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    Akzentfarbe: gelb (Schrader) Autor: Christian Schrader Verantwortungsblog

    Bemerkenswerte Ignoranz – die (fehlende) Verknüpfung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung auf Bundesebene

    Die beiden Megatrends Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung sowie ihre Zusammenhänge sind in den Bundesministerien programmatisch und organisatorisch unterschiedlich angekommen. In diesem Beitrag wird danach gefragt, wie die Zusammenhänge der beiden Themenkomplexe in den Eigenverlautbarungen der Ressorts auftauchen und ob sie sich in den Organisationsplänen der Ministerien sowie in der Ausrichtung der nachgeordneten Einrichtungen widerspiegeln. Dabei zeigen sich Lösungen, aber auch schwerwiegende Lücken.

    Bemerkenswerte Ignoranz
    – die (fehlende) Verknüpfung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung auf Bundesebene

    Die beiden Megatrends Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung sowie ihre Zusammenhänge sind in den Bundesministerien programmatisch und organisatorisch unterschiedlich angekommen. In diesem Beitrag wird danach gefragt, wie die Zusammenhänge der beiden Themenkomplexe in den Eigenverlautbarungen der Ressorts auftauchen und ob sie sich in den Organisationsplänen der Ministerien sowie in der Ausrichtung der nachgeordneten Einrichtungen widerspiegeln. Dabei zeigen sich Lösungen, aber auch schwerwiegende Lücken.

    Von Christian Schrader | 15.07.2024

    Illustration: Ein Organigramm als kubistisches Gemälde; erstellt mit Adobe Firefly
    Erstellt mit Adobe Firefly. Prompt: „Ein Organigramm als minimalistisches kubistisches Gemälde; Farben: Grüntöne, Gelbtöne“

    In der politischen Architektur Deutschlands spielen die Länder und die Mechanismen der Bund-Länder-Koordinierung eine große Rolle. Doch in der Realität verliert der Föderalismus an Kraft zugunsten einer (finanziell) prägenden Rolle des Bundes.1 Daher ist es entscheidend, wie die Bundesregierung, ihre Ressorts und ihre nachgeordneten Stellen die Themen ausführen.

    Dieser Beitrag untersucht, inwieweit die beiden Megatrends Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung sowie ihre Zusammenhänge in den Bundesministerien programmatisch und organisatorisch angekommen sind. Konkret wird im Folgenden überprüft, ob diese Inhalte in den Eigenverlautbarungen der Ressorts auftauchen, insbesondere in Programmatiken, den auf der Webseite dargestellten Themen und weiterführenden Publikationen. Schließlich wird untersucht, ob die Inhalte sich in den Organisationsplänen der Häuser und in der Ausrichtung der nachgeordneten Einrichtungen widerspiegeln.

    In der Zusammenschau der Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit stehen wir in einer doppelten Transformation: Der Veränderung zu einer nachhaltigen Entwicklung sowie zu einer digitalisierten Welt. Digitalisierung beginnt mit der Abbildung bisher analoger Prozesse in IT-Form. 1985 wurde der Begriff in Deutschland erstmals verwendet, seit 2013 erweiterte er sich zum unscharfen „Modewort“. (Langes/Boes o.J.) Schon vorher hat der digitale Wandel alle Lebensbereiche durchdrungen und er verändert auch alle Regierungsressorts. Das Konzept sustainable development bzw. nachhaltige Entwicklung ist seit der Konferenz von Rio im Jahr 1992 als globales Entwicklungsprogramm anerkannt. Es ist weit aufgefächert mit Abkommen zu Klima, Biodiversität usw., sowie in 17 Zielen, den sustainable development goals (SDG), konkretisiert. (Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015: 38)

    Die Basisdokumente dieser beiden Megatrends zogen nur selten eine Verbindung. Im UN-Dokument zu den SDG ist zur Digitalisierung nichts gesagt, außer der „Überbrückung der digitalen Kluft“. Die erste nationale Nachhaltigkeitsstrategie legte die Bundesregierung 2002 vor. Die letzte Neuauflage stammt von 2016, mit einer Weiterentwicklung 2021. Sie enthält auf 258 Seiten den Wortbestandteil „digital“ nur an 23 Stellen, meist im Namen des damaligen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Erste Grundsätze für eine Digitalpolitik veröffentlichte die Bundesregierung mit der „Digitalen Agenda“ 2014, damals sind auf 40 Seiten auch sechs Verwendungen des Wortbestandteils „nachhaltig“ zu finden, genutzt wird es zumeist in einem generellen Wortsinn wie bspw.: „Vertrauen … nachhaltig stärken“. Insgesamt ist festzuhalten, dass die programmatische Verschränkung der beiden Megatrends Digitaler Wandel und (ökologische) Nachhaltigkeit bis vor fünf Jahren sehr gering gewesen ist.

    2019 wurden dann jedoch gleich mehrere grundlegende politische Papiere vorgelegt, deren Ziel es ist, das Verhältnis von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung auszugestalten. Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) legte einen wissenschaftlichen Ansatz vor, (WBGU 2019) einen pragmatischeren Ansatz verfolgte das Umweltbundesamt. (Umweltbundesamt 2019) Ein Verbändenetzwerk thematisierte, was Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung verbindet. (Höfner/Frick 2019) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellte 2019 den Aktionsplan Natürlich.Digital.Nachhaltig auf. (BMBF 2019; zum Umsetzungsstand 2021 siehe Deutscher Bundestag 2021) Von der Digitalisierung kommend werden seitdem über Begriffe wie „Digitale Nachhaltigkeit“ oder „Informationelle Nachhaltigkeit“ die Bezüge zwischen den zwei Politikfeldern herausgearbeitet. (Santarius/Lange 2018) Verbände (Bitkom 2023, Mittelstand-Digital 2023, Verband Kommunaler Unternehmen 2023) und Konferenzen wie „Bits und Bäume“ diskutieren Forderungen wie jene, die Digitalisierung im Rahmen der planetaren Grenzen auszugestalten. (Bits & Bäume 2022)

    Allerdings erbrachte eine Anhörung des Deutschen Bundestages zur Verbindung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit im November 2022 primär das Ergebnis, dass die Digitalisierung weiterhin zu einem Mehrverbrauch anstatt zur Einsparung von natürlichen Ressourcen führt. So machen die Energiebedarfe von Rechenzentren inzwischen etwa drei Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus, und dies mit steigender Tendenz. (siehe dazu die Statements von Tilman Santarius und Jens Gröger in Deutscher Bundestag 2022a: 4, 11) Es wurde daher mit einer neuen Deutlichkeit gefordert, in die digitalpolitischen Initiativen Nachhaltigkeitsziele zu integrieren. (Deutscher Bundestag 2022b)

    Die Bundesregierung hat am 31. August 2022 eine Digitalstrategie und eine Zuständigkeitsverteilung verabschiedet. Die Digitalstrategie soll den übergeordneten Rahmen der Digitalpolitik in der aktuellen Legislaturperiode vorgeben. (Deutscher Bundestag 2022c) Darin wird die Ausgangslage auf zwei Seiten bilanziert. Dort ist unter anderem zu lesen: „Weiterhin stellt sich die Frage nach einer sozial, wirtschaftlich und insbesondere ökologisch nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung. Hierfür sind die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) Richtschnur der Politik der Bundesregierung und auch der Digitalstrategie. Konkret bedeutet das, Digitalisierung als Treiber ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit zu nutzen, ohne deren gegenteilige Wirkung zu verkennen.“ Als Teil der Ausgangssituation ist die Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung damit erkannt und kurz benannt.

    Die Strategie von 2022 führt die politischen Schwerpunkte beim Querschnittsthema Digitalisierung zusammen und priorisiert Projekte, von deren Umsetzung „die größte Hebelwirkung zu erwarten“ sei. Prioritär sind Projekte in den Bereichen moderne, leistungsfähige und nachhaltige Netze und Verfügbarkeit von Daten und Datenwerkzeugen, international einheitliche technische Normen und Standards sowie sichere und nutzerfreundliche Identitäten und moderne Register. Das Leitmotiv der Digitalpolitik sei die technologische und digitale Souveränität Deutschlands. Insgesamt tragen also andere Leitmotive die einzelnen Maßnahmen der Digitalstrategie. Von den drei übergreifenden Handlungsfeldern Staat, Gesellschaft und Wirtschaft findet sich nur im Handlungsfeld Wirtschaft eine längere einschlägige Passage zu nachhaltiger Entwicklung. (Deutscher Bundestag 2022c: 6f)

    In den ressortspezifischen Passagen wird im Bereich „Schutz von Klima, Umwelt und Ressourcen“ (S. 28f), neben dem Schlagwort „green IT“ unter anderem eine Initiative „Digitale Nachhaltigkeitsinnovationen“ erwähnt, die als neuer „Förderschwerpunkt zum Konnex Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ fungieren soll. Im Bereich Internationales will die Bundesregierung „die Umsetzung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen mit digitalen Lösungen“ beschleunigen (S. 39), allerdings ohne Maßnahmen und Indikatoren zu nennen.

    Es ergibt sich ein ernüchterndes Bild. Die 18 Leuchtturmprojekte, in denen jedes Ressort der Bundesregierung eigenverantwortlich bis 2025 konkrete Erfolge erzielen soll, gehen nur vereinzelt auf die Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung ein. Insgesamt wird die inhaltliche Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung in der Digitalstrategie der Bundesregierung nur an wenigen Stellen hergestellt und operativ heruntergebrochen. Die Digitalstrategie ist mit wenigen Ausnahmen nicht darauf angelegt, Anforderungen der „Starken Nachhaltigkeit“ aufzunehmen, sie konkret zu benennen sowie mit Indikatoren zu versehen. Es dominieren Themen überkommenen Typs, ihr Zuschnitt folgt dem „Silodenken“ der jeweiligen Ressorts. (Deutscher Bundestag 2022c: 31) „Nachhaltigkeit“ ist oft als modisch-vages Stichwort genannt; manchmal sogar im Sinn von „dauerhaft“ und nicht als Kurzwort für nachhaltige Entwicklung. Die programmatische Verbindung der Konzepte Digitaler Wandel und Nachhaltigkeit ist somit, von Ausnahmen abgesehen, in der Bundesregierung sehr dürftig entwickelt.

    Trotz methodischer Vorbehalte, die man quantifizierenden Darstellungen gewiss entgegenbringen kann, wird im Folgenden der Versuch unternommen, die bundespolitischen Ressorts in der uns hier interessierenden Frage kartographisch vergleichend abzubilden. Dies erfolgt erst für die programmatische, danach für die organisatorische Abbildung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung sowie deren Verbindung. Grundlage des Mappings waren in erster Linie die Webseiten und Organisationspläne der Ressorts von Ende August 2023. In einem zweistufigen Vorgehen wurden Punkte von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) vergeben.

    Bei den Webseiten stellt jedes Ressort bestimmte „Themen“ in den Vordergrund. Diese werden anhand der oben skizzierten inhaltlichen Aspekte darauf untersucht, ob Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung als Ziele in der Außendarstellung des Ressorts vorkommen sowie ob eine Verbindung der Themen hergestellt wird. Wenn beides herausragend benannt und verbunden ist, werden 10 Punkte vergeben. Wird beides gut benannt und verbunden, sind es 8 Punkte. Wenn beides pflichtmäßig (Koalitionsvereinbarung, Regierungsprogramm) benannt ist, sind es 6 Punkte. Bei Nennung nur einer Seite ist es die Hälfte.

    In einem zweiten Schritt wird das inhaltliche und aktuelle Verständnis sowie das Eigenbemühen einbezogen. Bei erkennbarem Falschverständnis oder nicht aktualisierter Ressortforschung wird ein Punkt abgezogen. Ein Zusatzpunkt wird vergeben für erkennbare Eigenbemühung wie Nachhaltigkeitsberichte, EMAS-Zertifizierung, Benennung von Beauftragten für IT (über die traditionelle IT-Versorgung hinaus) oder für nachhaltige Entwicklung sowie für spezifische Ressortforschung.

    Beispielhaft sei dies anhand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK; 10 Punkte) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI; 4 Punkte) dargestellt. Das BMWK nennt unter den Schwerpunkten der Wirtschaftspolitik den Bereich „Digitaler Wandel“. Darin werden Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit konkreten Ressortaktivitäten verbunden. Im Themenbereich nachhaltige Entwicklung hat das BMWK die Federführung für Klimaschutz. Das BMI nennt zur Digitalisierung zwei Themen: Cybersicherheit und Digitalpolitik. Zur Cybersicherheit werden vielfältige Gremien mit der Wirtschaft sowie das KRITIS-Dachgesetz betont. Zur Digitalpolitik wird die IT des Bundes mit dem Dateninstitut, die Netze des Bundes, IT-Konsolidierung sowie der IT-Planungsrat erwähnt. Digitalpolitik lediglich als IT des Bundes zu verstehen ist bereits innerhalb des Ressorts verkürzt und widersprüchlich, weil als drittes BMI-Thema „Moderne Verwaltung“ dargestellt wird mit der Federführung des BMI für IT in der gesamten öffentlichen Verwaltung, etwa mit dem Onlinezugangsgesetz. Nachhaltige Entwicklung ist in den Zielen nicht erwähnt und nur an einer nebensächlichen Stelle, beim Nachhaltigkeitsprogramm zur Europameisterschaft 2024, deutlicher sichtbar.

    Grafik 1: Programmatische Verankerung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung; eigene Darstellung des Autors

    Ausgangspunkt dieses Abschnitts ist die Koalitionsvereinbarung vom 7. Dezember 2021 (Deutscher Bundestag 2023b) mit ihrem aktuellen Aufgabenzuschnitt in der Bundesregierung. Ein Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 8. Dezember 2021 konkretisierte dies auf die Fachaufgaben der Ressorts. Auf dieser Basis legte die Bundesregierung am 31. August 2022 die internen Zuständigkeiten für Digitalisierung fest. Sehr differenziert verteilt das Eckpunktepapier Digitalpolitik der Bundesregierung: Neuordnung digitalpolitischer Zuständigkeiten die Zuständigkeiten zwischen den Bundesministerien. (Bundesregierung 2022)

    Darin strebt die Bundesregierung kein Digitalministerium an. Digitalisierung, wie auch nachhaltige Entwicklung, wird als Querschnittsaufgabe bei allen Ressorts angesiedelt. Die einzelnen Vorhaben der Digitalstrategie soll jedes Ressort „in eigener Verantwortung“ umsetzen. Dutzendhaft werden viele bedeutende Bereiche und Einzelprojekte einzelnen Ressorts zugeordnet. Für bestimmte Themen werden federführende Ressorts benannt.2 Viele Themen sind mehreren Ressorts zugeordnet, bspw. die Strategie „Künstliche Intelligenz“ dem BMBF, BMWK und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter Beteiligung aller Ressorts. Diese verteilten Zuständigkeiten sind politisch vielfach kritisiert worden. (siehe Deutscher Bundestag 2022d und 2023 sowie mit Verweis auf Empfehlungen des Bundesrechnungshofs Normenkontrollrat 2020: 13f)3 Auch wenn das Verkehrsministerium inzwischen „Digitales“ im Titel führt, koordiniert es nur die Digitalstrategie innerhalb der Bundesregierung. Festzuhalten ist: Es bleibt den einzelnen Ressorts überlassen, ob und wie sie beim Thema Digitalisierung den Bezug zu nachhaltiger Entwicklung aufnehmen.

    Der nachfolgende Abschnitt betrachtet, inwieweit sich die beiden Themen und ihre Verbindung in der Organisation der Ministerien und nachgeordneten Behörden abbilden. Dazu werden die Organigramme und Darstellungen der den Ministerien nachgeordneten Stellen untersucht. Anschließend werden 1 bis 10 Punkte danach verteilt, ob Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung in der Organisation als Thema auftauchen, ob die beiden Bereiche verknüpft sind und ob die nachgeordneten Behörden und die Ressortforschung die Themen und ihre Verknüpfung aufgenommen haben.

    Beispielhaft seien das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ; 10 Punkte) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF; 4 Punkte) näher erwähnt. Von den sieben Abteilungen des BMZ befasst sich in Abt. 1 „Globale Gesundheit“, „Beschäftigung“, „Transformation der Wirtschaft“, Digitalisierung, und „Ernährungssicherung“ eine Unterabteilung 11 mit „Transformation der Wirtschaft“, und Digitalisierung: das Referat 113 mit Digitalisierung und das Referat 111 mit „Nachhaltige Wirtschaftspolitik“. In Abt. 4 werden die Themen „Internationale Entwicklungspolitik“ und „Vereinte Nationen“, „Agenda 2030“, gesellschaftliche und ökologische Transformation sowie Klima behandelt.

    Im BMF gibt es in Abt. I „Finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen“ eine Unterabteilung A I C „Wachstumspolitik und Resilienz“, mit einem Referat I C 2 „Digitalisierung und moderne Gesellschaft“. Die Abt. II „Bundeshaushalt“ enthält Spiegelreferate zu den Ressorts, u.a. zu Digitales und Verkehr. Die Abt. VII „Finanzmarktpolitik“ befasst sich in Unterabteilung UA VII A mit der Bekämpfung illegaler Finanzflüsse, Sanktionen, digitalen Finanztechnologien und Referat VII A 3 ebenfalls mit „Digitale Finanztechnologien“ sowie mit „Zahlungsverkehr und Cyber-Sicherheit“. Nachhaltige Entwicklung als Finanzthema (Stichwort: sustainable finance) wird nicht betitelt.

    Grafik 2: Organisatorische Verankerung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung; eigene Darstellung des Autors

    Grafik 3: Programmatische und organisatorische Verankerung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung; eigene Darstellung des Autors

    1) Seit 2002 (Nachhaltigkeitsstrategie) bzw. seit 2014 (Digitale Agenda) bestehen übergreifende Programme der Bundesregierung, die die beiden Themen als Querschnittsthemen jeweils allen Ressorts zuweisen. Es gibt kein Ministerium, das nicht Aufgaben im Zusammenhang mit Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung hat. Trotz des langen Vorlaufs nehmen manche Ressorts das Thema nachhaltige Entwicklung bis heute nicht auf. Manche Ressorts bringen Digitalisierung nur mit ihren Ressortvorhaben in Verbindung. Eine inhaltliche Verbindung zieht nur eine Minderheit der Ministerien. In manchen Ressorts gilt es den Zusammenhang erst herzustellen. Zudem sehen wir erstaunliche Lücken: Es ist nicht erkennbar, wie das federführende BMDV die Aufgabe ausfüllt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und seit 2021 auch das BMWK sind wiederum zwar nicht federführend, scheinen sich allerdings zu mühen, die Verbindung in alle Ressorts zu tragen.4

    2) Wichtige Ressorts der Digitalisierung sind das BMDV und das BMI. Beide haben aber kaum eigene Ressortforschungskapazitäten. Andere Ressorts befassten sich 2019 mit Forschung zu Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung, so das BMBF, das BMZ und das BMUV. Hinzu trat als neuer Akteur das BMWK. Manche Ressorts nahmen zwar Digitalisierung in ihre Ressortforschung auf, aber stellen kaum den Bezug zum Thema nachhaltige Entwicklung her, so bspw. das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Die Folge ist, dass anspruchsvolle Projekte liegenbleiben, weil anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung fehlen. Beispiele sind die stockenden Fortschritte mit der digitalen Identität (bspw. elektronischer Personalausweis) und dem once-only-Prinzip (Bürger:innen sollen den Behörden bestimmte Standardinformationen nur noch einmal mitteilen müssen). Das federführende BMI betreibt hierzu keine systematische Forschung und selbst das BMBF hat diese Aspekte nicht oder kaum betrachtet. Es gilt somit nicht nur, das BMDV und das BMI zu Forschungsaktivitäten zur Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung zu veranlassen. Es muss in der Bundesregierung auch geklärt werden, dass jedes Ressort den Zusammenhang beforscht und dass es eine Koordinierung der Ressortforschung gibt.

    3) Den Ministerien sind jeweils etliche Behörden und Stellen nachgeordnet. Neben Vollzugsbehörden, etwa der Zollverwaltung, gibt es Sonderbehörden und Stiftungen sowie eine unüberschaubare Vielzahl von unselbständigen Beiräten, Zentren, Gruppen oder anderen Stellen, die die Ministerien beraten. Sobald eine komplexe Regierungsaufgabe auftaucht, ist es wichtig und legitim, dass die zuständigen Ministerien nachgeordnete Stellen schaffen, um diese Aufgabe zu bewältigen. Für die Megatrends Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung sowie deren Verbindung sind auf Bundesebene jedoch auch in dieser Hinsicht Lücken festzustellen. Seit 2014, als das erste umfassende Dokument der Bundesregierung erschien, bis zur jetzigen Regierungskoalition wurden kaum nachgeordnete Bundesbehörde geschaffen, die spezifisch auf die Digitalisierung ausgerichtet sind.5 [5] In der aktuellen Legislaturperiode wurden jedoch gleich einige Einrichtungen für einzelne Aspekte der Digitalisierung geschaffen. So im IT-Planungsrat die Föderale IT-Kooperation; des Weiteren sind in Gründung beim BMI ein Dateninstitut sowie ein Zentrum für Digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung (ZenDiS), beim BMBF die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) und die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien will ein Kompetenzzentrum Digitale Kultur gründen, mit einem Digitalgesetz des BMG soll die gematik GmbH zu einer Datenagentur weiterentwickelt werden – und das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) will ein Smart-City-Kompetenzzentrum einrichten. (Deutscher Bundestag 2022e)

    Bei dieser Vielzahl von Digitalinstitutionen fällt wiederum auf, dass in der Regel die Verbindung mit nachhaltiger Entwicklung nicht systematisch mitbedacht worden ist. Noch stärker fällt auf, dass es keine nachgeordnete Bundesbehörde oder sonstige Stelle gibt, die den Problemkreis Digitalisierung verfolgt und dabei einen Schwerpunkt auf Fragen nachhaltiger Entwicklung legt.

    Aus der Betrachtung ergibt sich, dass Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung seitens der politischen Ressorts zwar als Querschnittsaufgabe gesehen werden, und manche Ministerien greifen inhaltlich Aspekte beider Bereiche auch vorbildlich auf. Es zeigt sich aber, dass manche Ministerien die seit 2002 bestehenden Aufgabenstellungen gar nicht adressieren. Hier erkennen wir also eine bemerkenswerte Ignoranz.

    Eine Verbindung beider Themenkreise bzw. Aufgaben stellt ebenfalls eine Leerstelle dar. Sie ist nur bei wenigen Ministerien ersichtlich. Auch der Aufgabenkatalog nachgeordneter Stellen bildet in der Regel keine Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung ab.

    1. Momentan zeigt sich ein Trend, dass die Länder einvernehmlich auf ihre eigene IT-Zuständigkeit verzichten und mit Bundesmitteln eine bundeseinheitliche Lösung angestrebt wird. Ressortbeispiele: Inneres: Onlinezugangsgesetz, Cybersicherheit; Bau: Koordinierungs- und Transferstelle Smart Cities; Gesundheit: Telematikinfrastruktur durch gematik; Umwelt: Portal umwelt.info mit Aufbau eines Nationalen Zentrums für Umwelt- und Naturschutzinformationen. ↩︎
    2. Ausschnitthaft sind unter anderem als Zuständigkeiten genannt: Gigabitstrategie: BMDV; Digitale Verwaltungsmodernisierung und Onlinezugangsgesetz: BMI; Digitale Identitäten: Federführung BMI, Bundeskanzleramt, BMDV, BMF und BMWK; Nationale Datenstrategie: BMDV, BMI und BMWK; Potenzialflächenregister und Stadtentwicklungs- und Quartiersplanung: BMWSB; Strategie „Künstliche Intelligenz“: BMBF, BMWK und BMAS, Cybersicherheit: BMI, BMVg (Cyberverteidigung) und AA (Cyberdiplomatie). ↩︎
    3. Von Verbänden und in der Presse ist von Verantwortungsdiffusion die Rede. ↩︎
    4. Das BMUV legte 2019 eine umweltpolitische Digitalagenda vor mit dem Ziel, die Digitalisierung umweltfreundlich zu gestalten. Siehe auch zum Umsetzungsstand der Initiative Digitale Nachhaltigkeitsinnovationen: Deutscher Bundestag 2023a, S. 28f. ↩︎
    5. Ausnahme etwa beim BMI mit der Schaffung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. ↩︎

    Bitkom (2023): Digital Sustainability Summit 19. April 2023, https://www.bitkom.org/Digital-Sustainability-Summit [2.9.2023].

    Bits & Bäume (2022): Digitalisierung zukunftsfähig und nachhaltig gestalten. Politische Forderungen der Bits & Bäume 2022, https://bits-und-baeume.org/assets/images/pdfs/Bits_und_Baeume_Politische_Forderungen_deutsch.pdf [2.9.2023].

    BMBF (2019): Natürlich.Digital.Nachhaltig. Ein Aktionsplan des BMBF, Bonn: BMBF 2019.

    BMUV (2020): Umweltpolitische Digitalagenda. Bonn: BMUV 2020.

    Bundesregierung (2022): Digitalpolitik der Bundesregierung: Neuordnung digitalpolitischer Zuständigkeiten, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digitaler-aufbruch/digitalpolitik-2072890 [19.7.2023].

    Deutscher Bundestag (2021): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Anna Christmann, Dieter Janecek, Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestags-Drucksache 19/31827), 30.07.2021, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2022a): Ausschuss für Digitales, Öffentliche Anhörung, Tagesordnungspunkt: Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Protokoll-Nr. 20/22, 28.11.2022, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2022b): Deutscher Bundestag, Ausschuss für Digitales: Anhörung zum Thema „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ [Stream der Anhörung vom 28.11.2022], https://www.bundestag.de/ausschuesse/a23_digitales/Anhoerungen/921540-921540 [2.9.2023].

    Deutscher Bundestag (2022c): Unterrichtung durch die Bundesregierung: Digitalstrategie (Bundestags-Drucksache 20/3329), 05.09.2022, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2022d): Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Stillstand und unklare Zuständigkeiten in der Digitalpolitik beenden – Für eine ambitionierte und koordinierte Digitalstrategie (Bundestages-Drucksache 20/3493), 20.09.2022, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2022e): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Marc Bernhard, Dr. Marc Jongen, Roger Beckamp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Die Zukunft deutscher Smart-Cities-Projekte angesichts der Digitalstrategie (Bundestags-Drucksache 20/4944), 09.12.2022, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2023a): Umsetzungsstand der Digitalstrategie der von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP getragenen Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 20/7077), 31.05.2023, Berlin.

    Deutscher Bundestag (2023b): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Uwe Schulz und der Fraktion der AfD. Organisations- und Personalstrukturen der Bundesregierung im Bereich der Digitalpolitik (Bundestags-Drucksache 20/7421), 22.06.2023, Berlin.

    Generalversammlung der Vereinten Nationen (2015): Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, Resolution vom 25.9.2015 (Dokumenten-Nr. A/Res/70/1).

    Höfner, Anja/Frick, Vivian (Hg.): Was Bits und Bäume verbindet, München: oekom Verlag 2019.

    Langes, Barbara/Boes, Andreas (o.J.): Digitalisierung. In: Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation [Webseitentext o.J.], https://www.bidt.digital/?glossary=digitalisierung [2.9.2023].

    Mittelstand-Digital (2022): Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Mittelstand-Digital Magazin – Sonderausgabe Nachhaltigkeit. Bad Honnef: Mittelstand-Digital 2023, https://www.mittelstand-digital.de/MD/Redaktion/DE/Publikationen/Wissenschaft-trifft-Praxis/magazin-wissenschaft-trifft-praxis-sonderausgabe-Nachhaltigkeit-18.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [2.9.2023].

    Normenkontrollrat (2020): Monitor Digitale Verwaltung #4. Nationaler Normenkontrollrat: Berlin 2020.

    Santarius, Tilman/Lange, Stefan (2018): Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit, München: oekom Verlag 2018.

    Umweltbundsamt (2019): Digitalisierung nachhaltig gestalten, Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt 2019.

    Verband Kommunaler Unternehmen (2023): VKU gründet Task Force Digitale Daseinsvorsorge [Webseitentext 5.7.2023], https://www.vku.de/presse/pressemitteilungen/vku-gruendet-task-force-digitale-daseinsvorsorge/ [2.9.2023].

    Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2019): Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Berlin: WBGU 2019.

    Schrader, Christian (2024): Bemerkenswerte Ignoranz – die (fehlende) Verknüpfung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung auf Bundesebene. In: Verantwortungsblog. https://zevedi.de/bemerkenswerte-ignoranz-die-fehlende-verknuepfung-von-digitalisierung-und-nachhaltiger-entwicklung-auf-bundesebene/ [15.07.2024].
    https://doi.org/10.60805/07kx-1q15


    Christian Schrader
    war von 1994 bis 2022 Professor für Rechtsfragen der Technikentwicklung, mit den Teilgebieten Verfassungs-, Umwelt- und Technikrecht. Zuvor hatte er von Dezember 1990 bis Oktober 1991 das Referat Abfallrecht im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg aufgebaut und war von November 1991 bis Dezember 1993 Referent im Niedersächsischen Umweltministerium für Fragen des Atomrechts, Naturschutzrechts und fachübergreifenden Umweltrechts. Von 2012 bis 2021 war er zunächst stellvertretendes Mitglied, dann Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes.

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    Der ZEVEDI-Verantwortungsblog hat die Frage zum Gegenstand, wie gut es uns im Zusammenleben mit Digitaltechnologien geht. Er kommentiert die Ambivalenzen, die Steuerungsprobleme und die Vertretbarkeit des digitalen Wandels. Was an möglicherweise kritischen Technikfolgen (und Markteffekten) sollte man in den Blick nehmen und diskutieren? Wo sind Sorgen angebracht? Wie passt Digitalisierung zu Freiheit und Demokratie? Welche Regeln braucht eine digitale Gesellschaft? Wovon sollte – weil es kritisch werden könnte – die Rede sein?

    Es schreiben Autor:innen aus dem ZEVEDI-Netzwerk sowie Gäste darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert.

    DOI: 10.60805/5c9w-7n74
    ISSN:  2943-9124