It’s the data, stupid: Europas digitale Abhängigkeit bei Finanzdiensten
Ein Beitrag von Thomas Weck
15. Mai 2025
Die europäische Finanzwirtschaft ist stark von außereuropäischen Plattformen abhängig – ein wachsendes strategisches Problem. Deren datenbasierte Geschäftsmodelle erschweren in vielen Bereichen den Aufbau europäischer Konkurrenz. Speziell im Finanzbereich bringen regulierte Anbieter jedoch eigene Risikoexpertise mit, die das Know-how der Plattformunternehmen ergänzt. Deshalb kommt es hier eher zu Partnerschaften. Der Vorschlag der EU-Kommission zum Financial Data Access (FiDA) könnte die Optionen für plattformunabhängige Angebote zusätzlich erweitern.

Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Finanzmarktinfrastrukturen und Plattformen
Die Neuausrichtung der U.S.-Politik führt derzeit zu einem strategischen Umdenken, was bestehende Abhängigkeiten von U.S.-Unternehmen bei der Abwicklung von Finanzdienstleistungen betrifft. Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass Zahlungen im europäischen Online-Handel in der Regel über die Infrastrukturen der U.S.-Finanzfirmen Mastercard, Visa und Paypal laufen.
Hinzu kommen die Aktivitäten großer Plattformunternehmen aus den USA und China, deren Geschäftsschwerpunkt herkömmlich außerhalb des Finanzbereichs liegt. Diese Unternehmen dringen ebenfalls seit einiger Zeit in den Bereich der Zahlungsabwicklung ein. Sie ergänzen ihr Diensteportfolio im E-Commerce um Kredit- und Versicherungsangebote. Dabei gehören die Unternehmen Apple, Amazon, Meta (Facebook), Alphabet (Google), Microsoft, Tencent und Alibaba zu den bekanntesten und einflussreichsten Unternehmen der Welt. Für Deutschland hat das Bundeskartellamt die überragende marktübergreifende Bedeutung mehrerer dieser Unternehmen festgestellt.
Die europäische Wirtschaft ist insbesondere bei Zahlungsdiensten somit in zweierlei Hinsicht von nicht-europäischen Anbietern abhängig: Bei Zahlungsinfrastrukturen und bei datenbasierten Diensten. Die Abhängigkeit von nicht-europäischen Infrastrukturen kann durch Förderung europäischer Alternativen wie etwa das Bezahlsystem „Wero“ vermindert werden. Eine hier relevante Option könnte – je nach Ausgestaltung – auch der digitale Euro sein. Die Abhängigkeit von den datenbasierten Dienstleistungen nicht-europäischer Anbieter hingegen ist schwieriger zu reduzieren. Denn die oben genannten Plattformunternehmen haben über die Jahre eine besondere, kaum anderweitig ersetzbare Expertise entwickelt.
Daten und Netzwerkeffekte als Ursachen für Abhängigkeiten von Plattformunternehmen
Der Kern des Geschäftsmodells der genannten Plattformunternehmen besteht in der Analyse von Daten über Verbraucherpräferenzen. Diese Datenanalyse wird dazu genutzt, die erbrachten Online-Dienste zu verbessern und über Werbung die Dienste zu monetarisieren. Es kommt dabei zu sogenannten „datengetriebenen Netzwerkeffekten“. Denn mehr Daten ermöglichen eine Verbesserung der erbrachten Dienste (einschließlich Werbedienste). Diese Verbesserung mündet in Rückkopplungsschleifen, denn bessere Dienste ziehen mehr Nutzer an, von denen weitere Daten gesammelt werden können.
Die datengetriebenen Netzwerkeffekte können dazu beitragen, dass Märkte permanent zugunsten eines einzigen Plattformbetreibers kippen. Denn erstens können Daten aus mehreren Anfragen derselben Nutzerin oder desselben Nutzers – entweder über die Zeit hinweg oder in Bezug auf andere Nutzergruppen (Händler, Kontakte im sozialen Netzwerk usw.) – verknüpft werden, um individuellen Nutzern auf ihre Anfragen hin ein personalisiertes Angebot zu machen. Dadurch werden diese Nutzer an die Plattform gebunden (Lock-in). Zweitens können die Plattformbetreiber die Daten diverser Nutzeranfragen einsetzen, um ihre Plattform auch für andere Nutzer zu verbessern. Das macht die Plattform attraktiver. Beides zusammen führt aber dazu, dass es zusehends schwieriger wird, einem Plattformbetreiber seine Wettbewerbsposition streitig zu machen.
Die Plattformunternehmen haben zudem erkannt, dass sie aufgrund der Daten über Verbraucherpräferenzen nicht nur ihre bestehenden zentralen Plattformdienste verbessern können. Sie können ihr Angebot vielmehr auch um solche Dienste ausweiten, die zu den bestehenden Diensten kompatibel und damit komplementär sind. Beispielsweise liegt es nahe, den Nutzenden einer Suchmaschine auch Preisvergleichs- oder Kartensuchdienste anzubieten. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher vom festen PC zu Mobilgeräten wechseln, dann liegt es nahe, App Stores und Mobilbetriebssystemen ins bestehende digitale Ökosystem einzubinden und ihnen so zu folgen.
Plattformen dringen über Kooperationen in den Finanzsektor vor
Dennoch fiel über längere Zeit auf, dass die Plattformunternehmen nur in relativ geringem Umfang mit Verbraucherdiensten in den Finanzbereich expandierten. Ein Grund dafür mag sein, dass Finanzdienste häufig über die Herstellung einer schlichten Kontaktmöglichkeit zwischen verschiedenen Marktseiten hinausgehen. Stattdessen werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern ganze Leistungsbündel bereitgestellt (z.B. Kontoangebote mit Zahlungskarten, Anlagemöglichkeiten usw.) oder die Leistungen führen zu längeren Vertragsbindungen und gehen mit spezifischen Risiken einher (z.B. Kreditrisiken). Ein anderer möglicher Grund ist, dass Finanzdienste aufgrund ihrer spezifischen Risiken und der Relevanz solcher Risiken für das Finanzsystem besonders reguliert sind.
Mit der Zeit haben mehrere Plattformbetreiber (Apple, Google, Amazon, Meta, Microsoft) jedoch erkannt, dass sich Schnittstellen zwischen den etablierten Finanzmarktteilnehmern, insbesondere Banken, und der Verbraucherseite durchaus besetzen lassen. Denn viele Banken hatten Schwierigkeiten mit der Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Plattformunternehmen konnten ihnen im Back-End Cloud-Dienste und technische Lösungen für das Risikomanagement, die Kernbankensysteme, die Datenanalyse und KI-Assistenten anbieten. Für die Plattformbetreiber ließen sich zudem technische Lösungen für Zahlungsdienste, spezialisierte Kredit- und Versicherungsangebote mit relativ geringem Aufwand in ihr Diensteportfolio integrieren. Hierbei handelt es sich um Kundendienste, die auch in das Leistungsangebot der Banken eingebettet werden können. Im Finanzbereich ist die Expansion der Plattformbetreiber deshalb bislang eher auf Kooperation als Verdrängung ausgerichtet.
Die weitere Entwicklung ist offen. Die Entstehung sogenannter Super-Apps wie in China ist in Europa auf absehbare Zeit aufgrund der engmaschigen Regulierung (Datenschutz-/Finanzregulierung) nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Partnerschaften mit Playern aus der europäischen Finanzindustrie ausgebaut werden. Denn diese bringen Expertise in Regulierungsfragen mit und ermöglichen es den Plattformbetreibern, sich auf ihr Kerngeschäft – die Entwicklung technischer Lösungen – zu konzentrieren.
Markt- und Systemrisiken – bisher unzureichende regulatorische Antwort
Dass die großen Plattformunternehmen auf partnerschaftlicher Basis in den Finanzbereich expandieren, ändert nichts daran, dass sie auch in diesem Bereich in großem Umfang Daten ansammeln, die zu Abhängigkeiten führen können. Zugleich bedeutet ihre Einbindung in die Finanzwirtschaft, dass ihr Verhalten auch für die Stabilität des Finanzsystems relevant werden kann. Die mögliche Systemrelevanz der Finanzdienste von „Big Tech“ ist Gegenstand einer kritischen aktuellen Studie von Finanzwende Recherche.
Die Studie hat unter anderem ermittelt, dass die geringe Verzahnung der Aufsicht über die Finanzmärkte einerseits und der Aufsicht über marktmächtige Unternehmen andererseits einen blinden Fleck in der Regulierung darstellt. Der herkömmliche Ansatz, einzelne Regulierungsziele zu definieren und die Regulierung für diese Ziele jeweils isoliert auszugestalten, trägt der marktübergreifenden Tätigkeit der Plattformunternehmen zu wenig Rechnung. In Deutschland haben Anfang 2024 sechs Bundesbehörden (Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, BaFin, BSI, BfJ und BfDI) das Digital Cluster Bonn für eine verstärkte Zusammenarbeit gegründet. Das ist sinnvoll, kann aber eine gesetzliche Verzahnung von Zuständigkeiten und Verfahren nicht ersetzen.
Eine größere Herausforderung wird es auf Dauer sein, die vorhandenen Abhängigkeiten von den großen Plattformunternehmen zu vermindern. Bestehende Regelwerke wie insbesondere der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) ändern daran nichts, weil sie den Plattformbetreibern die von ihnen gesammelten Daten und damit ihre wichtigsten Exklusivitätsvorteile belassen. Daneben bleiben zwar auch die Regeln zum Wettbewerbsschutz (Art. 101 f. AEUV) anwendbar, ein potenziell scharfes Schwert: Wie die Studie von Finanzwende Recherche herausgearbeitet hat, könnten danach Maßnahmen bis hin zur Entflechtung der betroffenen Unternehmen angeordnet werden. Das setzt allerdings den Nachweis von Wettbewerbsverstößen voraus, und es drohen Rechtsmittel, über die in langwierigen Verfahren zu entscheiden ist. Die Relevanz der Unternehmen für das Finanzsystem lässt sich mit solchen Maßnahmen ohnehin nicht adressieren.
FiDA – ein neuer Regulierungsansatz zur Verminderung von Abhängigkeiten
Eine Alternativlösung kann hier – wie bei den eingangs angesprochenen Infrastrukturen – möglicherweise über den Markt gefunden werden. Wie das gehen könnte, zeigt der Kommissionsvorschlag über den Zugang zu Finanzdaten (FiDA): Danach sollten Finanzinstitute gezwungen werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontrolle über die sie betreffenden Kundendaten zu geben.
Was bedeutet das und warum könnte FiDA zur Reduzierung von Abhängigkeiten beitragen? FiDA würde Banken, Fondsverwalter, Versicherungsunternehmen, Zahlungsdienstleister (auch z.B. die Tochterdienstleister Apple Pay, Google Pay etc.) u.a. verpflichten, auf Veranlassung der Kunden hin einander Zugang zu Informationen über Kredite, Ersparnisse, Ruhegehaltsansprüche, Versicherungsprodukte aus anderen Bereichen als der Lebensversicherung und zu Daten zu gewähren, die die Beurteilung der Kreditwürdigkeit gestatten. Wenn die Kunden dies wünschen, würde FiDA also einen Datenaustausch zwischen Dienstleistern unabhängig davon ermöglichen, ob die Dienstleister selbst den Kunden Kooperationsangebote machen wollen. Dies würde den Markteintritt neuer Anbieter und damit neuartige Angebote ermöglichen. Das würde auch komplexere und regulierte Angebote umfassen, bei denen eine Verdrängung bestehender Finanzdienstleister durch die mächtigen Plattformunternehmen unwahrscheinlich ist. Die europäische Finanzindustrie würde aber – auf Veranlassung der Kunden – dazu gezwungen, Daten viel stärker als bisher als wettbewerbliche Ressource zu begreifen und einzusetzen.
Allerdings ist derzeit unklar, ob zu FiDA überhaupt ein Gesetzgebungsverfahren stattfinden wird. Denn Teile der bestehenden Finanzindustrie lobbyieren vehement gegen diesen Rechtsakt. Wenn sie damit Erfolg hat, FiDA zu begraben, könnte damit allerdings auch ein Instrument beerdigt werden, das von seinem Regelungsansatz her – zumindest auf längere Sicht – geeignet sein könnte, die bestehenden Strukturen und Abhängigkeiten von den großen nicht-europäischen Plattformunternehmen zu lockern.
Dieser Beitrag kam auf Einladung des Diskursprojektes eFin & Demokratie bei ZEVEDI nach einer Diskussionsveranstaltung am 25. März 2025 zustande, auf der die Studie „Die Finanzdienste von Apple, Google und Co.: Ein gefährlich guter Deal“ von Finanzwende Recherche vorgestellt wurde.
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