• Kategorien
    Autor: Isabel Schmidt Digitaler Euro eFin-Blog EU-Politik Farbe: blau

    Wie nah ist Europa? Erfahrungen von der virtuellen Teilnahme an einem EU-Hearing zum digitalen Euro

    Bei der virtuellen Teilnahme an der öffentlichen Anhörung „A Digital Euro – Challenges and Opportunities“ fragen wir uns, was die virtuelle Präsenz der europäischen Institutionen tatsächlich an demokratischen Mitwirkungseffekten nach sich ziehen kann.

    Wie nah ist Europa? Erfahrungen von der virtuellen Teilnahme an einem EU-Hearing zum digitalen Euro

    Ein Beitrag von Isabel Schmidt

    vom 24. April 2023

    eFin & Demokratie hat das public hearing der Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt (ECO) des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) „A Digital Euro – Challenges and Opportunities“ am 7. September 2022 per Videostream besucht.1 Ein Webstream des Hearings ist hier» online. Wir sind überrascht über die dichte und nachhaltige Dokumentation der EU-Gremien im Netz und fragen uns gleichzeitig, was die virtuelle Präsenz der europäischen Institutionen tatsächlich an demokratischen Mitwirkungseffekten nach sich ziehen kann.

    Ein Klick und ich bin mitten in der Sitzung der Fachgruppe des Brüsseler Wirtschafts- und Sozialausschusses. Es geht verblüffend einfach, europäische Politik zu mir nach Hause auf den Bildschirm zu holen und live daran teilzunehmen.

    Selbst Fragen lassen sich von allen Anwesenden an das Gremium stellen, die ad hoc aufgegriffen und beantwortet werden. Das ist keineswegs ein Zufall. Alle EU-Gremien, zu denen der Ausschuss gehört, arbeiten nach einer 100 Prozent Transparenz-Regel.2Diese besagt: „Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben das Recht zu erfahren, wie die EU-Organe ihre Entscheidungen treffen, wer am Entscheidungsprozess beteiligt ist und welche Dokumente im Zuge der Vorbereitung und Annahme von Rechtsakten hervorgebracht werden. Sie haben das Recht, Zugang zu diesen Dokumenten zu verlangen und Stellung dazu zu nehmen. Außerdem haben die Bürger das Recht zu erfahren, wer Mittel aus dem EU-Haushalt erhält.“ Sie ist hier» zu finden. Grundlage für diese Regel ist die Annahme, dass diese Transparenz dazu beitragen könne, europäische Bürgerinnen und Bürger zu einer aktiveren Teilnahme am demokratischen Leben der EU anzuregen.Tatsächlich lassen sich alle Aktivitäten minutiös nachvollziehen und einsehen. Das heißt, Sitzungen können gestreamt werden, Vorgänge zu Gesetzesentscheidungen werden nachvollziehbar und teilweise in 23 (!) verschiedenen europäischen Sprachen bereitgestellt. Dokumente sind im Netz verfügbar – selbst bis zurück ins Jahr 1999.3Für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sind die Unterlagen hier».

    Europäische Politik ist erstaunlich präsent im Netz, aber wer schaut hin?

    Beim Surfen und Livestreamen entsteht so der Eindruck, europäische Politik ist zu 100 Prozent im Netz erlebbar. Diese digitale Spiegelung der EU-Politikebene lässt uns staunen und ist einer Abbildung und Transparenz deutscher Politik im Netz wahrscheinlich um Längen voraus. Trotzdem drängen sich Fragen auf: Wie nah sind Bürger:innen den politischen Entscheidungsprozessen? Existieren womöglich trotz digitaler Barrierefreiheit Hindernisse der Inhalte? Wer nimmt üblicherweise den Service in Anspruch, vor allem: Wer, der nicht sowieso am Thema dran ist? Und was ist mit all jenen, die keinen Zugang zum Internet haben oder denen andere digitale Barrieren im Wege stehen?

    Aber kommen wir erstmal wieder zurück zum Thema der Sitzung, der geplanten Einführung eines digitalen Euro. Alle Zuhörer:innen können also Fragen über den Chat stellen und unsere Fragen werden tatsächlich aufgegriffen. Wir fragen, wie Erfolg in Bezug auf die Nutzer:innen-Anzahl des digitalen Euro bemessen wird und wie ein inklusiver digitaler Euro aussehen müsste, damit er von allen Menschen genutzt werden kann. Also eine Möglichkeit der Nutzung, unabhängig davon, ob Personen ein Bankkonto, Ausweispapiere, Internetzugang oder eine Behinderung haben. Das heißt auch, unabhängig davon, ob jemand Endgeräte besitzt oder diese bedienen kann.

    Wie wird der Erfolg des digitalen Euro bemessen? Was passiert, wenn der digitale Euro scheitert?

    Womöglich steht hinter dem Verzicht auf Aussagen zu Erfolgskriterien hierzu die Angst vor Maßnahmen, die umgesetzt werden könnten, falls der digitale Euro nicht genutzt werden sollte. Einführungen von CBDCs (CBDC: Digitales Zentralbankgeld) können scheitern. Das zeigt das Beispiel des eNaira in Nigeria, der aktuell existiert aber aus mangelndem Vertrauen in die Zentralbank trotz dringendem Bedarf nur von 0,5 Prozent der Bevölkerung genutzt wird.4Warum der eNaira nicht akzeptiert wird, kann man hier» nachlesen. Mehr zu Nigeria und CBDC kann man in einer Studie über finanzielle Inklusion und CBDCs der Digital Currency Initiative aus dem Jahr 2023» nachlesen. Das zeigen auch Beispiele aus Finnland und Ecuador, wo eingeführte CBDCs an den Kosten scheiterten und wieder abgeschafft wurden.

    Was, wenn der digitale Euro scheitert? Bleibt er dann ein freiwilliges zusätzliches Tool oder sind nachträgliche Gegensteuerungen denkbar, die einen Nutzen fördern oder gar ein Anfangsguthaben umfassen – das ist zwar ein nicht unbedingt passendes, da „kryptisches“ Beispiel –, wie bei der Einführung des Bitcoin in El Salvador, die eine Verwendung und das Herunterladen zunächst zur Erfolgsstory machten?5Eine Bilanz der Tagesschau zur einjährigen Einführung von Bitcoin in El Salvador gibt es hier». In der Diskussion hierzu nannte beim public hearing der EU die Programmmanagerin des digitalen Euros der EZB, Evelien Witlox, dass es keine zahlenmäßigen Benchmarks gebe, sondern man sich am Erreichen der selbstgesetzten Ziele messe, also der Bereitstellung von Zentralbankgeld unter veränderten (digitalen) Bedingungen und der Unabhängigkeit der EU-Zone von amerikanischen Bezahlsystemen sowie der Stärkung der europäischen Wirtschaft.

    Wie sieht ein inklusiver digitaler Euro aus?

    Zur Frage der Ausgestaltung eines möglichst inklusiven digitalen Euros, also einem Zahlungsmittel, auf das alle Bürger:innen zugreifen können, gibt es gleich mehrere Antworten. Iacob Alin (Chairman of Association of Romanian Financial, Rumänien) betont, dass ein gutes Design, welches eine offline-Nutzung möglich mache und Weiterbildungen zu digitalen Finanzthemen hier von zentraler Bedeutung seien. Jonas Gross (Digital Euro Assoziation, Frankfurt) geht davon aus, dass ein einfacher technischer Zugang wichtig sei. Er verweist auf das Beispiel Chinas, wo anlässlich der Winterolympiade verschiedene Geräte – unter anderem Handschuhe – den digitalen Yuan, kurz e‑CNY, ermöglichten. Alexandra Maniati (European Banking Federation, Brüssel) hingegen erwidert, dass sie keinen Bedarf einer finanziellen Inklusion sehe, da jede:r Anrecht auf Zugang zu einem Bankkonto habe und sieht das Problem auf der Ebene der digitalen Inklusion, also nur einem Zugang zum Internet.

    Kann digitale Transparenz alleine eine aktive Teilnahme am demokratischen Leben ermöglichen?

    Die Tatsache, dass unsere Fragen in der Sitzung aufgegriffen und von allen einstimmig als wichtig bezeichnet wurden, hinterlässt bei mir zunächst ein wohliges Gefühl der Selbstwirksamkeit und ich gewinne den Eindruck, dass ich tatsächlich ganz nah dran bin. Doch dieses Gefühl verschwindet relativ schnell wieder. Fragen werden zwar adressiert, aber wie es danach weitergeht und wo es weitere Momente gibt, in denen ich als Bürger:in am Entscheidungs-Prozess teilhaben kann, das muss ich weiterhin selbst im Auge behalten. Wie es in diesem konkreten Fall dann letztendlich zu den Entscheidungen bei Designfragen des digitalen Euro kommt, bleibt für mich offen. Vor allem: Solange es keine Entscheidungen gibt, passiert demokratische Mitbestimmung ja auch irgendwie im Nebel.

    Am Beispiel des Hearings konnten wir erleben, dass die EU-Gremien ihre Regeln einhalten und im Netz transparent unterwegs sind. Aber es bleibt für uns die Frage: Wie kommt europäische Politik aus der digitalen Finanzblase oder bleibt hier Eigenverantwortung das Schlagwort der Stunde?

    Vermutlich auch Corona sei Dank war europäische Politik noch nie so nahbar wie jetzt, aber als Nicht-Profi lässt sich nicht wirklich alles verstehen, was passiert und vor allem, was das dann bedeutet. Um zu wissen, welchen digitalen Euro ich will, muss ich wissen, welche Konsequenzen die einzelnen Designfragen für mich als Bürger:in haben. Theoretisch muss ich die Antworten dazu aber selbst (im Netz) suchen. Es gehört in dieser Phase des Digitalen-Euro-Projektes weder zum Service, dass diese Blasenphänomene von den Akteuren ganz bewusst wahrgenommen und durchbrochen werden, noch werden gezielt Zielgruppen angesprochen oder zum Nachdenken angeregt. Das heißt im Prinzip: Die Pflicht der Transparenz wird ernst genommen und jede/jeder mit Interesse kann aktiv werden und sich beteiligen. Aber den Willen muss ich selbst mitbringen und hier liegt bei aller Finanzverdrossenheit und eben bei der Komplexität des Themas eine ziemlich große Schwelle.

    Hinzu kommt auch, dass europäische Politik meist der Alltagswelt recht fernsteht. Themen müssten hier auf der bundespolitischen Ebene landen, damit dem Ganzen die Aufmerksamkeit gegeben wird, die es verdient. Aber da passiert zurzeit, was den digitalen Euro angeht, noch nicht viel um nicht zu sagen, zu wenig. Hier existiert nicht nur ein alleiniges Versäumnis auf EU-Ebene, auch die Bundespolitik hat in diesem Sinne noch nicht rangezoomt.

    • 1
      Ein Webstream des Hearings ist hier» online.
    • 2
      Diese besagt: „Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben das Recht zu erfahren, wie die EU-Organe ihre Entscheidungen treffen, wer am Entscheidungsprozess beteiligt ist und welche Dokumente im Zuge der Vorbereitung und Annahme von Rechtsakten hervorgebracht werden. Sie haben das Recht, Zugang zu diesen Dokumenten zu verlangen und Stellung dazu zu nehmen. Außerdem haben die Bürger das Recht zu erfahren, wer Mittel aus dem EU-Haushalt erhält.“ Sie ist hier» zu finden.
    • 3
      Für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sind die Unterlagen hier».
    • 4
      Warum der eNaira nicht akzeptiert wird, kann man hier» nachlesen. Mehr zu Nigeria und CBDC kann man in einer Studie über finanzielle Inklusion und CBDCs der Digital Currency Initiative aus dem Jahr 2023» nachlesen.
    • 5
      Eine Bilanz der Tagesschau zur einjährigen Einführung von Bitcoin in El Salvador gibt es hier».

    Isabel Schmidt
    ist promovierte Historikerin, als Wissenschaftsmanagerin u.a. spezialisiert auf Digitalisierungsthemen. Sie war von 2021 bis 2023 Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung für Transfer und Wirtschaftskooperationen und Koordinatorin des Diskursprojektes eFin & Demokratie.

  • ÜBER DEN BLOG
    Im Diskursprojekt eFin & Demokratie» beobachten und diskutieren wir den digitalen Wandel in Sachen „Geld“. Das Finanz- und Staatswesen wird davon ebenso erfasst wie unser aller Alltag und Miteinander. Unser Blog versucht, die Umwälzungen zu verstehen und die Debatte zu fördern - auch als Teil unserer Demokratie. Es schreiben Mitarbeiter:innen des Projekts und Gäste in freier und diverser Form darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert. Wir freuen uns über Kommentare unter efin@zevedi.de.