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    Akzentfarbe: Violett (Erdogan-Beitrag) Autorin: Julia Gül Erdogan Uncategorized Verantwortungsblog

    Von Helden zu Schurken? Zur Entwicklung des Hackerbegriffs

    „Hacker-Großangriff auf E-Mail-Konten“, „Die Welt im Visier: So effektiv arbeiten Nordkoreas Hacker“, „Cybermafia von Putins Gnaden?“ – das sind drei von vielen Schlagzeilen, in denen Hacker als Truppen in Diensten autoritärer Staaten erscheinen. Fasst vergessen scheinen die Zeiten, als Hacker noch vornehmliche als renitente Nerds erschienen, die staatliche Geheimnisse aufdeckten und Übergriffe bekämpften. Ein Blick in die Geschichte des Begriffs zeigt: Der Hackerbegriff ist schon lange umkämpft.

    Von Helden zu Schurken?
    Zur Entwicklung des Hackerbegriffs

    „Hacker-Großangriff auf E-Mail-Konten“, „Die Welt im Visier: So effektiv arbeiten Nordkoreas Hacker“, „Cybermafia von Putins Gnaden?“ – das sind drei von vielen Schlagzeilen, in denen Hacker als Truppen in Diensten autoritärer Staaten erscheinen. Fasst vergessen scheinen die Zeiten, als Hacker noch vornehmliche als renitente Nerds erschienen, die staatliche Geheimnisse aufdeckten und Übergriffe bekämpften. Ein Blick in die Geschichte des Begriffs zeigt: Der Hackerbegriff ist schon lange umkämpft.

    Von Julia Gül Erdogan | 31.01.2025

    Gemälde im Stil des Kubismus: Zu sehen ist eine Figur mit Hit und ein Desktop-PC.
    Gemälde im Stil des Kubismus: Zu sehen ist eine Figur mit Hut und ein Desktop-PC. Erstellt mit Adobe Firefly.

    Hacken sei der intellektuelle Anreiz, eine Lösung für ein Problem zu finden und „zwar unter vollkommener Ignoranz vorgegebener Wege“. So beschrieb der ehemalige Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), Andy Müller-Maguhn, in einer Dokumentation von 3Sat aus dem Jahr 2010 das Hacken (Glasstetter/Meyer 2010). Diese Beschreibung trifft besonders auf die Anfänge des Hackens zu, sie verweist auf den unorthodoxen Umgang der Hacker mit Computern. Ursprünglich stand „Hacken“ für ein spielerisches Erkunden und Lösen technischer Probleme innerhalb kleiner Gemeinschaften. Der Begriff beschrieb eine Praxis, die stark von Neugier, Kreativität und Ingenieurskunst geprägt war. In Verbindung mit aktivistischen Aktionen gegen den Missbrauch personenbezogener Daten galten Hacker lange Zeit als eine Art Bürgerrechtsbewegung der digitalisierten Welt. Sie wurden bewundert. Doch diese Auffassung scheint zunehmend in den Hintergrund zu treten und wird nur noch in kleinen Kreisen geteilt. In der medialen Öffentlichkeit dominiert stattdessen das Bild des Hackens als eine kriminelle Handlung. Zudem werden Hackeraktivitäten heute häufig mit staatlicher Sabotage in Verbindung gebracht, was den ursprünglich antiautoritären und anarchistischen Werten des Hackens diametral entgegensteht.

    Wie kam es zu diesem Wandel? Haben Hacker trotz zahlreicher Bemühungen die Deutungshoheit über den Begriff verloren? Haben die Medien das Hacken zu einem Symbol ständiger Bedrohung stilisiert, getrieben von Sensationslust? Oder zielte der Hackerbegriff im Grunde immer schon nur auf eine technische Ebene ab und klammerte moralische Fragen aus?

    Um diese Fragen zu beantworten, werfen wir einen kursorischen Blick auf die Entwicklung des Hackens seit den 1950er Jahren, als die ersten Hacker in Erscheinung traten. Dabei werde ich Periodisierungen vornehmen, die gesellschaftliche, internationale politische und technische Bedingungen sowie ihre Wechselwirkungen mit der Entwicklung des Hackerbegriffs beleuchten. Allerdings sollten diese Periodisierungen nicht als starre Epochenabschnitte verstanden werden, sondern lediglich vorherrschende Tendenzen markieren.

    Der Begriff „Hacker“ entstand in den 1950er Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort bezeichnete ein „Hack“ einerseits Streiche, die sich Studenten gegenseitig spielten. Andererseits beschrieb der Begriff im Tech Model Railroad Club (TMRC), dem Modelleisenbahnclub des MIT, eine clevere Lösung für ein Problem. Ein „Hack“ war somit eine kreative oder besonders geschickte, oft spielerische technische Lösung (Levy 2010: 10). Die Bezeichnung hatte eine positive Konnotation und hob Neugier sowie Innovation durch Neuarrangements hervor.

    Mit der Einführung der ersten Großrechner an Universitäten wandten sich technikbegeisterte Tüftler wie die Mitglieder des TMRC den neuen Maschinen zu. Diese frühen Hacker experimentierten mit Computern, um deren Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. Sie teilten die wissenschaftlichen Werte ihres Umfelds, wie den offenen Informationsfluss und die Freude an der Erforschung von Systemen. Da deren Bedienung und Nutzung stark reglementiert war, verschafften sich diese ersten Hacker allerdings auch schon unautorisierten Zugang zu den Lochkartenrechnern. Dabei handelte es sich um raumfüllende, teure elektromechanische Computer, die Daten und Anweisungen in Form von perforierten Karten lesen und verarbeiten, um Berechnungen oder andere automatisierte Aufgaben durchzuführen.

    Hacker galten zunächst noch als „exzessive“ Programmierer und Tüftler, die beinahe suchtartig mit Computern arbeiteten, um Programme zu entwickeln und neue Einsatzmöglichkeiten zu entdecken (Weizenbaum 1978, 164). In den 1970er Jahren ermöglichte die Verkleinerung von Computern durch die Chiptechnologie deren erste private Nutzung. In der San Francisco Bay Area entstanden dann in dieser Zeit Hobby- und Aktivistengruppen, die die gesellschaftliche und politische Entwicklung von Computern mitgestalten wollten und dadurch den Hackerbegriff um eine aktivistische Komponente erweiterten. Der Anti-Kriegs-Aktivismus und das Free Speech Movement verbanden sich mit den Interessen der „Nerds“. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt Community Memory, das ab 1973 computergestützte Kommunikationsnetzwerke für soziale Bewegungen aufbaute. Aber auch die Free- und Open-Source-Software-Bewegung ist Ausdruck gegenkultureller Werte der Hackerkulturen (Imhorst 2004).

    Mit der On-Line-Vernetzung während der Heimcomputer-Ära der 1980er Jahre begannen viele Jugendliche, unerlaubten Zugang zu geschlossenen Accounts und Servern zu suchen. 1981 hatten sich Hacker über das ARPANET1 in das Überwachungssystem sowjetischer Atombombenversuche gehackt und eine Gruppe Jugendlicher (The 414s) waren 1983 in Computer des Los Alamos National Laboratory eingedrungen, das Atom- und Wasserstoffbomben entwickelte. 1984 wurde der Film WarGames ein Kinohit, dessen Handlung sich an diese Aktionen anlehnte und in dem sich ein Jugendlicher aus Versehen in das Kontrollsystem für den Abschuss von Atombomben hackt.

    Während diese Aktivitäten von aktivistischen Hackern selbst noch häufig als intellektuelle Herausforderungen gesehen wurden, distanzierten sie sich von jenen, die aus finanziellem Eigeninteresse in Systeme eindrangen oder explizit Schäden verursachten. Steven Levys Buch Hackers: Heroes of the Computer Revolution (1984) kann als Reaktion auf diese Entwicklungen gesehen werden. Es versuchte, die Deutungshoheit über den Hackerbegriff zu bewahren, auch indem er die sogenannte „Hacker-Ethik“ verfasste, die Dezentralisierung, flache Hierarchien, Kreativität und Informationsfreiheit propagierte. Der Medienwissenschaftler Claus Pias sieht darin den Versuch des Hackers eine Grenze zu ziehen, „die durch ihn selbst hindurchgeht“ und den „bösen“ Teil abtrennt: „Der gute Hacker war fortan Sozialutopist mit medientechnischem Apriori.“ (Pias 2002, 268)

    In Deutschland etablierte der CCC durch humorvoll inszenierte Hacks ein weitgehend positives Bild von Hackern. 1984 hackte der CCC das Online-System Bildschirmtext (Btx), um auf Sicherheitslücken aufmerksam zu machen. Mit einer inszenierten Abbuchung von 135.000 DM demonstrierten sie die Schwächen des Systems und zugleich das Idealbild des guten Hackers, der nicht zur eigenen Bereicherung, sondern zu Aufklärungszwecken hackt.

    Im Umbruch zu den 1990er Jahren entstand im deutschen Kontext auch ein weiterer Begriff der Hackerkultur: die „Haecksen“. Damit machte eine Handvoll Frauen auf die Unterrepräsentation weiblicher Akteure in der Hackerszene aufmerksam. Ziel war es, Frauen entsprechend den Hackerwerten aus einer stark gegenderten, passiven Nutzerrolle zu emanzipieren und den Spaß an Computern zu vermitteln (Erdogan 2020).

    Aber auch das weitgehend positive Bild des Hackens, das der Club in der Bundesrepublik gezeichnet hatte, geriet am Ende der 1980er Jahre ins Wanken. Ursache dafür waren insbesondere zwei Hacks im Umfeld des CCC: Zum einen waren Hacker in Systeme der NASA eingedrungen und stießen dort unter anderem auf Baupläne von Atomkraftwerken. Zum anderen hatte der sogenannte KGB-Hack – bei dem unter anderem der Hacker Karl Koch Informationen an den sowjetischen Geheimdienst verkauft hatte – erhebliche mediale Aufmerksamkeit erregt. Obwohl beide Vorfälle weniger schwerwiegend waren als zunächst dargestellt, dominierte das Bild der Hacker als Bedrohung einer zunehmend auf Computertechnik gestützten Welt immer stärker die öffentliche Wahrnehmung.

    Die zunehmende digitale Vernetzung durch das World Wide Web machte Hacking zu einem globalen Thema. Begriffe wie „White Hat“ (ethische Hacker), „Black Hat“ (kriminelle Hacker) und „Grey Hat“ (Hacking mit ambivalenten Motiven) entstanden, um unterschiedliche Aktivitäten zu kategorisieren.

    Mitte der 1990er Jahre tauchte dann erstmals der Begriff „Hacktivism“ auf. Der Schriftsteller Jason Sack verwendete ihn 1995 in der Beschreibung des Films Fresh Kill von Shu Lea Cheang. Häufig wird die Begriffsprägung jedoch Omega, einem Mitglied der Hackergruppe Cult of the Dead Cow (cDc), zugeschrieben. Was genau unter Hacktivismus verstanden wird, ist bis heute nicht einheitlich und variiert ebenso stark wie der Begriff des Hackens selbst. Hacktivismus kann sowohl negativ im Kontext von Cyberterrorismus angesiedelt werden als auch positiv betrachtet werden, als eine Form des Hackens, die mit einer konstruktiven Stoßrichtung technische, soziale oder gesellschaftliche Veränderungen bewirken will. Im Gegensatz zum Hacken ist Hacktivismus jedenfalls durch eine explizite politische Dimension gekennzeichnet. Während Hacken weiterhin auf rein technischer Ebene stattfinden kann, ohne gesellschaftliche oder politische Zielsetzungen, zielt Hacktivismus darauf ab, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.

    Einige Aktionen von Hacktivisten, wie Denial-of-Service-Angriffe (DDoS), können darauf abzielen, den Zugang zu Informationen gezielt zu verhindern. Dieses Vorgehen steht jedoch im Widerspruch zum ursprünglichen radikalen Freiheitsanspruch der Hacker und ihrer Forderung des uneingeschränkten Zugangs zu Informationen. Außerdem benötigen solche Angriffe oft kein tiefes technisches Verständnis, da hierfür fertige Tools genutzt werden können.

    Mit der zunehmenden Vernetzung von Computern und der Diffusion digitaler Technik in den Alltag vieler Menschen und Staaten, differenzierte sich nicht nur die Nutzung von Computern weiter aus, sondern auch die Möglichkeiten, diese Systeme zu stören oder zur eigenen Bereicherung zu nutzen. Dies gilt auch für Staaten. Da sowohl Infrastruktur als auch Kommunikation seit der Jahrtausendwende weitgehend durch Digitaltechnologie verwaltet und organisiert wird, kann das Hacken hier nicht nur zu Spionagezwecken genutzt werden, sondern auch explizit als Kriegshandlung. Besonders in Verbindung mit Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen verfestigte sich somit das Bild des Hackens als Bedrohung. Aber diese Ebene der Bedrohung betrifft nicht nur zwischenstaatliche Aktionen, sondern wiederum Aktivist:innen, zu deren Daten sich Regierungen etwa durch Trojaner unautorisiert Zugang verschaffen (White 2020, 24).

    Während „Hacken“ im Bereich der IT-Sicherheit und in sozialen Bewegungen noch immer positiv als Ausdruck von Neugier, Erfindungsreichtum und Datenschutzaktivismus gewertet wird, löst der Begriff heute zugleich auch negative Assoziationen aus. Diese Gegensätzlichkeit verdeutlicht die Vielfalt der Hackerkulturen, die Spannungen zwischen unterschiedlichen Motiven und Praktiken, aber auch die Zunahme von Hacks in einer vernetzten Welt. Die Entwicklung des Begriffs „Hacker“ spiegelt den Wandel der technischen Möglichkeiten, die Integration der Computertechnik in den Alltag und die damit verbundenen kulturellen Praktiken wider.

    Ursprünglich jedoch bezeichnete der Begriff eine Problemlösung, die oft mit der Zweckentfremdung von technischen Geräten einherging. Da sich der Begriff anfangs auf die Verschiebung technischer Grenzen konzentrierte, war er weder moralisch noch politisch definiert. Aufgrund dieser Neutralität konnten ihn Gruppen an ihre Zwecke anpassen, aber die Öffentlichkeit und die Medien konnten ihn auch nutzen, um das Eindringen in Computersysteme allgemein als „Hacken“ zu klassifizieren. Der „Hacktivismus“ verwandelt die Bezeichnung einer Praktik dann in ein (wiederum vieldeutiges) Programmwort. Insbesondere Presse und Film nutzten die Offenheit des Begriffs und das Geheimnisvolle der Hacker-Figur, um Hacken als Bedrohung oder Sensation darzustellen, was den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung des Begriffs beschleunigte. Mit der Lust am Basteln und vor allem mit dem Anspruch, Computer zum Erschaffen, statt zum Zerstören zu nutzen, die weiterhin Konstanten der Hackerkulturen darstellen, hat dieses Bild jedoch immer weniger gemein.

    1. Das Advanced Research Projects Agency Network oder ARPANET war ein dezentrales Computernetzwerk, das durch die Advanced Research Projects Agency des US-Verteidigungsministeriums eingerichtet wurde, um ab 1969 verschiedene US-Universitäten miteinander zu verbinden, die für das Verteidigungsministerium forschten. ↩︎

    Erdogan, Julia Gül (2020): „Computer Wizards“ und Haecksen. Geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen in der privaten und subkulturellen Computernutzung in den USA und der Bundesrepublik. In: Technikgeschichte Bd. 87 H. 2, S. 101-132.

    White, Geoff (2020): Crime Dot Com: From Viruses to Vote Rigging, How Hacking Went Global, London: Reaktion Books.

    Gabi Glasstetter & Uta Meyer (2010): Die Akte CCC – Die Geschichte des Chaos Computer Clubs. ZDF.

    Levy, Steven: Hackers. Heroes of the Computer Revolution, 25th Anniversary Edition, Sebastopol u.a.: O’Reilly Media 2010.

    Imhorst, Christian (2004): Die Anarchie der Hacker. Richard Stallman und die Freie-Software-Bewegung, Marburg: Tectum.

    Pias, Claus (2002): Der Hacker in: Eva Horn, Stefan Kaufmann & Ulrich Bröckling (Hg.): Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten, Berlin: Kadmos, S. 248-270.

    Weizenbaum, Joseph (1978): Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Erdogan, Julia Gül (2025): Von Helden zu Schurken? Zur Entwicklung des Hackerbegriffs. In: Verantwortungsblog. https://zevedi.de/von-helden-zu-schurken-zur-entwicklung-des-hackerbegriffs/ [31.01.2025]. https://doi.org/10.60805/z8tj-k684.


    Julia Gül Erdogan
    ist Historikerin mit den Schwerpunkten Technik-, Kultur- und Umweltgeschichte. Sie wurde mit der Arbeit Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und der DDR (Göttingen: Wallstein Verlag 2021) an der Universität Potsdam promoviert. Derzeit arbeitet sie an der Humboldt-Universität zu Berlin am Lehrstuhl für Kulturtechniken und Wissensgeschichte und forscht zu einer Kultur- und Technikgeschichte des Tauchens.

  • Über den Blog
    Der ZEVEDI-Verantwortungsblog hat die Frage zum Gegenstand, wie gut es uns im Zusammenleben mit Digitaltechnologien geht. Er kommentiert die Ambivalenzen, die Steuerungsprobleme und die Vertretbarkeit des digitalen Wandels. Was an möglicherweise kritischen Technikfolgen (und Markteffekten) sollte man in den Blick nehmen und diskutieren? Wo sind Sorgen angebracht? Wie passt Digitalisierung zu Freiheit und Demokratie? Welche Regeln braucht eine digitale Gesellschaft? Wovon sollte – weil es kritisch werden könnte – die Rede sein?

    Es schreiben Autor:innen aus dem ZEVEDI-Netzwerk sowie Gäste darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert.

    DOI: 10.60805/5c9w-7n74
    ISSN:  2943-9124