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    Akzentfarbe: rot Autor: Eneia Dragomir Verantwortungsblog

    Eine App namens Blockchain

    Eine Lösung auf der Suche nach einem Problem – so eine Kritik an der Blockchain-Technologie. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte nachdem die erste Blockchain an den Start ging, ist der Hype verflogen – und kann die Suche nach zu lösenden Problemen in größerer Ruhe vor sich gehen. Ist die Bürgerbeteiligung ein solches Problem? Das wollte das Forschungsprojekt „BBBlockchain – blockchain-basierte Stadtentwicklung“ herausfinden.

    Eine App namens Blockchain
    Schwierigkeiten der Tokenizierung von Bürgerbeteiligungsprozessen

    Eine Lösung auf der Suche nach einem Problem – so eine Kritik an der Blockchain-Technologie. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte nachdem die erste Blockchain an den Start ging, ist der Hype verflogen – und kann die Suche nach zu lösenden Problemen in größerer Ruhe vor sich gehen. Ist die Bürgerbeteiligung ein solches Problem? Das wollte das Forschungsprojekt „BBBlockchain – blockchain-basierte Stadtentwicklung“ herausfinden.

    Von Eneia Dragomir | 15.05.2024

    Erstellt mit Adobe Firefly. Prompt: „illustration of digital blocks, connected by chain; style minimalistic; colors yellow and red“

    Blockchain – wer überhaupt davon gehört hat, wird den Begriff vermutlich mit Bitcoin, der ersten „Kryptowährung“ in Verbindung bringen. Der erste Anwendungsfall der verteilten Datenbank sollte ein Online-Bezahlsystem sein, das ohne vermittelnde Dritte, wie Privat- oder auch Zentralbanken, funktionieren sollte. Vertrauen müssen sollte man allein dem Code. Enthusiast:innen sahen nach 2008, nach der größten Finanzkrise seit den 1930er-Jahren, nicht nur die Revolutionierung des Finanzsystems kommen. Immer weitere Felder schienen vor einer blockchain-basierten Transformation zu stehen: die Verwaltung von Immobilien, das Management von Lieferketten, die Datenverwaltung im Gesundheitswesen oder die Durchführung von Wahlen. Das Internet selbst sollte sich zum blockchain-basierten „Web3“ weiterentwickeln und durch eine radikale Dezentralisierung das von großen Plattformen dominierte „Web2“ umkrempeln. Auch wenn sich die Blockchain-Technologie seitdem weiterentwickelt hat, ist die Revolution – bislang zumindest – ausgeblieben. Selbst im Finanzwesen. Warum?

    Der Abschlussbericht des Forschungsprojekts BBBlockchain – blockchain-basierte Stadtentwicklung gibt einen detaillierten Einblick darin, was einer Übertragung des vielversprechenden Blockchain-Ansatzes aus dem Feld der Kryptowährungen in einen sozialpolitisch brisanten Bereich im Wege steht. Es eignet sich damit als Beispiel dafür, was passiert, wenn die Blockchain und ihre Narrative mit der Realität konfrontiert werden.

    BBBlockchain war ein interdisziplinäres Projekt der Forschungsgruppen „Urban Resilience and Digitalization“ und „Distributed Security Infrastructure“, die am Einstein Center Digital Futures bzw. an der Technischen Universität Berlin angesiedelt waren. Es fand in Kooperation mit zwei landeseigenen Berliner Wohnungsgesellschaften statt. Ziel des Projekts war es, eine blockchain-basierte Lösung für die Probleme der Bürgerbeteiligung zu entwickeln bzw. die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes der Blockchain in Beteiligungsprozessen zu erforschen. (Ietto, Muth, Rabe, Tschorsch o.J.: 46, 30. Alle weiteren Verweise auf den Bericht nur noch mit Seitenangabe) Ausgangspunkt war folgende Beobachtung:

    „In the past, numerous urban participation processes suffered from a loss of trust. This caused a decline in citizens’ participation and trust. However, Blockchain technologies have attracted attention because they promise to be able to ensure trusted processes between untrusted parties.“ (14)

    Der Bericht zeichnet ein gemischtes Bild: Aufgrund des Verlusts von Vertrauen gehe die Teilnahme an Prozessen der Bürgerbeteiligung zurück. Gleichzeitig sei weithin anerkannt, dass die Beteiligung der Bürger:innen essenziell sei für die Verbesserung der Demokratie. Verwiesen wird auch darauf, dass staatliche Stellen solche Prozesse mit Nachdruck implementieren, um ihre Offenheit für ihre Bürger:innen zu demonstrieren. (14f) Und dennoch:

    „in practice, planning processes are often influenced by corporate and political actors whose interests differ largely from the democratic values of participatory planning. Distrust and the image of corruption have therefore become the default citizens‘ perception of urban development projects“. (15)

    Diese Problemanalyse legt den Fokus auf den Vertrauensverlust, den herkömmliche, analoge Formen der Bürgerbeteiligung erlitten hätten. Das Narrativ des Vertrauensverlusts stand schon am Beginn der Blockchain-Geschichte: der Verlust des Vertrauens in das Geldsystem, nachzulesen im White Paper des sagenumwobenen Satoshi Nakamoto. Es liegt folgerichtig nahe, zur Lösung dieses Problems eine Technologie einzusetzen, die verspricht, auf technischem Wege Vertrauen zwischen Parteien zu schaffen, die einander nicht über den Wegtrauen: Vertrauen durch Verfahren oder, wie es im Bericht auch heißt: „automatic trust“. (16) Doch wie genau soll die Blockchain das leisten?

    BBBlockchain wurde als dezentralisierte Ethereum-App entwickelt, die sowohl auf mobilen Geräten als auch in Desktop-Browsern läuft – also schlicht: als blockchain-basierte App. Genutzt wurde zunächst ein Ethereum-Testnetzwerk und nicht das Hauptnetz, da für Aktivitäten auf der Blockchain Gebühren anfallen, das Testnetz aber kostenfreie „Test-Coins“ ausgab. So konnte gebührenfrei mit der Gestaltung der App experimentiert werden. Dass eine geschlossene Gruppe von „Minern“, also eine Gruppe von Rechnern, die der Blockchain neue Blöcke anfügen kann, Manipulationen hätten vornehmen können, wurde von den Forschenden als geringe Gefahr eingestuft. Man vertraute schlicht darauf, dass sie nicht die Absicht hätten, „blockchain principles“ aufzugeben. 2020 wurde das Testnetz „geforked“: da das Testnetz instabil wurde und keine freien Test-Coins zu bekommen waren, wurde eine alternative Verzweigung des Netzes angelegt. Schließlich wurde eine eigene Blockchain aufgebaut, da das Testnetz 2022 geschlossen wurde. Dazu musste jedoch die gesamte alte Blockchain kopiert werden – ein erheblicher, aber notwendiger Mehraufwand, weil jede Veränderung bestehender Blöcke automatisch als Manipulation angezeigt wird.

    Die „mining power“, also die Berechtigung, der Kette neue Blöcke anzufügen, wurde unter den wichtigsten Stakeholdern des Forschungsprojekts aufgeteilt: einen Miner betrieb das Forschungsteam und die beiden beteiligten landeseigenen Wohnungsgesellschaften betrieben ebenfalls je einen Miner. Nur diese drei „nodes“ konnten neue Blöcke erstellen und eine Manipulation bestehender Blöcke war nur mit einer zweidrittel Mehrheit möglich. (19) Offensichtlich vertrauten die Forschenden darauf, dass die Wohnungsgesellschaften Blöcke nicht manipulieren wollen würden. Auch hier also: weniger „automatic trust“ als schlichter Pragmatismus.

    Schon beim Design der Blockchain trat allerdings ein Problem auf, ein Trade-off: Zwar kann man Blockchains so gestalten, dass darauf veröffentlichte Informationen zu jeder Zeit für alle zugänglich sind. Jedoch kann die technische Komplexität der Blockchain für technisch unerfahrene Nutzer:innen eine Hürde darstellen, die Information also wiederum unzugänglich machen. Die Lösung? Die Blockchain wurde hinter einer vertrauten Benutzeroberfläche versteckt: „BBBlockchain interface design keeps blockchain details hidden through an API sothat users are confronted with technical detail as little as possible.” (38)

    Für Benutzerinnen wirkte BBBlockchain also wie irgendeine App. Das war intendiert. Die App stellte Informationen im „timeline view“ dar, die neueste Information zuoberst. Damit orientierte man sich am „concept of a social media feed“. Nicht nur Mieterinnen und Anwohnerinnen, sondern auch den Nutzergruppen mit Schreibrechten (die man aus Furcht vor Missbrauch der App durch die beteiligten Bürgerinnen nur selektiv gewährte) mutete man Blockchain-Spezifika nicht zu. (20)

    Vor der blockchain-basierten Transformation der Bürgerbeteiligung bedurfte es einer Übersetzung bzw. Tokenizierung. Das Forschungsprojekt orientierte sich am IAP2 Spectrum Of Public Participation der International Association for Public Participation, das von öffentlichen Stellen verwendet werde und fünf Stufen der Partizipation vorsieht: Information der Öffentlichkeit (1), Befragung der Öffentlichkeit (2), aktiver Einbezug der Öffentlichkeit (3),
    Kollaboration mit der Öffentlichkeit (4) und in der letzten Stufen das „Empowerment“ der Öffentlichkeit, „where decision-making power is handed over to the public“. (15)

    Die blockchain-basierte Information der Öffentlichkeit war der erste Anwendungsfall, der im Pilotprojekt Kietzer Feld im Bezirk Treptow-Köpenick getestet wurde. Dort fand in zwei Projektphasen eine Nachverdichtung statt, im Zuge derer 301 Wohnungen sowie eine Tiefgarage und eine Kindertagesstätte entstehen sollten. Neben dem Forschungsteam, der Wohnungsgesellschaft und den Mieter:innen waren der Bezirk und der Mieterrat weitere Stakeholder des Pilotprojekts. Außer den Mieter:innen hatten alle Gruppen Schreibrechte. 39 der 45 Einträge, die im Rahmen des Pilotprojekts erfolgten, wurden von der
    Wohnungsgesellschaft erstellt. Alle anderen Gruppen mit Schreibrechten verfassten lediglich je zwei Einträge. (Eine partizipative Unwucht, die wohl nur schwerlich mit den „blockchain principles“ zu vereinen war.) Die mit dreizehn Einträgen häufigste Kategorie waren organisatorische und administrative Sachverhalte, wie Zeit und Ort von Veranstaltungen, Einladungen oder Grußworte. Zehn Einträge betrafen bereits gefallene Entscheidungen, wie Verträge, Genehmigungen oder die Ankündigung, dass Bäume gefällt werden. (26f)

    Wie sollte die Blockchain nun Vertrauen herstellen? Informationen, wie Nutzungspläne, Genehmigungen, Verträge etc., auf einer Blockchain abzulegen habe den Vorteil, dass sie für alle jederzeit zugänglich seien. Zudem würden die Informationen mit einem eindeutigen Zeitstempel (einem kryptografischen Hashwert) versehen und Änderungen wären nur als neue Einträge möglich. Jede Änderung bestehender Blöcke würde automatisch als Manipulation angezeigt. So könne sichergestellt werden, dass die auf der Blockchain abgelegte Information unverändert ist, wodurch sich eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Vorgänge ergeben würde. „This should improve the transparency per se“, so die Annahme. Verantwortlichkeiten würden sich so leichter klären lassen, vor allem im Konfliktfall. (22)

    Der blockchain-basierte Feldversuch bestätigte sie jedoch nicht. Die automatisierte Transparenz hatte unerwünschte Effekte – wiederum ein Trade-off: Zwar hatten Mieter:innen ein Bedürfnis nach Transparenz, die öffentliche Verwaltung hingegen ein Bedürfnis nach Vertraulichkeit. Schon aus rechtlichen Gründen konnten Informationen, wie urheberrechtlich geschütztes oder lizenziertes Material, persönliche Daten und Ähnliches, gerade nicht ohne Weiteres auf der Blockchain veröffentlicht – und unveränderlich gespeichert werden. (43) Vor allem die
    Unveränderlichkeit der abgelegten Information zeitigte ungewünschte Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Informationen, denn Stakeholder, wie die Wohnungsgesellschaften oder die öffentliche Verwaltung, hätten Informationen selektiver geteilt. (38) Da das Blockchain-Prinzip der maximalen Transparenz sich also in der Realität negativ auf die Transparenz auswirkte, wird im Bericht dazu geraten, das Ziel maximaler Transparenz durch die Bestimmung eines „angemessenen Levels an Transparenz“ zu ersetzen. (31, 38)

    Das war die Empfehlung. Konkret wurde dann tatsächlich die Offenheit der Blockchain eingeschränkt: Die Blockchain war zwar öffentlich einsehbar, es hatten jedoch nicht alle Schreibrechte und sie lief auf einem privaten Netzwerk, dessen drei „main nodes“ durch die Stakeholder mit Schreibrechten repräsentiert wurden. Diese Abweichungen vom Blockchain-Ideal war nötig, „to reduce the housing associations’ fear of losing control“. (44)

    Die zweite Stufe des gewählten Partizipationsmodells, Befragung der Öffentlichkeit, wurde als Umfragen tokenisiert, die zu verschiedenen Zeiten im Verlaufe des Projekts stattfanden. Die dritte und vierte Stufe des Modells, der aktive Einbezug sowie die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit, wurden als blockchain-basierte Abstimmungen tokenisiert. Dieser zweite BBBlockchain-Anwendungsfall wurde im Pilotprojekt „Bülow90“ in Kooperation mit einer anderen landeseigenen Wohnungsgesellschaft durchgeführt. Neben den Mieter:innen wurden auch Anwohner:innen (im Umkreis von einem Kilometer) in dieses Experiment einbezogen. (27f)

    Blockchain-Technologien würden Abstimmungs- und Wahlvorgängen größere Legitimität verleihen, insofern sie den daran Teilnehmenden ermöglichen, eine größere Rolle bei der Kontrolle des Vorgangs zu spielen, so die Theorie. Im Laufe des Pilotprojekts wurden drei Abstimmungen durchgeführt. Votieren konnte man, ob es eine Werkstatt, einen Waschraum, einen Fahrradparkplatz, einen Dachgarten oder eine Paketstation geben sollte oder, ob in einem Kiosk Alkohol und Zigaretten verkauft werden. (28)

    Der Abstimmungsvorgang wurde als „Smart Contract“ angelegt, also als Script, das automatisch eine Aktion ausführt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.1 Jede Stimme wurde auf der Blockchain gespeichert, ohne dass eine Instanz zwischengeschaltet werden musste und die Abstimmenden konnten unmittelbar überprüfen, ob ihre Stimme korrekt gezählt wurde. (22) Sie konnten die Blockchain dazu nutzen, mussten jedoch nicht, denn die Abgabe der Stimme sowie die Überprüfung, dass sie korrekt gezählt wurde, war über die App möglich. (41) Die Blockchain selbst blieb also auch bei diesem Anwendungsfall weitgehend „hidden“.

    Doch schon auf der konzeptuellen Ebene ergaben sich Probleme, vor allem im Hinblick auf die Feststellung der Berechtigungen. Zur eindeutigen Identifizierung hätten sensible Informationen auf der Blockchain gespeichert werden müssen – unveränderlich, bzw. unlöschbar. Die Unveränderbarkeit einmal veröffentlichter Daten gehört ja zu den Grundprinzipien der Blockchain. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sichert jedoch jeder Person ein „Recht auf Vergessenwerden“ (Art. 17) zu, also den Anspruch, dass personenbezogene Daten gelöscht und nicht weiterverbreitet werden. Zwar könne man durch Hashfunktionen personenbezogene Daten anonymisieren. Ob diese kryptografische Anonymisierung eine Löschung im Sinne der DSGVO darstelle, sei allerdings umstritten, so der Bericht. (22f) Ein weiterer Trade-off.

    Um das Problem zu entschärfen, wählte man den Weg, dass sich zur Abstimmung Aufgerufene mit einer E-Mail-Adresse verifizieren konnten. Dadurch wurde jedoch in Kauf genommen, dass Aufgerufene mehrere E-Mail-Adressen einreichen und mehrfach abstimmen oder auch Personen teilnehmen, die nicht berechtigt waren. (23) Um das Datenschutzproblem zu entschärfen, riskierte man also die Integrität des Abstimmungsvorgangs. (42)

    Gegenwärtig seien blockchain-basierte Abstimmungen, die verlässlich, transparent und anonym sind, nicht realisierbar, so der Bericht,

    „because of a number of issues presented by the intrinsic nature of blockchain technologies which include the complexity of the technology, an uncertain legislative context, public stakeholder needs, citizens and institutional resistance.” (42)

    Die fünfte Stufe des Partizipationsmodells, Empowerment, wurde als „participatory budget“, als Bürgerhaushalt, tokenisiert – und näherungsweise durch die Ausgabe von Token abgebildet. Das war der dritte Anwendungsfall des Forschungsprojekts. Der ausgegebene Token ermächtigte jedoch zu nicht viel mehr als zum Bezug eines Kaffees. Token werden im Bericht als „digital, countable and transferable assets” definiert, die ohne zentrale Akteure, wie Banken, gemanagt werden. (24) Der berühmteste und erste Krypto-Token ist der Bitcoin. In der Blockchain-Welt lassen sich die zu den Chains gehörigen Token tatsächlich als ein „participatory budget“ begreifen, insofern der Besitz von Token zur Mitbestimmung an der Ausgestaltung der jeweiligen Blockchain berechtigt – mit allen Problemen, die sich aus diesem Partizipationsmodell ergeben, nicht zuletzt der höchst ungleichen Verteilung der Token, die Kritiker:innen der Technologie immer wieder monieren. Im Rahmen des BBBlockchain-Projekts sollte mit den Token lediglich ein Anreiz zur Teilnahme an den Abtimmungen gesetzt werden. Es war also gar nicht beabsichtigt, den Token-Mechanismus als Mittel zur Übertragung von „decision-making power“ zu nutzen. Man könnte hier der Meinung sein, dass emanzipatorisches Potential verschenkte wurde, wo es tatsächlich vorhanden war.

    Eine Gefahr sahen die Forschenden darin, dass die Ausgabe eines Tokens mit monetärem Wert mit Sicherheitsrisiken verbunden ist: Dieser Wert wäre ein Grund für Angreifer:innen, die Blockchain zu hacken. Solche Angriffe durchziehen die Blockchain-Geschichte wie eine dichte Kette, wie die Krypto-Kritikerin Molly White auf ihrer Webseite Web3 is Going Just Great dokumentiert. Es hätten sich außerdem auch Fragen in Bezug auf die Geldwäschegesetzgebung ergeben.

    Man entschied sich daher, nur „non-fungible tokens“, NFTs, auszugeben, also nicht übertragbare Token, die, sobald eingelöst, auf der Blockchain gesperrt wurden. Diese Token konnten nur in den jeweiligen Beteiligungsprojekten und Nachbarschaftstreffen eingelöst werden bzw. in einem beteiligten Café. (24) In der Kosten-Nutzen-Rechnung der Bürger:innen fiel der Anreiz offensichtlich durch: Insgesamt erhielten 81 Teilnehmende einen NFT, den nur sechs Prozent von ihnen einlösten. (43)

    Am Anfang des Forschungsprojekts BBBlockchain – blockchain-basierte Stadtentwicklung stand das Versprechen, auf technologischem Wege Vertrauen zwischen Akteuren zu schaffen, die einander nicht trauen. Die Vertrauensfrage war offensichtlich komplizierter: Weil die Forscher:innen nicht darauf vertrauten, dass sich die Benutzer:innen die Blockchain-Technologie aneignen, versteckten sie sie hinter einer Benutzeroberfläche, die einem Social-Media-Feed glich. Auch wenn BBBlockchain eine blockchain-basierte App war, war es offensichtlich dieses vertraute Konzept, welches in den Umfragen überwiegend als leicht und intuitiv zu bedienen eingestuft wurde – Schlüsselwort: intuitiv. Das sind Blockchains immer noch nicht. Daher auch die abschließende Feststellung im Bericht: „such results are regardless of the fact that our App was built on blockchain“. (45)

    Auch in der Interaktion zwischen Mieter:innen und Wohnungsgesellschaft brachte die Blockchain nicht automatisiertes Vertrauen, sondern eher technisch-induziertes Misstrauen. Die Mieter:innen, um deren Partizipation es doch ging, wurden zwar im ersten Pilotprojekt informiert, erhielten aber aus Furcht vor Missbrauch der App keine Schreibrechte – als einzige Stakeholdergruppe. Man misstraute ihnen, doch was stand zu befürchten? Schlechte Rückmeldungen? Kritik? Auch auf der Seite der Wohnungsgesellschaften führte die Blockchain nicht zu offenerer Kommunikation, sondern zu mehr kommunikativer Vorsicht. Das lag vor allem an einem Feature der Blockchain: der Unveränderbarkeit der einmal veröffentlichten Information. Durch dieses Blockchain-Feature ergab sich auch ein möglicher Konflikt mit der DSGVO: Wenn die Blockchain so funktioniert, wie sie soll, dann gibt es kein „Recht auf Vergessen“. Man kann da ansetzen und überlegen, ob nicht nur dieses Recht, sondern auch die Möglichkeit der Korrektur etwas ist, dass nicht vorschnell als Manipulation diskreditiert werden sollte. Die Blockchain hat jedenfalls, auch aufgrund der im Realversuch notwendig gewordenen Abweichungen von den „blockchain principles“ , nicht zu mehr kommunikativer Partizipation geführt, sondern zu weniger. Das Ergebnis: „the BBBlockchain platform was little used by all stakeholder groups involved.”

    Was fehlte? „(A)n appropriate communication culture among the stakeholders“. (46) Es scheint also, als würde die Blockchain nicht automatisch eine solche Kommunikationskultur herbeiführen. Nach der Lektüre des Berichts wird deutlich: Sie muss zwischen den Akteuren ausgehandelt werden – ganz offensichtlich auf dem traditionellen Weg: Verantwortlichkeiten müssen bestimmt, mitunter auch erkämpft und die Frage muss geklärt werden, wer durch wen in welcher Form zur Verantwortung gezogen werden kann. Dabei hilft die Blockchain wenig.

    Kritiker:innen werfen der Blockchain vor, eine Lösung auf der Suche nach einem Problem zu sein. Die Bürgerbeteiligung gehört nicht zu diesen Problemen. Die Suche geht also weiter.

    1. Der Ethereum-Gründer Vitalik Buterin empfiehlt von „persistent scripts“ zu sprechen, da diese weder „smart“ noch „contracts“ seien, sondern ein Set automatisierter Regeln, die ohne menschliches Zutun funktionieren, vgl. dazu O’Dwyer 2023: 95, 284. ↩︎

    Ietto, Beatrice/Robert Muth/Jochen Rabe/Florian Tschorsch (o.J.): BBBlockchain: Blockchain-based Participation in Urban Development. Final Report, o.O.

    O’Dwyer, Rachel (2023): Token. The Future of Money in the Age of the Platform, London: Verso.

    Dragomir, Eneia (2024): Eine App namens Blockchain. Schwierigkeiten der Tokenizierung von Bürgerbeteiligungsprozessen. In: Verantwortungsblog. https://www.zevedi.de/eine-app-namens-blockchain-schwierigkeiten-der-tokenisierung-von-buergerbeteiligungsprozessenk/ [15.05.2024].


    Eneia Dragomir
    ist Redakteur für Wissenschafts-kommunikation bei ZEVEDI sowie Mitarbeiter im Diskursprojekt eFin & Demokratie. Er hat in Marburg und Zürich Geschichte, Soziologie und Philosophie studiert.

  • Über den Blog
    Der ZEVEDI-Verantwortungsblog hat die Frage zum Gegenstand, wie gut es uns im Zusammenleben mit Digitaltechnologien geht. Er kommentiert die Ambivalenzen, die Steuerungsprobleme und die Vertretbarkeit des digitalen Wandels. Was an möglicherweise kritischen Technikfolgen (und Markteffekten) sollte man in den Blick nehmen und diskutieren? Wo sind Sorgen angebracht? Wie passt Digitalisierung zu Freiheit und Demokratie? Welche Regeln braucht eine digitale Gesellschaft? Wovon sollte – weil es kritisch werden könnte – die Rede sein?

    Es schreiben Autor:innen aus dem ZEVEDI-Netzwerk sowie Gäste darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert.

    ISSN  2943-9124