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    Autor: Erik Meyer eFin-Blog Farbe: gelb

    Coole Commons statt Krypto-Kapitalismus?

    Blockchain Radicals: How Capitalism Ruined Crypto and How to Fix It, so heißt das Buch von Joshua Dávila, auch bekannt als The Blockchain Socialist. Ein Einblick in eine ungewöhnliche polit-technologische Agenda.

    Coole Commons statt Krypto-Kapitalismus?

    Ein Beitrag von Erik Meyer

    1. Februar 2024

    Der öffentliche Blockchain-Diskurs spielt sich, vereinfacht formuliert, zwischen zwei polarisierten Positionen ab: Die Befürworter:innen halten Blockchain und Kryptowerte für die ultimative Digital-Innovation eines technologiegetriebenen (Finanz-)Kapitalismus. Zuweilen gilt Tokenisierung hier gar als Lösung für die planetaren Probleme des Wachstumsparadigmas. Die Kritiker:innen sehen den gesamten Krypto-Komplex hingegen als einen Scam wie Schlangenöl oder als Ausdruck einer Ideologie der Lösbarkeit gesellschaftlicher Probleme durch immer neue Technologie-Konzepte und haben dafür den Begriff des Techno-Solutionism geprägt.

    In dieser Diskurskonstellation bespielt Joshua Dávila als Content Creator mit der Medienmarke The Blockchain Socialist (Blog, Newsletter, Podcast und nun Buch) eine Nische. Er lässt sich als „organischer Intellektueller“1Dieser Begriff geht auf Antonio Gramsci zurück und bezeichnet bei ihm Intellektuelle, die aus einer sozialen Formation hervorgehen und deren Ideen artikulieren. einer Szene verstehen, die mit Blockchain & Co im weitesten Sinne sozialreformisch experimentiert. Mit Blockchain Radicals: How Capitalism Ruined Crypto and How to Fix It liefert der Autor gewissermaßen DEN Text dazu: historische Erzählung, weltanschauliche Einordnung, fachliche Er- und Aufklärung sowie jede Menge Beispiele für existente Anwendungen.

    Ausgangspunkt seiner Abhandlung ist die Genese von Bitcoin aus dem Geist der Cypherpunks und im Kontext der Finanzkrise von 2008. Ohne (Zentral-)Banken fungiert hier die Blockchain als dezentrales Buchungssystem. Doch ist Bitcoin überhaupt Geld bzw. sein funktionales Äquivalent? Da hat Dávila seine Zweifel. Aus seiner Sicht ist dies eine – wenn nicht ideologische, dann doch interessierte – Engführung, die dann in einem reduktionistischen Verständnis von Krypto als Finance mündet. Doch „money-like“ sei eben nicht gleich Geld (73). Er versteht Kryptowerte vielmehr als Platzhalter für Geld (66). Mit dieser Interpretation rückt Dávila Krypto in den theoretisch-ökonomischen Horizont der Commons. Dort werden Ressourcen jenseits des kapitalistischen Marktes gemeinsam hergestellt und genutzt. Es wird ausgetauscht statt getauscht und Eigentumsrechte werden relativiert bzw. verflüssigt. Ein praktisches Problem dieser im Digitalen (z.B. Creative Commons) gebräuchlichen Komplementär-Ökonomie des Teilens ist in real life häufig die Skalierbarkeit. Oder generell die Governance.Weshalb auch die Rede von „The Tragedy of the Unmanaged Common“ (Garret James Hardin) der allgemeinen Klage über die Tragik der Allmende vorzuziehen sei. Ethisch designte Token-Ökosysteme könnten in diesem Kontext eine Möglichkeit für die Regulierung von Commons sein (116).

    Im zweiten Teil des Werkes wendet der Autor seine so gewonnene Perspektive an, um DeFi zu dekonstruieren. Das ist analytisch originell, wie etwa Krypto als ein Schattenbanksystem zu verstehen (119). Der sozialutopische Tenor ist, dass mit den Möglichkeiten der Blockchain-Architektur nicht nur eine (echte) Dezentralisierung, sondern auch eine (echte) Demokratisierung der ökonomischen Sphäre machbar ist. Das wird nun weder libertär-staatsfern, noch neo-reaktionär gedacht, sondern genossenschaftlich-kooperativ. Aus der Orientierung am Paradigma der Koordination (161) folgt fast zwangsläufig ein historischer Verweis auf das aktuell wieder angesagte Projekt Cybersyn. Unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende intendierte die chilenische Regierung eine rechnergestützte Steuerung der Wirtschaft.2Ein Militärputsch beendete 1973 auch dieses kybernetische Experiment. Zum 50. Jahrestag erfuhr es zahlreiche Würdigungen und wurde u.a. ausführlich von Evgeny Morozov in seinem monumentalen Podcast-Projekt The Santiago Boys (https://the-santiago-boys.com) dokumentiert. Wer nun dem Blockchain-Sozialisten auf dem von ihm proklamierten Pfad des Techno-Probabilism (286) folgen mag, braucht aber nicht nur ein positives Menschenbild. Voraussetzung ist auch das Interesse an den Spielarten digital-linker Szenen und eines entsprechenden Jargons zwischen Informatik-Seminar und Theorie-Lesekreis.

    Joshua Dávila: Blockchain Radicals: How Capitalism Ruined Crypto and How to Fix It (2023). London: Repeater 2023.

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      Dieser Begriff geht auf Antonio Gramsci zurück und bezeichnet bei ihm Intellektuelle, die aus einer sozialen Formation hervorgehen und deren Ideen artikulieren.
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      Ein Militärputsch beendete 1973 auch dieses kybernetische Experiment. Zum 50. Jahrestag erfuhr es zahlreiche Würdigungen und wurde u.a. ausführlich von Evgeny Morozov in seinem monumentalen Podcast-Projekt The Santiago Boys (https://the-santiago-boys.com) dokumentiert.

    Erik Meyer
    ist Mitarbeiter im Diskursprojekt eFin & Demokratie, promovierter Politikwissenschafter und beschäftigt sich als Autor u.a. in seinem Blog Memorama» mit Aspekten politischer Kommunikation in der digitalen Gesellschaft.

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    Im Diskursprojekt eFin & Demokratie» beobachten und diskutieren wir den digitalen Wandel in Sachen „Geld“. Das Finanz- und Staatswesen wird davon ebenso erfasst wie unser aller Alltag und Miteinander. Unser Blog versucht, die Umwälzungen zu verstehen und die Debatte zu fördern - auch als Teil unserer Demokratie. Es schreiben Mitarbeiter:innen des Projekts und Gäste in freier und diverser Form darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert. Wir freuen uns über Kommentare unter efin@zevedi.de.