Kategorien
Autor: Anja von Rosenstiel und Daniel Ostrovski eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb

Kryptoregulierung im transatlantischen Wettstreit: Die EU-Verordnung MiCAR im Angesicht der neuen US-Kryptopolitik

Kryptoregulierung im transatlantischen Wettstreit: Die EU-Verordnung MiCAR im Angesicht der neuen US-Kryptopolitik

Ein Beitrag von Anja von Rosenstiel und Daniel Ostrovski

27. Juni 2025

Die EU war lange mit der Market in Crypto Asset Verordnung (MiCAR)1Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über Märkte für Kryptowerte (MiCAR). weltweit der „first mover“ in ihrer Anstrengung, den Kryptomarkt zu regulieren. Die 2020 von der EU-Kommission vorgeschlagene, 2023 verabschiedete und seit 2024 in Kraft getretene MiCAR erhebt den Anspruch vollumfänglich die Ausgabe und den Handel von sowie Dienstleistungen mit Blockchain-Token, in der MiCAR als „Kryptowerte“ bezeichnet, zu regeln. Die MiCAR spickt dabei in ihrem Regelungsmodell bei bewährten Regelwerken des europäischen Finanzmarktaufsichtsrechts. Die Strenge der verordneten Regeln variiert abhängig von der Art des jeweiligen Kryptowerts – in jedem Fall erhöht die MiCAR aber die Barrieren für den Marktzutritt in der EU.

Ein Blick auf eine Wettlaufbahn, MiCAR mit EU Flagge und GENIUS mit US-Flagge laufen gegeneinander und USA holt auf

Gegenläufig ist dagegen die Entwicklung in den USA: Während bis zuletzt die Wertpapieraufsicht, die Securities and Exchange Commission (SEC), in zahlreichen Verfahren quasi jegliche Aktivität auf dem Kryptomarkt – von der Kapitalbildung, Verwahrung bis hin zum Zweitmarkthandel – als Verstoß gegen das US-Wertpapierrecht und damit als illegal behandelt hat, hat nun der Regierungswechsel im Januar 2025, in Folge eines präsidentiellen Dekrets, eine radikale Kehrtwende der SEC und anderer Aufsichtsbehörden im Umgang mit dem Kryptomarkt mit sich gebracht. Statt kryptofeindlichen Durchsetzungsmaßnahmen steht jetzt Innovation an erster Stelle und damit verbunden eine umfassende Liberalisierung des Marktes. Nunmehr ist in den USA der Kongress am Zug und eine gesetzliche Regulierung des Kryptomarkts in den USA scheint in Sicht zu sein. Eine solche Regulierung kann Auswirkungen auf die EU haben – eine Betrachtung der MiCAR in diesem Lichte drängt sich daher auf.

Abschied vom übergeordneten Ziel der Finanzstabilität

Eine parteiübergreifende Mehrheit im US-Kongress will dem rasant wachsenden Kryptomarkt einen gesetzlichen Rahmen geben. Die Namen der Gesetzesvorschläge, „FIT21“ oder „GENIUS Act“, reflektieren die Absicht des großen Wurfs. Überschattet wird dieses Reformbemühen allerdings von dem persönlichen Engagement des Präsidenten und anderer Mitglieder seiner Regierung auf dem Kryptomarkt. Die republikanische Mehrheit sieht in dieser „krypto-freundlichen Haltung“ die Chance, den Finanzmarkt grundlegend zu reformieren. Die Demokraten sind tief gespalten, ob sie durch Totalverweigerung und Erhalt des Status Quo oder konstruktive Zusammenarbeit und Schaffung eines Regelungsrahmens der „Korruption“ Grenzen setzen sollen.2Vgl. Presseerklärung des U.S. Senats vom 11. Juni 2025: https://www.banking.senate.gov/newsroom/minority/on-senate-floor-warren-urges-colleagues-to-use-their-leverage-and-vote-no-on-genius-act-until-critical-issues-addressed. Einzelne Demokraten haben Gesetzesvorschläge vorgelegt, wie z. B. den Meme Coin Act, um Meme Coins in Reaktion auf den $Trump Token zu verbieten,3Vgl. 119th Congress (2025-2026): MEME Act, S.1620: https://www.congress.gov/bill/119th-congress/senate-bill/1620/text/is. oder den End Crypto Corruption Act, um jegliches Krypto-bezogene Engagement von Regierungsmitgliedern zu unterbinden,4Vgl. 119th Congress (2025-2026): End Crypto Corruption Act, S. 1668: https://www.kelly.senate.gov/wp-content/uploads/2025/05/End-Crypto-Corruption-Act.pdf. in Anspielung auf den Milliardengewinn der Trump-Familie aus ihren Krypto-Investitionen5Vgl. Trump family’s net worth has increased by $2.9 billion thanks to crypto investments, new report says, CBS News, 2. Mai 2025: https://www.cbsnews.com/news/trump-family-net-worth-crypto-investments/.. Nichtsdestotrotz verabschiedete der Senat mit parteiübergreifender Mehrheit am 17. Juni 2025 den GENIUS Act. Die Befürworter unter den Demokraten wollten nicht als innovationsfeindlich gelten und mit dem GENIUS Act mit anderen Rechtsordnungen wie derjenigen der EU aufschließen. Die Stimmverweigerer wollten,6Vgl. Trump to host dinner for top holders of his crypto token – although many lost money with it, The Guardian, 22. Mai 2025: https://www.theguardian.com/us-news/2025/may/22/trump-crypto-sweepstakes-dinner. indem sie so auch den von der Trump-Familie über die Plattform World Liberty Financial herausgegebenen Stablecoin legalisieren, nicht auch noch Beihilfe zu solcher Vorteilsannahme leisten.7Vgl. Trump’s stablecoin chosen for $2 billion Abu Dhabi investment in Binance, co-founder says, Reuters, 1. Mai 2025: https://www.reuters.com/world/middle-east/wlfs-zach-witkoff-usd1-selected-official-stablecoin-mgx-investment-binance-2025-05-01/.

Im nächsten Schritt muss der Guiding and Establishing National Innovation for US Stablecoins Act (GENIUS Act)8Vgl. Text – S.394 – 119th Congress (2025-2026) – GENIUS Act: https://www.congress.gov/bill/119th-congress/senate-bill/394/text. mit dem Stablecoin Transparency and Accountability for a Better Ledger Economy Act of 2025 (STABLE Act)9Text – H.R. 2392 – 19th Congress (2025-2026) – STABLE ACT: https://www.congress.gov/bill/119th-congress/house-bill/2392/text. dem Gesetzesentwurf aus dem Repräsentantenhaus (sog. House), abgeglichen werden und das House einem solchen Gesetz zustimmen. Schon gibt es Streit, ob GENIUS und STABLE Act verschmolzen oder das House lediglich dem GENIUS Act nach dem Willen von Präsident Trump zustimmt.10Vgl. GENIUS Act Reaches House But Progress Hinges On CLARITY Act Merger, Coingape, 25. Juni 2025:https://coingape.com/genius-act-reaches-house-but-progress-hinges-on-clarity-act-merger/. Die Gesetzespakete sind in den wesentlichen Punkten, wie z. B. Nicht-Banken das Emittieren von Payment Stablecoins zu erlauben, was die 100% Garantie des Rücktauschanspruchs oder das Reservemanagement angeht, sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich aber in einem wichtigen Punkt, nämlich ob widersprechende Regelungen einzelner Bundesstaaten durch das Bundesgesetz ausgeschlossen werden sollen. Der STABLE Act sieht das vor, der GENIUS Act schweigt dazu. Das könnte im Repräsentantenhaus zum Problem werden. Die parteiübergreifenden Argumente für die Verabschiedung eines konsolidierten Gesetzesentwurfs sind dieselben wie im Senat: Die Vormachtstellung des Dollars auch im Digitalzeitalter zu erhalten, einen rasant wachsenden neuen Absatzmarkt für US-Staatsanleihen zu schaffen11Vgl. Präsentation des Treasury Borrowing Advisory Committee (TBAC), 30. April 2025: https://home.treasury.gov/system/files/221/TBACCharge2Q22025.pdf. und schließlich ausländische Emittenten, allen voran Tether, die ihre Dollar-gebundenen Stablecoins auf dem US-Markt anbieten, zu regulieren. Zurzeit halten Dollar-gebundene Payment Stablecoins 99 % des 234-Milliarden-Dollar-Marktes.12Vgl. ebd. und Treasury Secretary Scott Bessent sees stablecoins creating $2T in demand for government debt, CryptoSlae, 8. Mai 2025:https://cryptoslate.com/treasury-secretary-scott-bessent-sees-stablecoins-creating-2t-in-demand-for-government-debt/.

Das Thema Finanzstabilität, in der MiCAR durch die Anwendung bankaufsichtsrechtlicher Instrumente auf Nicht-Banken und Kryptowert-Emittenten abgedeckt, findet im Genius Act keine Entsprechung. Nicht-Banken müssen als Stablecoin-Emittenten nach dem GENIUS Act keine erhöhte Eigenkapitalquote bilden, wie es für Stablecoin-Emittenten unter der  europäischen Regelung Pflicht ist.13Vgl. Erwägungsgrund Nr. 59 und 71 MICAR Der GENIUS Act sieht zwar ebenso wie MiCAR eine 100-Prozent-Deckung des Rücktauschanspruchs vor. Jedoch unterliegen diese Emittenten nicht den strengen Kapitalanforderungen, die für Banken gelten.14Vgl. Stablecoin Legislation: An Overview of S. 919, GENIUS Act of 2025 : https://www.congress.gov/crs-product/IN12522. Daneben darf das Reservevermögen auch von Nicht-Banken verwahrt werden.15Vgl. Stablecoin Legislation: An Overview of S. 919, GENIUS Act of 2025, Update vom 16. April 2025: https://www.congress.gov/crs_external_products/IN/PDF/IN12522/IN12522.2.pdf.Hier zeigt der GENIUS Act, dass er den Einstieg von Nicht-Banken in den Finanzsektor erleichtern und nicht erschweren will.16Vgl. Why Passing the Stablecoin GENIUS Act Might Not Be So Smart, The New Yorker, 23. Juni 2025: https://www.newyorker.com/news/the-financial-page/why-passing-the-stablecoin-genius-act-might-not-be-so-smart.

Zuvor hatten die für die Aufsicht des Bankensektors zuständigen US-Behörden die von ihnen beaufsichtigten Finanzinstutionen angewiesen, diesen Fintechs keinerlei Serviceleistungen anzubieten und den Zugang zur förderalen Bankinfrastruktur zu verweigern. Es war eine der Hauptforderungen der Kryptoindustrie im Wahlkampf 2024, dieses sog. Debanking zu beenden.17Vgl. Anja von Rosenstiel: Die 180-Grad-Wende – die Folgen des Wahlausgangs in den USA für den U.S. Kryptomarkt, RDi 2025, 75 (80 ff.); vgl. Myth vs. Fact: The GENIUS Act, US Senate Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs, Newsroom, 8. Mai 2025: https://www.banking.senate.gov/newsroom/majority/myth-vs-fact-the-genius-act#:~:text=Fact:%20The%20bill%20imposes%20guardrails,as%20they%20do%20for%20banks. Das Ergebnis ist diese FinTech-freundliche Regelung zugunsten der Etablierung von Innovation im Finanzsektor, wie der Titel des Gesetzes es verspricht. Diese Innovation ermöglicht es nun auch „Big Tech“ wie Amazon oder Walmart, Stablecoins herauszugeben, wenn sie sich dem Aufsichtsregime als Finanzinstitutionen unterwerfen.18Vgl. Myth vs. Fact: The GENIUS Act, US Senate Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs, Newsroom, 8. Mai 2025: https://www.banking.senate.gov/newsroom/majority/myth-vs-fact-the-genius-act#:~:text=Fact:%20The%20bill%20imposes%20guardrails,as%20they%20do%20for%20banks. Demokratische Gegner des Gesetzesentwurfs sehen darin eine Aufhebung der Trennung zwischen Banken und Handel, die bisher als gesetzlich verankertes Grundprinzip galt.19Vgl. Big Techs consider adopting stablecoins as GENIUS Act debate continues, 6. Juni 2025, Cointelegraph: https://cointelegraph.com/news/big-tech-considers-adopting-stablecoins-as-genius-act-debate-continues. Verbraucherschutz findet sich nicht nur nicht im Titel des Gesetzes wieder, sondern wird zugunsten der Innovation hinten angestellt. Die Zusammensetzung des Reservevermögens zur Deckung des Rücktauschanspruchs unterliegt über monatliche Berichtspflicht und jährliche Audits zwar dem Transparenzgebot. Im Gegensatz zu MiCAR sieht der GENIUS Act aber keine Verhaltens- oder Marktmissbrauchsregeln vor, welche Verbraucher gegenüber unfairen Geschäftspraktiken oder eben Interessenkonflikten wie nach der MiCAR schützen würden und ihnen, wie durch MICAR geschehen, ein Beschwerdeverfahren zur Durchsetzung ihrer Rechte an die Hand gäbe.

Wilder Westen oder innovative Marktinfrastruktur?

Grenzenlose Ausweitung des SEC Mandats unter der Regierung Biden

Payment Stablecoins werden nunmehr gemäß GENIUS Act der Bankenaufsicht, die für die Regelung des Zahlungsverkehrs zuständig ist, unterstellt, wenn sie nicht unter den Schwellenwert von zehn Millarden Dollar fallen und von den Aufsichtsbehörden der Bundesstaaten reguliert werden.20Vgl. Vgl. Stablecoin Legislation: An Overview of S. 919, GENIUS Act of 2025 : https://www.congress.gov/crs-product/IN12522. Sog. Meme Coins hingegen fallen nach Entscheidung der Securities Exchange Commission (SEC) nicht mehr unter die Kapitalmarktaufsicht.21Vgl. Staff Statement on Meme Coins, US Securities and Exchange Commission, 27. Februar 2025: https://www.sec.gov/newsroom/speeches-statements/staff-statement-meme-coins; Statement on Stable Coins, US Securites and Exchange Commission, 4. Apil 2025: https://www.sec.gov/newsroom/speeches-statements/statement-stablecoins-040425.Die Verfahren gegen die größten Krypto-Börsen, allen voran Coinbase und jüngst gegen Binance Holding Ltd., einer Kryptobörse, der die SEC unter Biden noch Veruntreuung von Kundengeldern und Täuschung der Aufsichtsbehörden vorgeworfen hat, hat die SEC eingestellt.22 SEC Announces Dismissal of Civil Enforcement Action Against Coinbase, US Securities and Exchange Commission, Press Release, 27. Februar 2025: https://www.sec.gov/newsroom/press-releases/2025-47; Litigation Release No. 26316, US Securites and Exchange Commission, 29. Mai 2025: https://www.sec.gov/enforcement-litigation/litigation-releases/lr-26316 Damit ist die Ära, durch entsprechende Durchsetzungsmaßnahmen den Kryptomarkt zu regulieren, endgültig vorbei. Während der Amtszeit von Präsident Biden hatte die SEC versucht durch eine Vielzahl von Klagen gegen Kryptobörsen, aber auch gegen Software-Anbieter, ihre Allzuständigkeit für den Kryptomarkt durchzusetzen und damit ihr auf den Kapitalmarkt beschränktes Mandat am Kongress vorbei, zu Lasten der Jurisdiktion anderer Aufsichtsbehörden, so weit wie möglich auszuweiten.23Vgl. Is the US trying to kill crypto?, BBC, 15. Juni 2023: https://www.bbc.com/news/business-65861096. Als Gipfel dieses Übergriffs galt der Staff Accounting Bulletin (SAB) No. 121 der SEC, Verwahrern von Kryptowerten vorzuschreiben, verwahrte Kryptowerte als entsprechenden Vermögenswert in ihren Bilanzen zu führen. Beide Häuser des Kongresses hatten kurz vor der Wahl für die Aufhebung dieser Richtlinien gestimmt. Präsident Biden hatte diese Regelung jedoch mit Hilfe seines Vetos am Leben erhalten und damit das Vorgehen der SEC gutgeheissen. Daneben hatte die Vize-Vorsitzende des Bankenausschusses im Senat, Elizabeth Warren, nach einer Reihe von Krypto-Skandalen, allen voran FDX, eine sog. Anti-Krypto Armee ins Leben gerufen,24Vgl. Elizabeth Warren is building an anti-crypto army. Some conservatives are on board, Politico, 14. Februar 2023: https://www.politico.com/news/2023/02/14/elizabeth-warren-anti-crypto-ftx-00082624. um über eine massive Ausweitung der Geldwäscheregeln und Blockadehaltung gegenüber Gesetzesentwürfen zur Schaffung einer geregelten Marktinfrastruktur, die Technologie aus Sicht der Krypto-Industrie totzuregeln statt sie zu legalisieren und rechtssicher zu regeln wie z.B. in der EU unter MiCAR geschehen.

Der Digital Asset Market Clarity Act des Repräsentantenhauses

Das Repräsenantenhaus hatte nämlich schon in der letzten Legislaturperiode versucht, Marktinfrastrukturgesetzgebung auf den Weg zu bringen.25Anja von Rosenstiel: Der Financial Innovation Act for the 21st Century: Eindlich eine Rahmengesetzgebung für Kryptowerte in den USA?, RDi 2024, S. 337. Der Financial Innovation and Technology for the 21st Century Act – kurz FIT21 Act – wurde schon vor der letzten Wahl mit parteiübergreifender Mehrheit vom House verabschiedet. Mit FIT 21 sollte nicht zuletzt die von der SEC beanspruchte Allzuständigkeit für Kryptowerte, z.B. auch Softwarebetreiber als Börsenhändler einzustufen, eingedämmt werden. Der Krypto-feindliche Bankenausschuss des Senats blockierte dann jedoch die Verabschiedung einer umfassenden Regelung. Der Clarity Act baut auf FIT21 Act auf, der noch im Schatten der großen Kryptopleiten, wie z.B. FTX, abgefasst worden war. Mit der industriefreundlichen Haltung der neuen Regierung, nimmt der CLARITY Act deutliche Änderungen am alten Entwurf des FIT 21 Act vor:

Kryptowerte, die nicht als Zahlungstoken (Payment Stablecoin) einzustufen sind, werden zukünftig grundsätzlich Waren- und nicht Wertpapiercharakter haben. Payment Stablecoins werden im GENIUS Act bzw. STABLE Act geregelt. Dem Diskussionsentwurf aus dem Finanzausschuss des Repräsentantenhauses zufolge will der Digital Asset Market Clarity Act (CLARITY Act)26Vgl. Text -H.R. 3633- 119th Congress (2025-2026): Digital Asset Market Clarity Act (CLARITY Act): https://www.congress.gov/bill/119th-congress/house-bill/3633/text. Innovation fördern. Innovation soll zukünftig bei der Regelsetzung Zielsetzung der SEC sein.27Vgl. One Pager CLARITY Act, US House Committee on Financial Services, Mai 2025: https://financialservices.house.gov/uploadedfiles/2025-05-29_-_comms_one-pager_-_clarity_act_of_2025_-_final.pdf. Durchsetzungsmaßnahmen sollen sich auf Betrugsbekämpfung und Marktmissbrauch beschränken.28Vgl. Testimony Before the United States House Appropriations Subcommittee on Financial Services and General Government, SEC Chairman Paul S. Aktins, 20. Mai 2025: https://www.sec.gov/newsroom/speeches-statements/atkins-testimony-fsgg-052025. Als digitale Waren würden Kryptowerte ihren Wert aus ihrer Funktionalität für die jeweilige Blockchain ableiten. Es bleibt fraglich, ob damit Emittenten klare Kriterien vorgegeben werden, die ausreichen, um diese Klassifizierung auch ohne anwaltliche Hilfe vorzunehmen. So werden sie den Nutzen für die Blockchain nicht immer vom Spekulationsinteresse klar trennen und damit rechtssicher abgrenzen können.

Mit der Klassifizierung als Ware würde sich der Kryptomarkt im Gegensatz zu Europa grundsätzlich selbst regulieren. Denn für den Warenverkehr ist die dünn besetzte Commodity Futures Trading Commission (CFTC) zuständig. Mangels entsprechender Personalausstattung und wegen ihres begrenzten Mandats, die Marktintegrität zu sichern und Preismanipulation zu verhindern, bedient sie sich sog. Self-Regulatory Organisations (SROs). In diesem Rahmen ist eine Marktinfrastruktur vorgesehen, welche die vertikale Integration verschiedener Leistungen und den Handel auch mit Waren, also auch mit Wertpapieren aus einer Hand zulassen wird, vorausgesetzt die Anbieter melden sich bei der CFTC an.29Vgl. Sec. 106, siehe Zusammenfassung CLARITY ACT bei: https://financialservices.house.gov/uploadedfiles/2025-05-29_-_sbs_-_clarity_act_of_2025_-_final.pdf.

Wenn es sich um Kryptowerte sog. ausgereifter Blockchain-Systeme („mature blockchain“) handelt, sollen diese nicht unter die Kapitalmarktaufsicht fallen.30 Vgl. Sec. 202 und 203, siehe Zusammenfassung CLARITY Act ebd.: https://financialservices.house.gov/uploadedfiles/2025-05-29_-_sbs_-_clarity_act_of_2025_-_final.pdf. Damit wären die Kryptowerte der bekanntesten Blockchain-Systeme wie z.B. Ethereum, Solana, XRP, BNB und Cardano nunmehr per Gesetz Waren und ihr Weiterverkauf hätte Waren- und nicht mehr Wertpapiercharakter. Die Kategorisierung als mature blockchain erfolgt wiederum über die Selbstzertifizierung, der die SEC lediglich widersprechen kann. Genau diese Frage der wertpapierrechtlichen Einordnung des Weiterverkaufs solcher Kryptowerte stellte jahrelang die „Frontlinie“ zwischen der SEC unter dem SEC-Vorsitzenden Gensler und den größten US-Kryptobörsen in den o.g. Gerichtsprozessen dar.

Bestimmte dezentralisierte Finanzdienstleistungen (DeFi) wie das Staking, das Betreiben von sog. User Interfaces oder die Veröffentlichung von Softwarecodes, will das Gesetz als Softwareanwendungen von der Finanzaufsicht ausnehmen, außer soweit Betrugsbekämpfung und Marktmissbrauch betroffen sind.31Vgl. Sec. 409, siehe Zusammenfassung CLARITY ACT: https://financialservices.house.gov/uploadedfiles/2025-05-29_-_sbs_-_clarity_act_of_2025_-_final.pdf.

Es bleibt spannend, ob angesichts der Politisierung und damit Polarisierung des Themas Krypto eine Mehrheit im US-Repräsentantenhaus für dieses Gesetzespaket zustandekommen wird. Der Senat hat die Entgegennahme des Gesetzesentwurfs erst einmal auf den Herbst verschoben.32Vgl. CLARITY Act Will Miss Trump’s August Deadline: Senate Banking Chairman, Unchained, 17. Juni 2025: https://unchainedcrypto.com/clarity-act-will-miss-trumps-august-deadline-senate-banking-chairman/. Wenn schon viele demokratische Senatoren die Zustimmung zu Regeln für Stablecoins als Legalisierung von Korruption werten, wird es schwierig werden, demokratische Abgeordnete zu finden, welche den Kapitalmarkt derart umfassend deregulieren wollen – zumal wenn Regierungsmitglieder Anbieter auf diesem Markt sind. Die demokratische Vize-Vorsitzende des Finanzausschusses hat bereits einen Gesetzesentwurf vorgelegt: Stop Trading, Retention, and Unfair Market Payoffs in Crypto, also den STOP TRUMP in Crypto Act.33Vgl. H.R. 3573 – Stop Trading, Retention, and Unfair Market Payoffs in Crypto Act 2025 – 119th Congress (2025-2026) – Stop TRUMP in CRYPTO Act: https://www.congress.gov/bill/119th-congress/house-bill/3573/text

Sollte diese Deregulierung durch Dezentralisierung und Selbstzertifizierung jedoch gelingen, würden die USA Maßstäbe für andere Rechtsordnungen setzen. Über diese eingeschränkte Regulierung und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Lizenzen sollen ausländische Anbieter auf den unternehmensfreundlichen US-Markt gelockt werden.34Vgl. S. 1582 – 119th Congress – GENIUS Act, Sec. 3(b) 2(b). Der Standortwettbewerb würde sich dadurch deutlich verschärfen.

Der europäische Ansatz: MiCAR

Blickt man auf die regulatorischen Entwicklungen in den USA, erscheint der europäische Ansatz vergleichsweise technokratisch. Die im Mai 2023 verabschiedete MiCAR beansprucht seit dem 30. Dezember 2024 volle Geltung und ist damit in all ihren Teilen anwendbar. Die Adressaten, Emittenten von Kryptowerten, allen voran Emittenten von Stablecoins, die die MiCAR als „vermögenswertereferenzierte Token“ und „E-Geld-Token“ bezeichnet, aber auch Emittenten der meisten anderen Kryptowerte, sowie Anbieter von Kryptowerte-Dienstleistungen, müssen sich nun an die europäischen Spielregeln halten.

Technokratisch erscheint dieser Ansatz, weil ihm die enorme Politisierung der US-Regulierungsdebatte fehlt. Zwar waren und sind einzelne Regelungen der MiCAR umstritten, insgesamt scheint aber über Parteien und Länder hinweg Übereinstimmung über Regulierungserfordernis und Regulierungssystem zu herrschen. Technokratisch scheint der Ansatz auch deshalb zu sein, da kein vollständig neues Regelungsregime als Ergebnis eines politischen Ringens um Kryptomärkte geschaffen wurde, sondern eher im Sinne eines Copy & Paste die bislang geltenden Regelungen für klassische Finanzinstitutionen (insbesondere Finanzdienstleister und E-Geld-Emittenten) und die kapitalmarktrechtlichen Regelungen, wie insbesondere die der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II)35Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU:https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0065. in die MiCAR übernommen wurden. Das Bank- und Kapitalmarktrecht der EU insgesamt hat den gleichen teil-technokratischen Ansatz, basieren die Regelungssysteme doch vornehmlich auf Vorschlägen von Expertengremien wie bspw. dem Basel-Komitee für Bankenaufsicht.

Im Gegensatz zum GENIUS ACT beansprucht MiCAR ein technologisch neutrales Regelwerk zu sein, und passt die o.g. Regeln nur teilweise granular an die technischen Besonderheiten Blockchain-basierter Produkte an.36Vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 MiCAR. Im Übrigen fallen Produkte, die bereits vom „alten“ Recht erfasst werden, wie bspw. das Einlagengeschäft oder die Emission von Finanzinstrumenten, weiterhin unter die traditionellen Rechtssysteme, auch wenn diese Blockchain-basiert sind. Zweck der Regulierung ist eben auch – vielleicht sogar vornehmlich – befürchtete Risiken in und durch Kryptomärkte abzumildern. Die MiCAR soll die „zusätzlichen Herausforderungen für die Finanzstabilität“ angehen sowie „das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme, die geldpolitische Transmission oder die Währungshoheit“ sichern.37Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 MiCAR. Die genannten „Herausforderungen“, insbesondere die Sicherung der Finanzstabilität, entsprechen den Kernzwecken geltender Finanzmarktregulierung. Die befürchteten Herausforderungen entsprechen nach Ansicht der EU-Gesetzgeber also den Risiken des klassischen Finanzmarkts – daher entlehnt sich die MiCAR auch dessen Regulierungssystemen.

Stablecoins werden in der MiCAR als „vermögenswertereferenzierte Token“ oder „E-Geld-Token“ bezeichnet, abhängig vom jeweiligen Referenzwert, der durch den Stablecoin abgebildet werden soll. Diese in der Industrie eher untypische Klassifizierung unterschiedlicher Stablecoinarten folgt der Risikologik der MiCAR: Vermögenswertereferenzierte Token leiten ihren nominalen Wert von Werten oder Rechten ab oder auch Körben unterschiedlicher Werte oder Rechte. Ein vermögenswertereferenzierter Token könnte also bspw. den Goldpreis referenzieren, einen Korb aus Gold, Silber und ggf. weiteren Edelmetallen, aber z.B. auch einen Korb unterschiedlicher amtlicher Währungen. Dagegen leiten E-Geld-Token ihren nominalen Wert ausschließlich von einer amtlichen Währung ab – ihr Wert entspricht also bspw. einem Euro oder einem Dollar.38Im Detail lässt sich diese Klassifizierung nachlesen bei Ostrovski, in: Meier (Hrsg.), Handbuch MiCAR, Kap. 5 Rn. 47 ff. Während vermögenswertereferenzierte Token einer Vielzahl von Zwecken dienen können, stellen E-Geld-Token Blockchain-basierte alternative Zahlungsmittel dar.39Vgl. Erwägungsgrund Nr. 18 MiCAR. Als solche stellen sie die Finanzstabilität und die Funktionsfähigkeit der Finanzsysteme vor Herausforderungen. Zusätzliche währungspolitische Herausforderungen stellen sich, wenn die in der EU angebotenen E-Geld-Token nicht Euro-gebunden sind, sondern an eine andere Währung (bspw. Dollar), welche dadurch stärkere Verbreitung im Euro-Raum finden kann.

Stablecoin-Emittenten müssen in der EU strenge Anforderungen beachten, um eine Erlaubnis zu erhalten (und zu behalten). Dazu gehört nicht nur das Vorhalten einer Vermögenswertreserve, die die Rücktauschansprüche der Stablecoin-Inhaber absichern muss, sondern auch strenge Anforderungen an bspw. die Geschäftsorganisation sowie das Vorhalten ausreichender Eigenmittel.40Vgl. für vermögenswertereferenzierte Token Art. 27 ff. MiCAR und für E-Geld-Token Art. 48 ff. MiCAR i.V.m. Titel II und III der E-Geld-RL. Letztere Anforderung, die wie oben beschrieben im GENIUS Act fehlt, dient ganz maßgeblich der Absicherung der Solvenz-Risiken des Emittenten und damit dem Schutz vor dominoartigen Zusammenbrüchen des Finanzmarkts. Eins der zentralen Gremien globaler Standardsetzung in der Bankenregulierung, das Basel-Komitee für Bankenaufsicht,41Kurzinfo (auf Englisch): https://www.bis.org/bcbs/index.htm?m=88.. arbeitet stetig an der Verbesserung der Eigenmittelanforderungen für Banken im Rahmen des „Basel Frameworks“, welches regelmäßig ohne größere Änderungen in EU-Recht umgesetzt wird. In Folge der letzten großen Finanzkrise verschärfte das Basel-Komitee seine Standards im Rahmen der als „Basel III“ bekannten Änderungen.42Vgl. Basel III: international regulatory framework for banks: https://www.bis.org/bcbs/basel3.htm?m=76. Das zeigt, dass die Solvenz von Instituten und damit Eigenmittelanforderungen im Zentrum moderner Finanzmarktregulierung steht. Es verwundert insofern auch nicht, dass die jüngsten Änderungen der Basel-Richtlinie besondere Eigenmittelvorschriften für Institute vorsehen, die Kryptowerte in ihren Bilanzen halten.43Vgl. Prudential treatment of cryptoasset exposures, Basel Committee on Banking Supervision,Dezember 2022: https://www.bis.org/bcbs/publ/d545.pdf. Die US-Regulierung setzt sich dem dagegen ausdrücklich entgegen: Vor dem Hintergrund, dass der Vorsitzende des Bankenausschusses des US-Senats diese Basel-III Standards ablehnt, weil sie Endkunden den Zugang zu Kapital erschweren, setzt der GENIUS Act Basel III nicht um.44Vgl. Scott Responds to Vice Chair Barr’s Remarks on Future of Basel III Endgame, 10. September 2024: https://www.banking.senate.gov/newsroom/minority/scott-responds-to-vice-chair-barrs-remarks-on-future-of-basel-iii-endgame.

Auch wenn MiCAR die Finanzstabilität priorisiert, will der europäische Gesetzgeber mit der Regulierung der Kryptomärkte auch Innovation und (fairen) Wettbewerb fördern. Insofern ist die MiCAR natürlich nicht rein technokratischer Natur, sondern verfolgt auch wirtschaftspolitische Absichten. Als „first mover“ hat MiCAR Kryptowerte legalisiert und mit klaren Regelvorgaben Rechtssicherheit geschaffen. In den USA war dies jahrelang die Hauptforderung der Krypto-Industrie.45Vgl. als Beispiel die Erklärung zur Unterstützung des SuperPacs Fairshake durch Zahlungsdienstleister Stronghold, Herbst 2024: https://stronghold.co/learn/the-real-reason-stronghold-is-all-in-on-fairshake Dadurch wollte der europäische Gesetzgeber Unternehmen des Kryptosektors in die EU ziehen.46Vgl. Erwägungsgrund Nr. 1 und 6 MiCAR. Gerade die umfassende Harmonisierung der Regelungen über den gesamten EU-Binnenmarkt hinweg schafft eine übergreifende Rechtssicherheit, die es Unternehmen auch ermöglicht, im gesamten Binnenmarkt tätig zu werden, ohne in jedem Mitgliedstaat gesonderte Erlaubnisse beantragen zu müssen. So entsteht, das ist jedenfalls Teil des Kalküls, ein attraktiver Gesamtmarkt von ca. 450 Millionen EU-Bürgern.

MiCAR – Erste Resultate

Das die EU hier strengere Maßstäbe setzt als andere Rechtsordnungen, zeigt sich mittlerweile auch in der Praxis: Die Emittentin des weltweit drittgrößten Stablecoins „USDe“, die Ethena GmbH mit Sitz in Frankfurt, zog jüngst ihren Erlaubnisantrag bei der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin zurück, nachdem die BaFin u.a. aufgrund „gravierende(r) Mängel in der Geschäftsorganisation sowie Verstöße(n) gegen die Anforderungen der MiCAR etwa zur Vermögenswertreserve und zur Einhaltung der Eigenmittelanforderungen“ das Neugeschäft der Ethena mit USDe untersagte.47Ethena GmbH: BaFin stoppt Neugeschäft in USDe-Token, BaFin, 21.03.2025, geändert am 25.06.2025: https://www.bafin.de/ref/19817762. Noch macht Ethena mit seinem algorithmischen Stablecoin auch einen Bogen um die USA. Das wird sich ändern, sobald eine gesetzlich geregelte Marktinfrastruktur besteht.

Ob die Strenge der EU, gepaart mit geschaffener Rechtssicherheit, durch einen wachsenden Markt in der EU belohnt wird, bleibt noch unklar. Einige positive Signale sind aber zu beobachten: Höhere Investitionen durch institutionelle Investoren, wachsende Anzahl von Anbietern von Kryptowerte-Dienstleistungen und insgesamt ein wachsender Markt – all das ist wohl zurückzuführen auf starke Investorenschutzregelungen und geschaffene Rechtssicherheit.48Vgl. EU MiCA Regulations Statistics 2025: The Impact on Crypto Market, CoinLaw, 16. Juni 2025: https://coinlaw.io/eu-mica-regulations-statistics/. Widersprechende Beispiele finden sich aber auch: So zog sich Tether, Emittent des weltweit größten Stablecoins „USDT“, mit dessen Euro-Ableger vom europäischen Markt zurück.49Vgl. Tether ends EURT stablecoin support citing EU’s MiCA regulations, Coingeek, 29. November 2024: https://coingeek.com/tether-ends-eurt-stablecoin-support-citing-eu-mica-regulations/. Wie sich Tether in Bezug auf den GENIUS Act positionieren wird, bleibt abzuwarten. Tether’s Lizenz aus El Salvador wird selbst die neue unternehmensfreundliche US Bankenaufsicht nicht anerkennen.50Vgl. Crypto firm Tether and its founders finalizing move to El Salvador, Reuters, 13. Januar 2025, https://www.reuters.com/technology/crypto-firm-tether-its-founders-finalising-move-el-salvador-2025-01-13/.

Schutz vor US-Dominanz?

Die Frage nach dem Erfolg der MiCAR bringt aber noch eine weitere, weitaus politischere Dimension mit sich: In der MiCAR dürfte auch die Hoffnung stecken, auf Euro lautende Stablecoin zu fördern und so eine stärkere finanzielle Souveränität über den „europäischen“ Kryptomarkt zu gewinnen. Europäische Web3 Verfechter haben die Vision eines innovativen Internets, welches anders als das Web2 nicht mehr überwiegend durch US Firmen zentral kontrolliert, sondern durch eine dezentrale, auf eine unbegrenzte Vielzahl von Nutzern verteilte Architektur gesteuert wird. Aber auch zentralisierte staatliche und private Projekte, wie bspw. der Digitale Euro der EU oder tokenisierte Sichteinlagen der Geschäftsbanken, zielen bei der Modernisierung ihrer Finanzinfrastruktur durch Umstellung auf Blockchain-Technologie darauf, die Dominanz amerikanischer Online-Zahlungsinfrastrukturen im Web2 aufzubrechen. Allerdings, wie bereits oben erläutert, ist der Stablecoinmarkt „dollarisiert“  – 99% der im Umlauf befindlichen Stablecoins sind Dollar-gebunden. Diese Dollarisierung wirkt sich nicht nur auf die Kryptomärkte aus, sondern bringt auch Folgen für den Finanzmarkt insgesamt und die Währungshoheit in der EU mit sich: Eine wachsende Durchdringung des europäischen Binnenmarkts mit auf Dollar lautenden Stablecoins könnte zum einen zu Abflüssen aus den Bilanzen europäischer Banken hin zu US-amerikanischen Instituten bzw. Stablecoin-Emittenten führen und zum anderen den Einfluss des Euro und damit währungspolitischer Maßnahmen und der Währungshoheit insgesamt im Euro-Währungsraum verringern. Schließlich werden besicherte Stablecoins meist in der Währung besichert, die sie auch replizieren – Sicherheiten der Dollar-Stablecoins sind daher vornehmlich US-Staatsanleihen. Investitionen in Euro-Staatsanleihen und damit zusammenhängende währungspolitische Bemühungen wären gefährdet.

Diese Gefahren werden jüngeren Medienberichten zufolge durch die EZB in Reaktion auf die Entwicklungen in den USA und dem GENIUS Act betont.51Vgl. Commission livid as ECB warns of crypto apocalypse under Trump, Politico, 22. April 2025: https://www.politico.eu/article/european-commission-livid-ecb-warn-crypto-apocalypse-donald-trump/. In einem internen Papier legt die EZB Gefahren dar, die sie insbesondere auch durch solche Stablecoins sieht, die sowohl in der EU als auch einem Drittstaat (man darf hier wohl die USA nennen) emittiert werden, sog. „multi-issuance schemes“.52Vgl. Subject: ECB Non-paper on EU and third country stablecoin multi-
issuance
, Council of the European Union, April 2025: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/WK-4742-2025-COR-1/en/pdf.
Solche Stablecoins werden – so die Befürchtung der EZB, die dabei „Tether“ ausdrücklich als Beispiel nennt, zumeist Dollar-gebunden sein und damit obige Gefahren verstärken. Zudem befürchtet die EZB, dass solche Stablecoins auch sog. „Bank Runs“ befeuern könnten, wenn Nicht-EU Inhaber solcher Stablecoins Rücktauschansprüche bei den EU-Teilen dieser „schemes“ geltend machen, da die EU den höheren Kundenschutzstandard bietet. Die EZB fordert daher mit Blick auf diese Risiken Verschärfungen der MiCAR.

Die EU-Kommission reagierte auf die Forderungen der EZB verhalten und wies darauf hin, dass die MiCAR bereits ausreichende Schutzmechanismen biete. Insofern wurde vor regulatorischen „Schnellschüssen“ gewarnt.53Vgl. Commission livid as ECB warns of crypto apocalypse under Trump, Politico, 22. April 2025: https://www.politico.eu/article/european-commission-livid-ecb-warn-crypto-apocalypse-donald-trump/; Trumps Kryptopolitik löst Streit zwischen EZB und EU-Kommission aus, FAZ, 30. April 2025: https://www.faz.net/aktuell/finanzen/wieso-ezb-und-eu-kommission-um-die-zukunft-der-stablecoin-regulierung-ringen-110443558.html. Tatsächlich bietet die MiCAR entsprechende aufsichtsrechtliche Instrumente: Stablecoins, die auf eine Währung lauten, die nicht die amtliche Währung eines Mitgliedstaats ist, unterliegen bspw. besonderen Berichtspflichten und sind in ihrer Gesamt-Transaktionshöhe beschränkt.54Vgl. Art. 58 Abs. 3 iVm Art. 22 ff. MiCAR. Einer ausufernden Ausweitung einzelner solcher „schemes“ könnte also durch die MiCAR begegnet werden. Aus Sicht der EZB reichen diese Instrumente aber nicht aus, sodass Kommission und EZB nicht übereinkommen. Eine durch den Ausschuss für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments in Auftrag gegebene Studie unterstützt grundsätzlich die Sichtweise der Kommission, ruft gleichwohl zu einer Beobachtung der Situation auf.55Vgl. Jens van t’ Klooster/ Eduardo D. Martino/ Eric Monnet: Cryptomercantilism vs. Monetary Sovereignty. Dealing with the Challenge of US Stablecoins for the EU, Monetary Dialogue Papers, Juni 2025: https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/296400/DEZERNAT%20June%202025_FINAL.pdf. Nach Verabschiedung der MiCAR entflammt mit Blick auf die USA nun doch eine womöglich politisiertere MiCAR-Debatte – interessanterweise zwischen den EU-Institutionen.

EU-Rechtsunsicherheit um dezentralisierte Finanzdienstleistungen

Während in den USA dezentralisierte Finanzdienstleistungen im CLARITY Act mitgeregelt werden sollen, herrscht in der MiCAR zu diesem Thema weitestgehend lautes Schweigen. Die Regelungen der MiCAR äußern sich zu DeFi nicht ausdrücklich; einzig Erwägungsgrund Nr. 22 MiCAR spricht DeFi an. DeFi – im Verständnis der MiCAR solche Blockchain-basierten Anwendungen und Kryptowerte, bei denen es keinen identifizierbaren Intermediär bzw. bei öffentlichen Angeboten Emittenten gibt – wird von der MiCAR ausgenommen. Während im ursprünglichen MiCAR-Entwurf DeFi gar nicht mitbedacht wurde, brachten EU-Parlament und EU-Rat entsprechende Änderungen in die Trilogverhandlungen ein.56Vgl. die Zusammenstellung der jeweiligen Mandate: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL:ST_7694_2022_INIT. Erwägungsgrund Nr. 22 entstand sodann im Rahmen des Trilogs. Über die Anwendbarkeit und Auswirkungen des Erwägungsgrundes besteht aber enorme Unsicherheit – bspw. ist unklar, ob Kryptowerte-Dienstleister nicht gleichwohl bestimmten Pflichten in Bezug auf DeFi-Kryptowerte unterliegen.57Zu diesem Streitthema eingängig: Benedikt Bartylla: EU Crypto Trading Platforms Need a Bitcoin Whitepaper, University of Oxford, Faculty of Law Blogs, 4. Juni 2025: https://blogs.law.ox.ac.uk/oblb/blog-post/2025/06/eu-crypto-trading-platforms-need-bitcoin-whitepaper. Die EU könnte hier im Spannungsverhältnis zwischen Innovationsförderung und Verbraucherschutz gefangen gewesen sein; dedizierte DeFi-Regelungen wurden jedenfalls ausdrücklich aufgeschoben.58Vgl. insofern die Berichtspflicht der Kommission zu DeFi gem. Art. 142 MiCAR.

Der CLARITY Act, wie oben gezeigt, würde dagegen eine bundes-gesetzlich verankerte Ausnahmeregelung („safe harbour“) für dezentralisierte Nutzeroberflächen bieten, statt wie in der EU nicht ausschließen zu können, dass sie als Anbieter von Kryptowerte-Dienstleistungen gelten.59Vgl. https://www.dfsa.dk/news/2024/jun/crypto-assets_250624. Die USA würde insofern für DeFi Rechtssicherheit schaffen während die MiCAR hier hinterherhinkt. Nicht umsonst forderte daher die EZB-Präsidentin Christine Lagardenoch vor Verabschiedung der MiCAR eine „MiCAR 2“, auch mit Blick auf DeFi.60Vgl. EZB-Präsidentin fordert Regulierung von Krypto-Krediten und Staking, Cointelegraph, 22. Juni 2022: https://de.cointelegraph.com/news/ecb-head-calls-for-separate-framework-to-regulate-crypto-lending?_ga=2.126394317.1599656719.1667697087-839706955.1650054811. Denn noch werden dezentralisierte, „emittentenlose“ Stablecoins, wie der Dollar-gebundene Sky Stablecoin, auf dem Zweitmarkt in der EU gehandelt und das ohne eine entsprechende Regulierung.61Vgl. DAI, Sky stablecoins are controversial under MiCA regulations. Implications for Tether?, Ledger Insights, 28. Januar 2025: https://www.ledgerinsights.com/dai-sky-stablecoins-are-controversial-under-mica-regulations-implications-for-tether/.

Ausblick

Die Entwicklungen in den USA um den Kryptomarkt und die damit einhergehende Deregulierung des Finanzmarkts politisieren auch die europäische Kryptomarkt-Debatte. Im Gegensatz zur Plattform-Web2 -Ökonomie, in der Europa das Nachsehen hat, bietet die Blockchain mit ihrem offenen, dezentralen Ansatz Europa eine erneute Chance, im Wettbewerb im Digitalzeitalter zu bestehen und von US-dominierten Kommunikations- und Zahlungsinfrastrukturen unabhängig zu werden, wenn eine Regulierung „the European Way“ gelingt, im Ausgleich zwischen Risikominderung für Anleger sowie Finanzstandort und der Innovationsförderung.62Vgl. Zenner, Kai, et al.: The European Way. A Blueprint for Reclaiming
Our Digital Future
, 12. Mai 2025: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=5251254; Deutsche Version Der
Europäische Weg – Ein Fahrplan zur Sicherung
unserer digitalen Zukunft
hier: https://tumthinktank.de/wp-content/uploads/EuropeanWay_DE_0406-german.pdf.
Die Stimmen, die eine Überarbeitung zum Schutz des europäischen Kryptomarktes fordern, werden deshalb immer lauter. Derweil bleibt DeFi in der EU bisher unreguliert. Auch das leistet Spekulationen über eine MiCAR 2 Vorschub. Wie die dezentralisierte Finanzwirtschaft zu regulieren ist, könnte (unter Druck der US-Entwicklungen) Gegenstand intensiverer politischer Auseinandersetzung werden.

Entstanden ist der Text auf Einladung nach Erscheinen von Johannes Meier (Hrsg.): Handbuch MiCAR, Europäische Regulierung der Kryptowerte, Erich Schmidt Verlag, 2025. Die regulatorische Erfassung der Blockchaintechnologie ist noch im Entstehen. Auch die jüngst entstandene MiCAR wird von der rechtswissenschaftlichen Praxis noch erschlossen. In Kapitel 5 des Handbuchs kommentiert Daniel Ostrovski die Regulierung der E-Geld-Token durch die MiCAR; in Kapitel 15 gibt Anja von Rosenstiel einen Einblick in die Grundzüge des US Finanz- und Kapitalmarkts und den US-Regulierungsansatz von Kryptowerten im Vergleich zu MiCAR vor Antritt der heutigen US Regierung. Beide Kapitel dienen den Ausführungen dieses Beitrags als Grundlage.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Thomas Weck eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb Uncategorized

It’s the data, stupid: Europas digitale Abhängigkeit bei Finanzdiensten

It’s the data, stupid: Europas digitale Abhängigkeit bei Finanzdiensten

Ein Beitrag von Thomas Weck

15. Mai 2025

Die europäische Finanzwirtschaft ist stark von außereuropäischen Plattformen abhängig – ein wachsendes strategisches Problem. Deren datenbasierte Geschäftsmodelle erschweren in vielen Bereichen den Aufbau europäischer Konkurrenz. Speziell im Finanzbereich bringen regulierte Anbieter jedoch eigene Risikoexpertise mit, die das Know-how der Plattformunternehmen ergänzt. Deshalb kommt es hier eher zu Partnerschaften. Der Vorschlag der EU-Kommission zum Financial Data Access (FiDA) könnte die Optionen für plattformunabhängige Angebote zusätzlich erweitern.

Erstellt mit Adobe Firefly. Ein USB-Stick im EU-Design vor USB-Ports, über denen eine amerikanische und chinesische Flagge prangt.

Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Finanzmarktinfrastrukturen und Plattformen

Die Neuausrichtung der U.S.-Politik führt derzeit zu einem strategischen Umdenken, was bestehende Abhängigkeiten von U.S.-Unternehmen bei der Abwicklung von Finanzdienstleistungen betrifft. Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass Zahlungen im europäischen Online-Handel in der Regel über die Infrastrukturen der U.S.-Finanzfirmen Mastercard, Visa und Paypal laufen.

Hinzu kommen die Aktivitäten großer Plattformunternehmen aus den USA und China, deren Geschäftsschwerpunkt herkömmlich außerhalb des Finanzbereichs liegt. Diese Unternehmen dringen ebenfalls seit einiger Zeit in den Bereich der Zahlungsabwicklung ein. Sie ergänzen ihr Diensteportfolio im E-Commerce um Kredit- und Versicherungsangebote. Dabei gehören die Unternehmen Apple, Amazon, Meta (Facebook), Alphabet (Google), Microsoft, Tencent und Alibaba zu den bekanntesten und einflussreichsten Unternehmen der Welt. Für Deutschland hat das Bundeskartellamt die überragende marktübergreifende Bedeutung mehrerer dieser Unternehmen festgestellt.

Die europäische Wirtschaft ist insbesondere bei Zahlungsdiensten somit in zweierlei Hinsicht von nicht-europäischen Anbietern abhängig: Bei Zahlungsinfrastrukturen und bei datenbasierten Diensten. Die Abhängigkeit von nicht-europäischen Infrastrukturen kann durch Förderung europäischer Alternativen wie etwa das Bezahlsystem „Wero“ vermindert werden. Eine hier relevante Option könnte – je nach Ausgestaltung – auch der digitale Euro sein. Die Abhängigkeit von den datenbasierten Dienstleistungen nicht-europäischer Anbieter hingegen ist schwieriger zu reduzieren. Denn die oben genannten Plattformunternehmen haben über die Jahre eine besondere, kaum anderweitig ersetzbare Expertise entwickelt.

Daten und Netzwerkeffekte als Ursachen für Abhängigkeiten von Plattformunternehmen

Der Kern des Geschäftsmodells der genannten Plattformunternehmen besteht in der Analyse von Daten über Verbraucherpräferenzen. Diese Datenanalyse wird dazu genutzt, die erbrachten Online-Dienste zu verbessern und über Werbung die Dienste zu monetarisieren. Es kommt dabei zu sogenannten „datengetriebenen Netzwerkeffekten“. Denn mehr Daten ermöglichen eine Verbesserung der erbrachten Dienste (einschließlich Werbedienste). Diese Verbesserung mündet in Rückkopplungsschleifen, denn bessere Dienste ziehen mehr Nutzer an, von denen weitere Daten gesammelt werden können.

Die datengetriebenen Netzwerkeffekte können dazu beitragen, dass Märkte permanent zugunsten eines einzigen Plattformbetreibers kippen. Denn erstens können Daten aus mehreren Anfragen derselben Nutzerin oder desselben Nutzers – entweder über die Zeit hinweg oder in Bezug auf andere Nutzergruppen (Händler, Kontakte im sozialen Netzwerk usw.) – verknüpft werden, um individuellen Nutzern auf ihre Anfragen hin ein personalisiertes Angebot zu machen. Dadurch werden diese Nutzer an die Plattform gebunden (Lock-in). Zweitens können die Plattformbetreiber die Daten diverser Nutzeranfragen einsetzen, um ihre Plattform auch für andere Nutzer zu verbessern. Das macht die Plattform attraktiver. Beides zusammen führt aber dazu, dass es zusehends schwieriger wird, einem Plattformbetreiber seine Wettbewerbsposition streitig zu machen.

Die Plattformunternehmen haben zudem erkannt, dass sie aufgrund der Daten über Verbraucherpräferenzen nicht nur ihre bestehenden zentralen Plattformdienste verbessern können. Sie können ihr Angebot vielmehr auch um solche Dienste ausweiten, die zu den bestehenden Diensten kompatibel und damit komplementär sind. Beispielsweise liegt es nahe, den Nutzenden einer Suchmaschine auch Preisvergleichs- oder Kartensuchdienste anzubieten. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher vom festen PC zu Mobilgeräten wechseln, dann liegt es nahe, App Stores und Mobilbetriebssystemen ins bestehende digitale Ökosystem einzubinden und ihnen so zu folgen.

Plattformen dringen über Kooperationen in den Finanzsektor vor

Dennoch fiel über längere Zeit auf, dass die Plattformunternehmen nur in relativ geringem Umfang mit Verbraucherdiensten in den Finanzbereich expandierten. Ein Grund dafür mag sein, dass Finanzdienste häufig über die Herstellung einer schlichten Kontaktmöglichkeit zwischen verschiedenen Marktseiten hinausgehen. Stattdessen werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern ganze Leistungsbündel bereitgestellt (z.B. Kontoangebote mit Zahlungskarten, Anlagemöglichkeiten usw.) oder die Leistungen führen zu längeren Vertragsbindungen und gehen mit spezifischen Risiken einher (z.B. Kreditrisiken). Ein anderer möglicher Grund ist, dass Finanzdienste aufgrund ihrer spezifischen Risiken und der Relevanz solcher Risiken für das Finanzsystem besonders reguliert sind.

Mit der Zeit haben mehrere Plattformbetreiber (Apple, Google, Amazon, Meta, Microsoft) jedoch erkannt, dass sich Schnittstellen zwischen den etablierten Finanzmarktteilnehmern, insbesondere Banken, und der Verbraucherseite durchaus besetzen lassen. Denn viele Banken hatten Schwierigkeiten mit der Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Plattformunternehmen konnten ihnen im Back-End Cloud-Dienste und technische Lösungen für das Risikomanagement, die Kernbankensysteme, die Datenanalyse und KI-Assistenten anbieten. Für die Plattformbetreiber ließen sich zudem technische Lösungen für Zahlungsdienste, spezialisierte Kredit- und Versicherungsangebote mit relativ geringem Aufwand in ihr Diensteportfolio integrieren. Hierbei handelt es sich um Kundendienste, die auch in das Leistungsangebot der Banken eingebettet werden können. Im Finanzbereich ist die Expansion der Plattformbetreiber deshalb bislang eher auf Kooperation als Verdrängung ausgerichtet.

Die weitere Entwicklung ist offen. Die Entstehung sogenannter Super-Apps wie in China ist in Europa auf absehbare Zeit aufgrund der engmaschigen Regulierung (Datenschutz-/Finanzregulierung) nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Partnerschaften mit Playern aus der europäischen Finanzindustrie ausgebaut werden. Denn diese bringen Expertise in Regulierungsfragen mit und ermöglichen es den Plattformbetreibern, sich auf ihr Kerngeschäft – die Entwicklung technischer Lösungen – zu konzentrieren.

Markt- und Systemrisiken – bisher unzureichende regulatorische Antwort

Dass die großen Plattformunternehmen auf partnerschaftlicher Basis in den Finanzbereich expandieren, ändert nichts daran, dass sie auch in diesem Bereich in großem Umfang Daten ansammeln, die zu Abhängigkeiten führen können. Zugleich bedeutet ihre Einbindung in die Finanzwirtschaft, dass ihr Verhalten auch für die Stabilität des Finanzsystems relevant werden kann. Die mögliche Systemrelevanz der Finanzdienste von „Big Tech“ ist Gegenstand einer kritischen aktuellen Studie von Finanzwende Recherche.

Die Studie hat unter anderem ermittelt, dass die geringe Verzahnung der Aufsicht über die Finanzmärkte einerseits und der Aufsicht über marktmächtige Unternehmen andererseits einen blinden Fleck in der Regulierung darstellt. Der herkömmliche Ansatz, einzelne Regulierungsziele zu definieren und die Regulierung für diese Ziele jeweils isoliert auszugestalten, trägt der marktübergreifenden Tätigkeit der Plattformunternehmen zu wenig Rechnung. In Deutschland haben Anfang 2024 sechs Bundesbehörden (Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, BaFin, BSI, BfJ und BfDI) das Digital Cluster Bonn für eine verstärkte Zusammenarbeit gegründet. Das ist sinnvoll, kann aber eine gesetzliche Verzahnung von Zuständigkeiten und Verfahren nicht ersetzen.

Eine größere Herausforderung wird es auf Dauer sein, die vorhandenen Abhängigkeiten von den großen Plattformunternehmen zu vermindern. Bestehende Regelwerke wie insbesondere der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) ändern daran nichts, weil sie den Plattformbetreibern die von ihnen gesammelten Daten und damit ihre wichtigsten Exklusivitätsvorteile belassen. Daneben bleiben zwar auch die Regeln zum Wettbewerbsschutz (Art. 101 f. AEUV) anwendbar, ein potenziell scharfes Schwert: Wie die Studie von Finanzwende Recherche herausgearbeitet hat, könnten danach Maßnahmen bis hin zur Entflechtung der betroffenen Unternehmen angeordnet werden. Das setzt allerdings den Nachweis von Wettbewerbsverstößen voraus, und es drohen Rechtsmittel, über die in langwierigen Verfahren zu entscheiden ist. Die Relevanz der Unternehmen für das Finanzsystem lässt sich mit solchen Maßnahmen ohnehin nicht adressieren.

FiDA – ein neuer Regulierungsansatz zur Verminderung von Abhängigkeiten

Eine Alternativlösung kann hier – wie bei den eingangs angesprochenen Infrastrukturen – möglicherweise über den Markt gefunden werden. Wie das gehen könnte, zeigt der Kommissionsvorschlag über den Zugang zu Finanzdaten (FiDA): Danach sollten Finanzinstitute gezwungen werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontrolle über die sie betreffenden Kundendaten zu geben.

Was bedeutet das und warum könnte FiDA zur Reduzierung von Abhängigkeiten beitragen? FiDA würde Banken, Fondsverwalter, Versicherungsunternehmen, Zahlungsdienstleister (auch z.B. die Tochterdienstleister Apple Pay, Google Pay etc.) u.a. verpflichten, auf Veranlassung der Kunden hin einander Zugang zu Informationen über Kredite, Ersparnisse, Ruhegehaltsansprüche, Versicherungsprodukte aus anderen Bereichen als der Lebensversicherung und zu Daten zu gewähren, die die Beurteilung der Kreditwürdigkeit gestatten. Wenn die Kunden dies wünschen, würde FiDA also einen Datenaustausch zwischen Dienstleistern unabhängig davon ermöglichen, ob die Dienstleister selbst den Kunden Kooperationsangebote machen wollen. Dies würde den Markteintritt neuer Anbieter und damit neuartige Angebote ermöglichen. Das würde auch komplexere und regulierte Angebote umfassen, bei denen eine Verdrängung bestehender Finanzdienstleister durch die mächtigen Plattformunternehmen unwahrscheinlich ist. Die europäische Finanzindustrie würde aber – auf Veranlassung der Kunden – dazu gezwungen, Daten viel stärker als bisher als wettbewerbliche Ressource zu begreifen und einzusetzen.

Allerdings ist derzeit unklar, ob zu FiDA überhaupt ein Gesetzgebungsverfahren stattfinden wird. Denn Teile der bestehenden Finanzindustrie lobbyieren vehement gegen diesen Rechtsakt. Wenn sie damit Erfolg hat, FiDA zu begraben, könnte damit allerdings auch ein Instrument beerdigt werden, das von seinem Regelungsansatz her – zumindest auf längere Sicht – geeignet sein könnte, die bestehenden Strukturen und Abhängigkeiten von den großen nicht-europäischen Plattformunternehmen zu lockern.

Dieser Beitrag kam auf Einladung des Diskursprojektes eFin & Demokratie bei ZEVEDI nach einer Diskussionsveranstaltung am 25. März 2025 zustande, auf der die Studie „Die Finanzdienste von Apple, Google und Co.: Ein gefährlich guter Deal“ von Finanzwende Recherche vorgestellt wurde.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: eFin Blog Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: hellblau

[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

[Mindest-]Anforderungen an die Ausgestaltung des digitalen Euro als einer öffentlich zugänglichen digitalen Zentralbankwährung

Das Policy Paper wurde von den Beteiligten an Geld : Technik : Demokratie und dem ZEVEDI-Ad hoc-Vorhaben Geld als Datenträger erarbeitet.

Spätestens mit dem Legislativvorschlag der Europäischen Kommission im Juni 2023 für einen Rechtsrahmen zur möglichen Einführung des digitalen Euro als Retail CBDC nimmt die Diskussion über das Projekt einer digitalen Zentralbankwährung für Europa konkretere Gestalt an.1Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369 Nach der Europawahl 2024 ist es Zeit für eine über die damit befassten Gesetzgebungsorgane hinausreichende gesellschaftliche Adressierung und öffentliche Beratung der Demokratiefragen, die damit verknüpft sind.

Das Vorhaben „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors“ (eFin & Demokratie) nimmt nachfolgend Stellung. Es folgt nicht zuletzt dem Motiv, Europa in der strategisch relevanten Infrastruktur des digitalen Zahlungsverkehrs hinreichend souverän zu machen, denn bislang wird diese von außereuropäischen Dienstleistern dominiert. Abgesehen von grundsätzlicher Ablehnung orientiert sich die Debatte darüber allerdings bisher an nur wenigen Motiven:

  • Einerseits geht es um die praktische Realisierbarkeit des digitalen Euro im Rahmen des existierenden Geldsystems; dieser Diskussionsstrang wird vor allem durch die Interessen der Geschäftsbanken bestimmt.
  • Andererseits hat die Europäische Zentralbank mit der Rede vom „digitalen Bargeld“ für die Bürgerinnen und Bürger ein prägnantes Leitbild geschaffen, an das sich Positionen von Daten- und Verbraucherschutz anschließen lassen (und auch die Sorge ums Bargeld wird adressiert).

Es entspricht der Logik politischer Machbarkeit, dass die vorgeschlagene Ausgestaltung des digitalen Euro partiell – lediglich – wie ein Kompromiss zwischen diesen Polen anmutet. Wir sehen hierin die Gefahr einer Verengung der Perspektiven. Konkrete Gestaltungsvorschläge werden sich dem skizzierten Spannungsverhältnis zwar nicht vollständig entziehen können. Es sollten jedoch auch weitere Optionen („Anforderungen“) im Blickfeld bleiben, um ein im Vergleich zu den existierenden privaten Angeboten für die Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger bestmögliches Digitalgeld in Europa zu etablieren. Die Diskussion um den digitalen Euro eröffnet aus unserer Sicht eine einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Dazu werden allerdings geeignete Diskussionsforen und Diskursformate gebraucht.2Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .

I Der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel

Es ist ein erfolgskritischer und im Ergebnis auch für Bürger:innen spürbarer Punkt, dass der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingestuft wird. Hierbei geht es um mehr als bloße Symbolik. Als gesetzliches Zahlungsmittel ist der digitale Euro komfortabel nutzbar und eine Kohärenz/funktionale Äquivalenz zum physischen Bargeld ist gegeben. Einzelhändler und andere Geschäfte werden ihn dann ähnlich selbstverständlich akzeptieren wie Behörden und öffentliche Dienstleister. Natürliche Personen, die nicht im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit handeln, bleiben von der Verpflichtung zur Annahme von Zahlungen in digitalen Euro ausgenommen.

Ebenso folgt aus dem Status des gesetzlichen Zahlungsmittels eine Bereitstellungspflicht seitens der Staaten/des Systems der Zentralbanken. Dies heißt, dass der digitale Euro natürlichen Personen für die Tätigung betreffender Zahlungen kostenfrei und ohne Transak­tionsgebühren bereitgestellt wird. Gebühren, die zur Annahme verpflichtete Akteur:innen an Zahlungsdienstleister dafür zu entrichten haben, sollten niedriger als vergleichbare Kosten im Zusammenhang mit privaten Zahlungsmitteln sein. Auch dürfte es eigentlich – so unsere Lesart – für eine Person keine notwendige Voraussetzung zur Nutzung des digitalen Euro sein, ein Konto bei einer Geschäftsbank zu besitzen, auch wenn ein normales Girokonto gewiss der erwartbar üblichste Weg sein wird, den digitalen Euro zu bewegen. Das Thema „Zugang“ bleibt – jenseits sozial problematischer Kriterien auch technisch anspruchsvoll. Das Aufladen und die Auszahlung von entsprechenden Guthaben mittels einer nicht an ein Konto gebundenen Geldkarte sollte von daher auch durch ein neuartiges, digital beschaffenes Bargeld möglich sein (und also trotz Bargeldlosigkeit nicht allein an ein Geschäftsbank-Konto geknüpft). In dieser mehrfachen Form (wie Bargeld „direkt“ oder aber durch Geschäftsbanken vermittelt) sollte der digitale Euro allen seinen Nutzer:innen zur Verfügung gestellt werden.

Allerdings sollte ein digitales Zentralbankgeld möglichst einfach zugänglich gemacht und nicht zu restriktiv gestaltet werden, sodass viele gesellschaftliche Gruppen, einschließlich Touristen und Geflüchteter, Zugang haben. Der digitale Euro sollte folglich so niedrigschwellig nutzbar sein wie möglich.

II Distribution und Attraktivität des digitalen Euros

Der digitale Euro sollte aus unserer Sicht direkter (also intermediärsunabhängig) und leichter zugänglich sein als ein konventionelles Bank-Konto. Insofern wäre das ausschließliche „Aufladenkönnen“ einer Wallet auf dem Umweg über ein existierendes Bank-Konto zunächst einmal abzulehnen. Technisch wäre eine Option wünschbar, die weder direkt die Zentralbank noch direkt eine (kontoführende) Geschäftsbank mit der Zuständigkeit für eine „offline“-Version des digitalen Euro betraut.

Uns scheint es überdies geboten zu sein, Bürger:innen, die den digitalen Euro nutzen wollen, nicht zur Verwendung eines Smartphones zu zwingen („finanzielle Inklusion“). Es sollte also zumindest eine aufladbare Karte optional angeboten werden. Eine solche Karte sollte zudem – wie jede andere Distributionsform des digitalen Euro – als Direktzugang zu physischem Bargeld funktionieren. 3Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.

Jenseits der für Bargeld-Transaktionen generell bereits geltenden (und für viele nicht gut nachvollziehbaren) Grenzen sind Haltelimits für den digitalen Euro begründungsbedürftig. Ein zu niedrig angesetztes Limit macht das neue digitale Bargeld unattraktiv. Ob überhaupt und wenn ja, ab welcher Höhe eine Gefährdung des Geschäftsmodells einzelner Institute eintritt, so dass Risiken für die Finanzmarktstabilität und die Kreditvergabefähigkeit entstehen, ist das Ergebnis von Prognosen des Nutzerverhaltens. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Gleichzeitig sind alternative Maßnahmen zur Risikominimierung in Betracht zu ziehen. Aus unserer Sicht sollten hier nicht einzelne Marktteilnehmer (Banken) Limits benennen. Über angemessene Mechanismen sollte im Gesetzgebungsprozess beraten und entschieden werden. Konkrete Kennziffern sollten bei Bedarf basierend auf einer umfangreichen Evaluation eruiert werden und die Auswirkungen auf die gesamteuropäische Finanzstabilität einbeziehen. Es ist zu prüfen, ob die EZB die geeignete Instanz für diese Einordnung ist oder ein unabhängiges Gremium zur Beurteilung herangezogen wird. Zur Nachvollziehbarkeit bedarf es einer Veröffentlichung der Beurteilung und ihrer Grundlagen. Das Verzinsungsverbot macht den digitalen Euro ebenfalls dem physischen Bargeld vergleichbar.

III Anonymität von Offlinezahlungen und Datenschutzniveau von Online-Zahlungen

Die Offline-Variante des digitalen Euro sollte für kleinere Zahlungen den gleichen Grad an Anonymität wie klassisches Bargeld ermöglichen. Dies wirft die Frage auf, ob die „Zahlung“ (etwa, weil die Sensorik eines individualisierten, digitalen Lesegeräts gebraucht wird) der physischen Anwesenheit der Zahlenden bedarf, oder ob der digitale Euro zu Zahlungszwecken auch offline anonym „versandt“ (etwa per Briefpost) oder „deponiert“ (unter dem Kopfkissen) „versteckt“ (vergraben im Garten) etc. werden kann. Insofern ergibt sich für eine solche Variante zumindest die Beschränkung des Betrags, die die EU zukünftig auch für anonyme Barzahlungen im geschäftlichen Verkehr vorsieht.4Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.

Der digitale Euro sollte datensparsame Online-Zahlungen ermöglichen. Aus unserer Sicht sollte die maximale Datensparsamkeit sogar eines seiner Alleinstellungsmerkmale – im Vergleich zu den Diensten anderer Zahlungsintermediäre – sein. Eine Datengewinnung bei der Ausführung von Zahlungen mit dem digitalen Euro durch Geschäftsbanken oder andere Intermediäre sollte der Gesetzgeber daher weitgehend einschränken. Dies scheint auch politisch in der Diskussion zu sein (vgl. Stellungnahme des Bundesrats: „Dafür sollten insbesondere die Zwecke für die Datenerhebung und -verarbeitung auf den eigentlichen Zahlvorgang beschränkt und die Weitergabe von Daten an Dritte zu kommerziellen Zwecken ausgeschlossen werden.”).

Die technische wie administrative Ausführung gerade den Datenschutz betreffender Vorkehrungen und Verfahren sollte möglichst transparent dokumentiert werden sowie geeigneten Kontrollverfahren unterliegen; etwa einer Auditierung durch unabhängige Expertise inklusive Veröffentlichung relevanter Angaben.

IV Besser als klassisches Bargeld?

Die Ausgestaltung des digitalen Euro als programmierbares Geld, das mit komplexen Konditionierungen bezüglich seiner Nutzung versehen wird, schließen Politik und EZB bisher aus. Bloße automatisierte Zahlungen wären allerdings möglich. Wünschenswert wäre eine Smart-Contract-Fähigkeit, um auf dieser Basis Maschine-zu-Maschine-Zahlungen zu ermöglichen. Politik und Forschung sollten durchaus prüfen, welche technologischen Voraussetzungen Bürger:innen auch smarte oder auf „Distributed Ledger“-, also auf Blockchain-Technologie basierende Vertragsabwicklungen ermöglichen. Dabei ist ein möglichst effizienter Einsatz von Energie zu berücksichtigen.

V Zur Bedeutung der Bürgerkommunikation

Es ist weder mit einer attraktiven Ausgestaltung, noch mit einem demokratisch legitimierten Rechtsrahmen für den digitalen Euro getan. Vielmehr bedarf es einer umfassenden und dauerhaften kommunikativen Vermittlung des neuartigen, digitalen Bargeldes als öffentliches Gut, welches sich von privaten digitalen Zahlungsmitteln wie auch von online bewegtem Giralgeld unterscheidet.

Wir empfehlen performative Interventionen, um das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern am Thema zu wecken und die Kerngedanken einer Mitwirkung aller am Umlauf des neuen Geldes sowie der demokratischen Kontrolle der Ausgestaltung des digitalen Bargeldes in Szene zu setzen. Ein Ansatzpunkt könnte die demonstrative Ausführung der unterschiedlichen Zahlungsoptionen off- und online in einer Geldkarte sein, die Freiheitsspielräume markiert: das digitale Bargeld erweitert die Möglichkeiten, auszuwählen, wie wir künftig bezahlen wollen. Auch die statuierte Datensparsamkeit bei Transaktionen könnte durch eine solche Karte öffentlich sinnfällig werden. Denkbar wäre auch ein großes, im öffentlichen Raum ausgestelltes dynamisches Objekt in Form einer analogen Installation, die zeigt, wie Zahlungen mit dem digitalen Euro-Token funktionieren. Sollte die Politik bzw. die EZB in den kommenden Jahren (technologische) Veränderungen an der Konfiguration des digitalen Zentralbankgelds vornehmen, könnte diese am Objekt „nachinstalliert“ werden, so dass das Denkmal auch symbolisch „garantiert“, dass die Funktionsweise des digitalen Euro nicht hinter dem Rücken der Bürger verändert wird.

Unsere [Mindest-]Anforderungen lauten daher:

Der digitale Euro als öffentlich zugängliche Zentralbankwährung

  • ist nur mit einem europaweit harmonisierten rechtlichen Status als „gesetzliches Zahlungsmittel“ sinnvoll,
  • muss abgelöst vom Bankkonto und auch offline ohne Bankkonto nutzbar sein,
  • muss möglichst frei zirkulieren können (was in den Punkten Haltelimit, Distribution und Nutzergruppen maximale Offenheit bedeutet),
  • muss eine anonyme Offline-Nutzung und eine datensparsame Online-Nutzung eröffnen (in der Hauptsache wird wohl das ihn für Bürger:innen attraktiv machen),
  • sollte künftige „smarte“ Nutzungsformen auch für Bürger:innen technisch nicht ausschließen.

Hier finden Sie das Policy Paper als Pdf-Datei zum Download.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

  • 1
    Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines digitalen Euro, Brüssel, 28. Juni 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0369
  • 2
    Als Beitrag zur Debatte über den digitalen Euro wurde von ZEVEDI im Rahmen des Diskursprojekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin und Demokratie“ ein Bürgergutachten beauftragt. Ähnlich wie bei einem Bürgerrat wurde für das Bürgergutachten digitaler Euro eine Gruppe von Laien dazu angeleitet, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und eine gewichtete Liste von Themen zu erstellen, zu denen die breite Öffentlichkeit in Bezug auf den digitalen Euro informiert werden sollte. Wenn es nach den Bürgergutachter:innen geht, dann stehen die Themen Barrierefreiheit sowie ein breites Verständnis von Sicherheit und Datenschutz ganz oben auf der Agenda – nicht nur was Informationen betrifft, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des digitalen Euros. Die Dokumentation der Ergebnisse steht auf der ZEVEDI-Webseite zum Download zur Verfügung: https://zevedi.de/wp-content/uploads/2024/05/Buergergutachten_Digitaler_Euro.pdf .
  • 3
    Dass Lösungen hierfür nicht einfach zu finden sind, ist uns klar.
  • 4
    Die EU hat die Einführung einer Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen beschlossen, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die neue Regelung sieht zudem eine Erfassung der Kundendaten bei Barzahlungen über 3.000 Euro vor.
Kategorien
Autor: Carolina Melches eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Big-Techs im Finanzwesen: Warum wir klare Regeln für Alipay, Apple und Co. brauchen

Big-Techs im Finanzwesen: Warum wir klare Regeln für Alipay, Apple und Co. brauchen

Ein Beitrag von Carolina Melches

10. Juli 2024

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 wird nicht nur wegen der sportlichen Leistungen in Erinnerung bleiben, sondern auch durch die prominente Präsenz großer chinesischer EM-Sponsoren. Unter ihnen ist der chinesische Finanzdienstleister Alipay. Als offizieller Sponsor der UEFA und Bezahlpartner der EM 2024 betritt das Unternehmen die europäische Bühne in großem Stil. Tickets für die Spiele konnten nur mittels Kreditkarte oder Alipay erworben werden. Alipay ist in der EU Stand heute nur wenig bekannt. Die Sponsorenschaft von satten 200 Millionen Euro über acht Jahre ist jedoch ein strategischer Schritt, um den Zahlungsdienstleister in Europa bekannter zu machen und den europäischen Markt zu erobern.1UEFA, Alipay unterzeichnet langfristige Vereinbarung als Sponsor des UEFA-Nationalmannschaftsfußballs, 9. November 2018, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024.

Alipay ist das Paradebeispiel für die rasante Expansion und das enorme Wachstumspotenzial eines Technologiekonzerns im Finanzwesen. Seine Entwicklung in China verdeutlicht aber auch die Risiken, die mit einer ungebremsten Ausbreitung großer Technologieunternehmen („Big-Techs“) im Finanzsektor einhergehen können.

Alipay – Technologie-Gigant wird Finanzgigant

Alipay wurde 2004 als Zahlungsdienst des chinesischen Online-Marktplatzes und Big-Techs Alibaba entwickelt. Binnen weniger Jahre wurde es zur größten Finanz-App Chinas. Anfangs als einfacher Zahlungsdienst konzipiert, erweiterte Alipay sein Angebot kontinuierlich um Kreditvergabe, Vermögensverwaltung und Versicherungen. Heute umfasst die App ein großes Ökosystem an Finanzdienstleistungen und Millionen von Mini-Anwendungen von Drittanbietern.

Damit ist Alipay mittlerweile ein zentraler Bestandteil des täglichen Lebens in China. Die Zahlen sprechen für sich: Fast die Hälfte der chinesischen Bevölkerung nutzt die Plattform aktiv, weltweit sind es schon jetzt rund 1,3 Milliarden Nutzer:innen. Der Dienst wickelte im Jahr 2020 Transaktionen im Wert von mehr als 110 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts ab –mehr als Visa und Mastercard zusammen.2Wall Street Journal, „Inside Ant, the Company Behind the World’s Biggest IPO“, 27. Oktober 2020, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024.

Das ungebremste Wachstum von Alipay wurde 2020 durch den chinesischen Staat abrupt gestoppt. Die Begründung: zunehmende systemische Risiken durch den Technologie-Giganten im Finanzsektor. In der Folge musste Alipay weitreichende Konzernumstrukturierungen und neue Regulierungen umsetzen. Seiner Expansionsmöglichkeiten im chinesischen Markt beraubt, versucht das Unternehmen seitdem verstärkt ausländische Märkte zu erschließen – wie jetzt durch sein prominentes EM-Sponsoring.

Digitale Zahlung über ein Smartphone, Dahinter goldene Tierfiguren und Rechnungen

Big-Techs sind mehr als traditionelle Finanzinstitute

Die rasante Entwicklung von Alipay ist eng mit den Vorteilen verbunden, die das Unternehmen als Big-Tech-Tochter von Alibaba genoss. Denn Big-Techs sind keine traditionellen Finanzinstitute, sondern Technologiekonzerne, die unter anderem Finanzdienste anbieten. Ihre Dienstleistungen reichen von E-Commerce über Social Media zu Telekommunikation und Cloud-Computing-Diensten. Sie verfügen daher über immense Datenmengen, technologische Kapazitäten, einen riesigen bestehenden Kundenstamm und große finanzielle Ressourcen. Diese können sie bei der Entwicklung von Finanzangeboten nutzen, was ihnen gegenüber traditionellen Finanzinstituten und kleineren FinTechs einen extremen Wettbewerbsvorteil verschafft.  

Auch westliche Technologie-Giganten wollen zu Finanzgiganten werden…

Doch nicht nur Alipay, auch westliche Technologie-Riesen wie Google, Apple und Meta drängen zunehmend in den Finanzsektor. In der EU werden Zahlungsdienste wie Apple Pay, Google Pay und Amazon Pay schon heute gern genutzt. Viele erinnern sich noch an Metas (damals Facebook) gescheiterten Versuch, die eigene digitale Währung Libra einzuführen. In anderen Bereichen der Finanzdienstleistungen sind die Tech-Giganten bereits erfolgreicher. Zwar verläuft ihr Einstieg in westlichen Märkten aufgrund der hohen Marktsättigung im Finanzbereich deutlich langsamer als in Südostasien, doch auch in der EU sind insbesondere die Zahlungsdienste wie etwa Apple Pay und Google Pay weit verbreitet. In ihrem Heimatmarkt, den USA, bieten die US-amerikanischen Big-Techs bereits Ratenkredite, Sparkonten und andere Finanzprodukte an.3BankingHub, Financial services categories served by Big-Techs, zuletzt aufgerufen am 15.04.2024.

Wie bei Alipay beruht ihr Geschäftsmodell auf einer einzigartigen Kombination aus Big Data, Technologie, finanziellen Ressourcen, einem großen Kundenstamm und Netzwerkeffekten. Diese Kombination wirkt wie ein Wachstumsmotor: Durch fortschrittliche Datenanalyse schaffen Big-Techs ein breites und optimiertes Angebot, das neue Nutzer:innen anzieht. Eine Rückkopplungsschleife, die das Wachstum der Tech-Unternehmen weiter beschleunigt und ihnen auch im Finanzwesen großen Erfolg verspricht.

…mit erheblichen Risiken für Verbraucher:innen…

Für Big-Techs bietet dieses Geschäftsmodell ein enormes Gewinn- und Wachstumspotenzial. Ihre ungehemmte Ausbreitung bringt jedoch gesamtgesellschaftlich große Gefahren mit sich. Ein zentrales Problem ist die zunehmende Konzentration von Marktmacht und Daten.

Big-Techs sind bereits für ihren problematischen Umgang mit Nutzer:innendaten bekannt. Der Zugang zu Finanzdaten könnte neue Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen. Denn Finanzdaten sind äußerst aufschlussreich, verraten viel zum Beispiel über politische Ansichten, den Gesundheitszustand und die Wohnsituation der Nutzer:innen. Diese Informationen könnten für neuartige Risikobewertungsmethoden und Bonitätsprüfungen zusammengeführt werden – mit erheblichen Risiken der unfairen Exklusion oder etwa der Preisdiskriminierung bei Finanzprodukten.

… die Finanzstabilität…

Big-Techs sind schon heute zu groß und zu mächtig. Als Finanzdienstleister könnten sie binnen kürzester Zeit relevante Akteure werden, die – ähnlich wie die Großbanken in der Finanzkrise – „too big to fail“ sind. Durch die zunehmende Vernetzung mit traditionellen Banken entsteht ein zusätzliches systemisches Risiko: die Gefahr zu vernetzt zu sein, um scheitern zu können („too interconnected to fail”). Denn selbst wenn sie bei Finanzprodukten wie Ratenkrediten nur vermitteln, werden sie zu wichtigen Knotenpunkten im Finanzsystem. Diese Vernetzung könnte im Falle von internen Problemen der Big-Techs (z. B. Cyber-Angriffen oder IT-Problemen) Ansteckungseffekte auf die Finanzinstitute im Hintergrund haben.

… unsere politische Souveränität

Zahlungen und Zahlungsinfrastruktur bilden die Basis wirtschaftlichen Handelns und gesellschaftlicher Partizipation. Sie sind kritische Infrastruktur und ein weiterer Lebensbereich der Nutzer:innen, den sich die Big-Techs erschließen. Im Bereich des 5G-Netzausbaus ist längst eine Debatte um die Bereitstellung kritischer Infrastruktur durch nicht-europäische Akteure entfacht. Es ist erstaunlich, dass Unternehmen wie Huawei als Sicherheitsrisiko eingestuft werden, während der Vorstoß Alipays nach Europa sowie das wachsende Finanzangebot der Tech-Konzerne in der EU in der Debatte um politische Souveränität und kritische Infrastruktur kaum Beachtung finden.4Thierry Breton, Statement, 5G Security: The EU Case for Banning High-Risk Suppliers, 15. Juni 2023, zuletzt aufgerufen am 29.04.2024.

… und unsere Gesellschaft

Man muss sich fragen, ob es gesellschaftlich überhaupt gewünscht ist, dass sich die ohnehin omnipräsenten Big-Tech einen weiteren Lebensbereich, unsere Finanzen, erschließen. Ihre starken Netzwerkeffekte werden weiter befeuert und machen die Big-Techs im Alltag unumgänglich. Mark Zuckerberg, CEO von Meta Platforms, hat kürzlich seine Vision von WhatsApp als Super-App und damit zentraler Anlaufstelle für Chatten, Einkaufen, Banking und vielem mehr ausgerollt.5Handelsblatt, WhatsApp wird zur „Alles-App, 27. Juli 2024, zuletzt aufgerufen am 08.07.2024. Eine Vision, die andere Big-Techs sicher teilen. Das Angebot von Finanzdiensten durch die Big-Techs ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Regulatorische Konsequenzen ziehen, so lange dies noch möglich ist

Es wird deutlich: Wenn Big-Tech-Unternehmen uneingeschränkt Finanzdienstleistungen anbieten dürfen, wächst ihre (Markt-)Macht weiter. Ein Blick nach China und insbesondere die USA zeigt, welche Entwicklung Europa noch bevorstehen könnte. Doch die EU hat noch die Chance, es besser zu machen. Das derzeit noch überschaubare Angebot finanzieller Dienstleistungen durch Big-Techs erlaubt es, notwendige regulatorische Maßnahmen einzuleiten und Risiken mit klaren Regeln vorzubeugen.

Durch den Digital Markets Act (DMA) und den Digital Services Act (DSA) hat die EU zwar bereits Maßnahmen im Bereich des Verbraucherschutzes, des Datenschutzes und des Wettbewerbsrechts ergriffen. Aber die Finanzdienstleistungen der Tech-Giganten werden derzeit unzureichend reguliert. Die spezifischen Risiken, die sich durch das spezifische Geschäftsmodell der Big-Techs ergeben, bleiben bisher unberücksichtigt. Denn die Lizenzen für Finanzdienstleistungen werden oft von Tochterunternehmen der Big-Techs gehalten, so dass die Aufsichtsbehörden nur den jeweils lizenzierten Teil des Konzerns, die Tochtergesellschaft, überwachen können. Risiken aus der Interaktion mit anderen Sparten wie E-Commerce oder Social Media bleiben weitestgehend unbeaufsichtigt.

Regeln für mehr Transparenz und Effizienz

Eine mögliche Lösung besteht darin, die Finanzdienstleistungen von den anderen Geschäftsbereichen der Big-Techs klar zu trennen. Finanzdienste wie etwa Kreditvergabe, Banking, E-Geld und Zahlungsdienste könnten unter einer Finanzholding-Gesellschaft gebündelt werden. So könnten sowohl die Finanzdienste selbst als auch die Interaktion der Finanzsparte mit dem Rest des Konzerns beaufsichtigt werden.

Regeln zum Datenaustausch, gemeinsamer Nutzung von Technologie sowie Finanzflüssen zwischen den Sparten könnten definiert werden. Der Grad der Trennung könnte unterschiedlich stark, bis hin zur eigentumsrechtlichen Trennung, kalibriert werden. So ließen sich die spezifischen Risiken der Big-Techs effizient und transparent überwachen und das Risiko von Interessenkonflikten und systemischen Risiken durch konzerninterne Ansteckungseffekte verringern. Ein ähnlicher Ansatz wurde bei der Regulierung Alipays durch den chinesischen Staat angewandt.

Es ist Tempo geboten

Angesichts der Geschwindigkeit, mit der Big-Techs im Finanzsektor wachsen, stellt die Trennung der Finanzdienstleistungen vom Kerngeschäft eine schnell umsetzbare Lösung dar. Alternativ wäre eine ganzheitliche Aufsicht der Technologieunternehmen auf Konzernebene unter Einbezug der Finanzsparte möglich. Eine solche Form der Regulierung wäre jedoch deutlich komplexer und würde genaue Kenntnisse der oft komplexen Konzernstrukturen und Interaktionen benötigen.

Insgesamt ist die wachsende Präsenz von Big-Techs im Finanzsektor eine nicht mehr zu übersehende Herausforderung. Die Omnipräsenz des Zahlungsdienstleisters Alipay bei der aktuellen Europameisterschaft zeigt, wie wichtig es ist, zeitnah einen geeigneten Rechtsrahmen auf EU-Ebenen zu schaffen. Denn wenn Big-Techs Finanzdienstleistungen anbieten, sollten sie auch auf ihre spezifischen Risiken hin reguliert werden. Ziel muss es sein, von der Innovation und den Potenzialen zu profitieren und gleichzeitig Verbraucher:innen, Finanzstabilität und unsere Demokratien zu schützen.

Weiterführende Literatur: In der aktuellen Studie „Mehr Geld, mehr Macht: Big-Techs im Finanzwesen“ hat Finanzwende Recherche die Risiken und Handlungsoptionen angesichts von Big-Techs im Finanzwesen ausführlich analysiert.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Caroline Marburger Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Kein Weiterkommen in der EU? Die EU-Wahlen und der digitale Euro

Kein Weiterkommen in der EU? Die EU-Wahlen und der digitale Euro

Ein Beitrag von Caroline Marburger

24. Mai 2024

Vom 6. bis 9. Juni könnten über 350 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger ab  16 Jahren ihre Stimme abgeben, sofern sie sich denn entscheiden zur Wahlurne zu gehen. Mehr Menschen als in den USA leben. Und doppelt soviel wie dort derzeit entsprechend registriert sind und wählen dürfen. Dennoch hat die EU-Wahl, schaut man in die Medien, wenig eigenen Appeal. Sie scheint eher die Fußnote des Superwahljahres 2024 zu sein. Dabei zeigt eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung von März diesen Jahres, dass zwei Drittel der Befragten die EU-Wahl für sehr wichtig halten. In der Medienlandschaft findet dieses Interesse allerdings keinen merkbaren Niederschlag. Und selbst die vergleichsweise rekordhafte Wahlbeteiligung in 2019 blieb 15% hinter der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen zurück. Ob sich das womöglich brexitinduzierte Ergebnis wiederholt, bleibt fraglich. Kümmmert uns Europa genug?

EU-Politik und politische Arbeit auf EU-Ebene sind kaum Referenzrahmen. Eine abseits vom European Song Contest selten europäische, sondern meist national stark segmentierte Öffentlichkeit widmet sich vornehmlich dem, was in der Hauptstadt getan oder dieses Jahr in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gewählt wird. Eher als Berichterstattung zur EU-Wahl finden sich Nachrichten zum US-Wahlkampf und den Erwartungen, was mit einer Wiederwahl Trumps einhergehen könnte. Europäische Nachrichtendienste wie Politico Europe oder EURACTIV bleiben eine Nische.

Wie unsere nationalen Sozialversicherungs-, Gesundheits- und Bildungssysteme operieren, da hat die EU wenig mitzureden. Geht es aber um Themen wie Binnenmarkt und Wettbewerb, Landwirtschaft, Umwelt und Migration, werden in Brüssel wesentliche Entscheidungen gefällt, die uns alle angehen. Themen, die allesamt Schwergewichte der medialen, öffentlichen Diskussion der letzten Zeit sind. Grund genug, diese Wahl als höchstrelevant für unsere Zukunft, zumindest die Weichenstellungen der kommenden 5 Jahre, einzustufen. Aber unsere mediale Logik und nationale Themenfilter, so scheint es, erschweren eine solche Einsicht.

Dann hingegen gibt es zutiefst europäische Themen wie den digitalen Euro, der womöglich aus der entgegengesetzten Logik heraus bisher unter dem Radar fliegt. Definitiv keines der Schwergewichte der öffentlichen Debatte. Hingegen fraglos ein gesamteuropäisches politisches Projekt. Nach der Einführung des Euro zwischen 1999 und 2002  geht es nun um seine fehlende, nun nachzuholende digitale Ergänzung. Die Einführung des Euro zwischen 1999 und 2002 war keineswegs unumstritten, aber der digitale Euro ist in nationalen Debatten derzeit noch kaum von Bedeutung.

eFin &Demokratie hat sich der möglichen bis wahrscheinlichen Einführung dieses digitalen Zentralbankgeldes in verschiedenen Formaten gewidmet bzw. tut dies weiterhin. Darunter in der ersten Staffel des projekteigenen Podcasts Digitalgelddickicht, der es mir zur Aufgabe gemacht hat, den digitalen Euro in inzwischen 8 Folgen aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, verschiedensten Expertinnen und Experten, Laien auf der Straße und Stakeholdern Fragen zu stellen und zu versuchen, den digitalen Euro wenn nicht jedermann, so doch mehr Zuhörerinnen und Zuhörern näherzubringen. Dabei ist ins Auge gefallen: er wird bisher vornehmlich von Vertreterinnen und Vertretern von EZB, Geschäftsbanken und Zahlungsdienstleistern, vor allem Wirtschafts- und Rechts-, weitaus geringfügiger von Sozialwissenschaftlerinnen und – wissenschaftlern und einigen finanzpolitischen NGOs breiter und öfter diskutiert. Und dann vornehmlich unter finanzwirtschaftlichen und geldpolitischen Vorzeichen im engeren Sinne.

Es scheint oft selbstverständlich, unsere Währung und ihre Digitalisierung nicht auch als soziopolitisches Unterfangen, als gestaltbares öffentliches Gut zu thematisieren, sondern vornehmlich als technokratische Aufgabe, die unsere Geld- und Wirtschaftsordnung möglichst geringfügig stören, idealerweise natürlich fördern und zukunftstauglich machen solle. Eine meines Erachtens unzureichende Engführung.1Siehe hierzu beispielsweise die Themen und Perspektiven, die im jüngst erschienen ZEVEDI-Kurzfilm Follow the [New] Money. Auf den Spuren von Krypto, Karten, Coins und Cash angerissen werden. Legitime Beschränkung vielleicht für die EZB, deren Aufgabe es ist, ihn zu entwickeln und auszugeben, aber eine keineswegs notwendige Limitierung für die Diskussion unter Expertinnen und Experten. Und erst recht nicht für die politische Diskussion: sowohl für die öffentliche Debatte als auch für jene innerhalb der zuständigen, politischen Institutionen. Denn diese ist schließlich entscheidend dafür, wie der digitale Euro letztlich gestaltet wird, was er vermag und was nicht.

Warum ein digitaler Euro?

Würde ein Gesetz zum digitalen Euro verabschiedet, könnte das den Alltag aller EU-Bürgerinnen und -Bürger verändern, auch wenn es kaum die haptische Symbolkraft und emotionale Bedeutung der Einführung des Euros zum Jahreswechsels 2001/2002 hätte. Aber: als gesetzliches Zahlungsmittel müsste er gemäß des derzeitigen Gesetzesentwurfes überall da, wo jetzt schon digital gezahlt wird, also im Netz, im Supermarkt oder im Flugzeug, akzeptiert werden. Anders als es seinerzeit unumgänglich war, die D-Mark in Euromünzen und -banknoten umzutauschen, bliebe es die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, ob sie ihn dann anderen digitalen Bezahlungsoptionen vorziehen oder nicht. Euromünzen und -banknoten bleiben und der Erhalt dieses Bargeldes soll innerhalb des gleichen Gesetzespaketes festgeschrieben und versichert werden. Aber dort, wo bereits ausschließlich bargeldlos operiert wird, z.B. online oder in weniger bargeldaffinen Ländern wie Finnland oder den baltischen Staaten , da wäre der digitale Euro eine Alternative, die anderen Gesetzen folgen würde als die anderen, privatwirtschaftlichen Zahlungsoptionen, die wir bisher zu nutzen gewöhnt sind.

Anlass, ein solches digitales Zentralbankgeld einzuführen, ist, was im Hintergrund geschieht, während wir unsere Uhr, Handy oder Karte an der Kasse hinhalten oder im Netz auf die Bezahloption unserer Wahl klicken. Oft verschwenden wir keinen größeren Gedanken daran. Außer vielleicht, dass es so viel schneller und angenehmer geht als früher und uns den lästigen Gang zum immer entfernter gelegenen Geldautomaten erspart. Was währenddessen aber passiert ist: wir nutzen keine gesamteuropäische Zahlungsinfrastruktur, weil es die nicht gibt. Und je stärker die Marktdominanz dieser nichteuropäischen Anbieter ist oder wird, umso weniger Handhabe bleibt der EU politisch und europäischen Anbietern wirtschaftlich, deren Geschäftspraktikern oder ihren hohen Tarifen etwas entgegenzusetzen. Kurz: Je öfter digital bezahlt wird und je mehr sich diese Dominanz verschärft, umso weniger Resilienz hat die international verwobene deutsche und europäische Zahlungsinfrastruktur und umso schwieriger wird es für die EU oder ihre Mitgliedsstaaten, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger beim digitalen Bezahlen – sei es bei Tarifen, Datenschutz, Sicherheit oder Anonymität – klar verteidigen zu können.

Daher ist besagtes Gesetzespaket der Versuch, erstens das Bargeld als von der EZB ausgegebenes öffentliches Geld zu stärken, als auch zweitens ein digitales Äquivalent, ein sogenanntes digitales Zentralbankgeld, zu entwickeln. Ein digitaler Euro könnte im Idealfall angesichts der existierenden Mängel digitalen Zahlens einerseits und der gleichzeitig existierenden Entwicklungs- und Innovationsmöglichkeiten andererseits neue Maßstäbe in Sachen Transparenz, Privatsphäre und Datenschutz setzen. Und im Sinne des Verbraucherschutzes privatwirtschaftliche Ambitionen zügeln, aber auch die Entwicklung kompetitiver Angebote durch Privatanbieter für den europäischen Markt fördern und verstärken.

Die Verhandlungen auf EU-Ebene stocken

Ein Gesetz zum digitalen Euro wird seit Juni 2023 konkret diskutiert, seitdem die EU-Kommission ihren Verordnungsentwurf zum digitalen Entwurf vorgelegt hat. Dass die darauf folgende Aushandlung einer Gesetzgebung sich über Jahre erstreckt, ist normal.  Natürlich auch, dass es je nach Erscheinen mehr als eine Legislaturperiode brauchen kann. Nur ist im Falle des digitalen Euros seit Ende April der Prozess scheinbar noch mehr ausgebremst als unbedingt nötig. Eine erste Phase der politischen Entscheidungsfindung hätte mit der Stellungnahme von EU-Parlament wie Europäischem Rat einen Abschluss gefunden. Die Annahme war lange, eine solche Stellungnahme seitens des Parlamentes oder zumindest die klare Empfehlung des zuständigen Ausschusses würde es vor Ende der Legislaturperiode noch geben. Aber nicht einmal zu Letzerem ist es nun noch gekommen.

Solange es keine Entscheidung seitens der EU-Organe gibt, so wird auch kein digitaler Euro eingeführt. Was er genau könnte und soll, bleibt so lange Skizze und Prototyp. Während die EZB parallel an der Vorbereitung und technologischen Entwicklung eines digitalen Euros arbeitet, kann auch sie nur bedingt weitermachen. Sie kann testen, klären, untersuchen, Prototypen aufsetzen, aber solange der politische Prozess, mit dem sie im Austausch steht, nicht weitergeht, sind selbst einer EZB letztlich die Hände gebunden. Ihre Entscheidung fällt sie unabhängig, aber nicht ohne vorhergehende Gesetzgebung.

Was ist da passiert? Bevor das Parlament in einer sogenannten Ersten Lesung diese Entscheidung fällt, wird es zunächst in dessen Ausschüssen beraten. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) wurde als federführender Ausschuss, der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Inneres und Justiz (LIBE) als beratender Ausschuss bestimmt. In beiden werden für den Gesetzesentwurf Verhandlungsteams besetzt, geleitet von einem sogenannten Berichterstatter oder einer Berichterstatterin einer Fraktion. Teammitglieder sind außerdem die sogenannten Schattenberichterstatterinnen und Schattenberichterstatter aller übrigen im Parlament vertretenen Fraktionen. Wer die Leitung übernimmt, wird durch ein Punktesystem ausgehandelt, das die Stärke der jeweiligen Fraktionen im Parlament widerspiegelt. Mit entsprechenden Punkten ausgestattet, bewerben sich Fraktionen für die Verhandlungsleitung bei für sie strategisch wichtigen Themen.

Federführender Berichterstatter und somit Verhandlungsführer für das Parlament für das Gesetzespaket Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel und etwaige Einführung eines digitalen Euro ist im federführenden Ausschuss Stefan Berger von der CDU bzw. der EVP (Europäische Volkspartei), der als Berichterstatter für die inzwischen rechtskräftige MiCAR-Gesetzgebung zur Harmonisierung der Regulierung von Kryptowerten Expertise im Bereich digitale Finanzindustrie mitbringt. Auch der zuständige Berichterstatter des LIBE-Ausschusses, Emil Radev, ist EVP-Mitglied. Berichterstattende sind Chefverhandlerinnen oder Chefverhandler, sie setzen die Agenda, können sich in Hintergrundgesprächen mit den zuständigen Ratsvertreterinnen und -vertretern treffen, müssen aber im späteren Trilog zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament das gesamte Parlament vertreten, d.h. ggf. auch eine Position vertreten, die nicht die ihrer eigenen Fraktion ist. Gleichzeitig ist kaum davon auszugehen, dass die EVP- Fraktion sich diese Verhandlungsposition nur so nebenbei gesichert hat. Ein Bewusstsein dafür, dass diese Entscheidung für das eigene Profil relevant ist, wird es gegeben haben. Auch wenn CDU wie CSU den digitalen Euro in ihren Wahlprogrammen mit keinem Wort erwähnen, nur den anderen Teil des Gesetzespaketes aufgreifen und für den Erhalt des Bargeldes plädieren.

Positionen und mögliche Kompromisse

Im demokratischen Prozedere des EU-Parlaments ist es essenziell, sich Mehrheiten organisieren zu können, also einen tragfähigen Kompromiss zu finden, der die Unterstützung anderer Fraktionen findet. Henrike Hahn, Schattenberichterstatterin für Die Grünen/EFA zum digitalen Euro hatte im Interview für die siebte Folge des Digitalgelddickichts zur Arbeit auf EU-Ebene bezüglich der verschiedenen Fraktionen gesagt: „Für uns alle ist klar, dass Privatsphäre und Datenschutz beim digitalen Euro nicht zu kurz kommen sollten.“ Es gäbe generell Überschneidungen, meinte sie, gerade auf sozialdemokratischer, grüner und liberaler Seite. Streitpunkt blieben die Gebühren, die der digitale Euro für den Einzelhandel oder zwischen Zahlungsdienstleistern kosten darf. Linkerhand wird dafür plädiert, diese Gebühren zu deckeln, auf liberaler und konservativer Seite plädiert man eher für den freien Wettbewerb und/oder den Schutz der Eigeninteressen der Geschäftsbanken. Neben deren Rolle seien Haltelimits und Verzinsung strittige Themen.  Aber, hätte die EVP gewollt, so entsteht der Eindruck, wäre ein mehrheitsfähiger Beschluss möglich gewesen?

Ihr sozialdemokratischer Kollege Paul Tang hatte bereits Mitte Februar in einer  Sitzung des Wirtschafts- und Währungsausschusses explizit seiner Irritation über das stockende Prozedere Ausdruck verliehen

I think political groups, S&D, the Greens, Renew are willing to move forward on the entire package. My concern in all this is […]the process up to now. There have been two deadlines for the report on the digital euro. It has not been produced. Now, finally, we got the report on last Monday[…]while we are working against the clock since the end of the mandate is coming. […] There’s a timeline proposed where we need to finalise three files in ten days. So let me express my concern on the process. I’m not sure why this is so difficult. I’m not sure what is behind it. But I have to tell to people outside the European Parliament who take an interest in this package of files that I’m not sure what the European Parliament will do. Personally, I find it’s a very difficult situation because I think we should work on it. And it’s a parliamentary right to have these files discussed. But the process up till now makes it almost, makes it very difficult, if not impossible. […]I express my concern that we see so much uncertainty in this process that I’m not sure that we would be able to deliver and to do our democratic duty.“

Ob der EU-Wahl-Prognosen mag es nicht verwundern, dass S&D sowie Grüne noch gerne zu einer Entscheidung gekommen wären. Gleichzeitig hatte SPD-Abgeordneter Joachim Schuster, Mitglied der S&D-Fraktion sowie des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, im Gespräch mit dem Digitalgelddickicht doch eher zur Vorsicht gemahnt. Er betonte, das Thema sei noch zu unklar. Es sei zu früh, eine abschließende Meinung und Position zu entwickeln. Für die deutsche SPD stimmt das: auch dort klafft bezüglich des digitalen Euros im Wahlprogramm eine Leere.

Rechterhand der EVP zeigt sich die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer EKR, der beispielsweise die polnische PiS-Partei angehört, absolut skeptisch, was den digitalen Euro angeht, möchte ihn eigentlich von Anfang an stoppen. So zumindest der entsprechende Änderungsvorschlag des zuständigen Schattenberichterstatters Michiel Hoogeveen (Amendment 120). Nun hat die Fraktion Identität und Demokratie jüngst die AfD-Abgeordneten in Gänze – wenn auch ob beendeter Sitzungsphase ohne unmittelbare Konsequenz – ausgeschlossen. AfD-Abgeordneter Gunnar Beck war zuständiger Schattenberichterstatter, wurde aber in den Diskussionen nicht sichtbar, hat keinerlei Änderungsanträge vorgebracht. Seine Fraktionskollegen der italienischen Lega schon, fordern beispielsweise ein möglichst niedriges Haltelimit. Eine grundsätzliche Ablehnung formulieren sie nicht. Die AfD hingegen betont in ihrem Wahlprogramm, dass nur nationale Währungen jedem Staat wieder seine Souveränität über seine Wirtschafts- und Währungspolitik zurückgeben. Den digitalen Euro lehnt die Partei als vermeintliches Zensur- und Überwachungsinstrument ab.  Beide Fraktionen, EKR wie ID, dürfen derzeit am Wahlwochenende Anfang Juni den Prognosen zufolge mit signifikantem Stimmenzuwachs rechnen.

Auf nationaler Ebene finden sich in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zum digitalen Euro neben der Leerstelle bei SPD und CDU/CSU durchaus klar divergierende Positionen. Klare Befürworter wie VOLT, FDP und Die Grünen und klare Gegner wie die AfD. Aber, so meint die Inititative monetative e.V, die das Thema bereits vor 5 Jahren angemahnt hatte: Die Tendenz, das Thema von politischer Seite zu meiden oder mit Allgemeinplätzen zu beantworten, setze sich fort. „Bis heute gibt es im Detail kaum fundiert ausgearbeitete Positionen der politischen Parteien zum digitalen Euro.“

Die EU-Wahl als Zäsur

Entgegen ursprünglicher Erwartungen ist also inzwischen klar: Eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments gibt es nicht, eine Einigung im Wirtschafts- und Währungsausschuss auch nicht. Hinzu kommt, dass Investigativrecherchen für die Plattform „Follow the Money“ nahelegen, dass die Geschäftsbanken nicht nur wiederholt ihre verständlichen Sorgen artikuliert haben,2Siehe hierzu insbesondere Folgen 5 und 6 des Digitalgelddickichtsdie sie ob des digitalen Euros für ihr Geschäftsmodell sehen. Sondern dass die Bankenlobby ihre Position immer wieder bei den Verantwortlichen zu Gehör zu bringen vermöge,  während Argumente bankenkritischer NGOs oder der Verbraucherschutzverbände nicht dasselbe Gehör fänden.

De facto ist nun, statt eine neue Konkretisierungsstufe in der Debatte zu erreichen, alles denkbar offen. Das im weiteren Prozess relevante Personal am Verhandlungstisch wird sich zumindest in Teilen ändern: Berichterstatter Stefan Berger, Schattenberichterstatter Gunnar Beck (AfD), Michiel Hoogeveen (EKR), Gilles Boyer (RENEW) und Chris MacManus (Die Linke) kandidieren zumindest wieder und gelangen womöglich zurück an den Verhandlungstisch. Paul Tang und Henrike Hahn, Verhandlungsführer und -führerin für Sozialdemokraten und Die Grünen/EFA , kandidieren hingegen nicht erneut. Bis es zur weiteren Verhandlung kommt, werden Monate vergehen, mindestens die Grünen/EFA und S&D werden die Stellen an diesem Verhandlungstisch neu zuweisen. Mindestens diese zwei Abgeordneten werden sich neu einarbeiten müssen, aber nach derzeitigen Prognosen weniger Fraktionsstimmen als Verhandlungsmasse in die Waagschale legen können. Aber letztlich sind reichlich Umbesetzungen in der Ausschussarbeit denkbar. Prognosen legen bestenfalls nahe, dass es eher die Gegner eines digitalen Euro sind, die Parlamentssitze gewinnen werden und dass eher bankenfreundliche Positionen Gewicht bekommen als jene, die für finanzielle Inklusion und größeren Wettbewerb auch für Geschäftsbanken argumentieren.   

Ob nun Sachzwänge oder strategische Fragen eine erste Stellungnahme verhindert haben, die Konsequenz ist klar: Was der digitale Euro letztlich zu leisten vermag, bleibt ein großes Fragezeichen. Und ob eine Ausgabe 2028 noch realistisch ist, steht ebenso zur Disposition. Eine Positionierung des Währungsausschusses und erst recht des EU-Parlamentes, auch stärkeres Profil der Parteien wäre wünschenswert gewesen bzw. bleibt es weiterhin. So bleibt unsicher, in welche Richtung der digitale Euro sich konkret entwickeln könnte. Konkrete Aussagen aus Brüssel und Straßburg sind derzeit für Monate keine zu erwarten. Und, leider, solange alles im Vagen bleibt, weil die Politik keine Position findet und medial die Debatte eben weiterhin nicht breiter geführt wird, bleibt die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit von den destruktiven Verdächtigungen, wie sie die AfD aufgreift, durchdrungen, der digitale Euro sei zur Kontrolle und Überwachung der Bürgerinnen und Bürger gedacht. Es bleibt weiterhin wünschenswert, diesen Nebelkerzen eine informierte Diskussion entgegenzusetzen, die sich mit den Risiken genauso klar auseinandersetzt wie den Chancen. Auch und gerade seitens der Politik.

Zum Dossier Digitaler Euro

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Erik Meyer Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb

Der digitale Euro: Momentaufnahmen aus dem Maschinenraum der Politik

Der digitale Euro: Momentaufnahmen aus dem Maschinenraum der Politik

Ein Beitrag von Erik Meyer

15. März 2024

Im Februar 2024 wurde auf verschiedenen Ebenen an den politisch-rechtlichen Voraussetzungen für ein digitales Zentralbankgeld in der Eurozone gearbeitet. Ein Blick auf Aktivitäten in Berlin und Brüssel.

Von einer geplanten „großen Anhörung“ war bei der Plenardebatte Anfang November 2023 im Bundestag die Rede, als zwei Anträge der Opposition zur möglichen Einführung eines digitalen Euros behandelt wurden. Nun lässt sich darüber streiten, was eine „große Anhörung“ in einem Ausschuss des Bundestags auszeichnet. Neun Sachverständige hatten die Fraktionen für die zweistündige öffentliche Anhörung am 19. Februar 2024 im Finanzausschuss benannt. Außerhalb der Fraktionskontingente nahm für die Deutsche Bundesbank deren Vorstandsmitglied Burkhard Balz Stellung. Abwesend waren auf Seiten der Abgeordneten die Gruppe „Die Linke“ und die Gruppe BSW, die zwar keine Sachverständigen benennen durften, aber auch Fragezeit gehabt hätten. Ein Fragenkatalog wurde vorab nicht erstellt, wie es bei anderen Anhörungen durchaus üblich ist.

Insofern war die ganze Veranstaltung durch das Dilemma gekennzeichnet, das bereits die Debatte im Plenum geprägt hatte: Die formale Frage, wer denn nun wie im auf EU-Ebene begonnenen politischen Prozess über die Ausgestaltung eines digitalen Euro mitentscheiden soll, wurde mit der inhaltlichen Frage, was von dem Vorhaben zur Einführung eines digitalen Zentralbankgelds in der Eurozone zu halten sei, vermischt. Geladen waren einerseits Wissenschaftler, die Aspekte des digitalen Euro aus der Perspektive verschiedener Disziplinen beurteilten. Andererseits Stakeholder, die diesbezüglich vor allem wirtschaftliche Interessen vertraten.

Eine dezidiert gemeinwohlorientierte Perspektive, wie sie etwa die Verbraucherzentralen im Hinblick auf Bedürfnisse der Bürger:innen artikulieren könnten, fehlte. Auch auf die in den Anträgen der Unions- sowie der AfD-Fraktion formulierten Vorstellungen von einer „Zustimmungspflicht der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten“ (Union) bzw. einer „Volksbefragung“ in Deutschland zu dieser Angelegenheit (AfD) wurde in den von vielen Expert:innen vorab vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen nur im Einzelfall eingegangen. Der von der SPD-Fraktion geladene Jurist Ulrich Hufeld sprach sich gegen einen Zustimmungsvorbehalt des Bundestags bei der Einführung eines digitalen Euro aus. Er stützte damit die bei der Plenardebatte aus den Regierungsfraktionen vertretene Meinung, was wiederum die voraussichtliche Ablehnung der Anträge am Ende des parlamentarischen Prozesses impliziert.

Überwiegend nüchterne Kosten-Nutzen-Kalkulationen

Ansonsten drehte sich die Anhörung vor allem um generelle und konkrete Vorbehalte gegen das Projekt. Die fortbestehende Bedeutung von Bargeld wurde allseits unterstrichen. Ein größeres Thema war die Frage danach, welche Konsequenzen ein digitaler Euro für das private Bankensystem und etwa die Kreditvergabefähigkeit der Institute hätte. Der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Ulrich Reuter, sagte als Vertreter des von der FDP-Fraktion geladenen Verbands „Die Deutsche Kreditwirtschaft“, die deutschen Banken würden mit Umsetzungskosten von einer Milliarde Euro für den digitalen Euro rechnen. Solche Kosten müssten auch durch Gebühren refinanziert werden können. Befürchtet wird darüber hinaus, dass die Bankeinlagen von Bürger:innen abfließen könnten, da sie diese dann in digitalem Zentralbankgeld halten könnten. Die Einschätzungen über mögliche Auswirkungen eines solchen Szenarios gingen allerdings auseinander. Reuter konnte sich bei der Höhe des Haltelimits nur wenige hundert Euro vorstellen, ohne dass es zu relevanten Beeinträchtigungen kommen würde. Andere Akteure aus der Digital- und Zahlungsbranche betonten die Wahrnehmung von Innovations- und Kooperationspotenzial etwa mit den avisierten Angeboten der privatwirtschaftlichen European Payments Initiative, die ebenfalls vertreten war. Bundesbanker Balz sah sogar die Option, auch staatliche Transferleistungen an Privathaushalte via digitalem Euro abzuwickeln. Eine dezidiert ablehnende Haltung nahm ausschließlich der von der AfD-Fraktion geladene Ökonom Philipp Bagus ein, der den digitalen Euro zusammenfassend als „Teufelswerk” charakterisierte.

Die Frage, wie Akzeptanz und Vertrauen durch sowie ein besonderer Nutzen für die Bürger:innen erzielt werden könnte, wurde vor allem im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre diskutiert. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geladene Professor für Datensicherheit und -schutz, Rainer Böhme, sowie der von der FDP-Fraktion geladene Vertreter der Digital Euro Association, Jonas Gross, betonten hier die Notwendigkeit angemessener technischer Lösungen, aber auch die Bedeutung, die die Anwendung von Open-Source-Prinzipen für mehr Transparenz und Sicherheit entfalten könnten. Insofern bildete die Anhörung1Ihre Aufzeichnung, ein zusammenfassender Text, die Liste der Sachverständigen sowie die von einigen vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen sind im Online-Angebot des Deutschen Bundestags hier verfügbar. im Bundestag zentrale Konfliktlinien und Interessenlagen ab, die in der Debatte um den digitalen Euro virulent sind.

Beratungen in Brüssel

Bei der Anhörung im Bundestag hatte die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, bereits vorab beklagt: „Leider hat die EZB eine Einladung in den Finanzausschuss abgelehnt (…). Das ist sehr bedauerlich und trägt nicht zu einem offenen Diskurs bei.“2Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion, 16. Februar 2023. Gleichwohl ist die Europäische Zentralbank regelmäßig beim zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments zu Gast. So gab Piero Cipollone, Mitglied des EZB-Direktoriums, erst am 14. Februar 2024 dort „Einblicke in die Vorbereitungsphase für einen digitalen Euro“  und seine einleitenden Bemerkungen sind sogar schriftlich in deutscher Sprache verfügbar.3 Einzusehen auf der Webseite der EZB hier Dieser Ausschuss befasst sich auch federführend mit dem Legislativvorschlag zur Einführung eines digitalen Euro. Ein abschließendes Votum über Änderungsvorschläge, das dann wiederum die Grundlage für eine Abstimmung des Europäischen Parlaments darstellt, hat ECON bislang noch nicht vorgelegt.4Der letzte bei der Abfassung dieses Beitrags schriftlich vorliegende Stand ist ein noch nicht finalisierter Entwurf vom 9. Februar 2024. Hier das entsprechende PDF-Dokument. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), der diese Materie mitberät, hat aber schon Stellung mit dem Fokus auf Aspekte des Datenschutzes genommen. Das Abstimmungsergebnis vom 15. Februar 2023 über dieses Dokument signalisiert prinzipiell eine breite parlamentarische Zustimmung zum Vorhaben durch 48 Ausschussmitglieder bei sechs Gegenstimmen und sieben Enthaltungen.

Als dritte für das Gesetzgebungsverfahren relevante Instanz ist neben der Kommission und dem Parlament der Rat der Europäischen Union, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten sind, mit dem Thema befasst. Dieser beriet das Thema Ende Februar 2024 intern auf Expert:innen-Ebene in einer Arbeitsgruppe. Darüber berichtet Maximilian Henning für das kostenpflichtige Angebot Tagesspiegel Background: Digitalisierung & KI.5 Maximilian Henning: Ab wann braucht der digitale Euro eine Offline-Funktion, Tagesspiegel, 1. März 2024. Demnach stand die geplante Offline-Funktion eines digitalen Euro im Fokus dieser Beratungen. Damit sollen finanzielle Transaktionen etwa zwischen privaten Nutzer:innen in einem bestimmten Umfang möglich sein, auch ohne dass die Beteiligten dabei online sein müssen. Die Realisierung dieser gewünschten Funktionalität erscheint allerdings als eine große technisch-organisatorische Herausforderung. Deshalb wird diskutiert, ob sie für die Erstausgabe des digitalen Euro in der betreffenden Verordnung als verpflichtendes Feature verankert wird.

Vor dem Hintergrund dieser Schlaglichter auf den politischen Prozess in Berlin und Brüssel wird deutlich, dass die eigentliche Entscheidung über den Legislativvorschlag für einen Rechtsrahmen zum digitalen Euro im institutionellen Dreieck von Kommission, Parlament und Rat aller Voraussicht nach nicht vor der Europawahl Anfang Juni 2024 fällt. Dies würde zumindest die Möglichkeit eröffnen, über das Vorhaben im Wahlkampf eine inhaltliche Diskussion mit den Bürger:innen zu führen. Dass diese potenzielle Quelle demokratischer Legitimation produktiv genutzt wird, zeichnet sich bislang allerdings nicht ab.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

  • 1
    Ihre Aufzeichnung, ein zusammenfassender Text, die Liste der Sachverständigen sowie die von einigen vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen sind im Online-Angebot des Deutschen Bundestags hier verfügbar.
  • 2
  • 3
    Einzusehen auf der Webseite der EZB hier
  • 4
    Der letzte bei der Abfassung dieses Beitrags schriftlich vorliegende Stand ist ein noch nicht finalisierter Entwurf vom 9. Februar 2024. Hier das entsprechende PDF-Dokument.
  • 5
    Maximilian Henning: Ab wann braucht der digitale Euro eine Offline-Funktion, Tagesspiegel, 1. März 2024.
Kategorien
Autor: eFin Blog Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: gelb

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Digitaler Euro: Zum Stand des politischen Prozesses

Letztes Status Update: 13. Dezember 2024

Die Debatte über eine mögliche Einführung von digitalem Zentralbankgeld in der Eurozone läuft schon länger. Hier informieren wir über die Entwicklungen und den jeweils aktuellen Stand. Im Juni 2023 hat der betreffende Entscheidungsprozess auf EU-Ebene begonnen.

Das Titelbild eines Status-updates zum digitalen Euro

Der digitale Euro ist zunächst ein Projekt der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese hat im Juli 2021 offiziell damit begonnen, Anwendungsfälle und Möglichkeiten der Ausgestaltung eines solchen Zahlungsmittels zu untersuchen. Diese Phase soll im Oktober 2023 enden. Dann entscheidet der EZB-Rat als das oberste Beschlussorgan der EZB darüber, ob zur nächsten Phase übergegangen wird. Für die konkrete Realisierung wird derzeit eine dreijährige Auseinandersetzung angesetzt.

Auch wenn die EZB erst im Anschluss daran endgültig über eine Einführung des bis dahin im Detail ausgestalteten digitalen Euros entscheidet, hat die EU-Kommission mit dem begonnen, was als „Rechtsetzungsarbeit” bezeichnet wird, denn: „Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat die EU die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Für die Ausgabe eines digitalen Euro und die Entscheidung über seine technischen Merkmale ist die EZB zuständig, doch muss der digitale Euro zuvor durch eine EU-Verordnung, in der seine wesentlichen Aspekte festgelegt sind, eingeführt werden”, heißt es in einem Dokument der Kommission.1Die Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung (19.4.2022) findet sich zum Download hier»

EU-Vorschlag zur rechtlichen Regulierung

Am 28. Juni 2023 hat die EU-Kommission dementsprechend einen Legislativvorschlag zur Schaffung des Rechtsrahmens für einen möglichen digitalen Euro als Ergänzung zu Euro-Banknoten und -Münzen vorgelegt. Und zwar im Paket mit einem Legislativvorschlag über Euro-Bargeld als gesetzlichem Zahlungsmittel, der sicherstellen soll, dass dieses weithin akzeptiert wird und im gesamten Euro-Währungsgebiet leicht zugänglich bleibt.2Angaben zum Paket zur einheitlichen Währung: Neue Vorschläge zur Gewährleistung der Möglichkeit, Bargeld zu verwenden, und zur Schaffung eines Rechtsrahmens für einen digitalen Euro sowie betreffende Dokumente finden sich zum Download hie

Damit beginnt ein Gesetzgebungsverfahren, an dem das Europäische Parlament und der sogenannte Ministerrat beteiligt sind. In diesem Rat der Europäischen Union sind die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten. In mehreren Lesungen wird der Legislativvorschlag von Parlament und Rat überarbeitet. Sobald sich die beiden Institutionen auf entsprechende Änderungen geeinigt haben, wird der Vorschlag angenommen. Dies ist nicht zuletzt deshalb so komplex, weil die betreffenden Organe wiederum in sich heterogene Interessen repräsentieren, die umfangreiche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse notwendig machen.

Eine relevante Rolle dürfte in diesem Kontext die Euro-Gruppe spielen. Dabei handelt es sich um ein informelles Gremium, in dem die Finanzminister:innen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets über den Euro betreffende Fragen, die in die gemeinsame Verantwortung ihrer Länder fallen, beraten. Darüber hinaus findet Anfang Juni 2024 die nächste Europawahl statt, bei der dieses Thema eine Rolle spielen könnte.

Die Europawahl könnte darüber hinaus weitere Konsequenzen für das Verfahren haben:

“Für all jene Gesetzesvorlagen, über die das Plenum vor den Wahlen nicht mehr abgestimmt hat, gibt es keine rechtswirksame Position des Europäischen Parlaments. Die Geschäftsordnung des Parlaments sieht daher vor, dass in solchen Fällen die Arbeit der Abgeordneten (zum Beispiel in Form von Beschlüssen auf Ausschussebene) verfällt. Allerdings kann die neue Konferenz der Präsidenten – die aus dem Präsidenten/ der Präsidentin des Parlaments und den Fraktionsvorsitzenden besteht – zu Beginn der neuen Legislaturperiode beschließen, die Arbeit an diesen Gesetzesvorlagen unter Nutzung des bereits erreichten Standes fortzusetzen (vgl. Artikel 240 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments).”3 Siehe hierzu die Antwort in den FAQs des Europäischen Parlaments

Im Anschluss an die Europawahl steht zunächst eine Personalie im Vordergrund des parlamentarischen Procederes. Der zunächst weiterhin als Berichterstatter für das Gesetzesvorhaben vorgesehene Abgeordnete Stefan Berger (EVP), steht Mitte Dezember 2024 nicht mehr für diese Funktion zur Verfügung. Dies sei eine Reaktion auf den Vorwurf der Verschleppung des Verfahrens durch einen Vertreter aus Deutschland, wo es eben besondere Bedenken gegen den digitalen Euro gäbe.4Vgl. die Berichterstattung durch Politco: https://www.politico.eu/article/epp-digital-euro-german-obstruction-stefan-berger-markus-feber-european-central-bank/

Reaktionen auf Bundesebene

Parallel dazu hat auch in den Mitgliedsländern die Befassung mit dieser Materie begonnen. Im Rahmen seiner Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten hat sich der Bundesrat bei seiner Sitzung am 29. September 2023 mit den EU-Vorschlägen für einen Rechtsrahmen zur Einführung des digitalen Euro befasst und eine Stellungnahme beschlossen.

Im Bundestag hat die Unionsfraktion einen Antrag mit dem Titel „Abstimmung über den digitalen Euro im Bundestag bindend machen“ vorgelegt, der am Mittwoch, den 8. November 2023, im Plenum debattiert wird. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, führt dazu aus: „Nachdem das Projekt digitaler Euro nun voranschreitet, muss die Bundesregierung dem Parlament ein wirkliches Mitspracherecht einräumen. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung der Einführung eines digitalen Euro nur zustimmt, nachdem der Deutsche Bundestag eine Einführung befürwortet hat.”5 Siehe die entsprechende Pressemitteilung. Nach der Debatte soll der Antrag gemeinsam mit einer Initiative der AfD-Fraktion zur weiteren Beratung an den federführenden Finanzausschuss überwiesen werden. Der Titel des AfD-Antrags lautet „Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel bewahren und Überwachung der Bürger durch digitales Zentralbankgeld verhindern“. Zur Dokumentation der Anträge und zu weiteren Informationen siehe hier. Beide Anträge werden nach einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Finanzausschusses schließlich am 4. Juli 2024 durch den Bundestag abgelehnt. Zur Dokumentation der Debatte siehe hier.

Im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags fand am 19. Februar 2024 eine zweistündige öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „digitaler Euro“ sowie den vorgelegten Anträgen statt. Ein Fragenkatalog wurde dafür nicht erstellt; für Details zum Termin siehe hier.

Dieser Beitrag wird um aktuelle Angaben ergänzt, wenn der politische Prozess fortschreitet. Siehe zum jeweiligen Stand auch den Eintrag zum Verordnungsentwurf auf der Seite EUR-Lex der Europäischen Union.

Kategorien
Autor: Erik Meyer Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Digitaler Euro: Formate und Inhalte der politischen Kommunikation des Projekts

Digitaler Euro: Formate und Inhalte der politischen Kommunikation des Projekts

Ein Beitrag von Erik Meyer

vom 18. Juli 2022

Ein Titelbild für die Frage nach dem digitalen Euro

Bislang war der digitale Euro eine eher administrative Angelegenheit. Spätestens mit dem vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission sollte auch die Vermittlung des Vorhabens in eine neue Phase öffentlicher Diskussion eintreten. Einige Eindrücke zum aktuellen Stand.

Die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet nun schon länger daran, wie ein digitaler Euro auszugestalten wäre und eruiert, ob es ihr sinnvoll erscheint, diesen auch einzuführen. Dieser Prozess wird an Hand von Dokumenten einigermaßen transparent in der Online-Kommunikation der Institution dargestellt. Das heißt allerdings, dass viele Informationen primär auf Englisch vorliegen und zudem fachsprachlich formuliert sind. Auch die Deutsche Bundesbank verweist in ihrem nicht ganz aktuellen Online-Angebot auf solche Materialien. Fortlaufend dokumentiert werden betreffende Publikationen hier. Ein zentrales Format sind dabei Folienpräsentationen, die zu diversen Anlässen vorgelegt werden und etwa den Fortschritt des Vorhabens grafisch darstellen sollen. Einer solchen Präsentation ist auch der aktuell auf der deutschsprachigen EZB-Unterseite verlinkte Zeitplan des Projekts entnommen, der bislang erreichte Meilensteine fokussiert.

Darstellung des Zeitplans für die Testphase des digitalen Euro durch die Europäische Zentralbank.
Darstellung des Zeitplans für die Testphase des digitalen Euro durch die Europäische Zentralbank.

Anders als dieses kleinteilige und für eine auf das Projekt bezogene Themenöffentlichkeit einschlägige Angebot mutet die visuelle Regierungskommunikation an, die mit der Vorlage des Verordnungsentwurfs für einen Rechtsrahmen des digitalen Euros insbesondere in den sozialen Medien eingesetzt hat. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat etwa in der Erklär-Video-Reihe Finanzisch für Anfängerinnen und Anfänger einen einminütigen Clip im Comic-Stil zu folgender Fragestellung veröffentlicht: „Was könnte ein digitaler Euro möglich machen, wer arbeitet daran und wann könnte er eingeführt werden?“. Per Du und mit Musik unterlegt werden hier vor allem vermeintliche Vorzüge des digitalen Euro in Szene gesetzt und für Informationen abstrakt auf www.bundesfinanzministerium.de verwiesen. Die dem zuständigen EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung unterstehende Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen lanciert derweil etwa bei Twitter unter @ecfin und mit den Hashtags #EuroCash #YourChoice diverse farbenfrohe Sharepics, ein ähnliches Video-Format wie das BMF sowie einen recht schematischen Faktencheck. Während hier alles in Englisch vorgetragen wird, existieren einige Angaben der EU-Kommission zu ihren Legislativvorschlägen auch in deutscher Sprache: etwa ein Informationsblatt zum Download. Dieses hebt auch primär darauf ab, knapp Vorteile des digitalen Euro aufzuzählen sowie Gegenargumente zu entkräften.

Parlamentarische Anfrage und Antwort der Bundesregierung

Ein weniger präsentes Format der politischen Kommunikation sind demgegenüber parlamentarische Anfragen, die von Mitgliedern des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung gerichtet werden. Eine sogenannte Große Anfrage hat die AfD-Fraktion im Februar 2023 unter dem Titel Tokenisierung des Geldes – Chancen und Risiken gestellt, die den Gesamtzusammenhang von Bar- und Digitalgeld adressiert. Mitte Juni hat die Bundesregierung darauf schriftlich geantwortet und der Bundestag hat darüber Ende Juni in seinen Parlamentsnachrichten berichtet.

Deckblatt der Drucksache 20/7277 vom 14.06.2023. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der AfD. Tokenisierung des Geldes - Chancen und Risiken.

Die Drucksache selbst hat inklusive der 83 gestellten Einzelfragen einen Umfang von über 50 Seiten. Auch wenn diese Auskünfte noch vor der Veröffentlichung des Verordnungsentwurfs erteilt wurden und die Bundesregierung an einigen Stellen darauf verweist, dass ihr betreffende Erkenntnisse nicht vorliegen bzw. nur den aktuell bekannten Stand reflektieren, werden einige Aspekte, die den digitalen Euro betreffen, hier weniger plakativ-persuasiv denn nüchtern-nachvollziehbar formuliert. Dabei werden diverse Quellen berücksichtigt. Dementsprechend lohnt es sich, hier ausgewählte Passagen zu dokumentieren.

Aus der Vorbemerkung zum Entscheidungsverfahren:
„Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es für die Einführung eines möglichen digitalen Euro eines demokratisch legitimierten Entscheidungsprozesses bedarf.“ (…) Auch eine positive Entscheidung der EZB über den Eintritt in eine weitere Projektphase im Herbst 2023 würde keine Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euro bedeuten. Eine solche Entscheidung könnte vielmehr erst dann getroffen werden, wenn die europäischen Ko-Gesetzgeber einen gesetzlichen Rahmen für die Einführung eines digitalen Euro geschaffen hätten.“ (S. 20)

Dies im Hinblick auf die Vorgehensweise der EZB konkretisierend:
„Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat in ihrer Rede bei der Plenarsitzung des Europaparlaments am 15. Februar 2023 ausgeführt, dass eine Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euro erst getroffen werden könne, wenn das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sei. In ihrem dritten Fortschrittsbericht zum digitalen Euro vom 24. April 2023 hat die EZB dargelegt, dass das Design eines digitalen Euro dann auf Grundlage des Gesetzgebungsprozesses erfolgen wird.“ (S. 22 f.)

Ein relevantes Gremium bei der bisherigen Ausarbeitung von Gestaltungsoptionen des digitalen Euro ist die High-Level Task Force on Central Bank Digital Currency, die sich aus Vertreter:innen der EZB und der nationalen Zentralbanken der Eurozone zusammensetzt. Auf diese wird etwa im Hinblick auf die Frage Bezug genommen, ob es hier nur um digitales Zentralbankgeld für Endkund:innen geht (Retail-CBDC) oder auch um eine digitale Zentralbankwährung für Geschäftsbanken und andere Finanzinstitutionen (Wholesale-CBDC):
„Die bisherigen Arbeiten der HLTF-CBDC zum Digitalen Euro beziehen sich nach Kenntnis der Bundesregierung ausschließlich auf Retail-CBDC. Eine Zusammenführung der dabei bisher identifizierten Designoptionen für einzelne Gestaltungsmerkmale (‚High-level design‘) ist nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell für das zweite Quartal 2023 vorgesehen.“ (S. 26)

Zu den Ressort-Zuständigkeiten seitens der Bundesregierung wird ausgeführt:
„Das Bundesministerium der Finanzen koordiniert und bearbeitet das Thema innerhalb der Bundesregierung federführend und beteiligt die Ressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und das Bundeskanzleramt. Zu den beteiligten Ressorts gehörten bislang insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.“ (S. 27)

Zur Frage danach, ob Zentralbanken beim digitalen Euro die Kontenführung übernehmen:
„Nach Kenntnis der Bundesregierung sehen die aktuellen Überlegungen der Zentralbanken des Eurosystems zum digitalen Euro nicht vor, dass die EZB oder nationale Zentralbanken Konten für jedermann eröffnen würden. Nach den Vorstellungen des Eurosystems würde der digitale Euro zwar bilanziell eine Verbindlichkeit der Zentralbanken darstellen – wie dies heute auch beim Bargeld der Fall ist. Es wären aber nicht die Zentralbanken, sondern beaufsichtigte Intermediäre (in der Regel Geschäftsbanken und/oder andere Zahlungsdienstleister), die für die Verteilung des digitalen Euro an die Endnutzer verantwortlich wären, einschließlich der Eröffnung von Konten oder Wallets“. (S. 33)

Zur informellen Beteiligung von Stakeholdern am laufenden Entwicklungsprozess:
„Die Einbeziehung erfolgt nach Kenntnis der Bundesregierung z. B. über (i) Marktkontaktgruppen wie das Euro Retail Payments Board (ERPB) auf europäischer Ebene und das Forum Zahlungsverkehr der Deutschen Bundesbank auf nationaler Ebene, sowie der Market Advisory Group (MAG), in der Experten aus dem Zahlungsverkehr das Eurosystem beraten (ii) Umfragen und (iii) Mitarbeit privater Akteure an technischen Merkmalen eines digitalen Euro (z. B. im Rahmen von Prototyping-Aktivitäten oder einer Marktuntersuchung).“ (S. 36)

Zum Charakter des digitalen Euro als digital cash:
„Die Bundesregierung sieht den digitalen Euro als eine Ergänzung zum Bargeld und setzt sich für eine an den Grundeigenschaften des Bargelds orientierte Ausgestaltung eines digitalen Euro ein. Ein digitaler Euro sollte als Zahlungsmittel und nicht zur Geldanlage verwendet werden, um die Auswirkungen auf die geldpolitische Transmission und den Finanzsektor wirksam zu begrenzen.“ (…) Mit Blick auf eine an den Grundeigenschaften des Bargelds orientierte Ausgestaltung eines digitalen Euro setzt die Bundesregierung sich dabei für ein möglichst weitgehendes Maß an Privatsphäreschutz ein, das über den Privatsphäreschutz heutiger, von privaten Unternehmen angebotenen elektronischer Zahlverfahren hinausgeht.“ (S. 37)

Zur abgestuften Ablehnung von Programmierbarkeit als Feature für digitales Zentralbankgeld:
„Das Eurosystem und die Mitgliedstaaten des Euroraums lehnen eine Programmierbarkeit eines digitalen Euro dergestalt, dass z. B. eine Bedingung direkt in einem ‚digitalen Geldstück“ hinterlegt würde, strikt ab, denn es wäre sonst nicht mehr sichergestellt, dass das ‚digitale Geldstück‘ zum Nennwert (also eins zu eins) in andere Formen des Euro (z. B. Bargeld) umtauschbar wäre. Die freie Konvertibilität ist aber eine Grundanforderung an den digitalen Euro.
Davon abzugrenzen ist der Einsatz von digitalem Zentralbankgeld in programmierbaren Anwendungen. Die Bundesregierung setzt sich gegenüber dem Eurosystem dafür ein, den Einsatz von digitalem Zentralbankgeld in programmierbaren Anwendungen verstärkt zu untersuchen. Als programmierbare Zahlungen versteht die Bundesregierung Überträge von Geld, bei denen Zeitpunkt, Betragshöhe und/oder Art des Übertrags durch vorher vorgegebene Bedingungen bestimmt werden. Solche Zahlungen können die geldseitige Abwicklung von komplizierten Geschäftsprozessen unter Berücksichtigung der Erfüllung vorgegebener Bedingungen ermöglichen.“ (S. 39)

Aktuell wird an den Voraussetzungen für einen einheitlichen digitalen Identitätsnachweis für Menschen und Unternehmen in der EU (EUid:) gearbeitet; ausgeführt quasi äquivalent zu einem Ausweis als digitale Brieftasche (Wallet). Gerade im Hinblick auf potenzielle Problematiken des digitalen Euro betreffend den Schutz der Privatsphäre spielen Planungen zur Nutzung der EUid im Zusammenhang mit digitalem Zentralbankgeld (CBDC) eine Rolle. Dazu wird ausgeführt:
„Die Möglichkeiten eines Zusammenwirkens von CBDC und digitalen Identitäten hinge von der jeweiligen konkreten technischen Ausgestaltung ab. Diese ist weder für einen möglichen digitalen Euro noch für eine EUid abschließend geklärt. Der europäische Gesetzgebungsprozess für eine EUid (eIDAS-VO) befindet sich gegenwärtig im ‚europäischen Trilog‘. Unbeschadet dessen könnte ein potenzielles Zusammenspiel beider Technologien nur unter strenger Berücksichtigung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte (insb. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht) und des geltenden Datenschutzrechts erfolgen.“ (S. 41)

Finanzisch für gut informierte Bürger:innen

Die Unterschiede zwischen verschiedenen Varianten zur kommunikativen Vermittlung des digitalen Euro sind signifikant, wenn auch den jeweiligen Entstehungskontexten und Adressatenkreisen geschuldet. Zwischen Angeboten für professionell mit dem Thema befasste Personen und eine interessierte Öffentlichkeit klafft noch eine erkennbare Lücke. Der Blick auf die parlamentarische Auskunft der Bundesregierung zeigt, dass entsprechende Inhalte aber in Deutschland durchaus verfügbar sind. Es wäre deshalb wünschenswert, sie nicht nur als im Informationssystem für Parlamentsmaterialien vorgehaltenes PDF zu dokumentieren, sondern prominenter online zugänglich zu machen. Gerade die Markierung von unterschiedlichen Ansichten aber auch Wissensständen im dialogischen Format von Anfrage und Antwort erscheint hier besonders geeignet. Eine zusätzliche Herausforderung bleibt dabei, dass nicht nur der Gegenstand „digitaler Euro“ komplex und wenig fassbar ist. Auch die Arbeit von Zentralbanken und das politische System der Europäischen Union sind höchst erklärungsbedürftig.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Cederic Meier Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: hellblau

Quo vadis digitaler Euro?

Quo vadis digitaler Euro? Über die rechtlichen Indikationen des Verordnungsentwurfs zur Einführung eines digitalen Euro

Ein Beitrag von Cederic Meier

vom 4. Juli 2023

Am 28. Juni 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission im Rahmen des Pakets zur einheitlichen Währung neben dem Verordnungsentwurf über Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel1Regulation on the legal tender of euro banknotes and coins. den lang erwarteten Entwurf einer Verordnung zur etwaigen Einführung eines digitalen Euro.2Regulation on the establishment of the digital euro. Verfassungsrechtlich erhält der digitale Euro damit die ausgehende Grundlage für die demokratische Diskussion eines kollektiven Rechtsrahmens, der Gestalt und Funktion des neuen Geldmediums weitgehend bestimmen würde.

Während die parallele Entscheidung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) über die tatsächliche Einführung eines digitalen Euro weiterhin aussteht, benötigt der Verordnungsentwurf nun die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union, die als gemeinsame Institutionen der Gesetzgebung der Union eigene Änderungsvorschläge zur Verordnung einbringen können. In diesem Prozess gilt es fortan, das rechtliche Wesen des digitalen Euro demokratisch zu bestimmen.

Bereits in der Art und Weise der Veröffentlichung des Entwurfs innerhalb des einheitlichen Gesetzgebungspakets verdeutlicht die Europäische Kommission ein wesentliches Fundament des digitalen Euro: Der digitale Euro soll die derzeit existierende Erscheinung des Bargelds in keiner Form ersetzen, sie vielmehr ergänzen und den Bürgerinnen und Bürgern des Euroraums nunmehr die freie Wahlmöglichkeit der Zahlung mit Zentralbankgeld in barer oder digitaler Form gewähren.3Vgl. dahingehend auch die zugehörige Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 28. Juni 2023 sowie die am gleichen Tag in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlichten Beitrag von Fabio Panetta (Direktoriumsmitglied der EZB) und Valdis Dombrovskis (Exekutiver Vizepräsident der Europäischen Kommission) Warum Europa einen digitalen Euro braucht, hierzulande verfügbar unter FAZ vom 28. Juni 2023 sowie kostenlos auf dem EZB-Blog vom 28. Juni 2023. Siehe zudem die dies mehrfach betonende Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 1, 2, 9, 17.So repräsentiert ein digitaler Euro zuvorderst das ausgesprochene europäische Ziel, auch innerhalb einer sich zunehmend digitalisierenden Ökonomie (beispielsweise E-Commerce, Industrie 4.0, Web3) eine kostenlose und effektiv verwendbare Form des öffentlich emittierten Zentralbankgeldes anzubieten, die das für die moderne Geldordnung essenzielle Vertrauen in den Euro im digitalen Zeitalter langfristig zu sichern vermag. Auf dieser Linie soll ein innovativer digitaler Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ein hohes Maß an Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten, die Finanzstabilität der Eurozone wahren und die allgemeine finanzielle Integration weiter fördern.4Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 2, 3.Der anstehende normative Gestaltungsprozess ist damit jedoch gerade erst angestoßen. Fortan gilt es, das rechtliche Wesen des digitalen Euro in den entsprechenden europäischen Gremien demokratisch zu diskutieren und es im Sinne der europäischen Gesellschaft weiter zu formen.

Zum allgemeinen politischen Rahmen einer Verordnung zum digitalen Euro

In rechtsstaatlicher Betrachtung ist zum generellen Erlass der Verordnung zunächst eine entsprechende Rechtsgrundlage erforderlich, die die Europäische Union politisch zur Rechtssetzung ermächtigt. Die Kommission stützt diese Kompetenz auf Art. 133 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), der vorsieht, dass das Europäische Parlament und der Rat die Maßnahmen erlassen, „die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlich sind.“ Da die Währungspolitik gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) AEUV jedoch ohnehin in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Union fällt,5Womit das Subsidiaritätsprinzip der Unionsgesetzgebung gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV unanwendbar ist.dürften der generellen Gesetzgebungskompetenz der Union für einen digitalen Euro unter Wahrung der normativ unabhängigen Befugnisse der EZB keine ernsthaften Zweifel entgegenstehen. Zusätzlich begründet die Kommission den Rückgriff auf Art. 133 AEUV entsprechend des Wortlauts als „erforderlich“, um die Verwendung des Euro als einheitliche Währung im digitalen Zeitalter zu gewährleisten.6Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 5.

Dass die Kommission mit ihrem ausschließlichen Gesetzesinitiativrecht derart frühzeitig und noch vor der Entscheidung der EZB über die Entwicklung eines digitalen Euro im Oktober 2023 aktiv wird, ist dabei aus politischer Sicht äußerst begrüßenswert. So ist die Gestalt eines unmittelbar verbindlichen Rechtssatzes innerhalb einer Gesellschaft, die sich mittels staatlicher Strukturen politisch organisiert, die vorwiegende Grundlage der allgemeinen Akzeptanz einer kollektiv begründeten Ordnung. Für die allgemeine Akzeptanz einer neu zu schaffenden Ordnung des digitalen Euro ist es aus staatstheoretischer Perspektive somit förderlich, sie mittels eines demokratisches Gesetzgebungsprozesses normativ zu konstituieren. Die politische Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Befragung zum digitalen Euro,7Eurosystem report on the public consultation on a digital euro. Zur expliziten Berücksichtigung siehe Gesetzesbegründung des Kommissionsentwurfs zum digitalen Euro, S. 6. an der sich nach der Veröffentlichung des Report on a digital euro von Oktober 2020 bis Januar 2021 alle Bürgerinnen und Bürger des Euroraums beteiligen konnten, ist in ihrer Intention zwar lobenswert, jedoch bleibt kritisch anzumerken, dass an der Befragung nur 8221 Menschen der knapp 343 Millionen Einwohner des Euroraums teilnahmen, die Befragung fast zweieinhalb Jahre zurückliegt und zu dieser Zeit kaum über einen digitalen Euro informiert wurde. Im weiteren Gesetzgebungsprozess wäre es für die zukünftige politische Akzeptanz und das gemeine Verständnis eines digitalen Euro daher essenziel , eine neue weitreichende und groß angelegte öffentliche Debatte über die Einführung eines digitalen Euro sowie seine etwaigen sozialen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile anzustoßen.

Der digitale Euro als öffentlich kreditiertes Zahlungsmedium

Nachdem der Verordnungsentwurf zunächst die wesentliche Intention eines digitalen Euro sowie grundlegende Begriffsdefinitionen festlegt, formuliert er in Art. 4 die wohl bedeutendste Eigenschaft eines digitalen Euro, die ihn von allen bisher existierenden digitalen Zahlungsmedien abheben würde. Ein digitaler Euro stellt eine unmittelbare Verbindlichkeit der EZB oder der nationalen Zentralbanken dar, dessen Ausgabe ausschließlich zentral durch die EZB genehmigt wird. Damit bildet ein digitaler Euro ein in seinem Bestand öffentlich kreditiertes Geldmedium, das von einer Institution garantiert wird, die innerhalb ihrer eigenen Währung insolvenzunfähig ist und damit stets den Status der Zahlungsfähigkeit erhält. Im Gegensatz dazu fußt die Nutzbarkeit des bereits digital verwendbaren Buchgeldes auf den Geschäftsbankkonten – trotz gesetzlicher Einlagensicherung – grundsätzlich auf der Liquidität einer insolvenzfähigen Geschäftsbank. Denn anders als öffentlich emittiertes Zentralbankgeld stellt dieses „private“ Buchgeld normativ zunächst ausschließlich einen rechtlichen Anspruch gegen eine Geschäftsbank auf Auszahlung des nominalen Betrages in öffentliches Zentralbankgeld dar.

Zudem soll ein digitaler Euro gemäß Art. 7 ff. des Verordnungsentwurfs – vergleichbar dem Bargeld – als gesetzliches Zahlungsmittel grundsätzlich einer generellen rechtlichen Annahmepflicht für die Tilgung von Geldschulden unterliegen. Dies gilt für die offline-Verwendung im Allgemeinen und für die online-Verwendung, soweit der Zahlungsempfänger im Euroraum ansässig bzw. niedergelassen ist (Art. 8). Im Sinne des Verbraucherschutzes wäre es im Rahmen der online-Verwendung im Geschäftsverkehr folglich wünschenswert, Unternehmen zur eindeutigen Kennzeichnung ihrer etwaigen Niederlassung im Euroraum zu verpflichten. Ausnahmen von der gesetzlichen Annahmepflicht sollen nur unter den im Verordnungsentwurf engen Voraussetzungen des Art. 9 möglich sein, die später gemäß Art. 11 durch die Kommission ergänzt werden können.8Gemäß Art. 38 Abs. 6 des Verordnungsentwurfs gilt die Befugnis der Kommission jedoch nur, soweit das Europäische Parlament oder der Rat der Europäischen Union keine Einwände erheben. Gemäß Art. 39 Abs. 3 soll die Befugnis zum Erlass der delegierten Rechtsakte (neben Art. 11 auch Art. 33, 34 und 35) zudem jederzeit durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union widerrufbar sein.Insbesondere soll ein Ausschluss der Annahmepflicht gemäß Art. 10 nicht durch einseitig vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen des Zahlungsempfängers ermöglicht werden. Auf dieser Linie trifft die Verordnung Regelungen, die weit in die mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen hineinwirken.

Als gesetzliches Zahlungsmittel könnte sich ein digitaler Euro derart als universelle Eintrittskarte in die Welt der digitalen Ökonomie des Euroraums etablieren. Als öffentliches Geldmedium würde ein digitaler Euro einerseits die unmittelbare Sicherung durch die staatliche Hoheitsgewalt genießen und andererseits als gesetzliches Zahlungsmittel eine im Grundsatz wirtschaftliche Allzweckwaffe zur sofortigen Tilgung eingegangener Schuldverhältnisse verkörpern. Mittels eines digitalen Euro würde im demokratischen Sinne so die Möglichkeit der allgemeinen Partizipation an der digitalen Marktwirtschaft – ohne Einflussnahme und notwendige Unterwerfung unter die gesetzten Regeln privater Zahlungsanbieter – öffentlich garantiert werden.

Zugang und Nutzung des digitalen Euro als politische Fragen

Der Verordnungsentwurf setzt sich in den Art. 13 ff. weiterhin ausführlich mit Zugang und Nutzung des digitalen Euro auseinander. Gemäß Art. 13 sollen die praktischen Marktprozesse demnach primär von zugelassenen privaten Anbietern von Zahlungsdiensten wie beispielsweise Geschäftsbanken koordiniert werden, ohne eine direkte vertragliche Beziehung der Endnutzer mit der EZB oder den nationalen Zentralbanken entstehen zu lassen (Art. 13 Abs. 6).9Die generelle Zulassung der Zahlungsanbieter des digitalen Euro richtet sich somit folglich nach der Richtlinie (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt. Mit Bezug auf Art. 4 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs bleibt dabei jedoch eindeutig, dass sich dieser Haftungsausschluss ausschließlich auf die konkrete Ausführung der Zahlungsdienste bezieht, der digitale Euro seine Eigenschaft als unmittelbare Verbindlichkeit einer insolvenzunfähigen Zentralbank aber dennoch uneingeschränkt bewahrt. Der Entwurf verpflichtet die privaten Zahlungsanbieter ferner, allen anfragenden Endnutzern gleichermaßen und unabhängig von der Wahrnehmung anderer Angebote, klar benannte, grundlegende digitale-Euro-Dienste kostenlos zur Verfügung zu stellen.10Die entsprechende Auflistung dieser Dienste findet sich in Annex 2 des Verordnungsentwurfs. Entgelte für darüberhinausgehende Dienste dürfen unter strenger Aufsicht der EZB nur in verhältnismäßiger und vergleichbarer Höhe zu anderen angebotenen digitalen Zahlungsmethoden erhoben werden (Art. 17 Abs. 2). Mittels weiterer Informationspflichten (Art. 13 Abs. 8) sowie differenzierten Antidiskriminierungs- und Inklusionsvorschriften (beispielsweise Art. 14 Abs. 4, Art. 22 Abs. 1, 2) trifft der Verordnungsentwurf insgesamt bereits weitreichende und wirksame Vorkehrungen für eine uneingeschränkte finanzielle Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger des Euroraums in die digitale Ökonomie.

In der konkreten Verwendung lässt der Verordnungsentwurf – wie es ob der bisherigen Äußerungen der EZB zu erwarten war – gemäß Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 die Möglichkeit offen, die wirtschaftliche Funktion des digitalen Euro als Wertaufbewahrungsmittel instrumentell zu begrenzen. Um die Finanzstabilität des Euroraums zu schützen, ist davon auszugehen, dass eine im Wert noch offene Obergrenze der Geldmenge, die Bürgerinnen und Bürger maximal in digitalen Euro halten dürfen, durch die EZB etabliert wird. Andernfalls wäre zu erwarten, dass zahlreiche Endnutzer ihr Buchgeld von den Geschäftsbankkonten vollständig in das System des digitalen Euro umlegen, um ihr Kapital unmittelbar an eine insolvenzunfähige Zentralbank zu binden. Trotz dieser Obergrenze sollen die konkreten Zahlungsvorgänge innerhalb der Infrastruktur des digitalen Euro in unbestimmter Höhe ermöglicht werden. Der dabei zusätzlich benötigte Betrag würde von einem Geschäftsbankkonto des Schuldners ergänzt („reverse waterfall functionality“) und im erhöhten Betrag auf einem Geschäftsbankkonto des Gläubigers gutgeschrieben werden („waterfall functionality“). Derart würde die Infrastruktur des digitalen Euro eine vielfach geforderte Funktion erfüllen: Eine allumfassende Zahlungsabwicklung in einem öffentlich abgesicherten und garantierten System.11So stellt die Zahlungsinfrastruktur des digitalen Euro eine echte Alternative zu privaten Instant Payment Systemen wie PayPal dar und erfüllt ähnliche Funktionen wie das häufig gelobte öffentliche Zahlungssystem PIX der brasilianischen Zentralbank.

Überdies sollen die Zahlungsvorgänge gemäß Art. 30 Abs. 1 in nur wenigen Sekunden erfolgen, was die allgemeine Tilgungssicherheit und Effizienz gegenüber traditionellen Zahlungsinstrumenten erheblich stärkt. Auch dem Schutz der Daten, die zwangsläufig bei allen Handlungen im digitalen Raum entstehen, sowie der Privatsphäre wird in den Art. 34 ff. des Verordnungsentwurfs weitreichend Rechnung getragen. Entsprechend der Verordnungsbegründung soll dieser Schutz auf modernsten Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen wie Pseudonymisierung oder Verschlüsselung aufbauen. Unter dem Begriff des „programmierbaren Geldes“ schließt der Verordnungsentwurf in Art. 24 Abs. 2 zudem aus, die Verwendbarkeit des digitalen Euro für bestimmte Waren oder Dienstleistungen zu beschränken. Ein programmierbarer Einsatz des digitalen Euro in Smart Contracts, in M2M Payments oder im Internet of Things, wie er bspw. mittels der Blockchain Technologie möglich wäre, soll damit wohl hingegen keineswegs ausgeschlossen werden.

Aus politischer Sicht stehen alle genannten rechtlichen Wesenszüge und Eigenschaften eines digitalen Euro indessen vollständig zur demokratischen Disposition des europäischen Gesetzgebers. Derart etabliert die Diskussion um einen digitalen Euro die historisch wohl bislang einzigartige Chance, eine völlig neue Erscheinung des Geldes demokratisch zu formen. Münz-, Papier- und Buchgeld werden im modernen Verfassungsstaat zwar ebenfalls rechtlich reguliert, stellen in ihrem existenziellen Ursprung jedoch vordemokratische Ideenkonstrukte dar. In der digitalen Welt werden die exakten Spielregeln der Zahlungsvorgänge gleichwohl bis heute primär von privaten Zahlungsanbietern diktiert. Ein digitaler Euro würde aus diesem Blick eine moderne Alternative bieten, dessen Nutzung stets der freien Wahlmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger des Euroraums unterliegt.

RSS-Feed RSS-Feed zum eFin-Blog abonnieren

Zurück zur Startseite des Blogs

Zum Diskursprojekt Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors

Kategorien
Autor: Isabel Schmidt Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

Wie nah ist Europa? Erfahrungen von der virtuellen Teilnahme an einem EU-Hearing zum digitalen Euro

Wie nah ist Europa? Erfahrungen von der virtuellen Teilnahme an einem EU-Hearing zum digitalen Euro

Ein Beitrag von Isabel Schmidt

vom 24. April 2023

eFin & Demokratie hat das public hearing der Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt (ECO) des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) „A Digital Euro – Challenges and Opportunities“ am 7. September 2022 per Videostream besucht.1 Ein Webstream des Hearings ist hier online. Wir sind überrascht über die dichte und nachhaltige Dokumentation der EU-Gremien im Netz und fragen uns gleichzeitig, was die virtuelle Präsenz der europäischen Institutionen tatsächlich an demokratischen Mitwirkungseffekten nach sich ziehen kann.

Ein Klick und ich bin mitten in der Sitzung der Fachgruppe des Brüsseler Wirtschafts- und Sozialausschusses. Es geht verblüffend einfach, europäische Politik zu mir nach Hause auf den Bildschirm zu holen und live daran teilzunehmen.

Ein bild von sieben europäischen Flaggen

Selbst Fragen lassen sich von allen Anwesenden an das Gremium stellen, die ad hoc aufgegriffen und beantwortet werden. Das ist keineswegs ein Zufall. Alle EU-Gremien, zu denen der Ausschuss gehört, arbeiten nach einer 100 Prozent Transparenz-Regel.2Diese besagt: „Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben das Recht zu erfahren, wie die EU-Organe ihre Entscheidungen treffen, wer am Entscheidungsprozess beteiligt ist und welche Dokumente im Zuge der Vorbereitung und Annahme von Rechtsakten hervorgebracht werden. Sie haben das Recht, Zugang zu diesen Dokumenten zu verlangen und Stellung dazu zu nehmen. Außerdem haben die Bürger das Recht zu erfahren, wer Mittel aus dem EU-Haushalt erhält.“ Sie ist hier zu finden. Grundlage für diese Regel ist die Annahme, dass diese Transparenz dazu beitragen könne, europäische Bürgerinnen und Bürger zu einer aktiveren Teilnahme am demokratischen Leben der EU anzuregen.Tatsächlich lassen sich alle Aktivitäten minutiös nachvollziehen und einsehen. Das heißt, Sitzungen können gestreamt werden, Vorgänge zu Gesetzesentscheidungen werden nachvollziehbar und teilweise in 23 (!) verschiedenen europäischen Sprachen bereitgestellt. Dokumente sind im Netz verfügbar – selbst bis zurück ins Jahr 1999.3Für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sind die Unterlagen hier.

Europäische Politik ist erstaunlich präsent im Netz, aber wer schaut hin?

Beim Surfen und Livestreamen entsteht so der Eindruck, europäische Politik ist zu 100 Prozent im Netz erlebbar. Diese digitale Spiegelung der EU-Politikebene lässt uns staunen und ist einer Abbildung und Transparenz deutscher Politik im Netz wahrscheinlich um Längen voraus. Trotzdem drängen sich Fragen auf: Wie nah sind Bürger:innen den politischen Entscheidungsprozessen? Existieren womöglich trotz digitaler Barrierefreiheit Hindernisse der Inhalte? Wer nimmt üblicherweise den Service in Anspruch, vor allem: Wer, der nicht sowieso am Thema dran ist? Und was ist mit all jenen, die keinen Zugang zum Internet haben oder denen andere digitale Barrieren im Wege stehen?

Aber kommen wir erstmal wieder zurück zum Thema der Sitzung, der geplanten Einführung eines digitalen Euro. Alle Zuhörer:innen können also Fragen über den Chat stellen und unsere Fragen werden tatsächlich aufgegriffen. Wir fragen, wie Erfolg in Bezug auf die Nutzer:innen-Anzahl des digitalen Euro bemessen wird und wie ein inklusiver digitaler Euro aussehen müsste, damit er von allen Menschen genutzt werden kann. Also eine Möglichkeit der Nutzung, unabhängig davon, ob Personen ein Bankkonto, Ausweispapiere, Internetzugang oder eine Behinderung haben. Das heißt auch, unabhängig davon, ob jemand Endgeräte besitzt oder diese bedienen kann.

Wie wird der Erfolg des digitalen Euro bemessen? Was passiert, wenn der digitale Euro scheitert?

Womöglich steht hinter dem Verzicht auf Aussagen zu Erfolgskriterien hierzu die Angst vor Maßnahmen, die umgesetzt werden könnten, falls der digitale Euro nicht genutzt werden sollte. Einführungen von CBDCs (CBDC: Digitales Zentralbankgeld) können scheitern. Das zeigt das Beispiel des eNaira in Nigeria, der aktuell existiert aber aus mangelndem Vertrauen in die Zentralbank trotz dringendem Bedarf nur von 0,5 Prozent der Bevölkerung genutzt wird.4Warum der eNaira nicht akzeptiert wird, kann man hier nachlesen. Mehr zu Nigeria und CBDC kann man in einer Studie über finanzielle Inklusion und CBDCs der Digital Currency Initiative aus dem Jahr 2023 nachlesen. Das zeigen auch Beispiele aus Finnland und Ecuador, wo eingeführte CBDCs an den Kosten scheiterten und wieder abgeschafft wurden.

Was, wenn der digitale Euro scheitert? Bleibt er dann ein freiwilliges zusätzliches Tool oder sind nachträgliche Gegensteuerungen denkbar, die einen Nutzen fördern oder gar ein Anfangsguthaben umfassen – das ist zwar ein nicht unbedingt passendes, da „kryptisches“ Beispiel –, wie bei der Einführung des Bitcoin in El Salvador, die eine Verwendung und das Herunterladen zunächst zur Erfolgsstory machten?5Eine Bilanz der Tagesschau zur einjährigen Einführung von Bitcoin in El Salvador gibt es hier. In der Diskussion hierzu nannte beim public hearing der EU die Programmmanagerin des digitalen Euros der EZB, Evelien Witlox, dass es keine zahlenmäßigen Benchmarks gebe, sondern man sich am Erreichen der selbstgesetzten Ziele messe, also der Bereitstellung von Zentralbankgeld unter veränderten (digitalen) Bedingungen und der Unabhängigkeit der EU-Zone von amerikanischen Bezahlsystemen sowie der Stärkung der europäischen Wirtschaft.

Wie sieht ein inklusiver digitaler Euro aus?

Zur Frage der Ausgestaltung eines möglichst inklusiven digitalen Euros, also einem Zahlungsmittel, auf das alle Bürger:innen zugreifen können, gibt es gleich mehrere Antworten. Iacob Alin (Chairman of Association of Romanian Financial, Rumänien) betont, dass ein gutes Design, welches eine offline-Nutzung möglich mache und Weiterbildungen zu digitalen Finanzthemen hier von zentraler Bedeutung seien. Jonas Gross (Digital Euro Assoziation, Frankfurt) geht davon aus, dass ein einfacher technischer Zugang wichtig sei. Er verweist auf das Beispiel Chinas, wo anlässlich der Winterolympiade verschiedene Geräte – unter anderem Handschuhe – den digitalen Yuan, kurz e‑CNY, ermöglichten. Alexandra Maniati (European Banking Federation, Brüssel) hingegen erwidert, dass sie keinen Bedarf einer finanziellen Inklusion sehe, da jede:r Anrecht auf Zugang zu einem Bankkonto habe und sieht das Problem auf der Ebene der digitalen Inklusion, also nur einem Zugang zum Internet.

Kann digitale Transparenz alleine eine aktive Teilnahme am demokratischen Leben ermöglichen?

Die Tatsache, dass unsere Fragen in der Sitzung aufgegriffen und von allen einstimmig als wichtig bezeichnet wurden, hinterlässt bei mir zunächst ein wohliges Gefühl der Selbstwirksamkeit und ich gewinne den Eindruck, dass ich tatsächlich ganz nah dran bin. Doch dieses Gefühl verschwindet relativ schnell wieder. Fragen werden zwar adressiert, aber wie es danach weitergeht und wo es weitere Momente gibt, in denen ich als Bürger:in am Entscheidungs-Prozess teilhaben kann, das muss ich weiterhin selbst im Auge behalten. Wie es in diesem konkreten Fall dann letztendlich zu den Entscheidungen bei Designfragen des digitalen Euro kommt, bleibt für mich offen. Vor allem: Solange es keine Entscheidungen gibt, passiert demokratische Mitbestimmung ja auch irgendwie im Nebel.

Am Beispiel des Hearings konnten wir erleben, dass die EU-Gremien ihre Regeln einhalten und im Netz transparent unterwegs sind. Aber es bleibt für uns die Frage: Wie kommt europäische Politik aus der digitalen Finanzblase oder bleibt hier Eigenverantwortung das Schlagwort der Stunde?

Vermutlich auch Corona sei Dank war europäische Politik noch nie so nahbar wie jetzt, aber als Nicht-Profi lässt sich nicht wirklich alles verstehen, was passiert und vor allem, was das dann bedeutet. Um zu wissen, welchen digitalen Euro ich will, muss ich wissen, welche Konsequenzen die einzelnen Designfragen für mich als Bürger:in haben. Theoretisch muss ich die Antworten dazu aber selbst (im Netz) suchen. Es gehört in dieser Phase des Digitalen-Euro-Projektes weder zum Service, dass diese Blasenphänomene von den Akteuren ganz bewusst wahrgenommen und durchbrochen werden, noch werden gezielt Zielgruppen angesprochen oder zum Nachdenken angeregt. Das heißt im Prinzip: Die Pflicht der Transparenz wird ernst genommen und jede/jeder mit Interesse kann aktiv werden und sich beteiligen. Aber den Willen muss ich selbst mitbringen und hier liegt bei aller Finanzverdrossenheit und eben bei der Komplexität des Themas eine ziemlich große Schwelle.

Hinzu kommt auch, dass europäische Politik meist der Alltagswelt recht fernsteht. Themen müssten hier auf der bundespolitischen Ebene landen, damit dem Ganzen die Aufmerksamkeit gegeben wird, die es verdient. Aber da passiert zurzeit, was den digitalen Euro angeht, noch nicht viel um nicht zu sagen, zu wenig. Hier existiert nicht nur ein alleiniges Versäumnis auf EU-Ebene, auch die Bundespolitik hat in diesem Sinne noch nicht rangezoomt.

  • 1
    Ein Webstream des Hearings ist hier online.
  • 2
    Diese besagt: „Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben das Recht zu erfahren, wie die EU-Organe ihre Entscheidungen treffen, wer am Entscheidungsprozess beteiligt ist und welche Dokumente im Zuge der Vorbereitung und Annahme von Rechtsakten hervorgebracht werden. Sie haben das Recht, Zugang zu diesen Dokumenten zu verlangen und Stellung dazu zu nehmen. Außerdem haben die Bürger das Recht zu erfahren, wer Mittel aus dem EU-Haushalt erhält.“ Sie ist hier zu finden.
  • 3
    Für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sind die Unterlagen hier.
  • 4
    Warum der eNaira nicht akzeptiert wird, kann man hier nachlesen. Mehr zu Nigeria und CBDC kann man in einer Studie über finanzielle Inklusion und CBDCs der Digital Currency Initiative aus dem Jahr 2023 nachlesen.
  • 5
    Eine Bilanz der Tagesschau zur einjährigen Einführung von Bitcoin in El Salvador gibt es hier.