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Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

31. Januar 2025

Die Ampelkoalition ist Geschichte und zu den Projekten, die durch das rot-grün-gelbe Dreierbündnis gestartet wurden, gehört die „Initiative Finanzielle Bildung“. Genauer gesagt, war es ein „gelbes“ Projekt. Finanzminister Christian Lindner und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, beide FDP, läuteten am 23. März 2023 auf einem Berliner Podium den „Aufbruch Finanzielle Bildung“ ein.1 Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Immer wieder kamen Sie auf die drei Eckpunkte ihrer Initiative zu sprechen. Demnach sollte die finanzielle Bildung in Deutschland 1. durch die Erarbeitung einer nationalen Finanzbildungsstrategie gestärkt werden. Das sollte in Zusammenarbeit mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder geschehen. Es sollte 2. eine „zentrale Finanzbildungsplattform“ geschaffen werden, um die vorhandenen sowie hinzuzunehmende Finanzbildungsangebote zu bündeln, für die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer:innen in „adressatengerechten Formaten“ bereitzustellen sowie die Vernetzung im Bereich der finanziellen Bildung zu fördern. 3. sollte die Forschung zu finanzieller Bildung gestärkt werden, um die Datengrundlage zu verbessern sowie um zukünftige bildungspolitische Maßnahmen „evidenzbasiert“ zu entwickeln.2Gemeinsame Pressemitteilung von BMF und BMBF: BMF und BMBF stellen Initiative Finanzielle Bildung vor , 23. März 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)

Ein erster kritischer Zwischenruf zur Initiative kam gewissermaßen postwendend vom Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz (PNFK), einem Zusammenschluss zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Netzwerk äußerte in seiner Stellungnahme zum Aufbruch die Befürchtung, dass gewachsene Strukturen in Gefahr sein könnten. Insbesondere seien die Belange „vulnerabler Gruppen“, also junger Menschen aus einkommensschwachen Familien, Geflüchteter und Senior:innen mit geringer Rente, unterrepräsentiert. Eine digitale Plattform, das einzige konkrete Projekt der Finanzbildungsinitiative, sei ungeeignet, um insbesondere diese Gruppen zu erreichen. Denn mit einer solchen Plattform werde die Informationsbeschaffung an diese Menschen delegiert und man laufe Gefahr, nur jene zu erreichen, die ohnehin für das Thema sensibilisiert seien.

Aufmerksamkeit für Finfluencer

Auf der Auftaktveranstaltung selbst wurden immer wieder „Finfluencer“ aufgerufen, Brücken zu den jungen Menschen zu bauen, beispielsweise der auf TikTok erfolgreiche Kamiar Bar Bar. Dieser war einer der wenigen Akteure aus dem Feld der Finanzbildung, die mit Lindner und Stark-Watzinger auf dem Podium sprachen. Finfluencer Bar Bar wurde als Vertreter dieser auf Social Media reichweitenstarken Vermittlung finanzieller Kompetenzen eine Viertelstunde nach Beginn der Veranstaltung zusammen mit Verena von Hugo, Vorständin im Bündnis ökonomische Bildung, auf die Bühne gebeten. Eine Dreiviertelstunde später kam auch Lorenzo Wienecke dazu, der mit seiner Initiative Jugendbildung seit 2017 Veranstaltungen an Schulen organisiert. Gegen Ende der Veranstaltung kam aus dem Publikum die Frage, ob die Verbraucherzentralen und ihr Bundesverband in die Initiative eingebunden würden.3Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März, 1:07:55-1:08:11. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Auch andere etablierte Akteure, beispielsweise der Schuldenberatung, der Sozialen Arbeit, der sozioökonomischen Bildung oder der politischen Bildung waren auf dem Podium nicht vertreten.

Schon in der Podiumszusammensetzung deutet sich eine mögliche Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung an, vor der das PNFK warnte. Mit den Verbraucherzentralen verwies das Netzwerk darauf, dass eine hohe Reichweite in den sozialen Medien noch kein Nachweis der Qualität sei. Einen etwas kritischeren Blick auf Finfluencer deutete auf dem Podium BaFin-Präsident Mark Branson an. Auf Nachfrage aus dem Publikum meinte er, es gebe auf Social Media Inhalte, die „gar nicht unschuldig“ seien.4Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:11:45ff. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Ausdrücklich kritisierte das PNFK in seiner Stellungnahme „Lindners verkürzten Blick“ auf das Themenfeld der Finanzbildung. Denn gerade in den Statements des Finanzministers ging es auffallend oft um die Chancen und die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts. Überhaupt war das Kürzel „ETF“ oft zu hören. So schloss das PNFK in seinem Statement, die „Förderung eines kritischen Verständnisses des Finanzwesens scheint bisher kein Bestandteil der Überlegungen und geplanten Strategie zu sein“.

Finanzbildung als politisches Projekt?

Im Oktober 2024 erschien die bisher ausführlichste Kritik der Initiative für finanzielle Bildung.5Thomas Höhne: Finanzbildung als politisches Projekt – Eine kritische Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung, OBS-Arbeitspapier 71, Frankfurt am Main, Oktober 2024. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025) Thomas Höhne, Erziehungswissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, stellt die Grundaussage seiner „kritischen Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung“ im Titel seiner Studie zugespitzt heraus: „Finanzbildung als politisches Projekt“. Die Finanzbildungsinitiative von BMF und BMBF verfolge primär eine „aktivierungspolitische“ und wirtschaftsliberale Zielsetzung: „Die Investitionsbereitschaft der Bevölkerung in Aktien soll erhöht werden“, so der Autor in der Pressemittelung zur Studie. Für dieses parteipolitische Anliegen der FDP werde die Finanzielle Bildung instrumentalisiert.

Höhne hebt hervor, das öffentliche Bemühen, eine geteilte Schirmherrschaft von BMF und BMBF herauszustreichen, verdecke die tatsächliche Dominanz des BMF in Konzeption und Ausgestaltung der Initiative. So wurde auf Anfrage der Unionsfraktion hin deutlich, dass das Finanzministerium die Federführung bei der nationalen Finanzbildungsstrategie und der Finanzbildungsplattform innehat.6Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU: Aktueller Stand der Initiative Finanzielle Bildung, Drucksache 20/9335, 15. November 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)
Das BMBF sei lediglich für die Förderung der Forschung zu finanzieller Bildung zuständig. Ihm komme damit die „fragwürdige Rolle“ zu, die Initiative als Bildungsprojekt zu legitimieren, so Höhne. Denn eine BMF-Kampagne für die Steigerung der Kapitalmarktteilnahme und für die Aktienrente wäre leicht unter „Ideologieverdacht“ geraten.

Die Finanzbildungsplattform macht Höhne als eigentlichen Kern des Projekts aus. Sie sei das Mittel zur Koordination und Steuerung der nationalen Finanzbildungsstrategie und damit für eine Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung. Die Webseite mitgeldundverstand.de ging Anfang Dezember 2023 online. Für seine Studie analysierte Höhne die Plattform sieben Monate später und fällte ein verheerendes Urteil: Nur 8% der angebotenen Inhalte seien als Bildungsmaterialien qualifizierbar. Ansonsten handele es sich um eine reine Informationsplattform. Selbst die wenigen Bildungsinhalte könnten teilweise einer bildungstheoretischen Bewertung nicht standhalten.

Höhne veranschaulicht das an einem Video. Das „FDP-Video“ sei „monoperspektivisch, bewertet die Schuldenbremse als durchgehend politisch, wirtschaftlich und moralisch legitimes politisches Handeln, demgegenüber jede Relativierung oder Infragestellung als nicht legitim“ dargestellt werde. Die Kontroversen zur Schuldenbremse, sei es in der Wissenschaft oder der Politik, werden nicht angedeutet. Würden die drei Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsenses angelegt – Überwältigungsverbot, Kontroversität, Adressatenorientierung –, wie sie für die Materialen der Bundeszentrale für politische Bildung gelten, sähe es schlecht aus: Die Einseitigkeit der Darstellungen widerspreche dem Kontroversitätsprinzip und die monoperspektivische Ausrichtung könne überwältigend wirken. Das Video gebe einseitig die Position der FDP zur Schuldenbremse wieder, so Höhne. Hier werde Parteienwerbung als Bildungsmaterial getarnt.

Attac Deutschland, die zusammen mit der gewerkschaftseigenen Otto-Brenner-Stiftung die Studie in Auftrag gegeben haben, hat mit der Veröffentlichung von Höhnes Analyse eine alternative Finanzbildungsplattform eingerichtet. Auf geldmitverstand.de sollen Materialien für eine kritische ökonomische Bildung gesammelt werden, die auf der Webseite des BMF fehlen. Dort finden sich Verlinkungen zu Inhalten von Attac, aber auch zu Materialien des Netzwerks Plurale Ökonomik, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Netzwerks Steuergerechtigkeit, des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt sowie zu verschiedenen Podcasts.

Das Festival für Finanzbildung

Seit der Analyse von Höhne hat sich auf mitgeldundverstand.de wenig getan. Hinzugekommen sind die Mitschnitte des Programms auf der Hauptbühne des „Festivals für Finanzbildung“, das Mitte Oktober 2024 stattgefunden hat, einem der letzten Lebenszeichen der Finanzbildungsinitiative. Auch hier ist auffällig oft von ETFs die Rede. Es ging teilweise gar skurril zu, als dafür geworben wurde, Finanzbildung neu zu denken, indem man mit einer App „im Duolingo-Stil“ zu investieren lernt. So könne vielleicht „ganz Deutschland süchtig nach finanzieller Bildung“ gemacht werden“7Julia Kruslin & Sophie Thurner: Finanzielle Bildung neu gedacht. Investieren im Duolingo-Stil, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024, 12:29ff (Zugriff 30. Januar 2025) Anders als beim Aufbruch im März 2023 waren auf dem Festival neben neueren Akteuren, Startups und Finfluencern auch etablierte Player wie das PNFK, die Caritas, die Volkshochschulen oder der Bundesverband der Verbraucherzentralen vertreten. Diese brachten ihre Expertise etwa in der Schuldenprävention oder der Qualitätskontrolle von Finanzbildungsinhalten ein.

Birgit Happel, Mitglied des PNFK-Vorstands, stellte die Notwendigkeit finanzieller sozialer Arbeit dar.8Birgit Happel: Finanzielle Soziale Arbeit. Empowerment für ein selbstbestimmtes Leben, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024 (Zugriff 30. Januar 2025). Ihr Vortrag, der letzte des Festivals, wirkt wie eine Veranstaltungskritik und ruft viele Punkte in Erinnerung, die das PNFK in seinem ersten Statement zur Finanzbildungsinitiative angemahnt hatte. So forderte Happel dazu auf, die finanzielle Grundbildung finanzschwacher Gruppen nicht aus den Augen zu verlieren, da sich die ohnehin großen finanziellen Ungleichheiten verfestigen würden, wenn der Fokus darauf liege, Bessergestellten Mut zur Eröffnung des ersten ETF-Sparplans zu machen. Und Frauen würden nicht nur durch fehlende Grundkenntnisse über das Funktionieren des Aktenmarktes ökonomisch belastet, sondern auch weil Care-Arbeit immer noch ganz überwiegend ihnen obliege und Kitaplätze Mangelware seien.

Parallelstrukturen und unzureichende Vernetzung

Zu den Mängeln dieser Initiative gehören nicht nur die kritisierten Verkürzungen, sondern insbesondere die ungenügende Vernetzung sowie Doppelspurigkeiten. Schon in seiner ersten Stellungnahme wies das PNFK auf den „Materialkompass“ des Bundesverbands der Verbraucherzentralen hin, mit dem qualitätsgesicherte Materialien zur finanziellen Bildung auffindbar gemacht werden – also das, was mitgeldundverstand.de eigentlich leisten soll. Nicolas Mantseris, ebenfalls Vorstandsmitglied des PNFK, wies in seinem Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung darauf hin, dass man mit der „FinKom“, der Finanzkompetenz-Infobörse, bereits seit Jahren ein kleines Format des Festivals organisiere. Es entsteht der Eindruck, dass Parallelstrukturen aufgebaut wurden, anstatt zu koordinieren und zu vernetzen, wie es im Rahmen der „Initiative Finanzielle Bildung“ immer wieder öffentlich behauptet wurde. Und ob diese Doppelstrukturen leisten können, was sie sollen, ist zweifelhaft.

Das droht auch mit der im Referentenentwurf von Anfang Oktober 2024 zum „Finanzbildungsstärkungsgesetz“ vorgeschlagenen Erweiterung der Stiftung „Geld und Währung“. Diese war 2002 eingerichtet worden, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung „stabilen Geldes“ zu erhalten und zu fördern. Die Stiftung soll um Finanzbildung erweitert werden und künftig „in enger Abstimmung mit den Stakeholdern“ die Umsetzung von bundesweiten Maßnahmen und Strategien zur Stärkung der finanziellen Bildung koordinieren und sogar eigene Finanzbildungsinhalte entwickeln.9 Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzbildung – Änderung des Gesetzes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ (Finanzbildungsstärkungsgesetz), Bundesfinanzministerium, 7. Oktober 2024. In seiner Stellungnahme zum Entwurf drückte das PNFK wiederum seine Sorge aus, dass bestehende Netzwerke und Akteure bedroht seien, wenn neue Netzwerke an diesen vorbei aufgebaut würden.10
Stellungnahme des Präventionsnetzwerkes Finanzkompetenz e.V.
zum Referentenentwurf des Finanzbildungsstärkungsgesetzes
, 17. Oktober 2024.

Von der ETF- zur Finanzbildung

Abschließend bleibt festzuhalten, dass eine bundesweite Finanzbildungsstrategie seit Jahren gefordert und dementsprechend auch grundsätzlich willkommen geheißen wird. Die Initiative für Finanzbildung der FDP-Ministerien ist bislang jedoch durch inhaltliche Verkürzungen, mangelnde Vernetzung und eine Onlineplattform aufgefallen, die weit hinter den Ankündigungen zurückbleibt. Es bleibt zu hoffen, dass eine kommende Regierung die konstruktive Kritik aufnimmt und auf der vorhandenen Expertise aufbaut, um einzulösen, was der damalige Finanzminister Christian Lindner auf der Auftaktveranstaltung im März 2023 versprochen hat: „Finanzielle Bildung ist nicht Vertrieb für die Finanzindustrie. Finanzielle Bildung ist nicht Indoktrination für irgendeine Form von Wirtschaftspolitik.“11Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:05.24-38. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025)

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Autor: Ruben Kremers eFin-Blog Farbe: gelb

„Retire Rich”: Wer profitiert vom Business-Feminismus der Fintech-Branche?

„Retire Rich”: Wer profitiert vom Business-Feminismus der Fintech-Branche?

Ein Beitrag von Ruben Kremers

9. Dezember 2024

Am 8 März 2024, pünktlich zum Weltfrauentag, brachten der Neobroker Trade Republic und das Modelabel saint sass eine Strumpfhose mit der Aufschrift „RETIRE RICH“ (z. Dt. „REICH IN DIE RENTE“) auf den Markt. Die Aktion sollte Frauen zum Investieren ermutigen und sie auf Angebote der privaten Altersvorsorge aufmerksam machen, die nicht zuletzt von Trade Republic selbst vertrieben wurden. „Frauen investieren seltener und fangen später an zu investieren“, stand auf der Verkaufswebseite, „deshalb ist jede fünfte Frau in Europa über 65 Jahren von Altersarmut bedroht“. Trade Republic biete Frauen daher einen sicheren, einfachen, und kostenlosen Zugang zu Kapitalmärkten, um privates Vermögen aufzubauen und die Altersvorsorge abzusichern.

Werbefoto der Trade-Republik-Kampagne: Blick auf mit Strumpfhose bekleideten Oberschenkel einer Frau und den dort aufgedruckten Schriftzug "Retire RIch"
Bild: https://traderepublic.com/de-de/womens-day.

Die Vermarktung frauenspezifischer Themen ist bei weitem keine Seltenheit im Fintech-Sektor und unterstreicht den generellen Optimismus der Branche, politische Probleme aller Art unternehmerisch lösen zu können. Gleichzeitig entsteht im praktischen Alltag eher der Eindruck, dass Fintech in Sachen Geschlechtergerechtigkeit hinter anderen Branchen zurückbleibt – trotz der prominenten Rolle zahlreicher, speziell an Frauen gerichteter Werbekampagnen, Netzwerke und Initiativen. Dieser Eindruck wird von der sozialwissenschaftlichen Forschung bestätigt, wobei die deutsche Fintech-Szene noch relativ unerforscht ist. Vor diesem Hintergrund bietet die Werbekampagne zum Weltfrauentag einen willkommenen Anlass, einen kurzen Blick auf den feministischen Anspruch der Branche zu werfen.

„Das ist doch alles nur Marketing!“

Es kann verlockend sein, feministische Ziele in der Fintech-Branche als reinen Opportunismus abzutun. Allzu oft werben Fintech-Unternehmen in Mission Statements mit feministischen Bekenntnissen, ohne diese im Alltag gezielt zu verfolgen oder unter Druck zu verteidigen. Der Vorwurf des Opportunismus kann in solchen Fällen dabei behilflich sein, leere Versprechen zu thematisieren und verbindlichere Maßnahmen einzufordern.

Jedoch greift der Vorwurf des Opportunismus auch häufig zu kurz. Zum einen sind viele Akteur:innen in der Fintech-Branche davon überzeugt, dass Startups feministische Ziele gerade deshalb verfolgen sollten, weil sie nun mal gut fürs Geschäft seien: Aus guten, opportunistischen Gründen! Opportunistische Motive werden in diesem Kontext nicht unbedingt kritisch gesehen und Unternehmen einen Vorwurf daraus zu machen stößt auf Unverständnis. Andererseits gibt es zahlreiche aufrichtige Versuche im Fintech-Sektor, ihn feministischer zu gestalten. Diese als opportunistisch zu bezeichnen, wäre schlicht fahrlässig und ginge an der Realität vorbei.

Es lohnt sich daher, den feministischen Anspruch des Fintech-Sektors nicht einfach in Abrede zu stellen, sondern die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Herausforderungen zu lenken, die sich aus diesem Anspruch im praktischen Alltag ergeben. Es mag sein, dass der Fintech-Feminismus manchmal naiv-idealistisch und oft sogar zynisch-opportunistisch daherkommt. Richtig ist aber auch, dass er dazu beitragen kann, bestehende Ungerechtigkeiten zum Thema zu machen und Lösungsansätze zur Diskussion zu stellen.

Screenshot der Trade-Republic-Kampagne: Links ein Model, sichtbar ab den Knien aufwärts, bekleidet mit Lederjacke und grauer Shorts und der Retire-Rich-Strumpfhose.
Bild: https://traderepublic.com/de-de/womens-day.

Business-Feminismus

In der akademischen Debatte werden die Versuche der Wirtschaft, feministische Ziele mit unternehmerischen Zielen in Einklang zu bringen, als Business-Feminismus beschrieben. Befürworter:innen des Business-Feminismus betonen, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen wirtschaftlichen Schaden anrichte. Frauen in der Führungsetage machten Firmen erfolgreicher und innovativer. Von Frauen gegründete Startups lieferten attraktive Anlagemöglichkeiten. Und Produkte speziell für Frauen bildeten einen lukrativen Markt.

Unter den Kritiker:innen des Business-Feminismus gibt es jene, die anti-feministisch gegen die Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft argumentieren. Und es gibt jene, die feministisch auf die Grenzen des Business-Feminismus hinweisen. Letztere bestreiten in der Regel nicht, dass der Business-Feminismus dazu beitragen kann, bestehende Ungerechtigkeiten für Frauen abzubauen. Sie weisen aber darauf hin, dass er tendenziell privilegierte Frauen begünstigt – und selbst das nur dann, wenn die Privilegien von Männern und das uneingeschränkte Primat wirtschaftlichen Eigeninteresses unangetastet bleiben.

Diese Kritik mag abstrakt klingen. Sie bietet aber einen nützlichen Ausgangspunkt, um die Schwachpunkte des Fintech-Feminismus besser zu verstehen. In diesem Sinne kann der Fintech-Feminismus als eine Spielart des Business-Feminismus betrachtet werden – und die Werbekampagne zum Weltfrauentag als ein anschauliches Beispiel seiner Widersprüche.

Die Widersprüche des Fintech-Feminismus

#1 Finanzielle Selbstbestimmung

Ein bedeutender Schwachpunkt des Fintech-Feminismus wird an dem selbsterklärten Ziel der Kampagne deutlich, die drohende Altersarmut von Frauen durch einen erleichterten Zugang zu Kapitalmärkten und privater Altersvorsorge zu verhindern. Dieser Versuch stellt ein typisches Beispiel zahlreicher Bemühungen in der Fintech-Branche dar, die Gleichberechtigung von Frauen durch die Förderung ihrer finanziellen Unabhängigkeit und ihrer finanziellen Selbstbestimmung zu unterstützen.

Einerseits thematisieren diese Bemühungen ein echtes Problem. Finanzthemen und Investitionen werden noch immer zu oft zur Männersache erklärt. Frauen haben daher oft ein geringeres Finanzwissen als Männer, legen ihr Erspartes deutlich seltener in Aktien oder Immobilien an, und erhalten dementsprechend geringere Renditen.1Siehe: https://www.diw.de/de/diw_01.c.860997.de/publikationen/wochenberichte/2022_49_3/auch_beim_sparen_gibt_es_einen_erstaunlichen_gender-gap__kommentar.html. Andererseits blenden diese Bemühungen eine Reihe weiterer Probleme aus, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht schwerer wiegen. Denn die finanzielle Benachteiligung von Frauen beruht vor allem auf ihrem geringeren Einkommen, nicht so sehr auf der geringeren Rendite an Kapitalmärkten. Zudem haben fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland kein nennenswertes Vermögen.2Siehe: https://www.diw.de/de/diw_01.c.851101.de/nachrichten/die_soziale_notlage_trifft_schon_laengst_die_breite_masse.html. Frauen ohne nennenswertes Vermögen fehlen Ersparnisse, nicht mehr Finanzwissen oder ein einfacher Zugang zu Kapitalmärkten, um einer drohenden Altersarmut zu entgehen.

Screenshot der Trade-Republic-Kampagne. Rechts oben der Schriftzug Der Gender Pension Gap. Links das Model hockend in engem schwarzen T-Shirt und Strumphose.
Bild: https://traderepublic.com/de-de/womens-day.

Wie der Business-Feminismus riskiert der Fintech-Feminismus hier, ein allzu einseitiges Verständnis der Gleichberechtigung zu verfolgen, bei dem die gesellschaftliche Realität vielschichtiger, sich überschneidender sozialer Ungleichheiten aus dem Blick gerät. Es ist zweifellos wichtig, Finanzthemen und Finanzkompetenzen an Frauen und Männer gleichermaßen zu vermitteln. Es ist aber auch wahr, dass ein Fokus auf die Vermittlung von Finanzwissen und Finanzkompetenzen im Bereich Kapitalmarkt vorrangig Frauen erreicht, die bereits über ein gewisses Maß an Reichtum und Bildung verfügen. Die Probleme von Frauen, die über weniger kulturelles und finanzielles Kapital verfügen und schon deshalb vorrangig unterstützt werden müssten, drohen unberücksichtigt zu bleiben.

#2 Fintechs Frauenbilder

Eine weitere Herausforderung des Fintech-Feminismus wird an der strategischen Inszenierung der Zielgruppe der Kampagne zum Weltfrauentag deutlich. Trade Republic und saint sass präsentieren eine junge Frau – zerzaustes Haar, schwarze Lederjacke, knappes Crop-Top, grauer Minirock – in lässiger Pose. Eine Inszenierung, die zugleich als unabhängig, selbstbewusst, verführerisch gelesen werden kann, aber auch als lasziv, devot, und übersexualisiert. Es bleibt unklar, ob die Strumpfhose hier vorrangig dazu dienen soll, Frauen anzusprechen und auf das Thema der Altersarmut aufmerksam zu machen. Oder ob sie vielmehr den Blicken der männlichen Kunden dienen soll, die rund 84 Prozent der Nutzer von Trade Republic ausmachen.

Diese Ambivalenz ist symptomatisch für die widersprüchlichen Erwartungen an das Aussehen, mit denen Frauen auch in der Fintech-Branche konfrontiert sind. Und für die unverhältnismäßige Bedeutung, die das Aussehen für sie im Vergleich zu den Männern einnimmt. So sind Frauen stets dazu aufgefordert, weiblich, aber nicht zu weiblich aufzutreten, attraktiv, aber nicht zu attraktiv zu wirken. Dabei ist ihr Aussehen, anders als das der Männer, der permanenten Beurteilung durch andere ausgesetzt. Dies äußert sich etwa in ungefragten Begutachtungen, anzüglichen Bemerkungen oder abfälligen Kommentaren, die sich disproportional an Frauen richten, und die oft fließend in übergriffige Formen des Alltagssexismus übergehen.

Vor diesem Hintergrund mag die Strumpfhosenkampagne zwar das legitime Bedürfnis mancher Frauen inszenieren, unabhängig, selbstbewusst, und verführerisch zu sein. Sie untermauert dabei aber auch die generelle Erwartung an Frauen, die Sexualisierung ihres Aussehens und die damit verbundene Ungleichheit gegenüber Männern als einen normalen Aspekt des unternehmerischen Alltags zu akzeptieren. Die Idee, ein in Strumpfhosen posierendes Model am Weltfrauentag zu einem Symbol im Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen zu erklären, erscheint mit Blick auf diese Ungleichheit daher, gelinde gesagt, unglaubwürdig.

Screenshot der Trade-Republic-Kampagne. Links unten der Schriftzug Retire Rich. Mittig das Model halbliegend, mit einem Bein aufgestellt.
Bild: https://traderepublic.com/de-de/womens-day.

#3 Bros, Geeks und Nerds

Eine letzte Schwachstelle des Fintech-Feminismus wird an der Art und Weise deutlich, in der die Weltfrauenkampagne die Gleichberechtigung von Frauen beinahe wie selbstverständlich als reines Frauen-Thema präsentiert. Dabei ist offensichtlich, dass die bestehenden Privilegien von Männern die vielleicht wichtigste Hürde für die Gleichberechtigung von Frauen in der Branche darstellen. Wobei diese Privilegien unter Männern ungleich verteilt sind. Eine Frage, die mehr Aufmerksamkeit verdient, ist daher, wie geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Fintech-Branche von einem unternehmerischen Ethos aufrechterhalten werden, das den Computerfreak, das verkannte Genie, gepaart mit der Risikobereitschaft, Rücksichtslosigkeit und dem Reichtum eines Investmentbankers zum Leitbild des erfolgreichen Unternehmers erklärt.

Eine Eigenart der Fintech-Szene ist, dass sie die einst negativen Klischees über Computerfreaks und Investmentbanker oft als positive Klischees männlicher Startup-Gründer reinterpretiert. Statt konventionelle Vorstellungen männlicher Überlegenheit zu verdrängen, hat dies in Teilen der Szene zu einer Verschiebung der Überlegenheitsfantasie geführt. Diese äußert sich in den regelmäßigen Exzessen der vielzitierten Bro-Culture, die sexistische Beleidigungen und sexuelle Übergriffe in Teilen der Szene normalisiert. Sie äußert sich darin, dass Wagniskapitalfonds in Deutschland noch immer beinahe ausschließlich in Startup-Unternehmen mit männlichen Gründern investieren,3Siehe: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/mehr-unternehmerinnen-fuer-den-mittelstand.html und dass der Verweis auf „traditionelle Rollenbilder“ dabei als plausible Rechtfertigung annerkannt wird. Schließlich äußert sie sich auch in der Leichtigkeit, mit der insbesondere Männer in der Branche feministische Themen zur Nebensache erklären, die – ganz im Sinne des Business-Feminismus – nur dann interessant wird, wenn sie Wachstum und Profitabilität für das eigene Unternehmen verspricht.

Ein anderer Feminismus für die Fintech-Branche?

Wer profitiert vom Fintech-Feminismus? Das Beispiel der Weltfrauentagskampagne macht deutlich, dass diese Frage nicht einfach zu beantworten ist. Der Fintech-Feminismus vermag es, die strukturelle Benachteiligung von Frauen sichtbar zu machen und die Forderung nach Veränderung zu verbreiten. Er hat dabei aber vorrangig die Interessen privilegierter Frauen im Blick und lässt die strukturellen Privilegien von Männern und den absoluten Vorrang der Profitmaximierung von Unternehmen unangetastet. Wie könnte daher ein ambitionierterer Fintech-Feminismus aussehen?

Ein erster Ansatzpunkt wäre es, zu fragen, wie die Interessen der am wenigsten priviligierten Frauen mit an Bord geholt werden können. Das würde bedeuten, nicht nur mehr Frauen zum Investieren zu ermutigen, sondern auch über kollektive Formen der Fürsorge, des Wohlstands, und der Umverteilung nachzudenken. Wie können digitale Finanztechnologien dazu beitragen, die Lage von Frauen zu verbessern, die keine nennenswerten Ersparnisse haben?

Ein zweiter Ansatzpunkt wäre es, die Sexualisierung von Frauen im unternehmerischen Alltag als ein kollektives Problem zu bekämpfen, von dem Frauen jedoch in unterschiedlichem Maße betroffen sind. Wie können unternehmerische Weiblichkeiten dargestellt, verkörpert, und verteidigt werden, die auch Frauen eine Orientierung im unternehmerischen Alltag bieten, die nicht bereits gesellschaftlichen Normen entsprechen?

Schließlich müsste ein ambitionierter Fintech-Feminismus auch damit beginnen, den Fokus auf die Rolle und Privilegien von Männern zu legen. Wie kann der Kampf gegen den Alltagssexismus in der Branche als ein Männerthema artikuliert und verankert werden? Wie können mehr Männer dazu gebracht werden, die eigenen Privilegien nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu Gunsten einer gerechteren, vielseitigeren, und letztlich innovativeren Branche aufzugeben? Und kann die Glorifizierung des Computerfreak-Investmentbankers durch alternative Erzählungen erfolgreichen Unternehmertums zurückgedrängt und sogar ersetzt werden?

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