Kategorien
Autor: eFin Blog Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Letztes Status Update: 13. Dezember 2024

Die Debatte über eine mögliche Einführung von digitalem Zentralbankgeld in der Eurozone läuft schon länger. Hier informieren wir über die Entwicklungen und den jeweils aktuellen Stand. Im Juni 2023 hat der betreffende Entscheidungsprozess auf EU-Ebene begonnen.

Der digitale Euro ist zunächst ein Projekt der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese hat im Juli 2021 offiziell damit begonnen, Anwendungsfälle und Möglichkeiten der Ausgestaltung eines solchen Zahlungsmittels zu untersuchen. Diese Phase soll im Oktober 2023 enden. Dann entscheidet der EZB-Rat als das oberste Beschlussorgan der EZB darüber, ob zur nächsten Phase übergegangen wird. Für die konkrete Realisierung wird derzeit eine dreijährige Auseinandersetzung angesetzt.

Auch wenn die EZB erst im Anschluss daran endgültig über eine Einführung des bis dahin im Detail ausgestalteten digitalen Euros entscheidet, hat die EU-Kommission mit dem begonnen, was als „Rechtsetzungsarbeit” bezeichnet wird, denn: „Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat die EU die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Für die Ausgabe eines digitalen Euro und die Entscheidung über seine technischen Merkmale ist die EZB zuständig, doch muss der digitale Euro zuvor durch eine EU-Verordnung, in der seine wesentlichen Aspekte festgelegt sind, eingeführt werden”, heißt es in einem Dokument der Kommission.1Die Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung (19.4.2022) findet sich zum Download hier»

EU-Vorschlag zur rechtlichen Regulierung

Am 28. Juni 2023 hat die EU-Kommission dementsprechend einen Legislativvorschlag zur Schaffung des Rechtsrahmens für einen möglichen digitalen Euro als Ergänzung zu Euro-Banknoten und -Münzen vorgelegt. Und zwar im Paket mit einem Legislativvorschlag über Euro-Bargeld als gesetzlichem Zahlungsmittel, der sicherstellen soll, dass dieses weithin akzeptiert wird und im gesamten Euro-Währungsgebiet leicht zugänglich bleibt.2Angaben zum Paket zur einheitlichen Währung: Neue Vorschläge zur Gewährleistung der Möglichkeit, Bargeld zu verwenden, und zur Schaffung eines Rechtsrahmens für einen digitalen Euro sowie betreffende Dokumente finden sich zum Download hie

Damit beginnt ein Gesetzgebungsverfahren, an dem das Europäische Parlament und der sogenannte Ministerrat beteiligt sind. In diesem Rat der Europäischen Union sind die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten. In mehreren Lesungen wird der Legislativvorschlag von Parlament und Rat überarbeitet. Sobald sich die beiden Institutionen auf entsprechende Änderungen geeinigt haben, wird der Vorschlag angenommen. Dies ist nicht zuletzt deshalb so komplex, weil die betreffenden Organe wiederum in sich heterogene Interessen repräsentieren, die umfangreiche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse notwendig machen.

Eine relevante Rolle dürfte in diesem Kontext die Euro-Gruppe spielen. Dabei handelt es sich um ein informelles Gremium, in dem die Finanzminister:innen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets über den Euro betreffende Fragen, die in die gemeinsame Verantwortung ihrer Länder fallen, beraten. Darüber hinaus findet Anfang Juni 2024 die nächste Europawahl statt, bei der dieses Thema eine Rolle spielen könnte.

Die Europawahl könnte darüber hinaus weitere Konsequenzen für das Verfahren haben:

“Für all jene Gesetzesvorlagen, über die das Plenum vor den Wahlen nicht mehr abgestimmt hat, gibt es keine rechtswirksame Position des Europäischen Parlaments. Die Geschäftsordnung des Parlaments sieht daher vor, dass in solchen Fällen die Arbeit der Abgeordneten (zum Beispiel in Form von Beschlüssen auf Ausschussebene) verfällt. Allerdings kann die neue Konferenz der Präsidenten – die aus dem Präsidenten/ der Präsidentin des Parlaments und den Fraktionsvorsitzenden besteht – zu Beginn der neuen Legislaturperiode beschließen, die Arbeit an diesen Gesetzesvorlagen unter Nutzung des bereits erreichten Standes fortzusetzen (vgl. Artikel 240 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments).”3 Siehe hierzu die Antwort in den FAQs des Europäischen Parlament

Im Anschluss an die Europawahl steht zunächst eine Personalie im Vordergrund des parlamentarischen Procederes. Der zunächst weiterhin als Berichterstatter für das Gesetzesvorhaben vorgesehene Abgeordnete Stefan Berger (EVP), steht Mitte Dezember 2024 nicht mehr für diese Funktion zur Verfügung. Dies sei eine Reaktion auf den Vorwurf der Verschleppung des Verfahrens durch einen Vertreter aus Deutschland, wo es eben besondere Bedenken gegen den digitalen Euro gäbe.4Vgl. die Berichterstattung durch Politco: https://www.politico.eu/article/epp-digital-euro-german-obstruction-stefan-berger-markus-feber-european-central-bank/

Reaktionen auf Bundesebene

Parallel dazu hat auch in den Mitgliedsländern die Befassung mit dieser Materie begonnen. Im Rahmen seiner Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten» hat sich der Bundesrat bei seiner Sitzung am 29. September 2023 mit den EU-Vorschlägen für einen Rechtsrahmen zur Einführung des digitalen Euro befasst und eine Stellungnahme» beschlossen.

Im Bundestag hat die Unionsfraktion einen Antrag mit dem Titel „Abstimmung über den digitalen Euro im Bundestag bindend machen“ vorgelegt, der am Mittwoch, den 8. November 2023, im Plenum debattiert wird. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, führt dazu aus: „Nachdem das Projekt digitaler Euro nun voranschreitet, muss die Bundesregierung dem Parlament ein wirkliches Mitspracherecht einräumen. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung der Einführung eines digitalen Euro nur zustimmt, nachdem der Deutsche Bundestag eine Einführung befürwortet hat.”5 Siehe die entsprechende Pressemitteilung. Nach der Debatte soll der Antrag gemeinsam mit einer Initiative der AfD-Fraktion zur weiteren Beratung an den federführenden Finanzausschuss überwiesen werden. Der Titel des AfD-Antrags lautet „Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel bewahren und Überwachung der Bürger durch digitales Zentralbankgeld verhindern“. Zur Dokumentation der Anträge und zu weiteren Informationen siehe hier. Beide Anträge werden nach einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Finanzausschusses schließlich am 4. Juli 2024 durch den Bundestag abgelehnt. Zur Dokumentation der Debatte siehe hier.

Im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags fand am 19. Februar 2024 eine zweistündige öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „digitaler Euro“ sowie den vorgelegten Anträgen statt. Ein Fragenkatalog wurde dafür nicht erstellt; für Details zum Termin siehe hier.

Dieser Beitrag wird um aktuelle Angaben ergänzt, wenn der politische Prozess fortschreitet. Siehe zum jeweiligen Stand auch den Eintrag zum Verordnungsentwurf auf der Seite EUR-Le der Europäischen Union.

Kategorien
Autor: Alexandra Keiner eFin-Blog Farbe: hellblau

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Von eingefrorenen Konten und ungleichen Bedingungen im internationalen Zahlungsverkehr

Alexandra Keiner im Interview mit Caroline Marburger

2. November 2023

Beim von ZEVEDI in Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt veranstalteten Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen mit dem Titel Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt war Alexandra Keiner als Expertin für Bezahlverbote dabei. Caroline Marburger von eFin & Demokratie hat mit ihr über ihre Forschung geredet und darüber, wie sie diesen Abend und die 1:1-Gespräche mit Nichtexpert:innen wahrgenommen hat.

Frau Keiner, wie sind Sie eigentlich auf Ihr Thema „Bezahlverbote im Netz“ gekommen und mit welchen Fragen befassen Sie sich in Ihrer Forschung?

Meine Abschlussarbeit habe ich über die staatliche und private Regulierung von Pornographie im Internet geschrieben. Darüber, wie eine Art Zweiteilung des kommerziellen Internets entstanden ist: Auf der einen Seite stehen Big-Tech-Unternehmen, die die Darstellung pornografischer und sexueller Inhalte zunehmend einschränken. Und auf der anderen Seite die Internet-Pornographie-Industrie, wo eine starke Machtkonzentration zugunsten der großen Pornographie-Plattformen zu beobachten ist.

Und dann wurde mir schnell klar, welche wichtige Rolle Zahlungsdienstleister im Netz spielen – und zwar für beide Seiten. Daraus ergab sich für mich eine breitere und intensivere Auseinandersetzung mit Fragen der Rolle von Zahlungsinfrastrukturen und finanzieller Inklusion: Wer wird warum und wie von der Nutzung bestehender, insbesondere grenzüberschreitender Zahlungsinfrastrukturen ausgeschlossen? Inzwischen untersuche ich dies insbesondere am Beispiel der Digitalisierung von Auslandsüberweisungen.

Wie können wir uns das denn konkret vorstellen? Haben Sie ein Beispiel für Ausschlussverfahren durch Zahlungsdienstleister, die Sie aus Ihrer Forschung kennen?

Zum Beispiel bei der Internetpornographie, wo viele Performer:innen in Lateinamerika leben, aber ihre Kund:innen in Europa oder den USA: Die Performer:innen sammeln ihre Einkünfte, die sie meist über Plattformen erwirtschaften, meist auf ihrem Paypal-Account. Erfahrungsberichte in Interviews, Studien oder Social Media Posts, die sich mit dem Konsum und dementsprechendem Bezahlen von pornografischen Inhalten im Netz beschäftigen, zeigen: Meist ist Paypal die komfortabelste Option oder sogar die einzige Option, die die Plattformen überhaupt anbieten. Außerdem sind Brasilien, Bolivien, Argentinien zum Teil Länder mit unglaublich hoher Inflation. Anbieter:innen von dort haben also gute Gründe, die Zahlungen, die sie in Euro oder Dollar erhalten, als Paypal-Guthaben auf ihrem Account liegen zu lassen.

Paypal hat 2019 beschlossen, die Zahlungen auf einer der größten Porno-Plattformen einzustellen. Aber die Frage ist: Für wen gilt das? Wenn ich jetzt dort bei Pornhub ein Premiumkonto habe, dann wird mein Paypal-Konto nicht gesperrt. So ein Konto bleibt natürlich unangetastet, die Konsument:innen bleiben unbelangt. Der einzige Nachteil ist, dass Paypal auf dieser Plattform nicht mehr als Zahlungsoption zur Verfügung steht.

Aber auch das Konto der betreibenden Unternehmen bleibt unberührt. Pornhub bzw. das dahinterliegende Unternehmen Mindgeek sagt, sie seien nur eine Werbe- oder Datenplattform. Die Werbetreibenden wiederum sagen, sie würden nur Werbung schalten. Die Einzigen, die davon betroffen sind und ihr Geld nicht bekommen, sind Hunderttausende von Performer:innen oder Produzent:innen, weil dort, so die Aussage, die Situation klar sei. Die verdienen ihr Geld zu 100 Prozent mit Pornographie, die anderen nicht.

Ihr Paypal-Konto mit, sagen wir, 5000 Euro, wird eingefroren. Die Darsteller:innen haben dann vorerst keinen Zugang mehr. Gemäß der AGB ist Paypal zu solchen Maßnahmen berechtigt. Wie Performer:innen bezahlt werden oder ob sie überhaupt bezahlt werden, wird immer undurchsichtiger und trotzdem läuft das Geschäft natürlich weiter, nur die Bezahlung wird schwieriger.

Was wird von Zahlungsdienstleistern denn konkret reguliert?

Im beschriebenen Fall verwies Paypal auf seine AGBs, wonach Zahlungen für sexuell orientierte Produkte und Dienstleistungen untersagt werden können. Sie geben in ihren AGBs auch an, dass sie Zahlungen von terroristischen Organisationen oder extremistischen Gruppen verbieten.

Die Frage bleibt aber: Was tun sie konkret? Denn sie müssen ihr Handeln nicht im Einzelfall begründen. Daher ist es schwierig nachzuweisen, wo genau die Mechanismen greifen. Gerichtsurteile und vorliegende Studien zeigen aber, dass die bestehenden Mechanismen letztlich dafür sorgen, dass eher linke als rechte Gruppen, eher kleine als große Unternehmen, eher Frauen als Männer, mehr im globalen Süden betroffen sind – mehr als etwa rechte Organisationen in den USA.

Gibt es denn eine Kooperation zwischen Zahlungsdienstleistern und staatlichen Stellen?

Um nicht (noch) stärker reguliert zu werden, arbeiten Zahlungsdienstleister auch über die normale Gesetzeslage hinaus vermehrt mit Staaten zusammen. Die kanadische Soziologin Natasha Tusikov nennt diese Abmachungen handshake deals. Das kann zum Beispiel heißen: Das US-Markenrecht soll weltweit eingehalten werden, also wird eine entsprechende „Schwarze Liste“ erstellt. Kommt bei Transaktionen ein Name von dieser Liste vor, also zum Beispiel ein Name, hinter dem der Verkauf von Raubkopien vermutet wird, dann werden diese Transaktionen automatisch ohne Überprüfung unterbunden. Auch wenn die Betroffenen nicht der US-Gesetzgebung unterliegen.

Es kann auch sein, dass bestimmte Wörter in Transaktionen ausreichen, um zum Problem zu werden. Zum Beispiel Aleppo-Seife. Potenzielle Käufer:innen dieser Seife können, da hier versucht wird, Terrorfinanzierung zu verhindern, in einem normalen Onlineshop nicht mehr mit Paypal bezahlen.

Sie verstehen also bei aller Kritik den Erfolg von Paypal? Und meinen Sie, man sollte es nutzen?

Es ist klar, dass es so erfolgreich ist, weil es im Vergleich einfach, schnell und teilweise günstig ist. Wenn man dem Problem mit dem Vorwurf begegnet „Was nutzt du denn auch Paypal?“, oder es boykottiert, dann wird das Problem wieder individualisiert. Du benutzt deren Dienste eben, weil es einfach ist und weil es viele Möglichkeiten bietet, die es vorher nicht gab, aber die es geben sollte.

Sie befassen sich derzeit mit dem Phänomen der Rücküberweisungen oder „remittances“ auf Englisch , also damit, dass Menschen entweder in ihre Herkunftsländer oder an Familienmitglieder im Ausland Teil ihres Lohnes überweisen – meist in vergleichsweise ärmere Länder. Diese Überweisungen gelten als ein Kernbestandteil des globalen Finanzsystems, zumal ihr Volumen das humanitärer Hilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer übersteigt. Man geht davon aus, dass diese Finanzflüsse wesentlich zu Stabilität und Wachstum der Länder beitragen, in die diese Gelder fließen. Wie verbindet sich dieses Feld mit dem, was Sie bisher erforscht und wir besprochen haben?

Ich hatte aus meiner bisherigen Forschung die Erkenntnis mitgenommen, dass die Einschränkungen und Probleme von Zahlungsinfrastukturen bestimmte Personengruppen mehr als andere betreffen. Und dann bin ich auf Western Union aufmerksam geworden. Ich habe mich gefragt, warum zum Beispiel in Berlin-Mitte immer noch Menschen Schlange stehen, um Geld für ihre Verwandten im Ausland aufzugeben. Ändert sich hier etwas durch die Digitalisierung? Digitalisieren sich auch Unternehmen wie Western Union? Und was hat das dann für eine Bedeutung, wenn sich die Macht über diese Rücküberweisungen in so wenigen Unternehmen konzentriert? Was bedeutet es gesellschaftlich, dass es eine gänzlich parallele Infrastruktur gibt, deretwegen bestimmte Menschen mit horrend hohen Gebühren Geld zur Unterstützung ihrer Familien ins Ausland schicken, während deutsche Bürger:innen ohne Migrationsgeschichte dies kaum kennen, da sie selbst zumindest in den meisten Fällen so gut wie gebührenfrei überweisen.

Kommt für diese Auslandsüberweisungen eigentlich auch Paypal in Frage? Oder Kryptowährungen?

Paypal, ja, teilweise, sofern man ein Bankkonto hat. Das haben viele der Empfänger:innen der Rücküberweisungen nicht. Es gibt auch Länder die gänzlich ausgeschlossen sind, wie Iran, Nordkorea und derzeit Russland. Überweisungen via Paypal können aber je nach Wechselkurs und Zielland sehr teuer sein. Auch beim Währungsumtausch erhebt Paypal ggf. hohe Gebühren und zudem tauscht es das Geld der Sender:innen zu schlechteren Wechselkursen um.

Das gilt auch für Western Union: Nach dem Erdbeben in Marokko warben sie damit, dass die Überweisungen für ein paar Wochen gebührenfrei wären. Aber diese Werbung war mit Sternchen versehen und nahm die Währungsumrechnung davon aus. Ihr Verdienst liegt schließlich neben den Gebühren in der sogenannten Wechselmarge, also der Differenz zwischen dem von ihnen angebotenen und dem aktuellen Marktkurs. Letztlich werden so mit einer Aktion, die immer noch Verdienst erlaubt, ggf. ganz neue Kunden gewonnen – eben die, die den Opfern finanzielle Hilfe zukommen lassen wollen.

Krypto kann teilweise eine Option sein, aber dafür muss man sich mit der Infrastruktur auskennen und es ist nicht immer gebührenfrei. Wenn ich jetzt beispielsweise meinem Opa in Rumänien Geld schicken wollen würde: Er würde es mit Krypto nicht hinbekommen. Das heißt, vereinzelt ja, aber da ist die Schwelle recht hoch. Ich halte das noch nicht für eine gangbare Option.

Warum, meinen Sie, wird bei aller Kritik an Internetplattformen so wenig über die Zahlungsdienstleister im Netz diskutiert? Was genau beim digitalen Bezahlen passiert, ist eigentlich nie Thema. Ist das wirklich zu schwierig? Oder nutzen wir es schlicht, weil es so schön einfach ist und denken gar nicht drüber nach? Sind wir da gutgläubig?

Ich glaube, es ist auch nicht zu unterschätzen, dass es den Anschein einer rein technologischen Lösung hat: eine App, die wir schlicht als Lösung eines früheren Problems akzeptieren, oft ohne größere Fragen zu stellen. Das war kompliziert, hat früher mehrere Tage gedauert und was gekostet. Und jetzt plötzlich geht es ganz schnell und kostet kaum was. Toll, dass die Digitalisierung das geschafft hat. Nehme ich. Muss es doch auch für alle geben.

Über diese Forschungsthemen bzw. konkreter das Thema Bezahlverbote haben Sie mit Laien in einem Tischgespräch auf dem Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens» gesprochen. Ein Gespräch, das ihre Gegenüber am Marktschalter für einen Euro gebucht hatten. Titel dieses Marktes war „Follow the Money“. Könnten Sie schildern, wie Sie den Abend wahrgenommen haben?

Du wirst eingelassen und dann erfasst es Dich. Es ist zum einen echt, wirkt authentisch, eben ein vielstimmiges Gespräch zahlreicher Expert:innen und ihrer Gegenüber. Gleichzeitig ist aber auch ein performiertes Marktgeschehen. Diese Mischung war unglaublich spannend.

Durch das Programm zu gehen und so viele Leute zu sehen, die sich dafür interessieren, das war schön. Ich gebe zu, ich war ein wenig besorgt, meine Gesprächspartner:innen zu enttäuschen. Schließlich gab es so viele spannende Themen. Der Experte am Nachbarstisch kann buchstäblich zaubern – und ich erzähle was vom Zahlungsverkehr.

Stimmt, das ist harte Konkurrenz. Aber diese Sorge hat sich schließlich gelegt, oder?

Man denkt kurz: Habe ich überhaupt was zu erzählen? Was könnte ich sagen? Aber die Gespräche waren dann sehr angenehm und kurzweilig.Meine Gesprächspartnerinnen waren beide aus der Kreativszene, keine, die irgendwie 3.000 € im Monat auf ihr Konto bekommen, sondern eben auch Minusstände kennen. Und bei einer gab es die Angst, dass irgendwann die Existenz unsicher wird. Was, wenn ihre Kunst plötzlich als problematisch oder pornografisch gilt und kein Geld mehr fließt. Welche Umstände könnten ggf. dazu führen, dass man selber ins Hintertreffen gerät?

Welche Frage oder Ansicht hat Sie ggf. überrascht?

Besonders überrascht hat mich die Frage, warum die Staaten nicht in die Macht der großen Finanzakteure eingreifen, auch wenn diese international agieren. Eine andere Frage war, warum es überhaupt rechtlich möglich sei, Menschen einfach von Finanzdienstleistungen auszuschließen. Es müsse doch so etwas wie ein Grundrecht auf (internationalen) Geldtransfer geben.

Hat es Sie im allerersten Moment nicht vielleicht auch überrascht, dass Paypal so einfach Zahlungen unterbinden kann?

Doch, mir ging es auch so, aber in der letzten Zeit habe ich mich weit davon entfernt. So dass ich jetzt dachte, es sei merkwürdig, dass Bürger:innen davon ausgehen, man habe generell sowas wie ein Recht auf ein Bankkonto oder ein Recht auf Bezahlung.

Ich finde auch zunehmend, dass wir das in der Schule lernen sollten. Ich habe ja Sozialwissenschaften studiert und nicht Ökonomie. Und als ich zu diesem Thema gekommen bin, hatte ich erstmal wenig Ahnung und das fühlt sich ungut an. Man denkt: Bin ich naiv? Warum weiß ich das nicht? Aber letztlich scheint es mir strukturell bedingt, dass man so wenig weiß über so eine wichtige Infrastruktur oder darüber, wie eigentlich Banken und Geldschöpfung funktionieren.

Sie sagen, es sei strukturell bedingt. Was glauben Sie, sind die Ursachen? Haben Sie eine Hypothese?

Ich glaube ich habe zwei Antworten. Die eine wäre offiziell und die andere, sehr zugespitzt, was ich selber denke.

Ich fange mal mit der Offiziellen an. Man könnte es als eine Art Abkopplung beschreiben. In dem Moment, als das Geldsystem überhaupt sich tiefgreifend verändert hat. Der Finanzmarkt wurde beispielsweise mit dem Big Bang von 1986 in London sukzessive dereguliert und in England und den USA eröffneten sich völlig neue Dimensionen– eine Welle, dem auch der streng regulierte Finanzmarkt Deutschlands sich als Exportnation nicht gänzlich entziehen konnte. Der Finanzmarkt wurde komplizierter, aber auch schneller und größer. Und gleichzeitig sollten, glaube ich, die Leute nicht zu sehr verwirrt werden. Es gibt im Buch „Zentralbankkapitalismus“ von Joshua Wullweber ein Vorwort von Rainer Voss, einem ehemaligen Investmentbanker und inzwischen Befürworter einer gerechteren Finanzpolitik, in dem sagt er sinngemäß zur Entwicklung seit den 80er Jahren: „Da haben wir als Banker einfach die Tür zugemacht und gesagt, nee, wir wollen auch gar nicht, dass das jemand en detail versteht“.

Zugespitzt würde ich zudem sagen, dass gewisse Gruppen bei der vehementen Ungleichheit, die existiert, vielleicht nicht unbedingt wollen, dass alle sich im Klaren darüber sind, wie viel Macht Banken eigentlich haben, indem sie Geld schöpfen, und wie unsicher Geld sein kann.

Gab es Aspekte ihres Themas, die nicht vorgekommen sind, aber die Sie persönlich auch spannend gefunden hätten?

Die geopolitischen Aspekte dahinter, gerade heute. Zum Teil ist die Infrastruktur durch Krisen, Konflikte und Krisen fragmentierter. Man kann kein Geld mehr gen Russland senden. Das kann man natürlich angesichts des Angriffskriegs verstehen und gutheißen. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die im Ausland arbeiten und ihrer Familie in Russland kein Geld mehr schicken können. Oder Arbeitsmigrant:innen in Russland, die ihren Familien in Moldawien und Kasachstan kein Geld mehr schicken können. Oder humanitäre Organisationen, die kein Geld mehr bekommen. Für Arbeitsmigrant:innen mit geringem Einkommen bedeutet das höhere Kosten und unsichere Wege, während Oligarchen und Menschen mit mehr Ressourcen und besseren Netzwerken viel leichter alternative Wege finden.

Und was haben Sie als Expertin aus dem Gespräch mit jemandem, der kein Vorwissen hat, mitgenommen? Lernt man selber etwas?

Ja, auf jeden Fall. Was mir schönerweise durch diese Gespräche ganz stark bewusst geworden ist: die Relevanz des Themas. Ich glaube bis zu diesen beiden Gesprächen war ich mir nur im Abstrakten darüber im Klaren. Aber es ist ein relevantes Thema, wie dieser Zugang zu Zahlungsinfrastrukturen vergeben oder auch wieder genommen wird. Vielleicht geht es weniger um staatliche vs. private Akteure, sondern darum: Wer hat Zugang und wie wird er beherrscht oder reguliert? Und was können wir ggf. dagegen tun?

Es gibt ja in Sachen Finanzdienstleistungen selten kollektive Empörung. Aber ich habe die Empörung bei den Gesprächspartnerinnen gemerkt „Wie, ich kann nichts machen? Dann beschwere ich mich doch wenigstens bei meiner Bank!“. Aber die Bank hat auch nur einen Vertrag mit entweder Visa oder Mastercard. Mir ist deutlich geworden, dass beiden, die keineswegs naiv waren, sobald sie sich das Thema vor Augen geführt haben, das Potenzial von Zahlungsinfrastrukturen bewusst wurde: die gesellschaftlichen Chancen wie auch die Risiken.

Ich habe dazugelernt, dass es nicht stimmt, dass die Leute sich nicht dafür interessieren oder die Problematik nicht sehen. Die Fragen, die gestellt wurden, waren eigentlich sozial- oder politikwissenschaftliche Fragen. Und leicht hat man das Gefühl, man arbeite an etwas, für das sich niemand interessiert. Schließlich sind Finanzinfrastrukturen ein absolutes Nischenthema in der (Wirtschafts)Soziologie. Oft wird abgewinkt, weil man befürchtet, es sei schwer nachvollziehbar. Daher war es für mich ganz wichtig zu merken, dass es Relevanz hat, sich doch ein paar mehr mit diesen Themen befassen und es eben auch ein Publikum dafür gibt. Es hat für mich wie eine Art Empowerment gewirkt, auch andere Frauen zu sehen, die Wissenschaftler:innen und Expert:innen sind, auch aus anderen Disziplinen und aus dem globalen Süden.

Was nehmen Sie also mit?

Dass man reden muss. Auch gar nicht im Sinne von Aufklärung. Mangelnde Financial Literacy bzw. finanzielle Kompetenz ist nicht das einzige Problem. Es geht weniger oder nicht nur darum, wie Leute mit ihrem Geld umgehen, sondern DIESE Art von Gesprächen zu haben, die beide auf eine andere Ebene bringen und aus denen sich wichtige Fragen ergeben. Keine Begegnung der Art: Ich habe Ahnung, du hast keine und ich erkläre das jetzt mal. Das Gefühl hatte ich an dem Abend nicht und als ich die anderen beobachtet habe, schien mir das auch nicht so zu sein.

Sie haben es selber sehr schön gesagt: Es geht ja gar nicht um Aufklärung von oben nach unten. Aber wo anfangen, wo sehen Sie besonders viel Veränderungsnotwendigkeit oder -potenzial?

Ich würde mir nach wie vor wünschen, es würde in den Sozialwissenschaften weniger Nischenthema sein. Und wie bereits gesagt, fände ich es unglaublich wichtig, dass schon in der Schule thematisiert wird, wie etwa eine Bank funktioniert. Dass man sehr früh anfängt und idealerweise eine Selbstsicherheit bei Jugendlichen und Bürger:innen erzeugt, zu sagen: „Ich weiß zumindest diese Grundsätze. Dann kann ich vielleicht auch die Nachrichten und die Zeitung besser verstehen, und das auch als für mich relevant wahrnehmen.“ Das Problem dabei ist gar nicht die Komplexität, sondern wie man das rüberbringt.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Mercator-Journalist in Residence Mercator-Journalists in Residence

Stefan Mey

Mercator-Journalist in Residence im November 2023

Stefan Mey ist freier IT-Journalist». Er hat in seiner Heimat Halle sowie an der FU Berlin und der Uni Potsdam Soziologie und Publizistik studiert. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit den großen Machtakteuren wie Alphabet, Meta oder Microsoft – aber auch mit der nichtkommerziellen „Gegenwelt“ von Projekten wie Wikipedia, OpenStreetMap, Mastodon oder Signal.

Über diese Themen schreibt er für verschiedene Online- und Printmedien, hält Vorträge und gibt Workshops für Journalist:innen. In seinem ersten Sachbuch ging es ums Darknet (Darknet – Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Welt funktioniert», C.H.Beck, 3. Auflage 2021). Sein zweites Buch versucht sich an einem Überblick über die Vielfalt nichtkommerzieller Digitalprojekte, die als Gegengewicht zu Big Tech auftreten. (Der Kampf um das Internet. Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten herausfordern», C.H.Beck 2023).

Vorhaben: Governance-Modelle führender Kryptowährungen

Während seiner Zeit bei ZEVEDI nimmt er die Governance-Modelle der führenden Kryptowährungen unter die Lupe. Die Marktkapitalisierungen des Bitcoins und anderer Kryptowährungen bewegen sich im Multi-Milliardenbereich. Es ist allerdings kaum bekannt, „wer“ hinter den meist als Open-Source-Projekten organisierten Kryptowährungen steht. Wer kann wichtige technische Entscheidungen treffen, die gravierende ökonomische Auswirkungen haben können? Entscheidet eine Einzelperson, ein kleines, selbst rekrutiertes Gremium oder ein demokratisch organisiertes Kollektiv? Oft spielen im Ökosystem einer Kryptowährung auch Unternehmen sowie Stiftungen oder Pseudo-Stiftungen eine Rolle. Als Vergleichsmaßstab werden andere große Open-Source-Projekte genutzt, die ebenfalls in einem Mit- und Nebeneinander von Communitys, Organisationen und Unternehmen entstanden sind.

Der Aufenthalt bei ZEVEDI – Impulse und Effekte

Alle Macht der Community? Was Bitcoin & Co. mit Wikipedia gemeinsam haben», AufRuhrMagazin, 11. Januar 2024.

Und nun Bitcoin? 15 Fragen zum 15. Geburtstag», Fluter, Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, 15. Februar 2024.

Wer hat die Macht beim Bitcoin?», Online-Magazin Golem, 11. März 2024.

Kategorien
Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 25. Oktober 2023

Den Auftakt zur öffentlichen Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“, einer Kooperation des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt mit eFin & Demokratie, machte deren Organisatorin Prof. Dr. Petra Gehring, Leiterin dieses Diskursprojektes, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung und Professorin für Theoretische Philosophie an der TU Darmstadt.

Gehrings Vortrag „Werte zur Einführung“ bot einen ersten Überblick ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis von ökonomischem und moralischem Wertbegriff sowie dem des Lebenswertes. Dabei interessierte sie sowohl die historische Genese des Wertbegriffs wie auch daraus resultierende alltagsnahe Fragen der heutigen Zeit, die sie im Ausblick auf kommende Vorträge anderer Referent:innen andiskutierte. 
Gehrings These lautet, dass die Geschichte des ökonomischen Wertbegriffs weiter zurückreiche als die des moralischen, ja die Rede vom moralischen Wert gar eine Antwort auf den ökonomischen Wertbegriff sei und der Begriff „Wert“ der Wirtschaft entspringe. Historisch datiert sie den Umbruch hin zu einer weitläufigeren Verwendung des Wertbegriffs im 19. Jahrhundert –als der Begriff des Wertes in eine Krise geriet. Zeichnete sich Wert zunächst durch seine bloße Tauschfunktion in einer Wirtschaft aus, die aufgrund guten Bodens und der Gnade Gottes floriere, so werde nun, da mit der Säkularisierung die Staatskunst und Arbeit als die hinter allen Werten liegende, wertschaffende Instanz ins Zentrum rücke, der Wert als ein produzierter wahrgenommen: seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte rücke mit in den Blick. „Der Wert hat aufgehört, Zeichen zu sein, er ist ein Produkt geworden“, zitiert Gehring Foucault. So setzen sich nun Anthropologie und Gesellschaftstheorien als Theorien der Produktion von Werten mit dem Begriff auseinander. Die Ökonomie beginne, mit nicht-ökonomischen Wissenschaftsfeldern ihre Begriffe zu teilen.

Naturalismus und Materialismus prägen das philosophische Denken des 19. Jahrhunderts. Der Anfang der Moderne sei die große Zeit der Entwicklungslehren und Evolutionstheorien – auch in moralphilosophischen Debatten. Überleben erscheine als ein „Mega-Wert“, Kulturentwicklung werde als Wertentwicklung und „Selektion wie Evolution von Werten“ rekonstruiert. Diese Zeit sei auch die Blütezeit der Kritik moralischer Werte – Werttheorien sind allerdings, so Gehring, im 19. und 20. Jahrhundert weniger Moralkritiken als vielmehr „Fundierungsprojekte“..

Als eine den modernen moralphilosophischen Diskussionen vorausgehende „Leuchtrakete“ bezeichnet Gehring Kant. Auf seine Unterscheidungen werde immer wieder, wenn auch teils kritisch, Bezug genommen. Prägend wirke nicht nur die Trennung der Moralität von den Sphären der Natur und der Ökonomie, sondern auch die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft. Auch die Einführung des Begriffs der (menschlichen) Würde als sich jeglichem Kalkül entziehender, unbedingter, absoluter Wert entgegen dem relativen Wert des berechen- und verrechenbaren Preises verdank sich Kant. Utilitaristische, pragmatistische wie auch Wert-Ethiken, die mit Größen wie „Wertgefühlen“ operieren, schlagen einen anderen Weg ein.

Gehring mahnt, neben der ökonomischen und moralphilosophischen Sphäre nicht eine weitere zu vergessen: die des Lebenswertes. Er spiele im Fin de Siècle eine große Rolle, hier komme die Idee des positiven und negativen Lebenswertes auf und sei mehr als nur eine Vereinnahmung des ökonomischen oder moralphilosophischen Wert- bzw. Würdebegriffs. Hier werde der Wert vom Leben her gedacht: individueller Wert und Wert des Stammes werden subjektiv aus der je eigenen Perspektive oder objektiv vom Interesse der Gesellschaft aus bewertet und verrechnet. Es ergeben sich (sozialdarwinistisch gedachte) eugenische Forderungen, die auf der einen Seite moralisch Suizid und Euthanasie rechtfertigen und aus denen sich auf der anderen eine „Enhancement-Moral“ ergibt. So komme es im Ausgang des 19. Jahrhunderts also durchaus auch zu Mischungen der ökonomischen und moralischen Sphären des Wertbegriffs.

Heutzutage lasse sich vor allem ein Wertepluralismus ausmachen, so Gehring. Verschiedene Werte stehen nebeneinander, es werden vor allem Teildiskussionen geführt, auch betreffs Wirtschaft und Wertschöpfung – es gebe keine Theorie des großen Ganzen mehr. Diskurse drehen sich um Konsum und Innovationen, nicht um Arbeit, sondern um Selbstüberschreitung und den aus verschiedenen Richtungen kritisierten Begriff der Umwelt. Mit Luhmann warnt Gehring vor der Beliebigkeit moralisch- und politisch-praktischen Handelns (wie auch die seiner Rechtfertigung), die aus dem Nebeneinander in einem „Markt der Werte“ resultiere und nur in entscheidungstheoretische Überlegungen münde.

In der heutigen Zeit müsse man auch die Digitalisierung mit bedenken. Mit ihr dehne sich das Diskussionsfeld aus: Werte werden digital „tokenisiert“, es gibt automatisierte Bewertungssysteme und diverse angewandte Ethiken wie Digital-Ethik, KI-Ethik uvm. Die Notwendigkeit solcher Ethiken sieht man an den Chancen und Risiken, die mit der Digitalisierung einhergehen: von Vertrauensproblemen in Technik bzw. Digitalität über Nachhaltigkeitsberechnungen bis hin zu Entwertungsprozessen und Problemen mit Störpropaganda, die die Digitalisierung vereinfacht habe und in einem größeren Ausmaß ermögliche.

Die einführende Vorlesung wirft bewusst viele Fragen auf, einige wurden in der Sitzung und im Anschluss andiskutiert, viele werden in den kommenden Vorträgen ausgeführt oder auf neue Weise aufgeworfen. Es sind Fragen, die in ganz unterschiedliche Richtungen allgemein und betreffs spezifischer Problemlagen gestellt werden können. Um nur einige zu nennen: Welche Rolle spielt der Wertbegriff in der Begründung unseres Handelns? In welchem Verhältnis stehen Werte zu Normen, zu handlungsleitenden Tugenden oder zu dem um einiges ambivalenteren Begriff der Idee, die sich ebenfalls durch ihre Wirkungsmacht auszeichnet, aber bis auf wenige Rehabilitationsversuche wie der Begriff des Wertes,  zumindest im Sinne einer neuen philosophischen Werttheorie,aus der Debatte verschwunden zu sein scheint? Inwiefern prägen Werte und Bewertungen unser Selbstverständnis? Wie werden wissenschaftlich fundierte Evaluationen konzipiert und Werte darin integriert, wie werden Auswahl und Gewichtung bestimmt? Welche Problematik besteht in der Berufung auf Werte? Ist Werteneutralität bzw. Wertefreiheit nur eine Illusion? Führt der diagnostizierte Wertepluralismus nicht notwendig in einen Relativismus – und, wie schon Nietzsche mutmaßte, in einen Nihilismus? Ist der Wert der Werte nicht selbst (Nietzsche folgend) in Frage zu stellen? Und wie werden Werte in der angewandten Ethik angesichts aktueller Problemlagen wie dem Klimawandel diskutiert?

Der Vortrag war erst der Anfang einer spannenden Diskussion. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich in den kommenden Wochen die Vorträge dreizehn weiterer Professor:innen und langjähriger Forscher:innen anzuhören und mitzudiskutieren. Die öffentliche Ringvorlesung des Instituts für Philosophie findet traditionell in jedem Wintersemester mittwochs um 18 Uhr im großen Hörsaal statt. Zugleich ist die diesjährige Vortragsreihe eine Fortsetzung der „Citizen Lecture“ „Verstehen Sie Krypto“, die das eFin & Demokratie im Sommersemester 2022 organisiert hat. Wurde die vergangene vor allem von Praktiker:innen bespielt, geht die jetzige in wissenschaftlich-theoretische Tiefen. Das Programm der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“ ist hier» zu finden, alle Vorträge sind auch hier» nachzuhören.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: blau

Coinzeit 3000 #5: Stable, encore

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 5. Oktober 2023

Das Buch des quicklebendigen ehemaligen Derivatehändlers und Aktivisten Brett Scott über Cloudmoney bietet viele gute Argumente dafür, auf Bargeld nicht zu verzichten. Scott hat die Finanzkrise und auch das Aufkommen von Kryptowerten aus der Nähe miterlebt. So wirkt sein Zorn auf Abzocksysteme, die das digitale Finanzwesen immer mächtiger machen, besonders glaubwürdig. Freilich schreibt er nicht giftig oder verschwurbelt, sondern locker. Aus echtem Insiderwissen wird wie durch ein Wunder eine gänzlich nicht-insiderische Sprache.

Unter anderem finde ich im vorletzten Kapitel jetzt aber eine ganz andere Sicht auf Stablecoins als beim Finanzprofessor Huber (siehe Coinzeit #2»). Scott schildert Stablecoins als Trick: eigentlich sind es nur Kryptosysteme – Brett nennt Token anschaulicherweise „Chips“, und, weil kein echtes Geld sie absichert, „drittrangige Chips“. Sie hängen sich aber quasi an echte Währungen dran. Ähnlich ungebetenen Doppelgängern, die behaupten, sie hätten zuhause jetzt auch so allerlei Gegenwerte, und weil sie sich freiwillig an die Kurse einer bestimmten Währung binden, könne man ihnen genauso vertrauen wie richtigem Geld. Als „dezentrale Versprechen für Bankdollar“ versuchen Stablecoins gleichwohl den schummerigen Ruf von Autonomie und Staatsferne zu kultivieren, den Krypto-Fans so sehr schätzen. „In ihren früheren Versionen konnte man Stablecoins als einen Beutezug von Krypto-Piraten in die Welt des Fiat-Geldes charakterisieren, aber im Jahre 2018 begannen viele andere Unternehmen in dieses Geschäft einzusteigen“ (292): Scott zufolge „plündern“ Big-Tech-Konzerne inzwischen ihrerseits das Stable-Konzept. So kann Amazon Coin eben dadurch schon fast als Währung gelten, dass es sich einfach wie eine solche – oder noch besser: auf einmal gleich wie mehrere solche – verhält. Auch Facebooks Libra-Projekt wäre so etwas gewesen: „Libra wäre ein ‚Stablecoin‘ für Konzerne, gestützt von einer Palette globaler Bankchips.“ (293)

Das an den Dollar angelehnte, aber währungsübergreifend antretende Libraprojekt wurde durch die USA gestoppt (wobei China argwöhnte, dank Libra hätte sich die Macht des Dollar über den ganzen virtuellen Globus verteilt – während es vermutlich mit seiner eigenen virtuellen Zentralbankwährung ähnliches im Sinn hat). Stablecoins wie auch CBDCs (also staatliches und also zu Recht „Währung“ zu nennendes Digitalgeld) „können in die Geschäftsabläufe von Big-Tech-Plattformen integriert werden, und sie können sogar über Big-Tech-Plattformen ausgegeben und verteilt werden“, bilanziert Scott.

Wer in „stable” die bessere Alternative zu beispielsweise Bitcoin sieht, wäre demnach schon wieder mittendrin im „zentralisierten“ Geschäft der Giganten. Wobei Konzerne den Staat mit mehr oder weniger weitreichenden Folgen umarmen.

Brett Scott: Cloud Money. Cash, Karte oder Krypto: Warum die Abschaffung des Bargelds unsere Freiheit gefährdet. München: Penguin 2022.

Kategorien
Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

Ein Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens

Ein Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 20. September 2023

Interessante Gespräche statt Belehrungen – das Kulturereignis „Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens“ mit dem Thema „Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt“, ist ein interaktives Format ganz eigener Natur. Und das nicht nur, weil dieses einmalige Event einer Kooperation von drei Häusern entspringt: ZEVEDI als Auftrags-, Stichwort- und Geldgeber (unter besonderer inhaltlicher Beteiligung des Diskursprojekts „eFin & Demokratie“), die Mobile Akademie Berlin mit Hannah Hurtzig, der Entwicklerin dieses Formats, als Kurator:innen und maßgeblich wie maßgebend an der genaustens arrangierten Durchführung beteiligt sowie als Austragungsort die Kulturstätte „Mousonturm“ in Frankfurt am Main.

Im Markt standen 90 Expert:innen mit ihrem Wissen zu Themen rund ums Geld und der Digitalisierung des Finanzwesens den ca. 300 Besucher:innen für Gespräche zur Verfügung – und scheuten auch nicht, in kritischer Reflexion die Grenzen ihres eigenen wie auch des Wissens ihres Fachgebietes deutlich zu machen. Denn aus diesem explizierbaren Nicht-Wissen kann man ebenso lernen; es wirft ein neues Licht auf das vorhandene (Fach-)Wissen und akzentuiert die notwendige Mannigfaltigkeit der Forschungs- und aus dem alltäglichen (Berufs-)Leben geschöpften Perspektiven, die in der Markt-Inszenierung durch die Vielstimmigkeit der Expert:innen repräsentiert wurden. Neben Ökonom:innen (Daniel Mertens) und Banker:innen (Claus George) saßen hier, um nur eine kleine Auswahl in Klammern zu nennen,  Soziolog:innen (Barbara Brandl, Alexandra Keiner, Carola Westermeier, Moritz Hütten), Philosoph:innen (Petra Gehring), Jurist:innen (Jana Ringwald, André Alfes), aber auch Politiker:innen (Ina Hartwig, Bijan Kaffenberger, Jutta Ditfurth) und Kulturschaffende jeglicher Couleur. In allen Runden stand Autor Marcus Steinweg für Gespräche bereit, denen man sich in einer Dauersendung per Marktradio zuschalten konnte.

Wissenschaftliche Expertise trifft auf Stimmen derjenigen, die sich in den konkreten Feldern bewegen. Wie sieht unser Geld aus und wie wird es (in Form eines digitalen Euro) in Zukunft aussehen (Sebastian Siepen), wie einfach wird es handhabbar und welche Technologien werden sich dahinter verbergen (Jürgen Geuter)? Es wird über Verhandlungen gesprochen und selbst verhandelt, monetäre Theorien (Jan Greitens) und Bargeld (Brett Scott) diskutiert und Wirtschaftssysteme in Frage gestellt. Lieder über die Vorzüge des bedingungslosen Grundeinkommens werden mit Gitarre zum Mitsingen angestimmt und die Perspektive von Künstlern thematisiert, die sich von Auftragsarbeit zu Auftragsarbeit hangeln, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Bernadette La Hengst). Auch das Verlagswesen und die Nöte der Autorinnen und Autoren kommen im Markt zur Sprache (Karlheinz Braun). Armut, Schulden und damit verbundene Gerechtigkeitsfragen ist eines der Themen, die sich im Marktgeschehen über die Gespräche hinweg herauskristallisieren – wer ist wie betroffen, was könnte geändert werden? Hilft Ethik oder ist sie ein veraltetes Konstrukt? Über Glorifizierungen und Diskriminierungen wird diskutiert, sie logisch-systematisch und historisch eingeordnet.

Die Gesprächssituation ist inszeniert, man bewegt sich wie in einem Spielfeld oder blickt darauf: Der Markt ist als Theater in Szene gesetzt, es wird mit Kulissen, Geräuschen und Lichttechnik gearbeitet. Er bringt viele Funktionen des Internets in die analoge Welt: Mit einem Überangebot an Themen und Ansprechpartner:innen ist der Markt als Versammlung zugleich Vernetzungsmöglichkeit, um Kontakte herzustellen oder nur mal kurz etwas zu fragen, als auch Spielraum, um gestaltend, nämlich gesprächsführend zu wirken oder Gesprächen über das Marktradio so lange man möchte zu folgen oder wild zwischen ihnen herumzuschalten. Den Gesprächen selbst mangelt es aber nicht an Ernsthaftigkeit und Tiefsinn. Was man aus dem Markt zieht, wie man ihn für sich annimmt, ist jedem/r Besucher:in selbst überlassen: ob man sich der Atmosphäre des Theaters hingibt, sich treiben lässt von Gesprächseindrücken, sich auf einzelne Themen fokussiert und den Markt gezielt als Ort der Weiterbildung nutzt oder seinen Horizont in möglichst viele Richtungen erweitern möchte.

Das Besondere des Gesprächsformats: Hier geben nicht nur die Experten den Ton an. Viele Unterhaltungen starten mit der Frage, ob zunächst ein kleiner Vortrag gehalten werden soll oder man direkt mit Fragen des Gesprächspartners einsteigt. Die Gesprächsführung liegt immer in den Händen beider Partner, sodass sich für beide Seiten neue Erfahrungen gewinnen und Wissen schöpfen lassen. In 1:1-Unterhaltungen an 32 Tischen wird über je 30 Minuten in insgesamt 6 Runden die Köpfe zusammengesteckt. Eingeläutet und beendet von einem großen Gong vertiefen sich die Gesprächspartner schnell in ihr Thema, nicht selten beginnt es informell schon einige Minuten vorher und wird danach fortgesetzt. Eine von der Decke herabhängende Glühbirne leuchtet an jedem der in einem Carré in 4 Reihen gestellten kleinen Tische, verbreitet eine intime Atmosphäre und schottet die Gespräche zugleich vom Markttrubel ab.

Wie einzelne Inseln wirken die Tische, an denen sich je ein anderes Themenuniversum öffnet. Hostessen geleiten an die Plätze, informieren über die restlichen Minuten und kündigen auf beleuchteten Schildern für das Publikum an, dass für die nächste Gesprächsrunde die Buchungsschalter geöffnet sind. Als stille Beobachter:innen, jenseits und doch alles überblickend kann man von den Tribünen aus die einzelnen Gespräche beobachten und sich bei je acht Gesprächen über das Marktradio heimlich, still und leise hinzuschalten. Ein weiteres Gespräch wird live transkribiert und zum Mitlesen an die Wand projiziert. Immer wieder gehen Hostessen mit provokanten Aussageplakaten durch die Tischreihen. Der Markt setzt Impulse, stößt Gedanken und Diskussionen an. Und reizt es einen, selbst in ein Gespräch zu treten, kann man sich zu jeder der insgesamt sechs Runden erneut an den drei „Klient:innen-Check-In“-Counter für einen Euro einbuchen. Zur Abkühlung kann man sich entweder im Außenbereich an der Bar einfinden oder sein erhitztes Gemüt an der Beschwerdestelle beschwichtigen lassen, die selbst wie die Einbuchung ein Teil des Theatergeschehens ist. In einem gemütlichen Separée gibt es zudem „Second Hand Knowledge“ und Snacks. Im Gespräch mit drei Zehntklässlerinnen erfährt man mehr über die Arbeit zweier Marktexpertinnen. Die drei haben sich im Vorhinein mit der Oberstaatsanwältin für Cyberkriminalität Jana Ringwald als auch mit der Numismatikerin und Archäologieprofessorin Fleur Kemmers getroffen. In Zeltatmosphäre spricht man jetzt meist zu mehreren über deren Arbeit wie auch die Kenntnisse, Erfahrungen und Eindrücke der Jugendlichen.


Alles in allem ein spannender Abend und ein anregendes Wissensformat, das nah an der Schwelle zur Reizüberflutung operiert, wenn man möglichst vielen Gesprächen folgen wollte. Und für alle, die es verpasst haben oder noch etwas nachhören möchten: Das durch das Marktradio und die Transkription entstandene Audiomaterial wird im Archiv der Mobilen Akademie Berlin veröffentlicht. Im Entstehen begriffen ist auch eine Video-Dokumentation, die einige ausgewählte Expert:innen an diesem Abend begleitet und das Markt-Geschehen in allen seinen Dimensionen auffächert.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Isabel Schmidt eFin-Blog Farbe: hellblau

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld & Geld für Krypto-Werbung

Das gefährliche Geschäft mit dem Kurs: Werbung für Kryptogeld & Geld für Krypto-Werbung

Ein Beitrag von Isabel Schmidt

vom 7. September 2023

Kim Kardashian hat es getan, aber auch Madonna, Larry David, Lebron James, Justin Bieber und Floyd Mayweather und andere mehr: Die Liste der Stars aus Unterhaltung und Sportindustrie, die für Kryptowerte, -handelsbörsen und NFTs Werbung gemacht haben, ist lang.1Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».

Als Höhepunkt kann dabei 2021 bis in die Anfänge des Jahres 2022 gelten. Kryptokurse – allen voran Bitcoin – erreichten ihr Allzeithoch und es herrschte ein Run auf NFTs. Und mitten drin Hollywood: Schauspieler Matt Damon warb für die Handelsbörse Crypto.com mit dem Slogan „Das Glück ist mit den Mutigen“. Paris Hilton tauschte sich mit Late-Night-Talker Jimmy Fallon in dessen The Tonight Show über ihre Bored-Apes-NFTs aus. Gisele Bündchen und Tom Brady standen als Testimonials für die US-Kryptobörse FTX in den Medien. Deutlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war dann die Werbesequenz in der Superbowlpause im Februar 2022 – hier traten zum ersten Mal Kryptounternehmen wie FTX, eToro, Crypto.com und Coinbase in Erscheinung.

Zwei Jahre später hat sich die Lage komplett verändert: FTX ist zusammengebrochen, viele Anleger:innen haben viel Geld verloren. Der Gründer, Sam Bankman-Fried, steht in den USA vor Gericht. Bitcoin brach zwischenzeitlich auf bis unter 16.000 Dollar ein. Andere Kryptowerte fielen noch stärker. Dieser sogenannte Kryptowinter hält zum Teil noch an und der massive Verlust am Markt sorgt dafür, dass auch Werbedeals der Stars und Sportler:innen zurückgingen.

Und nicht nur das: Nach dem Absturz der Kryptowerte erheben Anwaltskanzleien in den USA nun Anklage gegen jene Prominente, die nicht offenlegten, dass sie für ihre Werbung bezahlt wurden.

Der Einsatz von Stars zur Wertsteigerung von Kryptoassets wird vor Gericht zumindest in den Vereinigten Staaten als illegal eingestuft. Auch für Kim Kardashians Werbung über Instagram hatte dies bereits ein Minusgeschäft zur Folge: Sie hatte ihre Story aus dem Jahr 2021 über EMAX-Token, einem Kryptowert von EthereumMax, zwar mit dem Hashtag „#AD“ als Werbung markiert, das reichte vor Gericht aber nicht als Hinweis darauf aus, dass sie als Gegenleistung 250.000 Dollar erhielt.Der EMAX-Token fiel nach einem rasanten Anstieg innerhalb kurzer Zeit auf einen Kurs von weit unter einem Cent, enttäuschte Anleger:innen zogen in den USA vor Gericht und waren mit ihrer Klage erfolgreich: Kim Kardashian wurde auf 1,26 Mio. Dollar verklagt und darf drei Jahre lang keine Werbung für Kryptoassets machen.

Mindestens zwei weitere Sammelklagen gegen FTX sowie Yuga Labs und Moonpay und seine prominenten Unterstützer:innen laufen in den USA aktuell. Darunter sind etwa Paris Hilton, Snoop Dog, Jimmy Fallon, Justin Bieber und Madonna.2 Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.

Und natürlich ist diese Art der Werbung nicht ausschließlich in den USA verbreitet, sondern ein internationales Phänomen. Und es werden immer mehr Reaktionen darauf sichtbar. Bei Netflix gibt es seit Neuestem einen Bann für Kryptowerbung, auch die UEFA hat Richtlinien eingeführt – einzig Facebook/Meta geht in die andere Richtung. Hier galt bis 2018 ein Verbot, das nun wieder aufgehoben wurde.   

Auch in Deutschland haben bereits Prominente ihre Gesichter hergehalten, jedoch sind Sammelklagen hierzulande nicht möglich und die Kontroverse rund um die Dotcom-Blase3Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte. hat bereits gezeigt, dass es schwieriger ist, vor Gericht einen Zusammenhang von Werbung und Kauf zu beweisen. 

Viele Faktoren beeinflussen Kryptokurse. Neben Preisschwankungen durch Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage nehmen bestimmte Ereignisse kurz- wie langfristigen Einfluss. Zum Beispiel politische Entscheidungen können kurzfristig beeinflussen: Zinserhöhungen, aber auch Regulierungsbestrebungen sorgen für reichlich Bewegung. Und Verbraucher:innen sind damit noch nicht vertraut. Gleichzeitig lösen die Geschichten rund um Bitcoin-Millionär:innen FOMO-Effekte („Fear of missing out“) aus, die geschickt durch Marketing bedient werden können.  

Mittlerweile wird auch in Europa über die Form der Kursbeeinflussung durch Werbung diskutiert . Immer mehr nationale Finanzbehörden ziehen die Notbremse und führen ein Verbot von Werbungen für virtuelle Währungen ein – wie unlängst Großbritannien, wo nun bis zu zwei Jahre Haft drohen können.

Hype or harm – so heißt eine Studie des europäischen Verbraucherverbands (BEUC), der aus 46 unabhängigen Verbraucher:innenorganisationen aus 32 Ländern besteht. Die am 8. Juni 2023 erschienene Studie setzt sich mit der Frage auseinander, welche Gefahr von Werbung für Krypto in sozialen Medien für Verbraucher:innen ausgeht.4Die Studie ist hier» abrufbar. Insbesondere Instagram, YouTube, Twitter und TikTok werden hier als „Hauptakteure“ identifiziert und wegen ihrer Unterstützung bei irreführender Werbung für Kryptoassets Beschwerde bei der EU-Kommission und den Verbraucherschutzbehörden eingereicht. Hier zeigt sich, dass rund um das Geschäft mit Kryptowerten längst noch nicht alle Regulierungs-und Demokratiefragen diskutiert werden.   

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

  • 1
    Wie unter anderem die Süddeutsche berichtete».
  • 2
    Die Sammelklage gegen FTX befindet sich hier». Dazu vgl. Anklageschrift» gegen Yuga Labs.
  • 3
    Als Dotcom-Blase wird von den Medien die Anfang der 2000er geplatzte Spekulationsblase rund um neue Unternehmen im Bereich Internet-Technologien bezeichnet, die für Kleinanleger:innen zu enormen Verlusten führte.
  • 4
    Die Studie ist hier» abrufbar.
Kategorien
Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: gelb

Coinzeit #4: „Unbanked“

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 22. August 2023

Der Spruch könnte auf Demo-Transparenten stehen. Oder kommt er aus der Szene der Krypto-Begeisterten? Banking the unbanked! Bei näherem Hinsehen handelt sich weniger um eine Forderung an die Politik als um eine Selbstmandatierung: Direkt verwendbare, digitale Zahlungsdienste halten sich zugute, jenen großen Anteil der Weltbevölkerung endlich mit einem Konto zu versorgen, die noch keines haben. DeFi, Bitcoin & Co dienen der „Demokratisierung“. Sie helfen denen auf dem Globus, die (noch) „unbanked“ sind. Etwas weniger spruchbandartig lautet der Gedanke: Finanzielle Inklusion.

Streng genommen loben das „Banking“ vor allem diejenigen, die soziale Argumente für die Nutzung digitaler Zahlungsdienste vortragen. Es helfe den Menschen in wenig entwickelten Ländern, es helfe Frauen, es helfe marginalisierten Gruppen, individuell sparen und auch Zahlungen empfangen zu können. Laboure und Deffrennes, Autoren des Buches Democratizing Finance, zählen fünf Bereiche auf, in denen Arme Bankdienstleistungen benötigen: Geldtransfer, Sparen und Investitionen, Kredite, Versicherungen und Altersversorgung: „When households have access to these types of formal financial products and services, they tend to enter an upward cycle toward increased wealth and wellbeing.“ (S. 101)

Inklusion ist natürlich immer gut. Und dass insbesondere auf dem flachen Land schon die fehlende Erreichbarkeit von Infrastrukturen auch „Geld“ zum Problem macht (Wie komme ich dran? Wie bewahre ich es auf? Wie versende ich es?), leuchtet ein. Dennoch bleibt eine kleine und eine größere Irritation. Die kleinere: Ist hier wirklich „banked“ gemeint? Wollten alternative, voll digitalisierte Bezahlsysteme nicht gerade keine Banken sein? Sollten also nicht DeFi-Lobbyisten das, was sie den „unbanked“ versprechen, doch nicht besser ganz konkret beschreiben, anstatt einfach „banking“ zu versprechen? Die Bank-Metapher mag ja doch irreführend sein, wenn beispielsweise unabgesicherte Invest-Produkte oder Krypto-Portfolios angeboten werden. Mindestens überrascht es, wenn ausgerechnet diejenigen sie nutzen, die zugleich lautstark betonen, just eben keine Banken zu sein. Oder Bankdienstleistungen sogar überflüssig zu machen.

Die größere Irritation: Was fehlt denn den sogenannten „unbanked“? Wirklich die digitale Bank? Oder nicht doch in erster Linie Geld und Vermögen? Einschließlich der Sicherheitspolster, Risiken innovativer Finanzprodukte auf sich nehmen zu können. Tatsächlich wollen einige der „unbanked“ – das gibt auch die Weltbank zu – aus verschiedenen Gründen gar keine Bank. Insofern ist auch die Botschaft von Democratizing Finance durchaus gar nicht, Fintech sei „demokratisch“. Eher erscheinen sie als Modernisierungsinstrument. Statt traditionell etwa in der Landwirtschaft zu arbeiten, kann man Unternehmer sein. „Fintech innovations have the capacity to improve the transaction system, increase productivity, and help countries transition workforces from traditional to modern sectors – factors that improve economic growth.” (S. 105)

Finanzielle Inklusion nützt damit Volkswirtschaften. Ist Inklusion aus Sicht der Betroffenen wirklich aber eine freiheitsstiftende Vorstellung? Wir wissen ja nicht, was die „unbanked“ sagen. Ich vermute aber: nicht der Ruf nach Banken, sondern: „Cash the uncashed!“ stünde auf ihrem Transparent.

Marion Laboure, Nicolas Deffrennes: Democratizing Finance. The Radical Promise of Fintech. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2022.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: hellblau

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 8. August 2023

Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen ZEVEDI und der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt sprach Finanzjournalistin und Mercator-Journalistin in Residence Anissa Brinkhoff mit Oberstufenschüler:innen darüber, warum Geld, Investment und Daseinsvorsorge ein sowohl persönliches wie auch gesellschaftliches Thema ist, das alle kennen und diskutieren sollten.

Beamer, Mikrophon und Boxen stehen vor den Rängen der Rollsporthalle Darmstadt. Die Bertolt-Brecht-Schule wird gerade umgebaut und saniert, eine Schulaula steht daher gerade nicht zur Verfügung. Die benachbarte Sporthalle wird extra angemietet und da das Interesse größer ist, als die Ränge Sitzplätze bieten, hält Anissa Brinkhoff den Vortrag gleich zweimal. Die 34-jährige Finanz-Journalistin erzählt lebensnah auch von eigenen Erfahrungen und weckt so das Interesse ihrer Zuhörer*innen.

Fragen über Fragen – von Investitionen in Gold bis hin zu Krypto und Dropshipping

„Wie sicher ist investieren in Aktien?“ „Ist es nicht besser zu sparen?“ „Oder sollte man in Gold investieren?“ – „Muss ich mich jetzt schon um meine Altersvorsorge kümmern?“ Mit viel Voraussicht formulieren die Schüler:innen der Bertolt-Brecht-Schule ihre Fragen und Bedenken in einer anfänglichen Fragerunde. Spannenderweise überschneiden sich die Fragen in den beiden Vortragsdurchgängen, sie scheinen für alle Schüler*innen der Jahrgangsstufe von Bedeutung.

Ein neues Thema, das die Schüler:innen als mögliche Einnahmequelle beschäftigt (gerade auch weil es immer wieder in den sozialen Medien auftaucht), ist das sogenannte Dropshipping. Dabei werden Waren weiterverkauft an Kunden, die allerdings nicht beim Verkäufer gelagert werden, sondern direkt vom Händler an den Käufer geschickt werden. Der Verkäufer ist nur ein Mittelsmann, der keinen direkten Kontakt mit der Ware hat – und sie daher auch nicht besitzt, wenn er sie verkauft. Dass dies zu Problemen führen kann, wenn beispielsweise Ware, die bereits verkauft wurde, nicht mehr lieferbar ist, führt Anissa Brinkhoff den Schüler:innen anschaulich vor Augen. ‚Einfach so‘, wie es sich viele vorstellen, lässt sich auf diese Weise nicht das große Geld machen, man ist auch mit diesem Verkaufsmodell Gewerbetreibende:r – mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten; und somit beispielsweise auch als Minderjährige:r steuerpflichtig.

Wir reden zu wenig über Geld!

„Wer weiß, wie viel genau die eigenen Eltern verdienen?“ – Zögerlich gehen einige Hände hoch. Mehr als erwartet, aber immer noch nur ein kleiner Bruchteil der anwesenden Schüler:innen. Von Freund:innen und Bekannten weiß es so gut wie niemand. Vielleicht deutet sich hier schon ein leichter Generationenwechsel an, denn Ältere hätten wahrscheinlich noch nicht mal mit dem Arm gezuckt. Vielen öffnet sich erst mit zunehmendem Alter, wenn man den Eltern beispielsweise bei der Steuererklärung oder Versicherungen helfen muss, das bis dahin meist verschlossene Buch der Gehaltsabrechnungen. Aber wer weiß, ob und wie hoch das Elternhaus belastet ist, ob ein Kredit bereits abbezahlt wurde oder wie hoch sich die monatlichen Kosten belaufen? Nun schauen die Schüler*innen ratlos. Es wird deutlich spürbar: Es wird zu wenig über Geld geredet. Und Anissa Brinkhoff macht sogleich klar, warum das problematisch ist: Wir wissen gar nicht, mit welchen Erwartungen wir in Gehaltsverhandlungen gehen sollten, verkaufen uns womöglich viel zu oft unter Wert. Und wer weiß schon, worauf es ankommt, um einen guten Kredit zu bekommen, damit man sich beispielsweise ein Eigenheim leisten kann?

Finanzen sind kein Schulfach, was Anissa Brinkhoff sehr bedauert, auch wenn sich die Politik-und-Wirtschaft-Lehrer:innen Mühe geben, dem Thema einen adäquaten Raum in ihrem Unterricht zu geben. Dass es dennoch viele Leerstellen ob der Fülle an Unterrichtsinhalten gibt, ist klar – umso besser, wenn man einer Finanzjournalistin Löcher in den Bauch fragen kann, die sich auf Workshops und Podcasts zum Thema Finanzbildung spezialisiert hat.

Aber die Finanzsprache ist auch eine ganz eigene, die man erst einmal erlernen muss. Das wird teils durch ein Image der gestressten und überarbeiteten Wall Street Banker in Hollywood-Filmen noch erschwert, wie Anissa Brinkhoff deutlich macht: Die Finanzwelt scheint wie von einem anderen Planeten oder vielmehr ein eigenes Universum zu sein, in das man nur schwerlich Einblicke bekommen kann. Und wer hat schon Lust darauf, bei all dem in Filmen gezeigten Stress, der Arbeit am Limit, die gar bis zu Drogenkonsum führen kann, um funktionsfähig zu sein, wenn nicht im Extrem zum Selbstmord? Wie viele Freundschaften und Ehen scheitern in Filmen daran. Möchte man sich wirklich in so ein Arbeitsklima begeben?

Aber professionell in der Investmentbranche zu arbeiten, ist auch etwas anderes, als privat sein Geld anzulegen. Anissa Brinkhoff möchte nicht alle zu Bankern machen, sondern dafür sensibilisieren, dass es ein Thema ist, das uns alle betrifft. Nicht nur wenn wir im Finanzwesen arbeiten, sollte darüber geredet werden – Geld und die Art und Weise unseres Umgangs mit Finanzgütern geht uns alle etwas an. Wir kommen gar nicht drum herum. Und je früher wir uns Gedanken machen, desto mehr haben wir ganz buchstäblich davon.

Wieso ist Geld überhaupt wichtig?

Bei Geld denken die meisten zunächst an dadurch ermöglichten Konsum: Wenn ich viel Geld habe, kann ich mir das neuste iPhone, ein schickes Kleid oder einen Konzertbesuch leisten. Nicht nur für sogenannte Luxusgüter brauchen wir Geld in der (virtuellen) Tasche, auch zum Beispiel für unser Essen und um ein Dach über dem Kopf zu haben. Geld ermöglicht materiellen Wohlstand – aber auch noch viel mehr. Anissa Brinkhoff erzählt aus ihrem eigenen Leben und viele Schüler*innen konnten sich sichtbar damit identifizieren: Ihr waren früher Finanzen nicht wichtig, weil sie ihr Leben nicht nach materiellen Gütern ausrichten wollte. Aber schließlich kam sie dahinter, dass Geld mehr Kraft hat, das eigene Leben zu erleichtern und zu verändern: Geld bedeutet auch Freiheit. Die Freiheit, jederzeit seinen Job kündigen zu können, weil man genügend Rücklagen hat, um ohne Einkommen über die Runden zu kommen, bis man einen neuen gefunden hat. Die Freiheit, jederzeit seine Beziehung zu beenden, weil man von dem Partner bzw. der Partnerin nicht finanziell abhängig ist und sich eine eigene Wohnung leisten kann. Und selbst wenn man nicht im Luxus materieller Güter schwimmen möchte – wer strebt nicht nach einem solchen Luxus der Freiheit, sein Leben selbst in der Hand zu haben?

Fünf Finanz-Basics: Budgetieren, Kredite, Sparen, Investieren und Altersvorsorge

Griffig formuliert Anissa Brinkhoff fünf Finanz-Basics, die sie den Schüler:innen an die Hand geben möchte. Um nicht unerwartet am Ende des Monats ohne Geld dazustehen und sich auch mal etwas Teureres leisten zu können, ist Budgetieren das Mittel der Wahl. Viele Schüler:innen nicken, sie haben es nicht nur im Elternhaus und Unterricht kennengelernt, auch Influencer auf diversen Social-Media-Plattformen teilen ihre Tipps zum Budgetieren. Dass man nicht mehr ausgeben sollte, als man einnimmt, leuchtet ein. Doch wie viel sollte man monatlich auf die Seite legen? Klassischerweise benötigen wir die Hälfte unseres Gehalts für Fixkosten, so Anissa Brinkhoff, 30% sollten wir für variable Kosten einplanen und 20% können – und sollten – wir sparen oder investieren. Dass dies nur grobe Richtwerte sind, macht sie deutlich; rechnet aber auch vor, wie viel es ausmacht, wenn man monatlich spart oder investiert.

Worin liegt aber der Unterschied? Und was die Schüler:innen interessiert: Was ist ‚besser‘? Sollte man nicht lieber einfach sparen und sich nicht dem Risiko aussetzen, bei Investments das Geld zu verlieren? Anissa Brinkhoff stellt klar: Sparen bedeutet nicht, dass man sich in 10 oder 20 Jahren noch dasselbe von dem Geld leisten kann wie heute. Altersvorsorge mithilfe des guten alten Sparstrumpfs bringt bei der aktuellen Inflation nicht viel, wird den Schüler:innen bewusst. Private Vorsorge muss allerdings getroffen werden, zeigt Anissa Brinkhoff eindringlich: Die staatliche Altersvorsorge reicht nicht aus, erst recht nicht bei dem derzeitigen demographischen Wandel und unserem Rentenmodell, das auf Umlagefinanzierung fußt. Man kann nicht zu früh anfangen, sich um seine finanzielle Absicherung zu kümmern.

In was man investieren kann und soll, dazu gibt es kein Patentrezept. Anissa Brinkhoff warnt die Schüler:innen auch vor öffentlich, v.a. in sozialen Medien weit geteilten ‚Insider-Tipps‘ zu Kapitalanlagen: Wer hat denn etwas davon, dieses Wissen zu teilen, wenn es wirklich eine Goldgrube ist? Man sah förmlich, wie viele der Schüler:innen zu überlegen begannen. Ein wichtiges Ziel wurde durch den Vortrag erreicht: die Schüler:innen für das Thema Finanzen zu sensibilisieren und dieses als eine ständig anfallende, aber bewältigbare Aufgabe zu sehen.

Das Finanzsystem ist männlich – Frauen dürfen nicht abgehängt werden! Gender Pay Gap und Gender Pension Gap

Ein besonderes Anliegen ist Anissa Brinkhoff das Thema „Female Finance“. Nicht nur verdienen Frauen noch immer bei gleicher Qualifikation im gleichen Job durchschnittlich weniger als Männer – und das im Schnitt 18%. Auch leisten sie deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit, durch die sie selbst schlechter im Alter abgesichert sind. Zudem zahlt man im Mutterschutz nicht automatisch in die Rente ein – und eine Mutterschaft ist meist immer noch ein Karrierehemmnis. So beträgt die Gender Pension Gap derzeit sogar 40%. „Geld ist sexistisch und diskriminierend“, bringt es Anissa Brinkhoff abschließend auf den Punkt. Denn es sei von Männern für Männer geschaffen, Frauen müssen viel stärker mitbedacht werden – in Neuerungen im Finanzwesen wie der zunehmenden Digitalisierung, aber auch in der Wissensvermittlung in der Finanzbildung.

Daher recherchiert Anissa Brinkhoff auch im Rahmen des Mercator-Journalist in Residence-Programms am ZEVEDI für ihren Finanzpodcast „Finance & Feelings“, inwiefern Frauen bei der Digitalisierung des Finanzwesens mitbedacht werden.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Erik Meyer Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Digitaler Euro: Formate und Inhalte der politischen Kommunikation des Projekts

Digitaler Euro: Formate und Inhalte der politischen Kommunikation des Projekts

Ein Beitrag von Erik Meyer

vom 18. Juli 2022

Bislang war der digitale Euro eine eher administrative Angelegenheit. Spätestens mit dem vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission sollte auch die Vermittlung des Vorhabens in eine neue Phase öffentlicher Diskussion eintreten. Einige Eindrücke zum aktuellen Stand.

Die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet nun schon länger daran, wie ein digitaler Euro auszugestalten wäre und eruiert, ob es ihr sinnvoll erscheint, diesen auch einzuführen. Dieser Prozess wird an Hand von Dokumenten einigermaßen transparent in der Online-Kommunikation der Institution dargestellt. Das heißt allerdings, dass viele Informationen primär auf Englisch vorliegen und zudem fachsprachlich formuliert sind. Auch die Deutsche Bundesbank verweist in ihrem nicht ganz aktuellen Online-Angebot» auf solche Materialien. Fortlaufend dokumentiert werden betreffende Publikationen hier» . Ein zentrales Format sind dabei Folienpräsentationen, die zu diversen Anlässen vorgelegt werden und etwa den Fortschritt des Vorhabens grafisch darstellen sollen. Einer solchen Präsentation ist auch der aktuell auf der deutschsprachigen EZB-Unterseite verlinkte Zeitplan des Projekts» entnommen, der bislang erreichte Meilensteine fokussiert.

Darstellung des Zeitplans für die Testphase des digitalen Euro durch die Europäische Zentralbank.

Anders als dieses kleinteilige und für eine auf das Projekt bezogene Themenöffentlichkeit einschlägige Angebot mutet die visuelle Regierungskommunikation an, die mit der Vorlage des Verordnungsentwurfs für einen Rechtsrahmen des digitalen Euros insbesondere in den sozialen Medien eingesetzt hat. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat etwa in der Erklär-Video-Reihe Finanzisch für Anfängerinnen und Anfänger einen einminütigen Clip im Comic-Stil zu folgender Fragestellung veröffentlicht: „Was könnte ein digitaler Euro möglich machen, wer arbeitet daran und wann könnte er eingeführt werden?“». Per Du und mit Musik unterlegt werden hier vor allem vermeintliche Vorzüge des digitalen Euro in Szene gesetzt und für Informationen abstrakt auf www.bundesfinanzministerium.de» verwiesen. Die dem zuständigen EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung unterstehende Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen lanciert derweil etwa bei Twitter unter @ecfin und mit den Hashtags #EuroCash #YourChoice diverse farbenfrohe Sharepics, ein ähnliches Video-Format wie das BMF sowie einen recht schematischen Faktencheck. Während hier alles in Englisch vorgetragen wird, existieren einige Angaben der EU-Kommission zu ihren Legislativvorschlägen auch in deutscher Sprache: etwa ein Informationsblatt zum Download». Dieses hebt auch primär darauf ab, knapp Vorteile des digitalen Euro aufzuzählen sowie Gegenargumente zu entkräften.

Parlamentarische Anfrage und Antwort der Bundesregierung

Ein weniger präsentes Format der politischen Kommunikation sind demgegenüber parlamentarische Anfragen, die von Mitgliedern des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung gerichtet werden. Eine sogenannte Große Anfrage hat die AfD-Fraktion im Februar 2023 unter dem Titel Tokenisierung des Geldes – Chancen und Risiken gestellt, die den Gesamtzusammenhang von Bar- und Digitalgeld adressiert. Mitte Juni hat die Bundesregierung darauf schriftlich geantwortet und der Bundestag hat darüber Ende Juni in seinen Parlamentsnachrichten berichtet».

Deckblatt der Drucksache 20/7277 vom 14.06.2023. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der AfD. Tokenisierung des Geldes - Chancen und Risiken.

Die Drucksache selbst» hat inklusive der 83 gestellten Einzelfragen einen Umfang von über 50 Seiten. Auch wenn diese Auskünfte noch vor der Veröffentlichung des Verordnungsentwurfs erteilt wurden und die Bundesregierung an einigen Stellen darauf verweist, dass ihr betreffende Erkenntnisse nicht vorliegen bzw. nur den aktuell bekannten Stand reflektieren, werden einige Aspekte, die den digitalen Euro betreffen, hier weniger plakativ-persuasiv denn nüchtern-nachvollziehbar formuliert. Dabei werden diverse Quellen berücksichtigt. Dementsprechend lohnt es sich, hier ausgewählte Passagen zu dokumentieren.

Aus der Vorbemerkung zum Entscheidungsverfahren:
„Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es für die Einführung eines möglichen digitalen Euro eines demokratisch legitimierten Entscheidungsprozesses bedarf.“ (…) Auch eine positive Entscheidung der EZB über den Eintritt in eine weitere Projektphase im Herbst 2023 würde keine Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euro bedeuten. Eine solche Entscheidung könnte vielmehr erst dann getroffen werden, wenn die europäischen Ko-Gesetzgeber einen gesetzlichen Rahmen für die Einführung eines digitalen Euro geschaffen hätten.“ (S. 20)

Dies im Hinblick auf die Vorgehensweise der EZB konkretisierend:
„Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat in ihrer Rede bei der Plenarsitzung des Europaparlaments am 15. Februar 2023 ausgeführt, dass eine Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euro erst getroffen werden könne, wenn das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sei. In ihrem dritten Fortschrittsbericht zum digitalen Euro vom 24. April 2023 hat die EZB dargelegt, dass das Design eines digitalen Euro dann auf Grundlage des Gesetzgebungsprozesses erfolgen wird.“ (S. 22 f.)

Ein relevantes Gremium bei der bisherigen Ausarbeitung von Gestaltungsoptionen des digitalen Euro ist die High-Level Task Force on Central Bank Digital Currency, die sich aus Vertreter:innen der EZB und der nationalen Zentralbanken der Eurozone zusammensetzt. Auf diese wird etwa im Hinblick auf die Frage Bezug genommen, ob es hier nur um digitales Zentralbankgeld für Endkund:innen geht (Retail-CBDC) oder auch um eine digitale Zentralbankwährung für Geschäftsbanken und andere Finanzinstitutionen (Wholesale-CBDC):
„Die bisherigen Arbeiten der HLTF-CBDC zum Digitalen Euro beziehen sich nach Kenntnis der Bundesregierung ausschließlich auf Retail-CBDC. Eine Zusammenführung der dabei bisher identifizierten Designoptionen für einzelne Gestaltungsmerkmale (‚High-level design‘) ist nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell für das zweite Quartal 2023 vorgesehen.“ (S. 26)

Zu den Ressort-Zuständigkeiten seitens der Bundesregierung wird ausgeführt:
„Das Bundesministerium der Finanzen koordiniert und bearbeitet das Thema innerhalb der Bundesregierung federführend und beteiligt die Ressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und das Bundeskanzleramt. Zu den beteiligten Ressorts gehörten bislang insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.“ (S. 27)

Zur Frage danach, ob Zentralbanken beim digitalen Euro die Kontenführung übernehmen:
„Nach Kenntnis der Bundesregierung sehen die aktuellen Überlegungen der Zentralbanken des Eurosystems zum digitalen Euro nicht vor, dass die EZB oder nationale Zentralbanken Konten für jedermann eröffnen würden. Nach den Vorstellungen des Eurosystems würde der digitale Euro zwar bilanziell eine Verbindlichkeit der Zentralbanken darstellen – wie dies heute auch beim Bargeld der Fall ist. Es wären aber nicht die Zentralbanken, sondern beaufsichtigte Intermediäre (in der Regel Geschäftsbanken und/oder andere Zahlungsdienstleister), die für die Verteilung des digitalen Euro an die Endnutzer verantwortlich wären, einschließlich der Eröffnung von Konten oder Wallets“. (S. 33)

Zur informellen Beteiligung von Stakeholdern am laufenden Entwicklungsprozess:
„Die Einbeziehung erfolgt nach Kenntnis der Bundesregierung z. B. über (i) Marktkontaktgruppen wie das Euro Retail Payments Board (ERPB) auf europäischer Ebene und das Forum Zahlungsverkehr der Deutschen Bundesbank auf nationaler Ebene, sowie der Market Advisory Group (MAG), in der Experten aus dem Zahlungsverkehr das Eurosystem beraten (ii) Umfragen und (iii) Mitarbeit privater Akteure an technischen Merkmalen eines digitalen Euro (z. B. im Rahmen von Prototyping-Aktivitäten oder einer Marktuntersuchung).“ (S. 36)

Zum Charakter des digitalen Euro als digital cash:
„Die Bundesregierung sieht den digitalen Euro als eine Ergänzung zum Bargeld und setzt sich für eine an den Grundeigenschaften des Bargelds orientierte Ausgestaltung eines digitalen Euro ein. Ein digitaler Euro sollte als Zahlungsmittel und nicht zur Geldanlage verwendet werden, um die Auswirkungen auf die geldpolitische Transmission und den Finanzsektor wirksam zu begrenzen.“ (…) Mit Blick auf eine an den Grundeigenschaften des Bargelds orientierte Ausgestaltung eines digitalen Euro setzt die Bundesregierung sich dabei für ein möglichst weitgehendes Maß an Privatsphäreschutz ein, das über den Privatsphäreschutz heutiger, von privaten Unternehmen angebotenen elektronischer Zahlverfahren hinausgeht.“ (S. 37)

Zur abgestuften Ablehnung von Programmierbarkeit als Feature für digitales Zentralbankgeld:
„Das Eurosystem und die Mitgliedstaaten des Euroraums lehnen eine Programmierbarkeit eines digitalen Euro dergestalt, dass z. B. eine Bedingung direkt in einem ‚digitalen Geldstück“ hinterlegt würde, strikt ab, denn es wäre sonst nicht mehr sichergestellt, dass das ‚digitale Geldstück‘ zum Nennwert (also eins zu eins) in andere Formen des Euro (z. B. Bargeld) umtauschbar wäre. Die freie Konvertibilität ist aber eine Grundanforderung an den digitalen Euro.
Davon abzugrenzen ist der Einsatz von digitalem Zentralbankgeld in programmierbaren Anwendungen. Die Bundesregierung setzt sich gegenüber dem Eurosystem dafür ein, den Einsatz von digitalem Zentralbankgeld in programmierbaren Anwendungen verstärkt zu untersuchen. Als programmierbare Zahlungen versteht die Bundesregierung Überträge von Geld, bei denen Zeitpunkt, Betragshöhe und/oder Art des Übertrags durch vorher vorgegebene Bedingungen bestimmt werden. Solche Zahlungen können die geldseitige Abwicklung von komplizierten Geschäftsprozessen unter Berücksichtigung der Erfüllung vorgegebener Bedingungen ermöglichen.“ (S. 39)

Aktuell wird an den Voraussetzungen für einen einheitlichen digitalen Identitätsnachweis für Menschen und Unternehmen in der EU (EUid:) gearbeitet; ausgeführt quasi äquivalent zu einem Ausweis als digitale Brieftasche (Wallet). Gerade im Hinblick auf potenzielle Problematiken des digitalen Euro betreffend den Schutz der Privatsphäre spielen Planungen zur Nutzung der EUid im Zusammenhang mit digitalem Zentralbankgeld (CBDC) eine Rolle. Dazu wird ausgeführt:
„Die Möglichkeiten eines Zusammenwirkens von CBDC und digitalen Identitäten hinge von der jeweiligen konkreten technischen Ausgestaltung ab. Diese ist weder für einen möglichen digitalen Euro noch für eine EUid abschließend geklärt. Der europäische Gesetzgebungsprozess für eine EUid (eIDAS-VO) befindet sich gegenwärtig im ‚europäischen Trilog‘. Unbeschadet dessen könnte ein potenzielles Zusammenspiel beider Technologien nur unter strenger Berücksichtigung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte (insb. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht) und des geltenden Datenschutzrechts erfolgen.“ (S. 41)

Finanzisch für gut informierte Bürger:innen

Die Unterschiede zwischen verschiedenen Varianten zur kommunikativen Vermittlung des digitalen Euro sind signifikant, wenn auch den jeweiligen Entstehungskontexten und Adressatenkreisen geschuldet. Zwischen Angeboten für professionell mit dem Thema befasste Personen und eine interessierte Öffentlichkeit klafft noch eine erkennbare Lücke. Der Blick auf die parlamentarische Auskunft der Bundesregierung zeigt, dass entsprechende Inhalte aber in Deutschland durchaus verfügbar sind. Es wäre deshalb wünschenswert, sie nicht nur als im Informationssystem für Parlamentsmaterialien vorgehaltenes PDF zu dokumentieren, sondern prominenter online zugänglich zu machen. Gerade die Markierung von unterschiedlichen Ansichten aber auch Wissensständen im dialogischen Format von Anfrage und Antwort erscheint hier besonders geeignet. Eine zusätzliche Herausforderung bleibt dabei, dass nicht nur der Gegenstand „digitaler Euro“ komplex und wenig fassbar ist. Auch die Arbeit von Zentralbanken und das politische System der Europäischen Union sind höchst erklärungsbedürftig.

RSS-Feed
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors