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Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: hellblau

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 8. August 2023

Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen ZEVEDI und der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt sprach Finanzjournalistin und Mercator-Journalistin in Residence Anissa Brinkhoff mit Oberstufenschüler:innen darüber, warum Geld, Investment und Daseinsvorsorge ein sowohl persönliches wie auch gesellschaftliches Thema ist, das alle kennen und diskutieren sollten.

Beamer, Mikrophon und Boxen stehen vor den Rängen der Rollsporthalle Darmstadt. Die Bertolt-Brecht-Schule wird gerade umgebaut und saniert, eine Schulaula steht daher gerade nicht zur Verfügung. Die benachbarte Sporthalle wird extra angemietet und da das Interesse größer ist, als die Ränge Sitzplätze bieten, hält Anissa Brinkhoff den Vortrag gleich zweimal. Die 34-jährige Finanz-Journalistin erzählt lebensnah auch von eigenen Erfahrungen und weckt so das Interesse ihrer Zuhörer*innen.

Fragen über Fragen – von Investitionen in Gold bis hin zu Krypto und Dropshipping

„Wie sicher ist investieren in Aktien?“ „Ist es nicht besser zu sparen?“ „Oder sollte man in Gold investieren?“ – „Muss ich mich jetzt schon um meine Altersvorsorge kümmern?“ Mit viel Voraussicht formulieren die Schüler:innen der Bertolt-Brecht-Schule ihre Fragen und Bedenken in einer anfänglichen Fragerunde. Spannenderweise überschneiden sich die Fragen in den beiden Vortragsdurchgängen, sie scheinen für alle Schüler*innen der Jahrgangsstufe von Bedeutung.

Ein neues Thema, das die Schüler:innen als mögliche Einnahmequelle beschäftigt (gerade auch weil es immer wieder in den sozialen Medien auftaucht), ist das sogenannte Dropshipping. Dabei werden Waren weiterverkauft an Kunden, die allerdings nicht beim Verkäufer gelagert werden, sondern direkt vom Händler an den Käufer geschickt werden. Der Verkäufer ist nur ein Mittelsmann, der keinen direkten Kontakt mit der Ware hat – und sie daher auch nicht besitzt, wenn er sie verkauft. Dass dies zu Problemen führen kann, wenn beispielsweise Ware, die bereits verkauft wurde, nicht mehr lieferbar ist, führt Anissa Brinkhoff den Schüler:innen anschaulich vor Augen. ‚Einfach so‘, wie es sich viele vorstellen, lässt sich auf diese Weise nicht das große Geld machen, man ist auch mit diesem Verkaufsmodell Gewerbetreibende:r – mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten; und somit beispielsweise auch als Minderjährige:r steuerpflichtig.

Wir reden zu wenig über Geld!

„Wer weiß, wie viel genau die eigenen Eltern verdienen?“ – Zögerlich gehen einige Hände hoch. Mehr als erwartet, aber immer noch nur ein kleiner Bruchteil der anwesenden Schüler:innen. Von Freund:innen und Bekannten weiß es so gut wie niemand. Vielleicht deutet sich hier schon ein leichter Generationenwechsel an, denn Ältere hätten wahrscheinlich noch nicht mal mit dem Arm gezuckt. Vielen öffnet sich erst mit zunehmendem Alter, wenn man den Eltern beispielsweise bei der Steuererklärung oder Versicherungen helfen muss, das bis dahin meist verschlossene Buch der Gehaltsabrechnungen. Aber wer weiß, ob und wie hoch das Elternhaus belastet ist, ob ein Kredit bereits abbezahlt wurde oder wie hoch sich die monatlichen Kosten belaufen? Nun schauen die Schüler*innen ratlos. Es wird deutlich spürbar: Es wird zu wenig über Geld geredet. Und Anissa Brinkhoff macht sogleich klar, warum das problematisch ist: Wir wissen gar nicht, mit welchen Erwartungen wir in Gehaltsverhandlungen gehen sollten, verkaufen uns womöglich viel zu oft unter Wert. Und wer weiß schon, worauf es ankommt, um einen guten Kredit zu bekommen, damit man sich beispielsweise ein Eigenheim leisten kann?

Finanzen sind kein Schulfach, was Anissa Brinkhoff sehr bedauert, auch wenn sich die Politik-und-Wirtschaft-Lehrer:innen Mühe geben, dem Thema einen adäquaten Raum in ihrem Unterricht zu geben. Dass es dennoch viele Leerstellen ob der Fülle an Unterrichtsinhalten gibt, ist klar – umso besser, wenn man einer Finanzjournalistin Löcher in den Bauch fragen kann, die sich auf Workshops und Podcasts zum Thema Finanzbildung spezialisiert hat.

Aber die Finanzsprache ist auch eine ganz eigene, die man erst einmal erlernen muss. Das wird teils durch ein Image der gestressten und überarbeiteten Wall Street Banker in Hollywood-Filmen noch erschwert, wie Anissa Brinkhoff deutlich macht: Die Finanzwelt scheint wie von einem anderen Planeten oder vielmehr ein eigenes Universum zu sein, in das man nur schwerlich Einblicke bekommen kann. Und wer hat schon Lust darauf, bei all dem in Filmen gezeigten Stress, der Arbeit am Limit, die gar bis zu Drogenkonsum führen kann, um funktionsfähig zu sein, wenn nicht im Extrem zum Selbstmord? Wie viele Freundschaften und Ehen scheitern in Filmen daran. Möchte man sich wirklich in so ein Arbeitsklima begeben?

Aber professionell in der Investmentbranche zu arbeiten, ist auch etwas anderes, als privat sein Geld anzulegen. Anissa Brinkhoff möchte nicht alle zu Bankern machen, sondern dafür sensibilisieren, dass es ein Thema ist, das uns alle betrifft. Nicht nur wenn wir im Finanzwesen arbeiten, sollte darüber geredet werden – Geld und die Art und Weise unseres Umgangs mit Finanzgütern geht uns alle etwas an. Wir kommen gar nicht drum herum. Und je früher wir uns Gedanken machen, desto mehr haben wir ganz buchstäblich davon.

Wieso ist Geld überhaupt wichtig?

Bei Geld denken die meisten zunächst an dadurch ermöglichten Konsum: Wenn ich viel Geld habe, kann ich mir das neuste iPhone, ein schickes Kleid oder einen Konzertbesuch leisten. Nicht nur für sogenannte Luxusgüter brauchen wir Geld in der (virtuellen) Tasche, auch zum Beispiel für unser Essen und um ein Dach über dem Kopf zu haben. Geld ermöglicht materiellen Wohlstand – aber auch noch viel mehr. Anissa Brinkhoff erzählt aus ihrem eigenen Leben und viele Schüler*innen konnten sich sichtbar damit identifizieren: Ihr waren früher Finanzen nicht wichtig, weil sie ihr Leben nicht nach materiellen Gütern ausrichten wollte. Aber schließlich kam sie dahinter, dass Geld mehr Kraft hat, das eigene Leben zu erleichtern und zu verändern: Geld bedeutet auch Freiheit. Die Freiheit, jederzeit seinen Job kündigen zu können, weil man genügend Rücklagen hat, um ohne Einkommen über die Runden zu kommen, bis man einen neuen gefunden hat. Die Freiheit, jederzeit seine Beziehung zu beenden, weil man von dem Partner bzw. der Partnerin nicht finanziell abhängig ist und sich eine eigene Wohnung leisten kann. Und selbst wenn man nicht im Luxus materieller Güter schwimmen möchte – wer strebt nicht nach einem solchen Luxus der Freiheit, sein Leben selbst in der Hand zu haben?

Fünf Finanz-Basics: Budgetieren, Kredite, Sparen, Investieren und Altersvorsorge

Griffig formuliert Anissa Brinkhoff fünf Finanz-Basics, die sie den Schüler:innen an die Hand geben möchte. Um nicht unerwartet am Ende des Monats ohne Geld dazustehen und sich auch mal etwas Teureres leisten zu können, ist Budgetieren das Mittel der Wahl. Viele Schüler:innen nicken, sie haben es nicht nur im Elternhaus und Unterricht kennengelernt, auch Influencer auf diversen Social-Media-Plattformen teilen ihre Tipps zum Budgetieren. Dass man nicht mehr ausgeben sollte, als man einnimmt, leuchtet ein. Doch wie viel sollte man monatlich auf die Seite legen? Klassischerweise benötigen wir die Hälfte unseres Gehalts für Fixkosten, so Anissa Brinkhoff, 30% sollten wir für variable Kosten einplanen und 20% können – und sollten – wir sparen oder investieren. Dass dies nur grobe Richtwerte sind, macht sie deutlich; rechnet aber auch vor, wie viel es ausmacht, wenn man monatlich spart oder investiert.

Worin liegt aber der Unterschied? Und was die Schüler:innen interessiert: Was ist ‚besser‘? Sollte man nicht lieber einfach sparen und sich nicht dem Risiko aussetzen, bei Investments das Geld zu verlieren? Anissa Brinkhoff stellt klar: Sparen bedeutet nicht, dass man sich in 10 oder 20 Jahren noch dasselbe von dem Geld leisten kann wie heute. Altersvorsorge mithilfe des guten alten Sparstrumpfs bringt bei der aktuellen Inflation nicht viel, wird den Schüler:innen bewusst. Private Vorsorge muss allerdings getroffen werden, zeigt Anissa Brinkhoff eindringlich: Die staatliche Altersvorsorge reicht nicht aus, erst recht nicht bei dem derzeitigen demographischen Wandel und unserem Rentenmodell, das auf Umlagefinanzierung fußt. Man kann nicht zu früh anfangen, sich um seine finanzielle Absicherung zu kümmern.

In was man investieren kann und soll, dazu gibt es kein Patentrezept. Anissa Brinkhoff warnt die Schüler:innen auch vor öffentlich, v.a. in sozialen Medien weit geteilten ‚Insider-Tipps‘ zu Kapitalanlagen: Wer hat denn etwas davon, dieses Wissen zu teilen, wenn es wirklich eine Goldgrube ist? Man sah förmlich, wie viele der Schüler:innen zu überlegen begannen. Ein wichtiges Ziel wurde durch den Vortrag erreicht: die Schüler:innen für das Thema Finanzen zu sensibilisieren und dieses als eine ständig anfallende, aber bewältigbare Aufgabe zu sehen.

Das Finanzsystem ist männlich – Frauen dürfen nicht abgehängt werden! Gender Pay Gap und Gender Pension Gap

Ein besonderes Anliegen ist Anissa Brinkhoff das Thema „Female Finance“. Nicht nur verdienen Frauen noch immer bei gleicher Qualifikation im gleichen Job durchschnittlich weniger als Männer – und das im Schnitt 18%. Auch leisten sie deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit, durch die sie selbst schlechter im Alter abgesichert sind. Zudem zahlt man im Mutterschutz nicht automatisch in die Rente ein – und eine Mutterschaft ist meist immer noch ein Karrierehemmnis. So beträgt die Gender Pension Gap derzeit sogar 40%. „Geld ist sexistisch und diskriminierend“, bringt es Anissa Brinkhoff abschließend auf den Punkt. Denn es sei von Männern für Männer geschaffen, Frauen müssen viel stärker mitbedacht werden – in Neuerungen im Finanzwesen wie der zunehmenden Digitalisierung, aber auch in der Wissensvermittlung in der Finanzbildung.

Daher recherchiert Anissa Brinkhoff auch im Rahmen des Mercator-Journalist in Residence-Programms am ZEVEDI für ihren Finanzpodcast „Finance & Feelings“, inwiefern Frauen bei der Digitalisierung des Finanzwesens mitbedacht werden.

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Autor: Cederic Meier Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: hellblau

Quo vadis digitaler Euro?

Quo vadis digitaler Euro? Über die rechtlichen Indikationen des Verordnungsentwurfs zur Einführung eines digitalen Euro

Ein Beitrag von Cederic Meier

vom 4. Juli 2023

Am 28. Juni 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission im Rahmen des Pakets zur einheitlichen Währung neben dem Verordnungsentwurf über Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel1Regulation on the legal tender of euro banknotes and coins. den lang erwarteten Entwurf einer Verordnung zur etwaigen Einführung eines digitalen Euro.2Regulation on the establishment of the digital euro. Verfassungsrechtlich erhält der digitale Euro damit die ausgehende Grundlage für die demokratische Diskussion eines kollektiven Rechtsrahmens, der Gestalt und Funktion des neuen Geldmediums weitgehend bestimmen würde.

Während die parallele Entscheidung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) über die tatsächliche Einführung eines digitalen Euro weiterhin aussteht, benötigt der Verordnungsentwurf nun die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union, die als gemeinsame Institutionen der Gesetzgebung der Union eigene Änderungsvorschläge zur Verordnung einbringen können. In diesem Prozess gilt es fortan, das rechtliche Wesen des digitalen Euro demokratisch zu bestimmen.

Bereits in der Art und Weise der Veröffentlichung des Entwurfs innerhalb des einheitlichen Gesetzgebungspakets verdeutlicht die Europäische Kommission ein wesentliches Fundament des digitalen Euro: Der digitale Euro soll die derzeit existierende Erscheinung des Bargelds in keiner Form ersetzen, sie vielmehr ergänzen und den Bürgerinnen und Bürgern des Euroraums nunmehr die freie Wahlmöglichkeit der Zahlung mit Zentralbankgeld in barer oder digitaler Form gewähren.3Vgl. dahingehend auch die zugehörige Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 28. Juni 2023 sowie die am gleichen Tag in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlichten Beitrag von Fabio Panetta (Direktoriumsmitglied der EZB) und Valdis Dombrovskis (Exekutiver Vizepräsident der Europäischen Kommission) Warum Europa einen digitalen Euro braucht, hierzulande verfügbar unter FAZ vom 28. Juni 2023 sowie kostenlos auf dem EZB-Blog vom 28. Juni 2023. Siehe zudem die dies mehrfach betonende Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 1, 2, 9, 17.So repräsentiert ein digitaler Euro zuvorderst das ausgesprochene europäische Ziel, auch innerhalb einer sich zunehmend digitalisierenden Ökonomie (beispielsweise E-Commerce, Industrie 4.0, Web3) eine kostenlose und effektiv verwendbare Form des öffentlich emittierten Zentralbankgeldes anzubieten, die das für die moderne Geldordnung essenzielle Vertrauen in den Euro im digitalen Zeitalter langfristig zu sichern vermag. Auf dieser Linie soll ein innovativer digitaler Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ein hohes Maß an Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten, die Finanzstabilität der Eurozone wahren und die allgemeine finanzielle Integration weiter fördern.4Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 2, 3.Der anstehende normative Gestaltungsprozess ist damit jedoch gerade erst angestoßen. Fortan gilt es, das rechtliche Wesen des digitalen Euro in den entsprechenden europäischen Gremien demokratisch zu diskutieren und es im Sinne der europäischen Gesellschaft weiter zu formen.

Zum allgemeinen politischen Rahmen einer Verordnung zum digitalen Euro

In rechtsstaatlicher Betrachtung ist zum generellen Erlass der Verordnung zunächst eine entsprechende Rechtsgrundlage erforderlich, die die Europäische Union politisch zur Rechtssetzung ermächtigt. Die Kommission stützt diese Kompetenz auf Art. 133 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), der vorsieht, dass das Europäische Parlament und der Rat die Maßnahmen erlassen, „die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlich sind.“ Da die Währungspolitik gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) AEUV jedoch ohnehin in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Union fällt,5Womit das Subsidiaritätsprinzip der Unionsgesetzgebung gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV unanwendbar ist.dürften der generellen Gesetzgebungskompetenz der Union für einen digitalen Euro unter Wahrung der normativ unabhängigen Befugnisse der EZB keine ernsthaften Zweifel entgegenstehen. Zusätzlich begründet die Kommission den Rückgriff auf Art. 133 AEUV entsprechend des Wortlauts als „erforderlich“, um die Verwendung des Euro als einheitliche Währung im digitalen Zeitalter zu gewährleisten.6Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 5.

Dass die Kommission mit ihrem ausschließlichen Gesetzesinitiativrecht derart frühzeitig und noch vor der Entscheidung der EZB über die Entwicklung eines digitalen Euro im Oktober 2023 aktiv wird, ist dabei aus politischer Sicht äußerst begrüßenswert. So ist die Gestalt eines unmittelbar verbindlichen Rechtssatzes innerhalb einer Gesellschaft, die sich mittels staatlicher Strukturen politisch organisiert, die vorwiegende Grundlage der allgemeinen Akzeptanz einer kollektiv begründeten Ordnung. Für die allgemeine Akzeptanz einer neu zu schaffenden Ordnung des digitalen Euro ist es aus staatstheoretischer Perspektive somit förderlich, sie mittels eines demokratisches Gesetzgebungsprozesses normativ zu konstituieren. Die politische Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Befragung zum digitalen Euro,7Eurosystem report on the public consultation on a digital euro. Zur expliziten Berücksichtigung siehe Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 6. an der sich nach der Veröffentlichung des Report on a digital euro von Oktober 2020 bis Januar 2021 alle Bürgerinnen und Bürger des Euroraums beteiligen konnten, ist in ihrer Intention zwar lobenswert, jedoch bleibt kritisch anzumerken, dass an der Befragung nur 8221 Menschen der knapp 343 Millionen Einwohner des Euroraums teilnahmen, die Befragung fast zweieinhalb Jahre zurückliegt und zu dieser Zeit kaum über einen digitalen Euro informiert wurde. Im weiteren Gesetzgebungsprozess wäre es für die zukünftige politische Akzeptanz und das gemeine Verständnis eines digitalen Euro daher essenziel , eine neue weitreichende und groß angelegte öffentliche Debatte über die Einführung eines digitalen Euro sowie seine etwaigen sozialen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile anzustoßen.

Der digitale Euro als öffentlich kreditiertes Zahlungsmedium

Nachdem der Verordnungsentwurf zunächst die wesentliche Intention eines digitalen Euro sowie grundlegende Begriffsdefinitionen festlegt, formuliert er in Art. 4 die wohl bedeutendste Eigenschaft eines digitalen Euro, die ihn von allen bisher existierenden digitalen Zahlungsmedien abheben würde. Ein digitaler Euro stellt eine unmittelbare Verbindlichkeit der EZB oder der nationalen Zentralbanken dar, dessen Ausgabe ausschließlich zentral durch die EZB genehmigt wird. Damit bildet ein digitaler Euro ein in seinem Bestand öffentlich kreditiertes Geldmedium, das von einer Institution garantiert wird, die innerhalb ihrer eigenen Währung insolvenzunfähig ist und damit stets den Status der Zahlungsfähigkeit erhält. Im Gegensatz dazu fußt die Nutzbarkeit des bereits digital verwendbaren Buchgeldes auf den Geschäftsbankkonten – trotz gesetzlicher Einlagensicherung – grundsätzlich auf der Liquidität einer insolvenzfähigen Geschäftsbank. Denn anders als öffentlich emittiertes Zentralbankgeld stellt dieses „private“ Buchgeld normativ zunächst ausschließlich einen rechtlichen Anspruch gegen eine Geschäftsbank auf Auszahlung des nominalen Betrages in öffentliches Zentralbankgeld dar.

Zudem soll ein digitaler Euro gemäß Art. 7 ff. des Verordnungsentwurfs – vergleichbar dem Bargeld – als gesetzliches Zahlungsmittel grundsätzlich einer generellen rechtlichen Annahmepflicht für die Tilgung von Geldschulden unterliegen. Dies gilt für die offline-Verwendung im Allgemeinen und für die online-Verwendung, soweit der Zahlungsempfänger im Euroraum ansässig bzw. niedergelassen ist (Art. 8). Im Sinne des Verbraucherschutzes wäre es im Rahmen der online-Verwendung im Geschäftsverkehr folglich wünschenswert, Unternehmen zur eindeutigen Kennzeichnung ihrer etwaigen Niederlassung im Euroraum zu verpflichten. Ausnahmen von der gesetzlichen Annahmepflicht sollen nur unter den im Verordnungsentwurf engen Voraussetzungen des Art. 9 möglich sein, die später gemäß Art. 11 durch die Kommission ergänzt werden können.8Gemäß Art. 38 Abs. 6 des Verordnungsentwurfs gilt die Befugnis der Kommission jedoch nur, soweit das Europäische Parlament oder der Rat der Europäischen Union keine Einwände erheben. Gemäß Art. 39 Abs. 3 soll die Befugnis zum Erlass der delegierten Rechtsakte (neben Art. 11 auch Art. 33, 34 und 35) zudem jederzeit durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union widerrufbar sein.Insbesondere soll ein Ausschluss der Annahmepflicht gemäß Art. 10 nicht durch einseitig vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen des Zahlungsempfängers ermöglicht werden. Auf dieser Linie trifft die Verordnung Regelungen, die weit in die mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen hineinwirken.

Als gesetzliches Zahlungsmittel könnte sich ein digitaler Euro derart als universelle Eintrittskarte in die Welt der digitalen Ökonomie des Euroraums etablieren. Als öffentliches Geldmedium würde ein digitaler Euro einerseits die unmittelbare Sicherung durch die staatliche Hoheitsgewalt genießen und andererseits als gesetzliches Zahlungsmittel eine im Grundsatz wirtschaftliche Allzweckwaffe zur sofortigen Tilgung eingegangener Schuldverhältnisse verkörpern. Mittels eines digitalen Euro würde im demokratischen Sinne so die Möglichkeit der allgemeinen Partizipation an der digitalen Marktwirtschaft – ohne Einflussnahme und notwendige Unterwerfung unter die gesetzten Regeln privater Zahlungsanbieter – öffentlich garantiert werden.

Zugang und Nutzung des digitalen Euro als politische Fragen

Der Verordnungsentwurf setzt sich in den Art. 13 ff. weiterhin ausführlich mit Zugang und Nutzung des digitalen Euro auseinander. Gemäß Art. 13 sollen die praktischen Marktprozesse demnach primär von zugelassenen privaten Anbietern von Zahlungsdiensten wie beispielsweise Geschäftsbanken koordiniert werden, ohne eine direkte vertragliche Beziehung der Endnutzer mit der EZB oder den nationalen Zentralbanken entstehen zu lassen (Art. 13 Abs. 6).9Die generelle Zulassung der Zahlungsanbieter des digitalen Euro richtet sich somit folglich nach der Richtlinie (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt. Mit Bezug auf Art. 4 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs bleibt dabei jedoch eindeutig, dass sich dieser Haftungsausschluss ausschließlich auf die konkrete Ausführung der Zahlungsdienste bezieht, der digitale Euro seine Eigenschaft als unmittelbare Verbindlichkeit einer insolvenzunfähigen Zentralbank aber dennoch uneingeschränkt bewahrt. Der Entwurf verpflichtet die privaten Zahlungsanbieter ferner, allen anfragenden Endnutzern gleichermaßen und unabhängig von der Wahrnehmung anderer Angebote, klar benannte, grundlegende digitale-Euro-Dienste kostenlos zur Verfügung zu stellen.10Die entsprechende Auflistung dieser Dienste findet sich in Annex 2 des Verordnungsentwurfs. Entgelte für darüberhinausgehende Dienste dürfen unter strenger Aufsicht der EZB nur in verhältnismäßiger und vergleichbarer Höhe zu anderen angebotenen digitalen Zahlungsmethoden erhoben werden (Art. 17 Abs. 2). Mittels weiterer Informationspflichten (Art. 13 Abs. 8) sowie differenzierten Antidiskriminierungs- und Inklusionsvorschriften (beispielsweise Art. 14 Abs. 4, Art. 22 Abs. 1, 2) trifft der Verordnungsentwurf insgesamt bereits weitreichende und wirksame Vorkehrungen für eine uneingeschränkte finanzielle Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger des Euroraums in die digitale Ökonomie.

In der konkreten Verwendung lässt der Verordnungsentwurf – wie es ob der bisherigen Äußerungen der EZB zu erwarten war – gemäß Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 die Möglichkeit offen, die wirtschaftliche Funktion des digitalen Euro als Wertaufbewahrungsmittel instrumentell zu begrenzen. Um die Finanzstabilität des Euroraums zu schützen, ist davon auszugehen, dass eine im Wert noch offene Obergrenze der Geldmenge, die Bürgerinnen und Bürger maximal in digitalen Euro halten dürfen, durch die EZB etabliert wird. Andernfalls wäre zu erwarten, dass zahlreiche Endnutzer ihr Buchgeld von den Geschäftsbankkonten vollständig in das System des digitalen Euro umlegen, um ihr Kapital unmittelbar an eine insolvenzunfähige Zentralbank zu binden. Trotz dieser Obergrenze sollen die konkreten Zahlungsvorgänge innerhalb der Infrastruktur des digitalen Euro in unbestimmter Höhe ermöglicht werden. Der dabei zusätzlich benötigte Betrag würde von einem Geschäftsbankkonto des Schuldners ergänzt („reverse waterfall functionality“) und im erhöhten Betrag auf einem Geschäftsbankkonto des Gläubigers gutgeschrieben werden („waterfall functionality“). Derart würde die Infrastruktur des digitalen Euro eine vielfach geforderte Funktion erfüllen: Eine allumfassende Zahlungsabwicklung in einem öffentlich abgesicherten und garantierten System.11So stellt die Zahlungsinfrastruktur des digitalen Euro eine echte Alternative zu privaten Instant Payment Systemen wie PayPal dar und erfüllt ähnliche Funktionen wie das häufig gelobte öffentliche Zahlungssystem PIX der brasilianischen Zentralbank.

Überdies sollen die Zahlungsvorgänge gemäß Art. 30 Abs. 1 in nur wenigen Sekunden erfolgen, was die allgemeine Tilgungssicherheit und Effizienz gegenüber traditionellen Zahlungsinstrumenten erheblich stärkt. Auch dem Schutz der Daten, die zwangsläufig bei allen Handlungen im digitalen Raum entstehen, sowie der Privatsphäre wird in den Art. 34 ff. des Verordnungsentwurfs weitreichend Rechnung getragen. Entsprechend der Verordnungsbegründung soll dieser Schutz auf modernsten Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen wie Pseudonymisierung oder Verschlüsselung aufbauen. Unter dem Begriff des „programmierbaren Geldes“ schließt der Verordnungsentwurf in Art. 24 Abs. 2 zudem aus, die Verwendbarkeit des digitalen Euro für bestimmte Waren oder Dienstleistungen zu beschränken. Ein programmierbarer Einsatz des digitalen Euro in Smart Contracts, in M2M Payments oder im Internet of Things, wie er bspw. mittels der Blockchain Technologie möglich wäre, soll damit wohl hingegen keineswegs ausgeschlossen werden.

Aus politischer Sicht stehen alle genannten rechtlichen Wesenszüge und Eigenschaften eines digitalen Euro indessen vollständig zur demokratischen Disposition des europäischen Gesetzgebers. Derart etabliert die Diskussion um einen digitalen Euro die historisch wohl bislang einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Münz-, Papier- und Buchgeld werden im modernen Verfassungsstaat zwar ebenfalls rechtlich reguliert, stellen in ihrem existenziellen Ursprung jedoch vordemokratische Ideenkonstrukte dar. In der digitalen Welt werden die exakten Spielregeln der Zahlungsvorgänge gleichwohl bis heute primär von privaten Zahlungsanbietern diktiert. Ein digitaler Euro würde aus diesem Blick eine moderne Alternative bieten, dessen Nutzung stets der freien Wahlmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger des Euroraums unterliegt.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #1: Revolution

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 24. April 2023

Dass Bitcoin, Ether und digitaler Euro „unsere Wirtschaft revolutionieren“ behauptet der Untertitel des wirklich gut lesbaren Erklärbuchs Die neue Vielfalt des Geldes. Revolution, Revolution, Revolution: Wir werden die Welt des Bezahlens nicht wiedererkennen – und warum?

Wie viele Digitalgeld-Experten entwirft de la Rubia zum ersten eine Zukunft, in der alles Bezahl- und Anlagetechnische (dazu Versicherungsprodukte, Ratenkäufe, weiteres via Formular, also: Smart Contracts) per Smartphone wahnsinnig schnell herbeigeklickt sein wird. Zum zweiten erwartet de la Rubia eine zunehmende „Vermengung von Geld und Vermögen“. Zum dritten sagt er vermehrt genossenschaftliche Strukturen voraus: Die Plattformökonomie könnte ausgebremst werden durch DAOs, also solidarische Formen kollektiver Finanzierung.

Letzteres erscheint am ehesten revolutionär: Die Menschen an der Basis nehmen „ihre“ Geldangelegenheiten selbst in die Hand. Was de la Rubia auch begrüßt. Ich denke dennoch insbesondere über den zweiten Punkt nach. Auf ihn zielt wohl auch der charmante Buchtitel – die Rede von der neuen Vielfalt. Geld und Vermögen „vermengen“ sich. Das Wort steht so da. Was ist gemeint? Heißt das, zwischen bezifferbaren Kontoständen und allem, was ich sonst noch so habe, bilden sich Mitteldinge? Virtuell werden Dinge Geld? Bares und Rares würden sich künftig also im Kopf – nein: auf dem Handy – immer selbstverständlicher miteinander verrechnen lassen? Und Wertgegenstände wie auch Sammelobjekte oder sogar den Hausrat – sowie womöglich den Hausrat anderer Leute – trage ich als Wertzeichen mit mir herum? Noch genauer: alle diese Wertzeichen ließen sich nicht nur jederzeit zum Tausch einsetzen, sondern auch jederzeit beziffern? Blitzschnell berechnet wäre gleichsam alles … proto-monetär. Eine Art fluides Virtualkapital.

Klingt nach Dispositionsfreiheit. Auch nach Planbarkeit. Alles ein Portfolio. Voller Vermögenseinsatz, volle Kontrolle. Volles Selbstunternehmertum vielleicht gar. Wie „geliehen“ und wie sehr nur als Teil einer Wette erlebt man dann aber alles das, was – und sei es nur in der Theorie – portfoliofähig werden könnte? Wird auch meine Gesundheit, mein Alter, mein soziales Kontaktnetzwerk zu meinem „Vermögen“ gehören? Was, wenn man Vermögen nicht lediglich verflüssigen kann, sondern digital einsetzen muss? Spätestens hier liegt das Szenario eines Wettspielers nahe, der nichts besitzt außer seiner Arbeitskraft – weil eben diese und nur diese will der Markt haben und allein diese wird deshalb in Geldwert beziffert. Arbeit wäre allerdings zu einer Fähigkeit mutiert, möglichst viel aus seiner Umgebung virtuell zu verpfänden. Je mehr von meiner Umgebung ich kapitalisiere, desto unternehmensartiger würde jedenfalls mein Privatleben. Und desto weniger bliebe wohl wirklich geldfrei.

Revolutionär? Vielleicht. Aber tatsächlich mehr politische Partizipation? Folgt man de la Rubias These von der „Vermengung“, verändern sich vor allem Portfolio-Routinen und Spieleinsätze. Schlechterdings alles wird als Geld erlebbar. Wenn man da mal nur nicht Freiheit mit Verfügbarkeit verwechselt …

Cyrus de la Rubia: Die neue Vielfalt des Geldes. Wie Bitcoin, Ether und digitaler Euro unsere Wirtschaft revolutionieren, Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2022.

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