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    Autor: Marie Bröckling eFin-Blog Farbe: blau Mercator-Journalists in Residence

    Wie die deutsche Justiz beschlagnahmtes Kryptogeld verkauft

    In illegale Geschäfte verwickelte Kryptowerte landen zusehends in den Händen der deutschen Justiz. Wie damit umgehen? Was tun mit den unbeständigen, aber oft wertvollen Kryptowerten. Wann und wie soll und darf man diese letzthin gar spektakulär hohen Mengen verkaufen? Erste Erfahrungswerte gibt es.

    Wie die deutsche Justiz beschlagnahmtes Kryptogeld verkauft

    Ein Beitrag von Marie Bröckling

    8. August 2024

    Kryptowährungen gewinnen an Beliebtheit, auch bei illegalen Geschäften. Wird ein Täter gefasst, landen die Coins bei der deutschen Justiz. Doch was tun mit den unbeständigen, aber oft wertvollen Kryptowerten?

    Wenn Ermittler:innen einen Darknet-Marktplatz hochnehmen, passiert es immer wieder, dass sie bei der Durchsuchung nebenbei Bitcoins entdecken, die viel wert sind und womöglich noch im Wert steigen werden. „Kryptos spielen eine Rolle als Tatmittel, Tatbeute und Tatobjekt“, erklärt Sebastian Büchner, Oberstaatsanwalt in Berlin. Vor allem bei Cybercrime-Ermittlungen der letzten zehn Jahre wurden Kryptowerte sichergestellt. Eingeleitet werden diese Ermittlungen meist wegen anderer Straftaten wie Drogen- und Waffenhandel im Darknet, Geldwäsche oder Betrug. Kryptowerte werden dabei beispielsweise als anonymes Zahlungsmittel genutzt. 

    Auf den ersten Blick funktioniert Kryptogeld ähnlich wie Bargeld: Es erlaubt Zahlungen ohne dass Käufer und Verkäufer persönliche Daten austauschen müssen, etwa Name oder Herkunftsland. Bei Bitcoin wird jedoch jede Transaktion auf der Blockchain gespeichert. In diesem Sinne hinterlassen illegale Geschäfte, die mit Kryptowerten bezahlt wurden, mehr (digitale) Spuren als Bargeld. 

    Noch nie wurden in Deutschland so viele Kryptowerte sichergestellt wie aktuell. 2023 beschlagnahmte die deutsche Polizei auf einen Schlag 44 Millionen Euro in Bitcoin, ein Rekord. Hintergrund waren Ermittlunggen gegen die Betreiber von ChipMixer wegen Geldwäsche. Nur ein Jahr später folgte der nächste Rekord: Im Januar 2024 wurden in Sachsen im Zusammenhang mit Ermittlungen zur Plattform für illegale Raubkopien movie2k.to Bitcoins im Milliardenwert sichergestellt. Deutschland galt kurzzeitig als einer der größten Bitcoin-Besitzer weltweit. Das stellt die Behörden vor neue Herausforderungen. Da Kryptos oft nur als Nebenprodukte in größeren Ermittlungen auftauchen, war lange unklar, wie die Staatsanwaltschaft sie sicherstellen und behandeln soll. Verwahren, verkaufen, versteigern – und falls ja, wann? 

    Meine Recherchen im Rahmen der Mercator- Journalist- Residency zeigen, wieviel Kryptowerte in Deutschland durch Justizbehörden verkauft wurden und welche unerwarteten Vorteile die Kryptobörsen für die Polizei- und Justizbehörden bringen.

    Große Unterschiede zwischen den Bundesländern

    Besonders früh dran beim Verkauf von Kryptos war Sachsen. Bereits im Jahr 2015 haben Ermittler in Leipzig 1200 Bitcoins sichergestellt, die kurze Zeit später für 430.000 Euro verkauft wurden. Seit Juli 2024 ist Sachsen bundesweit unangefochtener Spitzenreiter beim Verkauf beschlagnahmter Kryptowerte. Die oben genannten movie2k.to-Bitcoin wurden für 2.64 Milliarden Euro verkauft. Das Geld wird derzeit verwahrt und fließt erst nach rechtskräftigem Urteil in die Landeskasse.

    Auch Hessen hat einige Erfolge vorzuweisen beim Verkauf beschlagnahmter Kryptowerte. Zwischen 2021 und 2023 haben hessische Behörden Kryptowerte für etwa 200 Millionen Euro verkauft, so viel wie kein anderes Bundesland in diesem Zeitraum. Auch hier fließt das Geld erst nach rechtskräftigem Urteil in die Landeskasse.

    Ganz anders sieht es in Berlin aus, denn dort passierte lange nichts. Erst im April dieses Jahres wurden erstmals sichergestellte Kryptowerte verkauft. Die zwanzig Bitcoins und 71 Bitcoin Cash brachten der Landeskasse der Hauptstadt dabei fast 1,3 Millionen Euro.

    Zwischen dem ersten Verkauf von Bitcoins in Sachsen 2016 und dem letzten Verkauf in Sachsen im Juli 2024 liegen acht Jahre. In dieser Zeit wurden bundesweit Kryptos im Wert von mindestens 2.7 Milliarden Euro verkauft. Die Statistik ist unvollständig, da Sachsen-Anhalt und Thüringen keine Zahlen angegeben haben. 

    Dass Hessen, Sachsen, Bayern und NRW die Statistik der verkauften Kryptowerte anführen, liegt laut Staatsanwälten schlichtweg daran, dass dort große Ermittlungen stattgefunden haben. Die Behörden dort haben Pionierarbeit im Umgang mit Kryptowerten geleistet.

    Wie werden die Kryptowerte sichergestellt?

    Grundsätzlich gibt es drei Wege, wie die Polizei Kryptowerte sicherstellt:

    1. Der Beschuldigte übergibt seine Private Keys an die Ermittler.

    2. Die Ermittler finden die Zugangsdaten beim Beschuldigten.

    3. Die Transaktionen können bis zu einem Kryptoverwahrer nachvollzogen und dort sichergestellt werden.

    Dass ein Beschuldigter die Zugangsdaten zu seinen Kryptos herausgibt oder die Private Keys bei der Durchsuchung gefunden werden, ist nicht ungewöhnlich. Oft werden die Ermittler:innen in Notizbüchern oder Handyfotos fündig, berichtet ein Oberstaatsanwalt, der anonym bleiben will.

    Aber es gibt auch Fälle, in denen die Private Keys nicht gefunden werden. „Wir haben Fälle, wo wir jahrelang nach den Private Keys suchen, auch während die Täter schon in Haft sitzen“, erzählt der Oberstaatsanwalt. Es kommt deshalb regelmäßig vor, bestätigt ein Sprecher der Polizei in Berlin, dass Kryptowerte nicht sichergestellt werden können, da die Zugangsdaten nicht bekannt sind. So könne es passieren, dass, vergleichbar mit einer vergrabenen Schatzkiste in der analogen Welt, ein Täter nach Ende seiner Haftstrafe wieder Zugriff auf die erbeuteten Kryptowerte erlangt. 

    Kryptoverwahrer sind ein Glück für die Justiz

    Fast alle Nutzer:innen, auch solche mit kriminellen Absichten, kaufen Kryptowerte inzwischen über Tauschbörsen, erklärt Dominik Skauradszun, Jura-Professor an der Hochschule Fulda und Spezialist für Kryptowerte. Kaum jemand greift selbst auf die jeweilige Blockchain zu und nur wenige haben die nötigen technischen Fähigkeiten für Kryptografie. „Diese Entwicklung hin zu Kryptoverwahrern war überraschend,“ sagt Skauradszun, „aber für die Justiz ist sie ein großes Glück.“

    Denn Kryptoverwahrer werden in der EU reguliert und in Deutschland von der Finanzaufsicht BaFin kontrolliert. Sie haben schon deshalb ein hohes Eigeninteresse, mit der Justiz zu kooperieren. 

    Tatsächlich funktioniert die Sicherstellung bei Kryptoverwahrern sogar außerhalb von Europa. Die deutsche Polizei hat bereits erfolgreich Rechtshilfegesuche an Kryptoverwahrer in Übersee gestellt, darunter auch eines in Belize, in Zentralamerika. Die Kryptowerte werden dann eingefroren und an die deutsche Staatsanwaltschaft transferiert. Kooperativ sind die Kryptoverwahrer, weil sie keine Probleme wegen Geldwäsche bekommen wollen, erklärt ein Ermittler.

    Wann und wie beschlagnahmte Kryptowerte verkauft werden

    Sobald die Kryptowerte gesichert und auf einem Behörden-Wallet hinterlegt sind, stellt sich die Frage: verkaufen oder auf das Gerichtsurteil warten? Dazu gibt es keine Vorgabe in Deutschland. Im Großteil der Fälle wurde so bald wie möglich über eine sogenannte Notveräußerung verkauft. Mit dem steigenden Kurs von Bitcoin kommt jedoch immer wieder die Frage, ob man nicht doch abwarten sollte, erklärt Thomas Goger, leitender Oberstaatsanwalt in Bamberg. 

    Auch die Frage, wie verkauft werden soll, war lange unklar. „Für den Verkauf von Kryptowerten wurden in den vergangenen Jahren neue Strukturen aufgebaut. Es gab lange kein Beispiel, wie man es richtig macht“, erklärt Markus Hartmann, Chef der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in NRW (ZAC).

    Die Justiz in NRW hat es beispielsweise im Jahr 2021 mit einer Auktion probiert. Die sichergestellten Bitcoin wurden über das Portal justiz-auktion.de versteigert. Finanziell war das ein Erfolg: Die Coins wurden über Marktwert versteigert. Dennoch sei dieses Modell nicht praktikabel, sagt Hartmann. Es gab viele Anrufe von Käufern, die nicht wussten, wie sie mit ihren ersteigerten Bitcoin umgehen sollten, das habe die Behörde überlastet. Es blieb bundesweit die einzige Auktion von sichergestellten Kryptos.

    Banken verkaufen Kryptowerte für die Behörden

    Die Festnahme der Betreiber des Darknet-Marktplatzes Wall Street Market im Jahr 2019 hingegen hat den Umgang der deutschen Behörden mit Krypto nachhaltig verändert. Bei den Ermittlungen gegen die ihrerzeit weltweit zweitgrößte Plattform für illegale Drogen und Waffen wurden damals Bitcoin, Monero und acht weitere Coins in einem bis dato nie dagewesenen Umfang sichergestellt.

    Die zuständige Cybercrime-Staatsanwältin Jana Ringwald hat daraufhin im Jahr 2021 eine Kooperation mit dem privaten Bankhaus Scheich in Frankfurt am Main verhandelt. Die Bank sollte die Kryptowerte für die Behörde verkaufen, dafür wurde ein System entwickelt und ein Vertrag geschlossen. Die hessische Justizministerin Eva Köhne-Hörmann bezeichnete die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit einer privaten Bank bei einer Pressekonferenz damals als „einzigartig in der Bundesrepublik“.

    Mittlerweile sind vier weitere Bundesländer diesem Beispiel gefolgt und kooperieren ebenfalls mit dem Bankhaus Scheich. Die Rahmenverträge zwischen den Behörden und dem Bankhaus sind geheim und auch auf Nachfrage für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Laut Medienberichten erhebt die Bank keine Kommission, sondern verdient beim richtigen Timing am schwankenden Kurs. Das Saarland arbeitet mit einer anderen Bank, der Futurum zusammen, die eine Vermittlungsgebühr von zwei Prozent des Erlöses erhebt.

    White-Listing von Kryptowerten

    Das Bankhaus Scheich wirbt damit, dass es das White-Listing für die Behörden übernimmt. Beim White-Listing weist die Behörde nach, dass die Kryptos zwar in einem Strafverfahren aufgetaucht sind, jetzt aber wieder legal in Umlauf gebracht werden. Die Bank überprüft diese Nachweise und informiert anschließend alle anderen Händler darüber, dass diese Coins wieder „sauber“ sind. Neben dem Bankhaus Scheich bieten auch andere Unternehmen White-Listing als Dienstleistung an, beispielsweise der österreichische Bitcoin-Broker CoinFinity.

    Zwingend notwendig ist das White-Listing nicht. In vielen Bundesländern verkaufen die Behörden weiterhin Kryptos über reguläre Handelsplattformen wie Bitcoin.de, teilweise ohne ein aktives White-Listing. Auf Bitcoin.de wird beispielsweise eine feste Gebühr von 0,5 Prozent auf den Verkaufspreis erhoben.

    Wie es weitergeht

    Insgesamt scheint sich bei den deutschen Behörden der Weg über ein aktives White-Listing von sichergestellten Kryptowerten durchzusetzen. Das wird immer wichtiger, je größer die Mengen an Krypto werden, die von der Justiz verkauft werden. Und Kryptowerte dürften in den kommenden Jahren eine noch größere Bedeutung für die Justiz und die Strafverfolgung erlangen. 

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    Marie Bröckling
    ist Journalistin mit Schwerpunkt auf Polizei, Recht und Technologie. 2023 wurde sie als eine der “Top 30 unter 30”-Journalist:innen in Deutschland ausgezeichnet. Marie lebt in Berlin. Im Frühjahr 2024 war sie Mercator-Journalist in Residence bei ZEVEDI. 

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