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    Akzentfarbe: blau Autor: Viet Anh Nguyen Duc Verantwortungsblog

    Über Verantwortung im Computerspiel

    Lange Zeit wurde das Gaming mit Killerspiel-Debatten vereinseitigt. Das war falsch und unfair, denn die Community ist groß und komplex und Verantwortungsfragen werden allerorts verhandelt. Es ist längst an der Zeit für eine Neuausrichtung.

    Über Verantwortung im Computerspiel

    Lange Zeit wurde das Gaming mit Killerspiel-Debatten vereinseitigt. Das war falsch und unfair, denn die Community ist groß und komplex und Verantwortungsfragen werden allerorts verhandelt. Es ist längst an der Zeit für eine Neuausrichtung.

    Von Anh Viet Nguyen Duc | 01.08.2024

    Eine Person sitzt vor einem Bildschirm, aus dem eine Hand heraus ragt, die er schüttelt.
    Erstellt mit Adoba Firefly; Prompt: „Gamer vor einem Bildschirm, aus dem Bildschirm ragt eine Hand, sie reichen sich die Hände; color: blue and white“

    Aber gänzlich zu schweigen, ist selten eine gute Lösung, und wer weiß schon, ob die fragliche Diskussion nicht bald wieder aufkommt, so sehr wie sie sich in das öffentliche Gedächtnis eingebrannt hat. Da ist es dann doch besser, immerhin das Problem beim Namen zu nennen, um ein größeres Bewusstsein dafür zu schaffen, was hier schiefgelaufen ist, und so nicht wiederholt werden sollte. So werde ich nachfolgend zunächst ein paar Worte über die Killerspiel-Debatte verlieren, um dann aber auch andere, bessere Zugänge und Perspektiven anzuzeigen, von denen aus die Verantwortungsdimension dieses sehr vielschichtigen Mediums erschlossen werden kann. Dabei sollte eines klar sein: Es verbringen inzwischen mehr als drei Milliarden Menschen ihre Zeit mit Games,2 das heißt: sehr viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen halten sich in dieser Sphäre auf, was nicht nur viel Potenzial für ein gutes und schönes Miteinander birgt, sondern auch für zahlreiche Probleme und Konflikte. Da liegt es auf der Hand, dass hier auch über eine verantwortungsvolle Gestaltung dieses Mediums nachgedacht werden muss, und dafür brauchen wir unbedingt eine offene, vorurteilsfreie und sachlich geführte Debatte über Games!

    Viel ist hierüber diskutiert worden, wenig ist dabei herumgekommen, außer vielleicht der Gelegenheit dazu, die eigenen negativen Ansichten, Mutmaßungen und Gefühle gegenüber Computerspielen in der Öffentlichkeit zu bekunden. Zu der ohnehin schon weit verbreiteten Ansicht, man verschwende mit Games nur seine Zeit, kam nun die Sorge um eine extreme sittliche Verrohung hinzu, die im schlimmsten Fall in Amokläufen resultieren könne. Für letzteres hat man die sogenannten Killerspiele immer wieder verantwortlich gemacht: So etwa auch der damalige Bundesinnenminister de Maizière, der den Amoklauf in München von 2016 in einen direkten Zusammenhang mit den sogenannten Killerspielen stellte und auch über mögliche Verbote solcher Spiele nachdachte, als bekannt wurde, dass der Täter viel Zeit mit Counter-Strike verbracht hatte, also einem Ego-Shooter-Spiel, das von der USK für ab 16-Jährige freigegeben ist (vgl. Garbe 2020). Damit vertrat er gewiss keine Einzelmeinung, sondern die Meinung vieler, die sich von ähnlichen Sorgen leiten ließen, also Sorgen, die zumeist von Leuten stammen, die selbst kaum Erfahrung mit dem Spiel hatten.

    Alles in allem war diese Debatte weder fundiert noch fair, wie man bereits dem Framing des Killerspiels entnehmen kann. Fundiert war sie nicht, weil die Gegner der sogenannten Killerspiele sich gerne auf „viele Studien“, so etwa de Maizière, bezogen (Garbe 2020: 194), die ihre Ansichten von einer gewaltverherrlichenden Wirkung von Ego-Shootern bestätigen sollten, die es aber so nicht gab (vgl. ebd.) – man hatte wohl einfach intuitiv angenommen, dass es sie geben muss. Und fair war die Debatte ohnehin schon wegen ihrer Begrifflichkeiten nicht, weil sie dieser Ausdruck eigentlich keine Opposition zuließ in ihrem moralisch sehr einnehmenden Framing des Killerspiels genaugenommen keine sinnvollen Gegenpositionen zuließ, aus der eine faire und sachliche Debatte hätte entspringen können. So konnte und kann man unter diesem Framing nicht sinnvollerweise für Killerspiele sein: Aus Freiheit sich für Killerspiele zu entscheiden – das klingt in rhetorischer wie auch wohl moralischer Hinsicht genauso schlecht, wie etwa aus Freiheit für Verantwortungslosigkeit zu sein (und allein aus diesen Gründen sollte man mit dem Begriff der Verantwortung vorsichtig sein und schauen, dass man nicht hiermit nur seinen eigenen Standpunkt mit ethischer Rhetorik abpanzert).

    Um die Absurdität der Debatte sich vor Augen zu führen, genügt es, die Annahme von einer unmittelbaren, gewaltverherrlichenden Wirkung von Ego-Shootern nur ein wenig zu durchdenken: Die Idee einer technisch induzierten Stimulation von Gewalt zu unterstellen, würde bedeuten, dass Gamer grundsätzlich nicht in der Lage dazu seien, zwischen ‚Spiel‘ bzw. ‚Fiktion‘ und ‚Wirklichkeit‘ zu unterscheiden, dass es ihnen an einem Realitätssinn ermangele, und das ist eine absurde, ja im Grunde genommen die Urteilskraft aller Spielenden beleidigende Annahme, zumal dies dann auch zur Konsequenz hätte, dass wir auch über das Verbieten von Paintball oder Boxen nachzudenken hätten. Schließlich könnte man ja dann auch hier nie wissen, ob jemand nicht doch plötzlich die Grenze zur gewaltsamen Tat überschreitet. Ich verstehe, dass man es sich bei der Diskussion um Ego-Shooter nicht so einfach machen kann, indem man etwa jegliche Ego-Shooter-Effekte bestreitet. Aber was wirkt hier, wie und unter welchen Bedingungen? Sicher kann man sich vorstellen, dass etwa Soldat:innen mit Hemmungen, auf andere Menschen zu schießen, von möglichst realistischen Ego-Shootern Gebrauch machen könnten, um diese Hemmungen möglicherweise abzubauen, und man kann sich auch vorstellen, dass das dann irgendwie auch mal gelingen kann.3 Doch hierzu wäre eben das eigentliche Töten als beabsichtigter Zweck nötig, der gewissermaßen an den Shooter herangetragen wird. Diesen Zweck verfolgt der wesentliche Großteil der Ego-Shooter-Spielenden nun aber nicht, hier geht es um andere Dinge: Reflexe, Strategie und Competition, Nervenkitzel, Ekel- und Angsterleben, es geht um Zeitvertreib, Unterhaltung, Freude am Spiel. Und meinetwegen: Ich kann verstehen, dass man eine bestimmte Ausprägung von Männlichkeit, die sich da in den Ego-Shootern austobt, als problematisch erachtet – und hier bedürfte es einer dezidierten Männlichkeitskritik –, aber man muss auch sehen, dass sie nicht die einzigen Ego-Shooter-Spielenden sind, und dass der überwiegende Großteil unter ihnen völlig friedliche Zwecke beim Spielen verfolgt: Da wäre eine Geste der Entschuldigung in der öffentlichen Debatte angesichts der allgemeinen Stigmatisierung der Gamer, die aus der Killerspiel-Debatte folgte, durchaus angemessen gewesen und, wenn man so will, auch ein Zeichen von verantwortungsbewusster Kommunikation.

    Da gäbe es noch zahlreiche weitere Punkte, auf die man mit Blick auf die Killerspiel-Debatte eingehen könnte, etwa der Umstand, dass Gewalt ja auch nicht nur eine moralische, sondern auch eine ästhetische Dimension hat, für die es seit je auch in Film, Musik, Literatur, Kunst und Pornografie eine Faszination gegeben hat – und warum sollte es bei Games besonders fragwürdig sein, wenn sie sich mit dem Thema Gewalt und auf eine dem Medium spezifische Weise auseinandersetzen? Auch könnte man auf den Umstand hinweisen, dass der Jugendschutz in Deutschland im internationalen Vergleich sehr streng ist – einer der strengsten! – und dass es darüber hinaus auch ein Gesetz gibt, dass gewaltverherrlichende Spiele verbietet (vgl. Lorber 2020). Der Eindruck, den die Killerspiel-Debatte vermittelte, dass man es hierbei mit einem völlig unregulierten Bereich zu tun hätte, der außer Kontrolle gerät, stimmte nie. Das war nur Panikmache.4

     Aber gut, lassen wir die Debatte auf sich beruhen, man sollte sie nicht ernster nehmen, als man muss. In jedem Fall sollte an diesem Beispiel deutlich geworden sein, wie eine vermeintliche Verantwortungsdebatte über Games nicht geführt werden sollte, Vorurteile, Befangenheiten und gefühlsbasierten Mutmaßungen sollte man möglichst wenig Raum geben. Das war jedenfalls über viele Jahre hinweg so das Debattenklima um Games, das hat sich allerdings dann in den paar vergangenen Jahren entschieden gebessert. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann bezeichnete den 22. August 2017 als ein „bedeutendes Datum“ für die Games-Branche: An diesem Tag nämlich gab die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Eröffnungsrede zur gamescom-Messe in Köln, in der sie nicht nur das Innovationspotenzial von Games hervorhob, sondern auch deren „Status als Kulturgut“ (Zimmermann 2020: 178). Was bedeutet, dass Games seitdem klarerweise in den „Verantwortungsbereich der Kulturpolitik“ (ebd.) fallen und dementsprechend kulturpolitische Förderungen erfahren können, so ähnlich wie es in anderen Bereichen der Kultur wie der Musik, Film oder Theater der Fall ist.

    Kommen wir zur Frage, worin nun eigentlich die Möglichkeiten einer verantwortungsvollen Gestaltung von Games liegen könnte, und das ist bei diesem äußerst vielschichtigen Medium gar nicht so einfach zu beantworten. Ratsam ist es hierbei, nicht von außen auf das Phänomen zu blicken, sondern zu schauen, was da in den Games-Communities selbst unter dem Stichwort Verantwortung diskutiert wird. Und da wird man leicht fündig, es handelt sich hierbei um ein Thema, das längst – sagen wir mal: im guten Sinne – im Common-Sense angekommen ist und es lautet: Diversität. Zweifellos ein wichtiges Thema, sofern es sich hierbei nicht bloß um eine Marketingstrategie von Unternehmen handelt, sondern um einen ernst genommenen, ja die Leute vielleicht auch überfordernden Anspruch (game e.v. 2024a). Bei der Website von game, das ist der Verband der deutschen Games-Branche, findet sich jedenfalls unter dem Stichwort Verantwortung der Begriff der Diversität an erster Stelle genannt, danach kommt der Jugendschutz (USK) und dann Umweltschutz (bei letzterem werden Richtlinien für ein Ressourcen-schonenderes Entwickeln von Games bereitgestellt, s. game e.V. 2024b). Für alle drei unter Verantwortung aufgelisteten Punkte bietet der Verband Richtlinien, wobei die Richtlinie für Diversität auf diversitätsfreundlichere Arbeitsverhältnisse abzielt. Dies ist allerdings nicht die einzige Weise, wie der Diversitätsgedanke im Games-Kontext eingefordert werden kann. Auch lässt er sich auf Games selbst übertragen: Dann kommt hierin das Bewusstsein zum Ausdruck, dass Games in der Art, wie sie konzipiert werden, diskriminierend sein können, und dass man deswegen sich darum bemüht, Games zu entwickeln, die eben möglichst an einer Vielfalt von Menschen ausgerichtet sind (vgl. Möglich 2022). Ähnlich wie beim Film kann in diesen Kontexten dann auch der Repräsentationsgedanke eine entscheidende Rolle spielen, dass etwa die Hauptcharaktere eines Spiels eben auch mal BiPoC oder LGBTIQA+ sind. Letztlich haben Computerspiele auch als virtuelle Spiele den Charakter von öffentlichen Orten, weil sie eben von vielen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen genutzt werden, wie dies auch an öffentlichen Orten der Fall ist. Da gilt es diese öffentlichen, virtuellen Orte möglichst im Sinne eines guten, respektvollen Miteinanders zu gestalten, an denen rassistische, misogyne oder queerfeindliche Inhalte keinen Platz finden.

    Zweifellos hat man den Diversitätsgedanken missverstanden, wenn man ihn so interpretiert, als müsste jedes Game diesem Anspruch gerecht werden. Er ist eher als ein Anspruch zu verstehen, den Games-Entwickler:innen stets im Auge behalten sollten; und hier ist eben ihre Urteilskraft gefragt, ob sie es im Sinne der Konzeption ihres Computerspiels als nötig erachten, stereotypisierende oder gar diskriminierende Denkmuster zu reproduzieren oder nicht. Verlangt die Konzeption des Spiels von mir, dass ich etwa sexistische Frauenbilder bediene, so wie es ohnehin schon etliche Computerspiele tun? Gibt es einen spezifischen Grund, warum nur ‚weiße‘ Charaktere ausgewählt werden können, wenn das Spiel ohnehin viele Möglichkeiten zum Character-Design erlaubt? – Hier gibt es sehr viel Spielraum und an diesem Punkt kann das Einbeziehen des Diversitätsgedankens durchaus auch ein Ausdruck von verantwortungsbewussten Games-Entwickler:innen sein.

    Eine andere Weise, sich dem Verantwortungsthema innerhalb des Gaming-Bereichs anzunähern, besteht darin, danach zu fragen, inwiefern Games in der Art und Weise, wie sie entworfen sind, zu mehr Verantwortungsbewusstsein unter den Spielenden beitragen können, sei es im Umgang miteinander oder etwa mit Blick auf gesellschaftliche Probleme. Und da möchte ich gleich einfügen, dass man hierbei nicht allzu hohe Erwartungen haben sollte, da das Ziel beim Gaming ja nicht darin besteht, sich zu einem gesellschaftskritischen oder auch verantwortungsbewussteren Subjekt heranzubilden, sondern unterhalten zu werden. Gleichwohl sollte man den Beitrag von Games auch nicht unterschätzen, da sie außerordentlich viele Menschen erreichen, darunter eben auch sehr viele junge Menschen. Und diesen Beitrag kann man durchaus dann auch anerkennen, so wie es etwa auch bei jenem Typ von gesellschaftskritischen Kunstwerken der Fall ist, denen man ein ungeheures Potenzial attestiert, den Blick auf die Welt zu verändern. Und hier stellt in der Regel kaum jemand die Frage, ob dieses Potenzial nun bei den Betrachtenden dann tatsächlich in irgendeiner Weise auch wirksam wird: Die Idee, dass dies der Fall sein könnte, genügt, um gänzlich von der Bedeutung dieses Kunstwerks hingerissen zu sein.

    Was nun die Games betrifft, die das Potenzial haben könnten, Verantwortungsbewusstsein bei ihren Spielenden zu fördern, so wäre hierbei etwa an jene Sorte von Games zu denken, die in hohem Maße die Spielenden mit gesellschaftskritischen Themen konfrontieren, wie dies etwa bei Spec Ops: The Line der Fall ist, einem Militärshooter, der auf eine sehr emotional involvierende Weise die Schrecken des Krieges thematisiert. Eine Besonderheit dieses Spieles besteht darin, dass die Spielenden sich immer wieder mit der moralischen Fragwürdigkeit der Entscheidungen ihrer kriegerischen Spielfigur auseinandersetzen müssen, weil das Spiel ihnen permanent die brutalen Folgen des eigenen Handelns im Krieg vor Augen führt und dies unkommentiert lässt. Oder, um ein weiteres Beispiel anzuführen: Papers, Please. Bei diesem Spiel tauchen die Spielenden in die Rolle eines Grenzbeamten innerhalb eines totalitären Regimes ein, der unter Einsicht der vorgelegten Dokumente entscheiden muss, welche Reisenden er passieren lässt oder nicht. Auch hier werden die Spielenden immer wieder vor moralisch knifflige Entscheidungen gestellt, da es sich hierbei um einen repressiven Staat handelt. Oder, um noch ein ausgefalleneres Beispiel zu nehmen, Undertale, ein RPG (Role-Playing Game), das die Spielenden in die Rolle eines Kindes versetzt, das in einen Untergrund gefallen ist, und auf dem Weg zur Oberfläche zahlreichen Monstern begegnet. Das Besondere an dem Spiel besteht darin, dass das Spiel mit den gängigen Spielmechaniken von RPGs bricht, immer Feinde besiegen zu müssen, um stärker zu werden. Bei Undertale können die Spielenden die Monster ebenso töten, wie sie sich mit ihnen anfreunden können, und letzteres legt das Spiel auch nahe, da die Monster als sehr empathische, ängstliche und auch witzige Wesen dargestellt werden.

    Was allen drei hier erwähnten Spielen gemein ist, ist der Umstand, dass die Spielenden im Laufe des Spiels immer wieder vor moralischen Entscheidungen stehen und dann mit den aus der Entscheidung resultierenden Konsequenzen konfrontiert werden. Die Spiele legen es demnach ihren Spielenden nahe, einen Standpunkt einzunehmen, bei dem die Spielenden sich selbst in hohem Maße als verantwortlich dafür begreifen, was sie in dem jeweiligen Spiel tun. Ob diese Spiele nun wirklich dazu führen, dass die Spielenden sich dann im echten Leben auch für mehr Dinge verantwortlich fühlen und sich für eine bessere Welt engagieren, mag, wie erwähnt, dahingestellt sein; in jedem Fall geben diese Spiele einen Anreiz, hierüber nachzudenken und darin liegt eben ihr Beitrag.

    Eine weitere Sorte von Games, die das Verantwortungsbewusstsein der Spielenden steigern kann und in vielen Fällen auch darauf abzielt, fällt unter die Rubrik der sogenannten Serious Games. Diese werden nicht primär um der Unterhaltung willen gespielt, sondern sie dienen einem gewissen Lernzweck. Dabei kann das Lernziel beispielsweise darin bestehen, Umweltprobleme besser zu verstehen und auf spielerische Weise Lösungskompetenzen zur Handhabung jener Probleme zu entwickeln; dann kann man ganz klar davon sprechen, dass diese Spiele darauf abzielen, das Verantwortungsbewusstsein und das Engagement der Spielenden zu fördern.5

    Zweifellos können manchmal aber auch gänzlich unkritisch (oder auch: hinsichtlich allzu schlichter moralischer Urteile wenig reflexiv) ausgestaltete Games Spielende zu verantwortungsvollerem Handeln bewegen, und zwar durch den bloßen Umstand, dass die Spielenden bei bestimmten Games-Genres sich einander begegnen und miteinander bzw. gegeneinander spielen. Gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme sind hier erforderlich und dies ist nicht immer gegeben (insbesondere bei jenen Spielen, in denen ohnehin eine toxische Kommunikationskultur vorliegt), was dann beispielsweise die Spielenden selbst dazu veranlassen kann, die Probleme in den Communities offen anzusprechen und sich für einen respektvolleren Umgang einsetzen.6 Oder, um ein weiteres Beispiel für verantwortungsvolles Handeln unter Spielenden zu geben: Man übernimmt bei einem Online-Multiplayer Rollenspiel wie etwa World of Warcraft (WoW) eine führende Funktion innerhalb einer Gilde und kümmert sich um Organisationsfragen rund um das Spiel, auch was die Aufteilung von Gütern betrifft. Je nachdem, um was es sich für einen Typ von Games handelt, kann es als sein, dass man bestimmte Verpflichtungen gegenüber anderen Spielenden eingeht und dabei gewisse soziale Kompetenzen erwirbt, und dies gleichsam als ein Nebeneffekt des Miteinanderspielens. So ist es kein Zufall, wenn manche WoW-Spieler:innen sich darüber beklagen, dass es bei Bewerbungen eher nachteilig ist, in ihrem Lebenslauf ihre Tätigkeit innerhalb ihrer WoW-Gilde anzugeben, obwohl doch diese Tätigkeit der in der Gesellschaft weitaus anerkannteren Vereinstätigkeit an Arbeit und Verpflichtungen um nichts nachsteht (vgl. Bleckmann et al. 2012).

    Es ist schwierig, die vielfältigen Entwicklungen im Gaming Bereich im Auge zu behalten, doch wer hier mitreden will, sollte sich zumindest ein wenig auf diesen einlassen, auch um sich darüber klarer zu werden, dass es bei diesem enorm vielschichtigen Medium viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Die Tatsache, dass Games unlängst ein wichtiger Bestandteil unserer Lebenswelt geworden sind, an denen sich Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Bedürfnissen begegnen, legt es nahe, sie auch unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung zu untersuchen und nach Möglichkeiten einer verantwortungsvollen Gestaltung zu fragen. Eine Möglichkeit, Games verantwortungsvoll zu gestalten, kann darin bestehen, sich vom Diversitätsgedanken leiten zu lassen, indem man Games programmiert, die der Vielfältigkeit der Spielenden gerecht zu werden suchen, etwa indem man den Spielenden eine vielfältigere Auswahl von Spielcharakteren zur Verfügung stellt und gewisse Klischees und Stereotype bei ihrer Ausgestaltung meidet. Sodann können Games auch in dem Sinne verantwortungsbewusst gestaltet sein, dass sie selbst zu mehr Verantwortungsbewusstsein bei ihren Spielenden beitragen. Das kann der Fall bei jener Sorte von Games sein, die die Spielenden in hohen Maßen mit gesellschaftlichen Problemen konfrontieren und auch das eigene Verantwortlich-Sein zum Thema machen. Man kann hierbei aber auch an Serious Games denken, die ganz bewusst auf die Bildung ihrer Spielenden abzielen und sie dazu ermutigen, nach Lösungsansätzen etwa für Umweltprobleme zu suchen. Auch der Umstand, dass viele Spielende über Online-Games miteinander in Kontakt treten, kann die Spielenden dazu anregen, eine Art Gemeinsinn zu entwickeln, da man sich angesichts einer diskriminierenden oder toxischen Kommunikationskultur für ein besseres Miteinander engagiert, oder etwa, weil man beim Miteinanderspielen bestimmte Verpflichtungen eingeht und sich um die allgemeinen Belange seiner Gilde kümmert, wie es etwa auch in ähnlicher Weise bei Vereinen der Fall sein kann.

    Ein letzter Gedanke: Vergessen wir bei all dem Gesagten nicht, dass mit dem Begriff der Verantwortung immer auch etwas sehr Anspruchsvolles benannt ist, das in jedem Fall über das bloße Abarbeiten von bestimmten Richtlinien für verantwortungsvolleres Handeln hinausgeht. In diesem Sinne lässt es sich auch nicht planmäßig herbeiführen, etwa indem man die Blicke der Spielenden im Spiel auf Umweltprobleme lenkt oder sie spielerisch zu Lösungsansätzen ermutigt; wenn überhaupt, dann können Games Anreize oder Denkanstöße zu verantwortungsvollerem Handeln geben, mehr nicht, denn Verantwortung zu übernehmen geschieht aus Freiheit. Das zeigt sich insbesondere dort, wenn Unvorhergesehenes aus Verantwortung geschieht, und zwar weil man von seiner Urteilskraft Gebrauch macht und daraufhin Initiative zeigt. Ich denke hierbei etwa, um ein letztes Beispiel für eine verantwortungsvolle Gestaltung von Games anzuführen, an die Journalist:innen der finnischen Zeitung Helsingin Sanomat, die im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2023 dem Ego-Shooter-Spiel Counter-Strike eine völlig neue Wendung verliehen hatten: Diese richteten im Spiel ein Level ein, bei dem die Spielenden einen versteckten Raum betreten konnten, in dem Informationen zur Situation des Krieges in der Ukraine bereitgestellt wurden. Viele russische Counter-Strike-Spielende konnten auf diesem Weg zumindest zeitweilig die russische Zensur umgehen und sich einen Eindruck über die schreckliche Situation machen (Kogel 2023).

    1. Es ist nahezu unmöglich zu sagen, wann eine Debatte nun wirklich aufhört oder aufgehört hat, da es immer wieder vorkommen kann, dass eine Person diese Debatte durch ein paar prägnante Statements wieder befeuert. So erst letztes Jahr durch Eva Quadbeck, die den Gebrauch der vermeintlichen Killerspiele als einen einschlägigen Grund für die verschiedenen Ausschreitungen in der Silvesternacht 2023 angeführt hat, s. Grothaus 2023, Presseclub 2023 (21:51 Min). Rückblickend kann man bis jetzt jedoch sagen, dass die Hochphase der Debatte längst vorbei ist; siehe hierzu etwa Böhm 2015. ↩︎
    2. So etwa der letzte Jahresbericht der deutschen Games-Branche, s. game e.V. 2023, S. 28. ↩︎
    3. Die übliche Verwendung von Ego-Shooter im Militär ist eher die, dass sie dazu etwa auf Messen dazu genutzt werden, um neue Soldat:Innen zu gewinnen. Oder sie werden von Soldat:Innen selbst zur Entspannung gespielt, etwa wenn sie gerade Freizeit während ihrem Einsatz haben. Hierzu siehe (Haas 2017). ↩︎
    4. Einen solchen Eindruck etwa erweckte de Maizière im Kontext des Amoklaufs 2016 in München, wenn er in einem Zeitungsinterview seine eigene Verbotsforderung folgendermaßen einschränkte: „Ein Verbot ist in unserem freiheitlichen Rechtsstaat nicht der richtige Weg und wäre auch schwer umzusetzen“ (Garbe 2020: 194). ↩︎
    5. Für Spiel-Konzepte zum Klimawandel vgl. etwa Peterschmidt et al. 2022 sowie Climate Action 2024. ↩︎
    6. Dies gilt besonders für populäre, kompetitive Online-Spiele wie Dota 2 oder Valorant, in denen die Spielenden in zwei Teams zusammengewürfelt werden und gegeneinander antreten. Da der Sieg davon abhängig ist, wie gute die einzelnen Team-Mitglieder zusammenspielen, kommt es häufiger zu einer Freisetzung von verbalen Aggressionen frei (im Chat oder im Team-Speak), etwa wenn im Fall einer drohenden Niederlage vermeintlich Schuldige auf äußerst respektlose Weise angeprangert werden, vgl. ADL 2024. ↩︎

    ADL [=Anti Defamation Leage] (2024): Hate is No Game: Hate and Harassment in Online Games 2023 – Executive Report. New York, 06.02.2024, https://www.adl.org/resources/report/hate-no-game-hate-and-harassment-online-games-2023 [22.05.2024]

    Bleckmann, Paula/Jukschat, Nadine/Kruse, Jan (2012): Der virtuelle Geist des Kapitalismus oder: warum exzessives Computerspielverhalten Arbeit ist. In: ZQF 13. Jg., Heft 1-2/2012, S. 235–261.

    Böhm, Markus (2015): Was wurde aus der Killerspiel-Debatte? In: Spiegel Online, 25.09.2015. https://www.spiegel.de/netzwelt/games/ballerspiele-was-wurde-aus-der-killerspiel-debatte-a-1052941.html [22.05.2024]

    Climate Interactive (2024): Climate Action Simulation (Webseite), https://www.climateinteractive.org/climate-action-simulation/ [22.05.24]

    game – Verband der deutschen Games-Branche e.V. (2023): Jahresbericht der deutschen Games-Branche 2023. Berlin, 2023. Online via: https://www.game.de/publikationen/jahresreport-2023/ [22.05.2024]

    game – Verband der deutschen Games-Branche e.V. (2024a): Gemeinsame Erklärung der deutschen Games-Branche für mehr Diversität, https://hier-spielt-vielfalt.de [22.05.2024]

    game – Verband der deutschen Games-Branche e.V. (2024b): Themen – Verantwortung (Webseite), https://www.game.de/verantwortung/ [22.05.2024]

    Garbe, Andreas (2020): Killerspiele. In: Handbuch Gameskultur. Über die Kulturwelten von Games. Olaf Zimmermann/Felix Falk (Hrsg.): Berlin: Deutscher Kulturrat e.V. 2020, https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/12/HandbuchGameskultur.pdf [22.05.2024], S. 193-198.

    Grothaus, Benedict (2023): Journalistin belebt 2023 die Killerspiel-Debatte wieder: „Junge Männer sitzen vor diesen Spielen und jagen andere“. In: MeinMMO, 9.01.2023, https://mein-mmo.de/presseclub-eva-quadbeck-killerspiele/ [22.05.2024]

    Haas, Julia (2017): Wenn Soldaten Egoshooter zocken. In: Süddeutsche Zeitung Online, 6. Juni 2017, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/computerspiele-wenn-soldaten-egoshooter-zocken-1.3532225 [22.05.2024]

    Kogel, Dennis (2023): Mit Counterstrike gegen die russische Zensur. In: Kompressor, Deutschlandfunk Kultur, 04. Mai 2023. Online via: https://www.deutschlandfunkkultur.de/counterstrike-gegen-russische-zensur-versteckte-kriegsinformationen-in-games-dlf-kultur-e0d8f4b3-100.html [22.05.2024]

    Lorber, Martin (2020): Jugendschutz. In: Handbuch Gameskultur. Über die Kulturwelten von Games. Olaf Zimmermann/Felix Falk (Hrsg.): Berlin: Deutscher Kulturrat e.V. 2020, https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/12/HandbuchGameskultur.pdf [22.05.2024], S. 199-202.

    Möglich, Jana (2022): Diversität in digitalen Spielen – über alte Muster und neue Modelle. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Webseite), 28.03.2022, https://www.bpb.de/themen/kultur/digitale-spiele/504547/diversitaet-in-digitalen-spielen-ueber-alte-muster-und-neue-modelle/ [22.05.24]

    Peterschmidt, D/Flatow, Ira; Barish, Stephanie/Frierson, Dargan/McGregor, Jay (2022): Feeling Hopeless About Climate Change? Try Playing These Video Games. In: Science Friday, 12.08.2022, https://www.sciencefriday.com/segments/climate-change-video-games/ [22.05.2024]

    Presseclub (2023): Nach den Silvester-Krawallen: Was tun gegen die Gewalt? Phoenix, 8.1.2023, online via: https://www.youtube.com/watch?v=LjtT2wXKuM8 [22.05.2024]

    Zimmermann, Olaf (2020): Kulturpolitik. In: Handbuch Gameskultur. Über die Kulturwelten von Games. Olaf Zimmermann/Felix Falk (Hrsg.): Berlin: Deutscher Kulturrat e.V. 2020, https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/12/HandbuchGameskultur.pdf [22.05.2024], S. 177-181.

    Nguyen Duc, Anh Viet (2024): Über Verantwortung im Computerspiel. In: Verantwortungsblog. https://www.zevedi.de/ueber-verantwortung-im-computerspiel/ [01.08.2024].
    https://doi.org/10.60805/7hsn-h806


    Viet Anh Nguyen Duc
    ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der TU Darmstadt. Seine Themenschwerpunkte liegen im Bereich der philosophischen Ironie (Ironismus), der Technikphilosophie (insbesondere mit Blick auf Computerspiele) und der Sozialphilosophie.

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    DOI: 10.60805/5c9w-7n74
    ISSN:  2943-9124