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Festival einer Demokratie, die unter Druck steht – Bericht von der re:publica 25

Festival einer Demokratie, die unter Druck steht – Bericht von der re:publica 25

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

12.06.2025

Die re:publica, die 2007 als „Bloggerkonferenz“ startete und sich inzwischen als „Festival für die digitale Gesellschaft“ begreift, lud dieses Jahr vom 26. bis zum 28. Mai die Generation X, die Millennials (bzw. GenY), die „GenZ“ sowie die Boomer dazu ein, eine „intergenerative Allianz“ zu schmieden und sich zur „Generation XYZ“ zusammenzutun – so das Motto der Konferenz. Doch schon der Erklärtext zum Motto weckt keine Feierlaune: „denn unsere demokratische Gesellschaft steht auf dem Prüfstand“. On- wie offline fehle es an Räumen, in denen sich die Generationen „offen begegnen können, um sich zu vergewissern“, dass sie mehr verbinde als trenne.1Vgl. https://re-publica.com/de/news/generation-xyz (10.06.2025). Steht unsere Demokratie also auf dem Prüfstand, weil die Generationen es vorziehen, sich in unterschiedlichen (digitalen) Räumen zu tummeln?

Gute Stimmung – düstere Perspektiven

Schon ein kurzer Blick ins Programm lässt daran Zweifel aufkommen: „Digitale Governance: Wie umgehen mit den Entwicklungen sozialer Netzwerke wie Instagram, Facebook oder X?“, „Machtfaktor Social Media – gestern war der beste Tag, mit Regulierung die Demokratie zu bewahren“, „Klimadesinformation auf X/Twitter – Welchen Einfluss hatte die Übernahme von Elon Musk“, „Meta, MAGA, Musk: Wie wir unsere Demokratie auf Social Media verteidigen“ – um nur wenige Beispiele aus der schon am ersten Tag schier unüberschaubaren Fülle an Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Gesprächen, Workshops und Meet-Ups herauszugreifen. Das Problem scheint weniger das Fehlen von Räumen, sondern vielmehr die Struktur und Ausgestaltung dieser Räume zu sein sowie die Interessen und Machtverhältnisse, die sie dominieren.

Installation "Required Fields*" der Designerin und Autorin Chris Campe auf der re:publica 25
Installation „Required Fields*“ von Chris Campe, Hari Klein und Ulrike Rausch auf der re:publica 25. Foto: Der Autor.

Auch auf einem der Opening Panel, „GenerationXYZ: Digitale Heimaten, digitale Zukünfte“, herrschte der Tenor vor, dass es weniger die unterschiedlichen Generationen seien, die sich in Bubbles gegeneinander abschließen, sondern „intergenerative“ Bubbles sich entlang von bildungs- und soziokulturellen Grenzen bilden würden. Weitgehende Einigkeit bestand auch in der Beobachtung, dass es bei der Ausgestaltung der Sozialen Medien um die Demokratie gehe. Denn es gebe zunehmend weniger „Pubs“, womit nicht nur Kneipen gemeint sind, sondern generell öffentliche („public“) analoge Orte, in denen die Gesellschaft zusammenkommt. Umso problematischer daher, dass die Gestaltung der größten sozialen Plattformen letztlich vom Gutdünken von Persönlichkeiten abhänge, die zunehmend umstritten sind. Während für Oğuz Yılmaz (Talent-Manager, Creator Economy-Experte, ehemaliger Youtuber sowie Vertreter der GenY) Mark Zuckerbergs Meta-Konzern der „größte Übeltäter“ ist und dazu aufrief, Facebook zu verlassen, brandmarkte der re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl Elon Musk in einer anderen Veranstaltung schlicht als „Faschisten“.2Vgl. https://www.zeit.de/wissen/2025-06/digitalisierung-deutschland-markus-beckedahl-krisenpodcast, 35:50 (12.06.2025).

Roboter auf der re:publica 25, der verlassen vor einem Regal steht.
Roboter auf der re:publica 25, der verlassen vor einem Regal steht. Foto: Der Autor.

Insgesamt geriet das Generationen-Thema gegenüber den politischen und insbesondere geopolitischen Verschiebungen in den Hintergrund: Das Erstarken rechter Kräfte, das sich nicht nur in den Sozialen Medien bemerkbar macht; Tech-Milliardäre, denen die Nähe zu diesen Kräften die mittlerweile populäre Bezeichnung „Broligarchen“ eingebracht hat;3Bspw. https://re-publica.com/de/session/zwischen-broligarchie-und-autokraten-playbook-wie-kontert-die-zivilgesellschaft (10.06.2025), vgl. dazu auch den FAZ-Gastbeitrag des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller : https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/musk-zuckerberg-bezos-co-wie-gefaehrlich-sind-die-tech-oligarchen-110257765.html (12.06.2025). Big Tech-Konzerne, denen vorgeworfen wird, Regulierungsversuche wie DSGVO oder Digital Services Act zu missachten und zu untergraben.4Vgl. dazu auch https://re-publica.com/de/session/big-tech-regulierung-wer-setzt-unsere-rechte-durch bzw. https://www.youtube.com/watch?v=JDn2tMewt9M&pp=0gcJCd4JAYcqIYzv (12.06.2025). Selbst wenn unter den Konferenzteilnehmer:innen, die ihr persönliches Programm zudem mit Bällebad, Yoga, Meditation und Breathwork oder durch Videospiele-Kräftemessen mit „Pros“ auflockern konnten, gute Stimmung herrschte: Die diskutierten digital- und geopolitischen Perspektiven waren überwiegend ernst bis düster – die Demokratie im Allgemeinen und die EU im Besonderen stehen unter Druck.

Deutschland-, Euro- oder Elon-Stack?

Wie können demokratie- und rechtewahrende Lösungen für Europa aussehen, welche die Abhängigkeiten von Big Tech-Playern der USA sowie Chinas verringern? Wie lassen sich Werte wie Demokratie, Datenschutz, Privatheit, Solidarität und Subsidiarität wahren? Wie lässt sich die digitale Souveränität Europas erreichen und sichern?

Das Fediverse hat sich auf der re:publica 25 mit Mastodon und anderen offenen Plattformen als Alternative zu X, Instagram und Facebook in Stellung gebracht.5Vgl. Mastodon: Offene Infrastrukturen für alle (06.06.2025). Open Source-Anwendungen wurden als „Good Tech“ Big Tech gegenübergestellt6Vgl. Good Tech vs. Big Tech: Wie wir Allianzen gegen die Digitalmonopole schmieden (06.06.2025). und europäische Unternehmen wie Nextcloud und IONOS präsentierten sich als Alternativen zu den großen US-Cloud-Anbietern.7Vgl. Nexcloud: https://re-publica.com/de/session/so-baut-man-ein-nachhaltiges-open-source-unternehmen (10.06.2025) und IONOS (u.a.): https://re-publica.com/de/session/einfach-mal-machen-wie-die-europaeische-cloud-industrie-sich-mit-der-seca-api-selbst-hilft (10.06.2025). Zum „Tech-Stack“, also der Kombination technologischer, organisatorischer und (wirtschafts-)politischer Elemente, welche die digitale Souveränität Europas absichern und erweitern soll,8Ein tech oder technology stack meint eigentlich die Kombination verschiedener Komponenten, die notwendig sind, damit eine Software-Anwendung läuft. Der „EuroStack“ soll ein Konzept sein, um die Komponenten und Elemente in den Blick zu nehmen (Rohstoffe, Geräte und Infrastruktur, Codes, der Programme und Services sowie Daten, Datenflüsse, Datensicherheit, Standards und Protokolle), die es ermöglichen sollen, die digitale Souveränität der EU zu sichern sowie ökonomische Perspektiven zu erschließen. Vgl. https://netzpolitik.org/2025/digitale-souveraenitaet-und-eurostack-wie-kann-europa-digital-unabhaengiger-werden/ (10.06.2025). wurden immer wieder auch der Digitale Euro sowie die EUDI bzw. European Digital Identity Wallet gezählt. Während die EUDI-Wallet und der Stand ihrer Verfertigung gleich auf mehreren Panels dargestellt wurde,9Vgl. https://re-publica.com/de/session/die-deutsche-eudi-wallet-als-fundament-fuer-digitale-souveraenitaet und https://re-publica.com/de/session/trust-different-identity-futures-und-die-eudi-wallet (10.06.2025). haben Sebastian Gießmann und Petra Gehring für mehr Aufmerksamkeit für den Digitalen Euro sowie dafür plädiert, ihn als „das neue Geld der europäischen Öffentlichkeit“ zu begreifen. Während Gehring dazu aufrief, den Menschen in Europa zuzutrauen, dass sie nicht nur an einer bequemen, sondern auch an einer „gemeinwohlorientierten Ausgestaltung“ interessiert seien, betonte Gießmann, dass mit dem Digitalen Euro eine europäische „öffentlich-rechtliche“ Bezahl-Infrastruktur entstehe.10Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=PAbaSQupkzw (10.06.2025).

Petra Gehring und Sebastian Gießmann auf der re:publica 25
Petra Gehring und Sebastian Gießmann sehen im Digitalen Euro das „neue Geld der europäischen Öffentlichkeit“. Foto: Der Autor.

Als „Deutschland-Stack“ tauchte der Tech-Stack wie auch das digitale Bezahlen und die europäische Wallet auch im Vortrag des neuen Bundesministers für Digitales und Staatsmodernisierung Karsten Wildberger auf.11Vgl. https://re-publica.com/de/session/digitalministerium-als-start (12.06.2025). Es gelte Alternativen sowie eigene digitale Kapazitäten zu entwickeln, die auf unverhandelbaren Werten basieren, so der Digitalminister. 12Vgl. bspw. https://www.youtube.com/watch?v=gkvGrmjhuwg, 7:35 und 20:13ff (12.06.2025). Vor re:publica-Publikum versprach er, dass der digitale Staat auch auf der Basis von Open Source laufen solle. Denn das sei angesichts der Weltlage auch eine Frage der Souveränität.13Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=gkvGrmjhuwg, 26:03ff (12.06.2025).

Francesca Bria, die leitende Autorin des Berichts „EuroStack – A European Alternative for Digital Sovereignty“,14 Vgl. https://www.euro-stack.info/ (12.06.2025). war über den Begriff „Deutschland-Stack“ jedoch nicht glücklich.15Vgl. „Europe’s digital future: How to build the EuroStack!“ und https://www.youtube.com/watch?v=1dKYk1an7xc, 13:36f (12.06.2025). Der Begriff „EuroStack“ solle nicht nur als eine Alternative zum „digitalen Autoritarismus“ begriffen werden, sondern auch zum „Techno-Nationalismus“.16Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=1dKYk1an7xc, 11:30ff (12.06.2025). Als Antwort auf die Bedrohung von Demokratie, Rechten (der Nutzer:innen) und der EU müsse diese nicht nur regulieren, sondern auch entwickeln und bauen.17Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=1dKYk1an7xc, 9:19-44 (12.06.2025). Denn es gehe nicht nur um Marktanteile, sondern um Geopolitik.18Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=1dKYk1an7xc, 4:05ff (12.06.2025). Dafür brauche es nicht zweistellige Millionenbeträge, sondern dreistellige Milliardenbeträge.19Im Bericht Francesca Bria et al.: EuroStack – A European Alternative for Digital Sovereignty (Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2025) ist von 300 Mrd. € für die nächsten zehn Jahre Rede (S. 15). Wenn die EU nicht ernsthaft den Aufbau eines „European, Sovereign, Interoperable, Democratic Technology Stack for the People“ (15:04f) angehe, könnten wir mit einem „Elon-Stack“ enden, so Bria.20Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=1dKYk1an7xc, 12:35ff (12.06.2025).

Repolitisierung der Technologie

So schwierig es oft war, sich auf der sehr gut besuchten Konferenz einen Weg zu bahnen, so schwer fällt es auch, ein dominantes Thema aus dem unübersichtlichen Programm herauszulesen. Wollte man um Rechtsruck, um Big Tech und die Broligarchen herum „routen“, musste man sich allerdings bemühen. Dass die großen Tech-Konzerne wie Google (bzw. Alphabet) den Nimbus der entspannten, hippen Nerd-WG verloren haben, den sie noch in Mottos wie „Don’t be evil“ vor sich hertrugen, ist keine Neuigkeit. Schon 2014 hatte Shoshana Zuboff den Begriff „Überwachungskapitalismus“ geprägt und damit noch in erster Linie die digitale Überwachung der Nutzer:innen sowie die Aneignung der entstehenden Daten durch Big Tech gemeint.21Vgl. Shoshana Zuboff: Unsere Zukunft mit „Big Data“: Lasst euch nicht enteignen! In: FAZ.NET vom 14.09.2014 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-digital-debatte/unsere-zukunft-mit-big-data-lasst-euch-nicht-enteignen-13152809.html; 10.06.2025). In den letzten Jahren haben sich in diese Problematik zunehmend geopolitische Faktoren hinzugemengt, wie nicht zuletzt dem EuroStack-Bericht zu entnehmen ist.

Wenn der auch als „tante“ bekannte Jürgen Geuter in diesem Kontext zu einer Repolitisierung der Technologie aufrief, hat er wohl die Nutzer:innen, Beobachter:innen und Aktivist:innen gemeint, denn Tech-Akteure wie Elon Musk haben diesen Schritt offensichtlich schon vollzogen. Statt über Technologie solle man lieber über Politik reden – insbesondere darüber, wie wir die Technik der Demokratie und unseren Werten anpassen.22Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=GgbvN6kIW2U, 23:15ff (12.06.2025).

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Autor: Sally Peters eFin-Blog Farbe: hellblau Uncategorized

Finfluencer:innen auf dem Prüfstand: Zwischen Bildung, Beeinflussung und Geschäftsmodell

Finfluencer:innen auf dem Prüfstand: Zwischen Bildung, Beeinflussung und Geschäftsmodell

Ein Beitrag von Sally Peters

28. Mai 2025

Wer heute auf Instagram, TikTok oder YouTube unterwegs ist, begegnet ihnen fast überall: Finfluencer:innen. Sie erklären Aktien, ETFs oder Krypto-Investments mit einfachen Worten und erreichen vor allem junge Zielgruppen. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Glücksfall für die Finanzbildung. Doch bei näherem Hinsehen verschwimmen oft die Grenzen zwischen unabhängiger Information, persönlichem Erfahrungsbericht und bezahlter Werbung. Was bedeutet das für die Qualität der Finanzbildung im digitalen Raum? Wo liegen Chancen – und wo Gefahren?

Das Screen eines Handys. Auf dem Handy eine männliche Person vor Euro- und Dollarzeichen, die auf den Zuschauer zeigt. Daneben ein großes Fragezeichen. Erstellt mit Adobe Firefly.

Werbung, Information oder Finanzbildung?

Finfluencer:innen sind Social-Media-Persönlichkeiten, die Inhalte zu Ansparen, Investieren oder Altersvorsorge erstellen und verbreiten. Ihre Reichweite ist beeindruckend – und ihre Wirkung beträchtlich. Laut einer Erhebung der BaFin (2024)1BaFin – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Finfluencer – Zwischen Werbung und Beratung, Fachartikel, September 2024, online unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2024/fa_bj_2409_Finfluencer.html (abgerufen am 28.04.2025). folgen junge Anleger:innen aktiv den Empfehlungen von Finfluencer:innen; 57 % investieren sogar direkt über empfohlene Links, die s.g. Affiliate-Links, bei denen die Finfluencer:innen eine Vermittlungsprovision erhalten.

Was auf den ersten Blick wie niedrigschwellige Aufklärung aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung oft als Geschäftsmodell. Kooperationen mit Banken, Trading-Apps oder Versicherungen sind keine Ausnahme, sondern die Regel.

Schnell fällt in diesem Zusammenhang mit Finfluencing der Begriff Bildung. Doch nicht jede Informationsvermittlung stößt Bildungsprozesse an. Bildung setzt voraus, dass Menschen befähigt werden, Wissen einzuordnen, kritisch zu hinterfragen und selbstständig fundierte Entscheidungen zu treffen. Viele Inhalte auf Social Media bleiben aber auf der Ebene der bloßen, womöglich einseitigen Information stehen – und erreichen damit nicht die Tiefe, die Finanzbildung benötigt. Wenn Information, Diskussion und Aufklärung – ob explizit oder implizit – vorrangig werblichen Zielen dienen, verliert ein ernsthaftes Bildungsanliegen erheblich an Glaubwürdigkeit

Qualitätscheck: Wie gut sind Finfluencer:innen-Empfehlungen?

Die Rolle von Finfluencer:innen ist ambivalent. Auf der einen Seite stehen Akteure mit viel Expertise, die Finanzbildung fördern möchten – oft durch eigene Bücher, Kurse oder Plattformen. Auf der anderen Seite operieren solche, die sich im Graubereich zwischen Unterhaltung, Eigenwerbung und versteckter Einflussnahme bewegen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für Letztere ist der Fußballer Lukas Podolski, der 2024 auf seinen Social-Media-Kanälen Werbung für Memecoins machte. Obwohl kein Finanzexperte, wirkten seine Posts auf Fans wie Anlageempfehlungen – mit teils erheblichen Risiken.2Siehe dazu auch Schmidt (2023), online unter https://zevedi.de/efinblog-das-gefahrliche-geschaft-mit-dem-kurs/ (abgerufen am 21.05.2025).

Dass Reichweite nicht gleich Kompetenz bedeutet, zeigen wissenschaftliche Studien deutlich:

  • Kakhbod et al. (2023): 56 % der Finfluencer:innen gelten als „antiskilled“, ihre Empfehlungen führen systematisch zu schlechteren Anlageergebnissen. Die Renditen von Finfluencer:innen-Empfehlungen liegen langfristig unter dem Marktdurchschnitt.3Ali Kakhbod, Seyed Mohammad Kazempour, Dmitry Livdan und Norman Schuerhoff: Finfluencers, Swiss Finance Institute Research Paper No. 23-30, 5. Juli 2023, online verfügbar unter: https://ssrn.com/abstract=4428232 (abgerufen am 28.04.2025).​
  • BaFin-Erhebung (2024): Junge Anleger:innen vertrauen Finfluencer:innen stark, oft ohne die Qualität der Empfehlungen kritisch zu hinterfragen.4BaFin – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Finfluencer – Zwischen Werbung und Beratung, Fachartikel, September 2024, online unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2024/fa_bj_2409_Finfluencer.html (abgerufen am 28.04.2025).

Besonders alarmierend und paradox: Gerade Finfluencer:innen mit schlechteren Empfehlungen haben häufig die größte Reichweite. Das unterstreicht, wie wichtig kritische digitale Finanzbildung und klare Regulierung sind.

Konkrete Maßnahmen und bleibende Herausforderungen

Verbraucherschützer:innen und Regulierungsbehörden schlagen daher klare Maßnahmen vor:

  • Transparenzpflichten: Jede bezahlte Kooperation mit Finanzanbietern muss eindeutig und leicht erkennbar gekennzeichnet werden.
  • Qualitätssicherung: Finfluencer:innen müssen ausreichende Finanzkompetenzen vorweisen können.

Die Retail Investment Strategy (RIS) – oder auf Deutsch Kleinanlegerstrategie – der EU setzt erste Impulse, doch eine konsequente Umsetzung steht noch aus. Die zentrale Herausforderung aber bleibt: Wie können wir das enorme Potenzial von Finfluencer:innen für niedrigschwellige Finanzbildung nutzen, ohne die Verbraucher:innen der teils offenen, teils versteckten Einflussnahme auszusetzen? Klar ist: Ohne kritische Medienkompetenz und digitale Finanzbildung laufen insbesondere junge Menschen Gefahr, Fehlinformationen aufzusitzen. Unrealistische Renditeversprechen, verharmloste Risiken oder übertriebene Vereinfachungen können langfristige finanzielle Schäden verursachen. Regulatorische Maßnahmen allein werden allerdings nicht ausreichen, um falsche finanzielle Entscheidungen von Verbraucher:innen zu verhindern. Hinzukommen muss eine ausreichende digitale und finanzielle Bildung.

Fazit: Zwischen Chancen und Risiken

Finfluencer:innen sind gekommen, um zu bleiben. Sie adressieren Zielgruppen, die klassische Bildungsangebote oft nicht mehr erreichen und machen komplexe Themen zugänglich. Doch ihr Einfluss ist nicht nur positiv: Studien zeigen teils dramatische Qualitätsdefizite, Interessenkonflikte und fehlende Transparenz.

Regulierung, Aufklärung und kritische Finanzbildung sind deshalb essenziell. Die EU geht erste Schritte – ob sie ausreichen werden, um unabhängige Information von (versteckter) Werbung wirksam zu trennen, bleibt abzuwarten.

Eines aber ist klar: Wer Finanzbildung im digitalen Raum fördern will, muss den Blick für die feinen Unterschiede zwischen Aufklärung und Beeinflussung schärfen.

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Autor: Thomas Weck eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb Uncategorized

It’s the data, stupid: Europas digitale Abhängigkeit bei Finanzdiensten

It’s the data, stupid: Europas digitale Abhängigkeit bei Finanzdiensten

Ein Beitrag von Thomas Weck

15. Mai 2025

Die europäische Finanzwirtschaft ist stark von außereuropäischen Plattformen abhängig – ein wachsendes strategisches Problem. Deren datenbasierte Geschäftsmodelle erschweren in vielen Bereichen den Aufbau europäischer Konkurrenz. Speziell im Finanzbereich bringen regulierte Anbieter jedoch eigene Risikoexpertise mit, die das Know-how der Plattformunternehmen ergänzt. Deshalb kommt es hier eher zu Partnerschaften. Der Vorschlag der EU-Kommission zum Financial Data Access (FiDA) könnte die Optionen für plattformunabhängige Angebote zusätzlich erweitern.

Erstellt mit Adobe Firefly. Ein USB-Stick im EU-Design vor USB-Ports, über denen eine amerikanische und chinesische Flagge prangt.

Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Finanzmarktinfrastrukturen und Plattformen

Die Neuausrichtung der U.S.-Politik führt derzeit zu einem strategischen Umdenken, was bestehende Abhängigkeiten von U.S.-Unternehmen bei der Abwicklung von Finanzdienstleistungen betrifft. Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass Zahlungen im europäischen Online-Handel in der Regel über die Infrastrukturen der U.S.-Finanzfirmen Mastercard, Visa und Paypal laufen.

Hinzu kommen die Aktivitäten großer Plattformunternehmen aus den USA und China, deren Geschäftsschwerpunkt herkömmlich außerhalb des Finanzbereichs liegt. Diese Unternehmen dringen ebenfalls seit einiger Zeit in den Bereich der Zahlungsabwicklung ein. Sie ergänzen ihr Diensteportfolio im E-Commerce um Kredit- und Versicherungsangebote. Dabei gehören die Unternehmen Apple, Amazon, Meta (Facebook), Alphabet (Google), Microsoft, Tencent und Alibaba zu den bekanntesten und einflussreichsten Unternehmen der Welt. Für Deutschland hat das Bundeskartellamt die überragende marktübergreifende Bedeutung mehrerer dieser Unternehmen festgestellt.

Die europäische Wirtschaft ist insbesondere bei Zahlungsdiensten somit in zweierlei Hinsicht von nicht-europäischen Anbietern abhängig: Bei Zahlungsinfrastrukturen und bei datenbasierten Diensten. Die Abhängigkeit von nicht-europäischen Infrastrukturen kann durch Förderung europäischer Alternativen wie etwa das Bezahlsystem „Wero“ vermindert werden. Eine hier relevante Option könnte – je nach Ausgestaltung – auch der digitale Euro sein. Die Abhängigkeit von den datenbasierten Dienstleistungen nicht-europäischer Anbieter hingegen ist schwieriger zu reduzieren. Denn die oben genannten Plattformunternehmen haben über die Jahre eine besondere, kaum anderweitig ersetzbare Expertise entwickelt.

Daten und Netzwerkeffekte als Ursachen für Abhängigkeiten von Plattformunternehmen

Der Kern des Geschäftsmodells der genannten Plattformunternehmen besteht in der Analyse von Daten über Verbraucherpräferenzen. Diese Datenanalyse wird dazu genutzt, die erbrachten Online-Dienste zu verbessern und über Werbung die Dienste zu monetarisieren. Es kommt dabei zu sogenannten „datengetriebenen Netzwerkeffekten“. Denn mehr Daten ermöglichen eine Verbesserung der erbrachten Dienste (einschließlich Werbedienste). Diese Verbesserung mündet in Rückkopplungsschleifen, denn bessere Dienste ziehen mehr Nutzer an, von denen weitere Daten gesammelt werden können.

Die datengetriebenen Netzwerkeffekte können dazu beitragen, dass Märkte permanent zugunsten eines einzigen Plattformbetreibers kippen. Denn erstens können Daten aus mehreren Anfragen derselben Nutzerin oder desselben Nutzers – entweder über die Zeit hinweg oder in Bezug auf andere Nutzergruppen (Händler, Kontakte im sozialen Netzwerk usw.) – verknüpft werden, um individuellen Nutzern auf ihre Anfragen hin ein personalisiertes Angebot zu machen. Dadurch werden diese Nutzer an die Plattform gebunden (Lock-in). Zweitens können die Plattformbetreiber die Daten diverser Nutzeranfragen einsetzen, um ihre Plattform auch für andere Nutzer zu verbessern. Das macht die Plattform attraktiver. Beides zusammen führt aber dazu, dass es zusehends schwieriger wird, einem Plattformbetreiber seine Wettbewerbsposition streitig zu machen.

Die Plattformunternehmen haben zudem erkannt, dass sie aufgrund der Daten über Verbraucherpräferenzen nicht nur ihre bestehenden zentralen Plattformdienste verbessern können. Sie können ihr Angebot vielmehr auch um solche Dienste ausweiten, die zu den bestehenden Diensten kompatibel und damit komplementär sind. Beispielsweise liegt es nahe, den Nutzenden einer Suchmaschine auch Preisvergleichs- oder Kartensuchdienste anzubieten. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher vom festen PC zu Mobilgeräten wechseln, dann liegt es nahe, App Stores und Mobilbetriebssystemen ins bestehende digitale Ökosystem einzubinden und ihnen so zu folgen.

Plattformen dringen über Kooperationen in den Finanzsektor vor

Dennoch fiel über längere Zeit auf, dass die Plattformunternehmen nur in relativ geringem Umfang mit Verbraucherdiensten in den Finanzbereich expandierten. Ein Grund dafür mag sein, dass Finanzdienste häufig über die Herstellung einer schlichten Kontaktmöglichkeit zwischen verschiedenen Marktseiten hinausgehen. Stattdessen werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern ganze Leistungsbündel bereitgestellt (z.B. Kontoangebote mit Zahlungskarten, Anlagemöglichkeiten usw.) oder die Leistungen führen zu längeren Vertragsbindungen und gehen mit spezifischen Risiken einher (z.B. Kreditrisiken). Ein anderer möglicher Grund ist, dass Finanzdienste aufgrund ihrer spezifischen Risiken und der Relevanz solcher Risiken für das Finanzsystem besonders reguliert sind.

Mit der Zeit haben mehrere Plattformbetreiber (Apple, Google, Amazon, Meta, Microsoft) jedoch erkannt, dass sich Schnittstellen zwischen den etablierten Finanzmarktteilnehmern, insbesondere Banken, und der Verbraucherseite durchaus besetzen lassen. Denn viele Banken hatten Schwierigkeiten mit der Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Plattformunternehmen konnten ihnen im Back-End Cloud-Dienste und technische Lösungen für das Risikomanagement, die Kernbankensysteme, die Datenanalyse und KI-Assistenten anbieten. Für die Plattformbetreiber ließen sich zudem technische Lösungen für Zahlungsdienste, spezialisierte Kredit- und Versicherungsangebote mit relativ geringem Aufwand in ihr Diensteportfolio integrieren. Hierbei handelt es sich um Kundendienste, die auch in das Leistungsangebot der Banken eingebettet werden können. Im Finanzbereich ist die Expansion der Plattformbetreiber deshalb bislang eher auf Kooperation als Verdrängung ausgerichtet.

Die weitere Entwicklung ist offen. Die Entstehung sogenannter Super-Apps wie in China ist in Europa auf absehbare Zeit aufgrund der engmaschigen Regulierung (Datenschutz-/Finanzregulierung) nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Partnerschaften mit Playern aus der europäischen Finanzindustrie ausgebaut werden. Denn diese bringen Expertise in Regulierungsfragen mit und ermöglichen es den Plattformbetreibern, sich auf ihr Kerngeschäft – die Entwicklung technischer Lösungen – zu konzentrieren.

Markt- und Systemrisiken – bisher unzureichende regulatorische Antwort

Dass die großen Plattformunternehmen auf partnerschaftlicher Basis in den Finanzbereich expandieren, ändert nichts daran, dass sie auch in diesem Bereich in großem Umfang Daten ansammeln, die zu Abhängigkeiten führen können. Zugleich bedeutet ihre Einbindung in die Finanzwirtschaft, dass ihr Verhalten auch für die Stabilität des Finanzsystems relevant werden kann. Die mögliche Systemrelevanz der Finanzdienste von „Big Tech“ ist Gegenstand einer kritischen aktuellen Studie von Finanzwende Recherche.

Die Studie hat unter anderem ermittelt, dass die geringe Verzahnung der Aufsicht über die Finanzmärkte einerseits und der Aufsicht über marktmächtige Unternehmen andererseits einen blinden Fleck in der Regulierung darstellt. Der herkömmliche Ansatz, einzelne Regulierungsziele zu definieren und die Regulierung für diese Ziele jeweils isoliert auszugestalten, trägt der marktübergreifenden Tätigkeit der Plattformunternehmen zu wenig Rechnung. In Deutschland haben Anfang 2024 sechs Bundesbehörden (Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, BaFin, BSI, BfJ und BfDI) das Digital Cluster Bonn für eine verstärkte Zusammenarbeit gegründet. Das ist sinnvoll, kann aber eine gesetzliche Verzahnung von Zuständigkeiten und Verfahren nicht ersetzen.

Eine größere Herausforderung wird es auf Dauer sein, die vorhandenen Abhängigkeiten von den großen Plattformunternehmen zu vermindern. Bestehende Regelwerke wie insbesondere der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) ändern daran nichts, weil sie den Plattformbetreibern die von ihnen gesammelten Daten und damit ihre wichtigsten Exklusivitätsvorteile belassen. Daneben bleiben zwar auch die Regeln zum Wettbewerbsschutz (Art. 101 f. AEUV) anwendbar, ein potenziell scharfes Schwert: Wie die Studie von Finanzwende Recherche herausgearbeitet hat, könnten danach Maßnahmen bis hin zur Entflechtung der betroffenen Unternehmen angeordnet werden. Das setzt allerdings den Nachweis von Wettbewerbsverstößen voraus, und es drohen Rechtsmittel, über die in langwierigen Verfahren zu entscheiden ist. Die Relevanz der Unternehmen für das Finanzsystem lässt sich mit solchen Maßnahmen ohnehin nicht adressieren.

FiDA – ein neuer Regulierungsansatz zur Verminderung von Abhängigkeiten

Eine Alternativlösung kann hier – wie bei den eingangs angesprochenen Infrastrukturen – möglicherweise über den Markt gefunden werden. Wie das gehen könnte, zeigt der Kommissionsvorschlag über den Zugang zu Finanzdaten (FiDA): Danach sollten Finanzinstitute gezwungen werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontrolle über die sie betreffenden Kundendaten zu geben.

Was bedeutet das und warum könnte FiDA zur Reduzierung von Abhängigkeiten beitragen? FiDA würde Banken, Fondsverwalter, Versicherungsunternehmen, Zahlungsdienstleister (auch z.B. die Tochterdienstleister Apple Pay, Google Pay etc.) u.a. verpflichten, auf Veranlassung der Kunden hin einander Zugang zu Informationen über Kredite, Ersparnisse, Ruhegehaltsansprüche, Versicherungsprodukte aus anderen Bereichen als der Lebensversicherung und zu Daten zu gewähren, die die Beurteilung der Kreditwürdigkeit gestatten. Wenn die Kunden dies wünschen, würde FiDA also einen Datenaustausch zwischen Dienstleistern unabhängig davon ermöglichen, ob die Dienstleister selbst den Kunden Kooperationsangebote machen wollen. Dies würde den Markteintritt neuer Anbieter und damit neuartige Angebote ermöglichen. Das würde auch komplexere und regulierte Angebote umfassen, bei denen eine Verdrängung bestehender Finanzdienstleister durch die mächtigen Plattformunternehmen unwahrscheinlich ist. Die europäische Finanzindustrie würde aber – auf Veranlassung der Kunden – dazu gezwungen, Daten viel stärker als bisher als wettbewerbliche Ressource zu begreifen und einzusetzen.

Allerdings ist derzeit unklar, ob zu FiDA überhaupt ein Gesetzgebungsverfahren stattfinden wird. Denn Teile der bestehenden Finanzindustrie lobbyieren vehement gegen diesen Rechtsakt. Wenn sie damit Erfolg hat, FiDA zu begraben, könnte damit allerdings auch ein Instrument beerdigt werden, das von seinem Regelungsansatz her – zumindest auf längere Sicht – geeignet sein könnte, die bestehenden Strukturen und Abhängigkeiten von den großen nicht-europäischen Plattformunternehmen zu lockern.

Dieser Beitrag kam auf Einladung des Diskursprojektes eFin & Demokratie bei ZEVEDI nach einer Diskussionsveranstaltung am 25. März 2025 zustande, auf der die Studie „Die Finanzdienste von Apple, Google und Co.: Ein gefährlich guter Deal“ von Finanzwende Recherche vorgestellt wurde.

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Autor: Caroline Marburger eFin-Blog Farbe: hellblau

Zahlen qua Iris-Scan – Ein Werkzeug der Geflüchtetenadministration im Dokumentationszentrum Flucht Vertreibung Versöhnung

Zahlen qua Iris-Scan – Ein Werkzeug der Geflüchtetenadministration im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Ein Beitrag von Caroline Marburger

30. April 2025

Wir sind im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Vor mir steht eine gemischte Gruppe Besucherinnen und Besucher, ich erläutere das Exponat. Jugendliche, Sci-Fi-Sequenzen im Kopf, nehmen das Modell, das einem Fernglas ähnelt, interessiert in Augenschein. Selbst bei jenen, die sich sonst um den Eindruck gelangweilter Nonchalance bemühen, glimmt ein Funken größerer Aufmerksamkeit auf. Datenschutzfreunde höheren Alters, die bisher freundlich interessiert dreinschauen, quittieren das Instrument mit einem Stirnrunzeln. Das Modell eines Irisscanners, der im Supermarkt des jordanischen Flüchtlingslagers Zaatari als Zahlstation verwendet wird, erntet als Ausstellungsobjekt des Dokumentationszentrums meist erstmal Verwunderung. Indes sind Skepsis und Irritation gute Ausgangspunkte für Vermittlung und Diskussion.

Caroline Marburger während einer Führung im Dokumentationszentrum Flucht Vertreibung Versöhnung.
Caroline Marburger während einer Führung im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Photo Credit: Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung; Foto: Thomas Bruns

Mit der Eröffnung des Zentrums im Juni 2021 war genau das meine Aufgabe: Als Vermittlerin Besucherinnen und Besuchern die Geschichte von Flucht und Vertreibung näherzubringen. Und zwar insbesondere die Geschichte jener 12 Millionen, deren Geschichte wir meist summa summarum als Vertreibung der Deutschen aus dem Osten nach dem 2. Weltkrieg bezeichnen. Ihnen und ihrer Geschichte ist das Haus am Anhalter Bahnhof gewidmet. Ihrer Geschichte allein, chronologisch erzählt, ist ein eigenes Stockwerk vorbehalten, im anderen Stock werden die Erfahrungen dieses deutschstämmigen Flüchtlingsstroms weiter erörtert und mit globalen Aspekten von Flucht und Vertreibung im 20. und 21. Jahrhundert in Verbindung gesetzt – und zwar in separaten Themeninseln. Was hat sich in den letzten gut 100 Jahren getan? Was verbindet die verschiedenen Fluchterfahrungen? Was unterscheidet, was ähnelt sich?

Der Irisscanner ist Teil der Themeninsel „Wege und Lager“, konkreter des Themas Lageralltag. Die Ausstellung widmet sich hier insbesondere Fragen der Verwaltung, Versorgung und Registrierung von Geflüchteten. Aber selbst neben Lebensmittelmarken, Lochkarten, Registrationsarmbändern, Blechbesteck und improvisiertem Spielzeug überrascht das Bezahlen mit EyePay, so der Name auf dem Kassenbon, der unter dem Modell abgebildet ist. Es irritiert wohl weniger, dass ein Irisscanner im Museum als modernes, gefühlt gar futuristisches Werkzeug die technischen Veränderungen in der Flüchtlingsversorgung andeutet. Aber anders als die anderen Exponate – beispielsweise die Bilder von schlicht gekleideten Menschen in einer improvisierten, bestenfalls funktionalen Umwelt – widerspricht er der erwarteten Not-, Behelfs- oder Ersatzlogik eines Lagerbetriebs. Der Einsatz des Irisscanners in Jordanien konterkariert zudem die nach wie vor recht gängige Annahme technologischer Rückständigkeit des globalen Südens.

So war denn auch die häufigste Frage des Publikums: Ist eine solche „Zukunftstechnologie“ nicht sehr teuer? Also: Wer zahlt das? Etwa die Entwicklungshilfe? Ein klares Nein. UN-Organisationen wird die Technik kostenlos zur Verfügung gestellt. Anbieter ist IrisGuard, ein Unternehmen mit Hauptsitz bei London. Dessen Gründer Imad Malhas pflegt enge Verbindungen nach Jordanien, der dortige Unternehmenszweig liefert die Software und das Backend. Das Pilotprojekt wird zudem von der jordanischen Regierung unterstützt.

Eindeutige Identifizierung und zügige Versorgung

Im Museum wird deutlich: Bei der Verwaltung und Kontrolle von Geflüchteten hat es stets der Identifikation und Registrierung bedurft, einst durch papierne Dokumente, Fingerabdrücke oder Nummernsysteme, heute werden mancherorts auch biometrische Daten genutzt. So liegen in der Vitrine nebenan eine Indexkarte der Alliierten für deutsche Vertriebene aus dem dänischen Lager Kolding von 1945, eine Lebensmittelkarte für Kartoffeln aus einem Lager auf Fehmarn von 1948, ebenso ein moderner Fingerabdruckscanner aus den 2000er Jahren aus Italien, Lebensmittellochkarten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) aus dem Südsudan und eine Prepaidkarte aus Jordanien, beides aus den späten 2010er Jahren. Ausweise und Berechtigungsmedien waren schon für die deutschen Flüchtlinge der Nachkriegsjahre entscheidend für den Zugang zu Nahrung. Identifizierung als Notwendigkeit, aber auch die fast vollständige Abhängigkeit Geflüchteter von Hilfsorganisationen und deren Versorgungsleistungen gilt damals wie heute. Ebenso, dass ihre Versorgung vor Ort eine großangelegte, oft international verflochtene und organisierte Aufgabe ist.

Lebensmittelmarke, Exponat im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
Lebensmittelmarke, Exponat im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Photo Credit: Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung; Foto: Markus Gröteke

Im Begleittext vor der Vitrine wird erläutert, dass statt der gängigen Verteilung von Lebensmitteln zusehends Geldzuweisungen diskutiert und praktiziert werden, um einerseits die Selbständigkeit und Selbstwirksamkeit von Geflüchteten zu erhöhen und andererseits Impulse für die lokalen Ökonomien der Aufnahmeländer zu schaffen.

Die Versprechen des Irisscans: Effizienz und Schutz vor Mißbrauch

Die Erfassung biometrischer Daten und Nutzung eines Irisscans zum Bezahlen verspricht zunächst Effizienz. Kein kleines Versprechen bei über 120 Millionen Menschen auf der Flucht weltweit (Stand: Juni 2024), Tendenz steigend. Gerade die zahlreichen Geflüchteten ohne Papiere würden eindeutig erfasst, IDs können nicht gefälscht werden, betrügerische Mehrfachregistrierung – beispielsweise in Jordanien und im benachbarten Libanon – wird vermieden. Während sich der Fingerabdruck von Kindern und Jugendlichen wesentlich verändert, ist das bei der Iris kaum der Fall – angesichts von mehr als 50% Minderjährigen in Jordanien ein schlagendes Argument.[1] Die sofortige Identifizierbarkeit beschleunige auch die nötigen Hilfsleistungen nach der Ankunft.

Ein Blick in die Scangeräte an der Supermarktkasse reicht. Das System kommuniziert mit der Registrierungsdatenbank des UNHCR, die Zahlung wird autorisiert. Außerhalb der Camps ist die Zahlung mit Irisscan qua EyePay im Supermarkt über das World Food Program (WFP) und das sogenannte Building Blocks-Projekt gar an eine Blockchainlösung gebunden: Der direkte Zahlungsfluss ohne Umweg über ein Bankkonto spart dem WFP hohe Transaktionskosten. Daten über die gekauften Waren geben Aufschluss für zukünftige Liefernotwendigkeiten. Diebstahl wird ebenso verhindert wie das Abzweigen oder Erpressen eines Anteils durch zwischengeschaltete Dritte.

Was bedenkenswerte Lösungsansätze zu liefern scheint, legt aber auch einen Verdacht nah: Die Technologie antwortet auf einen bekannten oder vermuteten Missbrauch. Effizienzgewinn, das kann gut sein. Aber statt Unterstützung und Empowerment der Geflüchteten klingt das mehr nach „Überwachen und Strafen“.

Zieht man seinem so betitelten Buch folgend die analytische Brille des Philosophen Michel Foucault auf, erscheint der Irisscanner als ein Werkzeug der Verwaltung von Leben, das die Insassen, Bürger:innen oder Flüchtlinge nicht bestraft, aber diszipliniert. Und dabei gleichzeitig Wissen über die Kontrollierten generiert: Wissen, das die Macht der Kontrolleure weiter verstärkt. Was allerdings zur zentralen Frage führt, wer in diesem Fall diese Kontrolleure sind bzw. was mit dem so generierten Wissen geschieht.

Datenschutz und Zwang zur Datenerfassung

Biometrische Daten, seien es Irisscans oder Fingerabdrücke, zu erfassen, geht radikal weiter als frühere Methoden und erfasst in der modernen Datenökonomie weithin „nützlichere“ Daten. Alles ist global vernetzter, Daten werden potenziell international geteilt – und zwar in Sekunden. Das schafft logistische Schnelligkeit, aber auch eine Dringlichkeit und neue ethische Fragen, die eine lokale Registrierung auf Papier früher nicht mit sich brachte.

Denn eins ist in Flüchtlingslagern auch selbstverständlich: Es gibt keine andere Wahl. Registrierung bedingt die Anerkennung als Hilfsbedürftiger und ist damit der einzige Weg, die notwendige Hilfe zu bekommen. Diese biometrischen Daten werden also insofern zwangsweise erhoben. Und zwar in Ländern ohne DSGVO. Dass hier stets die nötige Aufklärung gewährleistet ist, die Daten unverbrüchlich sicher davor sind, weitergeteilt, zu kommerziellen Zwecken genutzt oder sicher nach einer bestimmten Zeit wieder gelöscht zu werden, das ist nicht umfassend gewährleistet. Ist diese Löschung in der EU für Straffällige, deren biometrische Daten erfasst wurden, rechtlich fixiert, ist für die meisten, die ihr Zuhause, womöglich ihre Familie wegen Krieg, Diktatur, Gewalt oder Naturkatastrophen verloren haben, bei weitem keine Gewissheit.

Wenn der Managing Director und Gründer von IrisGuard Imad Malhas damit wirbt, dass biometrische Bilder nicht gespeichert, sondern in verschlüsselte mathematische Templates überführt würden, die immer im Besitz ihrer Kunden blieben,[2] so stellt sich die Frage, wie besagte Kund:innen die Daten handhaben und nutzen. Vormalige Kund:innen von IrisGuard waren US-Gefängnisse, Grenzposten der Vereinigten Arabischen Emirate oder Antidrogen­einheiten der jordanischen Polizei. Und direkte Kund:innen sind in diesem Fall eben nicht die Geflüchteten, sondern der UNHCR und ggf. weitere Player.

Wer speichert, nutzt und teilt die Daten?

Zu einem Skandal kam es im Sommer 2021 – IrisGuard war hier nicht beteiligt -, als Human Rights Watch der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen vorwarf, in Bangladesch nicht nur biometrische Daten von geflüchteten Rohingya ohne informed consent, also ohne deren wissensbasierte Zustimmung gesammelt, sondern diese auch mit Behörden in Myanmar, also dem Land, in dem die Rohingya brutal verfolgt wurden, geteilt zu haben.[3] Auch wenn das UNHCR beteuerte, mehrfach die Zustimmung eingeholt und über die konkrete Nutzung – im Falle der möglichen Rückkehr – aufgeklärt zu haben, das Dilemma, so ergaben auch Interviews mit Betroffenen, blieb: Die Machtasymmetrie zwischen Geflüchteten und Hilfsorganisationen sowie Aufnahmestaaten verunsichert und lässt schutzsuchende Menschen im Glauben, eben nicht die Wahl zu haben – selbst wenn sie über entsprechende Rechte aufgeklärt werden.

Aufnahme aus dem Supermarkt im Geflüchtetenlanger Zaatari.
Aufnahme aus dem Supermarkt im Geflüchtetenlanger Zaatari. Foto der Autorin aus der Ausstellung des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Angesichts der Mammutaufgabe, die Versorgung von Abertausenden von Flüchtlingen zu organisieren, will man die Vorteile in Sicherheit und Schnelligkeit auch nicht so einfach geringschätzen. Allerdings ist die Technik auch nicht fehlerfrei: Gilt der Irisscan für Jüngere als zuverlässiger als Fingerabdrücke, besteht bei Älteren oder Menschen mit Augenkrankheiten die Gefahr, dass sie nicht erkannt werden. Besonders vulnerable Gruppen werden so wieder systematisch benachteiligt.

Ökonomie der Flüchtlingslager und Post-Humanitarismus

Geflüchtete waren und sind in einem Lager eingebunden in eine lagerspezifische Ökonomie, die über Produkte, Infrastruktur und lokale Akteure mit der Wirtschaft, lokal, national, zusehends global verknüpft ist. Erfolg, Reichweite und Popularität des jordanischen Projekts waren auch damit verbunden, dass die Technologie eben nicht nur innerhalb der Lager zur Anwendung kam und kommt, sondern das Programm auch für jene 80% syrischer Geflüchteter relevant war und blieb, die nicht im Lager wohnten. Sie konnten qua WFP in Supermärkten außerhalb der Camps einkaufen. Und aufgrund der Kooperation mit der Cairo Amman Bank können sie an deren Geldautomaten ebenfalls qua Irisscan Bargeld abheben.

Wirtschaftliche Verstrickung in die ethisch meist fragwürdige „Bewirtschaftung“ von Lagern oder deren Ausnutzung als Testlabore hat historisch eine mindestens hundertjährige Geschichte. Falsche Analogien sind zu vermeiden, dienen ohnehin nur überhitzter Empörung, aber beim Test oder der Anwendung modernster Technologien innerhalb von Lagern ist historische Hellhörigkeit dienlich, um sich mögliche historische Beispiele und Strukturen vor Augen zu führen – und Vergleichbares zumindest nicht unwillentlich zu reproduzieren,[4] auch oder gerade wenn in den Lagern nicht per se „verdächtige“ oder „straffällige“ Subjekte interniert werden, sondern alles im Namen humanitärer Hilfe geschieht, die Technik allerdings andernorts insbesondere zur Strafverfolgung als legitim und dienlich gilt.

Folgt man Sophia Hoffmans Einschätzung, hat sich der Diskurs verschoben. Beispielsweise in Jordanien, das 1948 und 1967 Zehntausende palästinensische Geflüchtete aufnahm, die nun zu Millionen in Jordanien residieren, habe es vormals eine andere Art Flüchtlingskultur, Anwaltschaft für Flüchtlinge und Gastfreundschaft gegeben. Aber mit der irakischen Flüchtlingskrise von 2005 habe sich ein neuer Diskurs etabliert, der überhaupt erst mit der Ankunft des internationalen humanitären Apparats des UNHCR begonnen habe: Geflüchtete wurden jetzt vornehmlich als Belastung und als Sicherheitsproblem diskutiert.[5] Insgesamt stellt die Forschung eine verstärkte Verflechtung der Diskurse zu Flüchtlingen und humanitärer Hilfe mit Maßnahmen und Diskursen der Staatssicherheit fest.[6] Der Soziologe Marc Duffield, meint in seinem Buch „Post-Humanitariansm“, es zeige sich, dass Humanitarismus sich zusehends und problemlos mit existierenden politischen und ökonomischen Unterdrückungsstrukturen verbinde, und anstatt sie zu konterkarieren, sie vielmehr verschärfe.[7] Aus längerer, historischer Perspektive scheint das allerdings eher eine Wiederkehr althergebrachter Diskurse mit neuen technologischen Mitteln und somit neuen Strukturen, aber eben keineswegs ein gänzlich neues Phänomen zu sein.

Die Begeisterung der meisten Jugendlichen über die irgendwie coole Technologie dämpfen solche Zusatzinformationen zuweilen nur bedingt. Ein paar scheinen nachdenklich. Älteres Publikum signalisiert öfter Empörung, wenn sie hören, dass die Camps aus kommerzieller Sicht Testlabore in einem so großen Maßstab sind, dass das Produkt im Anschluss optimiert und erst recht weltweit vermarktet werden kann: Bezahlen ohne PIN, TAN oder PUK. Das Produkt wird erstmal kostenlos angeboten, der Einsatz dient aber einerseits der Werbung und Sichtbarkeit, zudem verdient das Unternehmen nachher pro Transaktion prozentual mit – hier muss es allerdings zunächst billiger sein als sonst involvierte Banken. Und wie soll die Zukunft aussehen? Nach Wunsch des Herstellers nutzen, was mittels Geflüchteter marktreif wurde, Kund:innen und Kunden rund um den Globus fürs private Banking zuhause.


[1] Siehe hierzu und für eine umfassende, kritische Einordnung des IrisGuard-Projekts auch: Christina zur Nedden / Ariana Dongus: Getestet an Millionen Unfreiwilligen, ZEIT online, 17. Dezember 2017.

[2] Siehe A Conversation with our Founder Imad Malhas:  Innovation, Financial Inclusion & eKYC Compliance, IrisGuard.com, 12. März 2025.

[3] Siehe zu diesem und anderen Beispielen Kerrie Holloway / Oliver Lough: Although shocking, the Rohingya biometrics scandal is not surprising and could have been prevented, ODI Insights.com, 28. Juni 2021.

[4] Siehe Jürgen Lillteicher; Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Zusammenarbeit mit dem Fonds „Erinnerung und Zukunft“ der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Hrsg.): Profiteure des NS-Systems? Deutsche Unternehmen und das „Dritte Reich“, Berlin 2006; Nikolaus Wachsmann: KL – Die Geschichte der deutschen Konzentrationslager, München 2015, S. 425ff. Für eine Geschichte von Verwaltung und Biometrie von kolonialer bis in die moderne Zeit siehe Keith Breckenride: Biometric State: the global politics of identification and surveillance in South Africa, 1850 to the present, New York 2014.

[5] Siehe Sophia Hoffmann: Refugee Rights Hit the Wall, Middle East Report (MER) 286 (Spring 2018).

[6] Siehe Nina Amelung: Crimmigration Control“ across Borders: The Convergence of Migration and Crime Control through Transnational Biometric Databases, Historical Social Research, Vol. 46 (2021), Issue 3, S. 151-177 (https://doi.org/10.12759/hsr.46.2021.3.151-177); Matthias Wienroth /Nina Amelung: ‚Crisis‘, control and circulation: Biometric surveillance in the policing of the ‚crimmigrant other‘, International Journal of Police Science & Management, Volume 25 (2023), Issue 3.

[7] Siehe Marc Duffield: Post-Humanitarianism: Governing Precarity in the Digital World, Cambridge 2018.

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Autor: Philipp Mahlow und Katharina Mosene eFin-Blog Farbe: gelb

Der Human in the Loop bei der automatisierten Kreditvergabe – Menschliche Expertise für größere Fairness

Der Human in the Loop bei der automatisierten Kreditvergabe – Menschliche Expertise für größere Fairness

Ein Beitrag von Philipp Mahlow und Katharina Mosene

15. April 2025

Im digitalen Zeitalter sind automatisierte Prozesse, bei denen Entscheidungen teilweise oder ganz ohne menschliches Zutun fallen, immer mehr Usus. Sie basieren auf Algorithmen, Künstlicher Intelligenz (KI) oder regelbasierten Systemen und finden etwa im Gesundheitswesen oder in der Finanzwelt Anwendung – dort auch bei der Kreditvergabe. Die erste Fallstudie unseres Forschungsprojektes Human in the Loop? Autonomie und Automation in sozio-technischen Systemen untersucht genau diesen Bereich: Wie arbeiten bei der Kreditvergabe automatisierte Prozesse und menschliche Akteur:innen im Rahmen der Entscheidungsfindung zusammen? Wer hat die Aufsicht? Wer sichert die Qualität der Entscheidungen?

Bei einer solchen Kreditvergabe geht es darum, Anträge effizient und fair zu  bewerten. Zunächst analysieren Algorithmen Daten wie Einkommen, Kredithistorie, bestehende Schulden und Rückzahlungsverhalten. Diese erste Prüfung übernehmen in der Regel Drittanbieter, z.B. Kreditauskunfteien. Ihre Kredit-Scores fließen in ein bankinternes Ampel-Modell ein, das das Kreditausfallsrisiko berechnet. Liegt dieses innerhalb eines vordefinierten Rahmens, folgt eine sofortige Zusage- oder Ablehnungsempfehlung. In nicht eindeutigen Fällen prüfen Risikoanalyst:innen die Finanzdaten  und treffen ggf. eine abweichende Entscheidung.

Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine kann mithin erhebliche Vorteile bringen. Automatisierte Systeme verarbeiten große Datenmengen schnell und konsistent, während menschliche Entscheidungen für Flexibilität sorgen und die Berücksichtigung individueller Umstände gewährleisten. Automatisierung reduziert gleichwohl emotionale oder subjektive Einflüsse, was zu einer objektiveren Kreditvergabe beitragen kann. Menschen wiederum können Fehlbewertungen korrigieren, indem sie Aspekte einbeziehen, die Algorithmen übersehen, wie plötzliche Einkommensveränderungen durch Elterngeld oder alternative Sicherheiten wie Eigentum. So wird verhindert, dass die Definition zu strikter Regeln im System zu ungerechtfertigten Ablehnungen führt. Damit das Zusammenspiel aber tatsächlich zu fairen und fundierten Entscheidungen führt, müssen die verwendeten Algorithmen kritisch hinterfragt, Verzerrungen identifiziert und menschliche Bewertungen gezielt eingesetzt werden. Nur so bleibt das System wirtschaftlich effizient und gleichzeitig sozial gerecht.

Aus der Vogelperspektive: Ein Mann steht in der Mitte eines Spielfeldkreises, Kopf über ein Device geneigt und wirft einen langen Schatten über den Spielfeldkreis hinaus

Die Kernfrage unseres, am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) angesiedelten Projektes Human in the Loop? Autonomie und Automation in sozio-technischen Systemen  ist daher: Wie können Mensch und Maschine sinnvoll zusammenarbeiten, sodass die Vorteile der Automatisierung genutzt werden, ohne dass dabei wichtige menschliche Kompetenzen und Werte verloren gehen? Gefördert von der Stiftung Mercator, beleuchten wir diese Thematik  anhand verschiedener Fallstudien. In diesem Blogbeitrag greifen wir zentrale Erkenntnisse aus einem Praxisbericht zur Fallstudie Kreditvergabe auf, in dem wir analysieren, wie Kreditentscheidungen – von der ersten Beratung bis zur Risikobewertung – in der Praxis gestaltet werden und welche Bedeutung menschliche Expertise und Automatisierung in diesem Umfeld hat.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die aktuell auf breiter Basis eingesetzten Verfahren überwiegend auf regelbasierten Systemen mit starren Wenn-Dann-Regeln beruhen. Moderne, also lernfähige KI-Lösungen kommen derzeit bei der Kreditwürdigkeitsprüfung meist hingegen noch keine zum Einsatz. Stattdessen nutzen Banken deterministische Systeme, die von menschlicher Erfahrung und Expertise ergänzt werden. Gerade in Sonderfällen, in denen automatisierte Verfahren an ihre Grenzen stoßen, bleibt der menschliche Beitrag daher unverzichtbar.

Die Humans in the Loop: Front-Desk-Mitarbeitende und Risiko-Analyst:innen

Die Vorstellung eines einzelnen „Human in the Loop“ – also einer einzelnen Person, die ein automatisiertes System überwacht und kontrolliert – entspricht in der Kreditvergabe nicht der Realität. Innerhalb der Bank gibt es immer mehrere Personen, die an unterschiedlichen Stellen in den Entscheidungsprozess eingebunden sind. Oft werden Ergebnisse automatisierter Systeme von ihnen nicht nur passiv kontrolliert, sondern sie greifen aktiv und gestaltend in den Entscheidungsprozess ein. Ein zentraler Befund des Projektes ist, dass die menschlichen Akteur*innen in der Kreditvergabe sehr unterschiedliche Funktionen übernehmen, Dabei lassen sich aber zwei besonders hervorheben:

1. Front-Desk-Mitarbeitende als erste Schnittstelle

Die erste Anlaufstelle für Kund:innen sind die Front-Desk-Mitarbeitenden, die Kreditanträge entgegennehmen und Kund:innen durch den Antragsprozess führen. Ihre Aufgaben gehen weit über die reine Datenaufnahme hinaus. Sie beraten und unterstützen Antragsteller:innen, helfen dabei, Eingabefehler zu vermeiden, und leiten im Zweifelsfall Anträge an Risiko-Analyst:innen weiter. In der Praxis erfolgt die Kreditwürdigkeitsprüfung häufig über ein Ampelsystem: Ein grünes Signal führt zu einer positiven Kreditentscheidung, ein rotes zu einer Ablehnung. Bei einem gelben Signal, also einer unklaren Empfehlung, wird der Fall an die Risiko-Analyst:innen weitergegeben. Front-Desk-Mitarbeitende verfügen dabei zwar über Einblicke in den Credit-Score und andere relevante Daten, haben aber in Fällen mit eindeutiger Datengrundlage keinen eigenen Entscheidungsspielraum. Ihre Rolle ist also vor allem beratend und koordinierend – und nur in Ausnahmefällen entscheidend, wenn es um individuelle Sonderlösungen geht.

Ein Beispiel aus unseren Interviews verdeutlicht diesen Aspekt:

„Das hat bei mir auch schon funktioniert: Eltern in der Elternzeit. Rückblickend hätte ich nie gedacht, dass wir eine Immobilienfinanzierung überhaupt umsetzen könnten. Doch dann traf ich auf eine Sachbearbeiterin, die meinte: ‚Das ist nachvollziehbar. Erledigen Sie das einfach manuell.‘ Solange ein menschlicher Faktor mitspielt, sind auch Entscheidungen abseits des Standards möglich.“
 

– René Stephan, Geschäftskundenbetreuer

2. Risiko-Analyst:innen als Expert:innen in der Bonitätsprüfung

Insbesondere wenn das automatisierte System ein gelbes Signal ausgibt, also eine uneindeutige Empfehlung, übernehmen Risiko-Analyst:innen die Prüfung von Kreditanträgen. Sie überprüfen dann diesen Einzelfall und treffen die finale Entscheidung über die Kreditvergabe. Diese Expert:innen besitzen ein tiefes Verständnis für Finanzdaten und haben oft langjährige Erfahrung in der Bewertung von Kreditanträgen. Damit sind sie in der Lage, Abweichungen von standardisierten Bewertungen zu erkennen und gegebenenfalls manuell zu korrigieren.

„Natürlich nutzen wir ein Ratingsystem, um die Bonität zu bewerten. Das ist regulatorisch vorgegeben. Am Ende des Tages trifft aber der Mensch die Entscheidung.“
 

– Expert:in für Credit Risk Management

Durch ihre Expertise tragen Risiko-Analyst:innen so maßgeblich zur Vermeidung von Fehlentscheidungen bei und gewährleisten, dass individuelle Lebensumstände, die von standardisierten Systemen nicht angemessen gewertet werden können, in die finale Entscheidung einfließen.

Einflussfaktoren auf die menschliche Entscheidungsfindung

Sowohl Front-Desk-Mitarbeitende als auch Risiko-Analyst:innen treffen ihre Entscheidungen aber nicht im luftleeren Raum. Ihre Einschätzungen werden von einer Vielzahl an Faktoren geprägt – von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen über interne Vorgaben der Kreditinstitute bis hin zu individuellen Erfahrungen und Einschätzungen. Wir haben diese Faktoren, die die Entscheidungsqualität beeinflussen, insbesondere aus diversen Stakeholderinterviews geschlussfolgert. Sie lassen sich in drei Dimensionen einteilen:

Grafik "Einflussfaktoren im Kredivergabesystem"

1. Externe Einflussfaktoren

Zu den externen Faktoren zählen diverse gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Der Fachkräftemangel, die ökonomischen Ziele der Banken und gesetzliche Vorgaben wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beeinflussen den Entscheidungsprozess und mithin Umfang, Transparenz, Fairness und Qualität der Entscheidung und des Prozesses.Auch die Datenqualität, also die Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit der Datensätze, mit denen automatisierte Systeme trainiert und die von externen Auskunfteien wie der Schufa bereitgestellt werden, spielen eine entscheidende Rolle.

2. Einflussfaktoren auf der Ebene der Akteur:innen

Mehrere Faktoren beeinflussen auch auf Ebene der handelnden Personen die Qualität der Kreditentscheidungen: ihr Rollen- und Berufsverständnis, der persönliche Kontakt und der verfügbare Entscheidungsspielraum. Vorurteile gegenüber spezifischen Lebensumständen oder subjektive Einschätzungen einzelner Mitarbeitender können die objektive Bewertung beeinträchtigen. Zugleich betonen Expert:innen, dass bei Kreditvergaben die menschliche Fähigkeit, Sonderfälle und individuelle Lebenssituationen zu erfassen, einen großen Mehrwert darstellt.

3. Technische Einflussfaktoren

Auch die verfügbare Technik prägt, wie Menschen Entscheidungen fällen. Maßgeblich sind dabei die Datenbasis, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Systems und das Interface-Design, also die Gestaltung von Benutzeroberflächen und die Frage, ob sie eine intuitive, effiziente und ästhetisch ansprechende Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglichen. Ein schlecht gestaltetes Interface kann etwa dazu führen, dass Nutzer:innen wichtige Informationen übersehen oder falsch einpflegen. Ebenso essenziell ist die Transparenz der Algorithmen – damit Mitarbeitende verstehen, wie und warum das System zu einer bestimmten Empfehlung kommt und diese gegebenenfalls hinterfragen können. Hinzu kommt, welche Fehlerkultur ein Unternehmen im Umgang mit automatisierten Prozessen pflegt.

Herausforderungen im Zusammenspiel von Mensch und Maschine

Wie lässt sich nun aber sicherstellen, dass automatisierte Prozesse tatsächlich fair und nachvollziehbar bleiben? Wo entstehen Risiken, und welche Maßnahmen sind notwendig, um sie zu minimieren? Unsere Analyse im Praxisbericht offenbart mehrere Herausforderungen, die es zu adressieren gilt:

Kommunikationsprobleme & fehlendes Gesamtprozesswissen

Eine der zentralen Herausforderungen liegt darin, dass weder einzelne Akteure noch Institutionen den gesamten automatisierten Entscheidungsprozess vollständig überblicken. Das unzureichende Verständnis der Systemarchitektur – also, wie Entscheidungen im Einzelfall entstehen, welche Algorithmen zum Einsatz kommen und wie die Daten fließen – führt dazu, dass wichtige Zusammenhänge schwer zu erkennen sind. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn menschliche Eingriffe notwendig wären, um Sonderfälle zu korrigieren.

Transparenzdefizite

Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Transparenz – sowohl bei den Kreditinstituten als auch bei Wirtschaftsauskunfteien wie der Schufa oder der Creditreform. Verbraucher:innen erfahren oft kaum, warum eine Kreditentscheidung gefällt wurde. Das erschwert es ihnen, ihre eigene Bonität realistisch einzuschätzen und notwendige Anpassungen vorzunehmen. Gleichzeitig haben auch die Mitarbeitenden häufig nicht genügend Informationen zur Funktionsweise des automatisierten Systems, was Unsicherheiten und potenzielle Fehlbewertungen begünstigt.

Diskriminierung und Biases

Auch das Thema Diskriminierung spielt im Kontext der Kreditvergabe eine wichtige Rolle. Die aktuellen Gesetze, etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, schützen Verbraucher:innen nicht ausreichend vor ungerechter Benachteiligung. Es fehlen zudem wirksame Mechanismen, um Diskriminierungsvorwürfe effektiv vor Gericht zu prüfen. Dabei klafft eine Lücke zwischen der theoretischen Neutralität von Algorithmen und der Praxis, in der sie, ihr Bau und ihre Funktionsweise von menschlichen Vorurteilen und Erfahrungswerten beeinflusst sind.

Unsicherheit im Umgang mit Automatisierungstechnologien

Viele der involvierten Mitarbeitenden verfügen nicht über ein ausreichendes technisches Verständnis der eingesetzten Systeme. In unseren Interviews zeigte sich, dass einigen Mitarbeitenden unklar ist, ob im Rahmen der Kreditvergabe regelbasierte Systeme oder KI-basierte Anwendungen verwendet werden – und welche Begrenzungen diese Systeme jeweils haben. Dieses fehlende technische Know-how birgt die Gefahr, dass Empfehlungen des Systems unkritisch übernommen oder – im umgekehrten Fall – zu stark hinterfragt werden.

Handlungsanregungen für eine verbesserte Kreditvergabe

Auf Basis dieser Erkenntnisse formulieren wir im Praxisbericht konkrete Anregungen, wie die Rolle des „Human in the Loop“ gestärkt und der gesamte Entscheidungsprozess verbessert werden kann:

1. Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Um Diskriminierung im Kreditvergabesektor effektiver zu bekämpfen, sollte der gesetzliche Rahmen erweitert werden. Würde das AGG auf Verbraucherkredite ausgeweitet, könnten betroffene Personen leichter gerichtlich gegen ungerechtfertigte Ablehnungen vorgehen, etwa durch eine Beweislastumkehr und verstärkte Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände. Dadurch würden Banken stärker motiviert, diskriminierungssensible Prozesse zu implementieren.

2. Erhöhung der Transparenz

Mehr Transparenz seitens der Kreditinstitute und der Auskunfteien wäre hilfreich. Verbraucher:innen sollten in leicht verständlicher Sprache über die entscheidungsrelevanten Faktoren informiert werden. Ab 2026 dürfte das aufgrund der Überarbeitung der Europäischen Verbraucherkrediterichtlinie auch rechtlich verpflichtend sein. Zudem könnten Banken die interne Kommunikation verbessern, damit alle Beteiligten – von der Beratung am Schalter bis zur Risikoanalyse – die Entscheidungslogiken aber auch Grenzen des Systems klar verstehen.

3. Verbesserung der Finanzbildung

Neben institutionellen Maßnahmen spielt auch die individuelle Aufklärung der Verbraucher:innen eine wichtige Rolle. Zielgerichtete Bildungsangebote können helfen, dass Antragsteller:innen ihre Kreditwürdigkeit realistischer einschätzen und ihre Finanzdaten korrekt in den Antragsprozess einbringen. Interaktive Erklärformate oder gezielte Schulungen bieten sich an, um den Umgang mit Kreditentscheidungen verständlich und alltagstauglich zu vermitteln

4. Fort- und Weiterbildung für Mitarbeitende

Um die Effektivität der menschlichen Beteiligung zu steigern, sollten insbesondere Front-Desk-Mitarbeitende und Risiko-Analyst:innen regelmäßig in technischen und prozessualen Fragen geschult werden. Dabei gilt es, nicht nur das technische Verständnis der eingesetzten Systeme zu vermitteln, sondern auch die Fähigkeit, deren Limitationen kritisch zu hinterfragen.

5. Benutzerfreundliche Gestaltung der Antragsprozesse

Die zunehmende Automatisierung auch der Antragsstellung darf nicht dazu führen, dass entsprechende Kompetenzen der Verbraucher:innen zusehends für Erfolg oder Misserfolg ihres Antrags notwendig und diese zu ihrer Verantwortung werden. Intuitive, barrierearme Antrags-Interfaces und die Verfügbarkeit persönlicher Ansprechpartner:innen sind wichtige Bausteine, um sicherzustellen, dass auch Menschen ohne tiefgehende technische Kenntnisse einen erfolgreichen Kreditantrag stellen können. Beides würde im Zusammenspiel sicherstellen, dass individuelle Lebensumstände adäquat erfasst werden und Sonderfälle nicht durch starre, automatisierte Prozesse  durchs Raster fallen

Ausblick: Menschliche Expertise als Garantie für faire Entscheidungen

Die Automatisierung in der Kreditvergabe kann Prozesse beschleunigen und Fehlerquellen reduzieren. Doch gerade in einem sensiblen Bereich, der direkte Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, bleibt menschliche Expertise unverzichtbar. Unsere Fallstudie zeigt deutlich: nur die Kombination aus menschlichem Urteilsvermögen und automatisierter Datenverarbeitung schafft echten Mehrwert – vorausgesetzt, man versteht die jeweiligen Einflussfaktoren und steuert diese gezielt

Zwar sind regelbasierte automatisierte Systeme mittlerweile Standard, aber der Mensch bleibt ein unverzichtbarer Teil des Entscheidungsprozesses. Fachwissen und Erfahrung von Mitarbeitenden ergänzen, was Algorithmen nicht leisten können. Gerade in Sonderfällen machen diese schwer quantifizierbaren Informationen und der menschliche Faktor den Unterschied zwischen mechanischer und verantwortungsvoller Entscheidung.

Gleichzeitig offenbart unsere Untersuchung aber auch deutliche Herausforderungen: Es mangelt häufig an einem umfassenden Verständnis der Prozesse und an Transparenz – sowohl gegenüber den Kund:innen als auch innerhalb der Banken. Fehlende Kommunikationswege und unzureichende technische Kenntnisse können dazu führen, dass automatisierte Empfehlungen falsch interpretiert oder umgesetzt werden. Zudem bergen Diskriminierung und Biases Risiken, die bei zunehmender Automatisierung dingend adressiert werden müssen.

Automatisierung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss als Werkzeug verstanden werden, das – richtig eingesetzt – die menschliche Urteilskraft ergänzt und stärkt. Nur so können Banken und Kreditinstitute auch in Zukunft eine verantwortungsvolle und diskriminierungsfreie Kreditvergabe gewährleisten.

Zum kompletten Bericht: Züger, T., Mahlow, P., Mosene, K., & Pothmann, D. (2025),  Praxisbericht: Human in the Loop im Feld der Kreditvergabe [Praxisbericht für den Sektor Finanzdienstleistung], Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG).

Weitergehende Informationen zum HIIG-Forschungsprojekt Human in the Loop? Autonomie und Automation in sozio-technischen Systemen

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Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: blau

Die Bankfiliale als spezifischer sozialer Ort

Die Bankfiliale als spezifischer sozialer Ort

Ein Beitrag von Erik Meyer

02. April 2025

Digitale Bezahlerlebnisse sind zwar speziell; aber welche zu haben, setzt schon eine privilegierte Position voraus. Für diese Erkenntnis bedarf es keiner aufwendigen Untersuchungsdesigns empirischer Sozialforschung, sondern schlicht den Besuch einer Bankfiliale. Das versuchen viele im Alltag zu vermeiden, weil sie ahnen, was dort droht: Ein längerer Aufenthalt und eine nicht immer zum gewünschten Ziel führende Interaktion. Und die Rede ist hier nicht vom Kreditwunsch für private oder professionelle Projekte. Es geht schlicht und einfach um das Bezahlen von Rechnungen per Überweisungsvordruck oder das Besorgen von Bargeld, das nicht für jede(n) einfach aus dem Automaten kommt.

Eine ältere Dame steht vor einer geschlossenen Bankfiliale. Sie steht einem Roboter gegenüber, neben dem eine Sprechblase mit dem Inhalt "Hi!" zu sehen ist.

Zunächst einmal muss die Filiale eines – so nannte man das früher einmal – „Kreditinstituts“ überhaupt vor Ort existieren respektive geöffnet haben. Das, wissen wir nun alle, ist immer seltener an immer weniger Orten der Fall. Dementsprechend finden sich dort meist nicht wenige Kund:innen ein. Und je nach Zeitfenster handelt es sich dabei nicht um einen sonderlich repräsentativ erscheinenden Ausschnitt der Bezahl-Bevölkerung. Zwei Faktoren scheinen dominant: Höheres Alter und eine spezifische sozialräumliche wie häufig auch geografische Herkunft. Spätestens hier wird deutlich: in Bankfilialen bilden sich auch soziale Verhältnisse ab; sie figurieren als spezifische soziale Orte.

Die Bezeichnung „sozialer Ort“ artikuliert in städtebaulichen Kontexten häufig eine Defizitdiagnose: die fehlende Kneipe, der mangelnde Marktplatz usw. usf.. Das, was fehlt, ist dann aus wohlmeinender Absicht mit prothetischen Maßnahmen der Sozialarbeit bestenfalls zu stimulieren oder schlimmstenfalls zu simulieren. Denn meist handelt es sich dabei um irgendwie prekäre Konstellationen: In gated communities wird das Fehlen solcher Orte jedenfalls nicht als Mangel interpretiert, sondern deren Abwesenheit zeichnet diese vielmehr aus. An sozialen Orten im obigen Sinne bedarf es aber in der Regel der besonderen Zuwendung an eine wie auch immer bedürftige Klientel.

So stellte es sich bei zwei Stichproben in der Stadt und auf dem Land für mich dar: Die einen verstehen schon die Sprache nicht, die in diesem Land auf Überweisungsträgern und Zahlungsaufforderungen zu lesen ist. Und diese Übersetzungsarbeit lässt sich auch nicht umstandslos vom – falls denn vorhandenen – Smartphone leisten. Und klar, die Angestellten hinterm Schalter sind dafür nun auch nicht ausgebildet. Im Dienste der Dienstleistung wird hier geradebrecht und gegoogelt was das Zeug hält. Mit gemeinsamen Kräften, zuweilen von anderen, die in der (selbstverständlich vorhandenen) Schlange stehen, gelingt einiges hier mehr oder weniger, woran das vereinzelte Subjekt bei der Nutzung von Apps, Automaten und Online-Angeboten zuweilen scheitert bzw. scheitern muss.

Anderen mangelt es schlicht an der (Digital-, Finanz-) Kompetenz und kein noch so agiler Finfluencer oder attraktiver Volkshochschulkurs könnte etwas daran ändern. Denn Digitalität gehört nun mal nicht zur DNA. Ein Teil der Gebühren, die etwa für die Kontoführung erhoben werden, wird ja auch damit gerechtfertigt, dass dieser soziale Ort „Bankfiliale“ betrieben wird. Sonst wären gerade nicht so gut betuchte Bürger:innen wohl besser bei einer Direktbank aufgehoben.

Was soll das hier angestimmte Lamento aber bedeuten, wenn es nicht um eine nostalgische Verklärung vor-digitaler Verhältnisse geht und in vereinfachende Forderungen mündet, wie „Her mit der Lohntüte, Stütze von der Sozialkasse auf dem Amt ausgezahlt bekommen und alle Rechnungen am Fiskus vorbei bar begleichen“? Unsere Gesellschaft und wir als Bürger:innen brauchen Bankfilialen so wie die öffentliche Verwaltung Ämter. Ein digitales Zentralbankgeld allein, selbst wenn es nach allen Regeln der Kunst inklusiv gestaltet wird (Geldkarte, Offline-Zahlungen etc.), ändert daran nichts. Die geplante Einführung des digitalen Euros erfordert also nicht nur eine digitale Infrastruktur, sondern auch analoge Servicestellen in sowie mit Kundennähe. Dies gehört nicht nur zur guten user experience und customer satisfaction, sondern begründet partiell den public value von bürgerorientiertem Digitalgeld.

Vielleicht ist damit der häufig diffusen Skepsis gegenüber dieser monetären Innovation besser zu begegnen als mit plakativen Werbekampagnen. Den Menschen, denen ich in der Bankfiliale begegne, ist der digitale Euro nämlich eher egal. Sie benötigen aber Angebote zur stressfreien Abwicklung eigentlich alltäglicher Transaktionen – auch ohne Wallet.

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Autor: Leonard Dieckow eFin-Blog Farbe: hellblau

Ein Türsteher für den Krypto-Club? Blacklisting im Kampf gegen Krypto-Kriminalität

Ein Türsteher für den Krypto-Club? Blacklisting im Kampf gegen Krypto-Kriminalität

Ein Beitrag von Leonard Dieckow

18. März 2025

Jemand macht Ärger im Restaurant, Club oder Festzelt. Er benimmt sich daneben, stört die anderen Gäste. Schnell kommt das Sicherheitspersonal und – nach einem kurzen Gerangel – entfernt den Störenfried. Er versucht noch einmal, ins Lokal zu kommen. Aber: Keine Chance bei den Türstehern, er steht auf der schwarzen Liste und wird schon an der Tür abgewiesen.

In etwa so kann man sich das Instrument des Blacklistings vorstellen. Diese im Bereich IT, aber auch im Personal- und Finanzwesen bekannte Methode kann auch auf die Krypto-Welt ausgedehnt werden. Hier soll sie dazu beitragen, die Abwicklung krimineller Geschäfte in der Anonymität von Krypto weniger attraktiv zu machen. In diesem Beitrag wollen wir klären, warum hier womöglich Handlungsbedarf besteht. Trägt die Türsteherallegorie auch im Bereich der Kryptowährungen?1Hier wird der im gängigen Sprachgebrauch übliche Begriff „Kryptowährungen“ verwendet. Dieser ist aber insofern irreführend, als dass die meisten digitalen Assets kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellen und damit nicht alle klassischen Merkmale einer Währung erfüllen. Korrekter wäre die Bezeichnung „Kryptowerte“, da sie eher als spekulative Anlage- oder Wertaufbewahrungsmittel fungieren. Und mit welchen Effekten darf und muss ein Gesetzgeber rechnen, implementiert er ein solches System?

Ein üschwarz gekleideter Mann im Hoodie hält die rechte Hand stoppend hoch, hinter ihm Börsenkurse des Bitcoins

Kreative Kriminelle

Oft gehören bei technischen Neuerungen neben risikofreudigen Pionieren Kriminelle zu den ersten Anwendern. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade unter dem Schutz der Anonymität von Kryptowährungen häufig die Grenzen der Legalität verlassen werden. Das soll die Verwendung von Kryptowährungen nicht per se in die Nähe der Kriminalität rücken – das Gesamtvolumen der illegalen Geschäfte liegt schätzungsweise bei nur 0,14% aller On-Chain-Transaktionen. Es muss jedoch anerkannt werden, dass Krypto kriminelles Verhalten teilweise erst ermöglicht.

Einige Daten hierzu: Im Jahr 2024 wurden weltweit 813,55 Millionen Dollar in Krypto an Erpresser mit Ransomware bezahlt, also Erpressungssoftware, die den Zugriff auf Daten erst nach Zahlung eines Lösegelds wieder freigibt. Im selben Jahr erhielten von Wirtschaftssanktionen betroffene Regime wie Russland oder der Iran ganze 15,8 Milliarden Dollar über Kryptowährungen – freilich um genau diese Sanktionen zu umgehen. Aber auch von nichtstaatlicher Seite wird der Kryptomarkt zur Geldwäsche genutzt. Aufgrund der dezentralen Funktionsweise von Kryptowährungen sind diese Probleme von staatlicher Seite aber nur schwer adressierbar.

Wovon wir sprechen

Beim Blacklisting können Marktakteure oder -objekte aufgrund bestimmter Kriterien von einer zentralen Stelle auf eine sogenannte schwarze Liste gesetzt werden. Die Aufnahme in diese Liste hat zur Folge, dass mit dem gelisteten Subjekt oder Objekt – auch und gerade durch Dritte – nicht mehr interagiert werden darf.

Die Idee ist nicht neu. Sie auch für Kryptowerte zur Anwendung bringen zu wollen, ist es auch nicht.2Möser/Böhme/Breuker, Towards Risk Scoring of Bitcoin Transactions, in: Böhme/Brenner/Moore/Smith, Financial Crytopgraphy and Data Security 2014, S.16-32, S. 16 und 21. Eine rechtliche Umsetzung ist dennoch trotz anhaltender Diskussion bisher ausgeblieben (Stand März 2025). Das mag an einer strategischen Schwäche des Blacklisting liegen – auf die wir noch zu sprechen kommen. Es lohnt dennoch, sich mit dem Konzept vertraut zu machen und seine eventuellen Stärken anzuerkennen. Die Regulierung des Kryptomarktes ist ohnehin schwierig; auch ein unvollkommenes Instrument kann hier ein gutes sein.

Wer oder was kommt auf die Liste?

Intuitiv scheinen Subjekte, also Individuen, Haushalte, Unternehmen oder Staaten geeignete Ziele für Blacklisting zu sein – wie auch das Türsteher-Beispiel verdeutlicht: Wer Ärger macht, wird rausgeschmissen und ist fortan geächtet bzw. wer geblacklistet wurde, darf von Finanzintermediären nicht mehr bedient werden. Gerade bei den Akteuren anzusetzen ist aber aufgrund der (technischen) Funktionsweise von Kryptowährungen wenig sinnvoll.

Im klassischen Bankgeschäft werden Konten und die dazugehörigen (Identitäts-)Daten zentral erfasst. Dies ermöglicht eine Identitätsprüfung der Zahlenden (Know Your Customer, KYC). Viele Kryptowährungen zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie offen (open/permissionless) sind, d.h. jedermann kann sich voraussetzungslos die notwendigen Zugänge verschaffen; eine Identitätsprüfung findet nicht statt. Mehr noch: Da sich jedermann jederzeit schnell und mit geringem Aufwand neue Zugänge (keys) generieren kann, lohnt sich ein solcher Zugang auch für eine einzelne Transaktion. Erscheint nun ein Zugang den zuständigen Stellen verdächtig und wird geblacklistet, kann sofort auf einen neuen Zugang ausgewichen werden. Das Blacklisting von Zugängen und Adressen ist daher auch im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand nicht zweckmäßig. Um bei unserem Eingangsbeispiel zu bleiben: Auch der beste Türsteher kann das Eintreten von Gästen nicht verhindern, die Namen und Erscheinung jedes Mal ändern.

Das macht das Konzept des Blacklisting keineswegs unbrauchbar. Die technische Funktionsweise der Kryptowährungen, die das Listing von Zugängen erschwert, öffnet nämlich gleichzeitig die Tür für einen gezielteren Ansatz: Statt der Zugänge werden einzelne Kryptowerte selbst geblacklistet. Ergebnis der Maßnahme ist dann, dass derart gelistete Werte von den regulierten Finanzintermediären nicht mehr in andere Zahlungsmittel konvertiert werden dürfen. Ohne die Möglichkeit zur Umwandlung wird ein Kryptowert faktisch wertlos: Weder kann er ausgegeben, d.h. konvertiert werden, noch wird ein rationaler Akteur den Wert im Rahmen einer Transaktion in der Kryptowährung annehmen.

Technische Umsetzung

Was das Blacklisting von Werten effektiv macht, ist die Rückverfolgbarkeit (recursivity) der meisten Blockchain-basierten Krypto-Transaktionen. Denn ein geblacklisteter Wert kann nicht intern weißgewaschen werden: Die Schwarze Liste zählt bestimmte Werte auf, die mit illegalen Aktivitäten wie Geldwäsche, Erpressung oder der Umgehung von Sanktionen assoziiert sind oder im Verdacht stehen es zu tun. Werden diese Werte im Rahmen einer Transaktion ausgegeben, überträgt sich die Markierung (taint) des Wertes auf die Transaktion – ein einmal derart markierter Wert verliert seine Markierung also auch nicht dadurch, dass er hin- und her transferiert wird.

Daraus ergeben sich technische Fragestellungen im Umgang mit geblacklisteten Werten. So ist etwa unklar, ob bzw. wie eine Prüfung des Status der Kryptowerte (tainted oder nicht) automatisiert durch Protokolle des jeweiligen Krypto-Wallets erfolgen kann. Letztlich hat der Gesetzgeber aber auf die Gestaltung von Krypto-Wallets wegen der Dezentralität der meisten Kryptowährungen keinen Einfluss; für uns sollen technische Fragen3Eine tiefgreifende – gerade auch technische – Auseinandersetzung findet sich bei Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019.hier schon deshalb außer Betracht bleiben.

Welche Anreize schafft das für wen?

Nachdem geklärt ist, was Blacklisting ist und was nicht, kommen wir also zur zentralen Frage: Welche Wirkungen sind von seinem Einsatz zu erwarten? Hier fehlen genaue Daten im Bezug auf das Listing von Werten. Wenn wir daher im Folgenden mögliche Auswirkungen des Blacklistings auf einzelne Marktteilnehmer prognostizieren, so geschieht dies unter der Annahme, dass diese (ökonomisch) rational auf die durch das Blacklisting gesetzten Anreize reagieren. Relevante Subjekte sind dabei diejenigen, die mit den Werten in Kontakt kommen, also (a) User und Finanzintermediäre sowie innerhalb dieser Gruppe die (b) kriminellen User. Zudem noch diejenigen, die die Blacklist führen, aktualisieren und gegebenenfalls nach Rechtsstreitigkeiten revidieren müssen, also (c) der Staat und schließlich (d) der Markt für Kryptowährungen als solcher.

User und Finanzintermediäre sichern sich ab

Für normale User wie auch die Finanzintermediäre, mit deren Hilfe sie ihre Kryptowährungen in Fiat-Währungen umwandeln, schafft das Blacklisting einen starken Anreiz, zu prüfen, ob die gehandelten Werte auf der Blacklist stehen. Andernfalls laufen sie Gefahr, im Rahmen einer Transaktion Werte zu akzeptieren, die sie nicht ausgeben können und die somit faktisch wertlos sind. Es ist hier davon auszugehen, dass eine Risikoprüfung über entsprechende Protokolle von der Wallet selbst durchgeführt werden kann.

Ein Risiko geht aber nicht nur von der Transaktion entsprechend gelisteter Kryptowerte aus. Im Rahmen der Aktualisierung der Schwarzen Listen besteht ständig die Gefahr, dass bereits erhaltene Werte nachträglich gelistet werden. Das könnte einen Anreiz schaffen, erhaltene Kryptowerte schnell in Fiat-Währungen umzuwandeln. In diesem Zusammenhang wird rechtlich zu klären sein, ob (und wie lange) Nutzer gegenüber einem Finanzintermediär haften, wenn bereits konvertierte Werte nachträglich gelistet werden. Damit zeichnet sich auch für die Versicherungswirtschaft ein völlig neues Geschäftsfeld ab, nämlich das Angebot von kostengünstigen Blacklist-Transaktionsversicherungen.

Ein neuer Impuls im Krypto-Markt

Auf staatlicher Seite ist die Implementierung eines Blacklistingsystems allerdings mit hohen Kosten verbunden. Der Gesetzgeber ist gefordert einen komplexen, ganzheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, in welchem die Exekutive eine Blacklist erstellt, diese kontinuierlich aktualisiert und die Compliance der Marktteilnehmer überwacht. Für den Kryptomarkt selbst bliebe die Einführung ebenfalls nicht folgenlos. Grundsätzlich stellt das Blacklisting einen Vorstoß auf den Kern- und Problempunkt der Kryptowährungen dar, die Privatsphäre und Anonymität.

Kritiker des Blacklistings4Die meisten Beiträge beschäftigen sich jedoch mit dem Blacklisting von Zugängen. Für eine Kritik des hier besprochenen Token-Blacklisting sei hier erneut auf Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019, verwiesen. weisen darauf hin, dass die Anonymität der Kryptonutzer:innen hier zwar nicht unmittelbar aufgehoben wird, User aber zur Absicherung und als Reaktion auf das Blacklisting-Risiko eine Deanonymisierung ihres Transaktionspartners zur Bedingung machen können. Zumindest mittelbar würde dadurch das anonyme Auftreten auf dem Kryptomarkt erschwert. Durch das Zusammenwirken des Absicherungsstrebens anderer Marktteilnehmer im Allgemeinen und dem daraus folgenden Trend zur Deanonymisierung im Besonderen macht das Blacklisting die Abwicklung von Transaktionen mit kriminellem Hintergrund aufwendiger, kostenintensiver und damit weniger attraktiv.

Rechtlicher Rahmen und rechtliche Gretchenfragen

Aus juristischer Perspektive birgt das Blacklisting eine Reihe von Grundsatzfragen, wie etwa jene, wie der mit einem Blacklisting verbundene Wertverlust rechtlich zu bewerten ist: Könnte die (nachträgliche) Aufnahme eines Kryptowertes in die Schwarze Liste einen Eingriff in die Eigentumsrechte des Eigentümers darstellen? Das wiederum würde voraussetzen, dass an den ggf. illegalen Geldern rechtliches Eigentum erworben werden kann. Weiter ist unklar, auf welcher Tatsachengrundlage ein Listing durch die entsprechenden Behörden vorgenommen werden soll. Je mehr ein Listing dabei auf einer noch unvollständig gesicherten Datenlage hinsichtlich einer kriminellen Nutzung basiert, desto stärker dürfte hier ein grundrechtssensibler Eingriff vorliegen.

Andererseits stellen sich schon vor Implementierung eines solchen Regulierungsinstruments Fragen mit Hinblick auf Prozesse und Rechtssicherheit. Die Gerichte – die schon jetzt mit der Beschlagnahmung krimineller Kryptogelder betraut sind – würden im Fall der Implementierung auch mit Verfahren befasst, die ein Delisting zum Ziel haben. Vor dem Hintergrund einer ohnehin und zunehmend überlasteten deutschen Justiz muss sich der Gesetzgeber hier fragen, ob der Verwaltungs- und Justizaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Effekten steht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der tatsächliche Wirkungsgrad letztlich stark von einer rechtspolitischen Voraussetzung abhängt: der internationalen Zusammenarbeit.

Die Achillesferse

Wie so oft in Zeiten globalisierter Märkte ist auch im Bereich der Finanzkriminalität internationale Zusammenarbeit gefragt. Ohne eine umfassende internationale Regulierung wird es weiterhin möglich sein, durch die Umwandlung von aus illegaler Aktivität stammendem Krypto- in Fiatgeld Sanktionen zu umgehen und Geld zu waschen.

Solange auch nur ein Regulierungsregime die Konvertierung ohne Rücksicht auf Herkunft oder Verwendung erlaubt, können kriminelle User das Blacklisting einfach umgehen, indem sie auf entsprechend ausländische Finanzintermediäre ausweichen, die nicht der Regulierung durch ein Blacklisting unterliegen. Betrachtet man wiederum das Finanzvolumen, das zur Umgehung von Wirtschaftssanktionen über Kryptowährungen nach Russland oder in den Iran fließt, erscheint es unwahrscheinlich, dass diese Länder bei der Erstellung einer internationalen Blacklist kooperieren würden.

Man mag hier einwenden, dass ähnliche Sorgen, also dass Marktakteure stattdessen das Ausland als Sitz oder zur Abwicklung von Transaktionen nutzen, für sämtliche Ansätze der Krypto- Regulierung bestehen. Das hindert die EU aber keineswegs daran, mit Instrumenten wie der MiCAR (Markets in Cryto-Assets Regulation / EU-Verordnung über Märkte für Kryptowerte) einen in Europa einheitlichen Rechtsrahmen für Kryptowerte zu schaffen. Hier besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zum Blacklisting: User (a) werden auch in einem regulierten EU-Markt Krypto nutzen, solange es für sie profitabel ist. Ziel des Blacklisting sind jedoch größtenteils gerade solche User (b), die aus dem regulierten Markt oder an diesem vorbei handeln wollen. Mit anderen Worten, für Blacklisting gilt: Der am wenigsten regulierte Markt bestimmt den effektiven Regulierungsgrad.

Fazit

Blacklisting soll nicht die bereits bestehenden und funktionierenden Systeme zur Bekämpfung von Geldwäsche und Kriminalität im Zusammenhang mit Digitalgeld ersetzen. Ergänzend kann der Ansatz jedoch sinnvoll gegen die missbräuchliche Verwendung von Kryptowährungen eingesetzt werden.

Das Eingangs gewählte Bild des Türstehers verdeutlicht zwar das Konzept des Blacklisting, zeigt aber auch dessen begrenzte Nutzen, bezieht es sich nur auf User-Zugänge/keys. Jurisdiktionen, die ein Blacklisting einführen, müssen sich daher darüber im Klaren sein, dass dies nur Sinn ergibt, stehen bestimmte Kryptowerte und nicht Zugänge auf der schwarzen Liste. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden müssen sich weiter darüber im Klaren sein, dass es sich um eine kostenintensive Maßnahme handelt, deren Nettonutzen nicht vollständig absehbar ist. Dies liegt auch an den zusätzlichen Impulsen, die von einem Blacklisting auf den Kryptomarkt als solchem ausgehen und in ihrem Grad schwer einzuschätzen sind – ein Trend zur Deanonymisierung und ein stärker zentralisierter Einfluss auf dezentrale Währungen. Schließlich wirft ein Blacklisting-System eine Vielzahl zu diskutierender Rechtsfragen auf, sowohl prozessualer als auch sachlicher Natur. Es wird sich zeigen, ob sich ein Gesetzgeber findet, der bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Ein Fachbeitrag, der sich aus deutscher Perspektive, aber im europarechtlichen Kontext vertieft mit den Rechtsfragen des Blacklisting auseinandersetzt, entsteht gerade in Zusammenarbeit von Prof. Dr. Andreas Kerkemeyer und Leonard Dieckow.

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  • 1
    Hier wird der im gängigen Sprachgebrauch übliche Begriff „Kryptowährungen“ verwendet. Dieser ist aber insofern irreführend, als dass die meisten digitalen Assets kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellen und damit nicht alle klassischen Merkmale einer Währung erfüllen. Korrekter wäre die Bezeichnung „Kryptowerte“, da sie eher als spekulative Anlage- oder Wertaufbewahrungsmittel fungieren.
  • 2
    Möser/Böhme/Breuker, Towards Risk Scoring of Bitcoin Transactions, in: Böhme/Brenner/Moore/Smith, Financial Crytopgraphy and Data Security 2014, S.16-32, S. 16 und 21.
  • 3
    Eine tiefgreifende – gerade auch technische – Auseinandersetzung findet sich bei Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019.
  • 4
    Die meisten Beiträge beschäftigen sich jedoch mit dem Blacklisting von Zugängen. Für eine Kritik des hier besprochenen Token-Blacklisting sei hier erneut auf Möser, Narayanan, Effective Cryptocurrency Regulation Through Blacklisting, 2019, verwiesen.
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Autor: Lars Hupel Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: gelb

Der digitale Euro: Elektronisch, aber offline-fähig

Der digitale Euro: Elektronisch, aber offline-fähig

Ein Beitrag von Lars Hupel

3. März 2025

Die Europäische Zentralbank veröffentlichte im Dezember letzten Jahres ihren zweiten Fortschrittsbericht der seit November 2023 laufenden „Vorbereitungsphase“, die eine mögliche Herausgabe des digitalen Euro projektieren soll.1EZB: “Second progress report on the digital euro preparation phase”, Dezember 2024, https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/progress/html/ecb.deprp202412.en.html. Bis Ende 2025 arbeitet die EZB dazu insbesondere am sogenannten Rule Book, also dem Regelwerk, und sammelt im Rahmen mehrerer Ausschreibungen Angebote für technische Lösungen. Darunter ist auch die Fähigkeit zur Offline-Bezahlung. Der digitale Euro soll dadurch immer dann einsetzbar sein, wenn bisher Bargeld die einzige Option war: etwa bei schlechtem Empfang oder für das Taschengeld von Kindern. Durch Wallets, die in der Lage sind, Geldwerte offline zu speichern und zu verwalten, soll im Handel wie auch untereinander bezahlt werden können.

Der Kontext

Der digitale Euro wird als Retail CBDC (digitale Zentralbankwährung für den Privatgebrauch) in erster Linie Konsument:innen und Händler:innen zur Verfügung stehen, um alltägliche Zahlungen abzuwickeln. Dadurch grenzt er sich von den gängigen unbaren Zahlungsmitteln ab, die allesamt privatwirtschaftlich organisiert und betrieben sind. Gleichzeitig unterscheidet er sich vom geschäftlichen Zahlungsverkehr zwischen Unternehmen und Finanzinstitutionen, für den eine sogenannte Wholesale CBDC (eine digitale Zentralbankwährung für Geschäftsverkehr) im Gespräch ist.

Als Retail CBDC ähnelt der digitale Euro am ehesten dem Bargeld. Er etabliert das zweite Zahlungsmittel, welches eine direkte „Beziehung“ zwischen der breiten Öffentlichkeit und der Zentralbank herstellt. Genau wie beim Bargeld soll man auch mit dem digitalen Euro zahlen können, ohne online zu sein. Damit liegt die EZB im Trend: Gemäß der jüngsten Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) führt die Mehrheit der befragten Zentralbanken Offlinefähigkeit als wichtigstes Feature von CBDC-Wallets an.2Alberto Di Iorio, Anneke Kosse und Ilaria Mattei: “Embracing diversity, advancing together – results of the 2023 BIS survey on central bank digital currencies and crypto”, Juni 2024, https://www.bis.org/publ/bppdf/bispap147.pdf; hier: Seite 10, Kategorie D “Technology”

Die Offline-Wallets

Konkret interessiert sich die EZB beim digitalen Euro für Zahlungsvorgänge der Kategorien Person-to-Person (P2P) und Person-to-Business (P2B, d.h. im Online-Shop und an der Ladenkasse).3EZB: “State of play on offline digital euro”, April 2024, https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/timeline/profuse/shared/pdf/ecb.degov240411_item3updateofflinedigitaleuro.en.pdf.

Illustration verschiedener Zahlhardware und Formen des Zahlens: von Person zu Person, im Onlineshop oder im Einzelhandel

Abbildung 1. Eigene Illustration

Mit Ausnahme vom E-Commerce soll der digitale Euro offline funktionieren, das heißt: ohne Internet-, Telefon- oder anderweitige Verbindung.

Eine Endnutzerin lädt sich mit einer Smartphone-Wallet von ihrer Bank Geld „herunter“. Dafür ist eine Online-Verbindung nötig. Ab diesem Moment soll sie aber offline – das heißt weder Mobilfunkempfang noch WLAN – beispielsweise ihrer Tochter Geld auf deren Wallet übertragen können, egal, ob es sich dabei um ein Wearable, eine Karte  oder ein zweites Smartphone handelt. Und auch die Tochter soll nun mit ihrer Wallet – weiterhin offline – bei einem Händler bezahlen können.

Eine solche konsekutive Weitergabe durch mehrere Hände ohne Intermediäre erscheint beim Bargeld ganz selbstverständlich, ist aber bei elektronischen Zahlungsverfahren bisher nicht möglich. Selbst neuere Zahlungsapps wie Wero, die auch auf den Retail-Markt abzielen, leisten dies nicht.

Diese neue technische Möglichkeit bezeichnet die BIZ in ihrer Nomenklatur als „intermittently offline“.4BIS Innovation Hub: “Project Polaris. Part 1: A handbook for offline payments with CBDC”, Mai 2023, https://www.bis.org/publ/othp64.pdf. Diese ist definiert als:

  1. beide Zahlungsparteien können über einen längeren Zeitraum offline sein;
  2. die Zahlung wird unmittelbar und final abgeschlossen; und
  3. die Zahlungsempfängerin kann das erhaltene Geld offline an Dritte weiterausgeben.

Initial könnten Wallets per Bank-App oder Geldautomaten befüllt (oder entleert) werden. Dazu müssen Banken den Austausch zwischen Bargeld, Giralgeld und digitalem Euro anbieten. Die Wahl der Wallet (Smartphone, Karte o.Ä.) ist dabei der Nutzerin freigestellt; alle funktionieren nach gleichem Prinzip. Außerdem können Banken zusätzliche Funktionen anbieten, die über den basalen Zahlungsverkehr hinausgehen, beispielsweise dass durch automatisches Aufladen stets ein bestimmter Betrag in der Offline-Wallet vorliegt.

Natürlich müssen die Wallets ein hohes Schutzniveau anbieten, damit Fälschungen ausgeschlossen sind. All das ist Bestandteil der Ausschreibung der EZB.

Die Technik

Um all diese Anforderungen zu bewältigen, ist spezielle Hardware nötig. Eine reine Software-Lösung würde sich zu einfach manipulieren lassen: Beispielsweise könnte ein Angreifer eine Wallet mit Geld aufladen, es in einem sicheren Speicher ablegen und eine Offlinezahlung durchführen. Nach dieser Zahlung könnte er allerdings den Speicher manipulieren und diesen auf den vorherigen Wert zurücksetzen. Nun könnte eine weitere Zahlung mit „demselben“ Geld nochmal durchgeführt werden. Dieses Szenario, in der Fachliteratur als double spending problem, also doppeltes Ausgeben, bekannt, gilt es zu verhindern, denn es käme – in der analogen Welt – dem Kopieren von Banknoten gleich.

Es gibt allerdings technische Lösungen, die eine digitale Kopie von Geld oder doppeltes Ausgeben verhindern. Sogenannte Secure Elements sind dedizierte Hardware-Chips, die in sich die Funktion von Prozessor und Speicher vereinen und nach außen definierte Kommunikationskanäle (meist Near Field Communication, NFC) anbieten. Heutzutage kommen Secure Elements schon in einer Vielzahl von Geräten zum Einsatz: klassische elektronische Zahlkarten, Smartphones, Smartwatches, Wearables, Reisepässe, Personalausweise und viele mehr enthalten Secure Elements. Auch SIM- und Gesundheitskarten (zu erkennen an den Kontaktflächen) basieren auf Secure Elements.

verschiedene Hardware mit Secure Elements: Smartphone, Uhr oder Karte

Abbildung 2. Geräte mit eingebauten Secure Elements

Offensichtlich haben die Herausgeber dieser Geräte ein Interesse daran, dass sich Prozessor und Speicher nicht manipulieren lassen. Schließlich gilt es heute schon zu verhindern, dass Personalausweise oder Kreditkarten in analoger oder auf dem Smartphone gespeicherter Form geklont und Identitäten gestohlen werden könnten.

Wie der Name bereits suggeriert sind Secure Elements manipulationssicher, d.h. sie verfügen über technische Abwehrmaßnahmen. Sie garantieren, dass gespeicherte Daten nicht unberechtigt geändert und Algorithmen korrekt ausgeführt werden. Das obige Szenario würde also mit ihnen nicht funktionieren. Technisch gesehen gehen die Maßnahmen über den landläufig bekannten Kopierschutz etwa von DVDs weit hinaus.

Eine Zahlung würde stets zwischen den Secure Elements zweier Wallets ablaufen: im Regelfall kontaktlos via NFC. Wallets können daher nur auf Geräten sicher implementiert werden, die ein Secure Element enthalten. Genau das stellt sich die EZB als integralen Bestandteil des digitalen Euro vor. Damit wäre auch sichergestellt, dass eine Angreiferin sich nicht blanke Karten besorgt und diese mit einer eigenen Wallet-Implementierung bestückt. Wallets müssen sich, bevor digitaler Euro ausgetauscht wird, gegenseitig authentifizieren. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Händler nicht „einfach so“ von einer beliebigen, möglicherweise manipulierten Wallet Geld offline akzeptieren würde. Dies wird durch elektronische Zertifikate, ein gängiges Verfahren, sichergestellt. Wichtig ist, dass diese Authentifizierung lokal funktioniert und daher kein Austausch von Identitäten mit der Zentralbank stattfindet.

Kritiker:innen sehen in der Forderung nach Secure Elements allerdings eine Benachteiligung reiner Software-Lösungen. Doch diese Kritik ist in zweierlei Hinsicht fehlgeleitet.

  1. Reine Software-Lösungen bieten kein ausreichend hohes Schutzniveau vor dem digitalen „Gelddrucken“ und gerade ein nationales Zahlungssystem ist für fremdstaatliche Angriffe prädestiniert.
  2. Für die Nutzung der Secure Elements ist es zwar notwendig, dass Smartphone-Hersteller dafür ihre Genehmigung erteilen. Man kann nicht einfach „irgendwelche“ Apps auf dem Sicherheitschip installieren, denn das würde die Sicherheitsgarantien unterlaufen. Aber die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Gesetzgebung sieht vor, dass Hersteller – auch außereuropäische – ihre Geräte für die Sicherheitsfunktionen des digitalen Euro öffnen müssen. Die EZB steht mit den Herstellern im Austausch.5Siehe EZB: “Second progress report on the digital euro preparation phase”, Dezember 2024, https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/progress/html/ecb.deprp202412.en.html. Beispielsweise hat Apple in der Vergangenheit, auch im größeren Kontext des Digital Market Acts, ihre Geräte für alternative Zahlverfahren geöffnet.6Finextra: “Norway’s Vipps launches world’s first Apple Pay rival for iPhone”, 10.Dezember 2024, https://www.finextra.com/newsarticle/45188/norways-vipps-launches-worlds-first-apple-pay-rival-for-iphone.

Davon unbenommen können Wallets für den digitalen Euro auch auf den Zahlungskarten europäischer Banken angeboten werden, was die letzten Vorbehalte hinsichtlich europäischer Infrastruktur ausräumen sollte.

Die Bedenken

Von technischer Seite gibt es aber noch weitere Bedenken. So wird vorgebracht, dass die oben geschilderte Offlinefähigkeit („intermittently offline“) mathematisch nicht möglich sei. Tatsächlich gibt es bei verteilten Systemen das sogenannte CAP-Theorem. Dieses besagt, dass ein Netzwerk nicht gleichzeitig konsistent (consistent), verfügbar (available) und resilient (partition tolerant) gegen Verbindungsabbrüche sein kann (lediglich zwei der drei Eigenschaften könnten erfüllt werden). Angewendet auf CBDC folgern nun manche, dass Offlinefähigkeit prinzipiell nicht funktionieren könne. Diese Schlussfolgerung fußt aber auf einer falschen Interpretation des Theorems. Wie die nachfolgende Grafik illustriert, muss man sich in der Tat für eine der drei Seiten des Dreiecks entscheiden. Banknoten sind offlinefähig, aber bei Verlust nicht wiederherstellbar. Schecks sind ebenso offlinefähig, aber erlauben es, mehr Geld auszugeben als man auf dem Konto hat. Debitkarten wiederum sind wiederherstellbar, aber nicht offlinefähig.

CAP-Theorem als Dreieck mit offlinefähig als einem, wiederherstellbar als zweitem und "kein doppeltes Ausgeben" als drittem Eck, mit Scheck zwischen ersten beiden, also sowohl offlinefähig als auch wiederherstellbar, Debitkarte sowohl wiederherstellbar als auch ohne double spending, Banknote sowohl offlinefähig als auch keine Möglichkeit doppelten Ausgebens, aber jeweils ohne die dritte EIgenschaft.

Abbildung 3. Das Dreieck der gewünschten Eigenschaften von Zahlungsmethoden

Der digitale Euro würde sich als ihre digitale Entsprechung wie die Banknoten positionieren: Der Vergleich von Secure Elements mit den proprietären Farben und Drucktechniken bei Banknoten als Sicherheitsmerkmalen liegt daher nahe. Da Banknoten (wie auch beispielsweise Pässe) staatliche Hoheitszeichen sind, die die Autorität und Legitimität eines Staates repräsentieren, ist die Fähigkeit, sie im analogen wie digitalen Raum schützen zu können, essenziell.

Die fehlende Wiederherstellbarkeit des digitalen Euro ist dabei ein Zeugnis von hohen Datenschutzstandards. Denn wie beim Bargeld haben weder die EZB noch Banken einen Einblick, welcher digitale Euro sich gerade in welcher Wallet befindet.

Zentralbanken sind in einer guten Position, sichere und datenschutzfreundliche, öffentliche Infrastrukturen für den Zahlungsverkehr aufzubauen. Regulierung und gemeinsame Standards sorgen dafür, dass Geräte verschiedener Hersteller und Apps verschiedener Banken nahtlos zusammen funktionieren können.

Das Netz und der doppelte Boden

Trotzdem sind Wallets nicht für immer offline, aus zweierlei Gründen.

Erstens ist es zur Erhöhung der Sicherheit wichtig, dass die Wallets periodisch einen sogenannten Integritätscheck durchführen, um das auf der Wallet vorhandene Geld auf Echtheit zu prüfen. Außerdem würde eine als gestohlen gemeldete Wallet deaktiviert. Im Regelfall geschieht dies nahtlos, beispielsweise wenn ich, nachdem das Geld ausgegeben ist, neues Geld herunterlade. Manipulationen würden spätestens hier auffallen, wodurch der Wirkradius von potenziellen Angriffen drastisch eingeschränkt wird.

Zweitens gibt es ein Interesse daran, dass mit dem digitalen Euro kein Geld gewaschen werden kann. Im Gegensatz zum Geldkoffer, der mit zunehmendem Inhalt unhandlich wird, ist der Betrag beim Digitalgeld lediglich eine Zahl: in Kombination mit anonymen Offlinezahlungen ein Rezept für Desaster. Die EZB sieht daher strenge Limits vor. So ist ein generelles Haltelimit von 3000 € vorgesehen. Transaktionslimits könnten hinzukommen. 

Das Fazit

In der Gesamtschau ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Sicherheitsarchitektur von offlinefähigen Digitalwährungen verfügt über mehrere Ebenen: angefangen von der Hardware über kryptografisch sichere Kommunikationsprotokolle bis hin zum Integritätscheck durch die Zentralbank. .

Der digitale Euro gleicht als Zentralbankgeld dem Bargeld, nicht einem klassischen Konto. Geeignete Interfaces sorgen für die Integration mit sicherer Hardware und gleichzeitigen Bedienkomfort. Hierzu können Bank-Apps dienen, die zusätzliche Leistungen anbieten könnten.

Die immer wieder vorgebrachten technischen Bedenken können durch praktische Erfahrungen sowohl in existierenden CBDC-Projekten als auch in der freien Wirtschaft (breite Industrie) ausgeräumt werden. Secure Elements sind etablierte Vertrauensanker, die längst für kritische hoheitliche Aufgaben im Einsatz sind und daher auch für den digitalen Euro relevant.

Zu weiteren Beiträgen im eFin-Blog-Dossier Digitaler Euro

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Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: hellblau

Auf der Suche nach dem besseren Geld: Die Bitcoin-Bundestagswahl?

Auf der Suche nach dem besseren Geld: Die Bitcoin-Bundestagswahl?

Ein Beitrag von Erik Meyer

17. Februar 2025

Der Streit ums Geld (Stichwort „Schuldenbremse“) war dafür ausschlaggebend, dass die Legislaturperiode des 20. Deutschen Bundestages vorzeitig zu Ende geht. Doch auch Digitalgeld, vor allem die auf europäischer Ebene verhandelte Einführung eines digitalen Zentralbankgelds (CBDC), spielte in der parlamentarischen Arbeit eine kontroverse, wenn auch randständige Rolle. Ebenso Bitcoin. Dafür sorgten nicht zuletzt die Bemühungen der fraktionslosen Joana Cotar (Ex-AfD), deren Initiative unter dem Titel „Bitcoin im Bundestag” (BiB) zahlreiche als Bildungsangebote für andere Abgeordnete deklarierte Events veranstaltet und sozial-medial begleitet hat. Dieses Format fungierte als parlamentarische Plattform einer sonst dezidiert staatsfernen Szene, die das technologisch tendenziell dezentrale Digitalgeld auf Blockchain-Basis als Alternative zum etablierten Geldsystem propagiert. Begünstigt wurde die eher außerparlamentarische Aufmerksamkeit für diesen mit Steuermitteln finanzierten staatsskeptischen Aktivismus durch eine Themenkonjunktur. Dies betraf einerseits die Veräußerung beschlagnahmter erheblicher Kryptowerte durch Behörden in den Bundesländern, die ungeachtet der gesetzlichen Vorgaben als voreilig kritisiert wurde.1Vgl. den betreffenden Beitrag im eFin-Blog: https://zevedi.de/wie-die-deutsche-justiz-beschlagnahmtes-kryptogeld-verkauft/. Unter Verzicht auf dieses Framing stellte auch die Gruppe „Die Linke” am 23.8.2024 eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung dazu: https://dserver.bundestag.de/btd/20/126/2012631.pdf. Andererseits manifestierte Donald Trump im Wahlkampf seine Affinität zur Krypto-Community u.a. durch das Versprechen, Bitcoin in den USA zur Reservewährung zu machen und verschaffte diesem mit seinem Wahlsieg zu einem erstmaligen Kurssprung über die 100.000 Dollar-Marke.2 Siehe dazu den betreffenden Beitrag im eFin-Blog: https://zevedi.de/efinblog-nach-der-us-wahl-trumps-schone-neue-kryptowelt/ Ende Januar 2025 hat sich die dafür in der Eurozone zuständige Präsidentin der Europäischen Zentralbank allerdings dezidiert gegen eine vergleichbare Vorgehensweise ausgesprochen: „Lagarde sagte, im EZB-Rat sei man sich einig, dass Währungsreserven von Zentralbanken liquide, sicher und vor illegalen Praktiken wie Geldwäsche geschützt sein müssten. Deshalb sei das Investieren in Bitcoins für die Notenbanken des Euroraums keine Option.“ (Zeit Online vom 30.1.2025 https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/bitcoin-waehrungsreserve-ezb-lagarde)

Mehr Trump wagen: Bitcoin-Adoption bei AfD und FDP

Als erste der im Bundestag vertretenen Parteien reagierte für die AfD der Sprecher ihres Bundesfachausschusses „Geld- und Währungspolitik“ auf das Signal aus den USA : Er kündigte unter der Überschrift „Erhalt der Bitcoin-Freiheit durch Besteuerungs- und Regulierungszurückhaltung der Politik” eine entsprechende Passage für das Wahlprogramm an.3 Siehe die betreffende Pressemitteilung vom 22.11.2024: https://www.presseportal.de/pm/110332/5915082. Gleichzeitig positioniert sich die AfD dort gegen den digitalen Euro, den sie entgegen anderslautender Festlegungen des europäischen Gesetzgebers sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Deutschen Bundesbank als „Einfallstor für die schleichende Abschaffung des Bargeldes” auffasst.4Im Folgenden wird auf die zum Stichtag 2.2.2025 verfügbaren Programme der betreffenden Parteien zur Bundestagswahl 2025 verwiesen, die zu diesem Zeitpunkt überwiegend verabschiedet, aber im Einzelfall noch nicht vollständig publiziert waren. In diesen Fällen wird auf den letzten verfügbaren Stand verlinkt. Siehe für die folgenden Zitate aus dem Wahlprogramm der AfD: https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/AfD_Leitantrag-Bundestagswahlprogramm-2025.pdf. Demgegenüber soll durch weitgehende Deregulierung die Attraktivität von Bitcoin als staatsfreiem Geld gewährleistet werden. Bitcoin sei „ein begrüßenswerter Kandidat im Wettbewerb der Währungen”, den die Partei generell um eine weitere Dimension ergänzen will. So fordert die AfD die „Wiedereinführung einer nationalen Währung (…) ggf. unter Beibehaltung des Euro oder einer flexiblen ECU-ähnlichen Verrechnungseinheit”.

Auch in der liberalen Bundestagsfraktion fiel das Thema früh auf fruchtbaren Boden. Hier vertritt Frank Schäffler seit langem ein krypto-freundliches und CBDC-skeptisches Profil. Nach dem Aus der Ampelkoalition avancierte seine libertäre Position partiell zur Parteilinie. Diese proklamierte der Vorsitzende Christian Lindner prominent in der Plenardebatte zur Vertrauensfrage von Kanzler Scholz, als er Trumps Bitcoin-Doktrin als eine Innovation markierte und vor versäumten Chancen warnte. Im Wahlprogramm der FDP werden entsprechende Forderungen so formuliert: „Wir begrüßen die Entwicklung von Kryptowährungen und Digital Ledger Technologie und setzen uns für die Zulassung von Krypto-ETFs ein. Wir sind offen dafür, dass die Europäische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank Kryptowährungen wie Bitcoin als Währungsreserven verwenden.“5Siehe das Wahlprogramm der FDP, hier S. 16: https://www.fdp.de/sites/default/files/2024-12/fdp-wahlprogramm_2025.pdf.

Flankiert wurde diese Positionierung am Wählermarkt durch den fünften Blockchain-Roundtable der FDP-Fraktion, der sich am 10. Januar 2025 dem Thema „Bitcoin ­ Das bessere Geld?“ widmete.6Siehe zu den betreffenden Angaben: https://crm.fdpbt.de/termin/5-blockchain-roundtable-bitcoin-das-bessere-geld. Das Fragezeichen wurde hier bereits durch die Besetzung des Panels relativiert. Auf einen Impulsvortrag des ehemaligen Finanzministers Lindner folgte, moderiert von Schäffler, eine Diskussion zwischen insbesondere reichweitenstarken Multiplikator:innen im Krypto-Milieu: Eva Brauckmann (einemillionsatoshi – der Bitcoin Podcast), Dr. Alex von Frankenberg (Technologie-Entrepreneur im Bereich Venture Capital/Start-ups), Marc Friedrich („ein als Crash-Prophet bekannter Bestsellerautor mit Hang zu Verschwörungstheorien“7So Ruth Fend in einem ausführlichen Bericht über die Veranstaltung bei Zeit Online vom 10.1.2025: https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/fdp-christian-lindner-bitcoin-kryptowaehrungen.) sowie Roman Reher (unter dem nom de guerre „Blocktrainer“ als Bitcoin-Evangelist bekannt und bereits Vortragender bei BiB). Frankenberg und Friedrich sind zudem Mitglieder der Lobby-Organisation Bitcoin Bundesverband, die die Veranstaltung mit einem Dinner am Vorabend sowie einem Lunch im Anschluss begleitet hat. Schäffler hatte sich in einem Meinungsbeitrag der Zeitung Die Welt bereits am Vortag einschlägig positioniert: „EZB und Bundesbank sollten neben Gold und Devisen auch Bitcoins in ihre Währungsreserven aufnehmen.”8Siehe dazu die Online-Ausgabe: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article255069348/Die-Politik-muss-endlich-die-Bedeutung-von-Kryptowaehrungen-erkennen.html. Ein weiteres Signal ist in diesem Kontext die Forderung im FDP-Wahlprogramm: „Wir wollen das Aufgabenspektrum der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um die Finanzplatzförderung erweitern, um FinTech- und Kryptoinnovationen besser zu unterstützen.“

Liberaler Spagat zwischen Bitcoin-Maximalisten und CBDC-Realpolitik

Die Resonanz auf diese Avancen manifestierte sich nicht nur im guten Besuch des Blockchain-Roundtables durch sogenannte Bitcoin-Maximalisten9Vgl. die Darstellung von Ruth Fend bei Zeit Online – https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/fdp-christian-lindner-bitcoin-kryptowaehrungen – und ihre Charakterisierung „Bitcoin-Maximalisten (…) geht es um ein dezentrales alternatives Währungssystem, das sicher ist vor Inflation und staatlichem Zugriff“. Der Begriff „Maximalisten“ impliziert, dass in der Debatte differente Diskurspositionen identifiziert werden können (etwa pessimistisch, minimalistisch, realistisch oder pragmatisch), die hier nun weniger präsent waren.[/mfn], sondern etwa auch in der generellen Bewertung des Bitcoin Bundesverbands, der die FDP in einem Überblick als „klare Befürworter” benennt.9 Siehe dazu und für die folgenden Zitate daraus die Meldung vom 24.1.2025: https://bitcoin-bundesverband.de/bitcoin-und-die-bundestagswahl-2025. Sie konkurriere im Pro-Bitcoin-Spektrum nur mit der AfD („Kritisch, aber libertär”) und der rechts-randständigen Kleinpartei Bündnis Deutschland, die als „Innovationsförderer” wahrgenommen wird. Das Bündnis fordert eine „regulatorische Umgebung, welche die freie Nutzung von Bitcoin ermöglicht” und „zudem eine nationale Bitcoin-Reserve”.10Siehe das Wahlprogramm von Bündnis Deutschland: https://buendnis-deutschland.de/wp-content/uploads/2025/01/btw25-final.pdf. Der Bitcoin-Blog betitelt seinen Programm-Check der bereits im Bundestag vertretenen Parteien kritischer: „Gähnende Leere und ein Stückchen Populismus”.11Siehe den Beitrag von Christoph Bergmann vom 14.1.2025: https://bitcoinblog.de/2025/01/14/gaehnende-leere-und-ein-stueckchen-populismus. Übersehen wird dabei Bündnis Deutschland. Seit Dezember 2024 ist die Partei durch den Beitritt des Ex-AfD-Politikers Uwe Witt im Deutschen Bundestag vertreten. Flankiert werden die Positionsbestimmungen durch Parteispenden von interessierten Akteuren. Berichtet wurde etwa über das betreffende Engagement der Krypto-Handelsplattform Bitpanda. Jeweils 500.000 Euro hat sie an CDU, SPD und FDP gespendet; 250.000 Euro an die CSU. Dabei handelt es sich wohl um eines der größten Spendenpakete des aktuellen Wahlkampfs.12Siehe für diese Angaben der Bericht von Niklas Wirminghaus vom 16.1.2025 im Online-Angebot von ntv: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wichtiger-Krypto-Player-pumpt-Millionen-in-deutschen-Wahlkampf-article25492876.html.

In letzter Minute hat die FDP-Fraktion Ende Januar 2025 aus dieser Gemengelage sogar noch einen Antrag im Bundestag destilliert, der mit Blick auf den Wahlkampf insbesondere symbolpolitischen Charakter hat.13Siehe dazu und für die folgende Zitate den Antrag vom 28.1.2025: https://dserver.bundestag.de/btd/20/147/2014724.pdf. Unter dem Titel „Kryptowährungen als Chance – Bitcoin für Wohlstand und Wachstum in Deutschland nutzen“ erfolgt darin unter I zunächst eine Art historischer Herleitung der aktuellen liberalen Position aus den Glaubenssätzen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Daraus werden dann geld- und währungspolitische Konsequenzen abgeleitet und auf Bitcoin angewendet. Dieser Dreischritt deckt sich weitgehend mit Argumentationsmustern, die auch in der Bitcoin-Community zirkulieren. Unter II werden dann aus dieser Deutungsperspektive erzielte Erfolge des bis zum Ampel-Aus FDP-geführten Bundesfinanzministeriums begrüßt. U.a. habe man auf EU-Ebene ein „De-facto-Verbot von Bitcoin“ verhindert, „welches insbesondere BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der MiCA-Verordnung nur allzu gerne durchgesetzt hätten“. Unter III wird die amtierende Minderheitsregierung wenige Wochen vor der Wahl zu diversen dementsprechenden Maßnahmen aufgefordert. Insofern diese zum Großteil gar nicht in deren Zuständigkeiten fallen, geht es dabei auch um argumentative Einwirkung auf EZB und Bundesbank zur Aufnahme von Bitcoins in ihre Reserven. Ein entsprechendes Engagement wird gleichermaßen auf EU-Ebene bei der Prüfung der Einführung des digitalen Euro erwartet. Hier werden in sechs Unterpunkten konkrete Anforderungen formuliert. Neben Aspekten zur Ausgestaltung einer Retail-CBDC wird gefordert, dass die EZB „einen Großteil ihrer Ressourcen für die Entwicklung einer Wholesale-CBDC einsetzt, welche zur Abwicklung von Interbankengeschäften genutzt werden kann“. Unabhängig von der Bewertung der verhandelten Policy-Issues eröffnet die FDP-Fraktion mit dieser doppelten Stoßrichtung ein erhebliches Spannungsfeld, weil die Pro-Bitcoin-Position in der Regel mit einer Contra-CBDC-Haltung einhergeht.

Etablierte Digitalgeld-Distanz

Die meisten Parteien von elektoraler Relevanz zeigen sich gegenüber den aktuellen Konjunkturen digital-finanzieller Themen relativ resistent. Beim BSW und der SPD sind keine einschlägigen programmatischen Aussagen auszumachen. Die Union belässt es bei balancierten Aussagen wie „Vielfalt der Zahlungsmethoden erhalten” und: „Digitaler Euro nur bei echtem Mehrwert”.14Siehe das Wahlprogramm von CDU und CSU: https://www.csu.de/common/download/Wahlprogramm_2025_von_CDU_und_CSU.pdf. Die Grünen fordern im Verbraucherschutz-Modus eine bundesweite „Servicestelle” gegen den „Missbrauch von Kryptowährungen”.15Siehe dazu Kapitel 3 im betreffenden Beschluss von Bündnis 90/Die Grünen: https://cms.gruene.de/uploads/assets/WP-01-K3_Kapitel_3_Frieden_in_Freiheit_sichern__innen_und_au%C3%9Fen.pdf. Die Linke befürwortet kapitalismuskritisch den digitalen Euro als eine öffentliche „Alternative zu den Bezahlsysteme(n) der großen Internetkonzerne”: „Geld und Währung müssen Teil staatlicher Souveränität bleiben, eine schleichende Privatisierung lehnen wir ab.“16Siehe das Wahlprogramm von „Die Linke“: https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/Wahlprogramm_Langfassung_Linke-BTW25_01.pdf. Hier werden also in abstrakter Allgemeinheit vermutete Kompetenzzuschreibungen bedient, ohne sich in fachpolitischen Diskursen und ihren Fallstricken im Hinblick auf das jeweilige Klientel zu verheddern. Dies ermöglicht dann auch die häufig geforderte Beinfreiheit für Kandidierende, um sich zu ad hoc im Wahlkampf auftauchenden Fragestellungen flexibel (und opportun) verhalten zu können. Diesen Freiraum nutzen dann auch immer wieder einzelne Akteure, um auch dort Affinitäten herzustellen, wo programmatisch erstmal keine zu erkennen sind. So akzentuiert beispielsweise der in der letzten Legislaturperiode für den digitalen Euro als Berichterstatter im federführenden Ausschuss zuständige Europaabgeordnete Stefan Berger (CDU) zumindest in den sozialen Medien zu Krypto & Co affine Positionen, die sich nur bedingt mit den von seiner Partei vertretenen Vorstellungen zu deren restriktiver Regulierung decken.

So wie das Thema „Digitalgeld” derzeit im politischen Diskurs verankert ist, erwarten davon vor allem Parteien (und einzelne Personen) eine relevante Profilierung, zu deren Repertoire auch spezifische wirtschaftsliberale Vorstellungen gehören, die mit relativ simpler und bezogen auf unterschiedliche Handlungsfelder selektiv strikter Staatsferne verbunden sind. Diese politisieren das Heilsversprechen von monetärer Entbürokratisierung durch (vermeintlich) dezentrale Finanztechnologien. Auf der Gegenseite wiederum gelingt keine attraktive Erzählung, die über die strategischen Vorteile eines bürgerorientierten digitalen Geldes hinausreicht. Häufig bleibt es deshalb beim defensiven Motiv der generellen Einhegung von Big Tech als aktuelle Variation der Warnung vor der Macht von Banken unter dem Regime eines digital beschleunigten und entgrenzten Finanzkapitalismus. Zwischen diesen programmatischen Polen bewegen sich dann Vorschläge zum Daten- und Verbraucherschutz oder einer ­wie auch immer konkret verstandenen ­ Finanzbildung, die die goldene Mitte (des bürgerlichen Spektrums) adressieren. Aber versteht man demokratische Wahlen nicht nur als kurzfristige Mobilisierung von proto-politischen Affekten, sondern auch als Konkurrenz um Konzepte für die Zukunft von Gemeinwohl und -wesen, dann ist die derzeitige Beschlusslage der deutschen Parteien zum digitalen Wandel des Finanziellen jedenfalls noch ausbaufähig.

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Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Initiative für ETF-Bildung – Kommentare zur „Initiative für Finanzbildung“ des BMF und BMBF

Ein Beitrag von Eneia Dragomir

31. Januar 2025

Die Ampelkoalition ist Geschichte und zu den Projekten, die durch das rot-grün-gelbe Dreierbündnis gestartet wurden, gehört die „Initiative Finanzielle Bildung“. Genauer gesagt, war es ein „gelbes“ Projekt. Finanzminister Christian Lindner und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, beide FDP, läuteten am 23. März 2023 auf einem Berliner Podium den „Aufbruch Finanzielle Bildung“ ein.1 Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Immer wieder kamen Sie auf die drei Eckpunkte ihrer Initiative zu sprechen. Demnach sollte die finanzielle Bildung in Deutschland 1. durch die Erarbeitung einer nationalen Finanzbildungsstrategie gestärkt werden. Das sollte in Zusammenarbeit mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder geschehen. Es sollte 2. eine „zentrale Finanzbildungsplattform“ geschaffen werden, um die vorhandenen sowie hinzuzunehmende Finanzbildungsangebote zu bündeln, für die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer:innen in „adressatengerechten Formaten“ bereitzustellen sowie die Vernetzung im Bereich der finanziellen Bildung zu fördern. 3. sollte die Forschung zu finanzieller Bildung gestärkt werden, um die Datengrundlage zu verbessern sowie um zukünftige bildungspolitische Maßnahmen „evidenzbasiert“ zu entwickeln.2Gemeinsame Pressemitteilung von BMF und BMBF: BMF und BMBF stellen Initiative Finanzielle Bildung vor , 23. März 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)

Ein erster kritischer Zwischenruf zur Initiative kam gewissermaßen postwendend vom Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz (PNFK), einem Zusammenschluss zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Netzwerk äußerte in seiner Stellungnahme zum Aufbruch die Befürchtung, dass gewachsene Strukturen in Gefahr sein könnten. Insbesondere seien die Belange „vulnerabler Gruppen“, also junger Menschen aus einkommensschwachen Familien, Geflüchteter und Senior:innen mit geringer Rente, unterrepräsentiert. Eine digitale Plattform, das einzige konkrete Projekt der Finanzbildungsinitiative, sei ungeeignet, um insbesondere diese Gruppen zu erreichen. Denn mit einer solchen Plattform werde die Informationsbeschaffung an diese Menschen delegiert und man laufe Gefahr, nur jene zu erreichen, die ohnehin für das Thema sensibilisiert seien.

Aufmerksamkeit für Finfluencer

Auf der Auftaktveranstaltung selbst wurden immer wieder „Finfluencer“ aufgerufen, Brücken zu den jungen Menschen zu bauen, beispielsweise der auf TikTok erfolgreiche Kamiar Bar Bar. Dieser war einer der wenigen Akteure aus dem Feld der Finanzbildung, die mit Lindner und Stark-Watzinger auf dem Podium sprachen. Finfluencer Bar Bar wurde als Vertreter dieser auf Social Media reichweitenstarken Vermittlung finanzieller Kompetenzen eine Viertelstunde nach Beginn der Veranstaltung zusammen mit Verena von Hugo, Vorständin im Bündnis ökonomische Bildung, auf die Bühne gebeten. Eine Dreiviertelstunde später kam auch Lorenzo Wienecke dazu, der mit seiner Initiative Jugendbildung seit 2017 Veranstaltungen an Schulen organisiert. Gegen Ende der Veranstaltung kam aus dem Publikum die Frage, ob die Verbraucherzentralen und ihr Bundesverband in die Initiative eingebunden würden.3Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März, 1:07:55-1:08:11. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Auch andere etablierte Akteure, beispielsweise der Schuldenberatung, der Sozialen Arbeit, der sozioökonomischen Bildung oder der politischen Bildung waren auf dem Podium nicht vertreten.

Schon in der Podiumszusammensetzung deutet sich eine mögliche Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung an, vor der das PNFK warnte. Mit den Verbraucherzentralen verwies das Netzwerk darauf, dass eine hohe Reichweite in den sozialen Medien noch kein Nachweis der Qualität sei. Einen etwas kritischeren Blick auf Finfluencer deutete auf dem Podium BaFin-Präsident Mark Branson an. Auf Nachfrage aus dem Publikum meinte er, es gebe auf Social Media Inhalte, die „gar nicht unschuldig“ seien.4Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:11:45ff. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025) Ausdrücklich kritisierte das PNFK in seiner Stellungnahme „Lindners verkürzten Blick“ auf das Themenfeld der Finanzbildung. Denn gerade in den Statements des Finanzministers ging es auffallend oft um die Chancen und die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts. Überhaupt war das Kürzel „ETF“ oft zu hören. So schloss das PNFK in seinem Statement, die „Förderung eines kritischen Verständnisses des Finanzwesens scheint bisher kein Bestandteil der Überlegungen und geplanten Strategie zu sein“.

Finanzbildung als politisches Projekt?

Im Oktober 2024 erschien die bisher ausführlichste Kritik der Initiative für finanzielle Bildung.5Thomas Höhne: Finanzbildung als politisches Projekt – Eine kritische Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung, OBS-Arbeitspapier 71, Frankfurt am Main, Oktober 2024. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025) Thomas Höhne, Erziehungswissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, stellt die Grundaussage seiner „kritischen Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung“ im Titel seiner Studie zugespitzt heraus: „Finanzbildung als politisches Projekt“. Die Finanzbildungsinitiative von BMF und BMBF verfolge primär eine „aktivierungspolitische“ und wirtschaftsliberale Zielsetzung: „Die Investitionsbereitschaft der Bevölkerung in Aktien soll erhöht werden“, so der Autor in der Pressemittelung zur Studie. Für dieses parteipolitische Anliegen der FDP werde die Finanzielle Bildung instrumentalisiert.

Höhne hebt hervor, das öffentliche Bemühen, eine geteilte Schirmherrschaft von BMF und BMBF herauszustreichen, verdecke die tatsächliche Dominanz des BMF in Konzeption und Ausgestaltung der Initiative. So wurde auf Anfrage der Unionsfraktion hin deutlich, dass das Finanzministerium die Federführung bei der nationalen Finanzbildungsstrategie und der Finanzbildungsplattform innehat.6Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU: Aktueller Stand der Initiative Finanzielle Bildung, Drucksache 20/9335, 15. November 2023. (PDF, Zugriff 30. Januar 2025)
Das BMBF sei lediglich für die Förderung der Forschung zu finanzieller Bildung zuständig. Ihm komme damit die „fragwürdige Rolle“ zu, die Initiative als Bildungsprojekt zu legitimieren, so Höhne. Denn eine BMF-Kampagne für die Steigerung der Kapitalmarktteilnahme und für die Aktienrente wäre leicht unter „Ideologieverdacht“ geraten.

Die Finanzbildungsplattform macht Höhne als eigentlichen Kern des Projekts aus. Sie sei das Mittel zur Koordination und Steuerung der nationalen Finanzbildungsstrategie und damit für eine Umstrukturierung des Feldes der finanziellen Bildung. Die Webseite mitgeldundverstand.de ging Anfang Dezember 2023 online. Für seine Studie analysierte Höhne die Plattform sieben Monate später und fällte ein verheerendes Urteil: Nur 8% der angebotenen Inhalte seien als Bildungsmaterialien qualifizierbar. Ansonsten handele es sich um eine reine Informationsplattform. Selbst die wenigen Bildungsinhalte könnten teilweise einer bildungstheoretischen Bewertung nicht standhalten.

Höhne veranschaulicht das an einem Video. Das „FDP-Video“ sei „monoperspektivisch, bewertet die Schuldenbremse als durchgehend politisch, wirtschaftlich und moralisch legitimes politisches Handeln, demgegenüber jede Relativierung oder Infragestellung als nicht legitim“ dargestellt werde. Die Kontroversen zur Schuldenbremse, sei es in der Wissenschaft oder der Politik, werden nicht angedeutet. Würden die drei Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsenses angelegt – Überwältigungsverbot, Kontroversität, Adressatenorientierung –, wie sie für die Materialen der Bundeszentrale für politische Bildung gelten, sähe es schlecht aus: Die Einseitigkeit der Darstellungen widerspreche dem Kontroversitätsprinzip und die monoperspektivische Ausrichtung könne überwältigend wirken. Das Video gebe einseitig die Position der FDP zur Schuldenbremse wieder, so Höhne. Hier werde Parteienwerbung als Bildungsmaterial getarnt.

Attac Deutschland, die zusammen mit der gewerkschaftseigenen Otto-Brenner-Stiftung die Studie in Auftrag gegeben haben, hat mit der Veröffentlichung von Höhnes Analyse eine alternative Finanzbildungsplattform eingerichtet. Auf geldmitverstand.de sollen Materialien für eine kritische ökonomische Bildung gesammelt werden, die auf der Webseite des BMF fehlen. Dort finden sich Verlinkungen zu Inhalten von Attac, aber auch zu Materialien des Netzwerks Plurale Ökonomik, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Netzwerks Steuergerechtigkeit, des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt sowie zu verschiedenen Podcasts.

Das Festival für Finanzbildung

Seit der Analyse von Höhne hat sich auf mitgeldundverstand.de wenig getan. Hinzugekommen sind die Mitschnitte des Programms auf der Hauptbühne des „Festivals für Finanzbildung“, das Mitte Oktober 2024 stattgefunden hat, einem der letzten Lebenszeichen der Finanzbildungsinitiative. Auch hier ist auffällig oft von ETFs die Rede. Es ging teilweise gar skurril zu, als dafür geworben wurde, Finanzbildung neu zu denken, indem man mit einer App „im Duolingo-Stil“ zu investieren lernt. So könne vielleicht „ganz Deutschland süchtig nach finanzieller Bildung“ gemacht werden“7Julia Kruslin & Sophie Thurner: Finanzielle Bildung neu gedacht. Investieren im Duolingo-Stil, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024, 12:29ff (Zugriff 30. Januar 2025) Anders als beim Aufbruch im März 2023 waren auf dem Festival neben neueren Akteuren, Startups und Finfluencern auch etablierte Player wie das PNFK, die Caritas, die Volkshochschulen oder der Bundesverband der Verbraucherzentralen vertreten. Diese brachten ihre Expertise etwa in der Schuldenprävention oder der Qualitätskontrolle von Finanzbildungsinhalten ein.

Birgit Happel, Mitglied des PNFK-Vorstands, stellte die Notwendigkeit finanzieller sozialer Arbeit dar.8Birgit Happel: Finanzielle Soziale Arbeit. Empowerment für ein selbstbestimmtes Leben, Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung, 15. Oktober 2024 (Zugriff 30. Januar 2025). Ihr Vortrag, der letzte des Festivals, wirkt wie eine Veranstaltungskritik und ruft viele Punkte in Erinnerung, die das PNFK in seinem ersten Statement zur Finanzbildungsinitiative angemahnt hatte. So forderte Happel dazu auf, die finanzielle Grundbildung finanzschwacher Gruppen nicht aus den Augen zu verlieren, da sich die ohnehin großen finanziellen Ungleichheiten verfestigen würden, wenn der Fokus darauf liege, Bessergestellten Mut zur Eröffnung des ersten ETF-Sparplans zu machen. Und Frauen würden nicht nur durch fehlende Grundkenntnisse über das Funktionieren des Aktenmarktes ökonomisch belastet, sondern auch weil Care-Arbeit immer noch ganz überwiegend ihnen obliege und Kitaplätze Mangelware seien.

Parallelstrukturen und unzureichende Vernetzung

Zu den Mängeln dieser Initiative gehören nicht nur die kritisierten Verkürzungen, sondern insbesondere die ungenügende Vernetzung sowie Doppelspurigkeiten. Schon in seiner ersten Stellungnahme wies das PNFK auf den „Materialkompass“ des Bundesverbands der Verbraucherzentralen hin, mit dem qualitätsgesicherte Materialien zur finanziellen Bildung auffindbar gemacht werden – also das, was mitgeldundverstand.de eigentlich leisten soll. Nicolas Mantseris, ebenfalls Vorstandsmitglied des PNFK, wies in seinem Vortrag auf dem Festival für Finanzbildung darauf hin, dass man mit der „FinKom“, der Finanzkompetenz-Infobörse, bereits seit Jahren ein kleines Format des Festivals organisiere. Es entsteht der Eindruck, dass Parallelstrukturen aufgebaut wurden, anstatt zu koordinieren und zu vernetzen, wie es im Rahmen der „Initiative Finanzielle Bildung“ immer wieder öffentlich behauptet wurde. Und ob diese Doppelstrukturen leisten können, was sie sollen, ist zweifelhaft.

Das droht auch mit der im Referentenentwurf von Anfang Oktober 2024 zum „Finanzbildungsstärkungsgesetz“ vorgeschlagenen Erweiterung der Stiftung „Geld und Währung“. Diese war 2002 eingerichtet worden, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung „stabilen Geldes“ zu erhalten und zu fördern. Die Stiftung soll um Finanzbildung erweitert werden und künftig „in enger Abstimmung mit den Stakeholdern“ die Umsetzung von bundesweiten Maßnahmen und Strategien zur Stärkung der finanziellen Bildung koordinieren und sogar eigene Finanzbildungsinhalte entwickeln.9 Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzbildung – Änderung des Gesetzes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ (Finanzbildungsstärkungsgesetz), Bundesfinanzministerium, 7. Oktober 2024. In seiner Stellungnahme zum Entwurf drückte das PNFK wiederum seine Sorge aus, dass bestehende Netzwerke und Akteure bedroht seien, wenn neue Netzwerke an diesen vorbei aufgebaut würden.10
Stellungnahme des Präventionsnetzwerkes Finanzkompetenz e.V.
zum Referentenentwurf des Finanzbildungsstärkungsgesetzes
, 17. Oktober 2024.

Von der ETF- zur Finanzbildung

Abschließend bleibt festzuhalten, dass eine bundesweite Finanzbildungsstrategie seit Jahren gefordert und dementsprechend auch grundsätzlich willkommen geheißen wird. Die Initiative für Finanzbildung der FDP-Ministerien ist bislang jedoch durch inhaltliche Verkürzungen, mangelnde Vernetzung und eine Onlineplattform aufgefallen, die weit hinter den Ankündigungen zurückbleibt. Es bleibt zu hoffen, dass eine kommende Regierung die konstruktive Kritik aufnimmt und auf der vorhandenen Expertise aufbaut, um einzulösen, was der damalige Finanzminister Christian Lindner auf der Auftaktveranstaltung im März 2023 versprochen hat: „Finanzielle Bildung ist nicht Vertrieb für die Finanzindustrie. Finanzielle Bildung ist nicht Indoktrination für irgendeine Form von Wirtschaftspolitik.“11Finanzielle Bildung: Bundesfinanzminister & Bundesbildungsministerin stellen Initiative vor, 23. März 2023, 1:05.24-38. (Youtube, Zugriff 30. Januar 2025)

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