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Akzentfarbe: gelb (Max Sinn) Autor:innen: Michael Bäuerle & Petra Gehring Verantwortungsblog

„Hessen vorn: Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI“

„Hessen vorn: Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI“

Das Vorpreschen des hessischen Gesetzgebers mag dem rechtspolitischen Ansinnen geschuldet sein, als Vorbild für die Gesetzgeber des Bundes und der anderen Länder gleichsam den Trend zu setzen. Es ist auch schwierig, sich vorzustellen, dass in einer Welt, in der vom Schulkind über Verwaltungen und Marktteilnehmer aller Art (bis hin zu kriminellen Akteuren) im Land und global zwar nahezu jeder KI-Software täglich vielfältig nutzt, ausgerechnet die Sicherheitsbehörden auf Methoden einer „klassischen“ Polizeiarbeit festgelegt bleiben sollen. Also eine offene Frage: Droht der Sicherheits- und Überwachungsstaat oder wäre nicht doch eine Art Waffengleichheit geboten?

Von Michael Bäuerle & Petra Gehring | 17.04.2025

Eine Videokamera in einer belebten Straße.
Eine Videokamera in einer belebten Straße. Erstellt mit Adobe Firefly.

„Hessen vorn: Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI“, so titelte FAZ-Online am 9.12.20241 und beschrieb damit nur einen Teil dessen, was sich in dem am 13.12.2024 verabschiedeten „Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit in Hessen“ an neuen digitalen Verfahren verbirgt, die die Polizei künftig einsetzen darf.

Zwar nutzt das Land Hessen seit Längerem datengetriebene Verfahren im Sicherheitsbereich. Der Einsatz der Software „Gotham“ der umstrittenen Firma Palantir unter dem Namen „HessenData“, mittels derer die Polizei verschiedene Datenbestände automatisiert analysieren kann, hat sogar zu einer viel beachteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt. Dieser Entscheidung zufolge war die gesetzliche Grundlage für den Softwareeinsatz zu unbestimmt und daher verfassungswidrig. Das Land Hessen musste nachbessern – und hat dies auch getan (vgl. dazu den Verantwortungsblog vom 12.9.2024)2. HessenData kommt also unter durch das Bundesverfassungsgericht präzisierten Bedingungen inzwischen wohl3 rechtskonform zum Einsatz, und zwar für Datenbankanalysen im Bereich schwerer Kriminalität.

Das im Dezember 2024 verabschiedete neue Gesetz macht weitere Schritte. Es sah im ersten Entwurf vom 1.10.2024 (Landtags-Drucksache 21/1151) unter anderem eine Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz unbemannter Luftfahrtsysteme („Polizeidrohnen“, § 15d des Entwurfs zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung-Entwurf (HSOG-E)) vor. Ebenso enthielt es eine Ausdehnung der Befugnis zur Videoüberwachung des öffentlichen Raums (§ 14 Abs. 3, 3a, 4 HSOG-E) mit einer Erstreckung auf sog. Angsträume (also Orte, die „günstige Tatgelegenheiten für Straftaten mit erheblicher Bedeutung (…) bieten“). Darüber hinaus war eine deutliche Erweiterung der Befugnis zum Einsatz körpernah getragener Aufzeichnungsgeräte, sogenannter „Body-Cams“, (vgl. § 14 Abs. 6 HSOG-E) vorgesehen, die durch Streichung der Beschränkung dieses Einsatzes auf öffentlich zugängliche Orte und die ausdrückliche Erlaubnis zum Einsatz auch in Wohnungen vorgenommen wurde.

Zum Gesetzentwurf fand am 12.11.2024 eine öffentliche Anhörung statt. Kurz vor dem Ende des Gesetzgebungsverfahrens wurde es überdies überraschend und wohl auch unabhängig von der Anhörung am 5.12.2024 noch einmal geändert (LT-Drs 21/1448). Nunmehr waren zusätzlich völlig neue Regelungen von großer Reichweite vorgesehen: So wurde die Befugnis zur Videoüberwachung auf den Einsatz von Techniken zur sog. Mustererkennung und zur biometrischen Echtzeit-Fernidentifizierung von Personen ausgedehnt. Zudem wurde ein zuvor formulierter Ausschluss der Verwendung von künstlicher Intelligenz bei der automatisierten Anwendung zur Datenanalyse – also auch für den Einsatz von HessenData – gestrichen. Das Gesetz wurde in dieser geänderten Fassung am 12.12.2024 beschlossen und trat am 19.12.2024 in Kraft.

Ungeachtet der gesetzgeberischen Verfahrensweise, die im Hinblick auf die Änderung „in letzter Minute“ auf Kritik der Opposition im hessischen Landtag stieß,4 setzt sich das Land Hessen damit als Gesetzgeber gleichsam an die Spitze der Bewegung zur Einführung von KI- und Big Data-Verfahren im Bereich der Sicherheitsbehörden.5 Denn: Zwar gab und gibt es auch im Bund und in anderen Ländern entsprechende Initiativen,6 keine davon hat oder hätte jedoch eine so weitreichende Ausstattung der Sicherheitsbehörden mit digitalen Verfahren und Instrumenten zur Folge gehabt.

Es scheint, als kämen auf der einen Seite die Faszination der KI-Technologie und auf der anderen Seite Tendenzen zur „Versicherheitlichung“ (securitization) der Selbstwahrnehmung und auch der Selbststeuerung moderner Gesellschaften zusammen. Der Trend zur Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zum Einsatz von Big Data- und KI-gestützten Instrumenten setzt sich auch in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene fort. In den von der Plattform „Frag den Staat“ veröffentlichten Papieren der gerade abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen hieß es, die „AG 1 – Innen, Recht, Migration und Integration“ habe einvernehmlich beschlossen:

„Die Sicherheitsbehörden sollen für bestimmte Zwecke eine Befugnis zur Vornahme einer automatisierten (KI-basierten) Datenanalyse erhalten. Unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen bei schweren Straftaten wollen wir den Strafverfolgungsbehörden eine retrograde biometrische Fernidentifizierung zur Identifizierung von Täterinnen und Tätern ermöglichen. Zur nachträglichen Identifikation von mutmaßlichen Tätern wollen wi[r] eine Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten. Das Bundeskriminalamt soll eine Rechtsgrundlage für das Testen und Trainieren von IT-Produkten erhalten, (…)“.7

Dieser Satz findet sich nun in der Tat unverändert in dem jüngst veröffentlichten Koalitionsvertrag des Bundes.8 Selbst wenn alle diese Pläne dereinst umgesetzt sind, wird das Land Hessen dem Bund hinsichtlich digitalisierter und KI-gestützter Eingriffsinstrumente noch insoweit voraus sein, als der Bund im Rahmen der Videoüberwachung bislang weder biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung noch automatische Mustererkennung zulässt. Immerhin soll jedoch eine KI-gestützte automatisierte Datenanalyse und -auswertung auch auf Bundesebene nun ermöglicht werden. Von den anderen Bundesländern haben zwar Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz inzwischen Ermächtigungsgrundlagen für automatisierte Datenanalysen der Polizei,9 schließen jedoch den Einsatz von KI explizit aus (Bayern und Nordrhein-Westfalen) oder treffen dazu keine ausdrückliche Regelung (Rheinland-Pfalz). KI-gestützte Videoüberwachung ist bisher in keinem anderen Bundesland vorgesehen.

Das Vorpreschen des hessischen Gesetzgebers mag mit Blick auf aktuelle Entwicklungen dem durchaus nachvollziehbaren rechtspolitischen Ansinnen geschuldet sein, als Vorbild für die Gesetzgeber des Bundes und der anderen Länder gleichsam den Trend zu setzen. Es ist auch schwierig, sich vorzustellen, dass in einer Welt, in der vom Schulkind über Verwaltungen und Marktteilnehmer aller Art (bis hin zu kriminellen Akteuren) im Land und global zwar nahezu jeder KI-Software täglich vielfältig nutzt, ausgerechnet die Sicherheitsbehörden auf Methoden einer „klassischen“ Polizeiarbeit festgelegt bleiben sollen. Wäre hier nicht doch eine Art Waffengleichheit geboten? Oder muss der Staat grundsätzlich – und dies vielleicht gerade im KI-Zeitalter – seine Kompetenzen in Sachen Sicherheit begrenzen?

Unter verfassungs- und europarechtlichen Gesichtspunkten droht dem Land unterdessen erneut Ungemach. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Rahmen automatisierter Datenanalysen nicht gänzlich ausgeschlossen. Es hat die Einführung solcher Werkzeuge jedoch – wie bei seinen zahlreichen anderen „Ja-Aber“-Entscheidungen zum Informationsrecht der Sicherheitsbehörden10 – an strenge Voraussetzungen geknüpft, deren Einhaltung nach der Neuregelung zumindest fraglich ist.11 Zudem ist „künstliche Intelligenz“ ein unscharfer Begriff, zu dem auch das Palantir-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur wenig Klärungshilfe liefert. Alle bewegen sich auf Neuland. Hier könnte dem hessischen Gesetzgeber also – wie schon in vorherigen Fällen12 – eine erneute „Strafrunde für die Innere Sicherheit“13 bevorstehen.

Zugleich muss sich die Neuregelung schon im Hinblick auf den KI-Einsatz allgemein, insbesondere aber wegen der Befugnis zur biometrischen Echtzeit-Fernidentifizierung nunmehr an den europarechtlichen Anforderungen der KI-Verordnung14 messen lassen. Denn die EU bemüht sich darum, das große Wort „KI“ rechtlich auszubuchstabieren. Eine KI-gestützte automatisierte Datenanalyse dürfte nach deren Kriterien im Hinblick auf ihr Potential zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen als sog. Hochrisikosystem i.S.d. Art. 6 KI-VO einzustufen sein15 und die nach Art. 5 KI-VO grundsätzlich verbotene biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung ist für Zwecke der Inneren Sicherheit nur unter sehr strengen Voraussetzungen und im Rahmen sehr enger Grenzen zulässig.

Selbst bei Einhaltung der materiellen Vorgaben der KI-Verordnung sehen Art. 6 bis 49 KI-VO für diese beiden Technologien neben anderen Pflichten der Anbieter und Betreiber eine Grundrechte-Folgenabschätzung (Art. 27 KI-VO) und eine EU-Datenbankregistrierung (Art. 49 KI-VO) vor. Beides kann bisher noch nicht vorliegen, denn die Regulationen sind noch nicht in Kraft. Insoweit ist Hessen mit seinem neuen Gesetz bisher nur in der Theorie vorn. Für eine europarechtskonforme Anwendung bedarf es jedenfalls noch einiger weiterer Schritte, und ob das Gesetz einer Prüfung in Karlsruhe standhält, muss zunächst geklärt werden, denn es ist fraglich.

Angesichts der gegenwärtigen Bemühungen der Gesetzgeber des Bundes und einiger Länder, dem hessischen Modell im Hinblick auf die Einführung KI-gestützter Instrumente für die Sicherheitsbehörden zu folgen, könnte Hessen indessen zumindest insoweit Vorbild werden, als anhand seines Gesetzes die verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen alsbald geklärt werden können. Hessen wäre also vor allem Tempomacher. Ob auch Rollenmodell, wird abzuwarten sein. Wie in den meisten anderen Bereichen bleibt die Digitalisierung im Bereich der Sicherheitsbehörden auch unter rechtspolitischen und -dogmatischen Gesichtspunkten ein hochdynamischer Prozess, über den – auch in diesem Blog – hiermit sicher nicht zum letzten Mal zu berichten sein wird.

  1. Vgl. Katharina Iskandar (2025): Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI. In: faz.net: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/hessen-vorn-polizei-setzt-auf-videoueberwachung-mit-ki-110162219.html [17.3.2025]; der Titel des Artikels hat sich geändert, „Hessen vorn“ findet sich aber noch in der URL des Beitrags. ↩︎
  2. Michael Bäuerle (2024): Karlsruhe locuta, causa non finita – Palantir, die Polizei und kein Ende. In: Verantwortungsblog: https://zevedi.de/karlsruhe-locuta-causa-non-finita-palantir-die-polizei-und-kein-ende/ [12.09.2024]. https://doi.org/10.60805/vp3w-fk07. ↩︎
  3. Auch gegen die Neuregelung bestehen indessen nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken; sie mündeten in einer weiteren Verfassungsbeschwerde (abzurufen unter Gesellschaft für Freiheitsrechte: GFF erhebt Verfassungsbeschwerde gegen uferlose Big Data-Methoden im Polizeigesetz von NRW: Der Einsatz von „Data Mining“ braucht strenge Voraussetzungen. https://freiheitsrechte.org/ueber-die-gff/presse/pressemitteilungen-der-gesellschaft-fur-freiheitsrechte/pm-stop-data-mining [06.10.2022]); vgl. näher Markus Möstl/Michael Bäuerle (Hg.): Beck’scher Onliner Kommentar Polizei und Ordnungsrecht Hessen, 33. Ed. 1.6.2024, HSOG § 25a Rn. 31 ff (https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKPolRH_33%2FHESSOG%2Fcont%2FBECKOKPOLRH%2eHESSOG%2eP25A%2eglA%2eglV%2ehtm [08.04.2025]). ↩︎
  4. Vgl. den Bericht der Hessenschau (2025): Hessische Polizei darf KI bei Videoüberwachung einsetzen. https://www.hessenschau.de/politik/landtag/videoueberwachung-mit-ki-cdu-und-spd-erweitern-rechte-der-polizei-v2,landtag-sicherheitspaket-100.html [21.03.2025]; zu den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dieses Verfahrens BeckOK PolR Hessen/Bäuerle: HSOG, Entwicklung und Strukturen des Polizei- und Ordnungsrechts in Hessen, Rn. 19 e ff. ↩︎
  5. Vgl. zum Rechtsrahmen auch Dieter Kugelmann/Antonia Buchmann (2025): Der Algorithmus und die Künstliche Intelligenz als Ermittler. In: Zeitschrift für das gesamte Sicherheitsreicht (GSZ) 1, S. 1-44. ↩︎
  6. Vgl. Bundestags-Drucksache 20/12805 (inzwischen verabschiedet), wonach im Asylverfahren nunmehr der nachträgliche biometrische Abgleich von Lichtbildern mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet zulässig ist sowie BT-Drucks 20/12806 (nichtmehr verabschiedet), wonach dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei der Einsatz einer automatisierten Anwendung zur Datenanalyse nach dem Vorbild Hessens sowie ebenfalls der nachträgliche biometrische Abgleich von Lichtbildern mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet ermöglicht werden sollte (vgl. §§ 39a, 63b des Entwurfs zur Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes(BKAG)-E und § 34b des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes(BPolG)-E). Auf Landesebene hat etwa Rheinland-Pfalz mit § 65a des Polizei- und Ordnungsgesetzes (POG) durch Gesetz vom 25.2.2025 (Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) S. 15) jüngst ebenfalls eine Ermächtigungsgrundlage für eine automatisierte Datenanalyse geschaffen. ↩︎
  7. Vgl. FragDenStaat: Koalitionsverhandlungen CDU/CSU/SPD AG 1 – Innen, Recht, Migration und Integration. https://fragdenstaat.de/dokumente/258013-koalitionsverhandlungen-cdu-csu-spd-ag-1-innen-recht-migration-und-integration/, Zeilen 252 bis 260 [26.3.2025]; vgl. dazu auch Hasso Suliak (2025): Was Union und SPD im Bereich „Innen und Recht“ planen. in: Legal Tribune Online: https://www.lto.de/persistent/a_id/56877 [26.03.2025]. ↩︎
  8. Vgl. CDU/CSU/SPD: Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 21. Legislaturperiode. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf [10.04.2025] (S. 89, Zeilen 2850 bis 2856; eine etwas allgemeinere und gekürzte Ankündigung dieser Absichten findet sich schon auf S. 82, Zeilen 2633 bis 2637). ↩︎
  9. Vgl. § 61a Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (BayPAG)), § 23 Abs. 6 POG NRW und § 65a POG Rh.-Pf. ↩︎
  10. Vgl. die Übersicht bei Michael Bäuerle (2024): Das Informationsrecht der Sicherheitsbehörden zwischen Konstitutionalisierung und Europäisierung. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft 2024, S. 88 ff.; zu den dort genannten 29 Entscheidungen sind inzwischen der Beschluss vom 17.4.2024 (- 1 BvR 2133/22, Hessisches Verfassungsschutzgesetz, Zeitschrift für Datenschutz 2024, 690 ff.), das Urteil vom 1.10.2024 (- 1 BvR 1160/19 -, BKAG II, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2024, 1736 ff. [m. Anm. Wittenberg]), der Beschluss vom 8.10.2024 (- 1 BvR 1743/16 -, – 1 BvR 2539/16 – Strategische Fernmeldeüberwachung II, Verwaltungsrundschau (VR) 2025, 36 ff.) sowie der Beschluss vom 14.11.2024 – 1 BvL 3/22 – (Observation und Einsatz technischer Mittel) hinzugekommen (Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 14. November 2024. https://www.bverfg.de/e/ls20241114_1bvl000322 [08.04.2025]). ↩︎
  11. Vgl. dazu Michael Bäuerle (2025): Automatisierte und KI-gesteuerte Datenverarbeitung und -analyse bei den Sicherheitsbehörden. Perspektiven und Grenzen sicherheitsbehördlicher „Datafizierung“. In: Zeitschrift für Datenschutz (ZD) 15, Heft 3, S. 128-131 (m.w.N.). ↩︎
  12. Vgl. BVerfG Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2008, 1505 ff. (Automatisierte Kennzeichenerfassung), BVerfG NJW 2019, 842 ff. (Automatisierte Kennzeichenerfassung II), BVerfG NVwZ-RR 2025, 10 ff. (Hessisches Verfassungsschutzgesetz). ↩︎
  13. So mit Blick auf die zahlreichen einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts schon früh Christian Rath (2013): Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2013, S. 60 ff., der insoweit auch den früheren Präsidenten des Gerichts Andreas Voßkuhle mit dem neutraleren Begriff der „Reflexionsschleifen“ zitiert (S. 61 unter Berufung auf Die Zeit vom 16.5.2021). ↩︎
  14. Verordnung (EU) 2024/1689 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz. ↩︎
  15. So auch Schöndorf-Haubold/Giogios: „Es ist schwer vorstellbar, dass KI-fähige Anwendungen zur automatisierten Datenanalyse wie z.B. hessenDATA, sofern mit ihrer Hilfe (schon aufgrund nationaler Grundrechtsanforderungen ausschließlich vorbereitende) Such- und Musterabfragen vorgenommen werden, als Systeme mit minimalen Risiken unterhalb der Schwelle der Hochrisiko-KI gelten könnten.“ (Bettina Schöndorf-Haubold/Christopher Giogios (2024): KI im Einsatz für die Sicherheit: Innovation und Kontrolle im Spannungsfeld von europäischer Gesetzgebung und nationaler Souveränität. In: Verfassungsblog vom 10.12.2024: https://verfassungsblog.de/ki-im-einsatz-fur-die-sicherheit/ [08.04.2025]. https://dx.doi.org/10.59704/9f52cf6bc2e03d8d. ↩︎

Bäuerle, Michael (2024a): Das Informationsrecht der Sicherheitsbehörden zwischen Konstitutionalisierung und Europäisierung. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft 2024.

Bäuerle, Michael (2024b): Karlsruhe locuta, causa non finita – Palantir, die Polizei und kein Ende. In: Verantwortungsblog: https://zevedi.de/karlsruhe-locuta-causa-non-finita-palantir-die-polizei-und-kein-ende/ [12.09.2024]. https://doi.org/10.60805/vp3w-fk07.

Bäuerle, Michael (2025): Automatisierte und KI-gesteuerte Datenverarbeitung und -analyse bei den Sicherheitsbehörden. Perspektiven und Grenzen sicherheitsbehördlicher „Datafizierung“. In: Zeitschrift für Datenschutz (ZD) 15, Heft 3, S. 128-131.

CDU/CSU/SPD: Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 21. Legislaturperiode. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf [10.04.2025].

Deutscher Bundestag (2024a): Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems (Bundestags-Drucksache 20/12805), 09.09.2024, Berlin.

Deutscher Bundestag (2024b): Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung (Bundestags-Drucksache 20/12806), 09.09.2024, Berlin.

FragDenStaat: Koalitionsverhandlungen CDU/CSU/SPD AG 1 – Innen, Recht, Migration und Integration. https://fragdenstaat.de/dokumente/258013-koalitionsverhandlungen-cdu-csu-spd-ag-1-innen-recht-migration-und-integration/ [26.3.2025].

Gesellschaft für Freiheitsrechte: GFF erhebt Verfassungsbeschwerde gegen uferlose Big Data-Methoden im Polizeigesetz von NRW: Der Einsatz von „Data Mining“ braucht strenge Voraussetzungen. https://freiheitsrechte.org/ueber-die-gff/presse/pressemitteilungen-der-gesellschaft-fur-freiheitsrechte/pm-stop-data-mining [06.10.2022].

Hessenschau (2025): Hessische Polizei darf KI bei Videoüberwachung einsetzen. https://www.hessenschau.de/politik/landtag/videoueberwachung-mit-ki-cdu-und-spd-erweitern-rechte-der-polizei-v2,landtag-sicherheitspaket-100.html [21.03.2025].

Hessischer Landtag (2024a): Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit in Hessen (Landtags-Drucksache 21/1151), 01.10.2024, Wiesbaden.

Hessischer Landtag (2024b): Änderungsantrag zu Gesetzesentwurf Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit in Hessen (Landtags-Drucksache 21/1448), 05.12.2024, Wiesbaden.

Kugelmann, Dieter/Buchmann, Antonia (2025): Der Algorithmus und die Künstliche Intelligenz als Ermittler. In: Zeitschrift für das gesamte Sicherheitsreicht (GSZ) 1, S. 1-44.

Iskandar, Katharina (2025): Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI. In: faz.net: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/hessen-vorn-polizei-setzt-auf-videoueberwachung-mit-ki-110162219.html [17.3.2025].

Möstl, Markus/Bäuerle, Michael (Hg.): Beck’scher Onliner Kommentar Polizei und Ordnungsrecht Hessen, 33. Ed. 1.6.2024, HSOG § 25a Rn. 31 ff. https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKPolRH_33%2FHESSOG%2Fcont%2FBECKOKPOLRH%2eHESSOG%2eP25A%2eglA%2eglV%2ehtm [08.04.2025].

Rath, Christian (2013): Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2013.

Schöndorf-Haubold, Bettina/Giogios, Christopher (2024): KI im Einsatz für die Sicherheit: Innovation und Kontrolle im Spannungsfeld von europäischer Gesetzgebung und nationaler Souveränität. In: Verfassungsblog: https://verfassungsblog.de/ki-im-einsatz-fur-die-sicherheit/ [10.12.2024]. https://dx.doi.org/10.59704/9f52cf6bc2e03d8d.

Suliak, Hasso (2025): Was Union und SPD im Bereich „Innen und Recht“ planen. in: Legal Tribune Online: https://www.lto.de/persistent/a_id/56877 [26.03.2025].

Bäuerle, Michael & Gehring, Petra (2025): „Hessen vorn: Polizei setzt auf Videoüberwachung mit KI“. In: Verantwortungsblog. https://zevedi.de/hessen-vorn-polizei-setzt-auf-videoueberwachung-mit-ki/ [17.04.2025]. https://doi.org/10.60805/bg4s-0k59.

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Akzentfarbe: gelb (Max Sinn) Autor: Max Sinn Verantwortungsblog

„Suchten“ – ein Hilferuf

„Suchten“ – ein Hilferuf

Mit der Digitalisierung geht es zu langsam voran – wirklich? Überall? Dass der dänische Bildungsminister sich unlängst dafür entschuldigt hat, dass die Schülerinnen und Schüler einem digitalen Experiment unterworfen wurden, sollte zu denken geben – genauso wie die Schilderungen des Lehrers Max Sinn: Wie andere Lehrer:innen kämpft er gegen die smarten Geräte um die Aufmerksamkeit seiner Schüler:innen und vernimmt dabei zuweilen auch deren Hilferufe.

Von Max Sinn | 27.06.2024

Eine Klassenzimmer, ohne Schüler:innen, dafür mit digitalen Geräten.
Erstellt mit Adobe Firefly; Prompt: „illustration of a classroom full of smartphones; colors: gray, yellow, black; style: cubism“

Smombie lautete 2015 das Jugendwort des Jahres. Es kombinierte die Begriffe „Smartphone“ und „Zombie“ und zielte auf junge Leute ab, die mit gebeugtem Kopf, ablenkungsbedingt ungeschickt, durch öffentliche Räume taumeln. Der Smombie setzte sich nicht durch und ist heute längst vergessen. Zurecht, denn so wirklich witzig war der Ausdruck nicht. Auch gab er wohl eher eine Außensicht auf Jugendliche wieder. Als (Teilzeit)Lehrer weiß ich: Es sind keine Untoten, die sich da Tag für Tag in meiner Schule das Smartphone vor die Nasen halten, auch im Klassenzimmer, obwohl die Schulordnung das eigentlich verbietet. Eher sind es höchst lebendige, quirlige Wesen. Nur von einem anderen Stern.

Weise ich auf die Regel hin, dass Smartphones nicht neben dem Unterricht her genutzt werden dürfen, verschwinden die Geräte für eine Zeit lang in der Tasche. Spätestens in der nächsten Stunde, oft nur nach Minuten, liegen sie jedoch wieder auf dem Tisch. Das Rektorat hat aufgegeben, es weist auf die Schulordnung nicht mehr hin – auch deswegen, weil sie in der Kollegenschaft, mich selbst eingeschlossen, nicht mehr konsequent umgesetzt wird. Die Schule stellt überdies jeder Schülerin und jedem Schüler ein Tablet zur Verfügung. Das soll ein zeitgemäßes Lehrmittel sein, dient den Schülerinnen und Schülern ersatzweise aber auch als Spielgerät, wenn ihnen der Unterricht zu langweilig wird. Ist es freilich „Langeweile“, die den reflexhaften Griff zum Handy erzwingt? Hier spätestens beginnt das Problem: Einen Roman lesen erfordert Ausdauer, kurze Tiktok-Videos bieten wie eine klassische Geisterbahnfahrt alle paar Sekunden neue Reize – immer wieder den kleinen Adrenalinstoß. Dazu volle Kontrolle. Draußen im Klassenraum ist die Welt zäher als beim mühelosen Wisch über den Bildschirm. Kleine Bewegungen und Zugucken: Dagegen ist die gerätefreie Direktkommunikation unendlich anstrengend. Und am Fuß von 250 Seiten Papier fühlt man sich wie vor der Besteigung des Mount Everest.

Suchten – in der aktuellen Jugendsprache meine dies, so der elektronische Duden von 2024, „mit übersteigertem Verlangen, im Übermaß anschauen, lesen, spielen, o.ä.“; als Beispiele führt das Nachschlagewerk an: „er hat die Serie, das Videospiel ziemlich krass gesuchtet“; „seltener“ gebe es auch die Bedeutung: „sich durch das Buch suchten“.(duden.de 2024) Tiktok, Streaming-Dienste, YouTube, animierte Spiele: dem „Suchten“, da bin ich sicher, dürfte mehr Zukunft beschieden sein als dem Vergleich mit dem Zombie. Einer bunten, digitalen Galaxis steht der analoge Dreiklang von Lehrkraft, Buchtext und Tafel gegenüber. Selbst wenn die Tafel nun interaktiv ist: das alles kommt erst einmal ziemlich pointenarm daher. Dafür anstrengend. Weil auch chaotischer. Nicht so schlüssig. Nimmt man den Lärm der vielen Mitschülerinnen und Mitschüler hinzu, wirkt der Realraum vielleicht sogar bedrohlich.

Wenn ich mit Schülerinnen und Schülern über Handysucht spreche, wissen viele, was ich damit meine. Sie nehmen den Begriff Sucht ernst. Ich habe Klausurtexte gelesen, in welchen Jugendliche schreiben, Tiktok solle man verbieten, weil es sie abhängig und unglücklich macht. Die dänische Regierung hat vor wenigen Monaten eine schulpolitische Kehrtwendung ausgerufen. Das Land war Vorreiter einer voll-digitalen Lehre. Nun empfiehlt man, Smartphones weitgehend aus den Klassenzimmern zu verbannen, und dies auch in älteren Klassen. Hierzulande hat man auf diesen bedeutsamen Schritt noch nicht reagiert. Der Umgang mit den digitalen Endgeräten bleibt in der Regel den einzelnen Schulen überlassen. Zuweilen werden vor Klassenräumen sogenannte „Handygaragen“ angeboten, um eine Barriere gegen den Griff zum Handy in der Schultasche zu schaffen. Wo man nicht so verfährt, greift die Lehrkraft erst dann ein, wenn die Nutzungen des Smartphones oder des Schul-Tablets dazu führen, dass eine Person, die eben noch konzentriert am Unterricht teilnahmen, erkennbar in digitale Welten abtaucht. Hierfür muss ich jedoch permanent durch die Reihen gehen, um im Wortsinne jede Schülerin, jeden Schüler, zu überwachen. Ablenkungen sind vorprogrammiert.

Gleichzeitig hat man das Gefühl, einen Kampf gegen Windmühlen zu führen. Ist das Handy nicht längst Teil des Schülerschaft-Körpers geworden? Eine Art Prothese, ein Universalmedium, das nicht nur ein sprichwörtliches Fenster zur Welt ist, sondern permanent eine Zweitwelt, eine Parallelwelt schafft? Welche Welt ist letztlich die „erste“? Klar ist die Klassengemeinschaft unter Anwesenden nach wie vor sozial und kommunikativ wichtig, in vielen Situationen auch mächtiger als der einsamere Dauer-Draht ins Netz. Jugendliche lassen sich auch überzeugen, vor der Klasse zu reden und durch das Unterrichtsgeschehen in den Bann ziehen. Doch dazu müssen Lehrende ein mediales Feuerwerk zünden. Der „Medienwechsel“ ist ein Fachbegriff im Lehrerzimmer: Texte als Handout, ein kleines Quiz, ein Podiumsdiskussions-Spiel, ein maximal zehnminütiges Lernvideo, Gruppenarbeit, dann wieder eine kurze Debatte mit der ganzen Klasse – alles aber maximal eine halbe Stunde. Erst mit diesem permanenten Wechselspiel wirkt etwa eine Doppelstunde nicht so „langweilig“, dass man wieder zum Handy greift. Zuweilen ist es im letzten Halbjahr gelungen, dass sich die Klasse eine halbe Stunde lang gegenseitig aus einem Roman oder einem Theaterstück vorgelesen hat. Nach meiner Erfahrung wurde dadurch das Handy am zuverlässigsten vergessen.

Unter dem Strich bilanziere ich, dass die Schule das Suchtverhalten Heranwachsender zwar kennt, ihm aber nicht begegnet – während auch die Schülerinnen und Schüler sich selbst als handysüchtig einstufen und die Schulleitung das Verbot der Suchtmittel nicht mehr wirklich in Erwägung zieht. Man experimentiert auch nicht mit einem temporären Entzug.

Funktioniert der dänische Weg? Er ist, so glaube ich, selbst wenn seine Erfolge noch ausstehen, ohne Alternative. Dort rebellierten die Lehrerverbände. Konzentriertes Arbeiten war ohne Bücher, nur mit Tablet, nicht mehr möglich. Nun soll das „Klassenzimmer als Bildungsraum zurückerobert“ werden, so will es die Regierung. Der zuständige Minister hat sich bei den dänischen Jugendlichen öffentlich entschuldigt: Man habe sie zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht, „dessen Ausmaß und Folgen wir nicht überblicken können“. Das Klassenzimmer sei eben keine „Erweiterung des Jugendzimmers, in dem gestreamt, gespielt und geshoppt wird. Die Schulen hätten sich den großen Tech-Konzernen zu lange unterworfen. Man sei als Gesellschaft zu „verliebt“ gewesen in die Wunder der Digitalwelt. (Rühle 2024)

Das dänische Schulministerium empfiehlt jetzt, Handys komplett aus den Schulen zu verbannen, Tablets und Computer wegzusperren, wenn sie nicht im Unterricht verwendet werden und Bildschirme nur noch dann einzusetzen, wenn es didaktisch und pädagogisch sinnvoll ist. Zudem sollen Firewalls es den Schülern unmöglich machen, während der Schulzeit unterrichtsfremde Websites zu nutzen. Über eine dreistellige Millionensumme zur erneuten Anschaffung von Büchern wird diskutiert.

Alex Rühle: Bildungspolitik: Enttäuschte Liebe. In: Süddeutsche Zeitung vom 6. Februar 2024, sueddeutsche.de/politik/digitalisierung-daenemark-schue-handy-pisa-tablet-1.6344670 [11.5.2024].

https://www.duden.de/rechtschreibung/suchten [11.5.2024].

Sinn, Max (2024): „Suchten“ – ein Hilferuf. In: Verantwortungsblog. https://www.zevedi.de/suchten-ein-hilferuf/ [27.06.2024].
https://doi.org/10.60805/zgft-kk48