Digitale Zahlungen sind längst Alltag – ob mit Karte, Handy oder PayPal. Doch jedes Mal hinterlassen wir Datenspuren. In dieser Auftaktfolge der Staffel „Sicheres Geld im Netz“ fragen wir: Wer sieht diese Daten eigentlich? Warum sind Zahlungsdaten so viel sensibler als andere digitale Spuren? Und wie werden sie insbesondere von den derzeitigen Akteuren am Zahlungsmarkt genutzt? Ist diffuses Unbehagen oder Gleichmut berechtigt – denn konkretes Wissen darüber, was im Hintergrund passiert, ist nicht gang und gäbe.
Die Folge diskutiert den Unterschied zwischen Security und Privacy, und wer Zahlungsdaten für personalisierte Angebote, Services oder anderweitig verwertet. Sie beleuchtet die Datennutzung und die Geschäftsmodelle von PayPal, Klarna, Mastercard, Visa, Google und Apple Pay, von klassischen Geschäftsbanken und der Wero-Initiative, fragt, welche Bezahloption eher „datenarm“, welche eher „datenintensiv“ sind. Schließlich fragen wir, welche Risiken aus der Konzentration von Zahlungs- und Nutzerdaten bei Big Tech entstehen könnte – und warum der Umgang mit Zahlungsdaten nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich relevant ist.
Digitalgelddickicht Staffel Sicheres Geld – Wer unsere Zahlungen sieht und sie wie nutzt| 30. Oktober 2025
Gäste
Marek Jessen war Mitarbeiter im ZEVEDI-Projekt Geld als Datenträger und arbeitet inzwischen als Referent für Strategie und Business des Digitalen Euro beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Zudem war er beim Bundesverband deutscher Banken (BdB) und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) beschäftigt.
Carolina Melches ist Ökonomin und Referentin für Digitalisierung und Finanzinnovation beim Investigativteam Finanzwende Recherche der Bürgerbewegung Finanzwende. Unter anderem hat sie sich in der StudieMehr Geld, mehr Macht: Big-Techs im Finanzwesen (2024) mit dessen Risiken und Regulierungslücken befasst. Ihr Fokus liegt sonst auch auf den Themen Digital Payments und Banking und digitalem Zentralbankgeld. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag und für den Finanzausschuss zuständig.
Markus Montz ist Redakteur bei c’t (Heise) und berichtet dort schwerpunktmäßig zu Finanz-IT, elektronischem Bezahlen, Online-Banking und Betrugsmaschen im Zahlungsverkehr.
Dr. Markus Unternährer ist Post Doc am Soziologischen Seminar der Universität Luzern und Mitarbeitender im SNF-Projekt Digital payments: Making payments personal and social. Bereits in seiner Promotion mit der digitalen Ökonomie befasst, forscht er jetzt zur Konvergenz von Geld- und Datentransfers, zur Rolle von FinTechs und Zahlungsinfrastrukturen sowie zu den Aushandlungsprozessen zwischen Banken, Payment-Anbietern und Nutzenden.
In der sechsten Folge von ShareCast geht es um Open Source-Software. Das ist Software unter freien Lizenzen, die ihren Nutzer:innen die vier Freiheiten gewährt: die Software für jeden Zweck auszuführen, ihre Funktionsweise und damit auch den Quellcode zu untersuchen und den eigenen Bedürfnissen anzupassen sowie die Software auch in veränderter Version weiterzuverbreiten. Damit unterscheidet sie sich von Software, die von der Open Source-Bewegung als „proprietäre“ oder „geschlossene Software“ bezeichnet wird, die diese „Grundfreiheiten“ nicht bietet. Aber wie genau wird hier zusammengearbeitet und geteilt? Welche Interessen bestimmen die Open Source-Welt und welche Konflikte gibt es? Mit unseren Gästen haben wir uns über die Strukturen dieser „digitalen Gegenwelt“ unterhalten, über das Verhältnis der Open Source-Bewegung zu den Big Tech-Unternehmen sowie zu Konfliktlinien innerhalb dieser Welt „freier Software“.
ShareCast Folge 6 – Open Source-Software: geteilt oder geschlossen? 14. Oktober 2025
Miriam Seyffarth leitet die Politische Kommunikation bei der Open Source Business Alliance, dem Verband der Open Source Industrie in Deutschland.
Stefan Mey ist freier Tech-Journalist und Buchautor. Er beschäftigt sich mit Überwachung, den großen Digitalkonzernen und mit der Frage, was das Internet mit uns und unserer Gesellschaft macht.
Jürgen Geuter alias tante ist Informatiker und Research Director bei ART+COM Studios. Er ist zudem freier Autor und Berater zu Themen an der Schnittstelle von Technologie, Gesellschaft und Politik.
Folge 7: Ein Traum von offenem Wissen: Datenteilen in der Wissenschaft
In der siebten Folge geht es um einen ganzen Bereich moderner Gesellschaften: die Wissenschaft. Wir gehen der Frage nach, welche Bedeutung das Teilen von digitalen Daten für die wissenschaftliche Arbeit hat und welche Chancen und Herausforderungen hier aktuell diskutiert werden. | zur Folge
Folge 6: Open Source-Software: geteilt oder geschlossen?
Open Source-Software ist Software unter freien Lizenzen, die ihren Nutzer:innen die vier Freiheiten gewährt: die Software für jeden Zweck auszuführen, ihre Funktionsweise und damit auch den Quellcode zu untersuchen und den eigenen Bedürfnissen anzupassen sowie die Software auch in veränderter Version weiterzuverbreiten. Damit unterscheidet sie sich von Software, die von der Open Source-Bewegung als „proprietäre“ oder „geschlossene Software“ bezeichnet wird, die diese „Grundfreiheiten“ nicht bietet. Aber wie genau wird hier zusammengearbeitet und geteilt? Welche Interessen bestimmen die Open Source-Welt und welche Konflikte gibt es? | zur Folge
Folge 5: Daten, Wald und Holz
In der fünften Folge von ShareCast geht es um die Daten, die im Wald bzw. in der Forst- und Holzwirtschaft anfallen. Wie entstehen diese Daten? Wofür werden sie gebraucht? Wer hat ein Interesse daran? Warum werden diese Daten nicht geteilt? Was steht dem entgegen? Welche Potentiale würden sich realisieren lassen, wenn das gelingen würde? Und wie könnten die Hindernisse des Datenteilens in der Wald- und Forstwirtschaft aus dem Weg geräumt werden können? | zur Folge
Folge 4: Vernetzte Autos: Besser oder Datenfresser?
Das eigene Auto – das war einmal ein großes Freiheitsversprechen. In den „PKW“ einsteigen, überall hinfahren können, wonach es uns beliebt. Und dabei ganz unter sich bleiben: Mit dem Partner oder der Familie. Dieses Bild vom Auto ist immer noch da – und doch schiebt sich langsam ein anderes darüber. Denn Autos sind mittlerweile stark vernetzte Hochleistungsmaschinen, die ständig filmen, aufzeichnen und vermessen. Der Hersteller sitzt quasi mit am Steuer. | zur Folge
Folge 3: Smart City: Daten im Überfluss?
In der dritten Folge von ShareCast sprechen wir über das Zusammenspiel von Daten und Stadtentwicklung. Wir schauen uns an, was mit dem Begriff Smart City verbunden ist, und thematisieren die Potenziale und Herausforderungen, die Smart-City-Konzepte mit sich bringen. | zur Folge
Folge 2: Gesundheitsdaten: Nur für mich oder Spende?
Einerseits soll das Teilen von Daten für große Innovationsschübe in der medizinischen Forschung sorgen und zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen. Anderseits handelt es sich bei Gesundheitsdaten um äußerst sensible Daten, das heißt Daten mit einem klaren Personenbezug, die in den falschen Händen großen Schaden anrichten können. Dieser schwierige Spagat zeigt sich auf sehr anschauliche Weise, wenn es um sogenannte seltene Erkrankungen geht. | zur Folge
Folge 1: Daten: Nichts (leichter als) teilen?
Wir werfen ein Licht auf einiges von dem, was sich hinter Stichworten wie Sharing Economy, Datensilo, Plattformökonomie oder Open Science verbirgt. Und wir untersuchen die heterogenen Verständnisse, die sich mit dem Teilen verknüpfen: Daten für einen konkreten Zweck freiwillig hergeben, Daten mit einem Gegenüber wechselseitig teilen, Daten in einer Gruppe weitergeben oder Daten für alle ganz offen bereitstellen – das sind verschiedene Dinge. | zur Folge
„Open Source trägt einen Keim für gerechtere Marktverhältnisse in sich“
Open Source-Software bildet eine Gegenwelt, in der digitale Gemeingüter entstehen, so Stefan Mey. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was diese Welt freier Software vom digitalen Kapitalismus der großen Tech-Plattformen unterscheidet, wie dort mit Daten umgegangen wird und inwiefern sich Big Tech und Open Source-Software mittlerweile angenähert haben. Das Interview bildet Teil 1 unserer Reihe zu Open Source-Software.
Interview mit Stefan Mey | 29.07.2025
Wie frei ist die Software? Das Bild wurde mit Adobe Firefly erstellt.
Verantwortungsblog: Ihr Buch zur Open Source-Bewegung beziehungsweise zur „digitalen Gegenwelt“, wie Sie sie nennen, trägt den Titel Der Kampf um das Internet. Inwiefern findet da ein Kampf statt? Wer kämpft gegen wen?
Stefan Mey: Der Titel beschreibt, dass es zwei Gruppen oder Positionen gibt, die sich in der grundlegenden Ausgestaltung des Internets gegenüberstehen: Es gibt den digitalen Kapitalismus, da geht es ums Geldverdienen, und der hat fast extremistische Ausmaße angenommen, mit weltweiten Oligopolen und Quasi-Monopolen wie im Falle der Suchmaschine Google, die laut Statcounter.com weltweit einen Marktanteil von 89,5 Prozent hat.
Und auf der anderen Seite gibt es, zugespitzt formuliert, so etwas wie digitalen Kommunismus. Das ist der Open Source-Bereich, in dem Gemeingüter entwickelt werden, die allen frei zur Verfügung stehen. Und um diesen Bereich geht es in meinem Buch: um Inhalte, Software und Plattformen, die unter freien Lizenzen stehen.
V-Blog: Sie unterscheiden Open Source als digitales Gemeingut von bloßer Freeware. Worin besteht der Unterschied? Was wäre dafür ein Beispiel?
SM: Freeware bedeutet, dass die Unternehmen, die Freeware-Software anbieten, weiterhin exklusive Rechte daran behalten, sich aber dafür entscheiden, diese Software kostenlos zur Verfügung zu stellen. Beispiele sind die Browser Chrome (Google) und Safari (Apple). Google und Apple haben sich entschieden, diese Software Nutzer:innen kostenlos zur Verfügung zu stellen, weil sie auf andere Arten damit Geld verdienen. Google verdient mit Chrome Geld, indem sie dort ihre eigene Suchmaschine als Standard-Suchmaschine voreinstellen, ohne dass sie dafür bezahlen müssen. Was sie zum Beispiel machen, um bei Safari oder Firefox als Standardsuchmaschine eingestellt zu werden.
Open Source bedeutet hingegen, dass die Software Gemeingut ist. Ein Beispiel ist LibreOffice, die freie Bürosoftware: Man kann auch mit LibreOffice Geld verdienen. Manche Unternehmen verdienen beispielsweise damit Geld, dass sie angepasste Business-Versionen oder Cloud-Versionen anbieten. Die Standardversion von LibreOffice kann man aber kostenlos und völlig frei nutzen, ohne mit irgendjemandem einen Vertrag zu schließen.
Man kann zwar auch den Messaging-Dienst WhatsApp kostenlos nutzen, aber dahinter steht der Konzern Meta Platforms, der damit Geld verdienen will. Und wenn Nutzungsgebühren als Geldquelle ausfallen, dann muss eine andere Quelle gefunden werden. In der digitalen Welt ist das zumeist Werbung, die den Nutzern eingeblendet wird. Da Werbung auf WhatsApp aber lange Zeit nicht geschaltet wurde, sind es Daten, die Meta über die Nutzer sammelt, die ihren Dienst nutzen. Das sind zum Beispiel die Daten, die Meta erhält, weil man WhatsApp Zugriff auf das Telefonbuch gewährt, oder Metadaten, also wer wann mit wem kommuniziert. Und diese Daten kann Meta für die eigenen Plattformen wie Facebook oder Instagram nutzen, auf denen Unternehmen Werbung schalten können. Meta verfügt außerdem über ein Werbenetzwerk, über das Unternehmen auf ganz anderen Webseiten Werbung schalten können. Und die Meta-Werbeplattformen und Werbenetzwerke sind umso beliebter, je mehr sie über ihre Nutzer wissen. Dann ist es Unternehmen möglich, Zielgruppen zielgerichtet zu adressieren. Und das ist der Charme des Datensammelns, dass man das eigene Werbegeschäft für Unternehmen interessanter macht und dass man die Daten in irgendeiner Form weiterverkaufen kann.
Beim Open Source-Messaging-Dienst Signal ist das nicht der Fall. Hinter dem Dienst steht die Signal Foundation, eine Non-Profit-Organisation. Das Team, das Signal weiterentwickelt und pflegt, wird aus Spendeneinnahmen und über eine sehr große anfängliche Finanzspritze eines WhatsApp-Gründers finanziert, der mittlerweile an Signal mitarbeitet.
V-Blog: Eine Überschrift in Ihrem Buch lautet: „Technologie, die nicht spioniert“. Wie unterscheiden sich Open Source- und proprietäre Software in Bezug auf Daten?
SM: In Open Source-Software sind meist viel weniger sogenannte Tracker eingebaut, also kleine Codebausteine, die dafür sorgen, dass alle möglichen technischen Daten an das Unternehmen hinter der Software geschickt werden. Da kann man gut die Betriebssysteme macOS von Apple und Windows von Microsoft mit dem Open Source-Betriebssystem Linux vergleichen. Wenn man sich die Datenschutzbestimmungen von Windows und macOS durchliest oder mit technischen Mitteln die Datenströme analysiert, sieht man, dass sehr viele Daten an Apple oder Microsoft gehen. Blöderweise kann man nicht genau herausfinden, was das für Daten sind. Die Software ist ja nicht open source, der Quellcode ist daher Geschäftsgeheimnis. Es können technische Daten sein, die man braucht, um zum Beispiel technische Fehler im Betriebssystem zu finden. Es ist aber denkbar, dass auch persönliche Daten der Nutzer darunter sind.
Wenn man sich dagegen Linux-Betriebssysteme anschaut, da gibt es kommerzielle und nichtkommerzielle, aber selbst bei den kommerziellen Linux-Betriebssystemen, wie Ubuntu, hinter dem das britische Unternehmen Canonical steht, gibt es sehr viel weniger Datenflüsse. Es gibt zwar Ausnahmen, aber in der Regel brauchen diese Systeme diese großen Datenflüsse nicht, weil hinter Open Source-Software oft nichtkommerzielle Strukturen stehen, die sich nicht über Werbung finanzieren. Es gibt auch Datenflüsse, weil auch diese Software-Anbieter herausfinden möchten, wann ihr Programm crasht und woran das liegen könnte. Deswegen bitten die oft darum, dass sogenannte Telemetriedaten übermittelt werden. Aber sie sammeln keine Daten über das konkrete Nutzungsverhalten, mit dem Unternehmen wie Meta Profile aufbauen, die für die werbetreibende Wirtschaft spannend sind.
V-Blog: Open Source-Software braucht diese Datenflüsse nicht, weil sie auf anderen Finanzierungsstrukturen beruht?
SM: Es kommt darauf an, welche Struktur dahintersteht. Oft stehen hinter Open Source-Programmen nicht-kommerzielle Akteure. Hinter LibreOffice steht eine Stiftung, The Document Foundation, mit Sitz in Berlin. Hinter dem VLC media player steht ein französischer Verein. Und hinter einigen Linux-Systemen stehen Communities. Diese Stiftungen, Vereine und Communities müssen keine Gewinne erzielen. Deswegen ist der Anreiz geringer, Daten zu sammeln, um sie für Werbung und Werbevermarktung zu nutzen.
Manchmal stehen kommerzielle Unternehmen hinter den Open Source-Lösungen, wie Canonical im Falle von Ubuntu. Die würden vielleicht auch gerne mehr Daten erfassen, sie machen es aber nicht, weil sie sonst von der Community auf die Finger kriegen. Denn auch bei kommerziellen Open Source-Projekten betreiben die Unternehmen das Projekt oft zusammen mit einer Community. Die Community nutzt das System, sie entwickelt und pflegt es aber auch zusammen mit dem Unternehmen. Und wenn die Community rebelliert, dann ist das für solche Unternehmen ein erhebliches Problem. Deswegen sind auch die kommerziellen Open Source-Lösungen meistens sehr viel datensparsamer als proprietäre Software.
Die kommerziellen Unternehmen im Open Source-Sektor finanzieren sich meistens über sogenannte Open Source-Geschäftsmodelle, sie bieten zum Beispiel Zusatzsoftware oder Zusatzleistungen auf Basis der freien Open Source-Software an oder Cloud-Lösungen. Für diese Geschäftsmodelle braucht man nicht diese Massen an persönlichen Daten.
V-Blog: Es gibt den Ausdruck, Daten sind das neue Gold. Damit sind wahrscheinlich die Daten gemeint, die man monetarisieren, die man verkaufen kann. Gibt es im Open Source-Bereich ein anderes Datenverständnis?
SM: Das Grundprinzip bei vielen Open Source-Projekten ist Datensparsamkeit. Meist ist das Verständnis: Wir erfassen nur so viele Daten, wie unbedingt nötig, um zum Beispiel dafür zu sorgen, dass das Programm stabil läuft. Und bei proprietären Programmen geht es um Datenmaximierung. Denn es gibt eine relativ einfache Logik: Je mehr Daten man hat, umso besser kann man Geld verdienen. Beim Sammeln von Daten geht es fast immer darum, dass man Werbung ausspielt. Das ist das dominante Modell. Dann gibt es das Modell, vor allem bei kleinen Apps, da bauen die App-Entwickler Code ein und dann werden automatisch Daten von einem anderen Unternehmen gesammelt und die Entwickler bekommen Geld pro Nutzer.
Es gibt noch das sogenannte Freemium-Modell: Dabei werden Dienste und Software kostenlos angeboten und die sammeln auch Daten, aber eigentlich geht es darum, die Nutzer dazu zu bringen, für die Premium-Angebote zu zahlen. So funktioniert zum Beispiel Zoom. Zoom ist für private Nutzer kostenlos, aber die Länge der Meetings ist in der kostenlosen Version begrenzt. Zoom sammelt bestimmt auch Daten, die verdienen ihr Geld aber vor allem mit den Nutzern, die für einen Premium-Account zahlen.
V-Blog: Wenn man lang genug sucht, findet man auch im Open Source-Bereich Haare in der Suppe. In Ihrem Buch finden Sie Haare bei Signal und bei Firefox. Was ist da das Problem? Warum wird da vom Datensparsamkeitsparadigma abgewichen?
SM: Als Journalist geht es immer auch darum, die Haare in der Suppe zu benennen, wenn man darauf stößt, und kritisch auch bei Akteuren zu sein, die man ansonsten positiv sieht. So kommt es auch bei freien und nichtkommerziellen Projekten vor, dass sie Datensparsamkeit nicht konsequent praktizieren und teilweise mit großen IT-Unternehmen zusammenarbeiten. Das hat meistens etwas mit der Finanzierung zu tun. Große Projekte mit sehr vielen Nutzern erfordern entsprechend große Strukturen. Und da stellt sich die Frage: Wer bezahlt diese Strukturen? Optimal wäre es, wenn die Nutzer bezahlen würden. Das klappt aber eigentlich nur bei Wikipedia im großen Maßstab. Die Strukturen hinter Wikipedia finanzieren sich über Millionen von Einzelspenden. In dieser Größenordnung kriegt so etwas sonst niemand hin. Im Falle von Firefox ist es so, dass sich die dahinterstehende Stiftung, die Mozilla Foundation, im Wesentlichen über einen Deal mit Google finanziert. Die Stiftung hat zuletzt zwischen 400 und 500 Millionen Dollar pro Jahr dafür bekommen, dass Google bei Firefox die Standardsuchmaschine ist. Apple bekommt übrigens mehrere Milliarden dafür, dass Google als Standardsuchmaschine bei Safari eingestellt ist.
V-Blog: Und was ist das Problem daran?
SM: Wenn Google als Suchmaschine eingestellt ist, fließen Daten auch dann an Google, wenn man die Suchmaschine nicht bewusst nutzt. Denn wenn man in die Adresszeile von Firefox etwas eingibt, dann bekommt man Suchvorschläge angezeigt, die von Google stammen. Das heißt, alles, was man in die Adresszeile eingibt, geht automatisch an Google, solange, bis man den ersten Punkt setzt und klarmacht, dass man die Adresszeile nicht als Suchmaschine nutzen will, sondern eine Webadresse eingibt. Das heißt, mit den Standard-Einstellungen kann Google mit etwas Unschärfe gut nachvollziehen, welche Webadressen Firefox-Nutzer aufrufen wollen. Google muss sich nur fragen, ob danach ein .de, .com oder .org folgt. Das sehe ich kritisch.
Und Signal kann man dafür kritisieren, dass sie mit den drei weltgrößten Cloud-Anbietern zusammenarbeiten, also mit Google, Microsoft und Amazon. Die Signal-Nachrichten laufen über deren Clouds. Diese IT-Unternehmen können nicht in die Nachrichten reinschauen, weil die gut verschlüsselt sind. Aber sie können zum Beispiel nachvollziehen, wo Datenströme herkommen und wo sie hingehen. Und wenn US-Behörden wie der Auslandsgeheimdienst NSA an Signal-Daten kommen möchten, dann müssen sie nicht bei Signal anklopfen, sondern können zu den großen IT-Unternehmen gehen. Signal arbeitet auch mit einem Unternehmen namens Twilio zusammen. Die verschicken die SMS zur Einrichtung des Messengers. Dadurch bekommt Twilio die Telefonnummern aller Signal-Nutzer. Zumindest war das im Jahr 2023 der Fall, für das der letzte öffentlich zugängliche Jahresbericht der Signal Foundation verfügbar ist.
V-Blog: Die großen Tech-Unternehmen wie Google würden ihre Nutzer:innen als „Sammlungen von Datenpaketen auf zwei Beinen“ begreifen, schreiben Sie in Ihrem Buch. Was bedeutet das? Woran wird das sichtbar?
SM: Meta ist dafür ein gutes Beispiel, die stehen hinter WhatsApp, Instagram und Facebook und finanzieren sich fast ausschließlich über Werbung. Alles, was Meta tut, dient entweder dazu, Plattformen zu schaffen, auf denen Unternehmen Werbung schalten können, zum Beispiel auf Instagram oder Facebook, oder Daten zu sammeln, zum Beispiel über WhatsApp. Man könnte sagen: Für Unternehmen mit werbe- und datenbasierten Geschäftsmodellen sind Nutzer wandelnde Datenpakete und das dem Geschäftsmodell entsprechende Ziel ist es, so viele Daten wie möglich zu bekommen. Denn je mehr Daten ein Unternehmen wie Meta über die eigenen Nutzer hat, umso besser können die Zielgruppen von werbetreibenden Unternehmen adressiert werden.
In der digitalen Gegenwelt gibt es meistens nicht diese Anreize, die Datenflüsse zu maximieren. Eine Ausnahme ist Android, das weltweit meistverbreitete Smartphone-Betriebssystem. Android ist open source, aber dahinter steht Google, die es so geschickt konstruiert haben, dass es ohne weitere Google-Dienste kaum nutzbar ist. Es gibt eine Reihe an nicht-freien Zusatz- und Hilfsdiensten von Google, die man benötigt, damit das Smartphone richtig läuft und vollständig nutzbar ist. Zum Beispiel den Play Store, über den man externe Apps installieren kann. Weil sie diese Dienste benötigen, schließen große Smartphone-Hersteller wie Samsung Verträge mit Google, obwohl Android eigentlich open source ist. Und durch diese Google-Dienste wird Android eine Datenschleuder.
V-Blog: Den Open Source-Communities kommt eine wichtige Rolle zu. Sie beschreiben beispielsweise, dass die Communities disziplinierend auf kommerzielle Anbieter innerhalb der Open Source-Bewegung wirken – die Communities können „rebellieren“. Kommt darin ein anderes Nutzerverständnis zum Ausdruck?
SM: Open Source-Projekte entstehen oft im Zusammenspiel von Communities, gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen. Meist spielen Communities die wichtigste Rolle. Die Community, das sind Leute, die zum Beispiel in ihrer Freizeit an Software arbeiten, ohne vom Projekt dafür bezahlt zu werden. Teilweise ist die Community in die Entscheidungsstrukturen eingebunden, zum Beispiel bei der Stiftung The Document Foundation, die hinter LibreOffice steht. Alle, die nachweisbar Zeit in das Projekt gesteckt haben, können Teil der Versammlung werden, die die Organisation kontrolliert. Das heißt, die Community hat Macht, die in die Strukturen der Organisation eingeschrieben ist.
Es gibt aber noch ein anderes Korrektiv, das damit zu hat, dass Open Source-Software unter freien Lizenzen steht: Es sind digitale Revolten möglich. Dass Software open source ist, bedeutet, dass alle sie frei nutzen können, sich anschauen können, wie die Software arbeitet und die Software auch verändern und unter neuem Namen weiterentwickeln können. Eine stets mögliche Revolte ist das schärfste Schwert der Community. Denn wenn der Community nicht gefällt, was ein Unternehmen oder eine Organisation macht, die hinter einem Open Source-Projekt steht, dann kann sie die Software klonen und unter neuem Namen ihren Vorstellungen entsprechend weiterentwickeln.
V-Blog: Was wäre dafür ein Beispiel?
SM: LibreOffice ist auch dafür ein Beispiel. Bei diesem Projekt handelt es sich um eine Abspaltung, eine sogenannte Fork, von OpenOffice, einer Software, die zwar frei war, hinter der aber ein kommerzielles Unternehmen stand, das aufgekauft wurde. Die Community hatte den Eindruck, dass der neue Eigentümer das freie Projekt nicht oder zumindest nicht im gleichen Maße unterstützen will. Das zeigt: Selbst dann, wenn die Community nicht offiziell in die Macht- und Entscheidungsstrukturen der Open Source-Projekte eingebunden ist, selbst wenn die also nicht diese demokratischen Elemente haben, müssen die Unternehmen immer aufpassen, dass sie es sich mit der Community nicht zu sehr verscherzen. Denn dann verliert das Projekt nicht nur Nutzer, sondern auch Leute, die das Projekt betreiben und weiterentwickeln können.
V-Blog: Lässt sich für den Open Source-Bereich von einer digitalen Demokratie sprechen, im Unterschied zur Rolle von Communities beispielsweise auf Instagram und TikTok?
SM: Es haben sich verschiedene Mechanismen etabliert, um Macht in freien Projekten zu verteilen. Der typische Mechanismus ist die Meritokratie: Wer mitmacht, darf mitbestimmen. Wenn man sich einbringt, erhält man bestimmte Befugnisse. Das ist zum Beispiel bei LibreOffice der Fall. Wenn man Zeit in das Projekt investiert hat, kann man in den Entscheidungsgremien mitwirken. Wenn man bei Wikipedia eine bestimmte Zahl an Beiträgen geschrieben hat, die von anderen akzeptiert wurden, sind eigene Änderungen an Beiträgen direkt freigeschaltet und man kann an Wahlen teilnehmen.
Dann gibt es teilweise auch repräsentative Mechanismen, also Wahlen, in denen über die Besetzung von Machtpositionen entschieden wird und an denen die Community teilnehmen kann. Es gibt auch Abstimmungen über Themen. Die freien Projekte bedienen sich aus dem Werkzeugkasten, mit dem auch im analogen Raum Macht verteilt wird.
Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, die Leistungen des digitalen Kapitalismus zu unterschätzen oder zu negieren. Auf Instagram gibt es Communities, die den Dienst für ihre eigenen Anliegen nutzen, beispielsweise die queere Community. Gerade spielt Instagram eine wichtige publizistische und damit politische Rolle: Dort hat sich eine aktive Community zusammengefunden, die mit der Nahost-Berichterstattung in großen deutschen Medien unzufrieden ist, die lange Zeit extrem einseitig war und es zum Teil heute noch ist.
V-Blog: Und was ist der Unterschied zwischen diesen und den Open Source-Communities?
SM: Es gibt keine vergleichbaren Möglichkeiten der Partizipation. Die Nutzer können sich entscheiden, den Dienst zu nutzen oder nicht zu nutzen. Das ist auch ein gewisses Machtinstrument, aber ein sehr indirektes. Die Instagram-Community kann sich nicht zusammenschließen und sagen: Wir sind unzufrieden, wir klonen jetzt Instagram, portieren unsere Inhalte auf eine andere Social Media-Plattform und machen da weiter. Das ist rechtlich nicht möglich. Bei freien Projekten geht das. Wenn die Inhalte unter freien Lizenzen stehen, kann man sie klonen.
Das ist etwa im Fall von Wikitravel passiert. Das war ein freier Reiseführer, der wie Wikipedia funktioniert: Leute haben gemeinschaftlich mit der Wiki-Software Inhalte erstellt. Wikitravel war ein Start-up, aber die Inhalte standen unter freien Lizenzen. Als dieses Start-up verkauft wurde, hatte die Community das Gefühl, dass das Projekt zu sehr kommerzialisiert werden soll. Die deutschsprachige Wikitravel-Community hat dann eine Rebellion angezettelt, die Inhalte kopiert und damit das Projekt Wikivoyage gestartet.
V-Blog: Ein Zitat, auf das man immer wieder im Zusammenhang mit Open Source-Software stößt, ist die Aussage des damaligen Microsoft-Chefs Steve Ballmer von 2001, der sagte, Linux, also das Open Source-Betriebssystem, sei ein Krebsgeschwür. Warum war Open Source-Software für Ballmer ein Krebesgeschwür?
SM: Um das zu verstehen, müssen wir auf einen frühen Kulturkampf in der Open Source-Welt zu sprechen kommen, der zwischen zwei Schulen innerhalb der digitalen Gegenwelt geführt wurde: zwischen der – sagen wir mal – reinen Lehre und der ein bisschen angepassten Lehre. Schon sehr viel länger als den Begriff Open Source gibt es den Begriff Freie Software. Für Freie Software gelten die vier bekannten Freiheiten: Der Quellcode ist frei einsehbar, man kann die Software frei nutzen, verändern und weiterverbreiten.
Was für Freie Software gilt, für Open Source aber nicht standardmäßig, ist das sogenannte Copyleft-Prinzip: Wenn etwas einmal Freie Software ist, müssen alle Weiterentwicklungen davon ebenfalls Freie Software sein, es darf im Unterschied zu anderen Open Source-Lizenzen keine proprietären Versionen der Software geben. Vermutlich meinte Ballmer das mit „Krebsgeschwür“: Diese tolle Software, in dem Fall Linux, hätte Microsoft nur dann für die eigenen Produkte verwenden können, wenn es die Abwandlungen unter die gleiche freie Lizenz gestellt hätte. Das Grundprinzip des Copyleft lässt sich auf die Formel bringen: Alles ist erlaubt, nur Verbieten ist verboten – man kann Software wie Linux für alle Zwecke verwenden, was man nicht darf, ist, anderen die Freiheiten vorzuenthalten, die man selber hatte.
Als Ergebnis des angesprochenen Kulturkampfs wurden Open Source-Lizenzen entwickelt und zunehmend verwendet, die nicht mehr diesem Copyleft-Prinzip gefolgt sind. So kann man auf der Basis von Open Source-Software etwas entwickeln, dass man nicht mehr unter eine freie Lizenz stellen muss. Dadurch wurde Open Source akzeptabler für Unternehmen.
V-Blog:Jürgen Geuter, im Netz auch bekannt als tante, kritisiert diesen Ansatz des „Verbieten verboten“. [Link re:pubica25-Video] Damit würde jegliche Verantwortung für das, was man in die Welt setzt, verweigert. Hat dieser Ansatz etwas mit Verantwortungsverweigerung zu tun?
SM: Der Ansatz geht stark auf Richard Stallman zurück, den Urvater der Bewegung für freie Software, der nach umstrittenen Äußerungen mittlerweile nicht mehr ungeteiltes Ansehen genießt. Stallman war so eine Mischung aus Hippie und Nerd und er würde sich vermutlich selbst als digitalen Kommunisten verstehen. Er war der Meinung, dass Software etwas Großartiges ist, das die Welt voranbringen kann und es gut wäre, wenn diese Software in einem demokratischen, gemeinschaftlichen Rahmen entstehen würde. Und wenn Leute ihre ehrenamtliche Arbeit und ihr Herzblut in die Entwicklung freier Software stecken, dann sollte es nicht möglich sein, dass Unternehmen die Früchte dieser Arbeit nehmen und anderen diese Freiheiten vorenthalten. Das ist, meiner Meinung nach, die eigentliche Idee: Wenn Leute etwas Tolles schaffen, dann dürfen sie nicht enteignet werden, indem die Früchte ihrer Arbeit privatisiert werden.
Es war aber eigentlich immer Konsens in der Bewegung, dass es unproblematisch ist, mit Open Source Geld zu verdienen. Auch die harten Verfechter des Copyleft-Ansatzes sind völlig okay damit, dass man mit freier Software Geld verdient. Und das geht sehr gut. Es gibt sehr große Unternehmen, die auf den ersten Blick etwas wirtschaftlich Paradoxes machen: Sie bezahlen Leute dafür, Software zu entwickeln, die sie dann quasi verschenken, indem sie sie freigeben. Sie verdienen dann aber gut mit Cloud-Modellen und mit der Anpassung dieser freien Software.
V-Blog: Sie hatten den Open Source-Bereich zu Beginn des Interviews als digitalen Kommunismus bezeichnet. Stellt dieser Kulturkampf, der auch um die Begriffe Free Software und Open-Source-Software geführt wurde, nicht einen Versuch der Abgrenzung vom Hippietum und von so etwas wie digitalem Kommunismus dar?
SM: Ja, in diesem Kulturkampf hat sich diese Bewegung ein bisschen von diesen Free-Software-Copyleft-Gedanken von Richard Stallman verabschiedet. Das kann man kritisieren. Vielleicht war das aber ein sehr sinnvoller, pragmatischer Schritt. Diese Leute waren der Meinung: Es ist toll, wenn Software für alle frei nutzbar ist. Man muss aber auch auf die Unternehmen zugehen, damit die bessere Möglichkeiten haben, damit Geld zu verdienen. Denn es ist gut, wenn Unternehmen auch im Boot sind, weil sie massiv Ressourcen in die Bewegung für freie Software einbringen können.
V-Blog: Sie haben gesagt, die Open Source-Welt sei die Gegenwelt zum digitalen Kapitalismus der großen Tech-Konzerne, der mitunter durch Quasi-Monopole und Machtballungen geprägt sei. Aber vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade gesagt haben: Handelt es sich bei Open Source nicht um eine andere Version des digitalen Kapitalismus? Um einen Open Source-Kapitalismus, der stärker marktwirtschaftlich geprägt ist?
SM: Bei der Recherche für das Buch ist mir klar geworden, dass es einen Effekt gibt, den ich das Wirtschaftswunder der digitalen Gegenwelt nenne: Die Welt freier Software kann Profitstreben und Gemeinwohlorientierung zusammenbringen – zwei Pole, die sich nach verbreiteter Meinung widersprechen. Es gibt in dem Bereich große Unternehmen, die Gemeingüter schaffen und Geld damit verdienen. Man könnte es kritisch sehen, dass Unternehmen mit freier Software Geld verdienen, an der auch Communities ehrenamtlich mitgearbeitet haben. Aber die Zusammenarbeit funktioniert für beide Seiten. Hinter großen Linux-Versionen, wie Fedora oder openSUSE, stehen Unternehmen, die diese Systeme zusammen mit einer Community entwickeln. Und diese Communities sind über mehr oder weniger demokratische Gremien in Entscheidungsprozesse eingebunden. Alle wissen auch, dass die Unternehmen mit der Arbeit der Community Geld verdienen und für die Community ist das völlig okay. Weil sie ihrerseits dankbar dafür sind, dass die Unternehmen Ressourcen einbringen und dafür sorgen, dass Leute gut dafür bezahlt werden, verlässlich an der Software zu arbeiten.
Ein anderes Modell, mit Open Source-Software Geld zu verdienen, steht hinter Android. Die Marke Android gehört Google, aber das Betriebssystem ist open source. Der Grund dafür ist, dass das System auf Linux basiert und weil Linux unter einer besonders freien bzw. restriktiven GPL-Lizenz steht, musste auch Android unter eine freie Lizenz gestellt werden. Jetzt könnte man denken: Toll, Android, mit fast 75 Prozent das führende Betriebssystem für Smartphones weltweit, ist open source – wunderbar! Faktisch ist das System jedoch sehr unfrei. Handelsübliches Android kommt stets mit jeder Menge nicht freier Software von Google daher. Man könnte zugespitzt sagen, dass Google mit Android die Logik der digitalen Gegenwelt gehackt hat. Sie halten sich zwar an die Vorgabe, dass Android unter einer freien Lizenz stehen muss und trotzdem haben sie es geschafft, aus Android eine Basis der eigenen Daten- und Wirtschaftsmacht zu machen.
V-Blog: Die großen Tech-Unternehmen haben längst die Vorzüge der digitalen Gegenwelt für sich entdeckt. Android ist ein Beispiel, aber auch Server- und Rechenzentren der Konzerne laufen auf Linux. Vor diesem Hintergrund meint der Netzaktivist und Medienwissenschaftler Geert Lovink in einem V-Blog-Interview, die Open Source-Bewegung sei moralisch bankrott. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?
SM: Es stimmt, dass freie Software auch von Big Tech-Unternehmen dazu genutzt wurde, Produkte mit teilweise bedrückender Marktmacht aufzubauen. Hier zeigt sich ein Dilemma von freier Software: Sie kann auch von Akteuren genutzt werden, die Freiheiten einschränken. Man kann bedauern, dass Google es geschafft hat, mit Android eine neue Datenschleuder und Machtsäule aufzubauen. Man könnte dem aber auch entgegenhalten: Wenn das meistverbreitete Smartphone-Betriebssystem nicht open source wäre, wäre das besser? Nein, das wäre noch problematischer im Hinblick auf faire Verhältnisse.
Als Apple das iPhone auf den Markt gebracht hat, wurde schnell klar, dass eine neue Zeitrechnung für die digitale Ökonomie beginnt. Und um da mitzuspielen hat Google ein Start-up gekauft, das ursprünglich ein Betriebssystem für Digitalkameras entwickeln wollte. Und diese Entwicklung, aus der dann das Smartphone-Betriebssystem Android wurde, basierte auf Linux. So konnte Google in kurzer Zeit ein eigenes Smartphone-Betriebssystem auf den Markt bringen. Die hätten aber auch die Mittel gehabt, ein gänzlich proprietäres System zu entwickeln. So kann man zumindest daran arbeiten, Android von Google zu befreien, was verschiedene Projekte auch versuchen.
V-Blog: Big Tech nutzt Open Source-Software und finanziert Projekte mit großen Spendenprogrammen. Gehört die Feindschaft zwischen Open Source-Software und Big Tech der Vergangenheit an?
SM: Die Feindschaft zwischen Open Source und Big Tech wird zumindest nicht mehr so offen ausgetragen. Google betreibt mit Android faktisch das meistgenutzte Linux-basierte System der Welt und auch Microsoft hat sich für die Open Source-Community geöffnet und zum Beispiel GitHub übernommen, die große Plattform für Open Source-Entwicklungen. Google pumpt mit seinem Stipendienprogramm Summer of Code viel Geld in Open Source-Projekte. Das ist für sie vermutlich vor allem Arbeitgebermarketing: Google steckt jedes Jahr ein paar Millionen in das Stipendienprogramm und als Gegenleistung bekommen sie Daten über hochtalentierte Entwicklerinnen und Entwickler, die sie ansprechen und vielleicht rekrutieren können.
Aber auch auf der anderen Seite hat sich die Feindseligkeit abgeschwächt: Die Mitarbeit bei Open Source-Initiativen hat auch damit zu tun, dass man für potenzielle Arbeitgeber:innen interessant werden will. Denn gerade junge Leute können im Open Source-Bereich ihre Fähigkeiten zeigen. Mit Open Source-Projekten können sie ihren Lebenslauf aufbessern.
Es hat sich für die großen Tech-Konzerne sogar herausgestellt, dass es in bestimmten Situationen für sie strategisch Sinn macht, Software open source herauszugeben. Das hat zuerst Google mit Android praktiziert. Es war klar, dass sie Apple mit dem iPhone nicht so schnell schlagen können. Und dann hat Google sich gedacht: Okay, dann werden wir Marktführer bei einem Open Source-Betriebssystem. Das hat funktioniert. Vermutlich hat die gleiche Überlegung Meta dazu gebracht, Llama als Open Weight-Modell freizugeben. Open Weight bedeutet, dass die finalisierten Parameter des KI-Modells freigegeben werden, aber nicht der Trainingscode und der Trainingsdatensatz. Die haben sich gesagt: An OpenAI werden wir nicht so schnell herankommen, wahrscheinlich auch an die KI von Google nicht. Damit sie nicht von den KI-Modellen anderer Unternehmen abhängig werden und dafür Geld bezahlen müssen, hat Meta sich vermutlich gedacht: Dann werden wir Marktführer für Open Weight-Modelle. Das Geld dafür hat Meta.
Ich finde, das ist eine spannende Entwicklung, weil solche Logiken Unternehmen dazu bringen, Software oder KI-Modelle bzw. KI-Gewichte der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Dass die das aus eigennützigen Motiven machen, finde ich letztlich nebensächlich.
V-Blog: Aber man könnte mit Open Source-Software nicht diese Monopole aufbauen, wie Google das mit seiner Suchmaschine gemacht hat?
SM: Open Source trägt einen Keim für gerechtere Marktverhältnisse in sich. Das ist zum Beispiel bei Linux der Fall. Da gibt es auch einen Marktführer, bei den PC-Betriebssystemen ist das Ubuntu. Aber es gibt auch eine nicht-kommerzielle Abspaltung von Ubuntu namens Mint, die ist genauso groß, vielleicht sogar größer als Ubuntu. Da hat Open Source tatsächlich zu diverseren Marktverhältnissen geführt.
Bei Smartphone-Betriebssystemen ist das aber nicht der Fall. Die Marktanteile von Android schwanken je nach Land zwischen 40 und 70 Prozent. Da gibt es also ein freies Betriebssystem, aber es hat sich trotzdem ein völlig erdrückendes Duopol zweier Unternehmen gebildet – Google bzw. Alphabet mit Android und Apple mit iOS.
Open Source-Software ist also keine Garantie dafür, dass es faire Marktverhältnisse gibt. Eine Tendenz zu mehr Fairness besteht aber schon.
Ihre Privatsphäre liegt uns am Herzen – deshalb setzen wir auf volle Transparenz.
Auf unserer Webseite nutzen wir ausschließlich Matomo, ein datenschutzfreundliches Analysetool, um zu verstehen, wie unsere Seite genutzt wird. Dabei werden Ihre Daten weder für kommerzielle Zwecke verwendet noch weitergegeben und bleiben ausschließlich auf unseren Servern.
Danke, dass Sie uns mit Ihrer Einwilligung helfen!
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.