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Autor: Brett Scott eFin-Blog Farbe: gelb

Der Drift ins Digitale: Bargeldlosigkeit, CBDCs und die Narrative, die wir brauchen

Der Drift ins Digitale: Bargeldlosigkeit, CBDCs und die Narrative, die wir brauchen

Brett Scott im Interview mit Caroline Marburger

21. August 2025

English version

Bargeld verschwindet – nicht laut, sondern leise: mit dem ruhigen Summen von Terminals, Apps und mit lautlosen Zahlungsflüssen. Das liege an einem systemischen Trend zur Bargeldlosigkeit, so Brett Scott. Statt von einem einzelnen Entscheidungsträger getragen, sei er geprägt von den Kräften des globalen Kapitalismus. Dargestellt werde dieser Wandel jedoch oft, als handele es sich hierbei um eine Entscheidung der Verbraucher:innen.

Als Bargeld-Verfechter untersucht Brett Scott die Politik digitaler Zahlungen und CBDCs und hinterfragt nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, wie der Diskurs geführt wird. Die Debatte um Bargeld, CBDCs oder digitale Zahlungen wirkt oft repetitiv, bekannte Gegensätze werden aufgemacht: Staat vs. Markt, Kontrolle vs. Freiheit, Innovation vs. Nostalgie. Im Interview spricht der Autor über seine in der Anthropologie geschulte Sichtweise, seine Erfahrungen in der Hochfinanz, unversöhnliche Meinungen zu digitalen Zentralbankwährungen, und wie alternative Metaphern neue Perspektiven eröffnen.

Mehrere Sprechblasen, binärer Code und Währungszeichen expandieren scheinbar von einer hellen Quelle im hinteren Mittelpunkt des Bildes aus nach vorne

Sie haben sowohl einen Abschluss in Anthropologie als auch in Internationaler Entwicklung. Nach Ihrem Studium haben Sie allerdings zunächst als Broker gearbeitet. Was haben Sie dabei über unsere Sichtweise auf das Geldsystem gelernt?

Nach meinem Studium habe ich mich in die aggressive Welt des Derivatehandels begeben. Das war zum Teil ein anthropologisches Abenteuer, bei dem ich die verwirrenden Machtstrukturen der Weltwirtschaft kennenlernen wollte. Schließlich ist der beste Weg, etwas zu verstehen, es selbst zu erleben.

Aber nachdem ich einige Jahre als Broker gearbeitet hatte, auch während der Finanzkrise, wurde mir klar, dass Kenntnisse im Bereich Hochfinanz nicht unbedingt hilfreich sind, um das Geldsystem zu verstehen. Viele Menschen in der Hochfinanz haben nur ein oberflächliches Verständnis des Geldsystems, weil es für ihre Arbeit nicht direkt relevant ist. Ich habe schließlich das Interesse an dieser Arbeit verloren und mich mehr mit alternativen Geldkonzepten beschäftigt. 2013 habe ich „The Heretic’s Guide to Global Finance. Hacking the Future of Money” veröffentlicht. Dadurch bin ich mit verschiedenen Gruppen in Kontakt gekommen, die sich mit alternativen Finanz- und Geldsystemen beschäftigen.

Sie schreiben darin auch, die landläufigen Wirtschafts- und Finanzdiskurse seien allzu oft „exklusive Gesprächsrunden für politische Eliten und Wirtschaftsexperten”. Sie interessieren sich hingegen für alternative Sichtweisen. Bieten Ideen aus dem Technologiesektor – Ideen und Unternehmen, die wir oft unter dem Begriff „Fintech” zusammenfassen – solche Alternativen?

Nach der Finanzkrise sahen sich einige Tech-Konzerne als Revolutionäre mit dem Ziel, die Finanzwelt zu digitalisieren und zu demokratisieren. Aber statt zu revolutionieren, liefern sie das, was das kapitalistische System schon immer angetrieben hat: Automatisierung. Und helfen derart dabei, die großen Tech-Unternehmen mit dem Finanzsektor zu fusionieren.

Mir wurde klar, dass sich diese Verschmelzung von Big Finance und Big Tech in unserer Gesellschaft als eine Art ideologischer Angriff auf das Bargeldsystem manifestiert. Menschen werden zunehmend dafür beschämt, dass sie sich nicht der digitalen Beschleunigung anschließen. Diese Denkweise beeinflusst sogar die Entscheidungen der Zentralbanken, beispielsweise wenn sie das Gefühl haben, „mit den Trends Schritt halten zu müssen”.

In Ihrem letzten Buch „Cloudmoney“ diskutieren Sie einen systemischen Trend zur Automatisierung im Finanzwesen und den Rückgang des Bargeldgebrauchs . Was meinen Sie mit systemischen Veränderungen?

Ich untersuche systemische Tendenzen des globalen Kapitalismus. In einem solchen System gibt es einen inneren Druck, zu expandieren und zu beschleunigen. Bargeld verlangsamt diesen Prozess eindeutig – zum Beispiel für Amazon. Allerdings verfolgen Amazon und ähnliche Unternehmen kaum jemals eine direkte Anti-Bargeld-Strategie. Nur Unternehmen wie VISA oder Mastercard haben da explizitere Absichten, da sie Geld verlieren, wenn Bargeld verwendet wird.

Was jedoch systematisch zu beobachten ist: Verschiedene Akteure finden Wege, Bargeld langsam abzuschaffen. Banken schließen Geldautomaten und beklagen, dass die Infrastruktur zu teuer sei, wodurch es für Kundinnen und Kunden schwieriger wird, Bargeld abzuheben, zu verwenden oder einzuzahlen. Gleichwohl manifestiert sich das in Ihrem Umfeld und Alltag so, als sei das Ihre Wahl.

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel: Vor fünf Jahren konnte man in London an Bahnhöfen mit Bargeld oder Karte bezahlen. Die Menschen begannen zusehends, Karten zu verwenden. Das heißt aber nicht, sie hätten die Abschaffung der Bargeldzahlung gefordert. Als die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) sicher war, dass genügend Menschen Karten nutzen, haben sie in 2020 die Möglichkeit, mit Bargeld zu bezahlen, abgeschafft. Angeblich als Reaktion auf die zunehmende Verwendung von Karten.1Anm. d. Red.: Aufgrund von Protesten wurde eine komplette CashFree-Lösung im Juni 2021 jedoch aufgehoben und Bargeld vielerorts wieder angenommen.

Das heißt, den Nutzer:innen wird nicht nur die eine, sondern auch die andere Tür eröffnet. Während zusehends die andere Tür genutzt wird, wird die erste Tür verschlossen. Sie sind eingesperrt bzw. umgeschleust worden. Ihre Wahlmöglichkeit wurde ihnen entzogen. Gebeten hatten sie darum nicht. Es dient aber den Automatisierungsinteressen des Unternehmens. Da die Kunden jedoch scheinbar eine Wahl getroffen haben, entsteht in ihrem Kopf eine seltsame Dissonanz: „Nun, ich schätze mal, wir wollten das so?“

Es sind all diese subtilen Nudging-Prozesse am Werk. Das passiert in kapitalistischen Systemen ständig: Eine Reihe von Akteuren trifft Entscheidungen in Ihrem Namen, aber es sieht so aus, als hätten stattdessen Sie etwas gewählt. In Wirklichkeit wird der „Krieg gegen das Bargeld“ also nicht von einem, sondern von vielen verschiedenen Akteuren geführt. Aber viele dieser Akteure sehen sich gar nicht als Agenten der Transformation: „Das ist doch nur Business, oder?“ Sie sehen an ihrem Handeln nur die geringfügige Kostensenkung, die sie erzielt haben und erzielen wollten.

Dieser systemische Druck hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft ist auch eine der Inspirationsquellen für CBDCs wie den digitalen Euro?

Die ursprünglichen Befürworter von CBDCs waren Vertreter monetärer Reformen, die meinten, der Bankensektor sei zu mächtig und die Geschäftsbanken hätten zu viel Macht, um ihre digitalen Casino-Chips auszugeben und damit unser Leben zu dominieren.

Sie beschreiben Bankguthaben metaphorisch oft als „digitale Casino-Chips“. Können Sie das bitte erklären?

Die meisten Menschen denken, wenn sie an den Euro, das Pfund oder den Dollar denken, dass es sich um ein einziges System handelt. Begriffe wie Geld oder eben Euro klingen, als wäre es eine singuläre Sache. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um Ökosysteme, um ein verkettetes Ökosystem unterschiedlicher Akteure.

Sie meinen das moderne zweistufige Währungssystem.

Ja. Und eine Möglichkeit, die Grundlagen seiner Funktionsweise zu veranschaulichen, ist die Verwendung von Casino-Chips als Metapher. Denn die meisten Menschen können konzeptionell zwischen Bargeld und Casino-Chips unterscheiden. Sie sehen anders aus und haben einen anderen Namen. Ich gebe Bargeld an ein Casino, bekomme Chips und kann die Chips im Casino verwenden. Dann kann ich zurückkommen, das Bargeld zurückfordern und gehen. Das sind zwei verschiedene Formen von Geld. Bargeld ist wie eine öffentliche Form von Geld, ausgegeben von einer Zentralbank. Das andere ist eine private Form von Geld, ein Casino-Chip, der von einer privaten Einrichtung ausgegeben wird.

Das ist eine sehr nützliche Metapher, um über den Bankensektor zu sprechen. Sie ist nicht perfekt, aber sie hilft zu verstehen, was „going cashless“ auch bedeutet. Wissen Sie, was Sie anstelle von Bargeld verwenden? Sie verwenden stattdessen eine Art digitaler Casino-Chips, die von Geschäftsbanken ausgegeben werden. Darauf basiert dann die bargeldlose Gesellschaft.

Und mit der Zunahme bargeldloser Zahlungen erscheint die Idee einer digitalen Zentralbankwährung plötzlich sinnvoller?

Einige der frühen Befürworter von CBDCs sagten: Da immer weniger Bargeld im Umlauf ist, brauchen wir eine andere Art von digitalem Geld, um der zunehmenden Macht von privat emittiertem Geld entgegenzuwirken und die Macht des Bankensektors zu reduzieren. Der Bankensektor spricht stattdessen aber immer wieder von den Gefahren der Disintermediation.

Also davon, was drohen würde, würden die Geschäftsbanken in diesem zweistufigen Geldsystem ihre Rolle als Vermittler oder eben Intermediäre verlieren.
Als Sie sich in Ihrem Newsletter mit CBDCs befasst haben, haben Sie gesagt, man solle anstelle eines weiteren “hot takes”, also einer weiteren provokanten Ansicht zum Thema zunächst über die zugrundeliegenden Annahmen nachdenken. Warum halten Sie das für so wichtig?

Weil Menschen je nach ihrem politischen Hintergrund zu bestimmten Standardschlussfolgerungen gelangen, ohne darüber nachzudenken. Der Verstand löst das einfach für einen. Ich verstehe das als eine Art Schach- oder Spielbrett. Die Art und Weise, wie man sich die Gesellschaft vorstellt, das Spielbrett, das man aufgestellt hat, beeinflusst, wie man bestimmte Dinge in diesem Kontext analysiert.

Welche gängigen Hintergrundannahmen gibt es und zu welchen Schlussfolgerungen führen sie in Bezug auf CBDCs?

Wenn Ihre Hintergrundannahme lautet, dass es erstens einen grundlegenden Unterschied zwischen Staat und Markt gibt und zweitens, dass zwischen Markt und Staat ein Krieg herrscht – eine klassische libertäre Annahme –, dann gehen Sie automatisch davon aus, dass eine CBDC oder der digitale Euro ein Versuch des Staates ist, den Markt zu dominieren.

Und aus einer eher linken Perspektive?

Aus einer traditionell sozialistischen Perspektive geht man eher davon aus, dass die gesamte Gesellschaft zusammenarbeiten kann, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Momentan wird unser System vielleicht noch von großen Konzernen dominiert, so der Gedanke, aber wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir ein besseres Währungssystem schaffen. Der digitale Euro werde aber derzeit vom Bankensektor kooptiert und verwässert, was ihm aber die Kraft raubt, um mit dem Bankensektor konkurrieren zu können. Stattdessen sollte eine mächtigere CBDC geschaffen werden, die der Macht des Bankensektors entgegenwirken könnte.

Und Sie skizzieren noch eine andere Perspektive.

Ja, es gibt eine eher „anarchistische” Sichtweise. Ich komme aus der Wirtschaftsanthropologie, die eine lange Tradition hat, die komplexen Verbindungen zwischen Staaten und Märkten und ihre symbiotische Beziehung zu untersuchen. Da die Wirtschaftsanthropologie ursprünglich eng mit dem Kolonialismus verbunden war, ist man sich sehr bewusst, wie imperiale Mächte Märkte geschaffen haben. Sie taten dies beispielsweise, indem sie den Menschen Steuern aufzwangen. Die Eroberer zogen die Eroberten in Marktstrukturen hinein, indem sie sie vom Geld abhängig machten. Gerade weil die Wirtschaftsanthropologie aus erster Hand miterlebt hat, wie Staaten künstlich Märkte schaffen können, hat sie eine lange Geschichte solcher „anarchistischen Standpunkte”. Aus dieser Perspektive ist der vermeintliche Kampf zwischen Staat und Markt kein Kampf. Staaten stützen vielmehr die Märkte. Stattdessen diskutiert man über die relative Macht der verschiedenen Akteure.

Wenn solche Grundannahmen unsere Wahrnehmung eines digitalen Euro prägen, welche Auswirkungen hat das auf den demokratischen Diskurs und die Debatte? Wie können wir Missverständnisse vermeiden und eine ausgewogene Diskussion gewährleisten, ohne immer bloß eine Perspektive gegenüber einer anderen zu bevorzugen?

Das ist eine grundlegende Herausforderung für die Kommunikation. Manchmal findet eine Idee keinen Anklang, weil sie nicht richtig verstanden wird. Es ist entscheidend, Wege zu finden, um zugängliche Narrative zu schaffen. Ich verwende beispielsweise Metaphern, um politische Differenzen effektiv zu überbrücken. Ich vergleiche Bargeld mit einem öffentlichen Fahrrad und digitale Zahlungen mit einem privaten Uber. Das bricht mit vorgefassten Meinungen, ohne eine ideologische Position zu beziehen. Diese Metaphern verdeutlichen strukturelle Vielfalt: Die Menschen können sofort verstehen, dass man sowohl ein Fahrrad als auch Uber nutzen kann. Das ähnelt einem grundlegenden Prinzip der menschlichen Resilienz, das sich mit Machtverhältnissen befasst – ohne ideologische Voreingenommenheit.

Es ist wichtig, Wege zu finden, um zugängliche Erzählungen zu schaffen. Ich versuche solche zu nutzen, die politische Differenzen wirksam umgehen. Ich spreche davon, dass Bargeld das öffentliche Fahrrad des Zahlungsverkehrs sei, der digitale Zahlungsverkehr das private Uber des Zahlungsverkehrs: das zerstört sofort eine Reihe von Ideen in den Köpfen der Menschen. Es ist keine besonders ideologische Position. Vielmehr handelt es sich um eine strukturelle Aussage über Vielfalt und Machtgleichgewicht. Viele können verstehen, dass man sowohl das Fahrrad als auch Uber als Optionen beibehält. Es ist auch eine der wirkungsvollsten Analogien, da einem Fahrrad ein positiver Wert beigemessen wird. Als Bild bricht es die Annahme üblicher Fortschrittserzählungen, nach denen mehr Komplexität, Geschwindigkeit und Größe immer besser sind.

Verschiedene Metaphern können unterschiedliche Punkte veranschaulichen. Ich verwende auch die Analogie von Treppen und Aufzügen, um systemische Resilienz zu diskutieren. Aufzugsbetreiber konzentrieren sich auf den Gewinn, indem sie Aufzüge installieren, anstatt die Treppen in Ihrem Gebäude zu warten. Aber auch wenn Sie fast immer den Aufzug nutzen, möchten Sie wahrscheinlich trotzdem die Möglichkeit haben, die Treppe nutzen zu können. Aufzüge sind zwar bequem, aber Treppen als Alternative sind im Notfall unverzichtbar. Diese Analogie verdeutlicht, wie wichtig es ist, mehrere Optionen zu haben.

Menschen bevorzugen im Allgemeinen mehr Optionen. Selbst diejenigen, die sich für digitale Fortschritte einsetzen, erkennen die Bedeutung der Wahlfreiheit an. Angesichts der Abschaffung des Bargeldes greifen viele Menschen auf Narrative über den Fortschritt zurück. Die Frage, warum ihre Optionen eingeschränkt werden, kann zu tieferen Überlegungen und Diskussionen anregen.

Sie sind in erster Linie ein Verfechter von Bargeld und kritisieren den Trend zu digitalen Zahlungen. Eine CBDC wie der digitale Euro soll „digitales Bargeld“ sein, also eine digitale Zahlungsmethode, die potenziell bargeldähnlicher ist. Wie sehen Sie das?

Der offizielle Diskurs ist oft wenig inspirierend, was wahrscheinlich zum Teil auf die Einschränkungen zurückzuführen ist, denen Institutionen wie die EZB unterliegen. Ihre Aussagen sind oft banal. Das ist zwar nicht immer der Fall, aber meine Erfahrung mit öffentlichen Konsultationen zum Thema CBDCs im Vereinigten Königreich sowie mit offiziellen Stellungnahmen von Organisationen wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und Personen wie Christine Lagarde ist, dass sie oft sehr allgemein gehalten sind.

Ich bin frustriert darüber, dass sie sich weigern, die politische Dimension der Digitalisierung anzuerkennen. Sie diskutieren darüber, als handele es sich lediglich um eine Frage der allgemeinen Präferenz, und ignorieren dabei die strukturellen Prozesse und Machtverhältnisse, die dabei eine Rolle spielen. Ich hinterfrage, warum die Menschen sich vom Bargeld abwenden. Es wird einfach nicht berücksichtigt, wer diese Veränderungen vorantreibt.

Mit ihren pauschalen Aussagen unterstützen Zentralbanken unbeabsichtigt die aktuellen Trends, anstatt eine Führungsrolle zu übernehmen und die zugrundeliegenden Ursachen kritisch zu hinterfragen. Diese mangelnde Tiefe der Debatte ist enttäuschend.

Einerseits könnte eine CBDC als weiterer Schritt in Richtung digitaler Zahlungen gesehen werden, der Bargeld möglicherweise überflüssig macht. Andererseits könnte ein digitaler Euro eine Alternative in einem von privatem Geld dominierten digitalen Raum bieten und mehr Optionen für Transaktionen schaffen, insbesondere online. Das aktuelle Gesetzespaket der EU kombiniert eine Rechtsvorschrift, die die Erhaltung des Bargeldes garantiert, mit einer anderen, die den digitalen Euro einführt. Was halten Sie von diesem dualen Ansatz?

In einem sich rasch ausweitenden kapitalistischen System reicht es nicht aus, sich neutral gegenüber Bargeld zu äußern, um die systemischen Prozesse aufzuhalten. Zentralbanken erleichtern oft indirekt den Übergang zu bargeldlosen Systemen. Im Vereinigten Königreich beispielsweise haben sie den Rückgang des Bargeldgebrauchs zugelassen, indem sie nicht eingegriffen haben. Das ist keine Neutralität, sondern eine passive Billigung des Trends. Ich bin eher für die Unterstützung von Bargeld als für CBDCs, was mit meiner allgemeinen Skepsis gegenüber endloser Automatisierung und Digitalisierung zusammenhängt.

Diese Trends sind auf lange Sicht nicht nachhaltig. Während strukturelle Kräfte diese Trends vorantreiben, könnte eine öffentliche Version digitaler Systeme einer rein privaten vorzuziehen sein. Wenn Ihre Aufgabe darin besteht, digitale Zahlungssysteme zu verbessern, scheint die Einführung eines öffentlichen Akteurs von Vorteil. Und die Verbesserung des Machtgleichgewichts zwischen verschiedenen Akteuren im Bereich des digitalen Geldes ist zwar wichtig, darf jedoch niemals als Hintertür dienen, um die Digitalisierung im Allgemeinen weiter voranzutreiben.  

Der duale Ansatz reicht also nicht?

Ich stimme der zugrundeliegenden Annahme schlicht nicht vollständig zu. Es besteht die Gefahr, dass die Befürwortung von CBDCs unbeabsichtigt eine breitere Bewegung weg von analoger Materialität unterstützt, die schädlicher sein könnte als die Debatte zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Das eigentliche Problem ist der Dualismus zwischen dem Digitalen und dem Physischen und das unerbittliche Streben nach Beschleunigung.

Es gibt erhebliche Diskussionen über die Offline-Fähigkeiten von CBDCs, für deren Entwicklung erhebliche Mittel bereitgestellt werden. Meiner Meinung nach sollten die Zentralbanken jedoch echte Führungsstärke zeigen, indem sie eine Vision bieten, die über die erwartete Digitalisierung des Geldes hinausgeht. Obwohl die Digitalisierung oft als innovativ angepriesen wird, folgt sie lediglich erwarteten Trends und geht nicht auf tiefere menschliche Bedürfnisse ein. Die Menschen sind zunehmend erschöpft von dem unerbittlichen Drang nach Geschwindigkeit und Effizienz.

Was könnte Ihres Erachtens dagegen unternommen werden?

Ich freue mich, dass Ihr Institut namentlich eine verantwortungsbewusste Digitalisierung in Betracht zieht, aber das bleibt im Rahmen des allgemeinen Diskurses. Die Nicht-Digitalisierungs-Perspektive wird oft als Nostalgie abgetan. Ein kultureller Wandel könnte jedoch eintreten, wenn die Menschen beginnen würden, analoge und nicht-digitale Dinge als zukunftsweisend und unverzichtbar statt nur als nostalgisch oder rückständig zu betrachten. Dies ist insbesondere angesichts der begrenzten Ressourcen und unserer Abhängigkeit von digitalen Systemen zu berücksichtigen. Eine verantwortungsbewusste Digitalisierung sollte Teil eines umfassenderen Programms zur Neugewichtung unserer Systeme sein.

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Autor: Leo Wittmann eFin-Blog Farbe: blau

NGI Taler und die Zukunft des digitalen Bezahlens

NGI Taler und die Zukunft des digitalen Bezahlens

Leo Wittmann im Interview mit Eneia Dragomir

23. Oktober 2024

Bezahlvorgänge finden zunehmend online bzw. digital statt. Das Taler Bezahlsystem ist mit dem Anspruch angetreten, Eigenschaften des Bargelds, wie anonymes Bezahlen, im digitalen Raum zu ermöglichen. Mit dem NGI Taler möchte die GLS Gemeinschaftsbank mit zehn weiteren Partnern dieses Bezahlsystem allgemein zugänglich machen. Wir haben mit Leo Wittmann von der GLS Bank über das Projekt, über die Einbindung der Zivilgesellschaft sowie über Micropayments gesprochen.

Herr Wittmann, warum interessiert sich die GLS Bank für das Taler-Bezahlsystem?

Wir sehen in GNU Taler ein Mittel, um selbstbestimmt online zu bezahlen. Und das ist beim digitalen Bezahlen vor allem eine Frage der informationellen Selbstbestimmung. Wir begreifen die Privatsphäre nicht als Hindernis, sondern als etwas Schützenswertes. Das Taler-System ermöglicht, in Echtzeit kostengünstig online zu bezahlen, während die Anonymität der Zahlenden wie beim Bargeld gewahrt bleibt. So möchten wir zur Zukunftssicherheit unserer Zahlungsinfrastruktur beitragen.

Was meinen Sie mit „Zukunftssicherheit“?

Das Bargeld ist die Basisinfrastruktur, die die EZB bereitstellt. Mit Bargeld kann man bislang aber nur im physischen Raum bezahlen – im Supermarkt oder am Kiosk zum Beispiel. Aber immer mehr Kaufvorgänge verschieben sich in den digitalen Raum. Genauso sollten wir die Qualitäten des Bargelds, wie Anonymität, in den digitalen Raum übertragen. Taler garantiert den Nutzer:innen technische Anonymität. Und wenn man auf die bisherigen Angebote am Markt schaut, dann steht das Taler-System mit dieser Eigenschaft ziemlich allein da.

GNU Taler, auf dem NGI Taler aufbaut, wurde schon als Grundlage für die Umsetzung einer digitalen Zentralbankwährung ins Spiel gebracht und auch die NGI Taler-Webseite thematisiert die Diskussionen um den Digitalen Euro. Das NGI-Taler-Projekt hat damit aber erstmal nichts zu tun, oder?

Genau. GNU Taler als Technologie kann auf verschiedene Weise verwendet werden: zur Umsetzung einer CBDC durch eine Zentralbank, zur Digitalisierung von Giralgeld oder als klassisches Zahlverfahren für den Privatsektor, wie wir das mit unserem Projekt vorhaben.

Wir haben grundsätzlich keine Aversion gegen den Digitalen Euro. Wir haben einen anderen Ansatz, aber GNU Taler und der Digitale Euro nehmen sich die Digitalisierung des Bargelds vor und sind deswegen eher als parallele Ansätze zu betrachten.

Ein Smartphone, auf dessen Display Münzen zu sehen sind - wie sieht die Zukunft des digitalen Bezahlens aus?
Wie sieht die Zukunft des digitalen Bezahlens aus? Bild: Erstellt mit Adobe Firefly.

Dennoch wird auf der Webseite das Taler-System als eine „privacy-respecting“ Alternative zu CBDCs in Spiel gebracht, die keiner „invasive practices“ bedürfe …

Die Schaffung anonymer Zahlungsmethoden im digitalen Raum halten wir für absolut notwendig. Wir schauen daher positiv auf alle Versuche, eine digitale Zentralbankwährung zu entwickeln, die diese Qualität des Bargelds online ermöglicht. Wenn wir uns aber die Zahlungsinfrastrukturen anschauen, die nach dem Bargeld gekommen sind, sehen wir einen beständigen Abbau der Privatsphäre. Es ist daher wichtig, dass die EZB ihre Aufgabe hinsichtlich dieser Basisstruktur erkennt und nicht den Status quo reproduziert, mit einer Art EZB-PayPal, das die Privatsphäre der Nutzer:innen ebenso exponiert wie Privatunternehmen. Das ist aber leider nicht die Entwicklung, die wir wahrnehmen. Die vorgestellten Konzepte für den Digitalen Euro gewährleisten keine technische Sicherung der Anonymität.

Weil wir diese Entwicklungen so wahrnehmen, ist NGI Taler nicht nur das Umsetzungsprojekt, um GNU Taler für alle verfügbar zu machen. Das Projekt soll auch die Diskussion um das digitale Bezahlen mitgestalten. Wir haben den Anspruch, eine der Stimmen zu sein, die die EZB daran erinnert, welche Eigenschaften des Bargelds beizubehalten sind.

Inwiefern wird die EZB dem nicht gerecht?

Das zeigt sich darin, dass die Anonymität zu einer Frage der politischen Ausgestaltung gemacht wird, statt sie durch das technische Design des Digitalen Euro zu garantieren. Wenn man auf andere Bereiche der Politik der EU-Kommission schaut, dann sehen wir, dass die Wahrung der Anonymität auch infrage gestellt wird, Stichwort: Chatkontrolle. Wenn es um das Zahlungssystem geht, das 400 Millionen Menschen nutzen sollen, sollte die Anonymität nicht nur von einer Absichtserklärung abhängen, sondern auch technisch garantiert sein. Das ist eine Frage der Resilienz der Zahlungsinfrastruktur. Das Taler-System würde Anonymität auch dann gewährleisten, wenn sich politische Strömungen durchsetzten, die die Anonymität der Zahlungen aufheben wollen.

Wenn Sie von „Resilienz“ sprechen, meinen Sie nicht die Möglichkeit einer Naturkatastrophe oder einen technischen Ausfall, sondern gewissermaßen eine politische Katastrophe?

Die technische Resilienz ist auch ein relevanter Faktor bei digitalen Formen des Bezahlens: Was ist, wenn der Strom ausfällt oder das Internet? Solche Überlegungen unterstreichen die Existenzberechtigung des Bargelds. Aber, insoweit es um die Sicherung der Anonymität geht, geht es einerseits um Persönlichkeitsrechte und mit Blick auf die aktuelle politische Entwicklung auch um einen Schutz vor autoritären Regierungen.

Auch so genannte Kryptowährungen werden auf der NGI Taler-Webseite genannt. Zu den Versprechen von blockchain-basierten Systemen wie Bitcoin gehört die Sicherung der Anonymität. Warum halten Sie diese Systeme nicht für zufriedenstellende Lösungen?

Da stellen sich verschiedene Probleme: Erstens gewährleisten Bitcoin und andere Kryptowährungen keine Anonymität, sondern allenfalls eine Pseudonymisierung. Wenn man die pseudonymisierten Transaktionen nur lange genug verfolgt, die ja alle öffentlich auf der Blockchain abgelegt sind, und die Zahlungsflüsse das Bitcoin-System wieder verlassen und in das klassische Geldsystem übergehen, dann findet dort wieder die Feststellung der Identität statt – und spätestens dann wird die Anonymität aufgehoben.

Zweitens streben wir als GLS Bank ökologische Nachhaltigkeit an. Kryptowährungen, zumindest die prominenten Beispiele, sind jedoch nicht ökologisch nachhaltig. Drittens stellen Kryptowährungen in Hinblick auf die Transaktionskosten und die Transaktionsraten, also die Geschwindigkeit von Zahlungen, keine guten Lösungen dar. Bitcoin eignet sich beispielsweise nur für größere Summen, da die Transaktionskosten für kleine Zahlungen viel zu hoch sind. Auch der so genannte hard cap, also die Festlegung, dass es nicht mehr als 21. Mio. Bitcoin geben darf, schränkt die Eignung von Bitcoin als Zahlungssystem erheblich ein, weil dem System die für den Zahlungsverkehr nötige Elastizität fehlt.

Ein weiteres Problem solcher Systeme besteht darin, dass wir im regulierten Finanzumfeld ganz konkrete Verantwortlichkeiten haben, die sich auf verteilte, also dezentrale Systeme nicht einfach übertragen und umverteilen lassen. Selbst wenn im regulierten Finanzbereich die Blockchain zur Anwendung kommt, fährt man häufig doppelspurig: Man hat eine Blockchain, aber man hat zugleich Systeme, mit denen man den regulatorischen Verantwortlichkeiten nachkommt.

NGI Taler soll vor allem im Micropayment-Bereich eine Rolle spielen. In einem anderen Interview haben Sie Verlagswesen, Presse und Gesundheitswesen genannt. Wie haben Sie diesen Bedarf festgestellt? Ist er an Sie herangetragen worden? Und warum sind gerade diese Bereiche interessant?

Der Bedarf ist uns aus der Community gemeldet worden, aus der sich das NGI Taler-Konsortium gebildet hat. Das Taler-System ist für Micropayments besonders geeignet, weil es in der Abwicklung sehr wirtschaftlich ist. Die technische Infrastruktur ist so anspruchslos, so schlank, dass wir Transaktionsraten, also eine Geschwindigkeit und Menge von Zahlungen, erreichen, die weit über dem liegen, was mit klassischen Systemen möglich ist. So können wir ganz neue Marktsegmente erschließen. Micropayments sind mit klassischen Zahlverfahren, aber auch mit PayPal nicht wirtschaftlich möglich, mit Kryptowährungen schon gar nicht. Wenn ich zum Beispiel eine App für 50 Cent verkaufen möchte, dann ist das wirtschaftlich kaum möglich, wenn ich Verfahren verwende, bei denen ich 10 Cent an Gebühren zahlen muss. Das verschlimmert sich, wenn eine Plattform zwischengeschaltet ist, die weitere Gebühren verlangt.

Wir glauben, dass wir mit dem Projekt die Finanzierungsmöglichkeiten von Künstler:innen, Kreativschaffenden, aber auch von Presseerzeugnissen und Journalist:innen erweitern können: Sie müssen ihre kreativen Erzeugnisse nicht mehr hinter einem Abo-Modell verstecken oder auf freie, dafür aber werbefinanzierte Modelle setzen, die dann wieder Probleme, wie Tracking, aufwerfen. Stattdessen können sie auf kleine Spenden setzen oder jeden Artikel direkt monetarisieren. Und das kommt auch den Konsument:innen zugute, denn die sind vielleicht auch daran interessiert, verschiedene Artikel von verschiedenen Zeitungen zu lesen. So möchten wir den Möglichkeitsraum in einer Weise erweitern, die nicht zu Lasten der Anbietenden geht, die sonst häufig allein die Gebühren schultern müssen.

Haben auch Privatkund:innen den Wunsch an Sie herangetragen, anonym digital bezahlen zu können?

Ja, dieser Bedarf wurde uns schon vor dem Start des Projekts gemeldet, schon 2019, als es noch um ganz andere Fragen ging. Schon damals haben wir zum Taler-Projekt Kontakt aufgenommen und uns angesehen, wie das System funktioniert. Den ersten Piloten haben wir 2021/22 getestet. Und wir sind da schon im Rahmen von quantitativen und qualitativen Interviews und mit Umfragen mit unseren Kund:innen in den Austausch gegangen. In diesen Umfragen hatte sich abgezeichnet, dass Privatsphäre und Anonymität gerade in unserer Kundschaft besonders hoch gewertet werden. Dass Privatsphäre und Anonymität den Menschen wichtig sind, haben auch die Umfragen der EZB bestätigt. Und das NGI Taler-Projekt erfährt immer noch sehr hohen Zuspruch.

Sie sagten in einem Interview in Bezug zur Gestaltung des Digitalen Euro, man sehe die Zivilgesellschaft nicht. Inwiefern ist das der Fall? Und wie kommt die Zivilgesellschaft in Ihrem Projekt ins Spiel?

Die EZB hat zwar Umfragen durchgeführt, aber man kann sich schon fragen, inwieweit solche Umfragen einen Austausch mit der Zivilgesellschaft darstellen. Auch die Workshops, die die Bundesbank ausgerichtet hat, hatten einen beschränkten Umfang.

Unser Projekt ist ganz anders angelegt. Die elf Mitglieder unseres Konsortiums sind sehr heterogen: Nur zwei Mitglieder sind Banken, neben der GLS Bank ist das die ungarische MagNet Bank. Unter den anderen Mitgliedern sind zwei Universitäten, verschiedene Unternehmen sowie Akteure aus der Zivilgesellschaft, auch aus dem netzpolitischen bzw. netzaktivistischen Bereich. Zum Beispiel Homo Digitales aus Griechenland, die Mitglied im Netzwerk European Digital Rights sind, oder die E-Seniors Association. Diese Stimmen fließen bei NGI Taler nicht erst nachträglich ein, sondern haben das Projekt und seine Strategie von Anfang an mitgestaltet.

Wie hat sich dieses heterogene Konsortium zusammengefunden? Gab es schon vor dem NGI Taler-Projekt Verbindungen?

Das waren tatsächlich Verbindungen, die bereits zuvor bestanden haben, und die für das Projekt aktiviert oder reaktiviert wurden. Dazu kam Taler Systems, das Schweizer Unternehmen, das das GNU Taler-System maßgeblich entwickelt. Mit Code Blau aus Berlin haben wir zuvor schon zusammengearbeitet. Auch mit der Berner Fachhochschule hatten wir schon Verbindungen und unsere Beziehungen zu den Akteur:innen aus der Finanzindustrie oder dem Bankenwesen haben wir als GLS Bank eingebracht. Das Konsortium hat sich also sehr organisch aus bestehenden Netzwerken zusammengesetzt.

NGI steht für Next Generation Internet – was ist das für ein Projekt und wie fügt sich das Taler-Bezahlsystem da ein?

Next Generation Internet ist eine Initiative der Europäischen Union im Rahmen des Horizon Europe-Projekts. Ziel der Initiative ist es, die Entwicklung eines menschenzentrierten Internets basierend auf Open-Source-Software voranzutreiben. Und was sowohl die EU als auch wir glauben – und was in der Förderung unseres Projekts zum Ausdruck kommt: faire Möglichkeiten des Bezahlens, die die Privatsphäre der Menschen schützen, müssen Teil dieses Internets der nächsten Generation sein.

Schlagworte, die im Zusammenhang mit dem NGI-Projekt immer wieder fallen, sind, „menschenzentriert“ und „demokratisch“. Was meint „menschenzentriert“ und inwiefern kommen Demokratiefragen ins Spiel?

Open Source oder freie Software wie Taler hat meines Erachtens etwas mit Demokratie zu tun, insofern als solche Eigentumsmodelle es ermöglichen, die Software anzuschauen, die unser tägliches Leben antreibt und am Laufen hält – vielleicht nicht Einzelpersonen, aber der Zivilgesellschaft. Es können Audits durchgeführt werden, die Software kann verändert und an bestimmte Bedürfnisse angepasst werden und sie kann vervielfältigt und breit zugänglich gemacht werden. Im Kontrast zu proprietären Anwendungen, also Software, die sich im Eigentum bestimmter Unternehmen befindet, ergibt sich daraus ein demokratisches Momentum.

Und was ist mit „menschenzentriert“ gemeint?

Es geht uns darum, zu fragen: Was sind die Bedürfnisse der Menschen? Und im Bereich des Bezahlens sehen wir das Bedürfnis, nicht als getracktes Individuum behandelt zu werden, das über gezielte Werbung gut monetarisiert werden kann. Ich möchte online bezahlen können, ohne dafür meine Privatsphäre offenlegen zu müssen. Menschenzentriert ist NGI Taler dann in dem Sinne, dass das die gestaltenden Merkmale der Anwendung sind.

Wann soll es Ihren Kund:innen möglich sein, das Taler-System für Zahlungen zu nutzen?

Das Projekt ist auf 36 Monate angelegt und das Ziel ist, Taler business ready zu bekommen, sodass das Verfahren im regulierten Finanzumfeld eingesetzt werden kann. Das ist die Aufgabe des ersten Jahres. Sobald wir dieses Ziel erreicht haben, wollen wir Taler in einem öffentlichen Piloten testen. Und Mitte 2025 möchten wir eine größere Öffentlichkeit ansprechen und Taler in die Hände europäischer Nutzer:innen geben.

Herr Wittmann, vielen Dank für das Gespräch!

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 Digitaler Euro eFin-Blog Farbe: gelb Uncategorized

Coinzeit 3000 #8: Offline

Das Titelbild des Beitrags Coinzeit 3000. Ausgabe Nummer 8: Offline

Ein Beitrag von Petra Gehring

15. April 2024

Der Nebel um die Ausgestaltung des Digitalen Euro lichtet sich erst sehr langsam. Anfang 2023 klang es jedenfalls aber so, als verfolgten EZB und EU nicht das Ziel, das neue Digitalgeld als hochgetriebenes „programmierbares“ Artefakt auf der Blockchain anzubieten. Programmierbares Geld – oder mindestens vorprogrammierte Zahlungsabläufe, also auf der Basis von „smarten“ Verträgen automatisierte Geldflüsse – fordert zwar die Industrie. Die Politik teilt aber mit, sie denke primär an die Bürger:innen, also an Bargeldnutzer:innen wie dich und mich. Und wir haben nun mal wenig Interesse an der aufwändig durchautomatisierten (weil massenhaften und somit billigeren) Prozessierung von Geld. Wir geben Geld in wechselnder Weise, situationsangemessen und oft spontan aus. Von daher die Botschaft der Politik: Der digitale Euro soll auch „offline“, also wohl physisch verfügbar sein. Was allerdings heißt das? Oder meint Offline-Nutzbarkeit gar nicht im vollen Wortsinn „physische“ Verfügbarkeit? Die Finanzverantwortlichen der Eurogruppe schreiben:

„The Eurogroup also supports the exploration of an offline functionality which would serve a wider range of use cases and also contribute to financial inclusion by facilitating the use by citizens in different scenarios. “

Damit scheint also nicht bloß eine Endstation Smartphone angestrebt zu werden. Sondern man denkt … ja: an was? An eine mit einem Girokonto verbundene Karte? Dann wäre ich freilich einfach wieder bei meiner (Geschäfts-)Bank. Also vielleicht eine aufladbare Geldkarte wie die Bezahlkarte in der Mensa? Eine Pay-Safe-Karte, die ich (bereits aufgeladen) in der Tankstelle kaufen kann? Oder gäbe es da einen anderswie verpackten Chip? Kann ich freilich ohne Netz mir die Summen auf einem solchen kleinen Wertspeicher „abholen“? Und ist beim Ausgeben des digitalen Offline-Euro dann wirklich auf der ganzen Strecke, also auch hinter dem Lesegerät eines Zahlungsempfängers, alles klassisch verkabelt und in diesem Sinne die Nutzung also ganz ohne Internet möglich? Letzteres kann ich mir kaum vorstellen. Ein Einwand eines Piraten-Abgeordneten im Europäischen Parlament lautete zwischenzeitlich auch: der „offline“-Euro muss Zahlungen auch bei physischem Abstand der Zahlenden ermöglichen. Also Verschickbarkeit per Postpaket? Deponierbarkeit im Versteck unter der Baumwurzel?

In einer überall immer auch von Online-Übermittlungswegen durchzogenen Welt muss, so scheint es, ziemlich präzise darüber geredet werden, was „offline“ eigentlich bedeutet. Folge ich Wikipedia, dann heißt „offline“ im Grunde nur der abgeschaltete Zustand eines (auch) online nutzbaren Programms. Etwas ‚offliniger‘ als bloß nach dem Download noch existent sollte der digitale Euro aber definitiv sein. Nur so ist er auch inklusiv, das heißt für Menschen ohne Konto, für Wohnungslose, für Kinder und für Menschen, die Geld gern unter dem Kopfkissen haben, verwendbar.

„Als Offliner werden Menschen bezeichnet, die das Internet nicht nutzen“, heißt es bei Wikipedia immerhin auch. Und gerade für diese sollte es ja die von der Eurogruppe „offline“ genannte Funktion wohl geben.

Eurogruppe: Pressemitteilung vom 16. Januar 2023: Eurogroup statement on the digital euro project, [15. April 2024]

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Europäisches Parlament: Änderungsanträge 34 – 277, Stellungnahme zur Einführung eines digitalen Euro, siehe insbesondere Änderungsantrag 76, 11. Dezember 2023, nur in Englisch verfügbar [15. April 2024].

Wikipedia: Offline, https://de.wikipedia.org/wiki/Offline, [15. April 2024].

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Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

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1.1. Digitaler Euro – unser zweites Bargeld?

Cover zu Folge 1.1

Unbestritten ist die folgende Diagnose: In Deutschland, aber insbesondere anderen europäischen Ländern geht die Nutzung von Bargeld zurück. Bargeldloses Zahlen ist hingegen auf dem Vormarsch. Wäre digitales Zentralbankgeld, in unserem Fall der digitale Euro, in dieser Situation eine gute politische  Antwort? Wenige Staaten weltweit haben bereits sogenanntes digitales Zentralbankgeld eingeführt, aber kaum eine Zentralbank diskutiert oder plant es nicht. Seit Oktober 2021 prüft die Europäische Zentralbank die Einführung eines digitalen Euro, die Europäische Kommission hat jüngst einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt. Keineswegs ist aber schon allgemein anerkannt, dass es den digitalen Euro überhaupt braucht.

 

In dieser Folge schaut sich eFin & Demokratie das Versprechen des digitalen Euro, digitales Bargeld zu sein, genauer an.  Geklärt wird zunächst was Bargeld ist, was es kann und wie genau seine Vorteile in einem „digitalen“ Euro nachgebaut werden könnten. Im alltäglichen Umgang ist es uns kaum bewusst: Was zeichnet Bargeld als öffentliches, staatlich verbürgtes Geld überhaupt aus, wo liegen seine Qualitäten? Sollte der Rückgang der Bargeldnutzung uns stören? Und was treibt die nachlassende Nutzung von Bargeld überhaupt an?

 

Der Podcast setzt sich auf die Spur dieser Fragen, erklärt die Rolle von Geschäftsbanken und Zahlungsdienstleistern im analogen und digitalen Zahlungsverkehr und beleuchtet die Anonymität und die Teilhabe, die Bargeld verspricht. Die große Frage bleibt, wie sich solche Qualitäten in den digitalen Raum übersetzen lassen.

Staffel Digitaler Euro – Folge 1 | 27. Juli 2023

Gäste

Claudio Zeitz-Brandmeyer ist Referent für Zahlungsverkehr und Digitalisierung beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Er ist Mitglied der Payment Systems Market Expert Group der EU-Kommission und Vertreter im Forum Zahlungsverkehr der Deutschen Bundesbank. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Mitglieder des Deutschen Bundestages zur Finanzpolitik und studierte VWL und Public Policy.

Zum Team Finanzmarkt des Verbraucherzentrale Bundesverbands: https://www.vzbv.de/experten/finanzmarkt

Cederic Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Staatstheorie, Politische Wissenschaften und vergleichendes Staatsrecht am Institut für Grundlagen des Rechts der Georg-August-Universität Göttingen und forscht vertieft zu verfassungs- und währungsrechtlichen Fragen der Digitalisierung. Unter dem Arbeitstitel „Verfassungsfragen des digitalen Euro“ promoviert er bei Prof. Dr. Florian Meinel am selbigen Institut.
> Siehe auch seinen eFin-Blog-Beitrag Quo vadis digitaler Euro?

Jana Magin ist Ökonomin und promoviert an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf am Lehrstuhl für Monetäre Ökonomik bei Prof. Dr. Ulrike Neyer zur Geldpolitik der EZB und insbesondere den konkreten Auswirkungen, das die Einführung digitalen Zentralbankgeldes auf Privathaushalte hätte.

Weiterführende Informationen

Videoaufnahme der Podiumsdiskussion: Digitaler Euro – Pro und Contra vom 18. Juli 2022 im Rahmen der eFin-Ringvorlesung  „Verstehen Sie Krypto“ an der Technischen Universität Darmstadt
mit Katharina Paust-Bokrezion , Leiterin für regulatorische und politische Angelegenheiten im Bereich des Zahlungsverkehrs, Deutsche Bank, und Marcus Härtel, Marktinfrastrukturexperte, Europäische Zentralbank.

Studien der Deutschen Bundesbank
Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 2023, S.97-111: Zugang zu Bargeld in Deutschland: Auswertungen zur räumlichen Verfügbarkeit von Abhebeorten
Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 2023, S. 79-95: Die Nutzung von Mobile Payments in Deutschland

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