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Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: blau

Entscheidet Krypto die US-Wahl?

Entscheidet Krypto die US-Wahl?

Ein Beitrag von Erik Meyer

6. September 2024

Trump tritt auf einer Bitcoin-Konferenz auf und aus der Krypto-Branche fließen Millionen Dollar in Kampagnen zur Unterstützung genehmer Kandidierender. In den USA könnte ein Politikwechsel bei staatlicher Regulierung und offizieller Relevanz von Kryptowerten anstehen.

Sicher ist es schwierig, die Reden des republikanischen Präsidentschaftskandidaten als konsistente Formulierung eines politischen Programms zu analysieren. Aber es sind relevante symbolische Signale, die Donald Trump mit seinen Auftritten sendet. So auch beim Besuch einer dieser Veranstaltungen, die mit dem Begriff „Bitcoin-Konferenz“ nur unzureichend beschrieben werden können. Vielmehr handelt es sich um Events zwischen Festival und Verkaufsveranstaltung. Wer hier hinkommt, gehört gewissermaßen zur Community, die ja zuweilen quasi-religiöse Züge trägt. Dementsprechend verkündete Trump bei der wohl weltweit größten Bitcoin Conference Ende Juli in Nashville, Tennessee, ungeachtet früherer kritischer Positionen, eine frohe Pro-Bitcoin-Botschaft. Er scheint also – auf Wählerstimmen aus diesem Lager spekulierend – konvertiert oder wie es im Krypto-Jargon heißt orange-pilled.1Vgl. den Titel des Buches von Ijoma Mangold: Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist. München 2023.

Halten als Haltung

Im Fokus zumindest der deutschen Medienöffentlichkeit stand dabei die Ankündigung, im Falle eines Wahlsiegs eine strategische Bitcoin-Reserve anzulegen, also 100 Prozent aller Bitcoins zu behalten, die die US-Regierung derzeit besitzt oder in Zukunft erwirbt.2Gleichzeitig versprach er, während einer Präsidentschaft die Einführung digitalen Zentralbankgelds in den USA zu verhindern und alle betreffenden Vorbereitungen zu stoppen. Für eine Auflistung und Einordnung der zentralen Talking-Points seiner Rede siehe z.B. den Newsletter Cashless von Rich Turrin vom 29.7.2024 Damit bedient Trump ein zentrales Motiv der Szene, nämlich nicht auf Grundlage kurzfristiger Preisbewegungen zu handeln, sondern erworbene Coins langfristig zu halten. Diese Investitionsstrategie ist unter dem Titel HODL – vermutlich qua Tippfehler – zu einem mächtigen Meme avanciert, das gleichzeitig leidenschaftliche Hingabe und prinzipientreue Nervenstärke kommuniziert: Trump, der zukünftige HODLer-in-chief. Aus der Perspektive von Bitcoin-Besitzern wäre das auch die amtliche Anerkennung des Status ihrer Kryptowerte. Bitcoin wäre dann als ein Bestandteil der Währungsreserven zu verstehen, die womöglich die Zentralbank so wie Gold oder Devisen hält. Ein Szenario, das etwa in der Eurozone schwer vorstellbar ist, wo namhafte Vertreter der Europäischen Zentralbank darin ausschließlich ein durch finanzielle Fantasie getriebenes Spekulationsobjekt sehen.

Aber auch in Deutschland könnte die Forderung durchaus verfangen. Hier stand zuletzt die Veräußerung von fast 50.000 im Rahmen der Strafverfolgung beschlagnahmter Bitcoins im Fokus der Aufmerksamkeit. Mit dem Verkauf wollte die Sächsische Zentralstelle zur Verwahrung und Verwertung von virtuellen Währungen bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden nach eigener Darstellung verhindern, dass es zu einem Vermögensverlust durch den stark schwankenden Kurs kommt. Der Freistaat steht mit seiner als „Notveräußerung“ deklarierten Maßnahme demnach für einen anderen Verhaltensmodus, der als Fear of missing out (FOMO) charakterisiert werden kann. Auch ungewollt wird die öffentliche Hand so zum Player auf einem volatilen Markt, den sie durch Verkäufe dieser Größenordnung beeinflusst.

In Sachen „Krypto“ hat Donald Trump darüber hinaus nicht nur selbst mindestens eine Million Dollar in Kryptowerte investiert. Seine Ankündigung, nun selbst NFTs auf den Markt zu bringen, bewirbt er in einem Video mit dem Hinweis: „You know they call me the crypto president”.

Follow the Crypto

Einen ganz anderen Zugang zur Frage nach der Bedeutung von Krypto im aktuellen US-Wahlkampf bietet die politische Spendentätigkeit. Bereits im Mai hatte die Trump-Kampagne die Option implementiert, Spenden in Form von Kryptowerten anzunehmen. Bedeutsamer als das Fundraising mit Krypto ist aber die Einflussnahme durch von der Kryptobranche finanzierte Wahlkampffonds. Diesem Sujet widmet sich die für ihre krypto-kritische Ressource bekannte Molly White. Ihr neues, auf öffentlich zugänglichen Daten basierendes Online-Angebot heißt https://www.followthecrypto.org. Auch die zivilgesellschaftliche Organisation Public Citizen hat diese Angaben ausgewertet und einen Report dazu veröffentlicht. Demnach hat der größte betreffende Akteur zur Unterstützung von Krypto-Interessen Fairshake im Vergleich mit allen anderen Lobby-Organisationen dieses Typs bislang die meisten Spenden überhaupt eingesammelt, darunter etwa von der Kryptobörse Coinbase. Der aktuelle Stand in Millionen Dollar, woher das Geld kommt und wohin es zu welchem Zweck fließt, lässt sich unter https://www.followthecrypto.org fortlaufend aktualisiert nachvollziehen. Stand 5. September 2024 zählt Molly White insgesamt 174 Millionen Dollar, die so von der Krypto-Lobby zur Beeinflussung der US-Wahlen 2024 eingesammelt wurden. Eine klare Übereinkunft darüber, welche Kandidierenden auch abseits der Spitzenplätze unterstützt werden, gibt es seitens der Spender allerdings nicht. Vielmehr zog sich ein Großspender bereits zurück, weil ihm die bisherige Verteilung von Aufwendungen zu sehr auf die Absicherung einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus ausgerichtet schien.

Insofern wird deutlich, dass Krypto schon ein Faktor ist, der das politische Spiel in den Vereinigten Staaten beeinflusst. Dies konzedieren auch Vertreter:innen der Demokraten in einem im Netz zirkulierenden Brief an die Parteiführung und fordern u.a. das Thema positiv im Wahlprogramm aufzugreifen. Derweil hat sich nach der demokratischen Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris auch eine Unterstützergruppe „Crypto for Harris“ mit Branchenvertretern formiert. Also ist hier eine erste Annäherung zu konstatieren, die sich bislang aber nicht in entsprechenden programmatischen Aussagen niederschlägt. Sowohl Harris als auch ihr Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz stehen Digitalthemen sicher habituell aufgeschlossener als Joe Biden gegenüber. Allerdings sind von ihnen keine krypto-freundlichen Haltungen überliefert, sondern eher die Absicht zur Aktivierung von digitalen Potenzialen für die Staatstätigkeit sowie zur Einhegung von Big Tech. Überhaupt ist fraglich, ob die Regulierung von Kryptowerten ein Thema ist, das eine relevante Rolle für den Ausgang der Wahl spielt. Oder eben „nur“ special interest groups tangiert, die dementsprechend ihre Ressourcen zur Wahlkampfkommunikation mobilisieren. Und ob dies dann wahlentscheidend wird, hängt von vielen Faktoren ab, die sich kaum kalkulieren lassen.

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  • 1
    Vgl. den Titel des Buches von Ijoma Mangold: Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist. München 2023.
  • 2
    Gleichzeitig versprach er, während einer Präsidentschaft die Einführung digitalen Zentralbankgelds in den USA zu verhindern und alle betreffenden Vorbereitungen zu stoppen. Für eine Auflistung und Einordnung der zentralen Talking-Points seiner Rede siehe z.B. den Newsletter Cashless von Rich Turrin vom 29.7.2024
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Akzentfarbe: gelb Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

Maut – Digitales Bezahlen bei Reisen im Ausland

Maut – Digitales Bezahlen im Ausland

Ein Beitrag von Laura Grosser

26. August 2024

Sommerzeit ist Reisezeit – und das nicht nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn und Flugzeug, sondern häufig mit eigener oder gemieteter Motorisierung. Ob mit dem eigenen PKW (mit oder ohne Wohnwagen), Camper oder Motorrad, viele legen gerade in den Sommermonaten im In- und Ausland weite Strecken zurück in Gegenden, die sie für gewöhnlich nicht durchqueren. Dabei ist man nicht immer gebührenfrei auf den Straßen unterwegs: In bestimmten Autobahnabschnitten und Durchgangsstraßen, über manche Brücken und Pässe oder in gewissen Stadtteilen werden Mautgebühren verlangt. In insgesamt 24 Ländern Europas gibt es streckenabhängige Mauten, Vignettenpflicht und/ oder Sondermauten für Tunnel, Pässe oder Brücken. Das ist nichts Neues, übersichtlich kann man sich beispielsweise auf der Seite des ADAC informieren – und auch viele (digitale) Ländervignetten kaufen.1https://www.adac.de/reise-freizeit/maut-vignette/

Eine Straße windet sich durch eine Berglandschaft. Auf der rechten Fahrbahn erscheint eine Preisangabe von 50 Euro, Kronen oder anderem

Doch von Sommerurlaub zu Sommerurlaub fiel mir auf, dass sich die Bezahlweisen dieser Straßengebühren ändern. Mit Personal ausgestattete Mautstellen sieht man immer seltener, viele Mauthäuschen bleiben dauerhaft geschlossen. An manchen Stellen ist es unmöglich, die Gebühren bar zu entrichten. An anderen sind nur zwei von zehn dieser Stellen darauf ausgerichtet, lange Schlangen bilden sich vor ihnen. Den Nummernschildern entnehme ich, dass es vor allem Urlauber sind, die sich hier einreihen. Ob sie wohl auf Nummer sicher gehen wollen, dass der Bezahlvorgang funktioniert? Oder sehen sie sich lieber einem menschlichen Ansprechpartner gegenüber? Ein anderer Grund mag sein, dass sie nicht mehr Daten als nötig von sich übermitteln möchten. Alle anderen Bezahlmöglichkeiten sind maschinengestützt – mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen.

Die Vignette

Die Vignette ist die datenfreie Variante. Man klebt sie ans Auto, egal ob Privat- oder Mietwagen, es gibt keine Registrierung des Kennzeichens, keinen Vertrag. An Raststätten lässt sich gar bar bezahlen. Erst durch ihre Bestellung im Internet oder Kartenzahlung fallen Daten an. Allerdings wird sie mehr und mehr von ihrer digitalen Version abgelöst: die E-Vignette ist elektronisch mit dem Kennzeichen verknüpft. In der Schweiz kann man seit Februar 2024 so auch übers Internet direkt eine Vignette lösen, mit vorab 1,6 Millionen verkauften zeigt sich ein starker Trend.2https://www.blick.ch/wirtschaft/stichtag-am-1-februar-bereits-1-6-millionen-e-vignetten-im-umlauf-das-musst-du-wissen-id19372835.html

Die EC- oder Kreditkarte am Schalter

An Mautstellen wird gerade von Reisenden aus dem Ausland die Möglichkeit, mit EC- oder Kreditkarte zu bezahlen, nach der Barzahlung am häufigsten genutzt, wie ich der Einreihung in Schlangen vor Mautstellen beispielsweise in Frankreich entnehme. Wie bei jeder Kartenzahlung werden dadurch Daten generiert und übertragen, sodass nachverfolgbar ist, mit wessen Karte wann wo welcher Betrag gezahlt wurde. Welches spezifische Auto die Mautstrecke passiert, wird nicht registriert, nur Gewicht und Größe spielen für die Erhebung der Höhe der Maut eine Rolle. Von Vorteil ist das schnellere Prozedere. Bargeld in der jeweiligen Landeswährung muss nicht mit sich geführt werden, die Abbuchungen können auf dem eigenen Konto kontrolliert werden. Wird die Karte aber nicht angenommen, steht man vor einem Problem: wie aus der Schlange herauskommen und wen um Hilfe bitten?

Die Mautbox

Hat man eine Mautbox im Auto, die lediglich zur Erkennung gescannt wird, geht es noch schneller. Die Schranke öffnet sich bereits beim Anrollen. Und ebenso automatisiert werden die Gebühren abgebucht. Die Schnelligkeit der Durchfahrt wird allerdings auch mit Daten bezahlt: Es gibt eine Aufstellung, wo man wann auf Mautstrecken gefahren ist, das Kennzeichen des eigenen Fahrzeugs oder von mehreren, auch Mietwagen, werden registriert, und man muss seine Mailadresse, Kontodaten und Anschrift zur Versendung der Mautbox angeben. Zudem muss ein sich automatisch verlängernder Jahresvertrag abgeschlossen werden. Mautboxzwang gibt es für reisende Urlauber in kleinen Fahrzeugen nirgends, es bleibt eine Option (anders für LKW oder vergleichbar große Urlaubsgefährte).

ANPR-Kameras – Bezahlen im Internet oder über Apps

In meinem Norwegenurlaub habe ich im großen Stil eine neue Erfahrung gemacht: Überall wimmelt es  von ANPR-Kameras. Nicht nur auf Autobahnen, auch auf kleineren Landstraßen, Fähren und auf Parkplätzen. ANPR steht für „Automatic Number Plate Recognition“ – die Kennzeichen werden gescannt und somit registriert, wer wann welche Straße nimmt, welche Fähre man nimmt oder wo man parkt. An den großen Fährstationen mit Vorabbuchung wurde ich so von den Kontrolleuren bereits mit Namen gegrüßt. Denn schon bei der Anfahrt sind für sie im Kontrollhäuschen alle relevanten Daten einsehbar.

Die dadurch beschleunigten Abläufe sind mir durchaus willkommen, ein seltsameres Gefühl kommt auf, wenn man auf einen Parkplatz einbiegt und sogleich auf einer großen Anzeige mit Kennzeichen – also immerhin nicht mit Namen – begrüßt wird. Sofort weiß man: Ich bin registriert, der Parkplatz wird überwacht. Und: die Gebühren werden auf jeden Fall eingetrieben. Aber wie? Nicht immer ist es möglich, mit Bargeld an einem Automaten zu bezahlen. Ich hatte auch schon die leidige Erfahrung, gemeinsam mit Urlaubern aus einem anderen Land vor einem Automaten zu verzweifeln, da zunächst keine unserer Karten angenommen wurde. Was passiert, wenn man wegfährt, ohne, dass man bezahlen konnte? Die Kameras hatten das Kennzeichen registriert, wie sich den Bildschirmen bei der Einfahrt entnehmen ließ, bezahlen muss man unweigerlich. Doch wie hoch die Strafe ausfallen würde, konnte man keinem Schild entnehmen. Ebensowenig, ab wann eine Gebühr anfällt – bereits wenn man eine Runde über den Parkplatz dreht, sich aber doch umentscheidet oder schlicht keinen geeigneten Platz für sein Wohnmobil findet? In meinem Urlaub ist alles nochmal gut gegangen, aber es bauten sich Hemmungen auf, mit ANPR-Technologien operierende Parkplätze anzusteuern.

Zumindest, wenn man sich nicht auf den verknüpften Apps angemeldet hat. Diese können von Parkplatzbetreiber zu Parkplatzbetreiber variieren, sodass sich am Ende des Urlaubs eine Unzahl an Apps anhäufen kann, die Kennzeichen und Kreditkarte zur automatischen Abbuchung der Gebühren hinterlegt haben. Was aber die Straßen- und Fährgebühren in Norwegen und Schweden betrifft, stellte diese Bezahlweise einen Segen für einen entspannten Urlaub dar: Über die App Epass24 werden alle Gebühren bezahlt. Sind Kennzeichen und Kreditkarte einmal hinterlegt, wird die Maut einmal monatlich abgebucht. Auf den ersten Blick schlicht und einfach, auf den zweiten frage ich mich: Wo habe ich überhaupt in welcher Höhe für Überfahrten, Brückenüberquerungen und Straßennutzungen zahlen müssen? Denn es wird nur ein Gesamtbetrag am Ende abgebucht, nur die Fährkosten werden separat gelistet, aber ebenfalls nicht aufgeschlüsselt. Für wen ist es allerdings wie lange einseh- und rückverfolgbar? Welche Daten werden an wen übermittelt? Schließlich hat Epass24 neben Kennzeichen, Bezahlinformationen und Gebührenauflistung auch Name und Adresse, E-Mail-Adresse sowie Fahrzeugmodell und bei Verstößen gegen die Verkehrsordnung auch Fotos. Verschiedene Mautbetreiber nutzen die Dienste von Epass24, 3https://www.epass24.com/de/the-toll-operators/ die Daten werden auch zu Analysezwecken genutzt. Natürlich räumt Epass24 das zustehende Recht ein, die persönlichen Daten einzusehen und zu löschen, scheint sie aber so lange wie möglich zu speichern.4 https://www.epass24.com/data-protection-policy/ Entziehen kann man sich der Datenerhebung nicht, wenn man in Ländern wie Norwegen im Urlaub unterwegs ist.

Die Maut der Zukunft

Die Digitalisierung des Bezahlvorgangs von Mautgebühren ist so immer weiter auf dem Vormarsch. Die Fragen des Datenschutzes und der Transparenz sollten allerdings lauter gestellt werden, gerade weil man sich diesem Trend immer weniger entziehen kann. Mit Personal besetzte Mautstellen werden seltener, da sie einen Kostenfaktor darstellen, den Verkehr verlangsamen und Staus verursachen. Es ist nachvollziehbar, dass es sich wirtschaftlich und infrastrukturell lohnt, die Gebührenzahlung zu digitalisieren. Die Online-Registrierung der Fahrzeugtypen hat auch den Vorteil, dass Gebühren individuell angepasst werden können. Nicht nur die Kategorisierung in Motorrad, PKW, Bus und LKW kann hier wie bislang entscheidend sein, auf manchen Strecken oder Parkplätzen müssen Elektrofahrzeuge oder mit Wasserstoff betriebene Autos sowie PKW mit besonders niedrigen Emissionen keine Gebühren bezahlen. So können auch politische Interventionen und Fördermaßnahmen durch die Digitalisierung des Mautwesens leichter durchgeführt werden. Die Zukunft des Entrichtens von Mautgebühren liegt definitiv in digitalen Bezahlvorgängen.

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Autor: Marie Bröckling eFin-Blog Farbe: blau Mercator-Journalists in Residence

Wie die deutsche Justiz beschlagnahmtes Kryptogeld verkauft

Wie die deutsche Justiz beschlagnahmtes Kryptogeld verkauft

Ein Beitrag von Marie Bröckling

8. August 2024

Kryptowährungen gewinnen an Beliebtheit, auch bei illegalen Geschäften. Wird ein Täter gefasst, landen die Coins bei der deutschen Justiz. Doch was tun mit den unbeständigen, aber oft wertvollen Kryptowerten?

Wenn Ermittler:innen einen Darknet-Marktplatz hochnehmen, passiert es immer wieder, dass sie bei der Durchsuchung nebenbei Bitcoins entdecken, die viel wert sind und womöglich noch im Wert steigen werden. „Kryptos spielen eine Rolle als Tatmittel, Tatbeute und Tatobjekt“, erklärt Sebastian Büchner, Oberstaatsanwalt in Berlin. Vor allem bei Cybercrime-Ermittlungen der letzten zehn Jahre wurden Kryptowerte sichergestellt. Eingeleitet werden diese Ermittlungen meist wegen anderer Straftaten wie Drogen- und Waffenhandel im Darknet, Geldwäsche oder Betrug. Kryptowerte werden dabei beispielsweise als anonymes Zahlungsmittel genutzt. 

Auf den ersten Blick funktioniert Kryptogeld ähnlich wie Bargeld: Es erlaubt Zahlungen ohne dass Käufer und Verkäufer persönliche Daten austauschen müssen, etwa Name oder Herkunftsland. Bei Bitcoin wird jedoch jede Transaktion auf der Blockchain gespeichert. In diesem Sinne hinterlassen illegale Geschäfte, die mit Kryptowerten bezahlt wurden, mehr (digitale) Spuren als Bargeld. 

Noch nie wurden in Deutschland so viele Kryptowerte sichergestellt wie aktuell. 2023 beschlagnahmte die deutsche Polizei auf einen Schlag 44 Millionen Euro in Bitcoin, ein Rekord. Hintergrund waren Ermittlunggen gegen die Betreiber von ChipMixer wegen Geldwäsche. Nur ein Jahr später folgte der nächste Rekord: Im Januar 2024 wurden in Sachsen im Zusammenhang mit Ermittlungen zur Plattform für illegale Raubkopien movie2k.to Bitcoins im Milliardenwert sichergestellt. Deutschland galt kurzzeitig als einer der größten Bitcoin-Besitzer weltweit. Das stellt die Behörden vor neue Herausforderungen. Da Kryptos oft nur als Nebenprodukte in größeren Ermittlungen auftauchen, war lange unklar, wie die Staatsanwaltschaft sie sicherstellen und behandeln soll. Verwahren, verkaufen, versteigern – und falls ja, wann? 

Meine Recherchen im Rahmen der Mercator- Journalist- Residency zeigen, wieviel Kryptowerte in Deutschland durch Justizbehörden verkauft wurden und welche unerwarteten Vorteile die Kryptobörsen für die Polizei- und Justizbehörden bringen.

Große Unterschiede zwischen den Bundesländern

Besonders früh dran beim Verkauf von Kryptos war Sachsen. Bereits im Jahr 2015 haben Ermittler in Leipzig 1200 Bitcoins sichergestellt, die kurze Zeit später für 430.000 Euro verkauft wurden. Seit Juli 2024 ist Sachsen bundesweit unangefochtener Spitzenreiter beim Verkauf beschlagnahmter Kryptowerte. Die oben genannten movie2k.to-Bitcoin wurden für 2.64 Milliarden Euro verkauft. Das Geld wird derzeit verwahrt und fließt erst nach rechtskräftigem Urteil in die Landeskasse.

Auch Hessen hat einige Erfolge vorzuweisen beim Verkauf beschlagnahmter Kryptowerte. Zwischen 2021 und 2023 haben hessische Behörden Kryptowerte für etwa 200 Millionen Euro verkauft, so viel wie kein anderes Bundesland in diesem Zeitraum. Auch hier fließt das Geld erst nach rechtskräftigem Urteil in die Landeskasse.

Ganz anders sieht es in Berlin aus, denn dort passierte lange nichts. Erst im April dieses Jahres wurden erstmals sichergestellte Kryptowerte verkauft. Die zwanzig Bitcoins und 71 Bitcoin Cash brachten der Landeskasse der Hauptstadt dabei fast 1,3 Millionen Euro.

Zwischen dem ersten Verkauf von Bitcoins in Sachsen 2016 und dem letzten Verkauf in Sachsen im Juli 2024 liegen acht Jahre. In dieser Zeit wurden bundesweit Kryptos im Wert von mindestens 2.7 Milliarden Euro verkauft. Die Statistik ist unvollständig, da Sachsen-Anhalt und Thüringen keine Zahlen angegeben haben. 

Dass Hessen, Sachsen, Bayern und NRW die Statistik der verkauften Kryptowerte anführen, liegt laut Staatsanwälten schlichtweg daran, dass dort große Ermittlungen stattgefunden haben. Die Behörden dort haben Pionierarbeit im Umgang mit Kryptowerten geleistet.

Wie werden die Kryptowerte sichergestellt?

Grundsätzlich gibt es drei Wege, wie die Polizei Kryptowerte sicherstellt:

1. Der Beschuldigte übergibt seine Private Keys an die Ermittler.

2. Die Ermittler finden die Zugangsdaten beim Beschuldigten.

3. Die Transaktionen können bis zu einem Kryptoverwahrer nachvollzogen und dort sichergestellt werden.

Dass ein Beschuldigter die Zugangsdaten zu seinen Kryptos herausgibt oder die Private Keys bei der Durchsuchung gefunden werden, ist nicht ungewöhnlich. Oft werden die Ermittler:innen in Notizbüchern oder Handyfotos fündig, berichtet ein Oberstaatsanwalt, der anonym bleiben will.

Aber es gibt auch Fälle, in denen die Private Keys nicht gefunden werden. „Wir haben Fälle, wo wir jahrelang nach den Private Keys suchen, auch während die Täter schon in Haft sitzen“, erzählt der Oberstaatsanwalt. Es kommt deshalb regelmäßig vor, bestätigt ein Sprecher der Polizei in Berlin, dass Kryptowerte nicht sichergestellt werden können, da die Zugangsdaten nicht bekannt sind. So könne es passieren, dass, vergleichbar mit einer vergrabenen Schatzkiste in der analogen Welt, ein Täter nach Ende seiner Haftstrafe wieder Zugriff auf die erbeuteten Kryptowerte erlangt. 

Kryptoverwahrer sind ein Glück für die Justiz

Fast alle Nutzer:innen, auch solche mit kriminellen Absichten, kaufen Kryptowerte inzwischen über Tauschbörsen, erklärt Dominik Skauradszun, Jura-Professor an der Hochschule Fulda und Spezialist für Kryptowerte. Kaum jemand greift selbst auf die jeweilige Blockchain zu und nur wenige haben die nötigen technischen Fähigkeiten für Kryptografie. „Diese Entwicklung hin zu Kryptoverwahrern war überraschend,“ sagt Skauradszun, „aber für die Justiz ist sie ein großes Glück.“

Denn Kryptoverwahrer werden in der EU reguliert und in Deutschland von der Finanzaufsicht BaFin kontrolliert. Sie haben schon deshalb ein hohes Eigeninteresse, mit der Justiz zu kooperieren. 

Tatsächlich funktioniert die Sicherstellung bei Kryptoverwahrern sogar außerhalb von Europa. Die deutsche Polizei hat bereits erfolgreich Rechtshilfegesuche an Kryptoverwahrer in Übersee gestellt, darunter auch eines in Belize, in Zentralamerika. Die Kryptowerte werden dann eingefroren und an die deutsche Staatsanwaltschaft transferiert. Kooperativ sind die Kryptoverwahrer, weil sie keine Probleme wegen Geldwäsche bekommen wollen, erklärt ein Ermittler.

Wann und wie beschlagnahmte Kryptowerte verkauft werden

Sobald die Kryptowerte gesichert und auf einem Behörden-Wallet hinterlegt sind, stellt sich die Frage: verkaufen oder auf das Gerichtsurteil warten? Dazu gibt es keine Vorgabe in Deutschland. Im Großteil der Fälle wurde so bald wie möglich über eine sogenannte Notveräußerung verkauft. Mit dem steigenden Kurs von Bitcoin kommt jedoch immer wieder die Frage, ob man nicht doch abwarten sollte, erklärt Thomas Goger, leitender Oberstaatsanwalt in Bamberg. 

Auch die Frage, wie verkauft werden soll, war lange unklar. „Für den Verkauf von Kryptowerten wurden in den vergangenen Jahren neue Strukturen aufgebaut. Es gab lange kein Beispiel, wie man es richtig macht“, erklärt Markus Hartmann, Chef der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in NRW (ZAC).

Die Justiz in NRW hat es beispielsweise im Jahr 2021 mit einer Auktion probiert. Die sichergestellten Bitcoin wurden über das Portal justiz-auktion.de versteigert. Finanziell war das ein Erfolg: Die Coins wurden über Marktwert versteigert. Dennoch sei dieses Modell nicht praktikabel, sagt Hartmann. Es gab viele Anrufe von Käufern, die nicht wussten, wie sie mit ihren ersteigerten Bitcoin umgehen sollten, das habe die Behörde überlastet. Es blieb bundesweit die einzige Auktion von sichergestellten Kryptos.

Banken verkaufen Kryptowerte für die Behörden

Die Festnahme der Betreiber des Darknet-Marktplatzes Wall Street Market im Jahr 2019 hingegen hat den Umgang der deutschen Behörden mit Krypto nachhaltig verändert. Bei den Ermittlungen gegen die ihrerzeit weltweit zweitgrößte Plattform für illegale Drogen und Waffen wurden damals Bitcoin, Monero und acht weitere Coins in einem bis dato nie dagewesenen Umfang sichergestellt.

Die zuständige Cybercrime-Staatsanwältin Jana Ringwald hat daraufhin im Jahr 2021 eine Kooperation mit dem privaten Bankhaus Scheich in Frankfurt am Main verhandelt. Die Bank sollte die Kryptowerte für die Behörde verkaufen, dafür wurde ein System entwickelt und ein Vertrag geschlossen. Die hessische Justizministerin Eva Köhne-Hörmann bezeichnete die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit einer privaten Bank bei einer Pressekonferenz damals als „einzigartig in der Bundesrepublik“.

Mittlerweile sind vier weitere Bundesländer diesem Beispiel gefolgt und kooperieren ebenfalls mit dem Bankhaus Scheich. Die Rahmenverträge zwischen den Behörden und dem Bankhaus sind geheim und auch auf Nachfrage für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Laut Medienberichten erhebt die Bank keine Kommission, sondern verdient beim richtigen Timing am schwankenden Kurs. Das Saarland arbeitet mit einer anderen Bank, der Futurum zusammen, die eine Vermittlungsgebühr von zwei Prozent des Erlöses erhebt.

White-Listing von Kryptowerten

Das Bankhaus Scheich wirbt damit, dass es das White-Listing für die Behörden übernimmt. Beim White-Listing weist die Behörde nach, dass die Kryptos zwar in einem Strafverfahren aufgetaucht sind, jetzt aber wieder legal in Umlauf gebracht werden. Die Bank überprüft diese Nachweise und informiert anschließend alle anderen Händler darüber, dass diese Coins wieder „sauber“ sind. Neben dem Bankhaus Scheich bieten auch andere Unternehmen White-Listing als Dienstleistung an, beispielsweise der österreichische Bitcoin-Broker CoinFinity.

Zwingend notwendig ist das White-Listing nicht. In vielen Bundesländern verkaufen die Behörden weiterhin Kryptos über reguläre Handelsplattformen wie Bitcoin.de, teilweise ohne ein aktives White-Listing. Auf Bitcoin.de wird beispielsweise eine feste Gebühr von 0,5 Prozent auf den Verkaufspreis erhoben.

Wie es weitergeht

Insgesamt scheint sich bei den deutschen Behörden der Weg über ein aktives White-Listing von sichergestellten Kryptowerten durchzusetzen. Das wird immer wichtiger, je größer die Mengen an Krypto werden, die von der Justiz verkauft werden. Und Kryptowerte dürften in den kommenden Jahren eine noch größere Bedeutung für die Justiz und die Strafverfolgung erlangen. 

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Autor: Sebastian Gießmann eFin-Blog Farbe: gelb

Die erste App: kleine Geschichte der Kreditkarte

Die erste App: kleine Geschichte der Kreditkarte

Ein Beitrag von Sebastian Gießmann

25. Juli 2024

Die Kreditkarte ist ein Kind des 20. Jahrhunderts. Sie gehört zum Erbe der US-amerikanischen Konsumkultur und der „dreißig glorreichen Jahre“ des westlichen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotz neuer Finanztechnologien im mobilen digitalen Bezahlen bleibt sie weltweit das führende Zahlungsmittel.

Alte Kreditkarten und neue Apps mischen sich dabei auf paradoxe Weise: Sechs Jahre nach dem Start von Apple Pay als smartphone-basiertem Bezahldienst bot Apple 2020 in Zusammenarbeit mit Goldman Sachs eine eigene physische Kreditkarte an. Nun mit einem Smartphone-Wallet gekoppelt, löste sie eine Neugestaltung der bestehenden Plastikkarten aus. Die schon länger obsolete, leichte Erhöhung der persönlichen Daten, die einst durch Papierabdruck die Nutzung von Kreditkarten per Formulardurchschlag erlaubt hatte, ist verschwunden. Das soziale Prestige der Kartennutzer:in äußert sich jetzt weniger darin, mit ihrem guten Namen zu bezahlen, sondern in den Werten der Walletdaten auf ihrem mobilen Bildschirm. Namen, Kreditkartennummer und weitere persönliche Daten sind in den letzten Jahren mehr und mehr auf die Rückseite der Karten gewandert. Nach der Covid-19-Pandemie ist zudem die persönliche Unterschrift auf Rechnungen deutlich seltener geworden.

Mit dem Wechsel im Kartendesign reagiert die Banken- und Kreditkartenindustrie auf die von Big Tech gesetzten Maßstäbe im digitalen Bezahlen. Aber kann sie mit den nicht-westlichen Innovationsdynamiken von Finanztechnologien noch Schritt halten? Chinesische Unternehmen wie Alibaba und Tencent haben die bank-basierte Kartenform des digitalen Bezahlens durch app-basierte Dienste übersprungen. Vergleichbares gilt für die Entwicklung des mobilen Bezahlens in afrikanischen Ländern. Warum aber halten sich Kreditkarten trotzdem hartnäckig als Bezahlmittel und Geschäftsmodell, das sogar neue Allianzen mit der Welt der Krypto-Assets eingehen kann?

Charge it! Kredit, Überwachung und Konsum

Eine Antwort darauf liegt in der wechselhaften und immer wieder überraschenden Medien- und Sozialgeschichte des Kredits in den USA. Die Praktiken des gegenseitigen Einräumens und Einforderns von Kredit waren – und sind –konstitutiv für alltägliche Ökonomien und Big Business zugleich. Die auf indigenen Territorien im 19. Jahrhundert vollzogene geografische Expansion der USA war durch Bargeldmangel und die Absenz einer Zentralbank gekennzeichnet. Der ökonomische Austausch über große Distanzen erforderte wechselseitiges Vertrauen an der frontier ebenso wie in den rasant wachsenden Städten. Seit den 1840er Jahren boten sich Agenturen zur Überprüfung von Kreditwürdigkeit als vertrauensschaffende Vermittler an. Ein weitreichendes Netzwerk von Korrespondent:innen ermöglichte den Mercantile Agencies die private Überwachung wirtschaftlicher Aktivitäten.  Zunächst auf professionelle Akteur:innen beschränkt, klassifizierten und bewerteten Auskunfteien ab den 1870er Jahren in den großen Städten die Kreditwürdigkeit von Kund:innen.

Ab 1914 setzte Western Union für die Abrechnung von Telegrammen charge cards ein, die auf einem kleinen rechteckigen Stück Papier die Kontonummer, den Namen, die Adresse der jeweiligen Firma oder Person und ein Unterschriftsfeld enthielten. Auf dieser administrativen Basis setzte eine grundlegende Erweiterung der Kreditfähigkeit von Einzelpersonen durch neue Bezahlmedien nach dem Ersten Weltkrieg ein. In den 1920er Jahren wurde es in den USA erstmals möglich, gesammelte Schulden an andere Unternehmer:innen zu verkaufen, worauf vor allem Kaufhausketten wie Sears, Roebuck & Company zurückgriffen. In den Kaufhäusern hatten sich credit departments etabliert, die die Kreditwürdigkeit von Kund:innen anhand von karteikarten-basierten Registraturen und persönlichen Interviews systematisch prüften. Die hohe Nachfrage nach Kredit für größere Anschaffungen, darunter Automobile und Schallplattenspieler, und rechtlich abgesicherten persönlichen Krediten traf auf das neue Kaufen und Verkaufen von angesammelten Schulden im Finanzsystem.

Kundenkarten erleichterten die Registrierung und Identifizierung der Konsument:innen. Neben der entsprechenden Buch- und Karteiführung beinhalteten diese ein spezielles Format, die sogenannten charge-a-plates oder charge plates. Sie ermöglichten basale Zahlungspraktiken in Kaufhäusern, Tankstellen und Hotels wie etwa die um bis zu 30 Tage verspätete Zahlung bei bewährten, ‚guten‘ Kundenbeziehungen. Die Zahlung mit den ab 1928 genutzten charge plates – oder mit den verwandten, älteren charge coins – war einerseits eine Angelegenheit des sozioökonomischen Prestiges. Andererseits korrespondierte jede Karte mit einem lokalen Kundenkonto, weswegen Name und Unterschrift konstitutiv zur Personalisierung der Karten beitrugen.

Der „Fresno Drop“: Plastik für alle

Privaten Konsum mit aufgeschobenen Zahlungen und Schulden zu verbinden, wurde so zur weit verbreiteten neuen Praxis. Die bisherige Skepsis gegenüber persönlichem Kredit verflüchtigte sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg fragte insbesondere die weiße amerikanische Mittelschicht, als die Kriegsersparnisse aufgebraucht waren, intensiv neue Kredite nach. Die Finanz- und Immobilienindustrie (finance and real estate, kurz: FIRE) antwortete in den 1950er Jahren mit einer Vielzahl von neuen Angeboten, die die bereits akzeptierte Finanzierung von Käufen auf Kredit noch mehr zum Normalfall machten. Als ‚erste‘ Kreditkartenfirma dieser neuen Konsumwelten gilt nach wie vor Diners‘ Club. Zu ihrer Gründung 1949/1950 offerierte sie bequemes monatliches Bezahlen der bei Geschäftsessen in New York entstandenen Rechnungen. Hierfür nutzte Diners‘ Club zunächst kein Medium aus Metall oder Plastik, sondern kombinierte eine Pappkarte mit einem Heft aller teilnehmenden New Yorker Restaurants.Die historischen Schreibweisen variieren. In den Gründungsjahren war Diners‘ Club üblich, später Diners Club (International).

Beim Material herrschte zunächst Vielfalt: Metallene charge cards, Karten auf Celluloid-Basis oder gedruckte Diners-Club-Ausweise waren üblich. Ölfirmen begannen Mitte der 1950er Jahre, ihrerseits charge cards auf Plastikbasis auszugeben. Ab 1958 bot die Bank of America mit der BankAmericard erstmals Plastikkarten an; 1959 folgte American Express. Der wichtigste Markttest erfolgte im September 1958 durch die Bank of America in der kalifornischen Stadt Fresno. Er ist als „Fresno Drop“ bekannt geworden. Nach einem initialen Massenmailing fanden 65.000 Haushalte unaufgefordert Plastikkarten für einen Bank of America charge account plan in ihren Briefkästen. Die Karte erlaubte ihren Nutzer:innen den Erwerb von Waren in anfänglich 300 kleineren Geschäften in und um Fresno. Einmal im Monat erhielten Kund:innen eine Rechnung, die entweder ohne Zinsen im vollem Umfang zu bezahlen war oder aber bei einer jährlichen Zinsrate von 18 Prozent später beglichen werden konnte. Trotz hoher Anfangsverluste gelang der Bank of America der Aufbau eines nationalen Franchise-Systems. Im Gegensatz zum Diners Club setzte es weniger auf Exklusivität denn auf Zugänglichkeit für die Mittel- und Unterschichten. Mit der 1977 erfolgten Umbenennung der BankAmericard in „Visa“ wurde die Internationalisierung des Bezahlens per Kreditkarte zum strategischen Programm.

Karten, Terminals und Großrechner: der globale Aufstieg von Visa und Mastercard

Als größter Wettbewerber der BankAmericard etablierte sich ab 1966 die Interbank Card Association. Die beteiligten Banken gründeten ihren Verbund in Reaktion auf die landesweite Lizensierung von BankAmericards. Interbank vereinte eine Vielzahl regionaler Zusammenschlüsse kleinerer und mittelgroßer Banken, die selbstbewusst mit dem Slogan „Join the revolution: Be a card carrying capitalist“ warben. 1969 ersetzte der Markenname Master Charge das kaum wiedererkennbare Logo der Interbank. Auf die Internationalisierung von Visa hin folgte 1979 die Umbenennung in MasterCard. Hatten sich Visa und Mastercard in ihrer Organisationsstruktur und -kultur zunächst stark unterschieden, wurden diese Differenzen durch den Wettbewerb der 1970er Jahre fast aufgehoben. So kam es in den 1980er Jahren zwei Mal zu Gedankenspielen, beide Firmen zu fusionieren, zumal sie vergleichbare digitale Infrastrukturen aufgebaut hatten.

Tatsächlich war der rasante Aufstieg der amerikanischen Kreditkarte zu globaler Hegemonie untrennbar mit Computern verbunden, die den schnellen mobilen Kredit verwalt- und prozessierbar machten. Schon die Ausgabe der ersten personalisierten BankAmericards 1958 wäre ohne die Nutzung von IBM-Rechnern, Lochkarten, einer Kartenprägemaschine namens Databosser und der Software Electronic Recording Machine-Accounting (ERMA) des Stanford Research Institute nicht möglich gewesen. Die Massenmailings der 1960er Jahre provozierten einen massiven Ausbau computer- und telefonbasierter Infrastrukturen, der mit den wilden Nutzungs- und Betrugspraktiken kaum Schritt halten konnte. „In a rush to get their plastic into the air, banks randomly fired off credit cards. Computers – key to controlling them – are still trying to catch up“, bilanzierte ein LIFE-Artikel im März 1970. Gebändigt wurde die Vielzahl an konkurrierenden Bezahlangeboten ab 1971 durch eine von Bank- und Computerindustrie gemeinsam betriebene Standardisierung.

1971 – der Anfang von etwas, das mittlerweile bestimmt werden kann

Die ersten Kreditkartenangebote europäischer Banken ab 1964 waren Teil des Wohlstandswachstums, der die westlichen Industriestaaten zwischen 1945 und 1975 prägte. Für Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors sind aber nicht nur die berühmten trente glorieuses des Kapitalismus entscheidend. Die erste technische Standardisierung des Kreditkartenformats samt Magnetstreifen wurde just in jenem Jahr 1971 vorgenommen, in dem US-Präsident Richard Nixon per Fernsehansprache am 15. August die Aufgabe der Goldbindung des US-Dollars verkündete. Eine grundsätzliche Deckung von Geld, Währung und Kredit durch den Wert physischer Objekte ist seitdem nicht mehr gegeben. Diese muss nun jeweils durch vernetzte Buchhaltung neu geschaffen werden. So entwickelte sich der Kapitalismus durch digitale Infrastrukturen weiter, in denen Kredit qua Tastendruck in computerbasierter Buchhaltung gewährt wird. Neoliberale (und libertäre) Ideologien trieben diese beispiellose Finanzialisierung aller Lebensumstände, die noch die kleinste Transaktion im digitalen Bezahlen durchdringt, weiter voran.

Obwohl glamouröse Kreditkartenwerbung und Sticker an Ladengeschäften seit den 1960er Jahren etwas anderes suggerierten, etablierte sich die Kreditkarte bei den US-amerikanischen Mittel- und Unterschichten in einer Zeit ökonomischer Krisen. Die 1970er und noch die beginnenden 1980er Jahre waren durch ernste Rezessionen wie die Ölkrise und Stagflation gekennzeichnet. Unter Jimmy Carters Regierung, die Konsument:innenkredite begrenzen wollte, um die Inflation im Zaum zu halten, führte dies zu teils absurden Szenen. So trat der Präsident von Mastercard Russell Hogg 1980 in Werbespots auf, in denen er das Fernsehpublikum dazu aufforderte, seine Mastercard nur für notwendige Einkäufe und Notfälle zu verwenden.

„Card not present“: Bezahlen im World Wide Web

Die Kreditkarte ist eine der wenigen voll entwickelten digitalen Medien- und Finanztechnologien, die noch vor der allgemeinen Verfügbarkeit des Internets weltweit nutzbar wurde. In den 1980er Jahren prägten Plastikkarten die Konsum- und Medienkulturen im Globalen Norden. Visa und Mastercard etablierten ein ökonomisch ertragreiches, weltweites Duopol, sichtbar durch ihr Sponsoring globaler Sportereignisse, das ihnen vor allem im Fernsehen eine bis heute ungebrochene Präsenz verschafft. Parallel dazu entwickelten Europa und Japan eigene Zahlungssysteme wie die Eurocard und JCB, die der US-Hegemonie entgegen treten sollten und zumindest in den 1980er und 1990er Jahren durchaus erfolgreich waren.

Die physische Präsenz von Kredit- und Debitkarten stellte deren angenommenen Normalfall im 20. Jahrhundert dar: Plastikkarte, Magnetstreifen und Chips waren primär für die Offline-Interaktion im digitalisierten Handel entwickelt worden. Mit der telefonischen Nutzung hatte sich in den 1980er Jahren aber eine – durchaus betrugslastige – Praxis entwickelt, bei der Karte und Daten nicht vor Ort physisch präsent sein mussten. Eines der ersten Amazon-Patente, mit denen Jeff Bezos 1995 verlässliches Bezahlen in unsicheren Umgebungen absichern wollte, beinhaltete daher ein Konzept zur Nutzung von Telefonen für die Übermittlung von Kreditkartennummern im World Wide Web.

Das öffentlich zugängliche, den Wissenschaften entwachsende Internet traf nach 1990 auf die neue politisch-ökonomische Weltordnung. Sie zeichnete sich durch ihre stetige Globalisierung und offene Märkte aus. Gegenüber den gerade entstehenden Konzepten zum digital cash bot sich die Kreditkarte ganz praktisch zum Einsatz im eCommerce des World Wide Webs an. Die amerikanische Kreditkarte war in dieser Situation zu ihrem eigenen Vorteil schon da und wahrte so gegenüber den aufkommenden Debitkarten ihre Bedeutung. Mittels der Kombination einer älteren digitalen Technologie und des WWWs etablierte sich ein Medienverbund, in dem Visa und Mastercard als Plattformunternehmen und Fintechs avant la lettre fungieren konnten. Dies ermöglichte ihre Ausbreitung in immer mehr Märkte und Gesellschaften. Konsumorientierte Mittelschichten fragten schnelle Kredite und Zahlungen nach, ob nun in Brasilien oder im ehemaligen Ostblock – und amerikanisierten sich durch die Adaption neuer Finanzmedien zusehends. Zugleich nutzten die Kreditkartenunternehmen seit Ende der 1980er Jahre den verhaltensorientierten Mehrwert ihrer Transaktionsdaten, was jeder Zahlung einen zusätzlichen ökonomischen Wert verleiht.

Apps & Wallets: Finanzialisierung oder Demokratisierung?

Sollte die Kreditkarte künftig anderen Bezahloptionen weichen, wird dies voraussichtlich durch neue Allianzen von Big Tech und Finanzwirtschaft geschehen. Trotz aller Vorhersagen, das Finanzsystem würde durch Plattformunternehmen gefährlich unter Druck geraten, passt es sich Schritt für Schritt dem technischen Wandel an, den es einst selbst digitalisierend in Gang gesetzt hat. Wer hier neue digitale Praktiken besser antizipiert – seien es kommerzielle Bezahlsysteme wie Apple Pay, Super-Apps à la WeChat oder manche Krypto-Assets mit Bezahlfunktion –, liegt im Wettlauf um die Transaktionsgebühren und Verhaltensdaten einer bargeldlosen Gesellschaft vorn.

Diese Fortschreibung einer schnellen, infrastrukturell abgesicherten Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit für Konsument:innen hat ohne Zweifel ihren Preis. Er betrifft gravierende und weitestgehend unsichtbare soziale Differenzierungen, die anhand von Finanzdaten vorgenommen werden – und somit eine mit den feinen Unterschieden von scores operierende, digitalisierte Klassengesellschaft schaffen. Die Kreditkarte hat sich im 20. Jahrhundert als Lösung für sozioökonomische Fragen des Alltags angeboten, die sie selbst schafft und zugleich verschärft hat. Ihr Versprechen mobiler finanzieller Freiheit übernehmen im 21. Jahrhundert andere Bezahldienste. Hat die erste App damit ausgedient? Mitnichten. Denn die mit der Kreditkarte etablierte Verbindung von Konto, Körper und Person bleibt auch in neuen Apps und Wallets die ökonomische Bedingung unserer sozialen Medien.

Textlizenz: CC BY-SA 4.0

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Autor: Carolina Melches eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Big-Techs im Finanzwesen: Warum wir klare Regeln für Alipay, Apple und Co. brauchen

Big-Techs im Finanzwesen: Warum wir klare Regeln für Alipay, Apple und Co. brauchen

Ein Beitrag von Carolina Melches

10. Juli 2024

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 wird nicht nur wegen der sportlichen Leistungen in Erinnerung bleiben, sondern auch durch die prominente Präsenz großer chinesischer EM-Sponsoren. Unter ihnen ist der chinesische Finanzdienstleister Alipay. Als offizieller Sponsor der UEFA und Bezahlpartner der EM 2024 betritt das Unternehmen die europäische Bühne in großem Stil. Tickets für die Spiele konnten nur mittels Kreditkarte oder Alipay erworben werden. Alipay ist in der EU Stand heute nur wenig bekannt. Die Sponsorenschaft von satten 200 Millionen Euro über acht Jahre ist jedoch ein strategischer Schritt, um den Zahlungsdienstleister in Europa bekannter zu machen und den europäischen Markt zu erobern.1UEFA, Alipay unterzeichnet langfristige Vereinbarung als Sponsor des UEFA-Nationalmannschaftsfußballs, 9. November 2018, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024.

Alipay ist das Paradebeispiel für die rasante Expansion und das enorme Wachstumspotenzial eines Technologiekonzerns im Finanzwesen. Seine Entwicklung in China verdeutlicht aber auch die Risiken, die mit einer ungebremsten Ausbreitung großer Technologieunternehmen („Big-Techs“) im Finanzsektor einhergehen können.

Alipay – Technologie-Gigant wird Finanzgigant

Alipay wurde 2004 als Zahlungsdienst des chinesischen Online-Marktplatzes und Big-Techs Alibaba entwickelt. Binnen weniger Jahre wurde es zur größten Finanz-App Chinas. Anfangs als einfacher Zahlungsdienst konzipiert, erweiterte Alipay sein Angebot kontinuierlich um Kreditvergabe, Vermögensverwaltung und Versicherungen. Heute umfasst die App ein großes Ökosystem an Finanzdienstleistungen und Millionen von Mini-Anwendungen von Drittanbietern.

Damit ist Alipay mittlerweile ein zentraler Bestandteil des täglichen Lebens in China. Die Zahlen sprechen für sich: Fast die Hälfte der chinesischen Bevölkerung nutzt die Plattform aktiv, weltweit sind es schon jetzt rund 1,3 Milliarden Nutzer:innen. Der Dienst wickelte im Jahr 2020 Transaktionen im Wert von mehr als 110 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts ab –mehr als Visa und Mastercard zusammen.2Wall Street Journal, „Inside Ant, the Company Behind the World’s Biggest IPO“, 27. Oktober 2020, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024.

Das ungebremste Wachstum von Alipay wurde 2020 durch den chinesischen Staat abrupt gestoppt. Die Begründung: zunehmende systemische Risiken durch den Technologie-Giganten im Finanzsektor. In der Folge musste Alipay weitreichende Konzernumstrukturierungen und neue Regulierungen umsetzen. Seiner Expansionsmöglichkeiten im chinesischen Markt beraubt, versucht das Unternehmen seitdem verstärkt ausländische Märkte zu erschließen – wie jetzt durch sein prominentes EM-Sponsoring.

Big-Techs sind mehr als traditionelle Finanzinstitute

Die rasante Entwicklung von Alipay ist eng mit den Vorteilen verbunden, die das Unternehmen als Big-Tech-Tochter von Alibaba genoss. Denn Big-Techs sind keine traditionellen Finanzinstitute, sondern Technologiekonzerne, die unter anderem Finanzdienste anbieten. Ihre Dienstleistungen reichen von E-Commerce über Social Media zu Telekommunikation und Cloud-Computing-Diensten. Sie verfügen daher über immense Datenmengen, technologische Kapazitäten, einen riesigen bestehenden Kundenstamm und große finanzielle Ressourcen. Diese können sie bei der Entwicklung von Finanzangeboten nutzen, was ihnen gegenüber traditionellen Finanzinstituten und kleineren FinTechs einen extremen Wettbewerbsvorteil verschafft.  

Auch westliche Technologie-Giganten wollen zu Finanzgiganten werden…

Doch nicht nur Alipay, auch westliche Technologie-Riesen wie Google, Apple und Meta drängen zunehmend in den Finanzsektor. In der EU werden Zahlungsdienste wie Apple Pay, Google Pay und Amazon Pay schon heute gern genutzt. Viele erinnern sich noch an Metas (damals Facebook) gescheiterten Versuch, die eigene digitale Währung Libra einzuführen. In anderen Bereichen der Finanzdienstleistungen sind die Tech-Giganten bereits erfolgreicher. Zwar verläuft ihr Einstieg in westlichen Märkten aufgrund der hohen Marktsättigung im Finanzbereich deutlich langsamer als in Südostasien, doch auch in der EU sind insbesondere die Zahlungsdienste wie etwa Apple Pay und Google Pay weit verbreitet. In ihrem Heimatmarkt, den USA, bieten die US-amerikanischen Big-Techs bereits Ratenkredite, Sparkonten und andere Finanzprodukte an.3BankingHub, Financial services categories served by Big-Techs, zuletzt aufgerufen am 15.04.2024.

Wie bei Alipay beruht ihr Geschäftsmodell auf einer einzigartigen Kombination aus Big Data, Technologie, finanziellen Ressourcen, einem großen Kundenstamm und Netzwerkeffekten. Diese Kombination wirkt wie ein Wachstumsmotor: Durch fortschrittliche Datenanalyse schaffen Big-Techs ein breites und optimiertes Angebot, das neue Nutzer:innen anzieht. Eine Rückkopplungsschleife, die das Wachstum der Tech-Unternehmen weiter beschleunigt und ihnen auch im Finanzwesen großen Erfolg verspricht.

…mit erheblichen Risiken für Verbraucher:innen…

Für Big-Techs bietet dieses Geschäftsmodell ein enormes Gewinn- und Wachstumspotenzial. Ihre ungehemmte Ausbreitung bringt jedoch gesamtgesellschaftlich große Gefahren mit sich. Ein zentrales Problem ist die zunehmende Konzentration von Marktmacht und Daten.

Big-Techs sind bereits für ihren problematischen Umgang mit Nutzer:innendaten bekannt. Der Zugang zu Finanzdaten könnte neue Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen. Denn Finanzdaten sind äußerst aufschlussreich, verraten viel zum Beispiel über politische Ansichten, den Gesundheitszustand und die Wohnsituation der Nutzer:innen. Diese Informationen könnten für neuartige Risikobewertungsmethoden und Bonitätsprüfungen zusammengeführt werden – mit erheblichen Risiken der unfairen Exklusion oder etwa der Preisdiskriminierung bei Finanzprodukten.

… die Finanzstabilität…

Big-Techs sind schon heute zu groß und zu mächtig. Als Finanzdienstleister könnten sie binnen kürzester Zeit relevante Akteure werden, die – ähnlich wie die Großbanken in der Finanzkrise – „too big to fail“ sind. Durch die zunehmende Vernetzung mit traditionellen Banken entsteht ein zusätzliches systemisches Risiko: die Gefahr zu vernetzt zu sein, um scheitern zu können („too interconnected to fail”). Denn selbst wenn sie bei Finanzprodukten wie Ratenkrediten nur vermitteln, werden sie zu wichtigen Knotenpunkten im Finanzsystem. Diese Vernetzung könnte im Falle von internen Problemen der Big-Techs (z. B. Cyber-Angriffen oder IT-Problemen) Ansteckungseffekte auf die Finanzinstitute im Hintergrund haben.

… unsere politische Souveränität

Zahlungen und Zahlungsinfrastruktur bilden die Basis wirtschaftlichen Handelns und gesellschaftlicher Partizipation. Sie sind kritische Infrastruktur und ein weiterer Lebensbereich der Nutzer:innen, den sich die Big-Techs erschließen. Im Bereich des 5G-Netzausbaus ist längst eine Debatte um die Bereitstellung kritischer Infrastruktur durch nicht-europäische Akteure entfacht. Es ist erstaunlich, dass Unternehmen wie Huawei als Sicherheitsrisiko eingestuft werden, während der Vorstoß Alipays nach Europa sowie das wachsende Finanzangebot der Tech-Konzerne in der EU in der Debatte um politische Souveränität und kritische Infrastruktur kaum Beachtung finden.4Thierry Breton, Statement, 5G Security: The EU Case for Banning High-Risk Suppliers, 15. Juni 2023, zuletzt aufgerufen am 29.04.2024.

… und unsere Gesellschaft

Man muss sich fragen, ob es gesellschaftlich überhaupt gewünscht ist, dass sich die ohnehin omnipräsenten Big-Tech einen weiteren Lebensbereich, unsere Finanzen, erschließen. Ihre starken Netzwerkeffekte werden weiter befeuert und machen die Big-Techs im Alltag unumgänglich. Mark Zuckerberg, CEO von Meta Platforms, hat kürzlich seine Vision von WhatsApp als Super-App und damit zentraler Anlaufstelle für Chatten, Einkaufen, Banking und vielem mehr ausgerollt.5Handelsblatt, WhatsApp wird zur „Alles-App, 27. Juli 2024, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024. Eine Vision, die andere Big-Techs sicher teilen. Das Angebot von Finanzdiensten durch die Big-Techs ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Regulatorische Konsequenzen ziehen, so lange dies noch möglich ist

Es wird deutlich: Wenn Big-Tech-Unternehmen uneingeschränkt Finanzdienstleistungen anbieten dürfen, wächst ihre (Markt-)Macht weiter. Ein Blick nach China und insbesondere die USA zeigt, welche Entwicklung Europa noch bevorstehen könnte. Doch die EU hat noch die Chance, es besser zu machen. Das derzeit noch überschaubare Angebot finanzieller Dienstleistungen durch Big-Techs erlaubt es, notwendige regulatorische Maßnahmen einzuleiten und Risiken mit klaren Regeln vorzubeugen.

Durch den Digital Markets Act (DMA) und den Digital Services Act (DSA) hat die EU zwar bereits Maßnahmen im Bereich des Verbraucherschutzes, des Datenschutzes und des Wettbewerbsrechts ergriffen. Aber die Finanzdienstleistungen der Tech-Giganten werden derzeit unzureichend reguliert. Die spezifischen Risiken, die sich durch das spezifische Geschäftsmodell der Big-Techs ergeben, bleiben bisher unberücksichtigt. Denn die Lizenzen für Finanzdienstleistungen werden oft von Tochterunternehmen der Big-Techs gehalten, so dass die Aufsichtsbehörden nur den jeweils lizenzierten Teil des Konzerns, die Tochtergesellschaft, überwachen können. Risiken aus der Interaktion mit anderen Sparten wie E-Commerce oder Social Media bleiben weitestgehend unbeaufsichtigt.

Regeln für mehr Transparenz und Effizienz

Eine mögliche Lösung besteht darin, die Finanzdienstleistungen von den anderen Geschäftsbereichen der Big-Techs klar zu trennen. Finanzdienste wie etwa Kreditvergabe, Banking, E-Geld und Zahlungsdienste könnten unter einer Finanzholding-Gesellschaft gebündelt werden. So könnten sowohl die Finanzdienste selbst als auch die Interaktion der Finanzsparte mit dem Rest des Konzerns beaufsichtigt werden.

Regeln zum Datenaustausch, gemeinsamer Nutzung von Technologie sowie Finanzflüssen zwischen den Sparten könnten definiert werden. Der Grad der Trennung könnte unterschiedlich stark, bis hin zur eigentumsrechtlichen Trennung, kalibriert werden. So ließen sich die spezifischen Risiken der Big-Techs effizient und transparent überwachen und das Risiko von Interessenkonflikten und systemischen Risiken durch konzerninterne Ansteckungseffekte verringern. Ein ähnlicher Ansatz wurde bei der Regulierung Alipays durch den chinesischen Staat angewandt.

Es ist Tempo geboten

Angesichts der Geschwindigkeit, mit der Big-Techs im Finanzsektor wachsen, stellt die Trennung der Finanzdienstleistungen vom Kerngeschäft eine schnell umsetzbare Lösung dar. Alternativ wäre eine ganzheitliche Aufsicht der Technologieunternehmen auf Konzernebene unter Einbezug der Finanzsparte möglich. Eine solche Form der Regulierung wäre jedoch deutlich komplexer und würde genaue Kenntnisse der oft komplexen Konzernstrukturen und Interaktionen benötigen.

Insgesamt ist die wachsende Präsenz von Big-Techs im Finanzsektor eine nicht mehr zu übersehende Herausforderung. Die Omnipräsenz des Zahlungsdienstleisters Alipay bei der aktuellen Europameisterschaft zeigt, wie wichtig es ist, zeitnah einen geeigneten Rechtsrahmen auf EU-Ebenen zu schaffen. Denn wenn Big-Techs Finanzdienstleistungen anbieten, sollten sie auch auf ihre spezifischen Risiken hin reguliert werden. Ziel muss es sein, von der Innovation und den Potenzialen zu profitieren und gleichzeitig Verbraucher:innen, Finanzstabilität und unsere Demokratien zu schützen.

Weiterführende Literatur: In der aktuellen Studie „Mehr Geld, mehr Macht: Big-Techs im Finanzwesen“ hat Finanzwende Recherche die Risiken und Handlungsoptionen angesichts von Big-Techs im Finanzwesen ausführlich analysiert.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: hellblau

Coinzeit 3000 #9: Politisierung

Ein Beitrag von Petra Gehring

25. Juni 2024

Seit zwei Jahren hat die Politikwissenschaft das Thema Geld entdeckt: Geldtheorien werden rekonstruiert, vor allem aber geht es um Gegenwartsdiagnosen. Haben in in den länger zurückliegenden Jahren nicht Politikwissenschaftler, sondern Soziologen wie Urs Stäheli oder Elena Esposito das Bankensystem, die Börse, Spekulationen und Derivate attackiert, so geht es nun um die Frage, ob politische Systeme – und auch gerade moderne Demokratien – „das Geld“ als eine vermeintlich bloß technische Angelegenheit in viel zu starkem Maße den Zentralbanken überlassen. Das Geld werde „zur unpolitischen Technologie verklärt“ (Sahr 2022, Ankündigungstext), demokratische Akteure kümmerten sich zu wenig um „grundlegende demokratische Fragen der monetären Gewalt“ (Eich 2023: 13). Die politische Theorie solle jedoch „dazu beitragen, den unklaren Ort des Geldes in der demokratischen Politik neu zu fassen“ (Eich 2023: 18), in den Blick zu nehmen sei dessen „genuin politische Architektur“ (Sahr 2022: 12).

Die Appelle sind mehr als plausibel – die Finanzkrise, die digitale Umgestaltung der Werte und Wertzeichen hätten dazu eigentlich gar nicht nötig sein sollen. Worüber man aber doch grübelt: Die Forderung der Autoren nach einer „Politisierung“ des Geldes, die konkret in einer Entzauberung der vermeintlichen Neutralität der Zentralbanken zu bestehen hätte, und die dann ohne Wenn und Aber zugleich eine „Demokratisierung“ sein soll. In den Worten von Stefan Eich: „Die Welt braucht dringend eine neue globale monetäre Verfassung und eine Währungsordnung, die demokratischer gesteuert wird.“ (276) Was meint das konkret? Mehr Rechenschaftslegung, mehr Aufsicht, mehr „finanzielle Bürgerrechte“ gegenüber Banken, mehr öffentliche Kreditversorgung, vor allem aber: Zentralbanken sollten „Labore“ werden für eine offene Demokratie. Es gälte, Personen hinein zu wählen, dabei alle gesellschaftlichen Gruppen zu repräsentieren, sie zwar nicht der Exekutive, aber umso mehr den Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen, im Sinne einer eigenständigen monetären Gewalt (vgl. 284).

Dezentral organisierte Kryptowährungen lehnt Eich als „eine Fälschung demokratischen Geldes“, und Plattformwährungen lehnt er als „Vorstoß zu einer Privatisierung des Geldes“ ab (vgl. 277). Das Geld selbst bezeichnet er als „kollektive Fiktion“ (287) und sieht eben darin dann auch das Versprechen der Gestaltbarkeit: „Anstatt uns vom fiktiven Charakter des Geldes blenden oder verängstigen zu lassen, können und sollen wir seine nie vorab festgelegten politischen Potenziale ausschöpfen …“ (287). Möglicherweise falle ich genau hier aus dem Film: Wie kann ich eine kollektive „Fiktion“, ohne sie zu zerstören, kollektiv steuern? In welchem Sinne heißt „fiktiv“ in einem ergebnisoffenen Sinne „unfestgelegt“ (wo wir doch an Fiktionen – als Annahmen, Setzungen, vielleicht sogar Erfindungen – ein Stück weit auch glauben müssen)? Und woher nimmt der demokratische Diskurs den Sinn für die „politischen Potenziale“ einer Fiktion – ohne dass diese Potenziale nicht auch verflixt leicht „fiktiv“ zu nennen wären?

So berechtigt der Hinweis darauf ist, am Geld sei nichts natural, wenig neutral und vieles politisch – Politisierung ist jedenfalls nicht automatisch Demokratisierung. Auch Krypto und Libra „politisieren“ die kollektive Fiktion.

Stefan Eich: Die Währung der Politik. Eine politische Ideengeschichte des Geldes (2022). Hamburg: Hamburger Edition 2023.

Aaron Sahr: Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft. München: C.H. Beck 2022.

 

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Autor: Konstantin Schönfelder eFin-Blog Farbe: gelb Uncategorized

„Eigenes Risiko als Gefahr für andere“

„Eigenes Risiko als Gefahr für andere“ – ZEVEDI Citizen Lecture mit Joseph Vogl

Ein Beitrag von Konstantin Schönfelder

11. Juni 2024

Eine „Bestandsaufnahme“ nennt der nun emeritierte Professor Joseph Vogl, von Haus aus Literaturwissenschaftler, seine Analysen über den Finanzmarkt, die er seit 2010 anstrengt, dem Erscheinungsjahr vom „heimlichen Bestseller“1 Das Gespenst des Kapitals. Seitdem ließ er mit Souveränitätseffekt (2015) und zuletzt mit Kapital und Ressentiment (2021) zwei weitere monographische und vieldiskutierte Teile einer düsteren Finanzwirtschaftssaga folgen, die wohl auch nach seiner Emeritierung noch fortgesetzt werden wird. Doch es ist „nur“ eine „Bestandsaufnahme“, wie sich Vogl an jenem Vortragsabend in der Technischen Universität Darmstadt bescheidet, als er im Rahmen der Citizen Lecture „Finanzen, Staat, Digitalisierung & Demokratie“ seinen Beitrag zu „Souveränitätsproblemen im Finanzmarktkapitalismus“ ausführt.2 Vogl entwirft keine spekulative Dystopie, keine (etwa marxistische) Parteinahme, dafür interessiere er sich derzeit nicht sonderlich, sondern eine historisch geleitete Beschreibung von der Entstehung, Expansion und Ermächtigung von Finanzmärkten, die in den letzten Jahrzehnten vor allem von Technologien des Digitalen gepusht wurden, um schließlich in etwas, was Vogl „Plattformkapitalismus“ nennt, zu münden. Die aber zuweilen dystopische Züge annimmt. Aber gehen wir es doch einmal schrittweise durch.

Vogl diagnostiziert der Digitalökonomie, der Finanzindustrie, dem Informationskapitalismus – für ihn alles Synonyme – eine diabolische Lüge im Grunde ihres Wesens. Sie gibt vor, etwas zu sein, was sie nicht ist. Denn in Wahrheit ist, laut Vogl, die Finanzindustrie eine machtvolle „vierte Gewalt“, die er auch die monetative Gewalt nennt. In seinem jüngsten Buch hat er dieser ein ganzes Kapitel gewidmet. Diese monetative Gewalt liegt in den unsichtbaren Händen der Finanzregime, die „mehr und mehr staatlichen Ehrgeiz entwickeln“, ohne dabei aber rechtlich gebunden zu sein, wie es andere staatliche Akteure sind. Bei diesen Finanzregimen denkt Vogl vor allem an Plattformen mit „transgouvernementaler Handlungsmacht”3, also an die milliardenschweren Digitalkonzerne Google, Meta und Co., die es in ausgeklügelten Systemen geschafft haben, ihre gewinnbringenden Geschäftsmodelle exponentiell auszuweiten und Haftung in entgegengesetzter Richtung abzustreifen.

Möglich gemacht hat es unter anderem die bis ins Unheimliche gesteigerte Geschwindigkeit der Übertragung von Information. Schon die Zeitung, so leitet es Vogl her, war ursprünglich ein Medium zur Übertragung von Finanznachrichten. Und jene Kaufmänner mit diesem Informationsvorsprung hatten einen Marktvorteil, den sie kapitalisieren konnten. Der gamechanger dahingehend kam durch die Einführung des World Wide Web in den 1990er-Jahren, das Information instantan und massenhaft verfügbar machte. Auswüchse der Finanzindustrie, wie etwa das high frequency trading, sind nur eine logische Folge dieser technologischen Disruption. Die Frage, die sich im Nachhinein damit aufgetan hat, ist: Wie kann man diese nicht rivalisierenden Güter zu Waren machen?

Aus Informationen Waren machen

Mit nicht rivalisierenden Gütern sind jene gemeint, die durch ihren Verbrauch nicht verknappt werden. Benzin wird durch den Verbrauch verknappt, zum Beispiel. Aber Information und Kommunikation wird im Einsatz nur weiter vervielfältigt. Die Antwort, die die Plattformunternehmen darauf gefunden haben, ist, die Daten wie Rohstoffe zu behandeln:

Sie wissen, dass man mit jeder Googlesuche, jedem Tweet oder jeder Bewegung auf sozialen Märkten, Datenrohstoffe produziert. Rohstoffe, die unter der Bedingung stehen, dass man selbst über sie nicht verfügen kann, also dass man digital enteignet wird. Das ist der enorme Gewinn dieser Unternehmen.

Enteignet werden die Nutzenden also dadurch, dass sie bestimmte niedrigschwellige Informationsangebote wahrnehmen – Karten, Datenbanken, Kommunikationsdienste -, aber damit im Gegenzug all ihre angesammelten Daten irgendwo und außer Sichtweite gespeichert, verarbeitet und verkauft werden. Lukrativ ist dieses Geschäftsmodell zunehmend deshalb, da die Datenpakete im Web 2.0 bereits gewinnbringend verbandelt sind. So heißt es in Kapital und Ressentiment:

Unter den technischen Bedingungen des Web 2.0 und der Plattformkommunikationen sollten vielmehr alle Daten, die durch die verfolgbaren Online-Tätigkeiten der gesamten Netzpopulation hervorgebracht werden, als immer schon extrahierte Daten, als Metadaten und somit relationale Objekte begriffen werden, in denen Daten bereits mit Daten korreliert und kollationiert sind und sich zur weiteren Verarbeitung anbieten.4

Nun liegt es nahe, dass die Internetriesen mit dieser selbstwachsenden Saat nicht nur Schnittstellen oder Medien sein wollen, die sich mit Vermittler- und Werbeeinnahmen begnügen. Es geht vielmehr darum, diesen Prozess beschreibt Vogl in der Vorlesung sehr anschaulich, dass sie beginnen, öffentliche Aufgaben zu übernehmen, Infrastrukturen bilden, Krankenhausdienste anbieten etc. Und während die Unternehmen das tun, lancieren sie die These, „und das ist neu […], dass der Kapitalismus, der wirkliche Kapitalismus, keinen Wettbewerb, sondern Monopolisten benötigt.” Diese quasi-staatlichen Akteure mit dem Wunsch, Monopol sein zu dürfen, sind so auch ins Finanzgeschäft vorgedrungen, denn sie haben ja alles, was sie dafür brauchen. Angebote von Bezahldiensten zum Beispiel, neben Investmentfonds und Finanzierungsinstrumenten, gehörten schon seit Längerem zu den „wesentlichen Treibsetzen” amerikanischer und chinesischer Plattformunternehmen. „Sie bieten den Vorzug, dass sie die verlässlichsten Daten zur gezielten Platzierung von Produkten und Werbung liefern und dass sich mit ihnen überdies der dezentrale internationale Zahlungsverkehr zentral überwachen lässt.“ Schon PayPal, so Vogl, sei mit dem Anspruch angetreten, eine Art Internetwährung zu schaffen, um den Dollar im internationalen Zahlungsverkehr zu ersetzen und staatliche Währungsmonopole zu unterlaufen. Und zuletzt hatte Meta versucht, mit Diem (ehemals Libra) eine eigenständige Internetwährung zu gründen, oder wie es Vogl sagt, „private Kontrolle mit para-staatlicher Ausweitung der Konzernmacht zu kombinieren“ – ein Vorhaben, das erst am Einspruch der Federal Reserve Bank gescheitert ist.

Entbunden vom Recht?

Nun scheint an diesem Beispiel ebenso deutlich zu werden, dass diese Plattformakteure nicht gänzlich rechtlich entbunden sind, aber dass sie ein sonderbarer Rechtsstatus kennzeichnet. Vogl rekonstruiert den Moment des Jahres 1996, als im Telecommunications Act, zur Beförderung des Internets, festgelegt wurde, dass die Plattformen für die Daten, die sie zirkulieren, nicht verantwortlich sind. Dieser Ausnahmefall habe uns einen „neuen Kapitalismus beschert“, denn die „Unternehmen machen mit Produkten ihre Geschäfte, die tief in das Soziale, in die Öffentlichkeit hineinwirken, für die diese Unternehmen aber nicht verantwortlich sind.“ Oder kurz: „Nutzer erzeugen, was Konzerne verkaufen.“5

Dies alles berührt das „Souveränitätsproblem des Finanzmarktkapitalismus“ ganz wesentlich. Kurz vor Schluss definiert Vogl schließlich den titelgebenden Begriff seines Vortrags so: „Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert.“ Sollten mit den Gläubigern letzter Instanz die Plattformunternehmen gemeint sein, lohnt es sich, im subversiven Potential dieses Satzes zu lesen. Von der anderen Seite des Plattformunternehmens aus gesehen, den Nutzenden, ist die „Gefahr für andere“, also ebenso die Gefahr für einen selbst, womöglich ein Handlungsspielraum. Die Idee einer sozialen Vernetzung, auch die Vorstellung einer direkten oder indirekten finanziellen Teilhabe an dieser wirtschaftlichen superpower, muss ja keine sonderbar einerseits privatisierte und andrerseits quasi-staatlich-monopolistische Angelegenheit sein, wie es Vogl mit einer für ihn typischen Wortneuschöpfung „Dämonokratie“ ins Wort setzt. Die EU, so bringt Vogl auf Nachfrage das Referat noch einmal auf eine andere Note, versuche ja, diese Entwicklung der Finanzmärkte einzudämmen. Der Digital Markets Act sei etwa ein außergewöhnlich gutes Beispiel. Es gäbe sicher noch andere. Nun wäre das dann allerdings ein anderes Kapitel, vielleicht ja für ein weiteres Buch, und damit die Fortsetzung der Finanzsaga, die sich vor den kritischen Augen von Joseph Vogl und unseren weiter abspielt – mit offenem Ausgang.


  1. Dietmar Hawranek et al.: „Märkte außer Kontrolle“. In: Der Spiegel, 22.08.2011. ↩︎
  2. Joseph Vogl: „Souveränitätsprobleme im Finanzmarktkapitalismus“. Citizen Lecture Finanzen, Staat, Digitalisierung & Demokratie, 27.05.2024, https://tu-darmstadt.cloud.panopto.eu/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=3df89c29-7164-460b-8aed-b17d0103dc33.  Alle weiteren, nicht ausgewiesenen Zitate oder Belege sind als Wortlaute der Vorlesung entnommen. ↩︎
  3. Joseph Vogl: Kapital und Ressentiment, C.H. Beck: München 2021, S. 60. ↩︎
  4. Ebd., S. 80. ↩︎
  5. Ebd. ↩︎

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Autor: Caroline Marburger Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Kein Weiterkommen in der EU? Die EU-Wahlen und der digitale Euro

Kein Weiterkommen in der EU? Die EU-Wahlen und der digitale Euro

Ein Beitrag von Caroline Marburger

24. Mai 2024

Vom 6. bis 9. Juni könnten über 350 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger ab  16 Jahren ihre Stimme abgeben, sofern sie sich denn entscheiden zur Wahlurne zu gehen. Mehr Menschen als in den USA leben. Und doppelt soviel wie dort derzeit entsprechend registriert sind und wählen dürfen. Dennoch hat die EU-Wahl, schaut man in die Medien, wenig eigenen Appeal. Sie scheint eher die Fußnote des Superwahljahres 2024 zu sein. Dabei zeigt eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung von März diesen Jahres, dass zwei Drittel der Befragten die EU-Wahl für sehr wichtig halten. In der Medienlandschaft findet dieses Interesse allerdings keinen merkbaren Niederschlag. Und selbst die vergleichsweise rekordhafte Wahlbeteiligung in 2019 blieb 15% hinter der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen zurück. Ob sich das womöglich brexitinduzierte Ergebnis wiederholt, bleibt fraglich. Kümmmert uns Europa genug?

EU-Politik und politische Arbeit auf EU-Ebene sind kaum Referenzrahmen. Eine abseits vom European Song Contest selten europäische, sondern meist national stark segmentierte Öffentlichkeit widmet sich vornehmlich dem, was in der Hauptstadt getan oder dieses Jahr in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gewählt wird. Eher als Berichterstattung zur EU-Wahl finden sich Nachrichten zum US-Wahlkampf und den Erwartungen, was mit einer Wiederwahl Trumps einhergehen könnte. Europäische Nachrichtendienste wie Politico Europe oder EURACTIV bleiben eine Nische.

Wie unsere nationalen Sozialversicherungs-, Gesundheits- und Bildungssysteme operieren, da hat die EU wenig mitzureden. Geht es aber um Themen wie Binnenmarkt und Wettbewerb, Landwirtschaft, Umwelt und Migration, werden in Brüssel wesentliche Entscheidungen gefällt, die uns alle angehen. Themen, die allesamt Schwergewichte der medialen, öffentlichen Diskussion der letzten Zeit sind. Grund genug, diese Wahl als höchstrelevant für unsere Zukunft, zumindest die Weichenstellungen der kommenden 5 Jahre, einzustufen. Aber unsere mediale Logik und nationale Themenfilter, so scheint es, erschweren eine solche Einsicht.

Dann hingegen gibt es zutiefst europäische Themen wie den digitalen Euro, der womöglich aus der entgegengesetzten Logik heraus bisher unter dem Radar fliegt. Definitiv keines der Schwergewichte der öffentlichen Debatte. Hingegen fraglos ein gesamteuropäisches politisches Projekt. Nach der Einführung des Euro zwischen 1999 und 2002  geht es nun um seine fehlende, nun nachzuholende digitale Ergänzung. Die Einführung des Euro zwischen 1999 und 2002 war keineswegs unumstritten, aber der digitale Euro ist in nationalen Debatten derzeit noch kaum von Bedeutung.

eFin &Demokratie hat sich der möglichen bis wahrscheinlichen Einführung dieses digitalen Zentralbankgeldes in verschiedenen Formaten gewidmet bzw. tut dies weiterhin. Darunter in der ersten Staffel des projekteigenen Podcasts Digitalgelddickicht, der es mir zur Aufgabe gemacht hat, den digitalen Euro in inzwischen 8 Folgen aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, verschiedensten Expertinnen und Experten, Laien auf der Straße und Stakeholdern Fragen zu stellen und zu versuchen, den digitalen Euro wenn nicht jedermann, so doch mehr Zuhörerinnen und Zuhörern näherzubringen. Dabei ist ins Auge gefallen: er wird bisher vornehmlich von Vertreterinnen und Vertretern von EZB, Geschäftsbanken und Zahlungsdienstleistern, vor allem Wirtschafts- und Rechts-, weitaus geringfügiger von Sozialwissenschaftlerinnen und – wissenschaftlern und einigen finanzpolitischen NGOs breiter und öfter diskutiert. Und dann vornehmlich unter finanzwirtschaftlichen und geldpolitischen Vorzeichen im engeren Sinne.

Es scheint oft selbstverständlich, unsere Währung und ihre Digitalisierung nicht auch als soziopolitisches Unterfangen, als gestaltbares öffentliches Gut zu thematisieren, sondern vornehmlich als technokratische Aufgabe, die unsere Geld- und Wirtschaftsordnung möglichst geringfügig stören, idealerweise natürlich fördern und zukunftstauglich machen solle. Eine meines Erachtens unzureichende Engführung.1Siehe hierzu beispielsweise die Themen und Perspektiven, die im jüngst erschienen ZEVEDI-Kurzfilm Follow the [New] Money. Auf den Spuren von Krypto, Karten, Coins und Cash angerissen werden. Legitime Beschränkung vielleicht für die EZB, deren Aufgabe es ist, ihn zu entwickeln und auszugeben, aber eine keineswegs notwendige Limitierung für die Diskussion unter Expertinnen und Experten. Und erst recht nicht für die politische Diskussion: sowohl für die öffentliche Debatte als auch für jene innerhalb der zuständigen, politischen Institutionen. Denn diese ist schließlich entscheidend dafür, wie der digitale Euro letztlich gestaltet wird, was er vermag und was nicht.

Warum ein digitaler Euro?

Würde ein Gesetz zum digitalen Euro verabschiedet, könnte das den Alltag aller EU-Bürgerinnen und -Bürger verändern, auch wenn es kaum die haptische Symbolkraft und emotionale Bedeutung der Einführung des Euros zum Jahreswechsels 2001/2002 hätte. Aber: als gesetzliches Zahlungsmittel müsste er gemäß des derzeitigen Gesetzesentwurfes überall da, wo jetzt schon digital gezahlt wird, also im Netz, im Supermarkt oder im Flugzeug, akzeptiert werden. Anders als es seinerzeit unumgänglich war, die D-Mark in Euromünzen und -banknoten umzutauschen, bliebe es die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, ob sie ihn dann anderen digitalen Bezahlungsoptionen vorziehen oder nicht. Euromünzen und -banknoten bleiben und der Erhalt dieses Bargeldes soll innerhalb des gleichen Gesetzespaketes festgeschrieben und versichert werden. Aber dort, wo bereits ausschließlich bargeldlos operiert wird, z.B. online oder in weniger bargeldaffinen Ländern wie Finnland oder den baltischen Staaten , da wäre der digitale Euro eine Alternative, die anderen Gesetzen folgen würde als die anderen, privatwirtschaftlichen Zahlungsoptionen, die wir bisher zu nutzen gewöhnt sind.

Anlass, ein solches digitales Zentralbankgeld einzuführen, ist, was im Hintergrund geschieht, während wir unsere Uhr, Handy oder Karte an der Kasse hinhalten oder im Netz auf die Bezahloption unserer Wahl klicken. Oft verschwenden wir keinen größeren Gedanken daran. Außer vielleicht, dass es so viel schneller und angenehmer geht als früher und uns den lästigen Gang zum immer entfernter gelegenen Geldautomaten erspart. Was währenddessen aber passiert ist: wir nutzen keine gesamteuropäische Zahlungsinfrastruktur, weil es die nicht gibt. Und je stärker die Marktdominanz dieser nichteuropäischen Anbieter ist oder wird, umso weniger Handhabe bleibt der EU politisch und europäischen Anbietern wirtschaftlich, deren Geschäftspraktikern oder ihren hohen Tarifen etwas entgegenzusetzen. Kurz: Je öfter digital bezahlt wird und je mehr sich diese Dominanz verschärft, umso weniger Resilienz hat die international verwobene deutsche und europäische Zahlungsinfrastruktur und umso schwieriger wird es für die EU oder ihre Mitgliedsstaaten, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger beim digitalen Bezahlen – sei es bei Tarifen, Datenschutz, Sicherheit oder Anonymität – klar verteidigen zu können.

Daher ist besagtes Gesetzespaket der Versuch, erstens das Bargeld als von der EZB ausgegebenes öffentliches Geld zu stärken, als auch zweitens ein digitales Äquivalent, ein sogenanntes digitales Zentralbankgeld, zu entwickeln. Ein digitaler Euro könnte im Idealfall angesichts der existierenden Mängel digitalen Zahlens einerseits und der gleichzeitig existierenden Entwicklungs- und Innovationsmöglichkeiten andererseits neue Maßstäbe in Sachen Transparenz, Privatsphäre und Datenschutz setzen. Und im Sinne des Verbraucherschutzes privatwirtschaftliche Ambitionen zügeln, aber auch die Entwicklung kompetitiver Angebote durch Privatanbieter für den europäischen Markt fördern und verstärken.

Die Verhandlungen auf EU-Ebene stocken

Ein Gesetz zum digitalen Euro wird seit Juni 2023 konkret diskutiert, seitdem die EU-Kommission ihren Verordnungsentwurf zum digitalen Entwurf vorgelegt hat. Dass die darauf folgende Aushandlung einer Gesetzgebung sich über Jahre erstreckt, ist normal.  Natürlich auch, dass es je nach Erscheinen mehr als eine Legislaturperiode brauchen kann. Nur ist im Falle des digitalen Euros seit Ende April der Prozess scheinbar noch mehr ausgebremst als unbedingt nötig. Eine erste Phase der politischen Entscheidungsfindung hätte mit der Stellungnahme von EU-Parlament wie Europäischem Rat einen Abschluss gefunden. Die Annahme war lange, eine solche Stellungnahme seitens des Parlamentes oder zumindest die klare Empfehlung des zuständigen Ausschusses würde es vor Ende der Legislaturperiode noch geben. Aber nicht einmal zu Letzerem ist es nun noch gekommen.

Solange es keine Entscheidung seitens der EU-Organe gibt, so wird auch kein digitaler Euro eingeführt. Was er genau könnte und soll, bleibt so lange Skizze und Prototyp. Während die EZB parallel an der Vorbereitung und technologischen Entwicklung eines digitalen Euros arbeitet, kann auch sie nur bedingt weitermachen. Sie kann testen, klären, untersuchen, Prototypen aufsetzen, aber solange der politische Prozess, mit dem sie im Austausch steht, nicht weitergeht, sind selbst einer EZB letztlich die Hände gebunden. Ihre Entscheidung fällt sie unabhängig, aber nicht ohne vorhergehende Gesetzgebung.

Was ist da passiert? Bevor das Parlament in einer sogenannten Ersten Lesung diese Entscheidung fällt, wird es zunächst in dessen Ausschüssen beraten. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) wurde als federführender Ausschuss, der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Inneres und Justiz (LIBE) als beratender Ausschuss bestimmt. In beiden werden für den Gesetzesentwurf Verhandlungsteams besetzt, geleitet von einem sogenannten Berichterstatter oder einer Berichterstatterin einer Fraktion. Teammitglieder sind außerdem die sogenannten Schattenberichterstatterinnen und Schattenberichterstatter aller übrigen im Parlament vertretenen Fraktionen. Wer die Leitung übernimmt, wird durch ein Punktesystem ausgehandelt, das die Stärke der jeweiligen Fraktionen im Parlament widerspiegelt. Mit entsprechenden Punkten ausgestattet, bewerben sich Fraktionen für die Verhandlungsleitung bei für sie strategisch wichtigen Themen.

Federführender Berichterstatter und somit Verhandlungsführer für das Parlament für das Gesetzespaket Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel und etwaige Einführung eines digitalen Euro ist im federführenden Ausschuss Stefan Berger von der CDU bzw. der EVP (Europäische Volkspartei), der als Berichterstatter für die inzwischen rechtskräftige MiCAR-Gesetzgebung zur Harmonisierung der Regulierung von Kryptowerten Expertise im Bereich digitale Finanzindustrie mitbringt. Auch der zuständige Berichterstatter des LIBE-Ausschusses, Emil Radev, ist EVP-Mitglied. Berichterstattende sind Chefverhandlerinnen oder Chefverhandler, sie setzen die Agenda, können sich in Hintergrundgesprächen mit den zuständigen Ratsvertreterinnen und -vertretern treffen, müssen aber im späteren Trilog zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament das gesamte Parlament vertreten, d.h. ggf. auch eine Position vertreten, die nicht die ihrer eigenen Fraktion ist. Gleichzeitig ist kaum davon auszugehen, dass die EVP- Fraktion sich diese Verhandlungsposition nur so nebenbei gesichert hat. Ein Bewusstsein dafür, dass diese Entscheidung für das eigene Profil relevant ist, wird es gegeben haben. Auch wenn CDU wie CSU den digitalen Euro in ihren Wahlprogrammen mit keinem Wort erwähnen, nur den anderen Teil des Gesetzespaketes aufgreifen und für den Erhalt des Bargeldes plädieren.

Positionen und mögliche Kompromisse

Im demokratischen Prozedere des EU-Parlaments ist es essenziell, sich Mehrheiten organisieren zu können, also einen tragfähigen Kompromiss zu finden, der die Unterstützung anderer Fraktionen findet. Henrike Hahn, Schattenberichterstatterin für Die Grünen/EFA zum digitalen Euro hatte im Interview für die siebte Folge des Digitalgelddickichts zur Arbeit auf EU-Ebene bezüglich der verschiedenen Fraktionen gesagt: „Für uns alle ist klar, dass Privatsphäre und Datenschutz beim digitalen Euro nicht zu kurz kommen sollten.“ Es gäbe generell Überschneidungen, meinte sie, gerade auf sozialdemokratischer, grüner und liberaler Seite. Streitpunkt blieben die Gebühren, die der digitale Euro für den Einzelhandel oder zwischen Zahlungsdienstleistern kosten darf. Linkerhand wird dafür plädiert, diese Gebühren zu deckeln, auf liberaler und konservativer Seite plädiert man eher für den freien Wettbewerb und/oder den Schutz der Eigeninteressen der Geschäftsbanken. Neben deren Rolle seien Haltelimits und Verzinsung strittige Themen.  Aber, hätte die EVP gewollt, so entsteht der Eindruck, wäre ein mehrheitsfähiger Beschluss möglich gewesen?

Ihr sozialdemokratischer Kollege Paul Tang hatte bereits Mitte Februar in einer  Sitzung des Wirtschafts- und Währungsausschusses explizit seiner Irritation über das stockende Prozedere Ausdruck verliehen

I think political groups, S&D, the Greens, Renew are willing to move forward on the entire package. My concern in all this is […]the process up to now. There have been two deadlines for the report on the digital euro. It has not been produced. Now, finally, we got the report on last Monday[…]while we are working against the clock since the end of the mandate is coming. […] There’s a timeline proposed where we need to finalise three files in ten days. So let me express my concern on the process. I’m not sure why this is so difficult. I’m not sure what is behind it. But I have to tell to people outside the European Parliament who take an interest in this package of files that I’m not sure what the European Parliament will do. Personally, I find it’s a very difficult situation because I think we should work on it. And it’s a parliamentary right to have these files discussed. But the process up till now makes it almost, makes it very difficult, if not impossible. […]I express my concern that we see so much uncertainty in this process that I’m not sure that we would be able to deliver and to do our democratic duty.“

Ob der EU-Wahl-Prognosen mag es nicht verwundern, dass S&D sowie Grüne noch gerne zu einer Entscheidung gekommen wären. Gleichzeitig hatte SPD-Abgeordneter Joachim Schuster, Mitglied der S&D-Fraktion sowie des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, im Gespräch mit dem Digitalgelddickicht doch eher zur Vorsicht gemahnt. Er betonte, das Thema sei noch zu unklar. Es sei zu früh, eine abschließende Meinung und Position zu entwickeln. Für die deutsche SPD stimmt das: auch dort klafft bezüglich des digitalen Euros im Wahlprogramm eine Leere.

Rechterhand der EVP zeigt sich die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer EKR, der beispielsweise die polnische PiS-Partei angehört, absolut skeptisch, was den digitalen Euro angeht, möchte ihn eigentlich von Anfang an stoppen. So zumindest der entsprechende Änderungsvorschlag des zuständigen Schattenberichterstatters Michiel Hoogeveen (Amendment 120). Nun hat die Fraktion Identität und Demokratie jüngst die AfD-Abgeordneten in Gänze – wenn auch ob beendeter Sitzungsphase ohne unmittelbare Konsequenz – ausgeschlossen. AfD-Abgeordneter Gunnar Beck war zuständiger Schattenberichterstatter, wurde aber in den Diskussionen nicht sichtbar, hat keinerlei Änderungsanträge vorgebracht. Seine Fraktionskollegen der italienischen Lega schon, fordern beispielsweise ein möglichst niedriges Haltelimit. Eine grundsätzliche Ablehnung formulieren sie nicht. Die AfD hingegen betont in ihrem Wahlprogramm, dass nur nationale Währungen jedem Staat wieder seine Souveränität über seine Wirtschafts- und Währungspolitik zurückgeben. Den digitalen Euro lehnt die Partei als vermeintliches Zensur- und Überwachungsinstrument ab.  Beide Fraktionen, EKR wie ID, dürfen derzeit am Wahlwochenende Anfang Juni den Prognosen zufolge mit signifikantem Stimmenzuwachs rechnen.

Auf nationaler Ebene finden sich in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zum digitalen Euro neben der Leerstelle bei SPD und CDU/CSU durchaus klar divergierende Positionen. Klare Befürworter wie VOLT, FDP und Die Grünen und klare Gegner wie die AfD. Aber, so meint die Inititative monetative e.V, die das Thema bereits vor 5 Jahren angemahnt hatte: Die Tendenz, das Thema von politischer Seite zu meiden oder mit Allgemeinplätzen zu beantworten, setze sich fort. „Bis heute gibt es im Detail kaum fundiert ausgearbeitete Positionen der politischen Parteien zum digitalen Euro.“

Die EU-Wahl als Zäsur

Entgegen ursprünglicher Erwartungen ist also inzwischen klar: Eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments gibt es nicht, eine Einigung im Wirtschafts- und Währungsausschuss auch nicht. Hinzu kommt, dass Investigativrecherchen für die Plattform „Follow the Money“ nahelegen, dass die Geschäftsbanken nicht nur wiederholt ihre verständlichen Sorgen artikuliert haben,2Siehe hierzu insbesondere Folgen 5 und 6 des Digitalgelddickichtsdie sie ob des digitalen Euros für ihr Geschäftsmodell sehen. Sondern dass die Bankenlobby ihre Position immer wieder bei den Verantwortlichen zu Gehör zu bringen vermöge,  während Argumente bankenkritischer NGOs oder der Verbraucherschutzverbände nicht dasselbe Gehör fänden.

De facto ist nun, statt eine neue Konkretisierungsstufe in der Debatte zu erreichen, alles denkbar offen. Das im weiteren Prozess relevante Personal am Verhandlungstisch wird sich zumindest in Teilen ändern: Berichterstatter Stefan Berger, Schattenberichterstatter Gunnar Beck (AfD), Michiel Hoogeveen (EKR), Gilles Boyer (RENEW) und Chris MacManus (Die Linke) kandidieren zumindest wieder und gelangen womöglich zurück an den Verhandlungstisch. Paul Tang und Henrike Hahn, Verhandlungsführer und -führerin für Sozialdemokraten und Die Grünen/EFA , kandidieren hingegen nicht erneut. Bis es zur weiteren Verhandlung kommt, werden Monate vergehen, mindestens die Grünen/EFA und S&D werden die Stellen an diesem Verhandlungstisch neu zuweisen. Mindestens diese zwei Abgeordneten werden sich neu einarbeiten müssen, aber nach derzeitigen Prognosen weniger Fraktionsstimmen als Verhandlungsmasse in die Waagschale legen können. Aber letztlich sind reichlich Umbesetzungen in der Ausschussarbeit denkbar. Prognosen legen bestenfalls nahe, dass es eher die Gegner eines digitalen Euro sind, die Parlamentssitze gewinnen werden und dass eher bankenfreundliche Positionen Gewicht bekommen als jene, die für finanzielle Inklusion und größeren Wettbewerb auch für Geschäftsbanken argumentieren.   

Ob nun Sachzwänge oder strategische Fragen eine erste Stellungnahme verhindert haben, die Konsequenz ist klar: Was der digitale Euro letztlich zu leisten vermag, bleibt ein großes Fragezeichen. Und ob eine Ausgabe 2028 noch realistisch ist, steht ebenso zur Disposition. Eine Positionierung des Währungsausschusses und erst recht des EU-Parlamentes, auch stärkeres Profil der Parteien wäre wünschenswert gewesen bzw. bleibt es weiterhin. So bleibt unsicher, in welche Richtung der digitale Euro sich konkret entwickeln könnte. Konkrete Aussagen aus Brüssel und Straßburg sind derzeit für Monate keine zu erwarten. Und, leider, solange alles im Vagen bleibt, weil die Politik keine Position findet und medial die Debatte eben weiterhin nicht breiter geführt wird, bleibt die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit von den destruktiven Verdächtigungen, wie sie die AfD aufgreift, durchdrungen, der digitale Euro sei zur Kontrolle und Überwachung der Bürgerinnen und Bürger gedacht. Es bleibt weiterhin wünschenswert, diesen Nebelkerzen eine informierte Diskussion entgegenzusetzen, die sich mit den Risiken genauso klar auseinandersetzt wie den Chancen. Auch und gerade seitens der Politik.

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Autor: Eneia Dragomir eFin-Blog Farbe: gelb

Worüber reden wir, wenn wir über Geldpolitik reden?

Worüber reden wir, wenn wir über Geldpolitik reden?

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

6. Mai 2024

Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ ist zu Beginn dieses Jahres bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen, deren Anliegen es bekanntlich ist, „Bürgerinnen und Bürger (zu) motivieren und (zu) befähigen, sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinander zu setzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen“. Dieses Anliegen ist auch dem von Aaron Sahr herausgegebenen Band anzumerken.

Schon in der Einleitung werden die Leser:innen durch den Herausgeber Aaron Sahr dazu eingeladen, „Geldpolitik“ nicht nur als Aufgabenfeld von Expertenkreisen zu verstehen, sondern als „Politik des Geldes“: „Gemeint sind damit die politischen Prozesse und Machtkonflikte zur Gestaltung und Umgestaltung der Geldordnung.“ (10) Im folgenden Glossar „geldpolitischer Begriffe“ wollen Florian Schmidt und Luca Kokol, Mitarbeiter:innen der von Sahr am Hamburger Institut für Sozialforschung geleiteten Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“, der „Sprache der Geldpolitik“ den „autoritativen Anschein“ nehmen und aufzeigen, wie grundlegend umstritten diese Begriffe tatsächlich sind. Das Glossar hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, möchte aber einen „Grundstock an Vokabeln“ liefern sowie „Neugier“ wecken und dazu aufmuntern, über Geldpolitik zu sprechen. Carolin Müller, ebenfalls Mitarbeiterin der Forschungsgruppe, möchte in ihrem Beitrag aufzeigen, warum Geld grundsätzlich politisch ist und inwiefern bestimmte wissenschaftliche und alltägliche Geldvorstellungen (bspw. Geld als Zahlungs-, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit, also als neutrales ökonomisches Werkzeug versus Geld als rechtlich abgesicherte Forderung gegen eine Geschäftsbank) bestimmte Geldordnungen rechtfertigen.

Institutionelle Arrangements

In einem zweiten Block geht es um konkretere institutionelle Arrangements: Isabel Feichtner, Professorin für Öffentliches und Wirtschaftsvölkerrecht, stellt in ihrem Beitrag dar, wie die in den Rechtswissenschaften vorherrschenden Geldvorstellungen (bspw., dass es Geld vor den Staaten gab), geldpolitische Festlegungen (wie rechtliche Regelung der Aufgabengebiete der Europäischen Zentralbank) „rationalisieren“. Die Politikökonomin Waltraud Schelkle stellt das „one-size-fits-none-Problem“ in den Mittelpunkt ihres Beitrags, also die Auseinandersetzung darüber, ob die Geldpolitik der EU bzw. der Europäischen Zentralbank bestimmte Länder oder Ländergruppen (Süd- oder „Weichwährungsländer“ versus Nord- oder „Hartwährungsländer“) bevorzugt. Eine systematische Bevor- oder Benachteiligung erkennt Schelkle nicht. Vielmehr sieht sie in den Kooperationen und Zusammenschlüssen Versuche der Länder, auf ein zunehmend krisenanfälliges Finanzsystem zu reagieren. Schelkle stellt auch eine Veränderung des Umgangs der EZB mit Kritik fest. Sei diese zunächst mit Verweis auf die eigene Expertise quittiert worden, sei mit zunehmender Kritik und im Gefolge der „unkonventionellen Geldpolitik“ der EZB in öffentlichen Statements von Direktoriumsmitgliedern die Sensibilität gegenüber der Wirkung dieser Politik stärker betont worden. Das geldpolitische Wirken westlicher Zentralbanken seit den 1970er-Jahren steht im Fokus des Beitrags von Leon Wansleben. Unter Rückgriff auf sozial-, politik- und geschichtswissenschaftliche Ansätze will der Soziologe den wirtschaftswissenschaftlich verengten Blick auf die Politik von Zentralbanken wieder erweitern: Deren Geldpolitik hätte immer schon verteilungspolitische Wirkung gehabt (insofern bestimmte soziale Gruppen stärker von ihr profitierten als andere) und das „Erwartungsmanagement“ sei spätestens dann zur expliziten Strategie geworden, als klar war, dass die Zentralbanken aufgrund der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken die Geldmenge nicht steuern konnten. Über den Leitzins (also den Zins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen können) würden Zentralbanken seither versuchen, auf die Erwartungen ökonomischer Akteure Einfluss zu nehmen. Wansleben will auch aufzeigen, dass Zentralbanken auf institutionelle Arrangements bzw. auf „institutionelle Macht“ angewiesen sind.

Geschichte und „Geopolitik des Geldes“

Der Umbruch in der internationalen Geldordnung bzw. die „Geopolitik des Geldes“ steht in zwei Beiträgen im Mittelpunkt. Andrea Binder rekonstruiert die wechselvolle Vorgeschichte der aktuellen internationalen Geldordnung, insbesondere die Entstehung und wachsende Bedeutung des Offshore-Finanzsystems. Nach dem Ende des „klassischen Goldstandards“ in Folge des Ersten Weltkriegs und der Entstehung des US-Dollar-dominierten Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, habe sich bereits in letzterem das gegenwärtige System angekündigt: mit einer starken Stellung privater Finanzakteure sowie von Wirtschaftskanzleien, deren Expertise aufgrund der Komplexität grenzüberschreitender Finanzkonstrukte wie dem „Eurodollar“ (ein außerhalb der USA geschöpfter Dollar, der anderem als US-Recht unterliegt) nötig wurde. Diese internationale Geldordnung, die nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der 1970er-Jahre vorherrschend wurde, befinde sich seinerseits seit der globalen Finanzkrise von 2008/9 sowie der folgenden Krisen im Umbruch. Einen solchen Umbruch in der „Geopolitik des Geldes“ identifiziert Sahr in seinem eigenen Beitrag im Zuge der internationalen Sanktionen gegen Russland, nach dem dieses die Ukraine überfallen hatte. Vor allem das „Einfrieren“ der Devisen der russischen Zentralbank habe die gegenwärtige internationale Finanzarchitektur erschüttert. Denn es sei sichtbar geworden, dass dieses Geld in nichts anderem als in Forderungen dieser Bank gegen Zentralbanken anderer Länder bestehen würde. Durch die Weigerung, diesen Forderungen nachzukommen, würde die Fragilität dieser Geldordnung zu Tage treten.  

Ein vierter Block greift historisch weiter aus- und zurück, um geldpolitische Umbrüche zu markieren. So arbeitet der Genfer Politökonom Lucas Haffert heraus, warum die Hyperinflation von 1923 so präsent in der deutschen „kollektiven Vorstellung“ sei und die Deflation, welche die Weltwirtschaftskrise von 1929 kennzeichnete, in den Schatten stellen konnte. Er verweist dabei einerseits auf die Tradierung durch Familie und vor allem durch die Schule, aber auch auf die soziale Dimension, insofern als die Hyperinflation das deutungsmächtige Bürgertum stärker traf als die Arbeiterschaft. Der Soziologe Jakob Feinig greift auf das Beispiel der Finanzierung der öffentlichen Wasserversorgung in New York City vor der Unabhängigkeit der USA zurück, um aufzuzeigen, dass Geldschöpfung zur Finanzierung großer öffentlicher Projekte selbstverständlich war. Auch zur Finanzierung des Bürgerkriegs hätten die Nordstaaten noch die später als „Greenbacks“ bezeichnete „Bürgerkriegswährung“ geschaffen. Das „Beschweigen des Geldes“ habe hingegen schon mit der Unabhängigkeit der USA begonnen, als den Bundestaaten die Möglichkeit genommen wurde, eigenes Geld zu schaffen, und sei vor allem unter Franklin D. Roosevelt verstärkt worden. Das englische „Silencing“ macht deutlicher als der deutsche Begriff, dass Feinig darunter gesellschaftliche Auseinandersetzungen versteht, im Zuge deren Geld nicht mehr als gestaltbares und für (gesellschafts)politische Zwecke einsetzbares Mittel verstanden worden wäre, sondern als „rätselhaftes Gebilde“, das außerhalb politischer Prozesse stehe. (246)

Krypto als neuer Goldstandard?

Der Beitrag von Florian Kern sticht aus dem Sammelband heraus, nicht nur, weil es der einzige Beitrag ist, der die Digitalisierung des Finanzsystems thematisiert, während diese in den anderen Beiträgen kaum Erwähnung findet. Kern stellt Kryptowährungen in den Fokus, erklärt diese kurz im Allgemeinen, um dann ein Szenario zu entwickeln, welche Rolle Kryptowährungen im Finanzsystem einnehmen könnten. Geschaffen als digitalisierte Antithese zum „Fiat-Standard“ (Fiat-Geld ist stoffwertloses Geld, das prinzipiell „auf Knopfdruck“ geschöpft werden kann), sei ein Krypto-Standard in Analogie zum Goldstandard vorstellbar. So wie Geldschöpfung zu Zeiten des Goldstandards durch Goldvorräte gedeckt (und beschränkt) wurde, sei es vorstellbar, dass die Geldschöpfung durch eine künstlich verknappte Kryptowährung wie Bitcoin gedeckt und beschränkt würde. Das würde jedoch die Probleme reproduzieren, die das Geldsystem zur Zeit des klassischen Goldstandards um 1900 hatte: Banken, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, könnten nicht durch Zentralbanken (und deren Geldschöpfung) gestützt werden. Die Skepsis von Verfechter:innen von Kryptowährungen gegen staatliche Eingriffe und gegen vermittelnde Akteure erklärt Kern durch einen Rückgriff auf religiöse Elemente, welche sich in den ökonomischen Theoriegebäuden etwa von Adam Smith oder später der österreichischen Schule und ihren Vertretern wie Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek finden würden: Während bei Smith die „unsichtbare Hand“ des Marktes einen solchen religiösen Restbestand darstelle, sei es im Falle der österreichischen Schule der Glaube an eine „spontane Ordnung“ von Märkten, die durch menschliche bzw. staatliche Eingriffe nur gestört werden könne. Diese Skepsis erkennt Kern auch in den Weltanschauungen der Krypto-Szene wieder. Anders als die anderen Autor:innen plädiert Kern weniger für eine Öffnung des Diskursraums, sondern – weitaus klassischer – für die Regulierung von Kryptowährungen.

Umbrüche und Einblicke

Der Sammelband „Geldpolitik im Umbruch“ wartet mit einem Kaleidoskop interessanter Einblicke in finanz- und geldpolitische Phänomene und Bereiche auf, in denen sich Umbrüche in der Vergangenheit ereignet haben und gegenwärtig abzeichnen. Vor allem die historisch zurückschauenden Beiträge, etwa jener Jakob Feinigs, stellen solche Umbrüche und alternative Geldpolitiken anschaulich dar. Der Band bietet auch einen Einblick in die in diesem Zusammenhang diskutierten geld- und finanztheoretischen Ansätze. Nicht erkennbar ist hingegen, inwiefern der Band über solche Einblicke hinaus auch die Systematik des gegenwärtigen Umbruchs der Geldpolitik erfasst. Nicht zu übersehen ist ebenso, dass der Sammelband durch sozial- und politökonomische Perspektiven bestimmt wird und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven fehlen. Zwar wird das Versprechen eingelöst, den Diskursraum zu öffnen, insofern alternative Ansätze und Perspektiven aufbereitet werden. Die Öffnung dieses Feldes gelingt insofern jedoch nur bedingt, als sich der Sammelband kaum als voraussetzungsarmen Einstieg in die aktuellen Debatten zum Umbruch der Geldpolitik eignet.

Sahr, Aaron (Hrsg): Geldpolitik im Umbruch, Schriftenreihe, Bd. 11064, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2024.
Herunterladbares Pdf hier.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: gelb Uncategorized

Coinzeit 3000 #8: Offline

Coinzeit 3000: Eine Lesekolumne zum Thema Offline

Ein Beitrag von Petra Gehring

15. April 2024

Der Nebel um die Ausgestaltung des Digitalen Euro lichtet sich erst sehr langsam. Anfang 2023 klang es jedenfalls aber so, als verfolgten EZB und EU nicht das Ziel, das neue Digitalgeld als hochgetriebenes „programmierbares“ Artefakt auf der Blockchain anzubieten. Programmierbares Geld – oder mindestens vorprogrammierte Zahlungsabläufe, also auf der Basis von „smarten“ Verträgen automatisierte Geldflüsse – fordert zwar die Industrie. Die Politik teilt aber mit, sie denke primär an die Bürger:innen, also an Bargeldnutzer:innen wie dich und mich. Und wir haben nun mal wenig Interesse an der aufwändig durchautomatisierten (weil massenhaften und somit billigeren) Prozessierung von Geld. Wir geben Geld in wechselnder Weise, situationsangemessen und oft spontan aus. Von daher die Botschaft der Politik: Der digitale Euro soll auch „offline“, also wohl physisch verfügbar sein. Was allerdings heißt das? Oder meint Offline-Nutzbarkeit gar nicht im vollen Wortsinn „physische“ Verfügbarkeit? Die Finanzverantwortlichen der Eurogruppe schreiben:

„The Eurogroup also supports the exploration of an offline functionality which would serve a wider range of use cases and also contribute to financial inclusion by facilitating the use by citizens in different scenarios. “

Damit scheint also nicht bloß eine Endstation Smartphone angestrebt zu werden. Sondern man denkt … ja: an was? An eine mit einem Girokonto verbundene Karte? Dann wäre ich freilich einfach wieder bei meiner (Geschäfts-)Bank. Also vielleicht eine aufladbare Geldkarte wie die Bezahlkarte in der Mensa? Eine Pay-Safe-Karte, die ich (bereits aufgeladen) in der Tankstelle kaufen kann? Oder gäbe es da einen anderswie verpackten Chip? Kann ich freilich ohne Netz mir die Summen auf einem solchen kleinen Wertspeicher „abholen“? Und ist beim Ausgeben des digitalen Offline-Euro dann wirklich auf der ganzen Strecke, also auch hinter dem Lesegerät eines Zahlungsempfängers, alles klassisch verkabelt und in diesem Sinne die Nutzung also ganz ohne Internet möglich? Letzteres kann ich mir kaum vorstellen. Ein Einwand eines Piraten-Abgeordneten im Europäischen Parlament lautete zwischenzeitlich auch: der „offline“-Euro muss Zahlungen auch bei physischem Abstand der Zahlenden ermöglichen. Also Verschickbarkeit per Postpaket? Deponierbarkeit im Versteck unter der Baumwurzel?

In einer überall immer auch von Online-Übermittlungswegen durchzogenen Welt muss, so scheint es, ziemlich präzise darüber geredet werden, was „offline“ eigentlich bedeutet. Folge ich Wikipedia, dann heißt „offline“ im Grunde nur der abgeschaltete Zustand eines (auch) online nutzbaren Programms. Etwas ‚offliniger‘ als bloß nach dem Download noch existent sollte der digitale Euro aber definitiv sein. Nur so ist er auch inklusiv, das heißt für Menschen ohne Konto, für Wohnungslose, für Kinder und für Menschen, die Geld gern unter dem Kopfkissen haben, verwendbar.

„Als Offliner werden Menschen bezeichnet, die das Internet nicht nutzen“, heißt es bei Wikipedia immerhin auch. Und gerade für diese sollte es ja die von der Eurogruppe „offline“ genannte Funktion wohl geben.

Eurogruppe: Pressemitteilung vom 16. Januar 2023: Eurogroup statement on the digital euro project, [15. April 2024]

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Europäisches Parlament: Änderungsanträge 34 – 277, Stellungnahme zur Einführung eines digitalen Euro, siehe insbesondere Änderungsantrag 76, 11. Dezember 2023, nur in Englisch verfügbar [15. April 2024].

Wikipedia: Offline, https://de.wikipedia.org/wiki/Offline, [15. April 2024].

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