Der Drift ins Digitale: Bargeldlosigkeit, CBDCs und die Narrative, die wir brauchen
Brett Scott im Interview mit Caroline Marburger
21. August 2025
Bargeld verschwindet – nicht laut, sondern leise: mit dem ruhigen Summen von Terminals, Apps und mit lautlosen Zahlungsflüssen. Das liege an einem systemischen Trend zur Bargeldlosigkeit, so Brett Scott. Statt von einem einzelnen Entscheidungsträger getragen, sei er geprägt von den Kräften des globalen Kapitalismus. Dargestellt werde dieser Wandel jedoch oft, als handele es sich hierbei um eine Entscheidung der Verbraucher:innen.
Als Bargeld-Verfechter untersucht Brett Scott die Politik digitaler Zahlungen und CBDCs und hinterfragt nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, wie der Diskurs geführt wird. Die Debatte um Bargeld, CBDCs oder digitale Zahlungen wirkt oft repetitiv, bekannte Gegensätze werden aufgemacht: Staat vs. Markt, Kontrolle vs. Freiheit, Innovation vs. Nostalgie. Im Interview spricht der Autor über seine in der Anthropologie geschulte Sichtweise, seine Erfahrungen in der Hochfinanz, unversöhnliche Meinungen zu digitalen Zentralbankwährungen, und wie alternative Metaphern neue Perspektiven eröffnen.

Sie haben sowohl einen Abschluss in Anthropologie als auch in Internationaler Entwicklung. Nach Ihrem Studium haben Sie allerdings zunächst als Broker gearbeitet. Was haben Sie dabei über unsere Sichtweise auf das Geldsystem gelernt?
Nach meinem Studium habe ich mich in die aggressive Welt des Derivatehandels begeben. Das war zum Teil ein anthropologisches Abenteuer, bei dem ich die verwirrenden Machtstrukturen der Weltwirtschaft kennenlernen wollte. Schließlich ist der beste Weg, etwas zu verstehen, es selbst zu erleben.
Aber nachdem ich einige Jahre als Broker gearbeitet hatte, auch während der Finanzkrise, wurde mir klar, dass Kenntnisse im Bereich Hochfinanz nicht unbedingt hilfreich sind, um das Geldsystem zu verstehen. Viele Menschen in der Hochfinanz haben nur ein oberflächliches Verständnis des Geldsystems, weil es für ihre Arbeit nicht direkt relevant ist. Ich habe schließlich das Interesse an dieser Arbeit verloren und mich mehr mit alternativen Geldkonzepten beschäftigt. 2013 habe ich „The Heretic’s Guide to Global Finance. Hacking the Future of Money” veröffentlicht. Dadurch bin ich mit verschiedenen Gruppen in Kontakt gekommen, die sich mit alternativen Finanz- und Geldsystemen beschäftigen.
Sie schreiben darin auch, die landläufigen Wirtschafts- und Finanzdiskurse seien allzu oft „exklusive Gesprächsrunden für politische Eliten und Wirtschaftsexperten”. Sie interessieren sich hingegen für alternative Sichtweisen. Bieten Ideen aus dem Technologiesektor – Ideen und Unternehmen, die wir oft unter dem Begriff „Fintech” zusammenfassen – solche Alternativen?
Nach der Finanzkrise sahen sich einige Tech-Konzerne als Revolutionäre mit dem Ziel, die Finanzwelt zu digitalisieren und zu demokratisieren. Aber statt zu revolutionieren, liefern sie das, was das kapitalistische System schon immer angetrieben hat: Automatisierung. Und helfen derart dabei, die großen Tech-Unternehmen mit dem Finanzsektor zu fusionieren.
Mir wurde klar, dass sich diese Verschmelzung von Big Finance und Big Tech in unserer Gesellschaft als eine Art ideologischer Angriff auf das Bargeldsystem manifestiert. Menschen werden zunehmend dafür beschämt, dass sie sich nicht der digitalen Beschleunigung anschließen. Diese Denkweise beeinflusst sogar die Entscheidungen der Zentralbanken, beispielsweise wenn sie das Gefühl haben, „mit den Trends Schritt halten zu müssen”.
In Ihrem letzten Buch „Cloudmoney“ diskutieren Sie einen systemischen Trend zur Automatisierung im Finanzwesen und den Rückgang des Bargeldgebrauchs . Was meinen Sie mit systemischen Veränderungen?
Ich untersuche systemische Tendenzen des globalen Kapitalismus. In einem solchen System gibt es einen inneren Druck, zu expandieren und zu beschleunigen. Bargeld verlangsamt diesen Prozess eindeutig – zum Beispiel für Amazon. Allerdings verfolgen Amazon und ähnliche Unternehmen kaum jemals eine direkte Anti-Bargeld-Strategie. Nur Unternehmen wie VISA oder Mastercard haben da explizitere Absichten, da sie Geld verlieren, wenn Bargeld verwendet wird.
Was jedoch systematisch zu beobachten ist: Verschiedene Akteure finden Wege, Bargeld langsam abzuschaffen. Banken schließen Geldautomaten und beklagen, dass die Infrastruktur zu teuer sei, wodurch es für Kundinnen und Kunden schwieriger wird, Bargeld abzuheben, zu verwenden oder einzuzahlen. Gleichwohl manifestiert sich das in Ihrem Umfeld und Alltag so, als sei das Ihre Wahl.
Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Vor fünf Jahren konnte man in London an Bahnhöfen mit Bargeld oder Karte bezahlen. Die Menschen begannen zusehends, Karten zu verwenden. Das heißt aber nicht, sie hätten die Abschaffung der Bargeldzahlung gefordert. Als die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) sicher war, dass genügend Menschen Karten nutzen, haben sie in 2020 die Möglichkeit, mit Bargeld zu bezahlen, abgeschafft. Angeblich als Reaktion auf die zunehmende Verwendung von Karten.1Anm. d. Red.: Aufgrund von Protesten wurde eine komplette CashFree-Lösung im Juni 2021 jedoch aufgehoben und Bargeld vielerorts wieder angenommen.
Das heißt, den Nutzer:innen wird nicht nur die eine, sondern auch die andere Tür eröffnet. Während zusehends die andere Tür genutzt wird, wird die erste Tür verschlossen. Sie sind eingesperrt bzw. umgeschleust worden. Ihre Wahlmöglichkeit wurde ihnen entzogen. Gebeten hatten sie darum nicht. Es dient aber den Automatisierungsinteressen des Unternehmens. Da die Kunden jedoch scheinbar eine Wahl getroffen haben, entsteht in ihrem Kopf eine seltsame Dissonanz: „Nun, ich schätze mal, wir wollten das so?“
Es sind all diese subtilen Nudging-Prozesse am Werk. Das passiert in kapitalistischen Systemen ständig: Eine Reihe von Akteuren trifft Entscheidungen in Ihrem Namen, aber es sieht so aus, als hätten stattdessen Sie etwas gewählt. In Wirklichkeit wird der „Krieg gegen das Bargeld“ also nicht von einem, sondern von vielen verschiedenen Akteuren geführt. Aber viele dieser Akteure sehen sich gar nicht als Agenten der Transformation: „Das ist doch nur Business, oder?“ Sie sehen an ihrem Handeln nur die geringfügige Kostensenkung, die sie erzielt haben und erzielen wollten.
Dieser systemische Druck hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft ist auch eine der Inspirationsquellen für CBDCs wie den digitalen Euro?
Die ursprünglichen Befürworter von CBDCs waren Vertreter monetärer Reformen, die meinten, der Bankensektor sei zu mächtig und die Geschäftsbanken hätten zu viel Macht, um ihre digitalen Casino-Chips auszugeben und damit unser Leben zu dominieren.
Sie beschreiben Bankguthaben metaphorisch oft als „digitale Casino-Chips“. Können Sie das bitte erklären?
Die meisten Menschen denken, wenn sie an den Euro, das Pfund oder den Dollar denken, dass es sich um ein einziges System handelt. Begriffe wie Geld oder eben Euro klingen, als wäre es eine singuläre Sache. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um Ökosysteme, um ein verkettetes Ökosystem unterschiedlicher Akteure.
Sie meinen das moderne zweistufige Währungssystem.
Ja. Und eine Möglichkeit, die Grundlagen seiner Funktionsweise zu veranschaulichen, ist die Verwendung von Casino-Chips als Metapher. Denn die meisten Menschen können konzeptionell zwischen Bargeld und Casino-Chips unterscheiden. Sie sehen anders aus und haben einen anderen Namen. Ich gebe Bargeld an ein Casino, bekomme Chips und kann die Chips im Casino verwenden. Dann kann ich zurückkommen, das Bargeld zurückfordern und gehen. Das sind zwei verschiedene Formen von Geld. Bargeld ist wie eine öffentliche Form von Geld, ausgegeben von einer Zentralbank. Das andere ist eine private Form von Geld, ein Casino-Chip, der von einer privaten Einrichtung ausgegeben wird.
Das ist eine sehr nützliche Metapher, um über den Bankensektor zu sprechen. Sie ist nicht perfekt, aber sie hilft zu verstehen, was „going cashless“ auch bedeutet. Wissen Sie, was Sie anstelle von Bargeld verwenden? Sie verwenden stattdessen eine Art digitaler Casino-Chips, die von Geschäftsbanken ausgegeben werden. Darauf basiert dann die bargeldlose Gesellschaft.
Und mit der Zunahme bargeldloser Zahlungen erscheint die Idee einer digitalen Zentralbankwährung plötzlich sinnvoller?
Einige der frühen Befürworter von CBDCs sagten: Da immer weniger Bargeld im Umlauf ist, brauchen wir eine andere Art von digitalem Geld, um der zunehmenden Macht von privat emittiertem Geld entgegenzuwirken und die Macht des Bankensektors zu reduzieren. Der Bankensektor spricht stattdessen aber immer wieder von den Gefahren der Disintermediation.
Also davon, was drohen würde, würden die Geschäftsbanken in diesem zweistufigen Geldsystem ihre Rolle als Vermittler oder eben Intermediäre verlieren.
Als Sie sich in Ihrem Newsletter mit CBDCs befasst haben, haben Sie gesagt, man solle anstelle eines weiteren “hot takes”, also einer weiteren provokanten Ansicht zum Thema zunächst über die zugrundeliegenden Annahmen nachdenken. Warum halten Sie das für so wichtig?
Weil Menschen je nach ihrem politischen Hintergrund zu bestimmten Standardschlussfolgerungen gelangen, ohne darüber nachzudenken. Der Verstand löst das einfach für einen. Ich verstehe das als eine Art Schach- oder Spielbrett. Die Art und Weise, wie man sich die Gesellschaft vorstellt, das Spielbrett, das man aufgestellt hat, beeinflusst, wie man bestimmte Dinge in diesem Kontext analysiert.
Welche gängigen Hintergrundannahmen gibt es und zu welchen Schlussfolgerungen führen sie in Bezug auf CBDCs?
Wenn Ihre Hintergrundannahme lautet, dass es erstens einen grundlegenden Unterschied zwischen Staat und Markt gibt und zweitens, dass zwischen Markt und Staat ein Krieg herrscht – eine klassische libertäre Annahme –, dann gehen Sie automatisch davon aus, dass eine CBDC oder der digitale Euro ein Versuch des Staates ist, den Markt zu dominieren.
Und aus einer eher linken Perspektive?
Aus einer traditionell sozialistischen Perspektive geht man eher davon aus, dass die gesamte Gesellschaft zusammenarbeiten kann, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Momentan wird unser System vielleicht noch von großen Konzernen dominiert, so der Gedanke, aber wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir ein besseres Währungssystem schaffen. Der digitale Euro werde aber derzeit vom Bankensektor kooptiert und verwässert, was ihm aber die Kraft raubt, um mit dem Bankensektor konkurrieren zu können. Stattdessen sollte eine mächtigere CBDC geschaffen werden, die der Macht des Bankensektors entgegenwirken könnte.
Und Sie skizzieren noch eine andere Perspektive.
Ja, es gibt eine eher „anarchistische” Sichtweise. Ich komme aus der Wirtschaftsanthropologie, die eine lange Tradition hat, die komplexen Verbindungen zwischen Staaten und Märkten und ihre symbiotische Beziehung zu untersuchen. Da die Wirtschaftsanthropologie ursprünglich eng mit dem Kolonialismus verbunden war, ist man sich sehr bewusst, wie imperiale Mächte Märkte geschaffen haben. Sie taten dies beispielsweise, indem sie den Menschen Steuern aufzwangen. Die Eroberer zogen die Eroberten in Marktstrukturen hinein, indem sie sie vom Geld abhängig machten. Gerade weil die Wirtschaftsanthropologie aus erster Hand miterlebt hat, wie Staaten künstlich Märkte schaffen können, hat sie eine lange Geschichte solcher „anarchistischen Standpunkte”. Aus dieser Perspektive ist der vermeintliche Kampf zwischen Staat und Markt kein Kampf. Staaten stützen vielmehr die Märkte. Stattdessen diskutiert man über die relative Macht der verschiedenen Akteure.
Wenn solche Grundannahmen unsere Wahrnehmung eines digitalen Euro prägen, welche Auswirkungen hat das auf den demokratischen Diskurs und die Debatte? Wie können wir Missverständnisse vermeiden und eine ausgewogene Diskussion gewährleisten, ohne immer bloß eine Perspektive gegenüber einer anderen zu bevorzugen?
Das ist eine grundlegende Herausforderung für die Kommunikation. Manchmal findet eine Idee keinen Anklang, weil sie nicht richtig verstanden wird. Es ist entscheidend, Wege zu finden, um zugängliche Narrative zu schaffen. Ich verwende beispielsweise Metaphern, um politische Differenzen effektiv zu überbrücken. Ich vergleiche Bargeld mit einem öffentlichen Fahrrad und digitale Zahlungen mit einem privaten Uber. Das bricht mit vorgefassten Meinungen, ohne eine ideologische Position zu beziehen. Diese Metaphern verdeutlichen strukturelle Vielfalt: Die Menschen können sofort verstehen, dass man sowohl ein Fahrrad als auch Uber nutzen kann. Das ähnelt einem grundlegenden Prinzip der menschlichen Resilienz, das sich mit Machtverhältnissen befasst – ohne ideologische Voreingenommenheit.
Es ist wichtig, Wege zu finden, um zugängliche Erzählungen zu schaffen. Ich versuche solche zu nutzen, die politische Differenzen wirksam umgehen. Ich spreche davon, dass Bargeld das öffentliche Fahrrad des Zahlungsverkehrs sei, der digitale Zahlungsverkehr das private Uber des Zahlungsverkehrs: das zerstört sofort eine Reihe von Ideen in den Köpfen der Menschen. Es ist keine besonders ideologische Position. Vielmehr handelt es sich um eine strukturelle Aussage über Vielfalt und Machtgleichgewicht. Viele können verstehen, dass man sowohl das Fahrrad als auch Uber als Optionen beibehält. Es ist auch eine der wirkungsvollsten Analogien, da einem Fahrrad ein positiver Wert beigemessen wird. Als Bild bricht es die Annahme üblicher Fortschrittserzählungen, nach denen mehr Komplexität, Geschwindigkeit und Größe immer besser sind.
Verschiedene Metaphern können unterschiedliche Punkte veranschaulichen. Ich verwende auch die Analogie von Treppen und Aufzügen, um systemische Resilienz zu diskutieren. Aufzugsbetreiber konzentrieren sich auf den Gewinn, indem sie Aufzüge installieren, anstatt die Treppen in Ihrem Gebäude zu warten. Aber auch wenn Sie fast immer den Aufzug nutzen, möchten Sie wahrscheinlich trotzdem die Möglichkeit haben, die Treppe nutzen zu können. Aufzüge sind zwar bequem, aber Treppen als Alternative sind im Notfall unverzichtbar. Diese Analogie verdeutlicht, wie wichtig es ist, mehrere Optionen zu haben.
Menschen bevorzugen im Allgemeinen mehr Optionen. Selbst diejenigen, die sich für digitale Fortschritte einsetzen, erkennen die Bedeutung der Wahlfreiheit an. Angesichts der Abschaffung des Bargeldes greifen viele Menschen auf Narrative über den Fortschritt zurück. Die Frage, warum ihre Optionen eingeschränkt werden, kann zu tieferen Überlegungen und Diskussionen anregen.
Sie sind in erster Linie ein Verfechter von Bargeld und kritisieren den Trend zu digitalen Zahlungen. Eine CBDC wie der digitale Euro soll „digitales Bargeld“ sein, also eine digitale Zahlungsmethode, die potenziell bargeldähnlicher ist. Wie sehen Sie das?
Der offizielle Diskurs ist oft wenig inspirierend, was wahrscheinlich zum Teil auf die Einschränkungen zurückzuführen ist, denen Institutionen wie die EZB unterliegen. Ihre Aussagen sind oft banal. Das ist zwar nicht immer der Fall, aber meine Erfahrung mit öffentlichen Konsultationen zum Thema CBDCs im Vereinigten Königreich sowie mit offiziellen Stellungnahmen von Organisationen wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und Personen wie Christine Lagarde ist, dass sie oft sehr allgemein gehalten sind.
Ich bin frustriert darüber, dass sie sich weigern, die politische Dimension der Digitalisierung anzuerkennen. Sie diskutieren darüber, als handele es sich lediglich um eine Frage der allgemeinen Präferenz, und ignorieren dabei die strukturellen Prozesse und Machtverhältnisse, die dabei eine Rolle spielen. Ich hinterfrage, warum die Menschen sich vom Bargeld abwenden. Es wird einfach nicht berücksichtigt, wer diese Veränderungen vorantreibt.
Mit ihren pauschalen Aussagen unterstützen Zentralbanken unbeabsichtigt die aktuellen Trends, anstatt eine Führungsrolle zu übernehmen und die zugrundeliegenden Ursachen kritisch zu hinterfragen. Diese mangelnde Tiefe der Debatte ist enttäuschend.
Einerseits könnte eine CBDC als weiterer Schritt in Richtung digitaler Zahlungen gesehen werden, der Bargeld möglicherweise überflüssig macht. Andererseits könnte ein digitaler Euro eine Alternative in einem von privatem Geld dominierten digitalen Raum bieten und mehr Optionen für Transaktionen schaffen, insbesondere online. Das aktuelle Gesetzespaket der EU kombiniert eine Rechtsvorschrift, die die Erhaltung des Bargeldes garantiert, mit einer anderen, die den digitalen Euro einführt. Was halten Sie von diesem dualen Ansatz?
In einem sich rasch ausweitenden kapitalistischen System reicht es nicht aus, sich neutral gegenüber Bargeld zu äußern, um die systemischen Prozesse aufzuhalten. Zentralbanken erleichtern oft indirekt den Übergang zu bargeldlosen Systemen. Im Vereinigten Königreich beispielsweise haben sie den Rückgang des Bargeldgebrauchs zugelassen, indem sie nicht eingegriffen haben. Das ist keine Neutralität, sondern eine passive Billigung des Trends. Ich bin eher für die Unterstützung von Bargeld als für CBDCs, was mit meiner allgemeinen Skepsis gegenüber endloser Automatisierung und Digitalisierung zusammenhängt.
Diese Trends sind auf lange Sicht nicht nachhaltig. Während strukturelle Kräfte diese Trends vorantreiben, könnte eine öffentliche Version digitaler Systeme einer rein privaten vorzuziehen sein. Wenn Ihre Aufgabe darin besteht, digitale Zahlungssysteme zu verbessern, scheint die Einführung eines öffentlichen Akteurs von Vorteil. Und die Verbesserung des Machtgleichgewichts zwischen verschiedenen Akteuren im Bereich des digitalen Geldes ist zwar wichtig, darf jedoch niemals als Hintertür dienen, um die Digitalisierung im Allgemeinen weiter voranzutreiben.
Der duale Ansatz reicht also nicht?
Ich stimme der zugrundeliegenden Annahme schlicht nicht vollständig zu. Es besteht die Gefahr, dass die Befürwortung von CBDCs unbeabsichtigt eine breitere Bewegung weg von analoger Materialität unterstützt, die schädlicher sein könnte als die Debatte zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Das eigentliche Problem ist der Dualismus zwischen dem Digitalen und dem Physischen und das unerbittliche Streben nach Beschleunigung.
Es gibt erhebliche Diskussionen über die Offline-Fähigkeiten von CBDCs, für deren Entwicklung erhebliche Mittel bereitgestellt werden. Meiner Meinung nach sollten die Zentralbanken jedoch echte Führungsstärke zeigen, indem sie eine Vision bieten, die über die erwartete Digitalisierung des Geldes hinausgeht. Obwohl die Digitalisierung oft als innovativ angepriesen wird, folgt sie lediglich erwarteten Trends und geht nicht auf tiefere menschliche Bedürfnisse ein. Die Menschen sind zunehmend erschöpft von dem unerbittlichen Drang nach Geschwindigkeit und Effizienz.
Was könnte Ihres Erachtens dagegen unternommen werden?
Ich freue mich, dass Ihr Institut namentlich eine verantwortungsbewusste Digitalisierung in Betracht zieht, aber das bleibt im Rahmen des allgemeinen Diskurses. Die Nicht-Digitalisierungs-Perspektive wird oft als Nostalgie abgetan. Ein kultureller Wandel könnte jedoch eintreten, wenn die Menschen beginnen würden, analoge und nicht-digitale Dinge als zukunftsweisend und unverzichtbar statt nur als nostalgisch oder rückständig zu betrachten. Dies ist insbesondere angesichts der begrenzten Ressourcen und unserer Abhängigkeit von digitalen Systemen zu berücksichtigen. Eine verantwortungsbewusste Digitalisierung sollte Teil eines umfassenderen Programms zur Neugewichtung unserer Systeme sein.
RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren
Zurück zur Startseite des Blogs
Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors
- 1





