisan“, also als parteipolitisch uneindeutiges Thema eingestuft – anders als beispielsweise Waffengesetze oder Abtreibungsverbote. Zwar ergänzen sich die grellen Ausprägungen der Kryptoszene und die laute MAGA-Welt Trumps scheinbar ganz gut, doch was sieht man, wenn man das gesamte Spektrum von Kryptonutzer:innen in den Blick nimmt? Und was ist nun, nach der Wahl, für die zukünftige Kryptopolitik aus Washington und die Kryptoregulierung in den USA zu erwarten?

Hat Krypto an der Wahlurne einen Unterschied gemacht?

Studien zeigen, dass ein Großteil jener, die in den USA Krypto besitzen und handeln, junge, männliche Stadtbewohner sind. Diese Szene, in der es um Finanzen und IT geht, die nach Innovation riecht und sozialen Aufstieg verspricht, zieht nicht nur vornehmlich jüngere Männer an. Diese Gruppe jüngerer Männer ist gleichzeitig ethnisch gemischter als der amerikanische Durchschnitt.2Fairleigh Dickinson University/ Dan Cassino: FDU Poll finds Trump’s Embrace of Crypto Pays Off, 30. August 2024. Siehe auch: Evans, Tonya: Crypto Voters in 2024 and Beyond: Shaping Policy and Political Power, Forbes Opinion, 4. November 2024.

Der Weg in das Weiße Haus in Washington führt über ein großes Bitcoinzeichen. Erstellt mit Adobe Firefly.

Eine Universitätsstudie Ende August stellte aber auch fest, dass diese Gruppe gleichzeitig nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit konservativ oder mit weniger Wahrscheinlichkeit liberal oder progressiv sei.3Fairleigh Dickinson University/ Dan Cassino: FDU Poll finds Trump’s Embrace of Crypto Pays Off, 30. August 2024. Eine auf die Swing States konzentrierte Auftragsstudie der Digital Currency Group hatte im Mai bereits einen vergleichbaren Befund. Dennoch favorisierten der Studie der Fairleigh Dickinson University zufolge Kryptonutzer:innen Trump gegenüber Harris um ganze 12 %. Als plötzlicher Kryptoenthusiast hat Trump also womöglich – denn entsprechende Wahlanalysen liegen nicht vor – eine Wählerschaft gewonnen, die sonst auch für ein demokratisches Programm einzunehmen gewesen wäre. Der Studienleiter Dan Cassino vermutete in einem Kommentar für die Washington Post, dass hierfür insbesondere eine Verbindung von Trumps Kryptoerzählung mit Maskulinitätsnarrativen verantwortlich sein könnte. Eine weitere Möglichkeit: zu wenig Krypto-Botschaften auf Seiten der Demokraten.

Ein gutes Dutzend von ihnen hatte in einem Brief ihre Partei aufgefordert, sich Krypto weniger zu verschließen. Die Funde einer Auftragsstudie teils im Wortlaut aufgreifend, schrieben sie, wie Kryptowerte aus Sicht der Demokraten politisch thematisiert werden könnten: In der öffentlichen Wahrnehmung würde das existierende Finanzsystem die Eliten gegenüber der Allgemeinheit bevorteilen. „Digitale Assets und die Blockchaintechnologie“ seien „nicht nur Finanzinstrumente“.4Alle Übersetzungen aus dem Englischen durch die Beitragsautorin Vielmehr würden sie „einen revolutionären Wandel markieren, der es vermag, Transparenz zu erhöhen, Betrug zu reduzieren und ein inklusiveres Finanzsystem zu schaffen“.512 der 19 Unterzeichner:innen dieses Briefes erhielten „Follow the Crypto“ zufolge seitens der Kryptobranche eine Unterstützung von 100.000 bis knapp 2,4 Millionen für ihre Kampagnen. Ihr Brief wurde einen Tag später von Bitcoinbefürworter Pierre Rochard auf X gepostet: https://twitter.com/BitcoinPierre/status/1817219938672591310#. Trotz Signalen an die Branche, dass man für Gespräche und Veränderung offen sei, blieb eine solche Krypto-Botschaft an ihre Wählerschaft von Harris‘ Seite weitgehend aus.

Es ist also nicht unplausibel, dass Trump auch unter Kryptobegeisterten jene Wählergruppen gebunden hat, die Wahlanalysen zufolge auf Harris‘ Seite schmerzlich gefehlt haben: junge Männer, insbesondere Latinos und Afroamerikaner. Gerade sie, die in den USA historisch und systemisch von der Wohlstandsbildung ausgeschlossen werden,6Mit 1,9 % sind unter den Weißen etwas mehr als in Deutschland beispielsweise insgesamt „unbanked“, also ohne Zugang zu traditionellen Finanzdienstleistungen, in der schwarzen Community gilt das allerdings für 10,6%, in der hispanischen Community für 9,5% und unter den Native Americans für 12 Prozent. Siehe hierzu den 2023 National Survey of Unbanked and Underbanked Households der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) vom 12. November 2024. sähen Krypto als Möglichkeit für selbstbestimmtes, ökonomisches Empowerment  und finanzielle Teilhabe, so die Juraprofessorin Tonya Evans in einem Kommentar für Forbes. Krypto bleibt für die meisten Amerikaner:innen ein Randthema. Es aber nicht doch forscher thematisiert zu haben, erscheint im Nachhinein als eine verpasste Chance für die Demokraten und Krypto als einer der Puzzlesteine, mit denen Trump diese Wahl für sich entschieden hat.

Kryptopolitik nach Trumps Wahlsieg: Was sind die Versprechen, was die Hoffnungen und wer redet ab jetzt mit?

Trump hatte der Kryptoszene auf einer Bitcoinkonferenz in Nashville im Juli vollmundig geschmeichelt, sie träten in die Fußstapfen „der Pioniere und Patrioten, der Risikobereiten und Renegaten, die diesen Kontinent besiedelt und die moderne Welt aufgebaut haben“.7Für Auszüge eines Transkripts der Rede im Original siehe: https://www.coindesk.com/policy/2024/07/27/in-donald-trumps-own-words-a-partial-transcript-of-his-bitcoin-2024-speech/. Sie wüssten doch wohl, umgarnte er seine Zuhörer weiter, dass sie die modernen Edisons, Carnegies und Henry Fords seien, die zu Ihren Lebzeiten etwas täten, das noch kommende Generationen inspirieren würde? Der amerikanische Traum 2.0, die Kryptoszene als die neuen Pioniere, als die innovativen Heilsbringer der Welt.

Konkret versprochen hatte er dort, den Kryptogegner Gary Gensler als Chef der Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde SEC zu feuern, das inländische Bitcoin-Mining zu stärken und eine staatliche Bitcoinreserve anzulegen. Die Kryptojobs und -gewinne sollen in den USA bleiben. In rechtlicher Hinsicht ist es Trump gar nicht möglich, Gensler zu feuern, dennoch rechnen viele damit, dass Gensler sich zurückziehen wird.8Tonya Evans: How Democrats Fumbled Crypto And How To Recover Before 2028 Clock Runs, Forbes Opinion, 14.November 2024; Molly White: The Cryptocurrency States of America, Citation Neeeded, Issue 70, 15. November 2024. Dabei hatte die Freigabe von Bitcoin-Spot-ETFs9Ein Bitcoin Spot ETF ist ein börsengehandelter Fonds (ETF), der den tatsächlichen Marktpreis (Spot-Preis) von Bitcoin widerspiegelt. Das bedeutet, dass ein solcher ETF direkt in echte Bitcoins investiert und diese hält, anstatt nur Derivate auf Bitcoin abzubilden bzw. auf einen zukünftigen Preis zu wetten. Es erfordert kein technisches Wissen über Kryptowährungen, die Umgebung ist reguliert und somit geschützt, der Anbieter übernimmt die Lagerung von Bitcoin. durch den angefeindeten Gensler im Januar 2024 ein positives Signal gesendet. Er hatte die Zulassung zwar mit kritischen Bemerkungen begleitet,10Siehe Gary Gensler: Statement on the Approval of Spot Bitcoin Exchange-Traded Products, 10. Januar 2024. aber Analysten werteten diese Zulassung als eines der Anzeichen dafür, dass in den USA Kryptowerte zusehends im Mainstream ankommen:11Chainanalysis: The 2024 Geography of Crypto Report, Oktober 2024, S. 12. Siehe dazu online:  https://www.chainalysis.com/blog/2024-global-crypto-adoption-index Das traditionelle Finanzwesen assimiliert den einstigen Revoluzzer.

Die Implosion der Kryptobörse FTX Ende 2022, die damit einhergehenden Verluste und Bankrotte für Nutzer:innen, Anleger:innen und Banken und die Verurteilung ihres Gründers Sam Bankman-Fried, schienen Genslers restriktive Politik zu bestätigen, teilweise zu verstärken. Kryptounternehmen wurden reihenweise verklagt. Vorgeworfen wurde ihnen, nicht genügend Sicherheiten zu bieten und Antigeldwäschevorgaben nicht vorschriftsgemäß einzuhalten. Ein „Terrorregime“, so der Vorwurf von Brad Garlinghouse, CEO von Ripple, dessen anhaltender Rechtsstreit mit der SEC schon vor Gensler begonnen hat.

Nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben: Die CEOs der Big Spender Coinbase und Ripple suchen den Kontakt zu Trumps Team und geben nicht nur qua X politische Empfehlungen für die zukünftige Kryptopolitik. Schließlich hatte Trump versprochen, ein präsidiales Kryptoberatungsgremium zu schaffen, das besetzt werden will. Wenn der Chief Legal Officer von Coinbase, Paul Grewal die SEC auf X adressiert, die Wähler hätten sich in Sachen Krypto für Veränderung entschieden, ist das allerdings eine gewagte Auslegung. Denn selbst wenn man annimmt, dass Wählergruppen, in deren Entscheidung Kryptopolitik eine Rolle gespielt hat, mit wahlentscheidend waren, blieb Krypto im Wahlkampf insgesamt ein randständiges Thema. Von Kryptounternehmen bezahlte Wahlwerbung verhandelte meist keine kryptospezifischen Themen.12Siehe z.B. Luke Goldstein: The Staying Power of Crypto’s Political Machine, Prospect, 3. April 2024. 60 % sind Studien der Digital Currency Group zufolge nicht der Meinung, Krypto sei das Zahlungsmittel der Zukunft oder ein neuer Weg zu mehr Wohlstand.13Digital Currency Group / Harris Poll Insights: Crypto Attitudes in Swing States, 7. Mai 2024, S.31, gesamte Studie als PDF: https://theblockchainassociation.org/wp-content/uploads/2024/05/DCG_HarrisPoll-Research-Report.pdf. Der CEO von Coinbase Brian Armstrong hat jedoch fraglos recht, wenn er feststellt, dass die Wählerinnen und Wähler, bewusst oder unbewusst, „America’s most pro-crypto Congress ever“ gewählt haben. Ein Großteil der von der Kryptobranche unterstützten Kandidat:innen beider Parteien haben ihre Mandate gewonnen.

Auf der Suche nach der neuen Kryptoregulierung

Aber welche konkrete Politik damit letztlich einhergehen wird, ist schwer zu sagen. Selbst der Venture Capital Fund a16z (Andreessen Horowitz), seinerseits einer der zigmillionenfachen Spendengeber, gab nach der Wahl auf der Seite der Kapitalsparte a16zcrypto seinen Kund:innen zu bedenken, alles künftige Gerede über das, was legislativ und regulatorisch zu erwarten sei, werde zum Großteil „just noise“ sein, also nur Lärm oder leere Worte. Man könne das nicht vorhersehen. Das hindert die Autor:innen aber nicht daran, unmittelbar darauf zu grundsätzlichem Optimismus für die Zukunft von Kryptowerten überzugehen.14 Miles Jennings, Michele Korver & Brian Quintenz: A Positive Path Forward, a16zcrypto, 10. November 2024.

Aber eine Gesetzgebung, die statt der praktizierten Von-Fall-zu-Fall-Regulierung „größere regulatorische Klarheit“ schaffen solle, wie sie nun allerorten gefordert, beschworen oder erhofft wird, wird auch unter Trump nicht über Nacht entwickelt und verabschiedet.15Siehe auch Hannah Lang: Crypto industry pushes for policy sea change after trump victory, Reuters, 14. November 2024. Denn wie ein innnovationsförderliches, regulatives Umfeld aussieht, ist umstritten. Man darf erwarten, dass der Kryptoindustrie bisherige Stolpersteine aus dem Weg geräumt und Posten zu ihren Gunsten umbesetzt werden. Aber das wird nicht sofort geschehen oder Früchte tragen, egal wie frenetisch sich gerade die Kurse gebärden.

Die Skeptiker fürchten hingegen, dass mit einem größeren Einfluss der Kryptobranche auf das US-Finanzwesen auch deutlich größere Risiken Einzug halten. Der Journalist Zeke Faux veranschaulicht das in einem Beitrag für Bloomberg plakativ so: „Stellen Sie sich vor, es ginge um traditionelles Glücksspiel. Die SEC möchte Wetten auf einige wenige Rennbahnen beschränken, mit strengen Drogentests für die Pferde. Die Kryptobranche hingegen will das Feld so weit öffnen, dass die Menschen ihre Wohnsitze einsetzen können, um auf live übertragene Hahnenkämpfe in Nicaragua zu wetten, Aktien der siegreichen Kampfhähne zu kaufen und dann damit den Kaffee bei Starbucks bezahlen.“

Die Liberalisierungs- und De/Regulierungswünsche der unterschiedlichen Kryptoplayer derart über einen Kamm zu scheren, greift sicher zu kurz. Doch es zeigt, dass die Frage im Raum steht, wie man eine Branche fördern kann, ohne das Wohl der Verbraucher aus den Augen zu verlieren. Mehr Einfluss der Kryptobranche in Washington könnte Innovationen freisetzen. Doch unter Trump profitieren wohl eher jene, die finanzielle Risiken ohnehin tragen können. Mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress und einem konservativ geprägten Supreme Court könnte sich die regulatorische Landschaft in den USA so wandeln, dass den großen Kryptoplayern nun weniger Prozesskosten drohen als Gewinne winken. Nun ist das US-Finanzsystem ohnehin weniger inklusiv als was wir in Europa kennen. Dass aber unter Trump das Kryptoengagement für diejenigen, die Krypto als Vehikel für größere Teilhabe und Inklusion nutzen wollen, fairer und sicherer wird, das steht zu bezweifeln.

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Autor: Christian Grothoff Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: hellblau Uncategorized

„Security through obscurity?” Die EZB und mögliche Design-Probleme des Digitalen Euro

„Security through obscurity?” Die EZB und mögliche Design-Probleme des Digitalen Euro

Christian Grothoff im Interview mit Eneia Dragomir – Teil 2

23. September 2024

Bezahlsysteme reichen weit in unseren Alltag hinein und werfen fundamentale datenschutzrechtliche Fragen auf. Wenn man solche Systeme konzipiert, sollte man so tun, als würde man sich selbst nicht über den Weg trauen, so Christian Grothoff. In Teil 2 des Interviews mit dem Experten für IT-Sicherheit und Taler-Initiator geht es um das Design einer CBDC sowie um mögliche Probleme des Digitalen Euro.

Herr Grothoff, das berühmte Bitcoin-White-Paper ist 2008 damit angetreten, die Banken, Zentralbanken und andere Third Parties aus dem Spiel zu nehmen. Taler will das nicht. Dennoch heißt es in einem Paper, die Zentralbanken sollten sich als böswillige Akteure imaginieren, wenn sie das System konzipieren. Warum?

Wir haben mit unserem Text auf ein Paper der Europäischen Zentralbank (EZB) geantwortet, in dem es sinngemäß hieß, wir sind eine öffentlich-rechtliche Institution, deswegen können Sie uns Ihre Daten anvertrauen, die EZB werde sie nicht verkaufen. Das erste Problem dabei: Die EZB ist keine rein öffentlich-rechtliche Institution. Das Eurosystem beinhaltet Griechenland und die griechische Zentralbank ist in privater Hand. Nicht alle Zentralbanken sind öffentlich-rechtliche Institutionen. Die Schweizer Nationalbank beispielsweise auch nicht. Sie hat zwar staatliche Aufgaben und ist staatlich reguliert, aber sie ist eine Aktiengesellschaft.

Das zweite Problem: Es ist schön, dass eine Behörde meint, dass sie zu den Guten gehört, aber vielleicht ist das irgendwann nicht mehr der Fall. Ich sollte daher mein System nie in der Annahme designen, dass ich zu den Guten gehöre. Wenn wir Systeme bauen, die so fundamentale Eingriffe ermöglichen, wie Bezahlsysteme, von denen die Wirtschaft abhängt, die aber auch in das Alltagsleben der Menschen hineinreichen, dann ist besondere Vorsicht geboten. Ich sollte immer den Fall berücksichtigen, dass ein Böser an meine Stelle tritt. Selbst, wenn ein Diktator an meine Stelle tritt, sollte nichts Schlimmes passieren können, selbst dann sollte der Datenschutz gegeben sein. Das ist der richtige Anspruch für das Systemdesign. Dass meine Daten verkauft werden, ist bei weitem nicht das größte Problem. Da sollte der Anspruch sein: Ich vertraue mir selbst nicht und baue das System entsprechend. So halten wir es auch mit dem Taler-System.

Wir laden alle ein, sich unser System anzusehen und nach Schwachstellen zu suchen: Alle Spezifikationen, der gesamte Quellcode, die gesamte Dokumentation, das ist im Netz für alle einsehbar. Alle können sich das ansehen und analysieren und Schwachstellen gerne veröffentlichen, damit wir sie beheben können. Es gibt bestimmt Fehler in der Software, aber maximale Transparenz ist das beste Mittel, das wir haben, um diese zu finden und zu beheben. Das macht die EZB leider anders: Der EZB-Sprecher wurde von einem unserer Mitarbeiter auf einem Forum in Wien gefragt, wie die EZB die Offline-Funktion des Digitalen Euro sicher machen möchte. Antwort: das ist geheim. „Security through obscurity?“, kommentierte mein Mitarbeiter. Sicherheit durch Geheimniskrämerei? Wikileaks und Edward Snowden haben gezeigt, dass selbst Geheimdienste nicht alle ihre Geheimnisse sichern können, aber der EZB wird das gelingen? Geheimhaltung bringt uns weder mehr Sicherheit noch eine vernünftige demokratische Kontrolle der Institution.

Wenn eine Zentralbank das Taler-Bezahlsystem nutzen würde, dann wäre es eine CBDC, also ein digitale Zentralbankwährung?

Genau, eine Retail-CBDC.

Sie haben in verschiedenen Papern die Pläne der EZB für den Digitalen Euro kritisiert. Das letzte ist 2022 erschienen. Gilt diese Kritik auch für den Verordnungsentwurf aus dem Juni 2023?

Auch die aktuellen Entwürfe sind schlecht. Ich sehe da ganz grundlegende Probleme: Der Digitale Euro, so wie die Pläne derzeit sind, bringt eigentlich niemandem einen Vorteil. Ein weiteres Bankkonto, nur diesmal bei der Zentralbank? Die meisten Menschen im Euro-Raum haben schon ein Bankkonto, als europäische Bürger haben wir ein Recht darauf. Brauchen wir ein weiteres Bankkonto? Mit 3.000 Euro Maximalguthaben und ohne Kredit? Bei meiner regulären Bank habe ich eine Einlagensicherung bis 100.000 Euro. In einem weiteren Konto sehe ich keinen Mehrwert.

Weiteres Problem: Für die Kunden sollen die Transaktionen kostenlos sein, für die Händler aber nicht. Für eine SEPA-Überweisung zahle ich heute auch schon nichts. Für die Händler, die dazu verpflichtet werden sollen, Digitale Euro anzunehmen, soll die Transaktion aber nicht kostenlos sein. Wer trägt die Kosten, die bei der Umstellung entstehen? Die Händler werden die Kosten auf die Preise umlegen. Millionen Händler im Euro-Raum werden diese Umstellung vornehmen müssen, innerhalb einer bestimmten Frist, die nicht allzu groß sein darf. Was werden dann die Dienstleister machen, die diese Umstellung vornehmen und die mit Aufträgen überrannt werden? Die Kosten für die technische Umstellung werden steigen, wenn nur wenige Dienstleister Millionen Kunden zeitnah umstellen sollen.

Ein weiteres Problem ist die Verknüpfung mit dem Konto, das man bei seiner Geschäftsbank hat. Warum? Weil auf dem Konto mit den Digitalen Euros nicht mehr als 3.000 Euro gehalten werden dürfen. Jeder Euro, der darüber liegt, soll automatisch auf mein Geschäftsbankkonto „fließen“, das ist die sogenannte Waterfall-Funktion. So soll verhindert werden, dass den Geschäftsbanken die Liquidität entzogen wird. Das leuchtet mir ein. Aber der Wasserfall geht auch in die andere Richtung: Wenn die Deckung des Kontos, auf dem ich Digitale Euro halte, nicht ausreicht, soll automatisch auf das Guthaben des Geschäftsbankkontos zugegriffen werden. Dadurch ergeben sich erhebliche Probleme: Was passiert, wenn mein Konto, auf denen ich Digitale Euro halte, gehackt wird? Dann wird mein Girokonto gleich von den Angreifern über den Wasserfall auch leergeräumt. Wer haftet dann dafür? Die Geschäftsbanken werden wohl kaum das Risiko auf sich nehmen. Und was, wenn das Girokonto ins Minus gezogen wird? Müssen die Geschäftsbanken automatisch Kredite vergeben? Und für die Geschäftsbanken ergibt sich durch das Onboarding auch ein Kostenproblem.

Inwiefern?

Die EZB will nicht selbst 300 Mio. Kunden onboarden – 300 Mio. Kunden prüfen bedeutet, 300 Mio. Personalausweise prüfen etc. Dafür wäre ein Filialnetz nützlich, das die EZB nicht hat. Die EZB will diesen Know-Your-Customer-Prozess an Payment Service Provider (PSP) auslagern, also an kommerzielle Anbieter. Welche kommerziellen PSP sollen diesen KYC-Prozess kostenlos für 300 Mio. Menschen durchführen? Es soll die Kunden ja nichts kosten. Die Eröffnung eines Bankkontos kostet eine Bank etwa 50 Euro. Welche kommerziellen Unternehmen werden das für potenziell 300 Mio. Menschen übernehmen, ohne den Kunden die Kosten zu berechnen?

Eine Antwort ist die europäische eID, also die europäische digitale Identität. Die ist aber erstens nicht ausgerollt und zweitens ist der Aufwand auch mit der eID nicht gleich null, denn auch die eID könnte gestohlen worden sein oder es gibt Probleme beim Vorgang. Und überhaupt ist die Frage nicht geklärt, ob wir die eID wirklich wollen. Die eID birgt erhebliches Überwachungspotential: Muss ich mich, wenn sie eingeführt wird, überall im Netz damit ausweisen? Haben wir diese Gefahr politisch diskutiert?

Zurück zur Kostenfrage: Neben der Kontoeröffnung sollen kommerzielle PSP auch den Kundensupport übernehmen, auch das soll für die Kunden kostenlos sein. Aber sie dürfen bei den Händlern Gebühren erheben. Damit der Digitale Euro attraktiv ist, sollen diese Gebühren gedeckelt werden. Jetzt sind zwei Fälle denkbar: Der Deckel ist zu hoch und der Digitale Euro ist für die Händler unattraktiv oder der Deckel ist zu niedrig, niedriger als die aktuellen Gebühren. Welches private Unternehmen steigt dann aber da ein? Als jemand, der sich mit IT-Sicherheit befasst, überlege ich mir, was könnte das Geschäftsmodell für die privaten Unternehmen sein? Ich darf bei den Kunden keine Gebühren erheben und die Gebühren für die Händler sind stark gedeckelt – wo verdiene ich da Geld? Es bleibt nur die Möglichkeit: Ich spare bei der Sicherheit. Und zwar nicht ein wenig, sondern im WireCard-Stil: gar keine Sicherheit. Sicherheitskosten gehören neben den Kosten für Compliance zu den höchsten Kosten im Bankenumfeld. Ich weiß nicht, wie die EZB sowohl hohe Sicherheit als auch niedrige Kosten erreichen will.

Mit dem Taler-Bezahlsystem können wir das erreichen, weil es technisch ganz anders aufgestellt ist: Die Kundenidentifizierung bleibt bei den Geschäftsbanken, das Double-Spending-Problem lösen wir durch Kryptografie und Anonymität stellen wir durch blinde Signaturen her. So kann ich Einiges einsparen. Der Digitale Euro soll aber kontenbasiert sein, es soll ein Bankkonto sein, also werden auch die Kosten eines Bankkontos anfallen.

Im Bezug zur Retail-CBDC wird die Möglichkeit von Offline-Zahlungen diskutiert. Eine taler-basierte CBDC soll aber „online only“ sein. Warum?

Das Problem bei Offline-Zahlungen mit einer CBDC ist, wie bei anderem digitalem Bargeld, das schon angesprochene Double Spending: Wie verhindere ich, dass jemand seine elektronischen Wertbestände kopiert und doppelt ausgibt? Und die Antworten, die wir historisch kennen, raten zur Vorsicht: Wir haben die verschiedensten Arten des Digital Restrictions Managements (DRM), also des Kopierschutzes. Und was hat das gebracht? Waren die Film- und die Musikindustrie mit ihrem Kopierschutz erfolgreich? Nein! Man kann das Kopieren erschweren, aber mit genügend Aufwand geht es immer. Man muss auch kein Informatiker sein, um Filme oder Musik zu kopieren. Das Kopierproblem verschärft sich beim digitalen Bezahlen: Wenn die kriminelle Energie da ist, einen Film zu kopieren, wie groß ist dann die kriminelle Energie, Geld selbst zu drucken? Dazu kommen noch geopolitische Interessen: Wenn Russland der Wirtschaft der EU schaden könnte, indem es Trillionen von Digitalen Euros druckt, wäre es blöd, das nicht zu tun. Es geht also nicht nur darum, dass Privatleute mit beschränkten Ressourcen versuchen könnten, eine CBDC zu kopieren, sondern wir müssen damit rechnen, dass staatliche Akteure mit großem Budget und guter Technik das versuchen werden.

Und deswegen sollte mit einer CBDC nur online gezahlt werden können?

Ja, denn die einzige effektive Möglichkeit, das Kopieren zu verhindern, ist das Digital Watermarking: Ich markiere jede Kopie mit einem mehr oder weniger eindeutigen Siegel, das sagt, „diese Kopie hatte ich dem Herrn Müller gegeben“. Und wenn Herr Müller Kopien anfertigt, dann weiß ich, dass es seine Kopien sind. Jetzt kommt das Problem mit dem Offline-Modus ins Spiel: Die Europäische Zentralbank (EZB) sagt, das Offline-Zahlen wird vollanonym sein. Dann kann ich aber nicht mehr feststellen, dass es Herr Müller war, der die Kopien gemacht hat, denn er war anonym. Und selbst ohne Anonymität gibt es dann noch das Enforcement-Problem. Ein denkbarer Fall wäre: Eine Person in der Familie steht kurz vor dem Tod, ich kopiere ihr Geld, sie verstirbt und ich bringe das kopierte Geld in Umlauf. Selbst wenn der Bezahlvorgang nicht anonym ist, wie soll die EZB das kopierte Geld von der verstorbenen 90-jährigen Oma zurückbekommen? Eine dritte Möglichkeit, das entstehende Problem zu lösen: Die EZB kann dem Händler, der kopiertes Geld entgegengenommen hat, schlicht sagen, dass es doppelt ausgegeben wurde und er Pech gehabt hat und auf seinen Kosten sitzen bleibt. Das kann auch bei Kreditkartenzahlungen passieren: Wenn jemand mit einer gestohlenen Kreditkarte bei einem Händler bezahlt, der gerade offline ist, kann es sein, dass die Kreditkartenfirma dem Händler sagt, „Die Karte war schon gesperrt, Du hast das nicht geprüft, Du bleibst auf Deinen Kosten sitzen.“ Die EZB verspricht aber hohe Sicherheit. Das Erste, was ich von einem sicheren digitalen Bezahlsystem erwarten würde, wäre, dass, wenn mir mein Computer sagt, „Du hast das Geld bekommen“, dass ich das Geld auch wirklich bekommen habe. Das ist aber im Offline-Modus schlicht nicht möglich.

Wir wissen, dass es trotz der DRM-Maßnahmen möglich sein wird, digitale Daten zu kopieren. Man könnte auch Taler offline nutzen, dann können wir aber auch nicht garantieren, dass die Daten nicht kopiert sind bzw., dass das Geld, das ich erhalte, nicht doppelt ausgegeben wurde. Das muss man den Leuten erklären: Das Offline-Bezahlen mit digitalem Cash ist möglich, aber nicht sicher und anonym.

Im Katastrophenfall könnten wir das Risiko hinnehmen. So macht man das in Japan beispielsweise mit der Bezahlkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel: Kommt es zu einem Erdbeben und ist das System offline, dann funktioniert die Karte trotzdem, damit die Leute nachhause kommen können. Man rechnet damit, dass es in wenigen Fällen zu Betrug kommen wird, aber wichtiger ist, dass die Menschen nach Hause kommen können. Im Katastrophenfall wird also Menschlichkeit gegenüber korrekter Abrechnung priorisiert.

Die EZB betont immer wieder, der Digitale Euro wird erst nach einem politischen Beschluss eingeführt. Haben Sie noch Hoffnung, dass der Digitale Euro doch noch als token-basiertes System umgesetzt wird?

Während die EZB das verspricht, hat sie schon eine Ausschreibung für 1,3 Mrd. Euro gemacht, in der schon ganz konkrete Vorgaben genannt werden. Und auf diese Ausschreibung konnten sich nur Unternehmen mit einem Mindest-Jahresumsatz von 10 Mio. Euro bewerben. Kleine Akteure, die angeblich auch gefördert werden sollen, sind also schon aus dem Spiel. Die Ausschreibung hatte eine Frist von sechs Wochen, die kürzeste mögliche legale Frist. Man kann doch nicht sagen, wir machen nichts ohne politischen Beschluss und gleichzeitig Gelder für die technische Umsetzung vergeben, die an enge technische Vorgaben geknüpft sind. Damit werden Fakten geschaffen. Und von einem token-basierten Ansatz ist in der Ausschreibung nichts zu finden. Dass die EZB nach einem politischen Beschluss auf einen grundlegend anderen Ansatz umschwenkt, ist nicht zu erwarten.

Ich glaube, dass man sich nur nach einem Scheitern der aktuellen Pläne Hoffnungen darauf machen kann, dass ein token-basierter Ansatz verfolgt wird. Erst wenn der Digitale Euro entweder politisch oder ökonomisch oder technisch gescheitert ist, haben wir aus meiner Sicht eine Chance, eine ordentliche politische Debatte darüber zu führen, was wir eigentlich als Gesellschaft haben wollen. Vielleicht könnte es dann in 15 Jahren einen neuen Anlauf geben. Und dann können wir sehen, ob es mit der Tokenisierung was wird oder nicht.

Herr Grothoff, vielen Dank für das Gespräch.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #9: Politisierung

Ein Beitrag von Petra Gehring

25. Juni 2024

Seit zwei Jahren hat die Politikwissenschaft das Thema Geld entdeckt: Geldtheorien werden rekonstruiert, vor allem aber geht es um Gegenwartsdiagnosen. Haben in in den länger zurückliegenden Jahren nicht Politikwissenschaftler, sondern Soziologen wie Urs Stäheli oder Elena Esposito das Bankensystem, die Börse, Spekulationen und Derivate attackiert, so geht es nun um die Frage, ob politische Systeme – und auch gerade moderne Demokratien – „das Geld“ als eine vermeintlich bloß technische Angelegenheit in viel zu starkem Maße den Zentralbanken überlassen. Das Geld werde „zur unpolitischen Technologie verklärt“ (Sahr 2022, Ankündigungstext), demokratische Akteure kümmerten sich zu wenig um „grundlegende demokratische Fragen der monetären Gewalt“ (Eich 2023: 13). Die politische Theorie solle jedoch „dazu beitragen, den unklaren Ort des Geldes in der demokratischen Politik neu zu fassen“ (Eich 2023: 18), in den Blick zu nehmen sei dessen „genuin politische Architektur“ (Sahr 2022: 12).

Die Appelle sind mehr als plausibel – die Finanzkrise, die digitale Umgestaltung der Werte und Wertzeichen hätten dazu eigentlich gar nicht nötig sein sollen. Worüber man aber doch grübelt: Die Forderung der Autoren nach einer „Politisierung“ des Geldes, die konkret in einer Entzauberung der vermeintlichen Neutralität der Zentralbanken zu bestehen hätte, und die dann ohne Wenn und Aber zugleich eine „Demokratisierung“ sein soll. In den Worten von Stefan Eich: „Die Welt braucht dringend eine neue globale monetäre Verfassung und eine Währungsordnung, die demokratischer gesteuert wird.“ (276) Was meint das konkret? Mehr Rechenschaftslegung, mehr Aufsicht, mehr „finanzielle Bürgerrechte“ gegenüber Banken, mehr öffentliche Kreditversorgung, vor allem aber: Zentralbanken sollten „Labore“ werden für eine offene Demokratie. Es gälte, Personen hinein zu wählen, dabei alle gesellschaftlichen Gruppen zu repräsentieren, sie zwar nicht der Exekutive, aber umso mehr den Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen, im Sinne einer eigenständigen monetären Gewalt (vgl. 284).

Dezentral organisierte Kryptowährungen lehnt Eich als „eine Fälschung demokratischen Geldes“, und Plattformwährungen lehnt er als „Vorstoß zu einer Privatisierung des Geldes“ ab (vgl. 277). Das Geld selbst bezeichnet er als „kollektive Fiktion“ (287) und sieht eben darin dann auch das Versprechen der Gestaltbarkeit: „Anstatt uns vom fiktiven Charakter des Geldes blenden oder verängstigen zu lassen, können und sollen wir seine nie vorab festgelegten politischen Potenziale ausschöpfen …“ (287). Möglicherweise falle ich genau hier aus dem Film: Wie kann ich eine kollektive „Fiktion“, ohne sie zu zerstören, kollektiv steuern? In welchem Sinne heißt „fiktiv“ in einem ergebnisoffenen Sinne „unfestgelegt“ (wo wir doch an Fiktionen – als Annahmen, Setzungen, vielleicht sogar Erfindungen – ein Stück weit auch glauben müssen)? Und woher nimmt der demokratische Diskurs den Sinn für die „politischen Potenziale“ einer Fiktion – ohne dass diese Potenziale nicht auch verflixt leicht „fiktiv“ zu nennen wären?

So berechtigt der Hinweis darauf ist, am Geld sei nichts natural, wenig neutral und vieles politisch – Politisierung ist jedenfalls nicht automatisch Demokratisierung. Auch Krypto und Libra „politisieren“ die kollektive Fiktion.

Stefan Eich: Die Währung der Politik. Eine politische Ideengeschichte des Geldes (2022). Hamburg: Hamburger Edition 2023.

Aaron Sahr: Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft. München: C.H. Beck 2022.

 

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Autor: Frank Engster eFin-Blog Farbe: hellblau

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Ein Beitrag von Frank Engster

28. März 2024

Der Anlass des Buches Kleine Philosophie des Geldes ist ein Verschwinden, das denkbar paradox ist: Das Geld verschwindet in seiner sinnlich wahrnehmbaren, empirischen Gestalt als Bargeld – aber seine Geltungsmacht wird durch dieses Verschwinden nur um so absoluter. Ja, es ließe sich sogar sagen, dass das Geld gerade in diesem

Verschwinden seinem Begriff und seiner Logik adäquat wird. Denn ist uns das Geld nicht darum so rätselhaft, weil es letztlich etwas Unsichtbares, nicht Fassliches repräsentiert? Steht es nicht in seinem materiellen Dasein buchstäblich für einen ökonomischen Wert, der ideell und übersinnlich ist? Ein Wert, der einerseits durch das Geld überhaupt erst greifbar wird und eine Existenz erhält, andererseits aber gerade durch das Geld zu etwas Übersinnlich-Ideellem wird? Das Geld würde dann in der Geschichte seiner De- und Entmaterialisierung derjenigen Logik adäquat, die von Anfang an das Geld der kapitalistischen Gesellschaft auszeichnet. Das Geld gibt, was auch immer seine empirische Gestalt sein mag, ob Gold und Edelmetall, ob Papier oder ob bloßer elektronischer Impuls – das Geld gibt einem rein quantitativen Wert objektive, ja sogar universelle Geltung, aber diese empirisch reine und universelle Geltung des Quantitativen ist aus keiner seiner materiellen Gestalten ableitbar oder erklärbar. Es scheint daher umgekehrt, dass die De-Materialisierung des Geldes diesem Wesen adäquat wird.

Das Geld im Schnittpunkt dreier Entwicklungen

Dieses eigentümliche Verschwinden des Geldes, dem zugleich eine Art Zu-sich-Kommen seiner rein quantitativen Geltung entspricht, wird im Buch im Fluchtpunkt von drei Entwicklungen angesiedelt. Die erste Entwicklung ist die eben angeführte gleichsam metaphysische Entwicklung, dass das Geld in der Geschichte seiner zunehmenden Ent- und Dematerialisierung seine reine Geltung durchzusetzen und ihr adäquat zu werden scheint.

Die zweite Entwicklung, in deren Fluchtpunkt wir uns heute befinden, beginnt mit der kleinen „Sattelzeit“ (Koselleck) um das Jahr 1973. In diese Zeit fällt das Ende des Goldstandards und des Abkommens von Bretton Woods, die Erschöpfung des klassischen Fordismus sowie der Umbruch in den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und in eine post-fordistische, vielleicht gar post-industrielle Gesellschaft. Auch der Neoliberalismus mit seinen politischen Techniken (Deregulierung, Privatisierung, Abbau des Sozialstaates, Schwächung der Gewerkschaften) beginnt in diesem Jahr, und zwar mit dem Putsch in Chile gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende. Auf den Putsch folgte die neoliberale Konterrevolution durch die Militärdiktatur von August Pinochet und einer Gruppe chilenischer Wirtschaftswissenschaftler, der „Chicago Boys“, die u.a. die monetaristische Theorie ihres Lehrers Milton Friedman installierten.

Diese kleine Sattelzeit war für die ungeheure Ausweitung einer Geldmenge wichtig, die einerseits, vor allem qua Kreditgeld, gleichsam aus dem Nichts geschöpft wird und die andererseits nicht mehr durch Gold gedeckt oder zumindest umtauschbar sein muss. Die ausgeweitete Geldmenge ist allein durch diejenige ökonomische Verwertung „gedeckt“, die sie erst in Kraft setzt und gleichsam nach sich zieht. Gelingt das aber nicht, stehen Entwertungsprozesse und Kapitalvernichtungen an, etwa durch das Platzen von „Blasen“ in monetär überhitzten Bereichen der Ökonomie (die dann wiederum Kettenreaktionen auslösen, die andere Bereiche betreffen und mitunter globale Ausmaße annehmen).

Die dritte Entwicklung ist, dass der Aufstieg der ökonomischen Techniken des Finanzkapitalismus und der politischen Techniken des Neoliberalismus begleitet wurde von einer Revolution, die in der Technologie im engeren Sinne stattfand. Die Rede ist natürlich von der Digitalisierung. Das Geld wird durch seine Digitalisierung nicht einfach dematerialisiert, es erlangt einen neuen Status. Denn mit dem Geld wird auch der ökonomische Wert nicht einfach nur elektronisch, digital, immateriell, der Wert wird Information. Er wird zu einer Information in einem viel radikaleren Sinne als in den Wirtschaftstheorien, die Wert oder Preis schon seit langem als eine Information fassen. Denn fortan sind alle einzelnen Zahlungen, alle finanziellen Transaktionen und alle Geld- und Finanzströme elektronisch und digital nicht nur abwickelbar, sie sind auch rekonstruierbar, speicherbar, steuerbar und sogar vorhersagbar und berechenbar, zumindest bestimmter Wahrscheinlichkeit nach. Mit dieser technischen Transformation wird die Information des (vermeintlich bloß) ökomischen „Werts“ nun mit individuellen, mit sozialen, mit politischen und überhaupt mit allen Arten von Information überlagert.

Das hat ungeheure Auswirklungen auf neue Formen der politischen und sozialen Überwachung und Kontrolle, der Planung, Steuerung und Machtausübung. Hatte das Geld seit jeher die berühmten „zwei Seiten der Medaille“, indem es in seiner geprägten Gestalt als Münze Kopf und Zahl, Politik und Ökonomie, Staat und Markt (re-)präsentiert, so befindet sich das Ökonomische nun auf eine ganz neue, eben immaterielle Weise (mit jener Rückseite) verbunden, denn was in der Münze noch in zwei Seiten geschieden war, befindet sich jetzt im Zustand der Überlagerung. Ökonomische Informationen überlagern sich auf eine ganz unmittelbare Weise mit allen anderen Arten von Information, etwa über das Verhalten von Individuen, Gruppen und Bevölkerungen, über ihre Entscheidungen, ihre Vorlieben, ihre Geheimnisse usw., und diese Informationen können über elektronisch-digitale Geldströme ausgelesen werden.

Durch die Überlagerung sind diese Informationen in einer Art Unschärfe gehalten und können für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet werden. Genauer gesagt kann mit diesen Informationen für unterschiedliche Zwecke gerechnet werden. Dieses Rechnen bezieht sich nicht auf das profane Kommodifizieren der Daten. Es geht vielmehr um ein politisches und soziales „Bewirtschaften“ der Daten. Auch dieses Rechnen mit Daten und Informationen geht über ihre bloße Kommodifizierung, also ökonomische (Weiter)Verwertbarkeit hinaus. Es erhält einen eigentümlichen Status, der dem Status der Überlagerung, in dem sich Informationen befinden, entspricht. Denn einerseits kann mit den Daten und Informationen auf eine eng ökonomische und quantitative Weise gerechnet werden, wobei das Rechnen aber auch ein Berechnen ist und zur Programmierung, Algorithmisierung und für KI genutzt wird: Kaufentscheidungen und Konsumverhalten lassen sich rekonstruieren und berechnen, ja vorhersagen und steuern. Und andererseits ist dieses Berechnen entgrenzt, denn es gilt nicht nur für die Ökonomie, sondern im Prinzip für alles, was mit großen Datenmengen und schneller Rechenleistung berechenbar gemacht werden kann: Migrationsströme, Gesundheitsrisiken, Kriminalitätsentwicklung, Wählerverhalten usw.

Diese umfassende Auslesbarkeit des, vereinfacht zusammengefasst, Sozialen ist auch der Grund für die enorme Bedeutung der Frage, wer über die Daten verfügt, wer sie sammeln, auswerten, verwenden und auch manipulieren kann, kurz, wer mit den Informationen rechnen kann. Sind Daten, Informationen und die gesamte Grundstruktur, die mittlerweile daran hängt, nicht eine Art gesellschaftliche Infrastruktur geworden wie einst Energie, Eisenbahn oder die Post (also die klassischen Netze mit ihren Übermittlungen und Strömen)? Sollten die Daten und ihre Infrastruktur wirklich einzelnen großen Quasimonopolen gehören? Oder sind sie dort vielleicht gerade vor staatlichem Zugriff und Missbrauch geschützt? Und wie könnte eine gesellschaftliche Kontrolle jenseits von Staat und privaten Kapitalen aussehen?

Chronos, Kosmos, Logos

Kurzum beide, Geld und Wert, erlangen mit der Digitalisierung einen neuen Status. Das Geld erscheint nicht mehr analog dem Hegelschen Geist, dem „Gott der Philosophen“, der ja bereits eine Art Verweltlichung des christlichen Gottes war. Auf diese Analogie hatte u.a. der Marxismus und die Kritische Theorie zurückgegriffen, aber auch Marx selbst. Vielmehr funktioniert das Geld heute, im Zeitalter einer globalen und zunehmend digitalisierten Ökonomie, des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und des Informationszeitalters, anscheinend wie ein gewaltiger Prozessor. Das Datennetz mit seinen Algorithmen gleicht einem gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Gehirn, in dem Informationen aller Art als Daten unendlich schnell prozessiert und verarbeitet werden. Und darin scheint es das Wesen des Geldes zu sein (insbesondere im Banken- und Finanzsystem, dem zentralen Nervensystem der Ökonomie), Informationen über ökonomische Werte, die sich mit weiteren Informationen überlagern, mit Lichtgeschwindigkeit zu übertragen. Erschien den Philosophen das Geld einst unverfügbar wie ein (Welt-)Geist, so scheint ein passendes Bild für sein unfasslich übersinnliches und doch ungeheurer wirksames Wesen heute der Welt-Computer zu sein.

Das Verschwinden des Geldes im Elektronisch-Digitalen ist indes, wie oben schon gesagt, für mich und meine Mitautoren (nur) der Anlass gewesen, das Geld noch einmal einer Kritik zu unterziehen. Das ist allein schon darum stets akut, weil bis heute keine allseits akzeptierte Theorie oder Kritik des Geldes gelungen ist. Weitgehende Einigkeit besteht bestenfalls darin, dass das Geld seiner Bewältigung durch Wissenschaft und Theorie offenbar Probleme aufgibt. Der notorische Begriff dafür, der von einer Reihe Autoren verwendet wurde, ist das Geldrätsel.  Wenn aber das Geld keine allseits akzeptierte Bestimmung gefunden hat und rätselhaft geblieben ist, legt das zwei Konsequenzen nah. Zum einen scheint dem Geldrätsel nur arbeitsteilig beizukommen zu sein, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Und zum anderen muss der Gegenstand der gemeinsamen Kraftanstrengung diese Rätselhaftigkeit des Geldes sein – vielleicht führt, so unser Gedanke, gerade dieser Umweg über die Bestimmung seiner Rätselhaftigkeit zu einer angemessenen Bestimmung des Geldes. Ja, wenn es gelingt, seine Rätselhaftigkeit zu bestimmen, so ist das vielleicht bereits die Lösung des Geldrätsels.

Von diesen beiden Konsequenzen ausgehend, hat das Buch sich vorgenommen, drei Dimensionen zu bestimmen, die das Geld gleichsam von sich aus herausfordert. Die drei Dimensionen, die zugleich den drei Teilen des Buches „Chronos“, „Kosmos“ und „Logos“ entsprechen, sind 1.) die Ökonomie der Zeitlichkeit, die das Geld eröffnet und geradezu mit sich bringt, 2.) die Kosmologie, die es dadurch in der Moderne entwirft, sowie 3.) die Logik, die es zu etablieren scheint. Die drei Dimensionen werden von den drei Autoren jeweils im Rückgriff auf drei große Geld-Theorien und ihre Autoren vorgenommen, nämlich im Rückgriff auf Marx, Simmel und Hayek. Geld bringt mit der kapitalistischen Moderne also eine Temporalität, einen Kosmos und eine Logik mit sich, und wir argumentieren, dass in allen drei Fällen ein Entzug und Verschwinden des Geldes in diese drei Dimensionen von Anfang an im kapitalistischen Geld angelegt ist.

Was die Dimension der Zeit angeht, so setzt das Geld durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere durch die In-Wert-Setzung und Quantifizierung sowohl der Arbeits- und Produktionsverhältnisse als auch ihrer Resultate, der Waren, eine „Ökonomie der Zeit“ (Marx) in Kraft.

Mit dem kapitalistischen Geld fängt indes nicht nur eine neue – quantifizierte – Zeit durch einen ökonomischen Umgang mit ebendieser Zeit an, es fängt auch eine neue Kosmologie an. Sie fällt zusammen mit der „kopernikanischen Wende“, durch die das alte Weltbild gestürzt und durch einen neuen, nun nicht mehr geozentrischen und gottgegebenen Kosmos ersetzt wurde: Die alten „Verschuldungszusammenhänge“ werden ersetzt durch einen „Bereicherungszusammenhang“. Dieser Bereicherungszusammenhang hängt an einem Geld, das einerseits quasi aus dem Nichts geschöpft werden kann, weil andererseits Reichtum in abstrakter Form unendlich vermehrbar zu sein scheint. Reichtum scheint nicht mehr, wie in vor- und nicht-kapitalistischen Gesellschaften, eine Art Nullsummenspiel zu sein, das letztlich nur auf der Auf-, Ein- und Verteilung einer gottgegebenen und zugleich quasi natürlichen Endlichkeit beruht (darum „Verschuldungszusammenhang“). Vielmehr scheint Reichtum, obzwar er immer ein endliches Dasein führt, aus sich selbst heraus ins Unendliche vermehrbar zu sein – jedoch, ohne dass klar wäre, auf welche Weise dieses Unendliche durch Geld in Anspruch genommen, bewirtschaftet und ökonomisiert wird. Das Unendliche scheint eine Art unsichtbares Drittes zu sein, bei dem sich der kapitalistische Bereicherungszusammenhang durch Geldvermehrung und Wachstum verschuldet und das durch die ständigen gesellschaftlichen Krisen ebenso im endlichen Dasein beständig wiederkehrt, wie es verdrängt wird.

Mit dem kapitalistischen Geld hält schließlich auch eine ökonomische Rationalität und Logik Einzug. Einerseits scheint diese Logik quasi natürlich zu sein, ganz so, als käme im Kapitalismus endlich eine Rationalität zu sich, die überhistorisch ist und insofern schon immer gegolten haben müsse. Andererseits kann die Wirtschaftswissenschaft nicht angeben, was genau im Preis eigentlich in Wert gesetzt ist und was diese geheimnisvolle Qualität ist, die quantifiziert wird. Vor allem aber kann sie die Qualität des Quantifizierens selbst, die uns durch das Geld gegeben ist, nicht recht angeben. So wurde einerseits, besonders im Zuge des Neoliberalismus, die Quantifizierung auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausgedehnt und noch zur Lösung der dadurch entstehenden Probleme eingesetzt (schlagendes Beispiel ist der Emissionshandel), während andererseits die Logik des Quantifizierens selbst ein blinder Fleck blieb.

Das Geld verschwindet also nicht erst, wenn es elektronisch und digital wird. Vielmehr ist es das Wesen des Geldes, sich in seine Darstellungsweise zu entziehen. Es präsentiert uns in diesem Entzug unmittelbar eine Zeitökonomie, ein Weltbild und eine Logik und Rationalität, die jeweils vertrackterweise durch das Geld und durch seinen Entzug so erscheinen, wie sie (schon) ohne Geld zu sein scheinen. Das Geld löst durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse einerseits eine kapitalistische Ökonomie der Zeit ein, und entzieht sich dadurch andererseits in eine Zeit, die durch Geld quantitativ anwesend wird; die Schöpfung und Vermehrung des Geldes und des abstrakten Reichtums führt in der Moderne zu einer radikal neuen Kosmologie, die das Unendliche auf eine unklare Weise in Anspruch nimmt und im Wachstumszwang verendlicht; und das Geld beherrscht eine ökonomische Rationalität, die durch Werte und Preisinformationen mit dem Rechnen des Geldes rechnet, ohne dieses Rechnen des Geldes selbst zu fassen zu kriegen.

In Kürze erscheint eine noch umfangreicher angelegte arbeitsteilige Kraftanstrengung zur Bestimmung des Geldes, nämlich das Handbook of Philosophy and Money. In 2 Bänden wird die Geschichte des Verhältnisses von Geld und Philosophie von der Antike bis zur (Post-)Moderne von einer Vielzahl von Wissenschaftler:innen und Philosoph:innen rekonstruiert.

Frank Engster, Aldo Haesler, Oliver Schlaudt: Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens, Berlin: Matthes & Seitz.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #7: Token

Ein Beitrag von Petra Gehring

15. Februar 2024

Rachel O’Dwyer schreibt als kluge Ethnologin des digitalisierten Bezahl-Alltags. Ihre Umschau zum schillernden „Wert“ nicht nur von Kryptotoken liest sich hinreißend: man ist fasziniert von Vouchern, Giveaways, Amazon-Wishlists, Fortnite-Skins wie überhaupt Gaming-Währungen aller Art, des Weiteren: virtuellen Trophäen, Andenken, Memes – alles das ist informelles Digitalgeld!

„Throughout history, tokens have littered the edges of the economy …” (7). Dieser Ausgangsthese zufolge erscheint offizielles, staatlich abgesichertes und quasi vereindeutigtes Geld geradezu als moderne Ausnahme. Diesseits davon existieren Welten voller Wert-Zeichen, die zirkulieren, temporär in Geltung sind, Käuflichkeit organisieren und Macht verleihen. O‘Dwyer, die am National College of Art and Design in Dublin Digital Culture lehrt, nennt die Träger solcher Wertmarkensysteme (und ihr Buch) Tokens: „As something that is ‘not quite money’, tokens blur the hard edges between legitimate and illegitimate work and legitimate and illegitimate transactions.” (7) Vor der Digitalisierung kannten wir das vereinzelt auch: Rabattmarken, Lebensmittelkarten, Sammelbildchen. Im Netz kommen informelle Bezahlformen nun jedoch in großem Stil zurück: Aus Spiel wird Ernst.

“Tokens confer identity and access.” (10) Digitales Blingbling – nicht Geld, aber money-ish und überall klickbar zu haben sowie spielfigurenartig zu bewegen – ist auch Anerkennungsmittel. Das Wertzeichen kann besagen: Du bist wertvoll, und: Du bekommst genau deshalb, weil du so aussiehst oder dies tust, virtuelles Kapital. Das Spielgeld schafft also vertragsartige Bindungen und steuert: „Tokens can thus […] be a way of attaching special conditions to payments. They can bring spending, eating, parenting, and, well, living in line with the issuer’s objectives. Not just value, then, but values.” (vgl. 10) Ebenso schafft dieses Geld schlimme Belohnungssysteme: physische Demütigungswetten, sadistische “Mutproben”, Online-Sex: „The token is a communication designed to express itself not only with the channel, but immediately and directly on the body of the performer.” (23)

Im Ganzen ist Tokens nicht nur ein cooles, sondern auch ein politisches, zorniges Buch über Geld. Es gibt Kapitel über Tracking durch Geld, über Geld und Identitätsfeststellung, über Code als schlechten Ersatz für Recht und über das Metaverse („Litter is there to create Realism“, 271). Unbedingt lesenswert. Ein einziges Aber: die Begriffswahl. Was alles um Himmels willen nennt O‘Dwyer „Token“? Die Entscheidung für einen Schlüsselbegriff ist sicher immer ein kniffeliger Tauf-Akt. Und sicher ist mein Störgefühl dasjenige einer Philosophin. Token meint aber eben nicht nur Wertzeichen, sondern Zeichen ganz generell. Wären also alle Zeichensysteme letztlich Wertsysteme? Ist das die These: Bedeutung ist (oder wird im Netz) per se Wert?

Zum Einstieg bemerkt O’Dwyer selbst kurz, ihre Verlegerin fände den Begriff zu weit gefasst. Sie räumt ein: Tokens faszinieren als Grenzfall. „A token can be a game, a passcode, a ticket, a social tie, a keepsake, a bribe, a secret message, a gift, a promise, a vote, an ownership stake, a joke, a meme, an art, a flex, a bet, a law, another token.” (11 f.) Die Frage bleibt: Was genau meint more and less than money (11)? Absorbiert die digitale Bezahlfunktion letztlich sogar das Konzept des Zeichens selbst? Oder sprechen wir doch besser dezidiert von Wertzeichen, also von einer zusätzlichen Performance, die – sagen wir: einem digitalen Symbol oder Schriftzug zuwächst, sobald er als bezahlmittelartiger Anreiz Macht gewinnt? Zumindest theoriebegrifflich hieße letzteres: Zwischen „Token I“ (digitales Bezahlen) und „Token II, III, … n“ (Zeichensysteme ohne genau diesen beinahe-Geld-Effekt) wären zu unterscheiden. Auch einen Kapitalismus neuen Typs könnte man wohl nur dann scharf analysieren, wenn man nicht gleich alles im selben Sinne – und sei es ironisch – „Token“ nennt.

Rachel O’Dwyer: Tokens. The Future of Money in the Age of the Platform. London/New York: Verso 2023.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #6: Metaverse

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 4. Januar 2024

Ich seufze. Mein erster lesender Anlauf, zu verstehen, womit Zuckerbergs Firma Meta in den nächsten Jahren alles revolutionieren will. „Metaverse“: Einerseits geht es um virtuelle Realität, um fancy 3D-Spaß, Helm auf und los. Andererseits hat „alles“ mit Geld zu tun – so jedenfalls Matthew Ball, ehemaliger Chefstratege bei Amazon Studios und derzeit wohl Wirtschaftsjournalist. Das Metaverse, schreibt Ball, werde ein „Unternehmensinternet“ sein, es werde „von privaten Unternehmen mit dem ausdrücklichen Ziel des Handels, der Datenerfassung, der Werbung und des Verkaufs virtueller Produkte entwickelt und aufgebaut.“ (31) Und weiter: „Das Metaverse ist als eine parallele Ebene für menschliche Freizeit, Arbeit und Existenz im weiteren Sinne gedacht.“ (173)

Im zehnten Kapitel seines Buches stellt Ball die These auf, „das zentrale Schlachtfeld“ für das ganze Projekt werde der Kampf darum sein, die dominierende „Zahlungsschiene“ im Metaverse zu werden. Zahlungsdienste stehen gegeneinander, aber auch Spieleplattformen, die einerseits Gebühren­systeme, andererseits Erfolge, Trophäen, Level etc. – also symbolische Guthaben – verwalten (und behalten): im Grunde Vorformen von Zahlungsdiensten oder eigentlich sogar mehr. Denn Spieleplattformen ähneln sozialen Netzwerken, verwalten die spielgebundene Online-Existenz, Freund­schaften und Datenspuren der Aktivitäten ihrer Nutzer:innen. Auch der App Store von Apple ist nicht bloß ein Shop, sondern ein gigantischer Zahlungsintermediär. Das zugrundeliegende Geschäftsmodell sichert Apple 30% des Ertrags, den der Verkauf App-Anbieter:innen einbringt. Billiger wird es, wenn Anbieter:innen sich ihrerseits verpflichten, den Nutzer:innen beim Bezahlen zusätzlich Werbung zu zeigen (Werbezeit, die Apple dann auch wiederum verkauft). So bauen virtuelle Bezahlgeschäftsmodelle aufeinander auf. Und die Endkund:innen zahlen mit Geld und Daten. Firmen wie Apple (mit Apple Pay) oder eben auch Facebook, jetzt Meta, streben eine Art Jokerrolle an: Sie liefern Produktportfolios und zugleich Portfolios von Zahlungswegen. Dass es für einen solchen Universaldienst viel profitabler ist, virtuelle Güter zu verkaufen als Dinge, die man „physisch“ produzieren, versenden und zustellen muss, versteht sich von selbst.

Das Metaverse wiederum? Wäre wohl – habe ich es richtig verstanden – eine Art Riesen-Obervermieter für Dienste, die auf allen möglichen Geräten und Betriebssystemen laufen. Aber ein exklusiv Meta gehörendes 3D-Portal würde genutzt, um in virtuellen Räumen wiederum 3D-Versionen von was auch immer im Netz oder in einer Cloud abspielbar bzw. „besuchbar“ ist, vorzuhalten – zwecks Kaufs oder kostenpflichtiger Teilnahme, kostenpflichtigem Konsum. Ball nennt: Bildung, Lifestyle, Unterhaltung, dazu Sexarbeit und „Mixed-Reality-Orgien“ (263). Er findet das Leistungsspektrum okay, mir scheint es deprimierend. Was könnten Applikationen an noch Hässlicherem vermarkten? Kriege? Sklaverei? Voodoo-Verfluchungen? Gladiatoren? Gehirnwäsche? Folter?

Im relativ besten Fall dürfte es jede Menge Kontrollen, Aufsicht, Überwachung – und neue Kosten – geben, um das zu verhindern.

Matthew Ball: Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird (2022). München: Vahlen 2022.

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Autor: Carola Westermeier und Marek Jessen Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: hellblau

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Ein Beitrag von Carola Westermeier und Marek Jessen

15. November 2023

Auch wenn der Mehrwert eines digitalen Euros auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich ersichtlich ist, bringt er doch viele Chancen mit sich: auf mehr Souveränität für europäische Anbieter und Bürgerinnen und Bürger. Dafür müssen allerdings noch ein paar Weichen gestellt werden.

Das Eurosystem hat eine wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung getroffen. Die Notenbanken der Länder, die den Euro eingeführt haben, und die Europäische Zentralbank (EZB) werden die Entwicklung eines digitalen Euro weiter vorantreiben und in einigen Jahren könnten europäische Bürgerinnen und Bürger Zugang zu einer neuen Art des Geldes haben. Kritische Stimmen werfen dem Projekt vor, dass es keinen Mehrwert habe. Ob ich 50 Euro mit meiner EC-Karte oder mit dem digitalen Euro ausgebe, ist meinem Kontostand egal, er wird verringert. Allerdings reduzieren die Kritikerinnen das Bezahlen mit einer solchen Argumentation auf den Austausch von Werten. Im digitalen Zeitalter sind Bezahlen und der Einsatz des Geldes in Transaktionen jedoch weit mehr.

Alles neu macht der digitale Euro – aber was eigentlich genau?

Es scheint paradox: Der digitale Euro wird unser Bezahlverhalten womöglich kaum verändern, obwohl er eine völlig neue Form des Geldes darstellt. Mit dem digitalen Euro nimmt Zentralbankgeld – die sicherste Form des Geldes, da die Zentralbank hinter ihr steht – eine digitale Form an, die für alle zugänglich sein soll. Bisher war diese Form des Geldes und die damit verbundene direkte Forderung gegen die Zentralbank lediglich mit dem Bargeld vorhanden.

Derzeit jedoch liegen alle digitalen Formen des Geldes in den Händen der Privatwirtschaft und stellen eine Forderung der Bürgerinnen gegen diese dar. Entsprechende Einlagen sind bei dem jeweiligen Kreditinstitut über die gesetzliche Einlagensicherung bis zu 100.000 € geschützt. Der digitale Euro soll die Versorgung mit Zentralbankgeld, für das es keine Einlagensicherung braucht, auch im digitalen Zeitalter und bei gleichzeitig rückläufigem Gebrauch von Bargeld sicherstellen.

Eine Frage der europäischen Souveränität

Derzeit ist digitales Bezahlen vor allem ein Markt, in dem Unternehmen um Anteile kämpfen, um über Gebühren Gewinne zu erzielen. Zahlungsdienstleister können Transaktionen aufgrund ihrer Geschäftsbedingungen untersagen und sind verpflichtet, Sanktionen durchzusetzen. In Europa dominieren vorwiegend nicht-europäische Akteure diesen Markt, während europäische Transaktionen über ihre Netzwerke laufen. Ein Umstand, den europäische Institutionen bereits zu Zeiten der Trump-Administration in den USA als Gefahr für die Souveränität des Euroraums identifiziert haben.

Der digitale Euro hingegen soll auf Infrastrukturen basieren, die in europäischer Hand liegen. Die Ausgestaltung dieser technischen Infrastrukturen wird in den kommenden Jahren konkretisiert und könnte entscheidend für die Akzeptanz des neuen Geldes sein. Die besten Chancen für eine breite Adaption bieten sich, wenn sich der digitale Euro von den genannten Marktlogiken löst und vielmehr als öffentliches Gut entwickelt wird, bei dessen Entwicklung die Rolle des Geldes in all seinen Facetten überdacht und digitales Geld im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gestaltet wird.

Datenschutz als höchste Priorität

Ein zentrales Thema wird dabei der Schutz der Privatsphäre und der Umgang mit den anfallenden Daten sein. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist dies der zentrale Aspekt des Bezahlens, das haben Befragungen im Auftrag der EZB gezeigt. Zugleich fehlt das Bewusstsein, was bereits im derzeitigen Modell mit den eigenen Daten passiert und wie diese ausgewertet werden können.

Transaktionen im digitalen Raum hinterlassen Daten, die für die Abwicklung von Zahlungen notwendig sind. Bereits heute werden Transaktionsdaten genutzt, um gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorzugehen. Hierbei arbeiten Banken, die etwa verpflichtet sind, verdächtige Transaktionen zu melden, und Strafverfolgungsbehörden eng zusammen. Die Analyse von Transaktionsdaten beruht also auf der einen Seite auf regulatorischen Vorgaben, sie sind aber auch für kommerzielle Zwecke interessant. Finanztransaktionsdaten bieten umfangreiche Einblicke in das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer und sind somit besonders aussagekräftige und sensible Daten. Die EZB hat wiederholt betont, dass sie kein Interesse an der kommerziellen Nutzung von Transaktionsdaten hat. Dennoch wird es eine Herausforderung sein, die Interessen der unterschiedlichen Akteure im Laufe des weiteren Prozesses in Einklang zu bringen.

Die konkrete Rollenverteilung für den digitalen Euro und welche Intermediäre eingebunden werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Grundlegend ist vorgesehen, dass die EZB den digitalen Euro ausgibt und er Nutzerinnen und Nutzern durch Intermediäre, wie Banken und Zahlungsdienstleister, über Wallets zugänglich gemacht werden soll. Der digitale Euro soll für alltägliche Bezahlfunktionen, wie beispielsweise an der Ladenkasse oder im Onlinehandel, aber auch zwischen Privatpersonen, genutzt werden.

Gesetzesvorschlag muss Datensammelwut besser vorbeugen

Obwohl die EZB eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des digitalen Euro spielt, sollte nicht übersehen werden, dass sie nicht allein über dessen Ausgestaltung entscheidet. Die Einführung des digitalen Euro erfordert die Schaffung einer entsprechenden rechtlichen Grundlage. Die Europäische Kommission hat im Sommer einen ersten Legislativvorschlag vorgelegt, der nun Rückmeldungen erhält. Der Datenschutz spielte darin eine wichtige Rolle. Laut aktuellem Bericht der EZB sollen Intermediäre dabei personenbezogene Daten lediglich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für Aufnahme von Kundinnen und Kunden und die Abwicklung der Zahlung verarbeiten. Jegliche Nutzung dieser Daten für kommerzielle Zwecke erfordert nach den Plänen der EZB die ausdrückliche Zustimmung vonseiten der Nutzerinnen und Nutzer. Diese Klarheit sollte sich auch im Gesetzesentwurf wiederfinden. Ein klar umrissener Katalog, der die Zwecke der Datenverarbeitung präzise darlegt, schafft Rechtssicherheit für die Intermediäre und fördert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Gleiches gilt für die EZB und das Eurosystem. Es muss klar sein, welche Daten verarbeitet werden und dass keine nachträgliche Zuordnung der Identität der Nutzerinnen und Nutzer der Daten möglich ist. Um dem Überwachungspotential einer zentralisierten Datensammlung vorzubeugen, empfehlen europäische Datenschützerinnen und Datenschützer, die mit dem Kundenmanagement (insbesondere Verwaltung digitaler Euro-Accounts) verbundenen Aufgaben dezentral und damit über Intermediäre zu organisieren. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass ab einem bestimmten Punkt Daten in aggregierter Form der EZB zur Verfügung stehen, da sie den digitalen Euro ausgibt und über die im Umlauf befindliche Geldmenge Kenntnis hat. In dem gesetzlichen Rahmenwerk sollte eindeutig festgelegt werden, dass diese Daten nach Pseudonymisierung keine nachträgliche Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer ermöglichen.

Auch wenn die Vorzüge des Bargelds nicht vollständig in den digitalen Raum transferiert werden können, ist es wünschenswert, dass Zahlungen zumindest unter einem gewissen Schwellenwert komplett anonym möglich sein sollen. An vielen – vor allem ländlichen – Orten sind Bargeldzahlungen nicht mehr möglich, weil die entsprechenden Geschäfte außer Reichweite und Online-Bestellungen die einzige Möglichkeit sind, an bestimmte Waren zu gelangen. Der Schutz der Privatsphäre beim Bezahlen sollte jedoch keine Frage des Wohnortes sein, sondern ist im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger.

Nach Aussage von Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, wird es voraussichtlich noch etwa fünf Jahre dauern, bis der digitale Euro für Zahlungen genutzt werden kann. Diese Zeitspanne sollte als eine Gelegenheit betrachtet werden, den digitalen Euro nicht als kommerzielles Projekt, sondern im Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln. Ein starker Datenschutz spielt dabei eine wichtige Rolle.

Redaktionelle Notiz: Dieser Text wurde im Tagesspiegel Background (KI & Digitalisierung: Standpunkte») am 6. November erstveröffentlicht.

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