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Anträge, Aussprache und Anschlusskommunikaton- Der digitale Euro im Bundestag

Anträge, Aussprache und Anschlusskommunikaton – Der digitale Euro im Bundestag

Ein Beitrag von Erik Meyer

20. November 2023

Die mögliche Einführung digitalen Zentralbankgelds (CBDC) in der Eurozone ist ein voraussetzungsvolles Unterfangen. Nachdem die Europäische Kommission im Juni 2023 einen Legislativvorschlag zur Schaffung des Rechtsrahmens dafür vorgelegt hat, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Oktober 2023 eine weitere Weichenstellung verkündet, die die Deutsche Vertretung der EU-Kommission so resümiert: „In der Vorbereitungsphase wird die EZB nun ihre Analyse der möglichen Gestaltungsoptionen, der Nutzererfahrung und der technischen Lösungen für einen digitalen Euro vertiefen, um sich auf dessen mögliche Entwicklung und Ausgabe vorzubereiten. Die Vorbereitungsphase beginnt am 1. November 2023 und wird voraussichtlich zwei Jahre dauern. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeiten und Analysen kann der EZB-Rat beschließen, auf die Erprobung eines möglichen digitalen Euro hinzuarbeiten.“1 Pressemitteilung» der Deutschen Vertretung der Europäischen Kommission

Auf diese Konstellation hat die Bundestagsfraktion der Union mit einem parlamentarischen Antrag reagiert. Ebenso hat die AfD-Fraktion zu dieser Initiative einen Antrag vorgelegt, und beide wurden am 8. November 2023 im Plenum debattiert. Die CDU/CSU-Fraktion will die „Abstimmung über den digitalen Euro im Bundestag bindend machen“, so der Titel des Antrags. Ausgangspunkt ist hier, dass der politische Prozess zur europäischen Rechtssetzung im vorliegenden Fall keine Dezision durch den Deutschen Bundestag vorsieht. Der Antrag verweist aber darauf, dass die „Herstellung eines Einvernehmens zwischen Bundestag und Bundesregierung bei wichtigen Fragen des Euro (…) unserer Gesetzgebung (…) keinesfalls fremd sind.“ Vor diesem Hintergrund werden vor allem zwei Forderungen gegenüber der Bundesregierung erhoben:

„1. sich im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung dazu zu bekennen, der Einführung eines digitalen Euro im Rat der Europäischen Union nur dann zuzustimmen, wenn sich der Deutsche Bundestag zuvor für dessen Einführung ausgesprochen hat;

2. sich gegenüber der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten für eine Zustimmungspflicht der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten einzusetzen“. (Drucksache 20/9133 -PDF»)

Hier wird primär eine prozedurale Absicht bezüglich der Beschlussfassung verfolgt. Demgegenüber positioniert sich die AfD-Fraktion auch inhaltlich ablehnend gegenüber dem Vorhaben und hat ihren Antrag mit „Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel bewahren und Überwachung der Bürger durch digitales Zentralbankgeld verhindern“ betitelt. Sie verleiht damit ihrem Verdacht Ausdruck, dass trotz anderslautender Einlassungen aller administrativ Beteiligten und ebenso verfolgter regulatorischer Festlegungen des europäischen Gesetzgebers eine Abschaffung des Bargelds politisch intendiert wird. Der Antrag versucht diese Annahme durch Angabe diverser Indizien zu plausibilisieren. Gemäß der Argumentation, dass digitales Zentralbankgeld Zwecken wie staatlicher Überwachung diene und zur Abschaffung von Bargeld führe, wird von der Bundesregierung unter anderem gefordert:

„2. sicherzustellen, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken (NZBs) des Eurosystems keine digitalen Zentralbankwährungen ausgeben dürfen;

3. sich auf europäischer Ebene gegen die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung einzusetzen
(…)

7. noch bevor die EZB über die Einführung des digitalen Euros beschließt, eine Volksbefragung nach Art. 20 Abs. 2 GG darüber abzuhalten, ob die Bürger die Einführung eines digitalen Euros in der von der EZB dann vorgeschlagenen Ausgestaltung zustimmen oder nicht“. (Drucksache 20/9144 – PDF»)

Vom Rede- zum Arbeitsparlament

In der dazu anberaumten Bundestagsdebatte setzten sich die Redner:innen dann weniger mit den Details der beiden Anträge auseinander als mit übergeordneten Fragestellungen und Implikationen. Die dominante Konfliktlinie war dementsprechend pro oder contra digitaler Euro und artikulierte unterschiedliche Vorstellungen bezüglich dessen Ausgestaltung. Bis auf die AfD-Fraktion sowie fraktionslose Abgeordnete begrüßten alle Fraktionen die Initiative zur Einführung digitalen Zentralbankgelds mehr oder weniger. Bei der Positionierung gegen die Abschaffung von Bargeld bestand überwiegend Übereinstimmung. Allerdings differierte die Bewertung dessen respektive Spekulation darüber, was (supra-)staatliche Akteure und Zentralbanken mit einem digitalen Euro beabsichtigen. Die aufgeworfene Frage, ob das Verhalten der Bundesregierung im europäischen Gesetzgebungsprozess an die parlamentarische Mehrheitsmeinung zu binden sei, wurde unterschiedlich beurteilt. Gerade die Regierungsfraktionen vertraten die Auffassung, dass die in Deutschland vorgesehenen Verfahren parlamentarischer Beratung inklusive einer vorgesehenen Anhörung ausreichend seien. Einem gar in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durchgängig umzusetzenden Parlamentsvorbehalt fehle darüber hinaus schlicht die Rechtsgrundlage.

Auf der symbolischen Ebene waren Auftritte aus der AfD-Fraktion sowie der fraktionslosen Abgeordneten Cotar (Ex-AfD) bemerkenswert. Neben inhaltlichen Aspekten liegt das vornehmlich an der inzwischen etablierten Praxis, die Aufzeichnungen des Parlamentsfernsehens in den jeweiligen Social-Media-Kanälen der Akteure auszuspielen. Dies führt zu einer Veränderung der Kommunikation, die die Parlamentsmehrheit nicht goutiert: Ausdrucksformen außerhalb der eigentlichen Rede gelten als nicht zulässig. Dagegen verstieß auch in dieser Debatte ein Abgeordneter der AfD-Fraktion durch das demonstrative Hantieren mit goldfarbenen Geldscheinen und kassierte dafür einen Ordnungsruf. Solche Inszenierungen sind im außerparlamentarischen Resonanzraum allerdings kommunikativ erfolgreich wie die Rede von Cotar zeigt. Sie wurde etwa im Blog des bei YouTube reichweitenstarken „Blocktrainers“ Roman Reher als „Erste Pro-Bitcoin-Rede im Bundestag“ aufgegriffen. Darüber hinaus verbreitete der Dienstleister Swanbitcoin.com eine Version des betreffenden Videos, die anmutet, als wäre die Rede in englischer Sprache gehalten worden. Die Caption bei X (Ex-Twitter) dazu lautet: „German member of Parliament @JoanaCotar bashes CBCDs in the Bundestag WHILE WEARING a #Bitcoin T-shirt. (English via AI translation)”

Die Plenardebatte endete mit der Überweisung an diverse parlamentarische Ausschüsse unter Federführung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, in denen die Anträge später zur weiteren Beratung aufgerufen werden. Für alle Details, das Protokoll sowie die Dokumentation von Anträgen, Redner:innen sowie den Aufzeichnungen ihrer Beiträge siehe die Mediathek» des Bundestages. Eine Zusammenfassung liefert darüber hinaus der Bericht „Bares ist Wahres“» in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift Das Parlament.

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Autor: eFin Blog Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Letztes Status Update: 8. November 2023

Die Debatte über eine mögliche Einführung von digitalem Zentralbankgeld in der Eurozone läuft schon länger. Hier informieren wir über die Entwicklungen und den jeweils aktuellen Stand. Im Juni 2023 hat der betreffende Entscheidungsprozess auf EU-Ebene begonnen.

Der digitale Euro ist zunächst ein Projekt der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese hat im Juli 2021 offiziell damit begonnen, Anwendungsfälle und Möglichkeiten der Ausgestaltung eines solchen Zahlungsmittels zu untersuchen. Diese Phase soll im Oktober 2023 enden. Dann entscheidet der EZB-Rat als das oberste Beschlussorgan der EZB darüber, ob zur nächsten Phase übergegangen wird. Für die konkrete Realisierung wird derzeit eine dreijährige Auseinandersetzung angesetzt.

Auch wenn die EZB erst im Anschluss daran endgültig über eine Einführung des bis dahin im Detail ausgestalteten digitalen Euros entscheidet, hat die EU-Kommission mit dem begonnen, was als „Rechtsetzungsarbeit” bezeichnet wird, denn: „Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat die EU die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Für die Ausgabe eines digitalen Euro und die Entscheidung über seine technischen Merkmale ist die EZB zuständig, doch muss der digitale Euro zuvor durch eine EU-Verordnung, in der seine wesentlichen Aspekte festgelegt sind, eingeführt werden”, heißt es in einem Dokument der Kommission.1Die Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung (19.4.2022) findet sich zum Download hier»

EU-Vorschlag zur rechtlichen Regulierung

Am 28. Juni 2023 hat die EU-Kommission dementsprechend einen Legislativvorschlag zur Schaffung des Rechtsrahmens für einen möglichen digitalen Euro als Ergänzung zu Euro-Banknoten und -Münzen vorgelegt. Und zwar im Paket mit einem Legislativvorschlag über Euro-Bargeld als gesetzlichem Zahlungsmittel, der sicherstellen soll, dass dieses weithin akzeptiert wird und im gesamten Euro-Währungsgebiet leicht zugänglich bleibt.2Angaben zum Paket zur einheitlichen Währung: Neue Vorschläge zur Gewährleistung der Möglichkeit, Bargeld zu verwenden, und zur Schaffung eines Rechtsrahmens für einen digitalen Euro sowie betreffende Dokumente finden sich zum Download hie

Damit beginnt ein Gesetzgebungsverfahren, an dem das Europäische Parlament und der sogenannte Ministerrat beteiligt sind. In diesem Rat der Europäischen Union sind die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten. In mehreren Lesungen wird der Legislativvorschlag von Parlament und Rat überarbeitet. Sobald sich die beiden Institutionen auf entsprechende Änderungen geeinigt haben, wird der Vorschlag angenommen. Dies ist nicht zuletzt deshalb so komplex, weil die betreffenden Organe wiederum in sich heterogene Interessen repräsentieren, die umfangreiche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse notwendig machen.

Eine relevante Rolle dürfte in diesem Kontext die Euro-Gruppe spielen. Dabei handelt es sich um ein informelles Gremium, in dem die Finanzminister:innen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets über den Euro betreffende Fragen, die in die gemeinsame Verantwortung ihrer Länder fallen, beraten. Darüber hinaus findet Anfang Juni 2024 die nächste Europawahl statt, bei der dieses Thema eine Rolle spielen könnte.

Die Europawahl könnte darüber hinaus weitere Konsequenzen für das Verfahren haben:

“Für all jene Gesetzesvorlagen, über die das Plenum vor den Wahlen nicht mehr abgestimmt hat, gibt es keine rechtswirksame Position des Europäischen Parlaments. Die Geschäftsordnung des Parlaments sieht daher vor, dass in solchen Fällen die Arbeit der Abgeordneten (zum Beispiel in Form von Beschlüssen auf Ausschussebene) verfällt. Allerdings kann die neue Konferenz der Präsidenten – die aus dem Präsidenten/ der Präsidentin des Parlaments und den Fraktionsvorsitzenden besteht – zu Beginn der neuen Legislaturperiode beschließen, die Arbeit an diesen Gesetzesvorlagen unter Nutzung des bereits erreichten Standes fortzusetzen (vgl. Artikel 240 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments).”3 Siehe hierzu die Antwort in den FAQs des Europäischen Parlament

Reaktionen auf Bundesebene

Parallel dazu hat auch in den Mitgliedsländern die Befassung mit dieser Materie begonnen. Im Rahmen seiner Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten» hat sich der Bundesrat bei seiner Sitzung am 29. September 2023 mit den EU-Vorschlägen für einen Rechtsrahmen zur Einführung des digitalen Euro befasst und eine Stellungnahme» beschlossen.

Im Bundestag hat die Unionsfraktion einen Antrag mit dem Titel „Abstimmung über den digitalen Euro im Bundestag bindend machen“ vorgelegt, der am Mittwoch, den 8. November 2023, im Plenum debattiert wird. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, führt dazu aus: „Nachdem das Projekt digitaler Euro nun voranschreitet, muss die Bundesregierung dem Parlament ein wirkliches Mitspracherecht einräumen. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung der Einführung eines digitalen Euro nur zustimmt, nachdem der Deutsche Bundestag eine Einführung befürwortet hat.”4 Siehe die entsprechende Pressemitteilung». Nach der Debatte soll der Antrag gemeinsam mit einer Initiative der AfD-Fraktion zur weiteren Beratung an den federführenden Finanzausschuss überwiesen werden. Der Titel des AfD-Antrags lautet „Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel bewahren und Überwachung der Bürger durch digitales Zentralbankgeld verhindern“. Zur Dokumentation der Anträge und zu weiteren Informationen siehe hie.

Dieser Beitrag wird um aktuelle Angaben ergänzt, wenn der politische Prozess fortschreitet. Siehe zum jeweiligen Stand auch den Eintrag zum Verordnungsentwurf auf der Seite EUR-Le der Europäischen Union.

  • 1
    Die Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung (19.4.2022) findet sich zum Download hier»
  • 2
    Angaben zum Paket zur einheitlichen Währung: Neue Vorschläge zur Gewährleistung der Möglichkeit, Bargeld zu verwenden, und zur Schaffung eines Rechtsrahmens für einen digitalen Euro sowie betreffende Dokumente finden sich zum Download hie
  • 3
  • 4
    Siehe die entsprechende Pressemitteilung».
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Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 25. Oktober 2023

Den Auftakt zur öffentlichen Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“, einer Kooperation des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt mit eFin & Demokratie, machte deren Organisatorin Prof. Dr. Petra Gehring, Leiterin dieses Diskursprojektes, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung und Professorin für Theoretische Philosophie an der TU Darmstadt.

Gehrings Vortrag „Werte zur Einführung“ bot einen ersten Überblick ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis von ökonomischem und moralischem Wertbegriff sowie dem des Lebenswertes. Dabei interessierte sie sowohl die historische Genese des Wertbegriffs wie auch daraus resultierende alltagsnahe Fragen der heutigen Zeit, die sie im Ausblick auf kommende Vorträge anderer Referent:innen andiskutierte. 
Gehrings These lautet, dass die Geschichte des ökonomischen Wertbegriffs weiter zurückreiche als die des moralischen, ja die Rede vom moralischen Wert gar eine Antwort auf den ökonomischen Wertbegriff sei und der Begriff „Wert“ der Wirtschaft entspringe. Historisch datiert sie den Umbruch hin zu einer weitläufigeren Verwendung des Wertbegriffs im 19. Jahrhundert –als der Begriff des Wertes in eine Krise geriet. Zeichnete sich Wert zunächst durch seine bloße Tauschfunktion in einer Wirtschaft aus, die aufgrund guten Bodens und der Gnade Gottes floriere, so werde nun, da mit der Säkularisierung die Staatskunst und Arbeit als die hinter allen Werten liegende, wertschaffende Instanz ins Zentrum rücke, der Wert als ein produzierter wahrgenommen: seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte rücke mit in den Blick. „Der Wert hat aufgehört, Zeichen zu sein, er ist ein Produkt geworden“, zitiert Gehring Foucault. So setzen sich nun Anthropologie und Gesellschaftstheorien als Theorien der Produktion von Werten mit dem Begriff auseinander. Die Ökonomie beginne, mit nicht-ökonomischen Wissenschaftsfeldern ihre Begriffe zu teilen.

Naturalismus und Materialismus prägen das philosophische Denken des 19. Jahrhunderts. Der Anfang der Moderne sei die große Zeit der Entwicklungslehren und Evolutionstheorien – auch in moralphilosophischen Debatten. Überleben erscheine als ein „Mega-Wert“, Kulturentwicklung werde als Wertentwicklung und „Selektion wie Evolution von Werten“ rekonstruiert. Diese Zeit sei auch die Blütezeit der Kritik moralischer Werte – Werttheorien sind allerdings, so Gehring, im 19. und 20. Jahrhundert weniger Moralkritiken als vielmehr „Fundierungsprojekte“..

Als eine den modernen moralphilosophischen Diskussionen vorausgehende „Leuchtrakete“ bezeichnet Gehring Kant. Auf seine Unterscheidungen werde immer wieder, wenn auch teils kritisch, Bezug genommen. Prägend wirke nicht nur die Trennung der Moralität von den Sphären der Natur und der Ökonomie, sondern auch die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft. Auch die Einführung des Begriffs der (menschlichen) Würde als sich jeglichem Kalkül entziehender, unbedingter, absoluter Wert entgegen dem relativen Wert des berechen- und verrechenbaren Preises verdank sich Kant. Utilitaristische, pragmatistische wie auch Wert-Ethiken, die mit Größen wie „Wertgefühlen“ operieren, schlagen einen anderen Weg ein.

Gehring mahnt, neben der ökonomischen und moralphilosophischen Sphäre nicht eine weitere zu vergessen: die des Lebenswertes. Er spiele im Fin de Siècle eine große Rolle, hier komme die Idee des positiven und negativen Lebenswertes auf und sei mehr als nur eine Vereinnahmung des ökonomischen oder moralphilosophischen Wert- bzw. Würdebegriffs. Hier werde der Wert vom Leben her gedacht: individueller Wert und Wert des Stammes werden subjektiv aus der je eigenen Perspektive oder objektiv vom Interesse der Gesellschaft aus bewertet und verrechnet. Es ergeben sich (sozialdarwinistisch gedachte) eugenische Forderungen, die auf der einen Seite moralisch Suizid und Euthanasie rechtfertigen und aus denen sich auf der anderen eine „Enhancement-Moral“ ergibt. So komme es im Ausgang des 19. Jahrhunderts also durchaus auch zu Mischungen der ökonomischen und moralischen Sphären des Wertbegriffs.

Heutzutage lasse sich vor allem ein Wertepluralismus ausmachen, so Gehring. Verschiedene Werte stehen nebeneinander, es werden vor allem Teildiskussionen geführt, auch betreffs Wirtschaft und Wertschöpfung – es gebe keine Theorie des großen Ganzen mehr. Diskurse drehen sich um Konsum und Innovationen, nicht um Arbeit, sondern um Selbstüberschreitung und den aus verschiedenen Richtungen kritisierten Begriff der Umwelt. Mit Luhmann warnt Gehring vor der Beliebigkeit moralisch- und politisch-praktischen Handelns (wie auch die seiner Rechtfertigung), die aus dem Nebeneinander in einem „Markt der Werte“ resultiere und nur in entscheidungstheoretische Überlegungen münde.

In der heutigen Zeit müsse man auch die Digitalisierung mit bedenken. Mit ihr dehne sich das Diskussionsfeld aus: Werte werden digital „tokenisiert“, es gibt automatisierte Bewertungssysteme und diverse angewandte Ethiken wie Digital-Ethik, KI-Ethik uvm. Die Notwendigkeit solcher Ethiken sieht man an den Chancen und Risiken, die mit der Digitalisierung einhergehen: von Vertrauensproblemen in Technik bzw. Digitalität über Nachhaltigkeitsberechnungen bis hin zu Entwertungsprozessen und Problemen mit Störpropaganda, die die Digitalisierung vereinfacht habe und in einem größeren Ausmaß ermögliche.

Die einführende Vorlesung wirft bewusst viele Fragen auf, einige wurden in der Sitzung und im Anschluss andiskutiert, viele werden in den kommenden Vorträgen ausgeführt oder auf neue Weise aufgeworfen. Es sind Fragen, die in ganz unterschiedliche Richtungen allgemein und betreffs spezifischer Problemlagen gestellt werden können. Um nur einige zu nennen: Welche Rolle spielt der Wertbegriff in der Begründung unseres Handelns? In welchem Verhältnis stehen Werte zu Normen, zu handlungsleitenden Tugenden oder zu dem um einiges ambivalenteren Begriff der Idee, die sich ebenfalls durch ihre Wirkungsmacht auszeichnet, aber bis auf wenige Rehabilitationsversuche wie der Begriff des Wertes,  zumindest im Sinne einer neuen philosophischen Werttheorie,aus der Debatte verschwunden zu sein scheint? Inwiefern prägen Werte und Bewertungen unser Selbstverständnis? Wie werden wissenschaftlich fundierte Evaluationen konzipiert und Werte darin integriert, wie werden Auswahl und Gewichtung bestimmt? Welche Problematik besteht in der Berufung auf Werte? Ist Werteneutralität bzw. Wertefreiheit nur eine Illusion? Führt der diagnostizierte Wertepluralismus nicht notwendig in einen Relativismus – und, wie schon Nietzsche mutmaßte, in einen Nihilismus? Ist der Wert der Werte nicht selbst (Nietzsche folgend) in Frage zu stellen? Und wie werden Werte in der angewandten Ethik angesichts aktueller Problemlagen wie dem Klimawandel diskutiert?

Der Vortrag war erst der Anfang einer spannenden Diskussion. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich in den kommenden Wochen die Vorträge dreizehn weiterer Professor:innen und langjähriger Forscher:innen anzuhören und mitzudiskutieren. Die öffentliche Ringvorlesung des Instituts für Philosophie findet traditionell in jedem Wintersemester mittwochs um 18 Uhr im großen Hörsaal statt. Zugleich ist die diesjährige Vortragsreihe eine Fortsetzung der „Citizen Lecture“ „Verstehen Sie Krypto“, die das eFin & Demokratie im Sommersemester 2022 organisiert hat. Wurde die vergangene vor allem von Praktiker:innen bespielt, geht die jetzige in wissenschaftlich-theoretische Tiefen. Das Programm der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“ ist hier» zu finden, alle Vorträge sind auch hier» nachzuhören.

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Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

Ein Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens

Ein Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 20. September 2023

Interessante Gespräche statt Belehrungen – das Kulturereignis „Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens“ mit dem Thema „Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt“, ist ein interaktives Format ganz eigener Natur. Und das nicht nur, weil dieses einmalige Event einer Kooperation von drei Häusern entspringt: ZEVEDI als Auftrags-, Stichwort- und Geldgeber (unter besonderer inhaltlicher Beteiligung des Diskursprojekts „eFin & Demokratie“), die Mobile Akademie Berlin mit Hannah Hurtzig, der Entwicklerin dieses Formats, als Kurator:innen und maßgeblich wie maßgebend an der genaustens arrangierten Durchführung beteiligt sowie als Austragungsort die Kulturstätte „Mousonturm“ in Frankfurt am Main.

Im Markt standen 90 Expert:innen mit ihrem Wissen zu Themen rund ums Geld und der Digitalisierung des Finanzwesens den ca. 300 Besucher:innen für Gespräche zur Verfügung – und scheuten auch nicht, in kritischer Reflexion die Grenzen ihres eigenen wie auch des Wissens ihres Fachgebietes deutlich zu machen. Denn aus diesem explizierbaren Nicht-Wissen kann man ebenso lernen; es wirft ein neues Licht auf das vorhandene (Fach-)Wissen und akzentuiert die notwendige Mannigfaltigkeit der Forschungs- und aus dem alltäglichen (Berufs-)Leben geschöpften Perspektiven, die in der Markt-Inszenierung durch die Vielstimmigkeit der Expert:innen repräsentiert wurden. Neben Ökonom:innen (Daniel Mertens) und Banker:innen (Claus George) saßen hier, um nur eine kleine Auswahl in Klammern zu nennen,  Soziolog:innen (Barbara Brandl, Alexandra Keiner, Carola Westermeier, Moritz Hütten), Philosoph:innen (Petra Gehring), Jurist:innen (Jana Ringwald, André Alfes), aber auch Politiker:innen (Ina Hartwig, Bijan Kaffenberger, Jutta Ditfurth) und Kulturschaffende jeglicher Couleur. In allen Runden stand Autor Marcus Steinweg für Gespräche bereit, denen man sich in einer Dauersendung per Marktradio zuschalten konnte.

Wissenschaftliche Expertise trifft auf Stimmen derjenigen, die sich in den konkreten Feldern bewegen. Wie sieht unser Geld aus und wie wird es (in Form eines digitalen Euro) in Zukunft aussehen (Sebastian Siepen), wie einfach wird es handhabbar und welche Technologien werden sich dahinter verbergen (Jürgen Geuter)? Es wird über Verhandlungen gesprochen und selbst verhandelt, monetäre Theorien (Jan Greitens) und Bargeld (Brett Scott) diskutiert und Wirtschaftssysteme in Frage gestellt. Lieder über die Vorzüge des bedingungslosen Grundeinkommens werden mit Gitarre zum Mitsingen angestimmt und die Perspektive von Künstlern thematisiert, die sich von Auftragsarbeit zu Auftragsarbeit hangeln, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Bernadette La Hengst). Auch das Verlagswesen und die Nöte der Autorinnen und Autoren kommen im Markt zur Sprache (Karlheinz Braun). Armut, Schulden und damit verbundene Gerechtigkeitsfragen ist eines der Themen, die sich im Marktgeschehen über die Gespräche hinweg herauskristallisieren – wer ist wie betroffen, was könnte geändert werden? Hilft Ethik oder ist sie ein veraltetes Konstrukt? Über Glorifizierungen und Diskriminierungen wird diskutiert, sie logisch-systematisch und historisch eingeordnet.

Die Gesprächssituation ist inszeniert, man bewegt sich wie in einem Spielfeld oder blickt darauf: Der Markt ist als Theater in Szene gesetzt, es wird mit Kulissen, Geräuschen und Lichttechnik gearbeitet. Er bringt viele Funktionen des Internets in die analoge Welt: Mit einem Überangebot an Themen und Ansprechpartner:innen ist der Markt als Versammlung zugleich Vernetzungsmöglichkeit, um Kontakte herzustellen oder nur mal kurz etwas zu fragen, als auch Spielraum, um gestaltend, nämlich gesprächsführend zu wirken oder Gesprächen über das Marktradio so lange man möchte zu folgen oder wild zwischen ihnen herumzuschalten. Den Gesprächen selbst mangelt es aber nicht an Ernsthaftigkeit und Tiefsinn. Was man aus dem Markt zieht, wie man ihn für sich annimmt, ist jedem/r Besucher:in selbst überlassen: ob man sich der Atmosphäre des Theaters hingibt, sich treiben lässt von Gesprächseindrücken, sich auf einzelne Themen fokussiert und den Markt gezielt als Ort der Weiterbildung nutzt oder seinen Horizont in möglichst viele Richtungen erweitern möchte.

Das Besondere des Gesprächsformats: Hier geben nicht nur die Experten den Ton an. Viele Unterhaltungen starten mit der Frage, ob zunächst ein kleiner Vortrag gehalten werden soll oder man direkt mit Fragen des Gesprächspartners einsteigt. Die Gesprächsführung liegt immer in den Händen beider Partner, sodass sich für beide Seiten neue Erfahrungen gewinnen und Wissen schöpfen lassen. In 1:1-Unterhaltungen an 32 Tischen wird über je 30 Minuten in insgesamt 6 Runden die Köpfe zusammengesteckt. Eingeläutet und beendet von einem großen Gong vertiefen sich die Gesprächspartner schnell in ihr Thema, nicht selten beginnt es informell schon einige Minuten vorher und wird danach fortgesetzt. Eine von der Decke herabhängende Glühbirne leuchtet an jedem der in einem Carré in 4 Reihen gestellten kleinen Tische, verbreitet eine intime Atmosphäre und schottet die Gespräche zugleich vom Markttrubel ab.

Wie einzelne Inseln wirken die Tische, an denen sich je ein anderes Themenuniversum öffnet. Hostessen geleiten an die Plätze, informieren über die restlichen Minuten und kündigen auf beleuchteten Schildern für das Publikum an, dass für die nächste Gesprächsrunde die Buchungsschalter geöffnet sind. Als stille Beobachter:innen, jenseits und doch alles überblickend kann man von den Tribünen aus die einzelnen Gespräche beobachten und sich bei je acht Gesprächen über das Marktradio heimlich, still und leise hinzuschalten. Ein weiteres Gespräch wird live transkribiert und zum Mitlesen an die Wand projiziert. Immer wieder gehen Hostessen mit provokanten Aussageplakaten durch die Tischreihen. Der Markt setzt Impulse, stößt Gedanken und Diskussionen an. Und reizt es einen, selbst in ein Gespräch zu treten, kann man sich zu jeder der insgesamt sechs Runden erneut an den drei „Klient:innen-Check-In“-Counter für einen Euro einbuchen. Zur Abkühlung kann man sich entweder im Außenbereich an der Bar einfinden oder sein erhitztes Gemüt an der Beschwerdestelle beschwichtigen lassen, die selbst wie die Einbuchung ein Teil des Theatergeschehens ist. In einem gemütlichen Separée gibt es zudem „Second Hand Knowledge“ und Snacks. Im Gespräch mit drei Zehntklässlerinnen erfährt man mehr über die Arbeit zweier Marktexpertinnen. Die drei haben sich im Vorhinein mit der Oberstaatsanwältin für Cyberkriminalität Jana Ringwald als auch mit der Numismatikerin und Archäologieprofessorin Fleur Kemmers getroffen. In Zeltatmosphäre spricht man jetzt meist zu mehreren über deren Arbeit wie auch die Kenntnisse, Erfahrungen und Eindrücke der Jugendlichen.


Alles in allem ein spannender Abend und ein anregendes Wissensformat, das nah an der Schwelle zur Reizüberflutung operiert, wenn man möglichst vielen Gesprächen folgen wollte. Und für alle, die es verpasst haben oder noch etwas nachhören möchten: Das durch das Marktradio und die Transkription entstandene Audiomaterial wird im Archiv der Mobilen Akademie Berlin veröffentlicht. Im Entstehen begriffen ist auch eine Video-Dokumentation, die einige ausgewählte Expert:innen an diesem Abend begleitet und das Markt-Geschehen in allen seinen Dimensionen auffächert.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: gelb

Coinzeit #4: „Unbanked“

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 22. August 2023

Der Spruch könnte auf Demo-Transparenten stehen. Oder kommt er aus der Szene der Krypto-Begeisterten? Banking the unbanked! Bei näherem Hinsehen handelt sich weniger um eine Forderung an die Politik als um eine Selbstmandatierung: Direkt verwendbare, digitale Zahlungsdienste halten sich zugute, jenen großen Anteil der Weltbevölkerung endlich mit einem Konto zu versorgen, die noch keines haben. DeFi, Bitcoin & Co dienen der „Demokratisierung“. Sie helfen denen auf dem Globus, die (noch) „unbanked“ sind. Etwas weniger spruchbandartig lautet der Gedanke: Finanzielle Inklusion.

Streng genommen loben das „Banking“ vor allem diejenigen, die soziale Argumente für die Nutzung digitaler Zahlungsdienste vortragen. Es helfe den Menschen in wenig entwickelten Ländern, es helfe Frauen, es helfe marginalisierten Gruppen, individuell sparen und auch Zahlungen empfangen zu können. Laboure und Deffrennes, Autoren des Buches Democratizing Finance, zählen fünf Bereiche auf, in denen Arme Bankdienstleistungen benötigen: Geldtransfer, Sparen und Investitionen, Kredite, Versicherungen und Altersversorgung: „When households have access to these types of formal financial products and services, they tend to enter an upward cycle toward increased wealth and wellbeing.“ (S. 101)

Inklusion ist natürlich immer gut. Und dass insbesondere auf dem flachen Land schon die fehlende Erreichbarkeit von Infrastrukturen auch „Geld“ zum Problem macht (Wie komme ich dran? Wie bewahre ich es auf? Wie versende ich es?), leuchtet ein. Dennoch bleibt eine kleine und eine größere Irritation. Die kleinere: Ist hier wirklich „banked“ gemeint? Wollten alternative, voll digitalisierte Bezahlsysteme nicht gerade keine Banken sein? Sollten also nicht DeFi-Lobbyisten das, was sie den „unbanked“ versprechen, doch nicht besser ganz konkret beschreiben, anstatt einfach „banking“ zu versprechen? Die Bank-Metapher mag ja doch irreführend sein, wenn beispielsweise unabgesicherte Invest-Produkte oder Krypto-Portfolios angeboten werden. Mindestens überrascht es, wenn ausgerechnet diejenigen sie nutzen, die zugleich lautstark betonen, just eben keine Banken zu sein. Oder Bankdienstleistungen sogar überflüssig zu machen.

Die größere Irritation: Was fehlt denn den sogenannten „unbanked“? Wirklich die digitale Bank? Oder nicht doch in erster Linie Geld und Vermögen? Einschließlich der Sicherheitspolster, Risiken innovativer Finanzprodukte auf sich nehmen zu können. Tatsächlich wollen einige der „unbanked“ – das gibt auch die Weltbank zu – aus verschiedenen Gründen gar keine Bank. Insofern ist auch die Botschaft von Democratizing Finance durchaus gar nicht, Fintech sei „demokratisch“. Eher erscheinen sie als Modernisierungsinstrument. Statt traditionell etwa in der Landwirtschaft zu arbeiten, kann man Unternehmer sein. „Fintech innovations have the capacity to improve the transaction system, increase productivity, and help countries transition workforces from traditional to modern sectors – factors that improve economic growth.” (S. 105)

Finanzielle Inklusion nützt damit Volkswirtschaften. Ist Inklusion aus Sicht der Betroffenen wirklich aber eine freiheitsstiftende Vorstellung? Wir wissen ja nicht, was die „unbanked“ sagen. Ich vermute aber: nicht der Ruf nach Banken, sondern: „Cash the uncashed!“ stünde auf ihrem Transparent.

Marion Laboure, Nicolas Deffrennes: Democratizing Finance. The Radical Promise of Fintech. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2022.

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Autor: Petra Gehring Coinzeit 3000 eFin-Blog Farbe: gelb

Coinzeit 3000 #3: „Blockchainisierung“

Ein Beitrag von Petra Gehring

vom 17. Juli 2023

An sich was Schönes: Substantive, die Verläufe ausdrücken. Mehrmals ist mir inzwischen aber das Wort „Blockchainisierung“ untergekommen. Zuletzt (mehrmals) in Blogs der DZ-Bank (auch etwa de la Rubia 2022 und dazu Coinzeit 3000 #). Als ob „Tokenisierung“ nicht schon schlimm genug wäre. Vom Sprachmix mal abgesehen: Man mag sich ja gern vorstellen, dass alles „auf die Blockchain“ soll – so wie auf den Herd, aufs Gleis, auf die Schiene. Ratzfatz. Fertig. Läuft.

Hilft „Blockchainisierung“ aber erstens, um den Vorgang zu verstehen? Und ist zweitens auch nur annähernd mitgesagt, dass die ganze Sache einigermaßen komplex ist? Dass da ‚etwas dranhängt‘, um es mal so vage zu sagen? Zum Beispiel könnte es sich ja doch um eine verdammt aufwendige technologische Veränderung handeln. Vom Alltag der (etwa im Bereich der DZ-Bank, es handelt sich um eine Dachorganisation der Volks- und Raiffeisenbanken) betroffenen Kundinnen und Kunden mal ganz abgesehen.

Schon „Digitalisierung“ hat sich als eine ziemlich schlechte, große Schachtel erwiesen: ein Wort, das nahelegt, man stelle Softwarelösungen einfach hin, und dann klappe das schon. Klassischer Fehler: Technik als Magie. Neue Technologien sind zumeist aber weder „einfach“ noch „eines“. Wo die Politik sich den digitalen Wandel so vorstellt, das wissen wir längst, tritt sie ratlos auf der Stelle. Wirtschaft und Verwaltung kennen das Problem. Nenne es Change Management. Nenne es: Wo ist der CIO? Nenne es: Wer kann Admin? Von der Frage, was sich für wen wie rechnet, ganz abgesehen.

Zurück zur „Blockchainisierung“ – ich sage mal so: Will eine Bank mit der Zivilgesellschaft reden, schiene mir eine weniger kompakte Ausdrucksweise hilfreich. Denn mal abgesehen von der falschen Suggestion, alles ginge „mal eben“ (und sehr schnell): Ist gemeint, dass es viele Blockchains geben wird, jedes Unternehmen irgendwann „seine“ hat? Oder wird es neue Intermediäre geben, die als technische Betreiber parallel zum ersten eine Art zweites Internet konstruieren? Oder sind es die „alten“? Du willst ein DAO eröffnen, Du willst überhaupt blockchainisieren? Dann komm auf die Google-Blockchain, Baby …!

Vor allem aber sind es ja die Regeln auf der Chain, die das Gesicht einer künftigen „Blockchainisierung“ prägen werden. Und da ist, möchte man meinen, doch noch so einiges offen. Während die optimistischen Seelen die Inklusion und die Demokratisierung loben, die dank der neuen Technologie möglich sein soll, warnen die anderen in der Hauptsache vor den Energiekosten und damit den ökologischen Folgen. Leider benötigt die neue Technologie Strom – das hat sich herumgesprochen

Was, wenn sich jedoch weder das eine noch das andere in einigen Jahren als Haupteffekt der „Blockchainisierung“ erweisen wird? Oder wenn sie ausbleibt, weil ein ganz anderer Prozess die Nase vorn hat? Man ist geneigt, ein altes Bonmot abzuwandeln: Prognosen zu Verläufen sind schwierig vorauszusagen, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

DZ Bank-Blog: „Blockchainisierung“ des Euro (22.6.2018) https://dzresearchblog.dzbank.de/content/dzresearch/de/2018/06/22/blockchainisierung-des-euro.html [17.7.2023].

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Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: gelb

Eindrücke von der re:publica 23 – Zwischen digitalem Zentralbankgeld und finanzieller Bildung

Eindrücke von der re:publica 23 – Zwischen digitalem Zentralbankgeld und finanzieller Bildung

Ein Beitrag von Erik Meyer

vom 22. Juni 2023

„Die re:publica hat sich zur wichtigsten Medien- und Gesellschaftsmesse der Republik gemausert“, resümiert der Tagesspiegel. 2023 stand sie unter dem Motto „Cash“. E-Fin & Demokratie war Anfang Juni in Berlin vor Ort.

Die re:publica lockt jährlich tausende Besucher:innen nach Berlin, um sich mit netz- und anderen politischen Themen zu beschäftigen. Auch wenn es beim Thema Cash ausdrücklich um mehr als nur digitales Bezahlen gehen sollte, waren doch ein paar Beiträge damit befasst. Auffällig war aber, dass dies zumeist abseits der größten Bühne stattfand. Auf der Stage 1 wurden prominent die großen (weltanschaulichen) Fragen behandelt. Neben bekannteren Sprecher:innen aus der Medienöffentlichkeit schlugen hier auch der Finanz- sowie der Wirtschaftsminister auf. Befragt wurden beide mal mehr, mal weniger kritisch.

Eine der wenigen Ausnahmen war der Medienwissenschaftler Sebastian Gießmann. In seiner Keynote Bar oder mit Karte? Warum wir neue Infrastrukturen des Geldes brauchen1Hier geht es zum Youtube-Video des Vortrags. fokussierte er letztlich den digitalen Euro. Er zeigte ihn als politisches Handlungsfeld, das nicht nur etablierte Stakeholder, sondern auch Bürger:innen betrifft. Aber sonst wurde digitales Zentralbankgeld nur in kleineren Arenen thematisiert: mal aus Perspektive des Verbraucherschutzes, mal aus der von Bundesbank oder Bundesdruckerei. Und für eFin & Demokratie setzte sich Carola Westermeier mit der Frage auseinander: Brauchen wir den digitalen Euro oder (wie) geht Geld demokratisch?2 Hier geht es zum Youtube-Video des Vortrags

Während es dabei oft wenig konkret zuging, lieferte Kudzai M. Mubaiwa vom TechHub „AfriLabs“ eine dichte Beschreibung zur Zukunft des Geldes aus der Sicht dreier afrikanischer Städte.3Hier geht es zum Youtube-Video des Vortrags. Hier blitzte in der Darstellung der diversen technologischen Optionen und ihrer jeweils spezifischen lokalen Anwendung sogar Optimismus auf: Digitales Bezahlen ermögliche alltägliche Innovationen, die keineswegs nur den etablierten Eliten vorbehalten seien.

Pay me, if you can

Soziologisch anregend war auch eine Präsentation aus dem akademischen Kontext. Das Schweizer Forschungsprojekt Digital Payments: Making payments personal and social» vermittelte Einblicke in die Transformation von sozialen Beziehungen und des Einkaufens durch die Features vor allem mobilen Bezahlens mit dem Smartphone. Verändern etwa digitale Bezahldienste das Verhalten der Beteiligten, wenn es um das Begleichen der Rechnung bei einem Date geht?

Schließlich lieferte die integrierte TINCON als Konferenz für digitale Jugendkultur noch Impulse, die aber nicht nur für Jugendliche von Interesse waren. Der Beitrag N26, Klarna und Co – Neobanking als Sparkasse der GenZ? von Victor Neumann vom Verein Invest it! verdeutlichte anschaulich die Notwendigkeit verstärkter finanzieller Bildung. Gerade bei Jugendlichen populäre Buy now, pay later-Dienste wurden hier als Herausforderung charakterisiert. Hier müsse dringend besser über die Risiken aufgeklärt werden. Wo aber dieser Bedarf nicht durch Bildungsinstitutionen befriedigt werde, entstehe eine Leerstelle, die Gefahr laufe, von fragwürdigen Finfluencern gefüllt zu werden.

Auffällig abwesend war im Programm eine Auseinandersetzung mit klassischen Kryptowerten respektive damit in Verbindung stehenden Erscheinungsformen wie Kryptobörsen. Dass parallel zur re:publica die US-amerikanische Börsenaufsicht mit Klagen gegen zwei große Handelsplattformen vorging, um eine schärfere Regulierung zu erzwingen zeigt hingegen, wie virulent solche Fragen gewesen wären. Nur zu Bitcoin gab es immerhin drei Angebote, die aber auch nicht im Sinne einer kontroversen Debatte konzipiert waren – während zwei interessante Beiträge zum Thema zudem noch parallel stattfanden. Überhaupt wurden die zum Teil doch ganz unterschiedlichen Ansätze und Interessen der anwesenden Akteur:innen kaum als strittig ausgewiesen oder diskutiert, sondern eher als Patchwork präsentiert: die re:publica 2023 – ein Markt voller Möglichkeiten, ein Kirchentag ohne Konfessionen.

Titelfoto: Stefanie Loos / re:publica» // CC BY-SA 2.0»

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Finanzplatz mit Finanzierungsproblem: Ein Zeichen für den Euro?

Finanzplatz mit Finanzierungsproblem: Ein Zeichen für den Euro?

Ein Beitrag von Erik Meyer

vom 22. Mai 2022

Bargeld verflüchtigt sich zunehmend in digitalen Zahlungsmitteln und -verfahren. Wie viel wen da die symbolische Vergegenständlichung einer Währung im öffentlichen Raum kosten darf, wurde in Frankfurt verhandelt.

Sie ist ein urbanes Symbol: die 14 Meter hohe Euro-Skulptur, die in der Frankfurter Innenstadt steht. Aufgestellt wurde das Werk des Künstlers Ottmar Hörl zur Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung zum Jahreswechsel 2001/2002 vom Frankfurter Kultur Komitee.1Zu dessen Informationen zur Euro-Skulptur geht es hier». Damals war das 50 Tonnen schwere Leuchtobjekt noch in der Nachbarschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt (siehe Gebäude rechts im Foto), die inzwischen in einen spektakulären Neubau am Main umgezogen ist. Ungeachtet dessen erfreut sich das überdimensionale Euro-Zeichen einiger Beliebtheit. Es dient nicht nur als Foto-Motiv für internationale Stadttourist:innen, sondern auch als Ort öffentlicher Auseinandersetzungen, etwa als die Occupy Wall Street-Bewegung dort ein Protest-Camp aufschlug.

Das Euro-Zeichen von Ottmar Hörl vor dem ehemaligen Gebäude der Europäischen Zentralbank (rechts).

Doch die Popularität hat ihren Preis: 200.000 € werden jährlich für Instandhaltung und Betrieb des blau-gelben Leuchtkörpers veranschlagt. Diese Summe konnte der gemeinnützige Verein aber nicht mehr ohne Weiteres aufbringen: Während der Vandalismus zunehme, so war zu hören, seien Sponsor:innen-Gelder weniger geworden. Denn das Monument löst ganz unterschiedliche Emotionen aus: Die einen halten es für „Kult” und votieren für den Erhalt,2Siehe auch das Voting der Hessenschau hier». die anderen kommentieren etwa unter einem betreffenden Zeitungsartikel, es gehöre wie der Euro selbst auf den „Müllhaufen der Weltgeschichte”3Köhler, Manfred: Euro-Skulptur in Frankfurt kann vielleicht bleiben» (FAZ, 12.08.2022)..

Die Veröffentlichung der Misere und die Rede von einer baldigen Versteigerung des Objekts führte zu einer politischen Diskussion. Die Stadt Frankfurt sah sich jedenfalls nicht in der Lage, den vakanten Betrag alleine zu übernehmen; das gäbe die Haushaltslage nicht her. Und so stand im Raum, dass sich außer der Kommune noch die EZB und das hessische Finanzministerium an der Finanzierung beteiligen sollen. Auch die FDP im zuständigen Ortsbeirat 1 wollte den Verlust des Wahrzeichens für die Europastadt Frankfurt verhindern, vertrat aber ein Crowdsourcing-Modell: „Aufgrund der angespannten Haushaltssituation der Stadt sollten jedoch städtische Mittel geschont werden; vielmehr sollte der Magistrat seine Kontakte in die der Skulptur thematisch nahestehende Finanzbranche nutzen. Bei über 200 in Frankfurt ansässigen Banken wäre die Finanzierung schon nachhaltig gesichert, wenn jede Bank im Durchschnitt nur 1.000 Euro beisteuert.”4Antrag der FDP im Ortsbeirat 1 vom 19.08.2022, OF 533/1». Eine hübsche Idee, die Geschäftsbanken und Gemeinsinn an der Graswurzel packen wollte.

Doch so kam es nicht: An Stelle alteingesessener und ehrwürdiger Institute hat ein in Frankfurt präsentes Finanz-Startup zugesagt, die Kosten für die nächsten fünf Jahre zu übernehmen. Unter dem Namen Caiz Coin wird von diesem ein islam-konformer Kryptowert entwickelt. Dieses Islamic-Finance-Projekt verbindet nun sein Logo inklusive muslimischer Mondsichel (Hilal) vor Ort mit dem Euro-Zeichen und feiert dies als Mega-Marketing-Move. Ob in Zeiten kollabierender Kryptobörsen fünf Jahre hier eine realistische Förderdauer ist, bleibt allerdings abzuwarten. 2027 könnte dann aber auch ein Digitaler Euro in den Startlöchern stehen und die EZB an einer lebensweltlich-symbolischen Verankerung von digitalem Zentralbankgeld interessiert sein.

Update vom 2.6.2023:

Nach der Insolvenz des gefundenen Sponsors ist die Zukunft der Euro-Skulptur wieder ungewiss, meldet die FAZ im Artikel Symbol des Finanzplatzes : Euro-Skulptur droht Versteigerung».

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Finanzsektor, Kryptowerte und Demokratie: Empfehlungen des Rats für Digitalethik

Finanzsektor, Kryptowerte und Demokratie: Empfehlungen des Rats für Digitalethik

24. April 2023

Der Rat für Digitalethik» wurde von der Hessischen Landesregierung gegründet, um ethische Aspekte der Digitalisierung zu identifizieren und die Landesregierung bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten zu beraten. Als wissenschaftliche Direktorin des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung ist Prof. Dr. Petra Gehring Mitglied im Rat für Digitalethik. Dieser hat Ende 2022 Empfehlungen zu den Herausforderungen der digitalen Transformation für die Stabilität von Demokratie» vorgelegt. Wir dokumentieren daraus den dritten Abschnitt mit dem Titel Finanzsektor, Kryptowerte und Demokratie.


„Die Welt des Geldes ist durch Digitalisierung deutlich abstrakter und unübersichtlicher geworden. Global tätige Internetkonzerne planen eigene Zahlungsmittel und treten damit in eine Art Konkurrenz zum Staat. Digitale Finanzprodukte, dezentrale Kreditvergabe und andere dezentrale Finanzprodukte („De-Fi“) boomen. Krypto-Werte („Krypto-Währungen“) wie Bitcoin oder Ether erfreuen sich als staatsferne Zahlungsmittel sowie als Spekulationsgegenstände mit zeitweilig hohen Renditen einer wachsenden Beliebtheit. Zahlreiche alternative Anlage- und Investitionsangebote knüpfen ebenso an die Idee eines gänzlich dem staatlichen Einfluss entzogenen Wirtschaftens an. Solche Angebote sind oft komplex, schwer durchschaubar und nicht selten unseriös. Kryptowerte unterliegen enormen Schwankungen, was deren Verwendung riskant macht. In Zeiten hoher Inflation könnte die Risikobereitschaft dennoch weiter steigen – und auch die Anziehungskraft von auf Gewinnmaximierung angelegten, libertär-anarchistischer Internet-Ideologien ist beträchtlich. Krypto-Communities grenzen sich nicht selten von demokratischer (Rechts)Staatlichkeit mehr oder weniger offen ab. Technik soll Recht und demokratische Diskurse ersetzen. Frustration über „den Staat“ kann hier Existenzkrisen und Verschuldung nach sich ziehen.


Das Wissen der Bevölkerung über Geldanlagen und Finanzmarktmechanismen generell ist in Deutschland gering und ungleich verteilt. Erst recht gilt dies für das Wissen über die digitale Transformation des Finanzsektors, die ein globales Phänomen ist, den europäischen Alltag jetzt aber erreicht hat. Zugleich drängen digitale Bezahlverfahren in Europa ganz generell die Nutzung von Bargeld zurück. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung auch in Deutschland – einem relativ bargeldfreundlichen Land – verstärkt. Digitales Bezahlen ist oft bequem. Es ist aber niemals anonym, was Befürchtungen vor gläsernen Kundinnen und Kunden und womöglich einem Überwachungsstaat weckt. Welcher Mix einer künftigen Geldnutzung passt also zu einer Demokratie?


Digitale Finanzkompetenzen stellen eine wichtige – und unterschätzte – Dimension derjenigen digitalen Kompetenzen dar, an denen es in der Gesellschaft aktuell fehlt. Eine auf Befähigung aller Beteiligten ausgerichtete Bildungspolitik muss dafür sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen digitale Finanzkompetenzen erlangen. Benötigt wird ein digitaler Verbraucherschutz, der sich in verstärktem Maße auf komplexe Finanzprodukte erstreckt. Gerade für das Land Hessen mit dem herausragenden Finanzplatz Frankfurt/Rhein-Main ist vor einem pauschalen Hype rund um neue Finanzprodukte zu warnen. Eine leistungsfähige Strafverfolgung sollte auch dem Schutz vor digitaler Finanzkriminalität und digitalen Betrugsformen dienen


Ergänzend schlägt der Rat für Digitalethik der Hessischen Landesregierung vor, eine breite, öffentliche und partizipative Diskussion über den „Digitalen Euro“ zu initiieren, also über digitales Zentralbankgeld, dessen Einführung die Europäische Zentralbank derzeit erwägt. Das erforderliche Maß an Wissen, um dieses für die Demokratie wichtige Projekt zu verstehen und zu bewerten, fehlt derzeit weitgehend – denn Geld ist etwas, das alle angeht. Selbst in den verantwortlichen Institutionen ist digitales Zentralbankgeld ein Thema, mit dem sich Fachleute intensiv befassen müssen. Veränderungen der Währung stellen eine Schlüsselfrage für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat dar. Die Hessische Landesregierung sollte daher die zu erwartende Diskussion über die Einführung und Ausgestaltung eines „Digitalen Euro“ (als einer Art anonymes digitales Bargeld) nicht nur passiv abwarten, sondern das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern eröffnen. Durch derartige partizipative Diskurse kann das Land Hessen ein Vorreiter bei der demokratischen Ausgestaltung einer künftigen digitalen Zentralbankwährung für Europa sein.“

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Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb Mercator-Journalists in Residence Uncategorized

Eine Graphic Novel zu Utopien digitalen Bezahlens

Eine Graphic Novel zu Utopien digitalen Bezahlens

Ein Beitrag von Laura Grosser

vom 24. April 2023

Welche Chancen und Risiken birgt digitales Bezahlen – und wie funktioniert es überhaupt? Dieser Frage geht Martin Karcher in seinem „BitBlockKryptoComic“ für Jugendliche und junge Erwachsene nach, an dem er als Mercator-Journalist in Residence bei ZEVEDI zu arbeiten begonnen hat.

„Leute, wartet mal, ich muss hier noch Geld abheben“ – „Für was brauchst du denn Bargeld?“: Ein Dialog zwischen vier Jugendlichen über Bezahlformen entbrennt. Ist es denn so wichtig, Geld physisch in der Hand zu haben? Viel praktischer ist es doch, es mit einem Klick oder auch nur einer Bewegung zu versenden. Bezahlen in einer digitalisierten Welt. Doch welche Infrastrukturen stecken dahinter? Und was kann dabei alles schief gehen, vor allem auch in der Art und Weise, wie wir mit den neuen Technologien umgehen? Sind die neuen Digitalwerte und -techniken eine Befreiung oder verstricken wir uns selbst in neue Unwägbarkeiten – von der Abhängigkeit von technischem Wissen bis hin zur Entstehung von finanziellen Nöten, wenn wir beispielsweise in die „Buy now, pay later“-Schuldenfalle geraten? Welche Chancen und Risiken bergen Bitcoins und andere Kryptowährungen? Ist es gut, sich von Banken und Staat abkoppeln zu wollen? Und was ist eigentlich die Blockchain-Technologie, die hinter vielem steckt? Fragen über Fragen, die sich mit dem Thema Digitalgeld beschäftigen. Und denen sich Martin Karcher in seinem „BitBlockKryptoComic“ widmet.

Der Comiczeichner Martin Karcher

Der studierte Kommunikationsdesigner und freischaffende Künstler Martin Karcher aus Leipzig, der lange Zeit in Berlin tätig war, ist vor allem als Illustrator und Graphikdesigner gefragt. Ob Sachbücher, Schulbücher oder Projektbroschüren, in den verschiedensten Formen und Kontexten lassen sich Martin Karchers Zeichnungen finden. Nicht nur Anleitungen und Abschlussberichte vermag er durch seine anschauliche Darstellungsweise aufzuwerten, auch abstrakteren Themen widmet er sich, wie zum Beispiel bei seinen Illustrationen im Herausgeberwerk der Bertelsmann Stiftung 2019: „Twelve Stars. Philosophen schlagen einen Kurs für Europa vor“.

Doch das Herz schlägt vor allem höher, wenn er sich der Königsdisziplin seines Metiers widmet: einen eigenen Comic zu entwerfen und zeichnerisch zum Leben zu erwecken. Sein letztes eigenes Großprojekt ist „Little Jane’s Mars Road Trip“, doch Auftragsarbeiten binden häufig zu viel Zeit, um sich den eigenen Ideen zu widmen.

Zugang über das Medium

Mit künstlerischem Blick wendet sich Martin Karcher den Fragen des digitalen Bezahlens zu. Wie können abstrakten Vorgänge der Digitalisierung anschaulich dargestellt werden, sodass sich auch junge Erwachsene angesprochen fühlen? Vor allem wenn sie sich noch nicht damit beschäftigt haben, was eigentlich passiert, wenn man mit seiner EC-Karte oder mithilfe von Smartphone oder Smartwatch bezahlt?

Drehbuchautor, Redakteur und Zeichner in einem, erarbeitet er sich die Inhalte über Recherchen und in Gesprächen mit dem „eFin & Demokratie“-Team des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung. Denn sein Zugang ist das Medium selbst: Martin Karcher ist ein Meister des bildlichen Erzählens. In Sachen Digitalisierung des Finanzwesens ist er dagegen ein Laie – genau dies hilft ihm aber, mit einem Blick, der durch Expert:innenengespräche geschärft wurde, die richtigen Fragen für sein Zielpublikum zu stellen.

Auf Grundlage der Diskussionen über Digitalisierung, Bitcoin und andere Kryptowerte, Blockchain-Technologie und vielem mehr entwarf er ein sogenanntes Storyboard. Auf ihm übersetzt sich das Narrativ, das der Comic erzählt, in einzelne Bildsequenzen. Es wird genau festgelegt, welche Szene sich auf welchem Bild abspielt: Welche Inhalte werden transportiert, welche Texte stehen dazu in Sprechblasen – und wer sagt sie überhaupt, welche Figuren sind anwesend in der Szene? Wie drücken sie ihre Haltung durch Gestik und Mimik aus? Und was vermitteln sie bereits durch ihre je spezifische Figürlichkeit, für welchen Typ stehen sie, welche Symbolik spricht aus ihren Kleidern, Accessoires etc.?

Was man als Drehbuchautor:in alles auf dem Schirm haben muss, welche komplexe Übersetzungsleistung abstrakter Themen in eine bildlich-anschauliche Szenerie gefordert ist, erläuterte Martin Karcher in einem internen Vortrag der Geschäftsstelle des ZEVEDI.

Interview mit Videograph Rainer Lind

Die Form dieses Projekts und der künstlerischen Tätigkeit ist nichts, was uns alltäglich begegnet, wir sehen meist nur die Produkte. Umso spannender ist es, näher hinzuschauen, denn hinter der künstlerischen Schaffensgeschichte steckt meist auch immer eine persönliche sowie eine bestimmte Haltung.  Diese sichtbar zu machen und in einem porträtartigen Video festzuhalten, versteht Videograph Rainer Lind auf ausgezeichnete Weise. Seine Interviews laden zur Selbstreflexion ein und eröffnen vielgestaltige Perspektiven auf andere Lebenswelten. Als er sich anbot, ein Interview mit Martin Karcher zu führen, das Schüler:innen wie auch allen anderen Interessierten Einblicke in Leben und Werk eines Comiczeichners gewährt, waren alle Beteiligten hellauf begeistert.

Die beiden Videoportraits finden Sie hier» und hier».

Vortrag in der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt

Nicht nur das Thema ist brisant für Jugendliche und junge Erwachsene, auch der Zugang über Comiczeichnungen ist ansprechend und hochinteressant in ihrer Entstehung – vor allem für künstlerisch versierte Schüler:innen. So staunten die Schüler:innen des Kunstleistungskurs der Bertolt-Brecht-Schule in Darmstadt nicht schlecht, als Martin Karcher ihnen vorführte, wie Schritt für Schritt seine Figuren in Photoshop Konturen annehmen. Denn Digitalisierung hält überall Einzug, auch im künstlerischen Schaffensprozess. Gebannt folgten die Schüler:innen dem Vortrag und nutzten die Gelegenheit, sich in der Diskussionsrunde mit dem Künstler auszutauschen.

Aufgezeichnet und damit künstlerisch festgehalten wurde die Veranstaltung ebenfalls von Rainer Lind, sodass Interessierte sie sich weiterhin jederzeit hier» anschauen können.

Präsentation seiner Arbeit in einer Kurzausstellung in Kooperation mit dem Kunstforum der TU Darmstadt

Die sechs Wochen der Residency waren eine intensive Zeit – allerdings zu kurz, um einen ganzen Comic fertigzustellen. Einblicke in das „Making of“ konnten Interessierte aber bereits Mitte Dezember 2022 bekommen. In einer Kurzausstellung im Foyer des Wilhelm-Köhler-Saals in der TU Darmstadt präsentierte Martin Karcher die Entstehung wie den Stand des „BitBlockKryptoComics“ sowie einige ältere Zeichnungen im Rahmen einer Kooperation mit dem Kunstforum der TU Darmstadt. Die Präsentation wurde von den Videointerviews abgerundet, die Rainer Lind führte, die in einer Videoinstallation zu einer näheren Beschäftigung mit dem Künstler einluden.

Nach einleitenden Grußworten von Prof. Dr. Petra Gehring, wissenschaftliche Direktorin des ZEVEDI sowie Leiterin des Diskursprojekts „eFin & Demokratie“, und Julia Reichelt, Leiterin des Kunstforum, war ein persönlicher Austausch mit dem Künstler über seine Werke möglich – und diese Chance ließen sich viele nicht entgehen. Kunstinteressierte konnten des Weiteren an einer Führung von Julia Reichelt durch das Kunstforum teilnehmen, in dem derzeit unter dem Titel „Still Life“ Werke von Cristof Yvoré ausgestellt wurden.

Der BitBlockKryptoComic erscheint im Herbst 2023 im Zwerchfell Verlag, wir freuen uns schon sehr darauf, die fertigen Zeichnungen bewundern zu können. Vielen herzlichen Dank an Martin Karcher für spannende Einblicke, die er uns ins „visual storytelling“ gewährte!

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