Worüber reden wir, wenn wir über Geldpolitik reden?
Ein Beitrag von Eneia Dragomir
6. Mai 2024
Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ ist zu Beginn dieses Jahres bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen, deren Anliegen es bekanntlich ist, „Bürgerinnen und Bürger (zu) motivieren und (zu) befähigen, sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinander zu setzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen“. Dieses Anliegen ist auch dem von Aaron Sahr herausgegebenen Band anzumerken.
Schon in der Einleitung werden die Leser:innen durch den Herausgeber Aaron Sahr dazu eingeladen, „Geldpolitik“ nicht nur als Aufgabenfeld von Expertenkreisen zu verstehen, sondern als „Politik des Geldes“: „Gemeint sind damit die politischen Prozesse und Machtkonflikte zur Gestaltung und Umgestaltung der Geldordnung.“ (10) Im folgenden Glossar „geldpolitischer Begriffe“ wollen Florian Schmidt und Luca Kokol, Mitarbeiter:innen der von Sahr am Hamburger Institut für Sozialforschung geleiteten Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“, der „Sprache der Geldpolitik“ den „autoritativen Anschein“ nehmen und aufzeigen, wie grundlegend umstritten diese Begriffe tatsächlich sind. Das Glossar hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, möchte aber einen „Grundstock an Vokabeln“ liefern sowie „Neugier“ wecken und dazu aufmuntern, über Geldpolitik zu sprechen. Carolin Müller, ebenfalls Mitarbeiterin der Forschungsgruppe, möchte in ihrem Beitrag aufzeigen, warum Geld grundsätzlich politisch ist und inwiefern bestimmte wissenschaftliche und alltägliche Geldvorstellungen (bspw. Geld als Zahlungs-, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit, also als neutrales ökonomisches Werkzeug versus Geld als rechtlich abgesicherte Forderung gegen eine Geschäftsbank) bestimmte Geldordnungen rechtfertigen.
Institutionelle Arrangements
In einem zweiten Block geht es um konkretere institutionelle Arrangements: Isabel Feichtner, Professorin für Öffentliches und Wirtschaftsvölkerrecht, stellt in ihrem Beitrag dar, wie die in den Rechtswissenschaften vorherrschenden Geldvorstellungen (bspw., dass es Geld vor den Staaten gab), geldpolitische Festlegungen (wie rechtliche Regelung der Aufgabengebiete der Europäischen Zentralbank) „rationalisieren“. Die Politikökonomin Waltraud Schelkle stellt das „one-size-fits-none-Problem“ in den Mittelpunkt ihres Beitrags, also die Auseinandersetzung darüber, ob die Geldpolitik der EU bzw. der Europäischen Zentralbank bestimmte Länder oder Ländergruppen (Süd- oder „Weichwährungsländer“ versus Nord- oder „Hartwährungsländer“) bevorzugt. Eine systematische Bevor- oder Benachteiligung erkennt Schelkle nicht. Vielmehr sieht sie in den Kooperationen und Zusammenschlüssen Versuche der Länder, auf ein zunehmend krisenanfälliges Finanzsystem zu reagieren. Schelkle stellt auch eine Veränderung des Umgangs der EZB mit Kritik fest. Sei diese zunächst mit Verweis auf die eigene Expertise quittiert worden, sei mit zunehmender Kritik und im Gefolge der „unkonventionellen Geldpolitik“ der EZB in öffentlichen Statements von Direktoriumsmitgliedern die Sensibilität gegenüber der Wirkung dieser Politik stärker betont worden. Das geldpolitische Wirken westlicher Zentralbanken seit den 1970er-Jahren steht im Fokus des Beitrags von Leon Wansleben. Unter Rückgriff auf sozial-, politik- und geschichtswissenschaftliche Ansätze will der Soziologe den wirtschaftswissenschaftlich verengten Blick auf die Politik von Zentralbanken wieder erweitern: Deren Geldpolitik hätte immer schon verteilungspolitische Wirkung gehabt (insofern bestimmte soziale Gruppen stärker von ihr profitierten als andere) und das „Erwartungsmanagement“ sei spätestens dann zur expliziten Strategie geworden, als klar war, dass die Zentralbanken aufgrund der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken die Geldmenge nicht steuern konnten. Über den Leitzins (also den Zins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen können) würden Zentralbanken seither versuchen, auf die Erwartungen ökonomischer Akteure Einfluss zu nehmen. Wansleben will auch aufzeigen, dass Zentralbanken auf institutionelle Arrangements bzw. auf „institutionelle Macht“ angewiesen sind.
Geschichte und „Geopolitik des Geldes“
Der Umbruch in der internationalen Geldordnung bzw. die „Geopolitik des Geldes“ steht in zwei Beiträgen im Mittelpunkt. Andrea Binder rekonstruiert die wechselvolle Vorgeschichte der aktuellen internationalen Geldordnung, insbesondere die Entstehung und wachsende Bedeutung des Offshore-Finanzsystems. Nach dem Ende des „klassischen Goldstandards“ in Folge des Ersten Weltkriegs und der Entstehung des US-Dollar-dominierten Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, habe sich bereits in letzterem das gegenwärtige System angekündigt: mit einer starken Stellung privater Finanzakteure sowie von Wirtschaftskanzleien, deren Expertise aufgrund der Komplexität grenzüberschreitender Finanzkonstrukte wie dem „Eurodollar“ (ein außerhalb der USA geschöpfter Dollar, der anderem als US-Recht unterliegt) nötig wurde. Diese internationale Geldordnung, die nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der 1970er-Jahre vorherrschend wurde, befinde sich seinerseits seit der globalen Finanzkrise von 2008/9 sowie der folgenden Krisen im Umbruch. Einen solchen Umbruch in der „Geopolitik des Geldes“ identifiziert Sahr in seinem eigenen Beitrag im Zuge der internationalen Sanktionen gegen Russland, nach dem dieses die Ukraine überfallen hatte. Vor allem das „Einfrieren“ der Devisen der russischen Zentralbank habe die gegenwärtige internationale Finanzarchitektur erschüttert. Denn es sei sichtbar geworden, dass dieses Geld in nichts anderem als in Forderungen dieser Bank gegen Zentralbanken anderer Länder bestehen würde. Durch die Weigerung, diesen Forderungen nachzukommen, würde die Fragilität dieser Geldordnung zu Tage treten.
Ein vierter Block greift historisch weiter aus- und zurück, um geldpolitische Umbrüche zu markieren. So arbeitet der Genfer Politökonom Lucas Haffert heraus, warum die Hyperinflation von 1923 so präsent in der deutschen „kollektiven Vorstellung“ sei und die Deflation, welche die Weltwirtschaftskrise von 1929 kennzeichnete, in den Schatten stellen konnte. Er verweist dabei einerseits auf die Tradierung durch Familie und vor allem durch die Schule, aber auch auf die soziale Dimension, insofern als die Hyperinflation das deutungsmächtige Bürgertum stärker traf als die Arbeiterschaft. Der Soziologe Jakob Feinig greift auf das Beispiel der Finanzierung der öffentlichen Wasserversorgung in New York City vor der Unabhängigkeit der USA zurück, um aufzuzeigen, dass Geldschöpfung zur Finanzierung großer öffentlicher Projekte selbstverständlich war. Auch zur Finanzierung des Bürgerkriegs hätten die Nordstaaten noch die später als „Greenbacks“ bezeichnete „Bürgerkriegswährung“ geschaffen. Das „Beschweigen des Geldes“ habe hingegen schon mit der Unabhängigkeit der USA begonnen, als den Bundestaaten die Möglichkeit genommen wurde, eigenes Geld zu schaffen, und sei vor allem unter Franklin D. Roosevelt verstärkt worden. Das englische „Silencing“ macht deutlicher als der deutsche Begriff, dass Feinig darunter gesellschaftliche Auseinandersetzungen versteht, im Zuge deren Geld nicht mehr als gestaltbares und für (gesellschafts)politische Zwecke einsetzbares Mittel verstanden worden wäre, sondern als „rätselhaftes Gebilde“, das außerhalb politischer Prozesse stehe. (246)
Krypto als neuer Goldstandard?
Der Beitrag von Florian Kern sticht aus dem Sammelband heraus, nicht nur, weil es der einzige Beitrag ist, der die Digitalisierung des Finanzsystems thematisiert, während diese in den anderen Beiträgen kaum Erwähnung findet. Kern stellt Kryptowährungen in den Fokus, erklärt diese kurz im Allgemeinen, um dann ein Szenario zu entwickeln, welche Rolle Kryptowährungen im Finanzsystem einnehmen könnten. Geschaffen als digitalisierte Antithese zum „Fiat-Standard“ (Fiat-Geld ist stoffwertloses Geld, das prinzipiell „auf Knopfdruck“ geschöpft werden kann), sei ein Krypto-Standard in Analogie zum Goldstandard vorstellbar. So wie Geldschöpfung zu Zeiten des Goldstandards durch Goldvorräte gedeckt (und beschränkt) wurde, sei es vorstellbar, dass die Geldschöpfung durch eine künstlich verknappte Kryptowährung wie Bitcoin gedeckt und beschränkt würde. Das würde jedoch die Probleme reproduzieren, die das Geldsystem zur Zeit des klassischen Goldstandards um 1900 hatte: Banken, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, könnten nicht durch Zentralbanken (und deren Geldschöpfung) gestützt werden. Die Skepsis von Verfechter:innen von Kryptowährungen gegen staatliche Eingriffe und gegen vermittelnde Akteure erklärt Kern durch einen Rückgriff auf religiöse Elemente, welche sich in den ökonomischen Theoriegebäuden etwa von Adam Smith oder später der österreichischen Schule und ihren Vertretern wie Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek finden würden: Während bei Smith die „unsichtbare Hand“ des Marktes einen solchen religiösen Restbestand darstelle, sei es im Falle der österreichischen Schule der Glaube an eine „spontane Ordnung“ von Märkten, die durch menschliche bzw. staatliche Eingriffe nur gestört werden könne. Diese Skepsis erkennt Kern auch in den Weltanschauungen der Krypto-Szene wieder. Anders als die anderen Autor:innen plädiert Kern weniger für eine Öffnung des Diskursraums, sondern – weitaus klassischer – für die Regulierung von Kryptowährungen.
Umbrüche und Einblicke
Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ wartet mit einem Kaleidoskop interessanter Einblicke in finanz- und geldpolitische Phänomene und Bereiche auf, in denen sich Umbrüche in der Vergangenheit ereignet haben und gegenwärtig abzeichnen. Vor allem die historisch zurückschauenden Beiträge, etwa jener Jakob Feinigs, stellen solche Umbrüche und alternative Geldpolitiken anschaulich dar. Der Band bietet auch einen Einblick in die in diesem Zusammenhang diskutierten geld- und finanztheoretischen Ansätze. Nicht erkennbar ist hingegen, inwiefern der Band über solche Einblicke hinaus auch die Systematik des gegenwärtigen Umbruchs der Geldpolitik erfasst. Nicht zu übersehen ist ebenso, dass der Sammelband durch sozial- und politökonomische Perspektiven bestimmt wird und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven fehlen. Zwar wird das Versprechen eingelöst, den Diskursraum zu öffnen, insofern alternative Ansätze und Perspektiven aufbereitet werden. Die Öffnung dieses Feldes gelingt insofern jedoch nur bedingt, als sich der Sammelband kaum als voraussetzungsarmen Einstieg in die aktuellen Debatten zum Umbruch der Geldpolitik eignet.
Sahr, Aaron (Hrsg): Geldpolitik im Umbruch, Schriftenreihe, Bd. 11064, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2024.
Herunterladbares Pdf hier.
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