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Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

31. Januar 2025

Die Ampelkoalition ist Geschichte und zu den Projekten, die durch das rot-grün-gelbe Dreierbündnis gestartet wurden, gehört die „Initiative Finanzielle Bildung“. Genauer gesagt, war es ein „gelbes“ Projekt. Finanzminister Christian Lindner und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, beide FDP, läuteten am 23. März 2023 auf einem Berliner Podium den „Aufbruch Finanzielle Bildung“ ein.1 Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Immer wieder kamen Sie auf die drei Eckpunkte ihrer Initiative zu sprechen. Demnach sollte die finanzielle Bildung in Deutschland 1. durch die Erarbeitung einer nationalen Finanzbildungsstrategie gestärkt werden. Das sollte in Zusammenarbeit mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder geschehen. Es sollte 2. eine „zentrale Finanzbildungsplattform“ geschaffen werden, um die vorhandenen sowie hinzuzunehmende Finanzbildungsangebote zu bündeln, für die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer:innen in „adressatengerechten Formaten“ bereitzustellen sowie die Vernetzung im Bereich der finanziellen Bildung zu fördern. 3. sollte die Forschung zu finanzieller Bildung gestärkt werden, um die Datengrundlage zu verbessern sowie um zukünftige bildungspolitische Maßnahmen „evidenzbasiert“ zu entwickeln.2Gemeinsame Pressemitteilung von BMF und BMBF: BMF und BMBF stellen Initiative Finanzielle Bildung vor , 23. März 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)

Ein erster kritischer Zwischenruf zur Initiative kam gewissermaßen postwendend vom Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz (PNFK), einem Zusammenschluss zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Netzwerk äußerte in seiner Stellungnahme zum Aufbruch die Befürchtung, dass gewachsene Strukturen in Gefahr sein könnten. Insbesondere seien die Belange „vulnerabler Gruppen“, also junger Menschen aus einkommensschwachen Familien, Geflüchteter und Senior:innen mit geringer Rente, unterrepräsentiert. Eine digitale Plattform, das einzige konkrete Projekt der Finanzbildungsinitiative, sei ungeeignet, um insbesondere diese Gruppen zu erreichen. Denn mit einer solchen Plattform werde die Informationsbeschaffung an diese Menschen delegiert und man laufe Gefahr, nur jene zu erreichen, die ohnehin für das Thema sensibilisiert seien.

Aufmerksamkeit für Finfluencer

Auf der Auftaktveranstaltung selbst wurden immer wieder „Finfluencer“ aufgerufen, Brücken zu den jungen Menschen zu bauen, beispielsweise der auf TikTok erfolgreiche Kamiar Bar Bar. Dieser war einer der wenigen Akteure aus dem Feld der Finanzbildung, die mit Lindner und Stark-Watzinger auf dem Podium sprachen. Finfluencer Bar Bar wurde als Vertreter dieser auf Social Media reichweitenstarken Vermittlung finanzieller Kompetenzen eine Viertelstunde nach Beginn der Veranstaltung zusammen mit Verena von Hugo, Vorständin im Bündnis ökonomische Bildung, auf die Bühne gebeten. Eine Dreiviertelstunde später kam auch Lorenzo Wienecke dazu, der mit seiner Initiative Jugendbildung seit 2017 Veranstaltungen an Schulen organisiert. Gegen Ende der Veranstaltung kam aus dem Publikum die Frage, ob die Verbraucherzentralen und ihr Bundesverband in die Initiative eingebunden würden.3Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März, 1:07:55-1:08:11. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Auch andere etablierte Akteure, beispielsweise der Schuldenberatung, der Sozialen Arbeit, der sozioökonomischen Bildung oder der politischen Bildung waren auf dem Podium nicht vertreten.

Schon in der Podiumszusammensetzung deutet sich eine mögliche Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung an, vor der das PNFK warnte. Mit den Verbraucherzentralen verwies das Netzwerk darauf, dass eine hohe Reichweite in den sozialen Medien noch kein Nachweis der Qualität sei. Einen etwas kritischeren Blick auf Finfluencer deutete auf dem Podium BaFin-Präsident Mark Branson an. Auf Nachfrage aus dem Publikum meinte er, es gebe auf Social Media Inhalte, die „gar nicht unschuldig“ seien.4Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:11:45ff. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Ausdrücklich kritisierte das PNFK in seiner Stellungnahme „Lindners verkürzten Blick“ auf das Themenfeld der Finanzbildung. Denn gerade in den Statements des Finanzministers ging es auffallend oft um die Chancen und die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts. Überhaupt war das Kürzel „ETF“ oft zu hören. So schloss das PNFK in seinem Statement, die „Förderung eines kritischen Verständnisses des Finanzwesens scheint bisher kein Bestandteil der Überlegungen und geplanten Strategie zu sein“.

Finanzbildung als politisches Projekt?

Im Oktober 2024 erschien die bisher ausführlichste Kritik der Initiative für finanzielle Bildung.5Thomas Höhne: Finanzbildung als politisches Projekt – Eine kritische Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung, OBS-Arbeitspapier 71, Frankfurt am Main, Oktober 2024. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025) Thomas Höhne, Erziehungswissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, stellt die Grundaussage seiner „kritischen Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung“ im Titel seiner Studie zugespitzt heraus: „Finanzbildung als politisches Projekt“. Die Finanzbildungsinitiative von BMF und BMBF verfolge primär eine „aktivierungspolitische“ und wirtschaftsliberale Zielsetzung: „Die Investitionsbereitschaft der Bevölkerung in Aktien soll erhöht werden“, so der Autor in der Pressemittelung zur Studie. Für dieses parteipolitische Anliegen der FDP werde die Finanzielle Bildung instrumentalisiert.

Höhne hebt hervor, das öffentliche Bemühen, eine geteilte Schirmherrschaft von BMF und BMBF herauszustreichen, verdecke die tatsächliche Dominanz des BMF in Konzeption und Ausgestaltung der Initiative. So wurde auf Anfrage der Unionsfraktion hin deutlich, dass das Finanzministerium die Federführung bei der nationalen Finanzbildungsstrategie und der Finanzbildungsplattform innehat.6Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU: Aktueller Stand der Initiative Finanzielle Bildung, Drucksache 20/9335, 15. November 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)
Das BMBF sei lediglich für die Förderung der Forschung zu finanzieller Bildung zuständig. Ihm komme damit die „fragwürdige Rolle“ zu, die Initiative als Bildungsprojekt zu legitimieren, so Höhne. Denn eine BMF-Kampagne für die Steigerung der Kapitalmarktteilnahme und für die Aktienrente wäre leicht unter „Ideologieverdacht“ geraten.

Die Finanzbildungsplattform macht Höhne als eigentlichen Kern des Projekts aus. Sie sei das Mittel zur Koordination und Steuerung der nationalen Finanzbildungsstrategie und damit für eine Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung. Die Webseite mitgeldundverstand.de ging Anfang Dezember 2023 online. Für seine Studie analysierte Höhne die Plattform sieben Monate später und fällte ein verheerendes Urteil: Nur 8% der angebotenen Inhalte seien als Bildungsmaterialien qualifizierbar. Ansonsten handele es sich um eine reine Informationsplattform. Selbst die wenigen Bildungsinhalte könnten teilweise einer bildungstheoretischen Bewertung nicht standhalten.

Höhne veranschaulicht das an einem Video. Das „FDP-Video“ sei „monoperspektivisch, bewertet die Schuldenbremse als durchgehend politisch, wirtschaftlich und moralisch legitimes politisches Handeln, demgegenüber jede Relativierung oder Infragestellung als nicht legitim“ dargestellt werde. Die Kontroversen zur Schuldenbremse, sei es in der Wissenschaft oder der Politik, werden nicht angedeutet. Würden die drei Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsenses angelegt – Überwältigungsverbot, Kontroversität, Adressatenorientierung –, wie sie für die Materialen der Bundeszentrale für politische Bildung gelten, sähe es schlecht aus: Die Einseitigkeit der Darstellungen widerspreche dem Kontroversitätsprinzip und die monoperspektivische Ausrichtung könne überwältigend wirken. Das Video gebe einseitig die Position der FDP zur Schuldenbremse wieder, so Höhne. Hier werde Parteienwerbung als Bildungsmaterial getarnt.

Attac Deutschland, die zusammen mit der gewerkschaftseigenen Otto-Brenner-Stiftung die Studie in Auftrag gegeben haben, hat mit der Veröffentlichung von Höhnes Analyse eine alternative Finanzbildungsplattform eingerichtet. Auf geldmitverstand.de sollen Materialien für eine kritische ökonomische Bildung gesammelt werden, die auf der Webseite des BMF fehlen. Dort finden sich Verlinkungen zu Inhalten von Attac, aber auch zu Materialien des Netzwerks Plurale Ökonomik, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Netzwerks Steuergerechtigkeit, des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt sowie zu verschiedenen Podcasts.

Das Festival für Finanzbildung

Seit der Analyse von Höhne hat sich auf mitgeldundverstand.de wenig getan. Hinzugekommen sind die Mitschnitte des Programms auf der Hauptbühne des „Festivals für Finanzbildung“, das Mitte Oktober 2024 stattgefunden hat, einem der letzten Lebenszeichen der Finanzbildungsinitiative. Auch hier ist auffällig oft von ETFs die Rede. Es ging teilweise gar skurril zu, als dafür geworben wurde, Finanzbildung neu zu denken, indem man mit einer App „im Duolingo-Stil“ zu investieren lernt. So könne vielleicht „ganz Deutschland süchtig nach finanzieller Bildung“ gemacht werden“7Julia Kruslin & Sophie Thurner: Finanzielle Bildung neu gedacht. Investieren im Duolingo-Stil, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024, 12:29ff (Zugriff 30. Januar 2025) Anders als beim Aufbruch im März 2023 waren auf dem Festival neben neueren Akteuren, Startups und Finfluencern auch etablierte Player wie das PNFK, die Caritas, die Volkshochschulen oder der Bundesverband der Verbraucherzentralen vertreten. Diese brachten ihre Expertise etwa in der Schuldenprävention oder der Qualitätskontrolle von Finanzbildungsinhalten ein.

Birgit Happel, Mitglied des PNFK-Vorstands, stellte die Notwendigkeit finanzieller sozialer Arbeit dar.8Birgit Happel: Finanzielle Soziale Arbeit. Empowerment für ein selbstbestimmtes Leben, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024 (Zugriff 30. Januar 2025). Ihr Vortrag, der letzte des Festivals, wirkt wie eine Veranstaltungskritik und ruft viele Punkte in Erinnerung, die das PNFK in seinem ersten Statement zur Finanzbildungsinitiative angemahnt hatte. So forderte Happel dazu auf, die finanzielle Grundbildung finanzschwacher Gruppen nicht aus den Augen zu verlieren, da sich die ohnehin großen finanziellen Ungleichheiten verfestigen würden, wenn der Fokus darauf liege, Bessergestellten Mut zur Eröffnung des ersten ETF-Sparplans zu machen. Und Frauen würden nicht nur durch fehlende Grundkenntnisse über das Funktionieren des Aktenmarktes ökonomisch belastet, sondern auch weil Care-Arbeit immer noch ganz überwiegend ihnen obliege und Kitaplätze Mangelware seien.

Parallelstrukturen und unzureichende Vernetzung

Zu den Mängeln dieser Initiative gehören nicht nur die kritisierten Verkürzungen, sondern insbesondere die ungenügende Vernetzung sowie Doppelspurigkeiten. Schon in seiner ersten Stellungnahme wies das PNFK auf den „Materialkompass“ des Bundesverbands der Verbraucherzentralen hin, mit dem qualitätsgesicherte Materialien zur finanziellen Bildung auffindbar gemacht werden – also das, was mitgeldundverstand.de eigentlich leisten soll. Nicolas Mantseris, ebenfalls Vorstandsmitglied des PNFK, wies in seinem Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung darauf hin, dass man mit der „FinKom“, der Finanzkompetenz-Infobörse, bereits seit Jahren ein kleines Format des Festivals organisiere. Es entsteht der Eindruck, dass Parallelstrukturen aufgebaut wurden, anstatt zu koordinieren und zu vernetzen, wie es im Rahmen der „Initiative Finanzielle Bildung“ immer wieder öffentlich behauptet wurde. Und ob diese Doppelstrukturen leisten können, was sie sollen, ist zweifelhaft.

Das droht auch mit der im Referentenentwurf von Anfang Oktober 2024 zum „Finanzbildungsstärkungsgesetz“ vorgeschlagenen Erweiterung der Stiftung „Geld und Währung“. Diese war 2002 eingerichtet worden, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung „stabilen Geldes“ zu erhalten und zu fördern. Die Stiftung soll um Finanzbildung erweitert werden und künftig „in enger Abstimmung mit den Stakeholdern“ die Umsetzung von bundesweiten Maßnahmen und Strategien zur Stärkung der finanziellen Bildung koordinieren und sogar eigene Finanzbildungsinhalte entwickeln.9 Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzbildung – Änderung des Gesetzes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ (Finanzbildungsstärkungsgesetz), Bundesfinanzministerium, 7. Oktober 2024. In seiner Stellungnahme zum Entwurf drückte das PNFK wiederum seine Sorge aus, dass bestehende Netzwerke und Akteure bedroht seien, wenn neue Netzwerke an diesen vorbei aufgebaut würden.10
Stellungnahme des Präventionsnetzwerkes Finanzkompetenz e.V.
zum Referentenentwurf des Finanzbildungsstärkungsgesetzes
, 17. Oktober 2024.

Von der ETF- zur Finanzbildung

Abschließend bleibt festzuhalten, dass eine bundesweite Finanzbildungsstrategie seit Jahren gefordert und dementsprechend auch grundsätzlich willkommen geheißen wird. Die Initiative für Finanzbildung der FDP-Ministerien ist bislang jedoch durch inhaltliche Verkürzungen, mangelnde Vernetzung und eine Onlineplattform aufgefallen, die weit hinter den Ankündigungen zurückbleibt. Es bleibt zu hoffen, dass eine kommende Regierung die konstruktive Kritik aufnimmt und auf der vorhandenen Expertise aufbaut, um einzulösen, was der damalige Finanzminister Christian Lindner auf der Auftaktveranstaltung im März 2023 versprochen hat: „Finanzielle Bildung ist nicht Vertrieb für die Finanzindustrie. Finanzielle Bildung ist nicht Indoktrination für irgendeine Form von Wirtschaftspolitik.“11Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:05.24-38. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025)

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Autor: Eneia Dragomir eFin-Blog Farbe: gelb

Worüber reden wir, wenn wir über Geldpolitik reden?

Worüber reden wir, wenn wir über Geldpolitik reden?

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

6. Mai 2024

Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ ist zu Beginn dieses Jahres bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen, deren Anliegen es bekanntlich ist, „Bürgerinnen und Bürger (zu) motivieren und (zu) befähigen, sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinander zu setzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen“. Dieses Anliegen ist auch dem von Aaron Sahr herausgegebenen Band anzumerken.

Schon in der Einleitung werden die Leser:innen durch den Herausgeber Aaron Sahr dazu eingeladen, „Geldpolitik“ nicht nur als Aufgabenfeld von Expertenkreisen zu verstehen, sondern als „Politik des Geldes“: „Gemeint sind damit die politischen Prozesse und Machtkonflikte zur Gestaltung und Umgestaltung der Geldordnung.“ (10) Im folgenden Glossar „geldpolitischer Begriffe“ wollen Florian Schmidt und Luca Kokol, Mitarbeiter:innen der von Sahr am Hamburger Institut für Sozialforschung geleiteten Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“, der „Sprache der Geldpolitik“ den „autoritativen Anschein“ nehmen und aufzeigen, wie grundlegend umstritten diese Begriffe tatsächlich sind. Das Glossar hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, möchte aber einen „Grundstock an Vokabeln“ liefern sowie „Neugier“ wecken und dazu aufmuntern, über Geldpolitik zu sprechen. Carolin Müller, ebenfalls Mitarbeiterin der Forschungsgruppe, möchte in ihrem Beitrag aufzeigen, warum Geld grundsätzlich politisch ist und inwiefern bestimmte wissenschaftliche und alltägliche Geldvorstellungen (bspw. Geld als Zahlungs-, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit, also als neutrales ökonomisches Werkzeug versus Geld als rechtlich abgesicherte Forderung gegen eine Geschäftsbank) bestimmte Geldordnungen rechtfertigen.

Institutionelle Arrangements

In einem zweiten Block geht es um konkretere institutionelle Arrangements: Isabel Feichtner, Professorin für Öffentliches und Wirtschaftsvölkerrecht, stellt in ihrem Beitrag dar, wie die in den Rechtswissenschaften vorherrschenden Geldvorstellungen (bspw., dass es Geld vor den Staaten gab), geldpolitische Festlegungen (wie rechtliche Regelung der Aufgabengebiete der Europäischen Zentralbank) „rationalisieren“. Die Politikökonomin Waltraud Schelkle stellt das „one-size-fits-none-Problem“ in den Mittelpunkt ihres Beitrags, also die Auseinandersetzung darüber, ob die Geldpolitik der EU bzw. der Europäischen Zentralbank bestimmte Länder oder Ländergruppen (Süd- oder „Weichwährungsländer“ versus Nord- oder „Hartwährungsländer“) bevorzugt. Eine systematische Bevor- oder Benachteiligung erkennt Schelkle nicht. Vielmehr sieht sie in den Kooperationen und Zusammenschlüssen Versuche der Länder, auf ein zunehmend krisenanfälliges Finanzsystem zu reagieren. Schelkle stellt auch eine Veränderung des Umgangs der EZB mit Kritik fest. Sei diese zunächst mit Verweis auf die eigene Expertise quittiert worden, sei mit zunehmender Kritik und im Gefolge der „unkonventionellen Geldpolitik“ der EZB in öffentlichen Statements von Direktoriumsmitgliedern die Sensibilität gegenüber der Wirkung dieser Politik stärker betont worden. Das geldpolitische Wirken westlicher Zentralbanken seit den 1970er-Jahren steht im Fokus des Beitrags von Leon Wansleben. Unter Rückgriff auf sozial-, politik- und geschichtswissenschaftliche Ansätze will der Soziologe den wirtschaftswissenschaftlich verengten Blick auf die Politik von Zentralbanken wieder erweitern: Deren Geldpolitik hätte immer schon verteilungspolitische Wirkung gehabt (insofern bestimmte soziale Gruppen stärker von ihr profitierten als andere) und das „Erwartungsmanagement“ sei spätestens dann zur expliziten Strategie geworden, als klar war, dass die Zentralbanken aufgrund der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken die Geldmenge nicht steuern konnten. Über den Leitzins (also den Zins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen können) würden Zentralbanken seither versuchen, auf die Erwartungen ökonomischer Akteure Einfluss zu nehmen. Wansleben will auch aufzeigen, dass Zentralbanken auf institutionelle Arrangements bzw. auf „institutionelle Macht“ angewiesen sind.

Geschichte und „Geopolitik des Geldes“

Der Umbruch in der internationalen Geldordnung bzw. die „Geopolitik des Geldes“ steht in zwei Beiträgen im Mittelpunkt. Andrea Binder rekonstruiert die wechselvolle Vorgeschichte der aktuellen internationalen Geldordnung, insbesondere die Entstehung und wachsende Bedeutung des Offshore-Finanzsystems. Nach dem Ende des „klassischen Goldstandards“ in Folge des Ersten Weltkriegs und der Entstehung des US-Dollar-dominierten Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, habe sich bereits in letzterem das gegenwärtige System angekündigt: mit einer starken Stellung privater Finanzakteure sowie von Wirtschaftskanzleien, deren Expertise aufgrund der Komplexität grenzüberschreitender Finanzkonstrukte wie dem „Eurodollar“ (ein außerhalb der USA geschöpfter Dollar, der anderem als US-Recht unterliegt) nötig wurde. Diese internationale Geldordnung, die nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der 1970er-Jahre vorherrschend wurde, befinde sich seinerseits seit der globalen Finanzkrise von 2008/9 sowie der folgenden Krisen im Umbruch. Einen solchen Umbruch in der „Geopolitik des Geldes“ identifiziert Sahr in seinem eigenen Beitrag im Zuge der internationalen Sanktionen gegen Russland, nach dem dieses die Ukraine überfallen hatte. Vor allem das „Einfrieren“ der Devisen der russischen Zentralbank habe die gegenwärtige internationale Finanzarchitektur erschüttert. Denn es sei sichtbar geworden, dass dieses Geld in nichts anderem als in Forderungen dieser Bank gegen Zentralbanken anderer Länder bestehen würde. Durch die Weigerung, diesen Forderungen nachzukommen, würde die Fragilität dieser Geldordnung zu Tage treten.  

Ein vierter Block greift historisch weiter aus- und zurück, um geldpolitische Umbrüche zu markieren. So arbeitet der Genfer Politökonom Lucas Haffert heraus, warum die Hyperinflation von 1923 so präsent in der deutschen „kollektiven Vorstellung“ sei und die Deflation, welche die Weltwirtschaftskrise von 1929 kennzeichnete, in den Schatten stellen konnte. Er verweist dabei einerseits auf die Tradierung durch Familie und vor allem durch die Schule, aber auch auf die soziale Dimension, insofern als die Hyperinflation das deutungsmächtige Bürgertum stärker traf als die Arbeiterschaft. Der Soziologe Jakob Feinig greift auf das Beispiel der Finanzierung der öffentlichen Wasserversorgung in New York City vor der Unabhängigkeit der USA zurück, um aufzuzeigen, dass Geldschöpfung zur Finanzierung großer öffentlicher Projekte selbstverständlich war. Auch zur Finanzierung des Bürgerkriegs hätten die Nordstaaten noch die später als „Greenbacks“ bezeichnete „Bürgerkriegswährung“ geschaffen. Das „Beschweigen des Geldes“ habe hingegen schon mit der Unabhängigkeit der USA begonnen, als den Bundestaaten die Möglichkeit genommen wurde, eigenes Geld zu schaffen, und sei vor allem unter Franklin D. Roosevelt verstärkt worden. Das englische „Silencing“ macht deutlicher als der deutsche Begriff, dass Feinig darunter gesellschaftliche Auseinandersetzungen versteht, im Zuge deren Geld nicht mehr als gestaltbares und für (gesellschafts)politische Zwecke einsetzbares Mittel verstanden worden wäre, sondern als „rätselhaftes Gebilde“, das außerhalb politischer Prozesse stehe. (246)

Krypto als neuer Goldstandard?

Der Beitrag von Florian Kern sticht aus dem Sammelband heraus, nicht nur, weil es der einzige Beitrag ist, der die Digitalisierung des Finanzsystems thematisiert, während diese in den anderen Beiträgen kaum Erwähnung findet. Kern stellt Kryptowährungen in den Fokus, erklärt diese kurz im Allgemeinen, um dann ein Szenario zu entwickeln, welche Rolle Kryptowährungen im Finanzsystem einnehmen könnten. Geschaffen als digitalisierte Antithese zum „Fiat-Standard“ (Fiat-Geld ist stoffwertloses Geld, das prinzipiell „auf Knopfdruck“ geschöpft werden kann), sei ein Krypto-Standard in Analogie zum Goldstandard vorstellbar. So wie Geldschöpfung zu Zeiten des Goldstandards durch Goldvorräte gedeckt (und beschränkt) wurde, sei es vorstellbar, dass die Geldschöpfung durch eine künstlich verknappte Kryptowährung wie Bitcoin gedeckt und beschränkt würde. Das würde jedoch die Probleme reproduzieren, die das Geldsystem zur Zeit des klassischen Goldstandards um 1900 hatte: Banken, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, könnten nicht durch Zentralbanken (und deren Geldschöpfung) gestützt werden. Die Skepsis von Verfechter:innen von Kryptowährungen gegen staatliche Eingriffe und gegen vermittelnde Akteure erklärt Kern durch einen Rückgriff auf religiöse Elemente, welche sich in den ökonomischen Theoriegebäuden etwa von Adam Smith oder später der österreichischen Schule und ihren Vertretern wie Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek finden würden: Während bei Smith die „unsichtbare Hand“ des Marktes einen solchen religiösen Restbestand darstelle, sei es im Falle der österreichischen Schule der Glaube an eine „spontane Ordnung“ von Märkten, die durch menschliche bzw. staatliche Eingriffe nur gestört werden könne. Diese Skepsis erkennt Kern auch in den Weltanschauungen der Krypto-Szene wieder. Anders als die anderen Autor:innen plädiert Kern weniger für eine Öffnung des Diskursraums, sondern – weitaus klassischer – für die Regulierung von Kryptowährungen.

Umbrüche und Einblicke

Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ wartet mit einem Kaleidoskop interessanter Einblicke in finanz- und geldpolitische Phänomene und Bereiche auf, in denen sich Umbrüche in der Vergangenheit ereignet haben und gegenwärtig abzeichnen. Vor allem die historisch zurückschauenden Beiträge, etwa jener Jakob Feinigs, stellen solche Umbrüche und alternative Geldpolitiken anschaulich dar. Der Band bietet auch einen Einblick in die in diesem Zusammenhang diskutierten geld- und finanztheoretischen Ansätze. Nicht erkennbar ist hingegen, inwiefern der Band über solche Einblicke hinaus auch die Systematik des gegenwärtigen Umbruchs der Geldpolitik erfasst. Nicht zu übersehen ist ebenso, dass der Sammelband durch sozial- und politökonomische Perspektiven bestimmt wird und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven fehlen. Zwar wird das Versprechen eingelöst, den Diskursraum zu öffnen, insofern alternative Ansätze und Perspektiven aufbereitet werden. Die Öffnung dieses Feldes gelingt insofern jedoch nur bedingt, als sich der Sammelband kaum als voraussetzungsarmen Einstieg in die aktuellen Debatten zum Umbruch der Geldpolitik eignet.

Sahr, Aaron (Hrsg): Geldpolitik im Umbruch, Schriftenreihe, Bd. 11064, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2024.
Herunterladbares Pdf hier.

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