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Die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen: Eine Technologie zwischen Innovationsversprechen und Überwachung

Die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen: Eine Technologie zwischen Innovationsversprechen und Überwachung

Ein Beitrag von Alexandra Keiner

16. Januar 2025

Die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen soll schnellstmöglich eingeführt werden – darauf haben sich die Bundesländer geeinigt. Die monatlichen Leistungen, die Asylbewerber:innen bislang noch in bar ausgezahlt bekommen, sollen nun auf eine Prepaid-Karte überwiesen werden. Die Erwartungen an die Karte sind groß: Sie soll die Verwaltung entlasten und modernisieren, Migrationsanreize reduzieren und Schleuserkriminalität bekämpfen. Entsprechend weitreichend sind die mit der Karte verbundenen Einschränkungen: Käufe im Internet werden unterbunden, Bargeld ist nur eingeschränkt verfügbar, die Nutzung der Karte nur in bestimmten Postleitzahl-Gebieten möglich, und Überweisungen werden auf autorisierte Händler und Personen beschränkt. Von Organisationen und Sozialverbänden wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Pro Asyl und dem Institut für Finanzdienstleistungen wird die Karte deshalb als diskriminierend und grundrechtswidrig kritisiert.

Ein näherer Blick bringt einige Widersprüche zum Vorschein: Zum einen basiert die vermeintlich neuartige Bezahlkartentechnologie auf einer fast 30 Jahre alten Geschichte der Überwachung und Einschränkung von Asylbewerber:innen. Zum anderen verfehlt die Karte ihre eigenen Ziele, denn in der Praxis führt sie teilweise sogar zu mehr Verwaltungsaufwand und -kosten statt zu Modernisierung und Entlastung.  

Was ist die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen?

In den technischen Anforderungen an die Bezahlkarte, die eine gemeinsame Arbeitsgruppe aller Bundesländer formuliert hat, heißt es, die Geldkarte solle eine „guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion (ohne Kontobindung)“ sein, also nicht über die Funktionen eines Bankkontos verfügen.

Obwohl in der Regel von einer „Bezahlkarte“ gesprochen wird, werden bereits seit Anfang 2024 verschiedene Bezahlkarten eingesetzt und getestet. Nach der Vergabe einer Ausschreibung im Oktober 2024 kommen nun drei Modelle in Deutschland in Gebrauch. Auch wenn alle drei Modelle laut eigenen Aussagen die genannten Anforderungen erfüllen, lohnt es sich, diese genauer anzuschauen:

(1) Social Card (Secupay und Visa)

Mit 14 Bundesländern hat sich die Mehrheit für die „Social Card“ entschieden, die von dem Zahlungsinstitut Secupay betrieben und von Visa herausgegeben wird. Die Karte ist bereits in einigen Städten und Gemeinden im Einsatz, unter anderem in Magdeburg, Hamburg und Hannover. Von Visa und Secupay wird sie als „guthabenbasierte Visa Debitkarte“ mit einer „virtuellen IBAN“ bezeichnet. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Debitkarten ist sie nicht mit einem privaten Bankkonto und den damit entsprechenden Kontofunktionen verbunden. „Guthabenbasiert“ und „Prepaid“ bedeutet, dass die Karte vor der Nutzung aufgeladen werden muss, aber nicht wie eine Kreditkarte oder ein Bankkonto ins Minus oder in den Dispo gehen kann. Über die Debitfunktion können Nutzer:innen mit der Karte bei allen Teilnehmer:innen des Visa-Netzwerks bezahlen oder Geld abheben. Die „virtuelle IBAN“ bedeutet allerdings, dass die Kontoinhaberin die Behörde ist und die Karteninhaber:innen nur eine virtuelle Subadresse erhalten, um die Leistungen überwiesen zu bekommen.

Eine Social Card von VISA/Secupay in der linken Hand, die dazugehörige HAndyapp auf dem Handy in der rechten Hand. Photo Credit: Hamburger Initiative „Nein zur Bezahlkarte!"
Eine Social Card von Secupay/VISA und die dazugehörige Handyapp. Photo Credit: Hamburger Initiative „Nein zur Bezahlkarte!“

Eigenständige Überweisungen, Lastschriften oder Zahlungseingänge sind damit für Asylbewerber:innen schon technisch nicht möglich. In der Praxis hat dies weitreichende Folgen. Um etwa Gebühren für Handyverträge oder Abonnements für öffentliche Verkehrsmittel bezahlen zu können, eröffnen manche Asylbewerber:innen parallel ein Konto bei einer Bank und buchen dort ihren monatlichen Barbetrag von meist 50 Euro ein. In anderen Fällen tätigen Verwaltungsmitarbeiter:innen die Überweisungen im Auftrag der Karteninhaber:innen, was nicht nur ein enormer Verwaltungsaufwand , sondern auch datenschutzrechtlich fragwürdig ist.

(2) Bezahlkarte (PayCenter und Mastercard)

Bayern hat sich als einziges Bundesland für die Bezahlkarte des E-Geld-Instituts PayCenter entschieden, die von Mastercard herausgegeben wird. Technisch ähnelt sie der SocialCard: Auch sie ist eine guthabenbasierte Karte, bei der das verfügbare Guthaben nur bei Partnern des Mastercard-Netzwerks abgerufen werden kann. Auch hier liegt ihr kein vollwertiges Konto zugrunde, aber im Gegensatz zur SocialCard sind Überweisungen mit dieser Geldkarte technisch möglich – wenn auch politisch nicht gewollt. In bestimmten Notfällen können Asylbewerber:innen aber Überweisungen bei der jeweiligen Behörde anfordern. So heißt es etwa auf der Webseite der Stadt München: „Damit Zahlungen an Dritte, wie beispielsweise Handyanbieter, erfolgen können, müssen Sie per E-Mail […] mitteilen, an wen Zahlungen erfolgen sollen. Nach entsprechender Prüfung können diese Zahlungsempfänger*innen freigeschaltet werden.“ Über die Bezahlkarten-App können dann Überweisungen an die freigeschalteten Empfänger:innen getätigt werden. Damit nicht jede Überweisung freigeschaltet werden muss, wurden sogenannte Whitelists mit zulässigen Zahlungsempfänger:innen erstellt, darunter Mobilfunkanbieter, die Deutsche Bahn oder Rechtsanwält:innen. Immer wieder neue Zahlungsempfänger:innen zu überprüfen ist in der Praxis allerdings mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden.

Eine Bezahlkarte von Mastercard/PayCenter. Photo Credit: Alexandra Keiner
Eine Bezahlkarte von Paycenter/Mastercard. Photo Credit: Alexandra Keiner

(3) Bezahlkarte (Yoursafe und Visa)

Auch Mecklenburg-Vorpommern wählt den Alleingang und hat das niederländische Finanzinstitut Yoursafe in Kooperation mit Visa mit der Einführung der Bezahlkarte beauftragt. Innenminister Christian Pegel begründet den Sonderweg damit, dass es „wichtig war und ist, die Belange der kommunalen Ebene, also der Landkreise und kreisfreien Städte, zu berücksichtigen“ und deshalb die Vergabe auch in Mecklenburg-Vorpommern eigenständig vorzunehmen. Die Karte soll den Anforderungen der Ausschreibung entsprechen und damit ähnliche Einschränkungen wie die beiden anderen Modelle haben. Ob Überweisungen mit der Karte technisch möglich sein werden, ist bislang noch unklar. Die Karte soll ab 2025 zunächst nur in Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden.

Die Geschichte der Bezahlkarte

Die Einführung einer Bezahlkarte wird häufig als innovative Technologie dargestellt, die auf die aktuellen Herausforderungen des Asylsystems reagiert. Dabei steht sie in einer bereits langen Tradition: Seit der Reform des Asylrechts in den 1990er Jahren wurden immer wieder Gutschein- oder Kartensysteme eingeführt, um die Barauszahlung von Leistungen an Asylbewerber:innen zu ersetzen oder einzuschränken. Die Vorläufer der heutigen Bezahlkarte zeigen, dass nicht nur die Ziele über die Jahre gleich geblieben sind, sondern auch die Einschränkungen und Technologien viele Ähnlichkeiten aufweisen.

1997: „Smart-Card“

Los ging es 1997 mit der sogenannten „Smart-Card“: Damals forderte die Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner, dass Asylbewerber:innen nur noch ein Taschengeld in bar erhalten sollten und der Großteil der Leistungen in Form von „Scheckkarten“ ausgegeben wird. Die Scheckkarten konnten dabei nur in eigens dafür eröffneten Lebensmittelmagazinen und Kleiderkammern eingelöst werden. Bereits ein Jahr später wurden diese Karten in Berlin und Brandenburg durch eine Chipkarte der Firma Infra-Card ersetzt, mit der man nun bei Händlern einkaufen konnte, die sich zur Kooperation bereit erklärten, darunter Supermärkte wie Edeka und Minimal, nicht aber Discounter wie Lidl oder Aldi. Auch der Kauf von Produkten wie Alkohol und Zigaretten war verboten und wurde an der Kasse kontrolliert. Die Gründe, die Sozialsenatorin Hübner für den Einsatz der Chipkarte nannte, waren die gleichen wie knapp 30 Jahre später bei der Einführung der Bezahlkarte: „Um den Anreiz nach Berlin zu kommen zu verkleinern und um Schlepperbanden abzuschrecken, die Flüchtlingen ihr Bargeld abnehmen“. Die Chipkarte wurde hauptsächlich in Berlin eingesetzt, bis 2002 der Vertrag mit Infra-Card aufgrund des Regierungswechsels in Berlin gekündigt wurde. Auch Bemühungen, die Karte bundesweit als eine Art Multifunktionskarte einzusetzen, die nicht nur zum Bezahlen, sondern auch als Patientenkarte, Ausweis und Wohnheimschlüssel dienen sollte, scheiterten unter anderem an Datenschutzbedenken und der Ablehnung der Karte in einigen Bundesländern.

Ende 1990er: Sodexo-Wertgutscheine

Ende der 1990er Jahre wurden neben der „Smart-Card“ auch Wertgutscheine für Asylbewerber:innen ausgegeben. Mehrere Landkreise beauftragten das französische Catering- und Gebäudemanagementunternehmen Sodexo mit ihrer Ausgabe von Wertgutscheinen. Die Gutscheine konnten innerhalb eines Gültigkeitszeitraums von in der Regel einem Monat bei den Vertragspartnern von Sodexo eingelöst werden. Vor allem für Asylbewerber:innen, die erst kürzlich in Deutschland angekommen sind, war es schwer nachzuvollziehen, in welchen Geschäften die Gutscheine überhaupt angenommen wurden. Zudem gab es auch hier viele Einschränkungen: So musste der Gutscheinbetrag fast zur Gänze bei einem Einkauf eingelöst werden und bestimmte Produkte waren ausgeschlossen. Auf den Gutscheinen stand unübersehbar: „Einlösbar für Nahrungsmittel sowie Hygiene- und Körperpflegemittel, Bekleidung, Schuhe und Hausrat. Keine Abgabe von Tabakwaren und Alkohol“. Da die Gutscheine zweimal im Monat persönlich bei den jeweiligen Behörden abgeholt werden mussten, haben viele Kommunen die Gutscheine aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes wieder abgeschafft. In einigen Landkreisen wie dem Saalekreis in Sachsen-Anhalt wurden die Gutscheine noch bis 2018 ausgegeben.

2015: „Refugee Card“ von Sodexo und Wirecard

2015 führte der Landkreis Altötting in Bayern dann als erste Kommune eine „Refugee Card“ ein. Ähnlich den heutigen Bezahlkartenmodellen handelte es sich dabei um eine Prepaid-Karte, auf die Leistungen überwiesen werden und mit der nur in lokalen Geschäften bezahlt werden konnte, ohne die Möglichkeit, Geld zu überweisen oder Bargeld abzuheben. Betreiber der Karte war – wie auch bei den Wertgutscheinen – das französische Unternehmen Sodexo, Kartenprovider der Zahlungsdienstleister Wirecard. Der Einkauf war auf insgesamt 14 Geschäfte im Landkreis beschränkt, die sich an dem Projekt beteiligten; Handyrechnungen, Anwaltskosten oder ein Busticket konnten damit nicht bezahlt werden. Ähnlich wie bei der Chipkarte und den aktuellen Geldkartenmodellen wurde die Einführung der Karte vor allem mit Verwaltungsvereinfachung und der Verhinderung von Auslandsüberweisungen begründet. Obwohl Kommunalpolitiker den flächendeckenden Einsatz der Karte forderten, übernahmen nur wenige Nachbarlandkreise von Altötting die Refugee Card. Im Jahr 2020 wurde das Projekt aufgrund des Skandals um und der Insolvenz von Wirecard eingestellt.

Überwachungstechnologie und lukratives Geschäftsmodell

Die bisherigen Projekte wie Smart-Card, Wertgutscheine und Refugee Card wurden offiziell nie daraufhin evaluiert, ob sie zur Erreichung der Ziele beigetragen haben. Auch deshalb gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass Bezahlkarten zu weniger Auslandsüberweisungen, Schleuserkriminalität und Migration führen. Eine repräsentative Studie des DIW zeigt, dass 2021 nur 7 Prozent der Geflüchteten in Deutschland Geld ins Ausland schickten. In dieser Zahl sind auch Geflüchtete erfasst, die erwerbstätig sind; der Anteil an Asylbewerber:innen, die einen Teil der Leistungen von maximal 500 Euro monatlich ins Ausland schicken, dürfte weit niedriger liegen. Vor diesem Hintergrund kann bezweifelt werden, dass sich für dieses Ziel der teure Einsatz der Karte finanziell wirklich lohnt.

Auch das Argument der Verwaltungsvereinfachung und Modernisierung hinkt: Zwar ist die elektronische Überweisung der Leistungen im Vergleich zur monatlichen Bargeldauszahlung eine Erleichterung, doch durch die technischen Hürden und die Autorisierung von Überweisungen ist der Einsatz der Karte für die Behörden mit weitaus mehr Aufwand und Kosten verbunden1Voraussichtliche Kosten für das Land Berlin: https://www.morgenpost.de/berlin/article241920348/Das-kostet-Berlin-die-Bezahlkarte-fuer-Asylbewerber.html bzw. eine wirkliche Entlastung scheint fraglich. In einigen Kreisen in Sachsen wird beispielweise trotz der Bezahlkarte eine monatliche Vorstellung auf dem Amt verlangt, um Leistungen zu erhalten. Damit fällt der Effizienzgewinn für die Verwaltung wieder gänzlich weg. Zudem fungieren die Verwaltungsmitarbeiterinnen neben ihren eigentlichen Aufgaben auch als Beschwerdestellen, da die Karteninhaber:innen keinen direkten Vertrag mit den Kartenbetreibern haben. So berichten Asylbewerber:innen, dass es in einigen Geschäften, die Kartenzahlung anbieten, nicht möglich war, mit der Karte zu bezahlen. Entweder, weil sie keine Master- oder Visa-Karten akzeptieren, oder aus technischen Gründen. Die Betroffenen mussten nicht nur den gesamten Einkauf zurücklegen, was eine Demütigung war, sondern wandten sich mit ihren Fragen oder Beschwerden an die Behörden.

Stattdessen scheinen die Bezahlkarte und ihre Vorgänger vor allem ein Ziel zu haben: die Kontrolle und Gängelung von Geflüchteten. Neue digitale Funktionen wie die automatische Beschränkung der Karte auf bestimmte Regionen schränken nicht nur die Mobilität der Asylsuchenden ein, sondern ermöglichen auch die Überwachung, ob und wann die Region verlassen wurde, was zu Sanktionen oder sogar Abschiebungen führen kann. Für diese regionale Einschränkung wird mit der Residenzpflicht einiger Asylbewerber:innen (AsylG § 56) argumentiert, die ihren zugewiesenen Bezirk oder Ort nicht ohne Erlaubnis verlassen dürfen. Zum einen ist fraglich, ob die Karte hier angemessen ist, um diese Regelung zu kontrollieren. Es kann zu Falschangaben kommen, z.B. wenn die Karte in Grenzbereichen oder irrtümlich von einer anderen Person benutzt wird. Gravierender ist aber, dass nicht alle Asylbewerber:innen, die ihre Leistungen auf der Bezahlkarte erhalten, der Residenzpflicht unterliegen und dennoch für das Verlassen der regionalen Beschränkung sanktioniert werden können.

Eine weitere Möglichkeit der Überwachung anhand der Bezahlkarte ist die fehlende oder eingeschränkte Überweisungsmöglichkeit. Da die Überweisungen dann von den Behörden durchgeführt oder genehmigt werden müssen, werden sensible Informationen über die Empfänger:innen einsehbar, die im Asylverfahren eine Rolle spielen können. So können z.B. die Namen und fachliche Spezialisierung von Anwält:innen nachvollzogen werden, aber auch, ob es sich bei den Überweisungen um Strafzahlungen z.B. für Fahren ohne gültigen Fahrschein handelt. So kann zum Beispiel bei Überweisungen an Asylrechtsanwält:innen darauf geschlossen werden, dass jemand gegen eine Entscheidung der Behörde vorgehen möchte.

Ortsbeschränkung der Bezahlkarte. In der Bezahlkarten-App von Bayern erscheint die Warnanzeige, dass diese nur im Bereich der Stadt Nürnberg verwendet werden kann. Photo Credit: Alexandra Keiner
Ortsbeschränkung der Bezahlkarte. Warnhinweis in der bayrischen Bezahlkarten-App. Photo Credit: Alexandra Keiner

Für die beteiligten Unternehmen ist die Einführung der Bezahlkarte hingegen nicht nur ein lukratives Geschäft, da die Verträge mit den staatlichen Behörden meist über mehrere Jahre laufen, sondern auch ein Testfeld für neue Technologien und Geschäftsmodelle. Kreditkartenanbieter wie Visa und Mastercard verdienen nicht nur an jeder Kartenzahlung, sondern wollen auch „das kontolose Prekariat als Kundinnen und Kunden unter ihre Fittiche nehmen“, wie Michael Findeisen, Mitarbeiter bei Finanzwende und  ehemaliger Referatsleiter für Zahlungsverkehr und Geldwäsche im Finanzministerium, in einem Interview mit dem Magazin Jacobin erklärt. Zudem ist davon auszugehen, dass die Bezahlkarte in Zukunft nicht nur für Asylwerber:innen eingesetzt wird, sondern auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird. Sven Schmitz, Manager bei Visa Europe, schrieb im Mai 2024, dass er auf dem CDU-Parteitag mit Vertreter:innen aus Bund, Ländern und Kommunen diskutiert habe, „für welche Anwendungsfälle [die SocialCard] fernab der Auszahlung von Sozialleistungen für Geflüchtete, nutzbar ist“.

Basiskonto statt Bezahlkarte

Dabei ist weder die Zusammenarbeit mit global dominanten, außereuropäischen Zahlungsdienstleistern noch die überbordende Kontrolle der Asylbewerber:innen eine Notwendigkeit, will man wirklich bloß den Verwaltungsaufwand reduzieren: Eine inklusive und ressourcensparende Lösung sowohl für Asylbewerber:innen als auch für Verwaltungsmitarbeiter:innen wäre ein Basiskonto für jede:n Asylbewerber:in bei einer Bank. Dies würde den Aufwand der monatlichen Bargeldauszahlung wie auch die Kosten für Bezahlkartenanbieter einsparen, aber auch die Asylbewerber:innen weniger einschränken. Denn seit dem „Zahlungskontengesetz“ 2016 ist die Eröffnung eines Basiskontos bereits mit einer Duldung möglich und ein Großteil der Asylbewerber:innen verfügt daher bereits über ein eigenes Konto. Einige mussten ihr Konto sogar aufgrund der Kontogebühren und des eingeschränkten Bargeldzugangs durch die Bezahlkarte kündigen. Die Bezahlkarte hat somit faktisch zu einem „unbanking“ der Asylbewerber:innen geführt – angesichts der weltweiten Debatte um finanzielle Inklusion eine eher paradoxe Entwicklung.

Und statt Gängelung qua Bezahlkarte schafft ein Basiskonto eine langfristige Perspektive für Asylbewerber:innen. Denn laut UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, führt ein Zugang zu einem Bankkonto und finanzielle Selbstbestimmung zu einer besseren Integration und zu einer dauerhaften finanziellen Unabhängigkeit der Geflüchteten.

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Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Alexandra Keiner im Interview mit Caroline Marburger

2. November 2023

Beim von ZEVEDI in Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt veranstalteten Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen mit dem Titel Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt war Alexandra Keiner als Expertin für Bezahlverbote dabei. Caroline Marburger von eFin & Demokratie hat mit ihr über ihre Forschung geredet und darüber, wie sie diesen Abend und die 1:1-Gespräche mit Nichtexpert:innen wahrgenommen hat.

Frau Keiner, wie sind Sie eigentlich auf Ihr Thema „Bezahlverbote im Netz“ gekommen und mit welchen Fragen befassen Sie sich in Ihrer Forschung?

Meine Abschlussarbeit habe ich über die staatliche und private Regulierung von Pornographie im Internet geschrieben. Darüber, wie eine Art Zweiteilung des kommerziellen Internets entstanden ist: Auf der einen Seite stehen Big-Tech-Unternehmen, die die Darstellung pornografischer und sexueller Inhalte zunehmend einschränken. Und auf der anderen Seite die Internet-Pornographie-Industrie, wo eine starke Machtkonzentration zugunsten der großen Pornographie-Plattformen zu beobachten ist.

Und dann wurde mir schnell klar, welche wichtige Rolle Zahlungsdienstleister im Netz spielen – und zwar für beide Seiten. Daraus ergab sich für mich eine breitere und intensivere Auseinandersetzung mit Fragen der Rolle von Zahlungsinfrastrukturen und finanzieller Inklusion: Wer wird warum und wie von der Nutzung bestehender, insbesondere grenzüberschreitender Zahlungsinfrastrukturen ausgeschlossen? Inzwischen untersuche ich dies insbesondere am Beispiel der Digitalisierung von Auslandsüberweisungen.

Wie können wir uns das denn konkret vorstellen? Haben Sie ein Beispiel für Ausschlussverfahren durch Zahlungsdienstleister, die Sie aus Ihrer Forschung kennen?

Zum Beispiel bei der Internetpornographie, wo viele Performer:innen in Lateinamerika leben, aber ihre Kund:innen in Europa oder den USA: Die Performer:innen sammeln ihre Einkünfte, die sie meist über Plattformen erwirtschaften, meist auf ihrem Paypal-Account. Erfahrungsberichte in Interviews, Studien oder Social Media Posts, die sich mit dem Konsum und dementsprechendem Bezahlen von pornografischen Inhalten im Netz beschäftigen, zeigen: Meist ist Paypal die komfortabelste Option oder sogar die einzige Option, die die Plattformen überhaupt anbieten. Außerdem sind Brasilien, Bolivien, Argentinien zum Teil Länder mit unglaublich hoher Inflation. Anbieter:innen von dort haben also gute Gründe, die Zahlungen, die sie in Euro oder Dollar erhalten, als Paypal-Guthaben auf ihrem Account liegen zu lassen.

Paypal hat 2019 beschlossen, die Zahlungen auf einer der größten Porno-Plattformen einzustellen. Aber die Frage ist: Für wen gilt das? Wenn ich jetzt dort bei Pornhub ein Premiumkonto habe, dann wird mein Paypal-Konto nicht gesperrt. So ein Konto bleibt natürlich unangetastet, die Konsument:innen bleiben unbelangt. Der einzige Nachteil ist, dass Paypal auf dieser Plattform nicht mehr als Zahlungsoption zur Verfügung steht.

Aber auch das Konto der betreibenden Unternehmen bleibt unberührt. Pornhub bzw. das dahinterliegende Unternehmen Mindgeek sagt, sie seien nur eine Werbe- oder Datenplattform. Die Werbetreibenden wiederum sagen, sie würden nur Werbung schalten. Die Einzigen, die davon betroffen sind und ihr Geld nicht bekommen, sind Hunderttausende von Performer:innen oder Produzent:innen, weil dort, so die Aussage, die Situation klar sei. Die verdienen ihr Geld zu 100 Prozent mit Pornographie, die anderen nicht.

Ihr Paypal-Konto mit, sagen wir, 5000 Euro, wird eingefroren. Die Darsteller:innen haben dann vorerst keinen Zugang mehr. Gemäß der AGB ist Paypal zu solchen Maßnahmen berechtigt. Wie Performer:innen bezahlt werden oder ob sie überhaupt bezahlt werden, wird immer undurchsichtiger und trotzdem läuft das Geschäft natürlich weiter, nur die Bezahlung wird schwieriger.

Was wird von Zahlungsdienstleistern denn konkret reguliert?

Im beschriebenen Fall verwies Paypal auf seine AGBs, wonach Zahlungen für sexuell orientierte Produkte und Dienstleistungen untersagt werden können. Sie geben in ihren AGBs auch an, dass sie Zahlungen von terroristischen Organisationen oder extremistischen Gruppen verbieten.

Die Frage bleibt aber: Was tun sie konkret? Denn sie müssen ihr Handeln nicht im Einzelfall begründen. Daher ist es schwierig nachzuweisen, wo genau die Mechanismen greifen. Gerichtsurteile und vorliegende Studien zeigen aber, dass die bestehenden Mechanismen letztlich dafür sorgen, dass eher linke als rechte Gruppen, eher kleine als große Unternehmen, eher Frauen als Männer, mehr im globalen Süden betroffen sind – mehr als etwa rechte Organisationen in den USA.

Gibt es denn eine Kooperation zwischen Zahlungsdienstleistern und staatlichen Stellen?

Um nicht (noch) stärker reguliert zu werden, arbeiten Zahlungsdienstleister auch über die normale Gesetzeslage hinaus vermehrt mit Staaten zusammen. Die kanadische Soziologin Natasha Tusikov nennt diese Abmachungen handshake deals. Das kann zum Beispiel heißen: Das US-Markenrecht soll weltweit eingehalten werden, also wird eine entsprechende „Schwarze Liste“ erstellt. Kommt bei Transaktionen ein Name von dieser Liste vor, also zum Beispiel ein Name, hinter dem der Verkauf von Raubkopien vermutet wird, dann werden diese Transaktionen automatisch ohne Überprüfung unterbunden. Auch wenn die Betroffenen nicht der US-Gesetzgebung unterliegen.

Es kann auch sein, dass bestimmte Wörter in Transaktionen ausreichen, um zum Problem zu werden. Zum Beispiel Aleppo-Seife. Potenzielle Käufer:innen dieser Seife können, da hier versucht wird, Terrorfinanzierung zu verhindern, in einem normalen Onlineshop nicht mehr mit Paypal bezahlen.

Sie verstehen also bei aller Kritik den Erfolg von Paypal? Und meinen Sie, man sollte es nutzen?

Es ist klar, dass es so erfolgreich ist, weil es im Vergleich einfach, schnell und teilweise günstig ist. Wenn man dem Problem mit dem Vorwurf begegnet „Was nutzt du denn auch Paypal?“, oder es boykottiert, dann wird das Problem wieder individualisiert. Du benutzt deren Dienste eben, weil es einfach ist und weil es viele Möglichkeiten bietet, die es vorher nicht gab, aber die es geben sollte.

Sie befassen sich derzeit mit dem Phänomen der Rücküberweisungen oder „remittances“ auf Englisch , also damit, dass Menschen entweder in ihre Herkunftsländer oder an Familienmitglieder im Ausland Teil ihres Lohnes überweisen – meist in vergleichsweise ärmere Länder. Diese Überweisungen gelten als ein Kernbestandteil des globalen Finanzsystems, zumal ihr Volumen das humanitärer Hilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer übersteigt. Man geht davon aus, dass diese Finanzflüsse wesentlich zu Stabilität und Wachstum der Länder beitragen, in die diese Gelder fließen. Wie verbindet sich dieses Feld mit dem, was Sie bisher erforscht und wir besprochen haben?

Ich hatte aus meiner bisherigen Forschung die Erkenntnis mitgenommen, dass die Einschränkungen und Probleme von Zahlungsinfrastukturen bestimmte Personengruppen mehr als andere betreffen. Und dann bin ich auf Western Union aufmerksam geworden. Ich habe mich gefragt, warum zum Beispiel in Berlin-Mitte immer noch Menschen Schlange stehen, um Geld für ihre Verwandten im Ausland aufzugeben. Ändert sich hier etwas durch die Digitalisierung? Digitalisieren sich auch Unternehmen wie Western Union? Und was hat das dann für eine Bedeutung, wenn sich die Macht über diese Rücküberweisungen in so wenigen Unternehmen konzentriert? Was bedeutet es gesellschaftlich, dass es eine gänzlich parallele Infrastruktur gibt, deretwegen bestimmte Menschen mit horrend hohen Gebühren Geld zur Unterstützung ihrer Familien ins Ausland schicken, während deutsche Bürger:innen ohne Migrationsgeschichte dies kaum kennen, da sie selbst zumindest in den meisten Fällen so gut wie gebührenfrei überweisen.

Kommt für diese Auslandsüberweisungen eigentlich auch Paypal in Frage? Oder Kryptowährungen?

Paypal, ja, teilweise, sofern man ein Bankkonto hat. Das haben viele der Empfänger:innen der Rücküberweisungen nicht. Es gibt auch Länder die gänzlich ausgeschlossen sind, wie Iran, Nordkorea und derzeit Russland. Überweisungen via Paypal können aber je nach Wechselkurs und Zielland sehr teuer sein. Auch beim Währungsumtausch erhebt Paypal ggf. hohe Gebühren und zudem tauscht es das Geld der Sender:innen zu schlechteren Wechselkursen um.

Das gilt auch für Western Union: Nach dem Erdbeben in Marokko warben sie damit, dass die Überweisungen für ein paar Wochen gebührenfrei wären. Aber diese Werbung war mit Sternchen versehen und nahm die Währungsumrechnung davon aus. Ihr Verdienst liegt schließlich neben den Gebühren in der sogenannten Wechselmarge, also der Differenz zwischen dem von ihnen angebotenen und dem aktuellen Marktkurs. Letztlich werden so mit einer Aktion, die immer noch Verdienst erlaubt, ggf. ganz neue Kunden gewonnen – eben die, die den Opfern finanzielle Hilfe zukommen lassen wollen.

Krypto kann teilweise eine Option sein, aber dafür muss man sich mit der Infrastruktur auskennen und es ist nicht immer gebührenfrei. Wenn ich jetzt beispielsweise meinem Opa in Rumänien Geld schicken wollen würde: Er würde es mit Krypto nicht hinbekommen. Das heißt, vereinzelt ja, aber da ist die Schwelle recht hoch. Ich halte das noch nicht für eine gangbare Option.

Warum, meinen Sie, wird bei aller Kritik an Internetplattformen so wenig über die Zahlungsdienstleister im Netz diskutiert? Was genau beim digitalen Bezahlen passiert, ist eigentlich nie Thema. Ist das wirklich zu schwierig? Oder nutzen wir es schlicht, weil es so schön einfach ist und denken gar nicht drüber nach? Sind wir da gutgläubig?

Ich glaube, es ist auch nicht zu unterschätzen, dass es den Anschein einer rein technologischen Lösung hat: eine App, die wir schlicht als Lösung eines früheren Problems akzeptieren, oft ohne größere Fragen zu stellen. Das war kompliziert, hat früher mehrere Tage gedauert und was gekostet. Und jetzt plötzlich geht es ganz schnell und kostet kaum was. Toll, dass die Digitalisierung das geschafft hat. Nehme ich. Muss es doch auch für alle geben.

Über diese Forschungsthemen bzw. konkreter das Thema Bezahlverbote haben Sie mit Laien in einem Tischgespräch auf dem Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens» gesprochen. Ein Gespräch, das ihre Gegenüber am Marktschalter für einen Euro gebucht hatten. Titel dieses Marktes war „Follow the Money“. Könnten Sie schildern, wie Sie den Abend wahrgenommen haben?

Du wirst eingelassen und dann erfasst es Dich. Es ist zum einen echt, wirkt authentisch, eben ein vielstimmiges Gespräch zahlreicher Expert:innen und ihrer Gegenüber. Gleichzeitig ist aber auch ein performiertes Marktgeschehen. Diese Mischung war unglaublich spannend.

Durch das Programm zu gehen und so viele Leute zu sehen, die sich dafür interessieren, das war schön. Ich gebe zu, ich war ein wenig besorgt, meine Gesprächspartner:innen zu enttäuschen. Schließlich gab es so viele spannende Themen. Der Experte am Nachbarstisch kann buchstäblich zaubern – und ich erzähle was vom Zahlungsverkehr.

Stimmt, das ist harte Konkurrenz. Aber diese Sorge hat sich schließlich gelegt, oder?

Man denkt kurz: Habe ich überhaupt was zu erzählen? Was könnte ich sagen? Aber die Gespräche waren dann sehr angenehm und kurzweilig.Meine Gesprächspartnerinnen waren beide aus der Kreativszene, keine, die irgendwie 3.000 € im Monat auf ihr Konto bekommen, sondern eben auch Minusstände kennen. Und bei einer gab es die Angst, dass irgendwann die Existenz unsicher wird. Was, wenn ihre Kunst plötzlich als problematisch oder pornografisch gilt und kein Geld mehr fließt. Welche Umstände könnten ggf. dazu führen, dass man selber ins Hintertreffen gerät?

Welche Frage oder Ansicht hat Sie ggf. überrascht?

Besonders überrascht hat mich die Frage, warum die Staaten nicht in die Macht der großen Finanzakteure eingreifen, auch wenn diese international agieren. Eine andere Frage war, warum es überhaupt rechtlich möglich sei, Menschen einfach von Finanzdienstleistungen auszuschließen. Es müsse doch so etwas wie ein Grundrecht auf (internationalen) Geldtransfer geben.

Hat es Sie im allerersten Moment nicht vielleicht auch überrascht, dass Paypal so einfach Zahlungen unterbinden kann?

Doch, mir ging es auch so, aber in der letzten Zeit habe ich mich weit davon entfernt. So dass ich jetzt dachte, es sei merkwürdig, dass Bürger:innen davon ausgehen, man habe generell sowas wie ein Recht auf ein Bankkonto oder ein Recht auf Bezahlung.

Ich finde auch zunehmend, dass wir das in der Schule lernen sollten. Ich habe ja Sozialwissenschaften studiert und nicht Ökonomie. Und als ich zu diesem Thema gekommen bin, hatte ich erstmal wenig Ahnung und das fühlt sich ungut an. Man denkt: Bin ich naiv? Warum weiß ich das nicht? Aber letztlich scheint es mir strukturell bedingt, dass man so wenig weiß über so eine wichtige Infrastruktur oder darüber, wie eigentlich Banken und Geldschöpfung funktionieren.

Sie sagen, es sei strukturell bedingt. Was glauben Sie, sind die Ursachen? Haben Sie eine Hypothese?

Ich glaube ich habe zwei Antworten. Die eine wäre offiziell und die andere, sehr zugespitzt, was ich selber denke.

Ich fange mal mit der Offiziellen an. Man könnte es als eine Art Abkopplung beschreiben. In dem Moment, als das Geldsystem überhaupt sich tiefgreifend verändert hat. Der Finanzmarkt wurde beispielsweise mit dem Big Bang von 1986 in London sukzessive dereguliert und in England und den USA eröffneten sich völlig neue Dimensionen– eine Welle, dem auch der streng regulierte Finanzmarkt Deutschlands sich als Exportnation nicht gänzlich entziehen konnte. Der Finanzmarkt wurde komplizierter, aber auch schneller und größer. Und gleichzeitig sollten, glaube ich, die Leute nicht zu sehr verwirrt werden. Es gibt im Buch „Zentralbankkapitalismus“ von Joshua Wullweber ein Vorwort von Rainer Voss, einem ehemaligen Investmentbanker und inzwischen Befürworter einer gerechteren Finanzpolitik, in dem sagt er sinngemäß zur Entwicklung seit den 80er Jahren: „Da haben wir als Banker einfach die Tür zugemacht und gesagt, nee, wir wollen auch gar nicht, dass das jemand en detail versteht“.

Zugespitzt würde ich zudem sagen, dass gewisse Gruppen bei der vehementen Ungleichheit, die existiert, vielleicht nicht unbedingt wollen, dass alle sich im Klaren darüber sind, wie viel Macht Banken eigentlich haben, indem sie Geld schöpfen, und wie unsicher Geld sein kann.

Gab es Aspekte ihres Themas, die nicht vorgekommen sind, aber die Sie persönlich auch spannend gefunden hätten?

Die geopolitischen Aspekte dahinter, gerade heute. Zum Teil ist die Infrastruktur durch Krisen, Konflikte und Krisen fragmentierter. Man kann kein Geld mehr gen Russland senden. Das kann man natürlich angesichts des Angriffskriegs verstehen und gutheißen. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die im Ausland arbeiten und ihrer Familie in Russland kein Geld mehr schicken können. Oder Arbeitsmigrant:innen in Russland, die ihren Familien in Moldawien und Kasachstan kein Geld mehr schicken können. Oder humanitäre Organisationen, die kein Geld mehr bekommen. Für Arbeitsmigrant:innen mit geringem Einkommen bedeutet das höhere Kosten und unsichere Wege, während Oligarchen und Menschen mit mehr Ressourcen und besseren Netzwerken viel leichter alternative Wege finden.

Und was haben Sie als Expertin aus dem Gespräch mit jemandem, der kein Vorwissen hat, mitgenommen? Lernt man selber etwas?

Ja, auf jeden Fall. Was mir schönerweise durch diese Gespräche ganz stark bewusst geworden ist: die Relevanz des Themas. Ich glaube bis zu diesen beiden Gesprächen war ich mir nur im Abstrakten darüber im Klaren. Aber es ist ein relevantes Thema, wie dieser Zugang zu Zahlungsinfrastrukturen vergeben oder auch wieder genommen wird. Vielleicht geht es weniger um staatliche vs. private Akteure, sondern darum: Wer hat Zugang und wie wird er beherrscht oder reguliert? Und was können wir ggf. dagegen tun?

Es gibt ja in Sachen Finanzdienstleistungen selten kollektive Empörung. Aber ich habe die Empörung bei den Gesprächspartnerinnen gemerkt „Wie, ich kann nichts machen? Dann beschwere ich mich doch wenigstens bei meiner Bank!“. Aber die Bank hat auch nur einen Vertrag mit entweder Visa oder Mastercard. Mir ist deutlich geworden, dass beiden, die keineswegs naiv waren, sobald sie sich das Thema vor Augen geführt haben, das Potenzial von Zahlungsinfrastrukturen bewusst wurde: die gesellschaftlichen Chancen wie auch die Risiken.

Ich habe dazugelernt, dass es nicht stimmt, dass die Leute sich nicht dafür interessieren oder die Problematik nicht sehen. Die Fragen, die gestellt wurden, waren eigentlich sozial- oder politikwissenschaftliche Fragen. Und leicht hat man das Gefühl, man arbeite an etwas, für das sich niemand interessiert. Schließlich sind Finanzinfrastrukturen ein absolutes Nischenthema in der (Wirtschafts)Soziologie. Oft wird abgewinkt, weil man befürchtet, es sei schwer nachvollziehbar. Daher war es für mich ganz wichtig zu merken, dass es Relevanz hat, sich doch ein paar mehr mit diesen Themen befassen und es eben auch ein Publikum dafür gibt. Es hat für mich wie eine Art Empowerment gewirkt, auch andere Frauen zu sehen, die Wissenschaftler:innen und Expert:innen sind, auch aus anderen Disziplinen und aus dem globalen Süden.

Was nehmen Sie also mit?

Dass man reden muss. Auch gar nicht im Sinne von Aufklärung. Mangelnde Financial Literacy bzw. finanzielle Kompetenz ist nicht das einzige Problem. Es geht weniger oder nicht nur darum, wie Leute mit ihrem Geld umgehen, sondern DIESE Art von Gesprächen zu haben, die beide auf eine andere Ebene bringen und aus denen sich wichtige Fragen ergeben. Keine Begegnung der Art: Ich habe Ahnung, du hast keine und ich erkläre das jetzt mal. Das Gefühl hatte ich an dem Abend nicht und als ich die anderen beobachtet habe, schien mir das auch nicht so zu sein.

Sie haben es selber sehr schön gesagt: Es geht ja gar nicht um Aufklärung von oben nach unten. Aber wo anfangen, wo sehen Sie besonders viel Veränderungsnotwendigkeit oder -potenzial?

Ich würde mir nach wie vor wünschen, es würde in den Sozialwissenschaften weniger Nischenthema sein. Und wie bereits gesagt, fände ich es unglaublich wichtig, dass schon in der Schule thematisiert wird, wie etwa eine Bank funktioniert. Dass man sehr früh anfängt und idealerweise eine Selbstsicherheit bei Jugendlichen und Bürger:innen erzeugt, zu sagen: „Ich weiß zumindest diese Grundsätze. Dann kann ich vielleicht auch die Nachrichten und die Zeitung besser verstehen, und das auch als für mich relevant wahrnehmen.“ Das Problem dabei ist gar nicht die Komplexität, sondern wie man das rüberbringt.

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