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Autor: Frank Engster eFin-Blog Farbe: hellblau

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Zur „Kleinen Philosophie des Geldes“ im Augenblick seines Verschwindens

Ein Beitrag von Frank Engster

28. März 2024

Der Anlass des Buches Kleine Philosophie des Geldes ist ein Verschwinden, das denkbar paradox ist: Das Geld verschwindet in seiner sinnlich wahrnehmbaren, empirischen Gestalt als Bargeld – aber seine Geltungsmacht wird durch dieses Verschwinden nur um so absoluter. Ja, es ließe sich sogar sagen, dass das Geld gerade in diesem

Verschwinden seinem Begriff und seiner Logik adäquat wird. Denn ist uns das Geld nicht darum so rätselhaft, weil es letztlich etwas Unsichtbares, nicht Fassliches repräsentiert? Steht es nicht in seinem materiellen Dasein buchstäblich für einen ökonomischen Wert, der ideell und übersinnlich ist? Ein Wert, der einerseits durch das Geld überhaupt erst greifbar wird und eine Existenz erhält, andererseits aber gerade durch das Geld zu etwas Übersinnlich-Ideellem wird? Das Geld würde dann in der Geschichte seiner De- und Entmaterialisierung derjenigen Logik adäquat, die von Anfang an das Geld der kapitalistischen Gesellschaft auszeichnet. Das Geld gibt, was auch immer seine empirische Gestalt sein mag, ob Gold und Edelmetall, ob Papier oder ob bloßer elektronischer Impuls – das Geld gibt einem rein quantitativen Wert objektive, ja sogar universelle Geltung, aber diese empirisch reine und universelle Geltung des Quantitativen ist aus keiner seiner materiellen Gestalten ableitbar oder erklärbar. Es scheint daher umgekehrt, dass die De-Materialisierung des Geldes diesem Wesen adäquat wird.

Das Geld im Schnittpunkt dreier Entwicklungen

Dieses eigentümliche Verschwinden des Geldes, dem zugleich eine Art Zu-sich-Kommen seiner rein quantitativen Geltung entspricht, wird im Buch im Fluchtpunkt von drei Entwicklungen angesiedelt. Die erste Entwicklung ist die eben angeführte gleichsam metaphysische Entwicklung, dass das Geld in der Geschichte seiner zunehmenden Ent- und Dematerialisierung seine reine Geltung durchzusetzen und ihr adäquat zu werden scheint.

Die zweite Entwicklung, in deren Fluchtpunkt wir uns heute befinden, beginnt mit der kleinen „Sattelzeit“ (Koselleck) um das Jahr 1973. In diese Zeit fällt das Ende des Goldstandards und des Abkommens von Bretton Woods, die Erschöpfung des klassischen Fordismus sowie der Umbruch in den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und in eine post-fordistische, vielleicht gar post-industrielle Gesellschaft. Auch der Neoliberalismus mit seinen politischen Techniken (Deregulierung, Privatisierung, Abbau des Sozialstaates, Schwächung der Gewerkschaften) beginnt in diesem Jahr, und zwar mit dem Putsch in Chile gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende. Auf den Putsch folgte die neoliberale Konterrevolution durch die Militärdiktatur von August Pinochet und einer Gruppe chilenischer Wirtschaftswissenschaftler, der „Chicago Boys“, die u.a. die monetaristische Theorie ihres Lehrers Milton Friedman installierten.

Diese kleine Sattelzeit war für die ungeheure Ausweitung einer Geldmenge wichtig, die einerseits, vor allem qua Kreditgeld, gleichsam aus dem Nichts geschöpft wird und die andererseits nicht mehr durch Gold gedeckt oder zumindest umtauschbar sein muss. Die ausgeweitete Geldmenge ist allein durch diejenige ökonomische Verwertung „gedeckt“, die sie erst in Kraft setzt und gleichsam nach sich zieht. Gelingt das aber nicht, stehen Entwertungsprozesse und Kapitalvernichtungen an, etwa durch das Platzen von „Blasen“ in monetär überhitzten Bereichen der Ökonomie (die dann wiederum Kettenreaktionen auslösen, die andere Bereiche betreffen und mitunter globale Ausmaße annehmen).

Die dritte Entwicklung ist, dass der Aufstieg der ökonomischen Techniken des Finanzkapitalismus und der politischen Techniken des Neoliberalismus begleitet wurde von einer Revolution, die in der Technologie im engeren Sinne stattfand. Die Rede ist natürlich von der Digitalisierung. Das Geld wird durch seine Digitalisierung nicht einfach dematerialisiert, es erlangt einen neuen Status. Denn mit dem Geld wird auch der ökonomische Wert nicht einfach nur elektronisch, digital, immateriell, der Wert wird Information. Er wird zu einer Information in einem viel radikaleren Sinne als in den Wirtschaftstheorien, die Wert oder Preis schon seit langem als eine Information fassen. Denn fortan sind alle einzelnen Zahlungen, alle finanziellen Transaktionen und alle Geld- und Finanzströme elektronisch und digital nicht nur abwickelbar, sie sind auch rekonstruierbar, speicherbar, steuerbar und sogar vorhersagbar und berechenbar, zumindest bestimmter Wahrscheinlichkeit nach. Mit dieser technischen Transformation wird die Information des (vermeintlich bloß) ökomischen „Werts“ nun mit individuellen, mit sozialen, mit politischen und überhaupt mit allen Arten von Information überlagert.

Das hat ungeheure Auswirklungen auf neue Formen der politischen und sozialen Überwachung und Kontrolle, der Planung, Steuerung und Machtausübung. Hatte das Geld seit jeher die berühmten „zwei Seiten der Medaille“, indem es in seiner geprägten Gestalt als Münze Kopf und Zahl, Politik und Ökonomie, Staat und Markt (re-)präsentiert, so befindet sich das Ökonomische nun auf eine ganz neue, eben immaterielle Weise (mit jener Rückseite) verbunden, denn was in der Münze noch in zwei Seiten geschieden war, befindet sich jetzt im Zustand der Überlagerung. Ökonomische Informationen überlagern sich auf eine ganz unmittelbare Weise mit allen anderen Arten von Information, etwa über das Verhalten von Individuen, Gruppen und Bevölkerungen, über ihre Entscheidungen, ihre Vorlieben, ihre Geheimnisse usw., und diese Informationen können über elektronisch-digitale Geldströme ausgelesen werden.

Durch die Überlagerung sind diese Informationen in einer Art Unschärfe gehalten und können für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet werden. Genauer gesagt kann mit diesen Informationen für unterschiedliche Zwecke gerechnet werden. Dieses Rechnen bezieht sich nicht auf das profane Kommodifizieren der Daten. Es geht vielmehr um ein politisches und soziales „Bewirtschaften“ der Daten. Auch dieses Rechnen mit Daten und Informationen geht über ihre bloße Kommodifizierung, also ökonomische (Weiter)Verwertbarkeit hinaus. Es erhält einen eigentümlichen Status, der dem Status der Überlagerung, in dem sich Informationen befinden, entspricht. Denn einerseits kann mit den Daten und Informationen auf eine eng ökonomische und quantitative Weise gerechnet werden, wobei das Rechnen aber auch ein Berechnen ist und zur Programmierung, Algorithmisierung und für KI genutzt wird: Kaufentscheidungen und Konsumverhalten lassen sich rekonstruieren und berechnen, ja vorhersagen und steuern. Und andererseits ist dieses Berechnen entgrenzt, denn es gilt nicht nur für die Ökonomie, sondern im Prinzip für alles, was mit großen Datenmengen und schneller Rechenleistung berechenbar gemacht werden kann: Migrationsströme, Gesundheitsrisiken, Kriminalitätsentwicklung, Wählerverhalten usw.

Diese umfassende Auslesbarkeit des, vereinfacht zusammengefasst, Sozialen ist auch der Grund für die enorme Bedeutung der Frage, wer über die Daten verfügt, wer sie sammeln, auswerten, verwenden und auch manipulieren kann, kurz, wer mit den Informationen rechnen kann. Sind Daten, Informationen und die gesamte Grundstruktur, die mittlerweile daran hängt, nicht eine Art gesellschaftliche Infrastruktur geworden wie einst Energie, Eisenbahn oder die Post (also die klassischen Netze mit ihren Übermittlungen und Strömen)? Sollten die Daten und ihre Infrastruktur wirklich einzelnen großen Quasimonopolen gehören? Oder sind sie dort vielleicht gerade vor staatlichem Zugriff und Missbrauch geschützt? Und wie könnte eine gesellschaftliche Kontrolle jenseits von Staat und privaten Kapitalen aussehen?

Chronos, Kosmos, Logos

Kurzum beide, Geld und Wert, erlangen mit der Digitalisierung einen neuen Status. Das Geld erscheint nicht mehr analog dem Hegelschen Geist, dem „Gott der Philosophen“, der ja bereits eine Art Verweltlichung des christlichen Gottes war. Auf diese Analogie hatte u.a. der Marxismus und die Kritische Theorie zurückgegriffen, aber auch Marx selbst. Vielmehr funktioniert das Geld heute, im Zeitalter einer globalen und zunehmend digitalisierten Ökonomie, des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und des Informationszeitalters, anscheinend wie ein gewaltiger Prozessor. Das Datennetz mit seinen Algorithmen gleicht einem gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Gehirn, in dem Informationen aller Art als Daten unendlich schnell prozessiert und verarbeitet werden. Und darin scheint es das Wesen des Geldes zu sein (insbesondere im Banken- und Finanzsystem, dem zentralen Nervensystem der Ökonomie), Informationen über ökonomische Werte, die sich mit weiteren Informationen überlagern, mit Lichtgeschwindigkeit zu übertragen. Erschien den Philosophen das Geld einst unverfügbar wie ein (Welt-)Geist, so scheint ein passendes Bild für sein unfasslich übersinnliches und doch ungeheurer wirksames Wesen heute der Welt-Computer zu sein.

Das Verschwinden des Geldes im Elektronisch-Digitalen ist indes, wie oben schon gesagt, für mich und meine Mitautoren (nur) der Anlass gewesen, das Geld noch einmal einer Kritik zu unterziehen. Das ist allein schon darum stets akut, weil bis heute keine allseits akzeptierte Theorie oder Kritik des Geldes gelungen ist. Weitgehende Einigkeit besteht bestenfalls darin, dass das Geld seiner Bewältigung durch Wissenschaft und Theorie offenbar Probleme aufgibt. Der notorische Begriff dafür, der von einer Reihe Autoren verwendet wurde, ist das Geldrätsel.  Wenn aber das Geld keine allseits akzeptierte Bestimmung gefunden hat und rätselhaft geblieben ist, legt das zwei Konsequenzen nah. Zum einen scheint dem Geldrätsel nur arbeitsteilig beizukommen zu sein, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Und zum anderen muss der Gegenstand der gemeinsamen Kraftanstrengung diese Rätselhaftigkeit des Geldes sein – vielleicht führt, so unser Gedanke, gerade dieser Umweg über die Bestimmung seiner Rätselhaftigkeit zu einer angemessenen Bestimmung des Geldes. Ja, wenn es gelingt, seine Rätselhaftigkeit zu bestimmen, so ist das vielleicht bereits die Lösung des Geldrätsels.

Von diesen beiden Konsequenzen ausgehend, hat das Buch sich vorgenommen, drei Dimensionen zu bestimmen, die das Geld gleichsam von sich aus herausfordert. Die drei Dimensionen, die zugleich den drei Teilen des Buches „Chronos“, „Kosmos“ und „Logos“ entsprechen, sind 1.) die Ökonomie der Zeitlichkeit, die das Geld eröffnet und geradezu mit sich bringt, 2.) die Kosmologie, die es dadurch in der Moderne entwirft, sowie 3.) die Logik, die es zu etablieren scheint. Die drei Dimensionen werden von den drei Autoren jeweils im Rückgriff auf drei große Geld-Theorien und ihre Autoren vorgenommen, nämlich im Rückgriff auf Marx, Simmel und Hayek. Geld bringt mit der kapitalistischen Moderne also eine Temporalität, einen Kosmos und eine Logik mit sich, und wir argumentieren, dass in allen drei Fällen ein Entzug und Verschwinden des Geldes in diese drei Dimensionen von Anfang an im kapitalistischen Geld angelegt ist.

Was die Dimension der Zeit angeht, so setzt das Geld durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere durch die In-Wert-Setzung und Quantifizierung sowohl der Arbeits- und Produktionsverhältnisse als auch ihrer Resultate, der Waren, eine „Ökonomie der Zeit“ (Marx) in Kraft.

Mit dem kapitalistischen Geld fängt indes nicht nur eine neue – quantifizierte – Zeit durch einen ökonomischen Umgang mit ebendieser Zeit an, es fängt auch eine neue Kosmologie an. Sie fällt zusammen mit der „kopernikanischen Wende“, durch die das alte Weltbild gestürzt und durch einen neuen, nun nicht mehr geozentrischen und gottgegebenen Kosmos ersetzt wurde: Die alten „Verschuldungszusammenhänge“ werden ersetzt durch einen „Bereicherungszusammenhang“. Dieser Bereicherungszusammenhang hängt an einem Geld, das einerseits quasi aus dem Nichts geschöpft werden kann, weil andererseits Reichtum in abstrakter Form unendlich vermehrbar zu sein scheint. Reichtum scheint nicht mehr, wie in vor- und nicht-kapitalistischen Gesellschaften, eine Art Nullsummenspiel zu sein, das letztlich nur auf der Auf-, Ein- und Verteilung einer gottgegebenen und zugleich quasi natürlichen Endlichkeit beruht (darum „Verschuldungszusammenhang“). Vielmehr scheint Reichtum, obzwar er immer ein endliches Dasein führt, aus sich selbst heraus ins Unendliche vermehrbar zu sein – jedoch, ohne dass klar wäre, auf welche Weise dieses Unendliche durch Geld in Anspruch genommen, bewirtschaftet und ökonomisiert wird. Das Unendliche scheint eine Art unsichtbares Drittes zu sein, bei dem sich der kapitalistische Bereicherungszusammenhang durch Geldvermehrung und Wachstum verschuldet und das durch die ständigen gesellschaftlichen Krisen ebenso im endlichen Dasein beständig wiederkehrt, wie es verdrängt wird.

Mit dem kapitalistischen Geld hält schließlich auch eine ökonomische Rationalität und Logik Einzug. Einerseits scheint diese Logik quasi natürlich zu sein, ganz so, als käme im Kapitalismus endlich eine Rationalität zu sich, die überhistorisch ist und insofern schon immer gegolten haben müsse. Andererseits kann die Wirtschaftswissenschaft nicht angeben, was genau im Preis eigentlich in Wert gesetzt ist und was diese geheimnisvolle Qualität ist, die quantifiziert wird. Vor allem aber kann sie die Qualität des Quantifizierens selbst, die uns durch das Geld gegeben ist, nicht recht angeben. So wurde einerseits, besonders im Zuge des Neoliberalismus, die Quantifizierung auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausgedehnt und noch zur Lösung der dadurch entstehenden Probleme eingesetzt (schlagendes Beispiel ist der Emissionshandel), während andererseits die Logik des Quantifizierens selbst ein blinder Fleck blieb.

Das Geld verschwindet also nicht erst, wenn es elektronisch und digital wird. Vielmehr ist es das Wesen des Geldes, sich in seine Darstellungsweise zu entziehen. Es präsentiert uns in diesem Entzug unmittelbar eine Zeitökonomie, ein Weltbild und eine Logik und Rationalität, die jeweils vertrackterweise durch das Geld und durch seinen Entzug so erscheinen, wie sie (schon) ohne Geld zu sein scheinen. Das Geld löst durch die Quantifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse einerseits eine kapitalistische Ökonomie der Zeit ein, und entzieht sich dadurch andererseits in eine Zeit, die durch Geld quantitativ anwesend wird; die Schöpfung und Vermehrung des Geldes und des abstrakten Reichtums führt in der Moderne zu einer radikal neuen Kosmologie, die das Unendliche auf eine unklare Weise in Anspruch nimmt und im Wachstumszwang verendlicht; und das Geld beherrscht eine ökonomische Rationalität, die durch Werte und Preisinformationen mit dem Rechnen des Geldes rechnet, ohne dieses Rechnen des Geldes selbst zu fassen zu kriegen.

In Kürze erscheint eine noch umfangreicher angelegte arbeitsteilige Kraftanstrengung zur Bestimmung des Geldes, nämlich das Handbook of Philosophy and Money. In 2 Bänden wird die Geschichte des Verhältnisses von Geld und Philosophie von der Antike bis zur (Post-)Moderne von einer Vielzahl von Wissenschaftler:innen und Philosoph:innen rekonstruiert.

Frank Engster, Aldo Haesler, Oliver Schlaudt: Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens, Berlin: Matthes & Seitz.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #7: Token

Ein Beitrag von Petra Gehring

15. Februar 2024

Rachel O’Dwyer schreibt als kluge Ethnologin des digitalisierten Bezahl-Alltags. Ihre Umschau zum schillernden „Wert“ nicht nur von Kryptotoken liest sich hinreißend: man ist fasziniert von Vouchern, Giveaways, Amazon-Wishlists, Fortnite-Skins wie überhaupt Gaming-Währungen aller Art, des Weiteren: virtuellen Trophäen, Andenken, Memes – alles das ist informelles Digitalgeld!

„Throughout history, tokens have littered the edges of the economy …” (7). Dieser Ausgangsthese zufolge erscheint offizielles, staatlich abgesichertes und quasi vereindeutigtes Geld geradezu als moderne Ausnahme. Diesseits davon existieren Welten voller Wert-Zeichen, die zirkulieren, temporär in Geltung sind, Käuflichkeit organisieren und Macht verleihen. O‘Dwyer, die am National College of Art and Design in Dublin Digital Culture lehrt, nennt die Träger solcher Wertmarkensysteme (und ihr Buch) Tokens: „As something that is ‘not quite money’, tokens blur the hard edges between legitimate and illegitimate work and legitimate and illegitimate transactions.” (7) Vor der Digitalisierung kannten wir das vereinzelt auch: Rabattmarken, Lebensmittelkarten, Sammelbildchen. Im Netz kommen informelle Bezahlformen nun jedoch in großem Stil zurück: Aus Spiel wird Ernst.

“Tokens confer identity and access.” (10) Digitales Blingbling – nicht Geld, aber money-ish und überall klickbar zu haben sowie spielfigurenartig zu bewegen – ist auch Anerkennungsmittel. Das Wertzeichen kann besagen: Du bist wertvoll, und: Du bekommst genau deshalb, weil du so aussiehst oder dies tust, virtuelles Kapital. Das Spielgeld schafft also vertragsartige Bindungen und steuert: „Tokens can thus […] be a way of attaching special conditions to payments. They can bring spending, eating, parenting, and, well, living in line with the issuer’s objectives. Not just value, then, but values.” (vgl. 10) Ebenso schafft dieses Geld schlimme Belohnungssysteme: physische Demütigungswetten, sadistische “Mutproben”, Online-Sex: „The token is a communication designed to express itself not only with the channel, but immediately and directly on the body of the performer.” (23)

Im Ganzen ist Tokens nicht nur ein cooles, sondern auch ein politisches, zorniges Buch über Geld. Es gibt Kapitel über Tracking durch Geld, über Geld und Identitätsfeststellung, über Code als schlechten Ersatz für Recht und über das Metaverse („Litter is there to create Realism“, 271). Unbedingt lesenswert. Ein einziges Aber: die Begriffswahl. Was alles um Himmels willen nennt O‘Dwyer „Token“? Die Entscheidung für einen Schlüsselbegriff ist sicher immer ein kniffeliger Tauf-Akt. Und sicher ist mein Störgefühl dasjenige einer Philosophin. Token meint aber eben nicht nur Wertzeichen, sondern Zeichen ganz generell. Wären also alle Zeichensysteme letztlich Wertsysteme? Ist das die These: Bedeutung ist (oder wird im Netz) per se Wert?

Zum Einstieg bemerkt O’Dwyer selbst kurz, ihre Verlegerin fände den Begriff zu weit gefasst. Sie räumt ein: Tokens faszinieren als Grenzfall. „A token can be a game, a passcode, a ticket, a social tie, a keepsake, a bribe, a secret message, a gift, a promise, a vote, an ownership stake, a joke, a meme, an art, a flex, a bet, a law, another token.” (11 f.) Die Frage bleibt: Was genau meint more and less than money (11)? Absorbiert die digitale Bezahlfunktion letztlich sogar das Konzept des Zeichens selbst? Oder sprechen wir doch besser dezidiert von Wertzeichen, also von einer zusätzlichen Performance, die – sagen wir: einem digitalen Symbol oder Schriftzug zuwächst, sobald er als bezahlmittelartiger Anreiz Macht gewinnt? Zumindest theoriebegrifflich hieße letzteres: Zwischen „Token I“ (digitales Bezahlen) und „Token II, III, … n“ (Zeichensysteme ohne genau diesen beinahe-Geld-Effekt) wären zu unterscheiden. Auch einen Kapitalismus neuen Typs könnte man wohl nur dann scharf analysieren, wenn man nicht gleich alles im selben Sinne – und sei es ironisch – „Token“ nennt.

Rachel O’Dwyer: Tokens. The Future of Money in the Age of the Platform. London/New York: Verso 2023.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #6: Metaverse

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 4. Januar 2024

Ich seufze. Mein erster lesender Anlauf, zu verstehen, womit Zuckerbergs Firma Meta in den nächsten Jahren alles revolutionieren will. „Metaverse“: Einerseits geht es um virtuelle Realität, um fancy 3D-Spaß, Helm auf und los. Andererseits hat „alles“ mit Geld zu tun – so jedenfalls Matthew Ball, ehemaliger Chefstratege bei Amazon Studios und derzeit wohl Wirtschaftsjournalist. Das Metaverse, schreibt Ball, werde ein „Unternehmensinternet“ sein, es werde „von privaten Unternehmen mit dem ausdrücklichen Ziel des Handels, der Datenerfassung, der Werbung und des Verkaufs virtueller Produkte entwickelt und aufgebaut.“ (31) Und weiter: „Das Metaverse ist als eine parallele Ebene für menschliche Freizeit, Arbeit und Existenz im weiteren Sinne gedacht.“ (173)

Im zehnten Kapitel seines Buches stellt Ball die These auf, „das zentrale Schlachtfeld“ für das ganze Projekt werde der Kampf darum sein, die dominierende „Zahlungsschiene“ im Metaverse zu werden. Zahlungsdienste stehen gegeneinander, aber auch Spieleplattformen, die einerseits Gebühren­systeme, andererseits Erfolge, Trophäen, Level etc. – also symbolische Guthaben – verwalten (und behalten): im Grunde Vorformen von Zahlungsdiensten oder eigentlich sogar mehr. Denn Spieleplattformen ähneln sozialen Netzwerken, verwalten die spielgebundene Online-Existenz, Freund­schaften und Datenspuren der Aktivitäten ihrer Nutzer:innen. Auch der App Store von Apple ist nicht bloß ein Shop, sondern ein gigantischer Zahlungsintermediär. Das zugrundeliegende Geschäftsmodell sichert Apple 30% des Ertrags, den der Verkauf App-Anbieter:innen einbringt. Billiger wird es, wenn Anbieter:innen sich ihrerseits verpflichten, den Nutzer:innen beim Bezahlen zusätzlich Werbung zu zeigen (Werbezeit, die Apple dann auch wiederum verkauft). So bauen virtuelle Bezahlgeschäftsmodelle aufeinander auf. Und die Endkund:innen zahlen mit Geld und Daten. Firmen wie Apple (mit Apple Pay) oder eben auch Facebook, jetzt Meta, streben eine Art Jokerrolle an: Sie liefern Produktportfolios und zugleich Portfolios von Zahlungswegen. Dass es für einen solchen Universaldienst viel profitabler ist, virtuelle Güter zu verkaufen als Dinge, die man „physisch“ produzieren, versenden und zustellen muss, versteht sich von selbst.

Das Metaverse wiederum? Wäre wohl – habe ich es richtig verstanden – eine Art Riesen-Obervermieter für Dienste, die auf allen möglichen Geräten und Betriebssystemen laufen. Aber ein exklusiv Meta gehörendes 3D-Portal würde genutzt, um in virtuellen Räumen wiederum 3D-Versionen von was auch immer im Netz oder in einer Cloud abspielbar bzw. „besuchbar“ ist, vorzuhalten – zwecks Kaufs oder kostenpflichtiger Teilnahme, kostenpflichtigem Konsum. Ball nennt: Bildung, Lifestyle, Unterhaltung, dazu Sexarbeit und „Mixed-Reality-Orgien“ (263). Er findet das Leistungsspektrum okay, mir scheint es deprimierend. Was könnten Applikationen an noch Hässlicherem vermarkten? Kriege? Sklaverei? Voodoo-Verfluchungen? Gladiatoren? Gehirnwäsche? Folter?

Im relativ besten Fall dürfte es jede Menge Kontrollen, Aufsicht, Überwachung – und neue Kosten – geben, um das zu verhindern.

Matthew Ball: Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird (2022). München: Vahlen 2022.

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Autor: Carola Westermeier und Marek Jessen Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: hellblau

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Den digitalen Euro als öffentliches Gut entwickeln

Ein Beitrag von Carola Westermeier und Marek Jessen

15. November 2023

Auch wenn der Mehrwert eines digitalen Euros auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich ersichtlich ist, bringt er doch viele Chancen mit sich: auf mehr Souveränität für europäische Anbieter und Bürgerinnen und Bürger. Dafür müssen allerdings noch ein paar Weichen gestellt werden.

Das Eurosystem hat eine wichtige, vielleicht sogar historische Entscheidung getroffen. Die Notenbanken der Länder, die den Euro eingeführt haben, und die Europäische Zentralbank (EZB) werden die Entwicklung eines digitalen Euro weiter vorantreiben und in einigen Jahren könnten europäische Bürgerinnen und Bürger Zugang zu einer neuen Art des Geldes haben. Kritische Stimmen werfen dem Projekt vor, dass es keinen Mehrwert habe. Ob ich 50 Euro mit meiner EC-Karte oder mit dem digitalen Euro ausgebe, ist meinem Kontostand egal, er wird verringert. Allerdings reduzieren die Kritikerinnen das Bezahlen mit einer solchen Argumentation auf den Austausch von Werten. Im digitalen Zeitalter sind Bezahlen und der Einsatz des Geldes in Transaktionen jedoch weit mehr.

Alles neu macht der digitale Euro – aber was eigentlich genau?

Es scheint paradox: Der digitale Euro wird unser Bezahlverhalten womöglich kaum verändern, obwohl er eine völlig neue Form des Geldes darstellt. Mit dem digitalen Euro nimmt Zentralbankgeld – die sicherste Form des Geldes, da die Zentralbank hinter ihr steht – eine digitale Form an, die für alle zugänglich sein soll. Bisher war diese Form des Geldes und die damit verbundene direkte Forderung gegen die Zentralbank lediglich mit dem Bargeld vorhanden.

Derzeit jedoch liegen alle digitalen Formen des Geldes in den Händen der Privatwirtschaft und stellen eine Forderung der Bürgerinnen gegen diese dar. Entsprechende Einlagen sind bei dem jeweiligen Kreditinstitut über die gesetzliche Einlagensicherung bis zu 100.000 € geschützt. Der digitale Euro soll die Versorgung mit Zentralbankgeld, für das es keine Einlagensicherung braucht, auch im digitalen Zeitalter und bei gleichzeitig rückläufigem Gebrauch von Bargeld sicherstellen.

Eine Frage der europäischen Souveränität

Derzeit ist digitales Bezahlen vor allem ein Markt, in dem Unternehmen um Anteile kämpfen, um über Gebühren Gewinne zu erzielen. Zahlungsdienstleister können Transaktionen aufgrund ihrer Geschäftsbedingungen untersagen und sind verpflichtet, Sanktionen durchzusetzen. In Europa dominieren vorwiegend nicht-europäische Akteure diesen Markt, während europäische Transaktionen über ihre Netzwerke laufen. Ein Umstand, den europäische Institutionen bereits zu Zeiten der Trump-Administration in den USA als Gefahr für die Souveränität des Euroraums identifiziert haben.

Der digitale Euro hingegen soll auf Infrastrukturen basieren, die in europäischer Hand liegen. Die Ausgestaltung dieser technischen Infrastrukturen wird in den kommenden Jahren konkretisiert und könnte entscheidend für die Akzeptanz des neuen Geldes sein. Die besten Chancen für eine breite Adaption bieten sich, wenn sich der digitale Euro von den genannten Marktlogiken löst und vielmehr als öffentliches Gut entwickelt wird, bei dessen Entwicklung die Rolle des Geldes in all seinen Facetten überdacht und digitales Geld im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gestaltet wird.

Datenschutz als höchste Priorität

Ein zentrales Thema wird dabei der Schutz der Privatsphäre und der Umgang mit den anfallenden Daten sein. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist dies der zentrale Aspekt des Bezahlens, das haben Befragungen im Auftrag der EZB gezeigt. Zugleich fehlt das Bewusstsein, was bereits im derzeitigen Modell mit den eigenen Daten passiert und wie diese ausgewertet werden können.

Transaktionen im digitalen Raum hinterlassen Daten, die für die Abwicklung von Zahlungen notwendig sind. Bereits heute werden Transaktionsdaten genutzt, um gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorzugehen. Hierbei arbeiten Banken, die etwa verpflichtet sind, verdächtige Transaktionen zu melden, und Strafverfolgungsbehörden eng zusammen. Die Analyse von Transaktionsdaten beruht also auf der einen Seite auf regulatorischen Vorgaben, sie sind aber auch für kommerzielle Zwecke interessant. Finanztransaktionsdaten bieten umfangreiche Einblicke in das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer und sind somit besonders aussagekräftige und sensible Daten. Die EZB hat wiederholt betont, dass sie kein Interesse an der kommerziellen Nutzung von Transaktionsdaten hat. Dennoch wird es eine Herausforderung sein, die Interessen der unterschiedlichen Akteure im Laufe des weiteren Prozesses in Einklang zu bringen.

Die konkrete Rollenverteilung für den digitalen Euro und welche Intermediäre eingebunden werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Grundlegend ist vorgesehen, dass die EZB den digitalen Euro ausgibt und er Nutzerinnen und Nutzern durch Intermediäre, wie Banken und Zahlungsdienstleister, über Wallets zugänglich gemacht werden soll. Der digitale Euro soll für alltägliche Bezahlfunktionen, wie beispielsweise an der Ladenkasse oder im Onlinehandel, aber auch zwischen Privatpersonen, genutzt werden.

Gesetzesvorschlag muss Datensammelwut besser vorbeugen

Obwohl die EZB eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des digitalen Euro spielt, sollte nicht übersehen werden, dass sie nicht allein über dessen Ausgestaltung entscheidet. Die Einführung des digitalen Euro erfordert die Schaffung einer entsprechenden rechtlichen Grundlage. Die Europäische Kommission hat im Sommer einen ersten Legislativvorschlag vorgelegt, der nun Rückmeldungen erhält. Der Datenschutz spielte darin eine wichtige Rolle. Laut aktuellem Bericht der EZB sollen Intermediäre dabei personenbezogene Daten lediglich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für Aufnahme von Kundinnen und Kunden und die Abwicklung der Zahlung verarbeiten. Jegliche Nutzung dieser Daten für kommerzielle Zwecke erfordert nach den Plänen der EZB die ausdrückliche Zustimmung vonseiten der Nutzerinnen und Nutzer. Diese Klarheit sollte sich auch im Gesetzesentwurf wiederfinden. Ein klar umrissener Katalog, der die Zwecke der Datenverarbeitung präzise darlegt, schafft Rechtssicherheit für die Intermediäre und fördert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Gleiches gilt für die EZB und das Eurosystem. Es muss klar sein, welche Daten verarbeitet werden und dass keine nachträgliche Zuordnung der Identität der Nutzerinnen und Nutzer der Daten möglich ist. Um dem Überwachungspotential einer zentralisierten Datensammlung vorzubeugen, empfehlen europäische Datenschützerinnen und Datenschützer, die mit dem Kundenmanagement (insbesondere Verwaltung digitaler Euro-Accounts) verbundenen Aufgaben dezentral und damit über Intermediäre zu organisieren. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass ab einem bestimmten Punkt Daten in aggregierter Form der EZB zur Verfügung stehen, da sie den digitalen Euro ausgibt und über die im Umlauf befindliche Geldmenge Kenntnis hat. In dem gesetzlichen Rahmenwerk sollte eindeutig festgelegt werden, dass diese Daten nach Pseudonymisierung keine nachträgliche Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer ermöglichen.

Auch wenn die Vorzüge des Bargelds nicht vollständig in den digitalen Raum transferiert werden können, ist es wünschenswert, dass Zahlungen zumindest unter einem gewissen Schwellenwert komplett anonym möglich sein sollen. An vielen – vor allem ländlichen – Orten sind Bargeldzahlungen nicht mehr möglich, weil die entsprechenden Geschäfte außer Reichweite und Online-Bestellungen die einzige Möglichkeit sind, an bestimmte Waren zu gelangen. Der Schutz der Privatsphäre beim Bezahlen sollte jedoch keine Frage des Wohnortes sein, sondern ist im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger.

Nach Aussage von Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, wird es voraussichtlich noch etwa fünf Jahre dauern, bis der digitale Euro für Zahlungen genutzt werden kann. Diese Zeitspanne sollte als eine Gelegenheit betrachtet werden, den digitalen Euro nicht als kommerzielles Projekt, sondern im Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln. Ein starker Datenschutz spielt dabei eine wichtige Rolle.

Redaktionelle Notiz: Dieser Text wurde im Tagesspiegel Background (KI & Digitalisierung: Standpunkte») am 6. November erstveröffentlicht.

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Autor: Caroline Marburger eFin-Blog Farbe: hellblau

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Alexandra Keiner im Interview mit Caroline Marburger

2. November 2023

Alexandra Keiner ist Soziologin und forscht als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weizenbaum-Institut Berlin zu Finanzinfrastrukturen, Plattformökonomie und Regulierung von Internetpornographie. Beim von ZEVEDI in Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt veranstalteten Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen mit dem Titel Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt war sie als Expertin für Bezahlverbote dabei. Caroline Marburger von eFin & Demokratie hat mit ihr über ihre Forschung geredet und darüber, wie sie diesen Abend und die 1:1-Gespräche mit Nichtexpert:innen wahrgenommen hat.

Frau Keiner, wie sind Sie eigentlich auf Ihr Thema „Bezahlverbote im Netz“ gekommen und mit welchen Fragen befassen Sie sich in Ihrer Forschung?

Meine Abschlussarbeit habe ich über die staatliche und private Regulierung von Pornographie im Internet geschrieben. Darüber, wie eine Art Zweiteilung des kommerziellen Internets entstanden ist: Auf der einen Seite stehen Big-Tech-Unternehmen, die die Darstellung pornografischer und sexueller Inhalte zunehmend einschränken. Und auf der anderen Seite die Internet-Pornographie-Industrie, wo eine starke Machtkonzentration zugunsten der großen Pornographie-Plattformen zu beobachten ist.

Und dann wurde mir schnell klar, welche wichtige Rolle Zahlungsdienstleister im Netz spielen – und zwar für beide Seiten. Daraus ergab sich für mich eine breitere und intensivere Auseinandersetzung mit Fragen der Rolle von Zahlungsinfrastrukturen und finanzieller Inklusion: Wer wird warum und wie von der Nutzung bestehender, insbesondere grenzüberschreitender Zahlungsinfrastrukturen ausgeschlossen? Inzwischen untersuche ich dies insbesondere am Beispiel der Digitalisierung von Auslandsüberweisungen.

Wie können wir uns das denn konkret vorstellen? Haben Sie ein Beispiel für Ausschlussverfahren durch Zahlungsdienstleister, die Sie aus Ihrer Forschung kennen?

Zum Beispiel bei der Internetpornographie, wo viele Performer:innen in Lateinamerika leben, aber ihre Kund:innen in Europa oder den USA: Die Performer:innen sammeln ihre Einkünfte, die sie meist über Plattformen erwirtschaften, meist auf ihrem Paypal-Account. Erfahrungsberichte in Interviews, Studien oder Social Media Posts, die sich mit dem Konsum und dementsprechendem Bezahlen von pornografischen Inhalten im Netz beschäftigen, zeigen: Meist ist Paypal die komfortabelste Option oder sogar die einzige Option, die die Plattformen überhaupt anbieten. Außerdem sind Brasilien, Bolivien, Argentinien zum Teil Länder mit unglaublich hoher Inflation. Anbieter:innen von dort haben also gute Gründe, die Zahlungen, die sie in Euro oder Dollar erhalten, als Paypal-Guthaben auf ihrem Account liegen zu lassen.

Paypal hat 2019 beschlossen, die Zahlungen auf einer der größten Porno-Plattformen einzustellen. Aber die Frage ist: Für wen gilt das? Wenn ich jetzt dort bei Pornhub ein Premiumkonto habe, dann wird mein Paypal-Konto nicht gesperrt. So ein Konto bleibt natürlich unangetastet, die Konsument:innen bleiben unbelangt. Der einzige Nachteil ist, dass Paypal auf dieser Plattform nicht mehr als Zahlungsoption zur Verfügung steht.

Aber auch das Konto der betreibenden Unternehmen bleibt unberührt. Pornhub bzw. das dahinterliegende Unternehmen Mindgeek sagt, sie seien nur eine Werbe- oder Datenplattform. Die Werbetreibenden wiederum sagen, sie würden nur Werbung schalten. Die Einzigen, die davon betroffen sind und ihr Geld nicht bekommen, sind Hunderttausende von Performer:innen oder Produzent:innen, weil dort, so die Aussage, die Situation klar sei. Die verdienen ihr Geld zu 100 Prozent mit Pornographie, die anderen nicht.

Ihr Paypal-Konto mit, sagen wir, 5000 Euro, wird eingefroren. Die Darsteller:innen haben dann vorerst keinen Zugang mehr. Gemäß der AGB ist Paypal zu solchen Maßnahmen berechtigt. Wie Performer:innen bezahlt werden oder ob sie überhaupt bezahlt werden, wird immer undurchsichtiger und trotzdem läuft das Geschäft natürlich weiter, nur die Bezahlung wird schwieriger.

Was wird von Zahlungsdienstleistern denn konkret reguliert?

Im beschriebenen Fall verwies Paypal auf seine AGBs, wonach Zahlungen für sexuell orientierte Produkte und Dienstleistungen untersagt werden können. Sie geben in ihren AGBs auch an, dass sie Zahlungen von terroristischen Organisationen oder extremistischen Gruppen verbieten.

Die Frage bleibt aber: Was tun sie konkret? Denn sie müssen ihr Handeln nicht im Einzelfall begründen. Daher ist es schwierig nachzuweisen, wo genau die Mechanismen greifen. Gerichtsurteile und vorliegende Studien zeigen aber, dass die bestehenden Mechanismen letztlich dafür sorgen, dass eher linke als rechte Gruppen, eher kleine als große Unternehmen, eher Frauen als Männer, mehr im globalen Süden betroffen sind – mehr als etwa rechte Organisationen in den USA.

Gibt es denn eine Kooperation zwischen Zahlungsdienstleistern und staatlichen Stellen?

Um nicht (noch) stärker reguliert zu werden, arbeiten Zahlungsdienstleister auch über die normale Gesetzeslage hinaus vermehrt mit Staaten zusammen. Die kanadische Soziologin Natasha Tusikov nennt diese Abmachungen handshake deals. Das kann zum Beispiel heißen: Das US-Markenrecht soll weltweit eingehalten werden, also wird eine entsprechende „Schwarze Liste“ erstellt. Kommt bei Transaktionen ein Name von dieser Liste vor, also zum Beispiel ein Name, hinter dem der Verkauf von Raubkopien vermutet wird, dann werden diese Transaktionen automatisch ohne Überprüfung unterbunden. Auch wenn die Betroffenen nicht der US-Gesetzgebung unterliegen.

Es kann auch sein, dass bestimmte Wörter in Transaktionen ausreichen, um zum Problem zu werden. Zum Beispiel Aleppo-Seife. Potenzielle Käufer:innen dieser Seife können, da hier versucht wird, Terrorfinanzierung zu verhindern, in einem normalen Onlineshop nicht mehr mit Paypal bezahlen.

Sie verstehen also bei aller Kritik den Erfolg von Paypal? Und meinen Sie, man sollte es nutzen?

Es ist klar, dass es so erfolgreich ist, weil es im Vergleich einfach, schnell und teilweise günstig ist. Wenn man dem Problem mit dem Vorwurf begegnet „Was nutzt du denn auch Paypal?“, oder es boykottiert, dann wird das Problem wieder individualisiert. Du benutzt deren Dienste eben, weil es einfach ist und weil es viele Möglichkeiten bietet, die es vorher nicht gab, aber die es geben sollte.

Sie befassen sich derzeit mit dem Phänomen der Rücküberweisungen oder „remittances“ auf Englisch , also damit, dass Menschen entweder in ihre Herkunftsländer oder an Familienmitglieder im Ausland Teil ihres Lohnes überweisen – meist in vergleichsweise ärmere Länder. Diese Überweisungen gelten als ein Kernbestandteil des globalen Finanzsystems, zumal ihr Volumen das humanitärer Hilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer übersteigt. Man geht davon aus, dass diese Finanzflüsse wesentlich zu Stabilität und Wachstum der Länder beitragen, in die diese Gelder fließen. Wie verbindet sich dieses Feld mit dem, was Sie bisher erforscht und wir besprochen haben?

Ich hatte aus meiner bisherigen Forschung die Erkenntnis mitgenommen, dass die Einschränkungen und Probleme von Zahlungsinfrastukturen bestimmte Personengruppen mehr als andere betreffen. Und dann bin ich auf Western Union aufmerksam geworden. Ich habe mich gefragt, warum zum Beispiel in Berlin-Mitte immer noch Menschen Schlange stehen, um Geld für ihre Verwandten im Ausland aufzugeben. Ändert sich hier etwas durch die Digitalisierung? Digitalisieren sich auch Unternehmen wie Western Union? Und was hat das dann für eine Bedeutung, wenn sich die Macht über diese Rücküberweisungen in so wenigen Unternehmen konzentriert? Was bedeutet es gesellschaftlich, dass es eine gänzlich parallele Infrastruktur gibt, deretwegen bestimmte Menschen mit horrend hohen Gebühren Geld zur Unterstützung ihrer Familien ins Ausland schicken, während deutsche Bürger:innen ohne Migrationsgeschichte dies kaum kennen, da sie selbst zumindest in den meisten Fällen so gut wie gebührenfrei überweisen.

Kommt für diese Auslandsüberweisungen eigentlich auch Paypal in Frage? Oder Kryptowährungen?

Paypal, ja, teilweise, sofern man ein Bankkonto hat. Das haben viele der Empfänger:innen der Rücküberweisungen nicht. Es gibt auch Länder die gänzlich ausgeschlossen sind, wie Iran, Nordkorea und derzeit Russland. Überweisungen via Paypal können aber je nach Wechselkurs und Zielland sehr teuer sein. Auch beim Währungsumtausch erhebt Paypal ggf. hohe Gebühren und zudem tauscht es das Geld der Sender:innen zu schlechteren Wechselkursen um.

Das gilt auch für Western Union: Nach dem Erdbeben in Marokko warben sie damit, dass die Überweisungen für ein paar Wochen gebührenfrei wären. Aber diese Werbung war mit Sternchen versehen und nahm die Währungsumrechnung davon aus. Ihr Verdienst liegt schließlich neben den Gebühren in der sogenannten Wechselmarge, also der Differenz zwischen dem von ihnen angebotenen und dem aktuellen Marktkurs. Letztlich werden so mit einer Aktion, die immer noch Verdienst erlaubt, ggf. ganz neue Kunden gewonnen – eben die, die den Opfern finanzielle Hilfe zukommen lassen wollen.

Krypto kann teilweise eine Option sein, aber dafür muss man sich mit der Infrastruktur auskennen und es ist nicht immer gebührenfrei. Wenn ich jetzt beispielsweise meinem Opa in Rumänien Geld schicken wollen würde: Er würde es mit Krypto nicht hinbekommen. Das heißt, vereinzelt ja, aber da ist die Schwelle recht hoch. Ich halte das noch nicht für eine gangbare Option.

Warum, meinen Sie, wird bei aller Kritik an Internetplattformen so wenig über die Zahlungsdienstleister im Netz diskutiert? Was genau beim digitalen Bezahlen passiert, ist eigentlich nie Thema. Ist das wirklich zu schwierig? Oder nutzen wir es schlicht, weil es so schön einfach ist und denken gar nicht drüber nach? Sind wir da gutgläubig?

Ich glaube, es ist auch nicht zu unterschätzen, dass es den Anschein einer rein technologischen Lösung hat: eine App, die wir schlicht als Lösung eines früheren Problems akzeptieren, oft ohne größere Fragen zu stellen. Das war kompliziert, hat früher mehrere Tage gedauert und was gekostet. Und jetzt plötzlich geht es ganz schnell und kostet kaum was. Toll, dass die Digitalisierung das geschafft hat. Nehme ich. Muss es doch auch für alle geben.

Über diese Forschungsthemen bzw. konkreter das Thema Bezahlverbote haben Sie mit Laien in einem Tischgespräch auf dem Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens» gesprochen. Ein Gespräch, das ihre Gegenüber am Marktschalter für einen Euro gebucht hatten. Titel dieses Marktes war „Follow the Money“. Könnten Sie schildern, wie Sie den Abend wahrgenommen haben?

Du wirst eingelassen und dann erfasst es Dich. Es ist zum einen echt, wirkt authentisch, eben ein vielstimmiges Gespräch zahlreicher Expert:innen und ihrer Gegenüber. Gleichzeitig ist aber auch ein performiertes Marktgeschehen. Diese Mischung war unglaublich spannend.

Durch das Programm zu gehen und so viele Leute zu sehen, die sich dafür interessieren, das war schön. Ich gebe zu, ich war ein wenig besorgt, meine Gesprächspartner:innen zu enttäuschen. Schließlich gab es so viele spannende Themen. Der Experte am Nachbarstisch kann buchstäblich zaubern – und ich erzähle was vom Zahlungsverkehr.

Stimmt, das ist harte Konkurrenz. Aber diese Sorge hat sich schließlich gelegt, oder?

Man denkt kurz: Habe ich überhaupt was zu erzählen? Was könnte ich sagen? Aber die Gespräche waren dann sehr angenehm und kurzweilig.Meine Gesprächspartnerinnen waren beide aus der Kreativszene, keine, die irgendwie 3.000 € im Monat auf ihr Konto bekommen, sondern eben auch Minusstände kennen. Und bei einer gab es die Angst, dass irgendwann die Existenz unsicher wird. Was, wenn ihre Kunst plötzlich als problematisch oder pornografisch gilt und kein Geld mehr fließt. Welche Umstände könnten ggf. dazu führen, dass man selber ins Hintertreffen gerät?

Welche Frage oder Ansicht hat Sie ggf. überrascht?

Besonders überrascht hat mich die Frage, warum die Staaten nicht in die Macht der großen Finanzakteure eingreifen, auch wenn diese international agieren. Eine andere Frage war, warum es überhaupt rechtlich möglich sei, Menschen einfach von Finanzdienstleistungen auszuschließen. Es müsse doch so etwas wie ein Grundrecht auf (internationalen) Geldtransfer geben.

Hat es Sie im allerersten Moment nicht vielleicht auch überrascht, dass Paypal so einfach Zahlungen unterbinden kann?

Doch, mir ging es auch so, aber in der letzten Zeit habe ich mich weit davon entfernt. So dass ich jetzt dachte, es sei merkwürdig, dass Bürger:innen davon ausgehen, man habe generell sowas wie ein Recht auf ein Bankkonto oder ein Recht auf Bezahlung.

Ich finde auch zunehmend, dass wir das in der Schule lernen sollten. Ich habe ja Sozialwissenschaften studiert und nicht Ökonomie. Und als ich zu diesem Thema gekommen bin, hatte ich erstmal wenig Ahnung und das fühlt sich ungut an. Man denkt: Bin ich naiv? Warum weiß ich das nicht? Aber letztlich scheint es mir strukturell bedingt, dass man so wenig weiß über so eine wichtige Infrastruktur oder darüber, wie eigentlich Banken und Geldschöpfung funktionieren.

Sie sagen, es sei strukturell bedingt. Was glauben Sie, sind die Ursachen? Haben Sie eine Hypothese?

Ich glaube ich habe zwei Antworten. Die eine wäre offiziell und die andere, sehr zugespitzt, was ich selber denke.

Ich fange mal mit der Offiziellen an. Man könnte es als eine Art Abkopplung beschreiben. In dem Moment, als das Geldsystem überhaupt sich tiefgreifend verändert hat. Der Finanzmarkt wurde beispielsweise mit dem Big Bang von 1986 in London sukzessive dereguliert und in England und den USA eröffneten sich völlig neue Dimensionen– eine Welle, dem auch der streng regulierte Finanzmarkt Deutschlands sich als Exportnation nicht gänzlich entziehen konnte. Der Finanzmarkt wurde komplizierter, aber auch schneller und größer. Und gleichzeitig sollten, glaube ich, die Leute nicht zu sehr verwirrt werden. Es gibt im Buch „Zentralbankkapitalismus“ von Joshua Wullweber ein Vorwort von Rainer Voss, einem ehemaligen Investmentbanker und inzwischen Befürworter einer gerechteren Finanzpolitik, in dem sagt er sinngemäß zur Entwicklung seit den 80er Jahren: „Da haben wir als Banker einfach die Tür zugemacht und gesagt, nee, wir wollen auch gar nicht, dass das jemand en detail versteht“.

Zugespitzt würde ich zudem sagen, dass gewisse Gruppen bei der vehementen Ungleichheit, die existiert, vielleicht nicht unbedingt wollen, dass alle sich im Klaren darüber sind, wie viel Macht Banken eigentlich haben, indem sie Geld schöpfen, und wie unsicher Geld sein kann.

Gab es Aspekte ihres Themas, die nicht vorgekommen sind, aber die Sie persönlich auch spannend gefunden hätten?

Die geopolitischen Aspekte dahinter, gerade heute. Zum Teil ist die Infrastruktur durch Krisen, Konflikte und Krisen fragmentierter. Man kann kein Geld mehr gen Russland senden. Das kann man natürlich angesichts des Angriffskriegs verstehen und gutheißen. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die im Ausland arbeiten und ihrer Familie in Russland kein Geld mehr schicken können. Oder Arbeitsmigrant:innen in Russland, die ihren Familien in Moldawien und Kasachstan kein Geld mehr schicken können. Oder humanitäre Organisationen, die kein Geld mehr bekommen. Für Arbeitsmigrant:innen mit geringem Einkommen bedeutet das höhere Kosten und unsichere Wege, während Oligarchen und Menschen mit mehr Ressourcen und besseren Netzwerken viel leichter alternative Wege finden.

Und was haben Sie als Expertin aus dem Gespräch mit jemandem, der kein Vorwissen hat, mitgenommen? Lernt man selber etwas?

Ja, auf jeden Fall. Was mir schönerweise durch diese Gespräche ganz stark bewusst geworden ist: die Relevanz des Themas. Ich glaube bis zu diesen beiden Gesprächen war ich mir nur im Abstrakten darüber im Klaren. Aber es ist ein relevantes Thema, wie dieser Zugang zu Zahlungsinfrastrukturen vergeben oder auch wieder genommen wird. Vielleicht geht es weniger um staatliche vs. private Akteure, sondern darum: Wer hat Zugang und wie wird er beherrscht oder reguliert? Und was können wir ggf. dagegen tun?

Es gibt ja in Sachen Finanzdienstleistungen selten kollektive Empörung. Aber ich habe die Empörung bei den Gesprächspartnerinnen gemerkt „Wie, ich kann nichts machen? Dann beschwere ich mich doch wenigstens bei meiner Bank!“. Aber die Bank hat auch nur einen Vertrag mit entweder Visa oder Mastercard. Mir ist deutlich geworden, dass beiden, die keineswegs naiv waren, sobald sie sich das Thema vor Augen geführt haben, das Potenzial von Zahlungsinfrastrukturen bewusst wurde: die gesellschaftlichen Chancen wie auch die Risiken.

Ich habe dazugelernt, dass es nicht stimmt, dass die Leute sich nicht dafür interessieren oder die Problematik nicht sehen. Die Fragen, die gestellt wurden, waren eigentlich sozial- oder politikwissenschaftliche Fragen. Und leicht hat man das Gefühl, man arbeite an etwas, für das sich niemand interessiert. Schließlich sind Finanzinfrastrukturen ein absolutes Nischenthema in der (Wirtschafts)Soziologie. Oft wird abgewinkt, weil man befürchtet, es sei schwer nachvollziehbar. Daher war es für mich ganz wichtig zu merken, dass es Relevanz hat, sich doch ein paar mehr mit diesen Themen befassen und es eben auch ein Publikum dafür gibt. Es hat für mich wie eine Art Empowerment gewirkt, auch andere Frauen zu sehen, die Wissenschaftler:innen und Expert:innen sind, auch aus anderen Disziplinen und aus dem globalen Süden.

Was nehmen Sie also mit?

Dass man reden muss. Auch gar nicht im Sinne von Aufklärung. Mangelnde Financial Literacy bzw. finanzielle Kompetenz ist nicht das einzige Problem. Es geht weniger oder nicht nur darum, wie Leute mit ihrem Geld umgehen, sondern DIESE Art von Gesprächen zu haben, die beide auf eine andere Ebene bringen und aus denen sich wichtige Fragen ergeben. Keine Begegnung der Art: Ich habe Ahnung, du hast keine und ich erkläre das jetzt mal. Das Gefühl hatte ich an dem Abend nicht und als ich die anderen beobachtet habe, schien mir das auch nicht so zu sein.

Sie haben es selber sehr schön gesagt: Es geht ja gar nicht um Aufklärung von oben nach unten. Aber wo anfangen, wo sehen Sie besonders viel Veränderungsnotwendigkeit oder -potenzial?

Ich würde mir nach wie vor wünschen, es würde in den Sozialwissenschaften weniger Nischenthema sein. Und wie bereits gesagt, fände ich es unglaublich wichtig, dass schon in der Schule thematisiert wird, wie etwa eine Bank funktioniert. Dass man sehr früh anfängt und idealerweise eine Selbstsicherheit bei Jugendlichen und Bürger:innen erzeugt, zu sagen: „Ich weiß zumindest diese Grundsätze. Dann kann ich vielleicht auch die Nachrichten und die Zeitung besser verstehen, und das auch als für mich relevant wahrnehmen.“ Das Problem dabei ist gar nicht die Komplexität, sondern wie man das rüberbringt.

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Autor: Isabel Schmidt eFin-Blog Farbe: hellblau

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld ft. Geld für Krypto-Werbung

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld ft. Geld für Krypto-Werbung

Ein Beitrag von Isabel Schmidt

vom 7. September 2023

Kim Kardashian hat es getan, aber auch Madonna, Larry David, Lebron James, Justin Bieber und Floyd Mayweather und andere mehr: Die Liste der Stars aus Unterhaltung und Sportindustrie, die für Kryptowerte, -handelsbörsen und NFTs Werbung gemacht haben, ist lang.1Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».

Als Höhepunkt kann dabei 2021 bis in die Anfänge des Jahres 2022 gelten. Kryptokurse – allen voran Bitcoin – erreichten ihr Allzeithoch und es herrschte ein Run auf NFTs. Und mitten drin Hollywood: Schauspieler Matt Damon warb für die Handelsbörse Crypto.com mit dem Slogan „Das Glück ist mit den Mutigen“. Paris Hilton tauschte sich mit Late-Night-Talker Jimmy Fallon in dessen The Tonight Show über ihre Bored-Apes-NFTs aus. Gisele Bündchen und Tom Brady standen als Testimonials für die US-Kryptobörse FTX in den Medien. Deutlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war dann die Werbesequenz in der Superbowlpause im Februar 2022 – hier traten zum ersten Mal Kryptounternehmen wie FTX, eToro, Crypto.com und Coinbase in Erscheinung.

Zwei Jahre später hat sich die Lage komplett verändert: FTX ist zusammengebrochen, viele Anleger:innen haben viel Geld verloren. Der Gründer, Sam Bankman-Fried, steht in den USA vor Gericht. Bitcoin brach zwischenzeitlich auf bis unter 16.000 Dollar ein. Andere Kryptowerte fielen noch stärker. Dieser sogenannte Kryptowinter hält zum Teil noch an und der massive Verlust am Markt sorgt dafür, dass auch Werbedeals der Stars und Sportler:innen zurückgingen.

Und nicht nur das: Nach dem Absturz der Kryptowerte erheben Anwaltskanzleien in den USA nun Anklage gegen jene Prominente, die nicht offenlegten, dass sie für ihre Werbung bezahlt wurden.

Der Einsatz von Stars zur Wertsteigerung von Kryptoassets wird vor Gericht zumindest in den Vereinigten Staaten als illegal eingestuft. Auch für Kim Kardashians Werbung über Instagram hatte dies bereits ein Minusgeschäft zur Folge: Sie hatte ihre Story aus dem Jahr 2021 über EMAX-Token, einem Kryptowert von EthereumMax, zwar mit dem Hashtag „#AD“ als Werbung markiert, das reichte vor Gericht aber nicht als Hinweis darauf aus, dass sie als Gegenleistung 250.000 Dollar erhielt.Der EMAX-Token fiel nach einem rasanten Anstieg innerhalb kurzer Zeit auf einen Kurs von weit unter einem Cent, enttäuschte Anleger:innen zogen in den USA vor Gericht und waren mit ihrer Klage erfolgreich: Kim Kardashian wurde auf 1,26 Mio. Dollar verklagt und darf drei Jahre lang keine Werbung für Kryptoassets machen.

Mindestens zwei weitere Sammelklagen gegen FTX sowie Yuga Labs und Moonpay und seine prominenten Unterstützer:innen laufen in den USA aktuell. Darunter sind etwa Paris Hilton, Snoop Dog, Jimmy Fallon, Justin Bieber und Madonna.2 Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.

Und natürlich ist diese Art der Werbung nicht ausschließlich in den USA verbreitet, sondern ein internationales Phänomen. Und es werden immer mehr Reaktionen darauf sichtbar. Bei Netflix gibt es seit Neuestem einen Bann für Kryptowerbung, auch die UEFA hat Richtlinien eingeführt – einzig Facebook/Meta geht in die andere Richtung. Hier galt bis 2018 ein Verbot, das nun wieder aufgehoben wurde.   

Auch in Deutschland haben bereits Prominente ihre Gesichter hergehalten, jedoch sind Sammelklagen hierzulande nicht möglich und die Kontroverse rund um die Dotcom-Blase3Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte. hat bereits gezeigt, dass es schwieriger ist, vor Gericht einen Zusammenhang von Werbung und Kauf zu beweisen. 

Viele Faktoren beeinflussen Kryptokurse. Neben Preisschwankungen durch Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage nehmen bestimmte Ereignisse kurz- wie langfristigen Einfluss. Zum Beispiel politische Entscheidungen können kurzfristig beeinflussen: Zinserhöhungen, aber auch Regulierungsbestrebungen sorgen für reichlich Bewegung. Und Verbraucher:innen sind damit noch nicht vertraut. Gleichzeitig lösen die Geschichten rund um Bitcoin-Millionär:innen FOMO-Effekte („Fear of missing out“) aus, die geschickt durch Marketing bedient werden können.  

Mittlerweile wird auch in Europa über die Form der Kursbeeinflussung durch Werbung diskutiert . Immer mehr nationale Finanzbehörden ziehen die Notbremse und führen ein Verbot von Werbungen für virtuelle Währungen ein – wie unlängst Großbritannien, wo nun bis zu zwei Jahre Haft drohen können.

Hype or harm – so heißt eine Studie des europäischen Verbraucherverbands (BEUC), der aus 46 unabhängigen Verbraucher:innenorganisationen aus 32 Ländern besteht. Die am 8. Juni 2023 erschienene Studie setzt sich mit der Frage auseinander, welche Gefahr von Werbung für Krypto in sozialen Medien für Verbraucher:innen ausgeht.4Die Studie ist hier» abrufbar. Insbesondere Instagram, YouTube, Twitter und TikTok werden hier als „Hauptakteure“ identifiziert und wegen ihrer Unterstützung bei irreführender Werbung für Kryptoassets Beschwerde bei der EU-Kommission und den Verbraucherschutzbehörden eingereicht. Hier zeigt sich, dass rund um das Geschäft mit Kryptowerten längst noch nicht alle Regulierungs-und Demokratiefragen diskutiert werden.   

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    Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».
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    Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.
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    Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte.
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    Die Studie ist hier» abrufbar.
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Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: hellblau

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 8. August 2023

Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen ZEVEDI und der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt sprach Finanzjournalistin und Mercator-Journalistin in Residence Anissa Brinkhoff mit Oberstufenschüler:innen darüber, warum Geld, Investment und Daseinsvorsorge ein sowohl persönliches wie auch gesellschaftliches Thema ist, das alle kennen und diskutieren sollten.

Beamer, Mikrophon und Boxen stehen vor den Rängen der Rollsporthalle Darmstadt. Die Bertolt-Brecht-Schule wird gerade umgebaut und saniert, eine Schulaula steht daher gerade nicht zur Verfügung. Die benachbarte Sporthalle wird extra angemietet und da das Interesse größer ist, als die Ränge Sitzplätze bieten, hält Anissa Brinkhoff den Vortrag gleich zweimal. Die 34-jährige Finanz-Journalistin erzählt lebensnah auch von eigenen Erfahrungen und weckt so das Interesse ihrer Zuhörer*innen.

Fragen über Fragen – von Investitionen in Gold bis hin zu Krypto und Dropshipping

„Wie sicher ist investieren in Aktien?“ „Ist es nicht besser zu sparen?“ „Oder sollte man in Gold investieren?“ – „Muss ich mich jetzt schon um meine Altersvorsorge kümmern?“ Mit viel Voraussicht formulieren die Schüler:innen der Bertolt-Brecht-Schule ihre Fragen und Bedenken in einer anfänglichen Fragerunde. Spannenderweise überschneiden sich die Fragen in den beiden Vortragsdurchgängen, sie scheinen für alle Schüler*innen der Jahrgangsstufe von Bedeutung.

Ein neues Thema, das die Schüler:innen als mögliche Einnahmequelle beschäftigt (gerade auch weil es immer wieder in den sozialen Medien auftaucht), ist das sogenannte Dropshipping. Dabei werden Waren weiterverkauft an Kunden, die allerdings nicht beim Verkäufer gelagert werden, sondern direkt vom Händler an den Käufer geschickt werden. Der Verkäufer ist nur ein Mittelsmann, der keinen direkten Kontakt mit der Ware hat – und sie daher auch nicht besitzt, wenn er sie verkauft. Dass dies zu Problemen führen kann, wenn beispielsweise Ware, die bereits verkauft wurde, nicht mehr lieferbar ist, führt Anissa Brinkhoff den Schüler:innen anschaulich vor Augen. ‚Einfach so‘, wie es sich viele vorstellen, lässt sich auf diese Weise nicht das große Geld machen, man ist auch mit diesem Verkaufsmodell Gewerbetreibende:r – mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten; und somit beispielsweise auch als Minderjährige:r steuerpflichtig.

Wir reden zu wenig über Geld!

„Wer weiß, wie viel genau die eigenen Eltern verdienen?“ – Zögerlich gehen einige Hände hoch. Mehr als erwartet, aber immer noch nur ein kleiner Bruchteil der anwesenden Schüler:innen. Von Freund:innen und Bekannten weiß es so gut wie niemand. Vielleicht deutet sich hier schon ein leichter Generationenwechsel an, denn Ältere hätten wahrscheinlich noch nicht mal mit dem Arm gezuckt. Vielen öffnet sich erst mit zunehmendem Alter, wenn man den Eltern beispielsweise bei der Steuererklärung oder Versicherungen helfen muss, das bis dahin meist verschlossene Buch der Gehaltsabrechnungen. Aber wer weiß, ob und wie hoch das Elternhaus belastet ist, ob ein Kredit bereits abbezahlt wurde oder wie hoch sich die monatlichen Kosten belaufen? Nun schauen die Schüler*innen ratlos. Es wird deutlich spürbar: Es wird zu wenig über Geld geredet. Und Anissa Brinkhoff macht sogleich klar, warum das problematisch ist: Wir wissen gar nicht, mit welchen Erwartungen wir in Gehaltsverhandlungen gehen sollten, verkaufen uns womöglich viel zu oft unter Wert. Und wer weiß schon, worauf es ankommt, um einen guten Kredit zu bekommen, damit man sich beispielsweise ein Eigenheim leisten kann?

Finanzen sind kein Schulfach, was Anissa Brinkhoff sehr bedauert, auch wenn sich die Politik-und-Wirtschaft-Lehrer:innen Mühe geben, dem Thema einen adäquaten Raum in ihrem Unterricht zu geben. Dass es dennoch viele Leerstellen ob der Fülle an Unterrichtsinhalten gibt, ist klar – umso besser, wenn man einer Finanzjournalistin Löcher in den Bauch fragen kann, die sich auf Workshops und Podcasts zum Thema Finanzbildung spezialisiert hat.

Aber die Finanzsprache ist auch eine ganz eigene, die man erst einmal erlernen muss. Das wird teils durch ein Image der gestressten und überarbeiteten Wall Street Banker in Hollywood-Filmen noch erschwert, wie Anissa Brinkhoff deutlich macht: Die Finanzwelt scheint wie von einem anderen Planeten oder vielmehr ein eigenes Universum zu sein, in das man nur schwerlich Einblicke bekommen kann. Und wer hat schon Lust darauf, bei all dem in Filmen gezeigten Stress, der Arbeit am Limit, die gar bis zu Drogenkonsum führen kann, um funktionsfähig zu sein, wenn nicht im Extrem zum Selbstmord? Wie viele Freundschaften und Ehen scheitern in Filmen daran. Möchte man sich wirklich in so ein Arbeitsklima begeben?

Aber professionell in der Investmentbranche zu arbeiten, ist auch etwas anderes, als privat sein Geld anzulegen. Anissa Brinkhoff möchte nicht alle zu Bankern machen, sondern dafür sensibilisieren, dass es ein Thema ist, das uns alle betrifft. Nicht nur wenn wir im Finanzwesen arbeiten, sollte darüber geredet werden – Geld und die Art und Weise unseres Umgangs mit Finanzgütern geht uns alle etwas an. Wir kommen gar nicht drum herum. Und je früher wir uns Gedanken machen, desto mehr haben wir ganz buchstäblich davon.

Wieso ist Geld überhaupt wichtig?

Bei Geld denken die meisten zunächst an dadurch ermöglichten Konsum: Wenn ich viel Geld habe, kann ich mir das neuste iPhone, ein schickes Kleid oder einen Konzertbesuch leisten. Nicht nur für sogenannte Luxusgüter brauchen wir Geld in der (virtuellen) Tasche, auch zum Beispiel für unser Essen und um ein Dach über dem Kopf zu haben. Geld ermöglicht materiellen Wohlstand – aber auch noch viel mehr. Anissa Brinkhoff erzählt aus ihrem eigenen Leben und viele Schüler*innen konnten sich sichtbar damit identifizieren: Ihr waren früher Finanzen nicht wichtig, weil sie ihr Leben nicht nach materiellen Gütern ausrichten wollte. Aber schließlich kam sie dahinter, dass Geld mehr Kraft hat, das eigene Leben zu erleichtern und zu verändern: Geld bedeutet auch Freiheit. Die Freiheit, jederzeit seinen Job kündigen zu können, weil man genügend Rücklagen hat, um ohne Einkommen über die Runden zu kommen, bis man einen neuen gefunden hat. Die Freiheit, jederzeit seine Beziehung zu beenden, weil man von dem Partner bzw. der Partnerin nicht finanziell abhängig ist und sich eine eigene Wohnung leisten kann. Und selbst wenn man nicht im Luxus materieller Güter schwimmen möchte – wer strebt nicht nach einem solchen Luxus der Freiheit, sein Leben selbst in der Hand zu haben?

Fünf Finanz-Basics: Budgetieren, Kredite, Sparen, Investieren und Altersvorsorge

Griffig formuliert Anissa Brinkhoff fünf Finanz-Basics, die sie den Schüler:innen an die Hand geben möchte. Um nicht unerwartet am Ende des Monats ohne Geld dazustehen und sich auch mal etwas Teureres leisten zu können, ist Budgetieren das Mittel der Wahl. Viele Schüler:innen nicken, sie haben es nicht nur im Elternhaus und Unterricht kennengelernt, auch Influencer auf diversen Social-Media-Plattformen teilen ihre Tipps zum Budgetieren. Dass man nicht mehr ausgeben sollte, als man einnimmt, leuchtet ein. Doch wie viel sollte man monatlich auf die Seite legen? Klassischerweise benötigen wir die Hälfte unseres Gehalts für Fixkosten, so Anissa Brinkhoff, 30% sollten wir für variable Kosten einplanen und 20% können – und sollten – wir sparen oder investieren. Dass dies nur grobe Richtwerte sind, macht sie deutlich; rechnet aber auch vor, wie viel es ausmacht, wenn man monatlich spart oder investiert.

Worin liegt aber der Unterschied? Und was die Schüler:innen interessiert: Was ist ‚besser‘? Sollte man nicht lieber einfach sparen und sich nicht dem Risiko aussetzen, bei Investments das Geld zu verlieren? Anissa Brinkhoff stellt klar: Sparen bedeutet nicht, dass man sich in 10 oder 20 Jahren noch dasselbe von dem Geld leisten kann wie heute. Altersvorsorge mithilfe des guten alten Sparstrumpfs bringt bei der aktuellen Inflation nicht viel, wird den Schüler:innen bewusst. Private Vorsorge muss allerdings getroffen werden, zeigt Anissa Brinkhoff eindringlich: Die staatliche Altersvorsorge reicht nicht aus, erst recht nicht bei dem derzeitigen demographischen Wandel und unserem Rentenmodell, das auf Umlagefinanzierung fußt. Man kann nicht zu früh anfangen, sich um seine finanzielle Absicherung zu kümmern.

In was man investieren kann und soll, dazu gibt es kein Patentrezept. Anissa Brinkhoff warnt die Schüler:innen auch vor öffentlich, v.a. in sozialen Medien weit geteilten ‚Insider-Tipps‘ zu Kapitalanlagen: Wer hat denn etwas davon, dieses Wissen zu teilen, wenn es wirklich eine Goldgrube ist? Man sah förmlich, wie viele der Schüler:innen zu überlegen begannen. Ein wichtiges Ziel wurde durch den Vortrag erreicht: die Schüler:innen für das Thema Finanzen zu sensibilisieren und dieses als eine ständig anfallende, aber bewältigbare Aufgabe zu sehen.

Das Finanzsystem ist männlich – Frauen dürfen nicht abgehängt werden! Gender Pay Gap und Gender Pension Gap

Ein besonderes Anliegen ist Anissa Brinkhoff das Thema „Female Finance“. Nicht nur verdienen Frauen noch immer bei gleicher Qualifikation im gleichen Job durchschnittlich weniger als Männer – und das im Schnitt 18%. Auch leisten sie deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit, durch die sie selbst schlechter im Alter abgesichert sind. Zudem zahlt man im Mutterschutz nicht automatisch in die Rente ein – und eine Mutterschaft ist meist immer noch ein Karrierehemmnis. So beträgt die Gender Pension Gap derzeit sogar 40%. „Geld ist sexistisch und diskriminierend“, bringt es Anissa Brinkhoff abschließend auf den Punkt. Denn es sei von Männern für Männer geschaffen, Frauen müssen viel stärker mitbedacht werden – in Neuerungen im Finanzwesen wie der zunehmenden Digitalisierung, aber auch in der Wissensvermittlung in der Finanzbildung.

Daher recherchiert Anissa Brinkhoff auch im Rahmen des Mercator-Journalist in Residence-Programms am ZEVEDI für ihren Finanzpodcast „Finance & Feelings“, inwiefern Frauen bei der Digitalisierung des Finanzwesens mitbedacht werden.

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Autor: Cederic Meier Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: hellblau

Quo vadis digitaler Euro?

Quo vadis digitaler Euro? Über die rechtlichen Indikationen des Verordnungsentwurfs zur Einführung eines digitalen Euro

Ein Beitrag von Cederic Meier

vom 4. Juli 2023

Am 28. Juni 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission im Rahmen des Pakets zur einheitlichen Währung neben dem Verordnungsentwurf über Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel1Regulation on the legal tender of euro banknotes and coins. den lang erwarteten Entwurf einer Verordnung zur etwaigen Einführung eines digitalen Euro.2Regulation on the establishment of the digital euro. Verfassungsrechtlich erhält der digitale Euro damit die ausgehende Grundlage für die demokratische Diskussion eines kollektiven Rechtsrahmens, der Gestalt und Funktion des neuen Geldmediums weitgehend bestimmen würde.

Während die parallele Entscheidung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) über die tatsächliche Einführung eines digitalen Euro weiterhin aussteht, benötigt der Verordnungsentwurf nun die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union, die als gemeinsame Institutionen der Gesetzgebung der Union eigene Änderungsvorschläge zur Verordnung einbringen können. In diesem Prozess gilt es fortan, das rechtliche Wesen des digitalen Euro demokratisch zu bestimmen.

Bereits in der Art und Weise der Veröffentlichung des Entwurfs innerhalb des einheitlichen Gesetzgebungspakets verdeutlicht die Europäische Kommission ein wesentliches Fundament des digitalen Euro: Der digitale Euro soll die derzeit existierende Erscheinung des Bargelds in keiner Form ersetzen, sie vielmehr ergänzen und den Bürgerinnen und Bürgern des Euroraums nunmehr die freie Wahlmöglichkeit der Zahlung mit Zentralbankgeld in barer oder digitaler Form gewähren.3Vgl. dahingehend auch die zugehörige Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 28. Juni 2023 sowie die am gleichen Tag in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlichten Beitrag von Fabio Panetta (Direktoriumsmitglied der EZB) und Valdis Dombrovskis (Exekutiver Vizepräsident der Europäischen Kommission) Warum Europa einen digitalen Euro braucht, hierzulande verfügbar unter FAZ vom 28. Juni 2023 sowie kostenlos auf dem EZB-Blog vom 28. Juni 2023. Siehe zudem die dies mehrfach betonende Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 1, 2, 9, 17.So repräsentiert ein digitaler Euro zuvorderst das ausgesprochene europäische Ziel, auch innerhalb einer sich zunehmend digitalisierenden Ökonomie (beispielsweise E-Commerce, Industrie 4.0, Web3) eine kostenlose und effektiv verwendbare Form des öffentlich emittierten Zentralbankgeldes anzubieten, die das für die moderne Geldordnung essenzielle Vertrauen in den Euro im digitalen Zeitalter langfristig zu sichern vermag. Auf dieser Linie soll ein innovativer digitaler Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ein hohes Maß an Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten, die Finanzstabilität der Eurozone wahren und die allgemeine finanzielle Integration weiter fördern.4Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 2, 3.Der anstehende normative Gestaltungsprozess ist damit jedoch gerade erst angestoßen. Fortan gilt es, das rechtliche Wesen des digitalen Euro in den entsprechenden europäischen Gremien demokratisch zu diskutieren und es im Sinne der europäischen Gesellschaft weiter zu formen.

Zum allgemeinen politischen Rahmen einer Verordnung zum digitalen Euro

In rechtsstaatlicher Betrachtung ist zum generellen Erlass der Verordnung zunächst eine entsprechende Rechtsgrundlage erforderlich, die die Europäische Union politisch zur Rechtssetzung ermächtigt. Die Kommission stützt diese Kompetenz auf Art. 133 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), der vorsieht, dass das Europäische Parlament und der Rat die Maßnahmen erlassen, „die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlich sind.“ Da die Währungspolitik gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) AEUV jedoch ohnehin in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Union fällt,5Womit das Subsidiaritätsprinzip der Unionsgesetzgebung gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV unanwendbar ist.dürften der generellen Gesetzgebungskompetenz der Union für einen digitalen Euro unter Wahrung der normativ unabhängigen Befugnisse der EZB keine ernsthaften Zweifel entgegenstehen. Zusätzlich begründet die Kommission den Rückgriff auf Art. 133 AEUV entsprechend des Wortlauts als „erforderlich“, um die Verwendung des Euro als einheitliche Währung im digitalen Zeitalter zu gewährleisten.6Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 5.

Dass die Kommission mit ihrem ausschließlichen Gesetzesinitiativrecht derart frühzeitig und noch vor der Entscheidung der EZB über die Entwicklung eines digitalen Euro im Oktober 2023 aktiv wird, ist dabei aus politischer Sicht äußerst begrüßenswert. So ist die Gestalt eines unmittelbar verbindlichen Rechtssatzes innerhalb einer Gesellschaft, die sich mittels staatlicher Strukturen politisch organisiert, die vorwiegende Grundlage der allgemeinen Akzeptanz einer kollektiv begründeten Ordnung. Für die allgemeine Akzeptanz einer neu zu schaffenden Ordnung des digitalen Euro ist es aus staatstheoretischer Perspektive somit förderlich, sie mittels eines demokratisches Gesetzgebungsprozesses normativ zu konstituieren. Die politische Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Befragung zum digitalen Euro,7Eurosystem report on the public consultation on a digital euro. Zur expliziten Berücksichtigung siehe Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 6. an der sich nach der Veröffentlichung des Report on a digital euro von Oktober 2020 bis Januar 2021 alle Bürgerinnen und Bürger des Euroraums beteiligen konnten, ist in ihrer Intention zwar lobenswert, jedoch bleibt kritisch anzumerken, dass an der Befragung nur 8221 Menschen der knapp 343 Millionen Einwohner des Euroraums teilnahmen, die Befragung fast zweieinhalb Jahre zurückliegt und zu dieser Zeit kaum über einen digitalen Euro informiert wurde. Im weiteren Gesetzgebungsprozess wäre es für die zukünftige politische Akzeptanz und das gemeine Verständnis eines digitalen Euro daher essenziel , eine neue weitreichende und groß angelegte öffentliche Debatte über die Einführung eines digitalen Euro sowie seine etwaigen sozialen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile anzustoßen.

Der digitale Euro als öffentlich kreditiertes Zahlungsmedium

Nachdem der Verordnungsentwurf zunächst die wesentliche Intention eines digitalen Euro sowie grundlegende Begriffsdefinitionen festlegt, formuliert er in Art. 4 die wohl bedeutendste Eigenschaft eines digitalen Euro, die ihn von allen bisher existierenden digitalen Zahlungsmedien abheben würde. Ein digitaler Euro stellt eine unmittelbare Verbindlichkeit der EZB oder der nationalen Zentralbanken dar, dessen Ausgabe ausschließlich zentral durch die EZB genehmigt wird. Damit bildet ein digitaler Euro ein in seinem Bestand öffentlich kreditiertes Geldmedium, das von einer Institution garantiert wird, die innerhalb ihrer eigenen Währung insolvenzunfähig ist und damit stets den Status der Zahlungsfähigkeit erhält. Im Gegensatz dazu fußt die Nutzbarkeit des bereits digital verwendbaren Buchgeldes auf den Geschäftsbankkonten – trotz gesetzlicher Einlagensicherung – grundsätzlich auf der Liquidität einer insolvenzfähigen Geschäftsbank. Denn anders als öffentlich emittiertes Zentralbankgeld stellt dieses „private“ Buchgeld normativ zunächst ausschließlich einen rechtlichen Anspruch gegen eine Geschäftsbank auf Auszahlung des nominalen Betrages in öffentliches Zentralbankgeld dar.

Zudem soll ein digitaler Euro gemäß Art. 7 ff. des Verordnungsentwurfs – vergleichbar dem Bargeld – als gesetzliches Zahlungsmittel grundsätzlich einer generellen rechtlichen Annahmepflicht für die Tilgung von Geldschulden unterliegen. Dies gilt für die offline-Verwendung im Allgemeinen und für die online-Verwendung, soweit der Zahlungsempfänger im Euroraum ansässig bzw. niedergelassen ist (Art. 8). Im Sinne des Verbraucherschutzes wäre es im Rahmen der online-Verwendung im Geschäftsverkehr folglich wünschenswert, Unternehmen zur eindeutigen Kennzeichnung ihrer etwaigen Niederlassung im Euroraum zu verpflichten. Ausnahmen von der gesetzlichen Annahmepflicht sollen nur unter den im Verordnungsentwurf engen Voraussetzungen des Art. 9 möglich sein, die später gemäß Art. 11 durch die Kommission ergänzt werden können.8Gemäß Art. 38 Abs. 6 des Verordnungsentwurfs gilt die Befugnis der Kommission jedoch nur, soweit das Europäische Parlament oder der Rat der Europäischen Union keine Einwände erheben. Gemäß Art. 39 Abs. 3 soll die Befugnis zum Erlass der delegierten Rechtsakte (neben Art. 11 auch Art. 33, 34 und 35) zudem jederzeit durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union widerrufbar sein.Insbesondere soll ein Ausschluss der Annahmepflicht gemäß Art. 10 nicht durch einseitig vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen des Zahlungsempfängers ermöglicht werden. Auf dieser Linie trifft die Verordnung Regelungen, die weit in die mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen hineinwirken.

Als gesetzliches Zahlungsmittel könnte sich ein digitaler Euro derart als universelle Eintrittskarte in die Welt der digitalen Ökonomie des Euroraums etablieren. Als öffentliches Geldmedium würde ein digitaler Euro einerseits die unmittelbare Sicherung durch die staatliche Hoheitsgewalt genießen und andererseits als gesetzliches Zahlungsmittel eine im Grundsatz wirtschaftliche Allzweckwaffe zur sofortigen Tilgung eingegangener Schuldverhältnisse verkörpern. Mittels eines digitalen Euro würde im demokratischen Sinne so die Möglichkeit der allgemeinen Partizipation an der digitalen Marktwirtschaft – ohne Einflussnahme und notwendige Unterwerfung unter die gesetzten Regeln privater Zahlungsanbieter – öffentlich garantiert werden.

Zugang und Nutzung des digitalen Euro als politische Fragen

Der Verordnungsentwurf setzt sich in den Art. 13 ff. weiterhin ausführlich mit Zugang und Nutzung des digitalen Euro auseinander. Gemäß Art. 13 sollen die praktischen Marktprozesse demnach primär von zugelassenen privaten Anbietern von Zahlungsdiensten wie beispielsweise Geschäftsbanken koordiniert werden, ohne eine direkte vertragliche Beziehung der Endnutzer mit der EZB oder den nationalen Zentralbanken entstehen zu lassen (Art. 13 Abs. 6).9Die generelle Zulassung der Zahlungsanbieter des digitalen Euro richtet sich somit folglich nach der Richtlinie (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt. Mit Bezug auf Art. 4 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs bleibt dabei jedoch eindeutig, dass sich dieser Haftungsausschluss ausschließlich auf die konkrete Ausführung der Zahlungsdienste bezieht, der digitale Euro seine Eigenschaft als unmittelbare Verbindlichkeit einer insolvenzunfähigen Zentralbank aber dennoch uneingeschränkt bewahrt. Der Entwurf verpflichtet die privaten Zahlungsanbieter ferner, allen anfragenden Endnutzern gleichermaßen und unabhängig von der Wahrnehmung anderer Angebote, klar benannte, grundlegende digitale-Euro-Dienste kostenlos zur Verfügung zu stellen.10Die entsprechende Auflistung dieser Dienste findet sich in Annex 2 des Verordnungsentwurfs. Entgelte für darüberhinausgehende Dienste dürfen unter strenger Aufsicht der EZB nur in verhältnismäßiger und vergleichbarer Höhe zu anderen angebotenen digitalen Zahlungsmethoden erhoben werden (Art. 17 Abs. 2). Mittels weiterer Informationspflichten (Art. 13 Abs. 8) sowie differenzierten Antidiskriminierungs- und Inklusionsvorschriften (beispielsweise Art. 14 Abs. 4, Art. 22 Abs. 1, 2) trifft der Verordnungsentwurf insgesamt bereits weitreichende und wirksame Vorkehrungen für eine uneingeschränkte finanzielle Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger des Euroraums in die digitale Ökonomie.

In der konkreten Verwendung lässt der Verordnungsentwurf – wie es ob der bisherigen Äußerungen der EZB zu erwarten war – gemäß Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 die Möglichkeit offen, die wirtschaftliche Funktion des digitalen Euro als Wertaufbewahrungsmittel instrumentell zu begrenzen. Um die Finanzstabilität des Euroraums zu schützen, ist davon auszugehen, dass eine im Wert noch offene Obergrenze der Geldmenge, die Bürgerinnen und Bürger maximal in digitalen Euro halten dürfen, durch die EZB etabliert wird. Andernfalls wäre zu erwarten, dass zahlreiche Endnutzer ihr Buchgeld von den Geschäftsbankkonten vollständig in das System des digitalen Euro umlegen, um ihr Kapital unmittelbar an eine insolvenzunfähige Zentralbank zu binden. Trotz dieser Obergrenze sollen die konkreten Zahlungsvorgänge innerhalb der Infrastruktur des digitalen Euro in unbestimmter Höhe ermöglicht werden. Der dabei zusätzlich benötigte Betrag würde von einem Geschäftsbankkonto des Schuldners ergänzt („reverse waterfall functionality“) und im erhöhten Betrag auf einem Geschäftsbankkonto des Gläubigers gutgeschrieben werden („waterfall functionality“). Derart würde die Infrastruktur des digitalen Euro eine vielfach geforderte Funktion erfüllen: Eine allumfassende Zahlungsabwicklung in einem öffentlich abgesicherten und garantierten System.11So stellt die Zahlungsinfrastruktur des digitalen Euro eine echte Alternative zu privaten Instant Payment Systemen wie PayPal dar und erfüllt ähnliche Funktionen wie das häufig gelobte öffentliche Zahlungssystem PIX der brasilianischen Zentralbank.

Überdies sollen die Zahlungsvorgänge gemäß Art. 30 Abs. 1 in nur wenigen Sekunden erfolgen, was die allgemeine Tilgungssicherheit und Effizienz gegenüber traditionellen Zahlungsinstrumenten erheblich stärkt. Auch dem Schutz der Daten, die zwangsläufig bei allen Handlungen im digitalen Raum entstehen, sowie der Privatsphäre wird in den Art. 34 ff. des Verordnungsentwurfs weitreichend Rechnung getragen. Entsprechend der Verordnungsbegründung soll dieser Schutz auf modernsten Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen wie Pseudonymisierung oder Verschlüsselung aufbauen. Unter dem Begriff des „programmierbaren Geldes“ schließt der Verordnungsentwurf in Art. 24 Abs. 2 zudem aus, die Verwendbarkeit des digitalen Euro für bestimmte Waren oder Dienstleistungen zu beschränken. Ein programmierbarer Einsatz des digitalen Euro in Smart Contracts, in M2M Payments oder im Internet of Things, wie er bspw. mittels der Blockchain Technologie möglich wäre, soll damit wohl hingegen keineswegs ausgeschlossen werden.

Aus politischer Sicht stehen alle genannten rechtlichen Wesenszüge und Eigenschaften eines digitalen Euro indessen vollständig zur demokratischen Disposition des europäischen Gesetzgebers. Derart etabliert die Diskussion um einen digitalen Euro die historisch wohl bislang einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Münz-, Papier- und Buchgeld werden im modernen Verfassungsstaat zwar ebenfalls rechtlich reguliert, stellen in ihrem existenziellen Ursprung jedoch vordemokratische Ideenkonstrukte dar. In der digitalen Welt werden die exakten Spielregeln der Zahlungsvorgänge gleichwohl bis heute primär von privaten Zahlungsanbietern diktiert. Ein digitaler Euro würde aus diesem Blick eine moderne Alternative bieten, dessen Nutzung stets der freien Wahlmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger des Euroraums unterliegt.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #1: Revolution

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 24. April 2023

Dass Bitcoin, Ether und digitaler Euro „unsere Wirtschaft revolutionieren“ behauptet der Untertitel des wirklich gut lesbaren Erklärbuchs Die neue Vielfalt des Geldes. Revolution, Revolution, Revolution: Wir werden die Welt des Bezahlens nicht wiedererkennen – und warum?

Wie viele Digitalgeld-Experten entwirft de la Rubia zum ersten eine Zukunft, in der alles Bezahl- und Anlagetechnische (dazu Versicherungsprodukte, Ratenkäufe, weiteres via Formular, also: Smart Contracts) per Smartphone wahnsinnig schnell herbeigeklickt sein wird. Zum zweiten erwartet de la Rubia eine zunehmende „Vermengung von Geld und Vermögen“. Zum dritten sagt er vermehrt genossenschaftliche Strukturen voraus: Die Plattformökonomie könnte ausgebremst werden durch DAOs, also solidarische Formen kollektiver Finanzierung.

Letzteres erscheint am ehesten revolutionär: Die Menschen an der Basis nehmen „ihre“ Geldangelegenheiten selbst in die Hand. Was de la Rubia auch begrüßt. Ich denke dennoch insbesondere über den zweiten Punkt nach. Auf ihn zielt wohl auch der charmante Buchtitel – die Rede von der neuen Vielfalt. Geld und Vermögen „vermengen“ sich. Das Wort steht so da. Was ist gemeint? Heißt das, zwischen bezifferbaren Kontoständen und allem, was ich sonst noch so habe, bilden sich Mitteldinge? Virtuell werden Dinge Geld? Bares und Rares würden sich künftig also im Kopf – nein: auf dem Handy – immer selbstverständlicher miteinander verrechnen lassen? Und Wertgegenstände wie auch Sammelobjekte oder sogar den Hausrat – sowie womöglich den Hausrat anderer Leute – trage ich als Wertzeichen mit mir herum? Noch genauer: alle diese Wertzeichen ließen sich nicht nur jederzeit zum Tausch einsetzen, sondern auch jederzeit beziffern? Blitzschnell berechnet wäre gleichsam alles … proto-monetär. Eine Art fluides Virtualkapital.

Klingt nach Dispositionsfreiheit. Auch nach Planbarkeit. Alles ein Portfolio. Voller Vermögenseinsatz, volle Kontrolle. Volles Selbstunternehmertum vielleicht gar. Wie „geliehen“ und wie sehr nur als Teil einer Wette erlebt man dann aber alles das, was – und sei es nur in der Theorie – portfoliofähig werden könnte? Wird auch meine Gesundheit, mein Alter, mein soziales Kontaktnetzwerk zu meinem „Vermögen“ gehören? Was, wenn man Vermögen nicht lediglich verflüssigen kann, sondern digital einsetzen muss? Spätestens hier liegt das Szenario eines Wettspielers nahe, der nichts besitzt außer seiner Arbeitskraft – weil eben diese und nur diese will der Markt haben und allein diese wird deshalb in Geldwert beziffert. Arbeit wäre allerdings zu einer Fähigkeit mutiert, möglichst viel aus seiner Umgebung virtuell zu verpfänden. Je mehr von meiner Umgebung ich kapitalisiere, desto unternehmensartiger würde jedenfalls mein Privatleben. Und desto weniger bliebe wohl wirklich geldfrei.

Revolutionär? Vielleicht. Aber tatsächlich mehr politische Partizipation? Folgt man de la Rubias These von der „Vermengung“, verändern sich vor allem Portfolio-Routinen und Spieleinsätze. Schlechterdings alles wird als Geld erlebbar. Wenn man da mal nur nicht Freiheit mit Verfügbarkeit verwechselt …

Cyrus de la Rubia: Die neue Vielfalt des Geldes. Wie Bitcoin, Ether und digitaler Euro unsere Wirtschaft revolutionieren, Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2022.

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