„Wieso wir alle mehr über Geld reden sollten“
Ein Beitrag von Laura Grosser
vom 8. August 2023
Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen ZEVEDI und der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt sprach Finanzjournalistin und Mercator-Journalistin in Residence Anissa Brinkhoff mit Oberstufenschüler:innen darüber, warum Geld, Investment und Daseinsvorsorge ein sowohl persönliches wie auch gesellschaftliches Thema ist, das alle kennen und diskutieren sollten.
Beamer, Mikrophon und Boxen stehen vor den Rängen der Rollsporthalle Darmstadt. Die Bertolt-Brecht-Schule wird gerade umgebaut und saniert, eine Schulaula steht daher gerade nicht zur Verfügung. Die benachbarte Sporthalle wird extra angemietet und da das Interesse größer ist, als die Ränge Sitzplätze bieten, hält Anissa Brinkhoff den Vortrag gleich zweimal. Die 34-jährige Finanz-Journalistin erzählt lebensnah auch von eigenen Erfahrungen und weckt so das Interesse ihrer Zuhörer*innen.
Fragen über Fragen – von Investitionen in Gold bis hin zu Krypto und Dropshipping
„Wie sicher ist investieren in Aktien?“ „Ist es nicht besser zu sparen?“ „Oder sollte man in Gold investieren?“ – „Muss ich mich jetzt schon um meine Altersvorsorge kümmern?“ Mit viel Voraussicht formulieren die Schüler:innen der Bertolt-Brecht-Schule ihre Fragen und Bedenken in einer anfänglichen Fragerunde. Spannenderweise überschneiden sich die Fragen in den beiden Vortragsdurchgängen, sie scheinen für alle Schüler*innen der Jahrgangsstufe von Bedeutung.
Ein neues Thema, das die Schüler:innen als mögliche Einnahmequelle beschäftigt (gerade auch weil es immer wieder in den sozialen Medien auftaucht), ist das sogenannte Dropshipping. Dabei werden Waren weiterverkauft an Kunden, die allerdings nicht beim Verkäufer gelagert werden, sondern direkt vom Händler an den Käufer geschickt werden. Der Verkäufer ist nur ein Mittelsmann, der keinen direkten Kontakt mit der Ware hat – und sie daher auch nicht besitzt, wenn er sie verkauft. Dass dies zu Problemen führen kann, wenn beispielsweise Ware, die bereits verkauft wurde, nicht mehr lieferbar ist, führt Anissa Brinkhoff den Schüler:innen anschaulich vor Augen. ‚Einfach so‘, wie es sich viele vorstellen, lässt sich auf diese Weise nicht das große Geld machen, man ist auch mit diesem Verkaufsmodell Gewerbetreibende:r – mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten; und somit beispielsweise auch als Minderjährige:r steuerpflichtig.
Wir reden zu wenig über Geld!
„Wer weiß, wie viel genau die eigenen Eltern verdienen?“ – Zögerlich gehen einige Hände hoch. Mehr als erwartet, aber immer noch nur ein kleiner Bruchteil der anwesenden Schüler:innen. Von Freund:innen und Bekannten weiß es so gut wie niemand. Vielleicht deutet sich hier schon ein leichter Generationenwechsel an, denn Ältere hätten wahrscheinlich noch nicht mal mit dem Arm gezuckt. Vielen öffnet sich erst mit zunehmendem Alter, wenn man den Eltern beispielsweise bei der Steuererklärung oder Versicherungen helfen muss, das bis dahin meist verschlossene Buch der Gehaltsabrechnungen. Aber wer weiß, ob und wie hoch das Elternhaus belastet ist, ob ein Kredit bereits abbezahlt wurde oder wie hoch sich die monatlichen Kosten belaufen? Nun schauen die Schüler*innen ratlos. Es wird deutlich spürbar: Es wird zu wenig über Geld geredet. Und Anissa Brinkhoff macht sogleich klar, warum das problematisch ist: Wir wissen gar nicht, mit welchen Erwartungen wir in Gehaltsverhandlungen gehen sollten, verkaufen uns womöglich viel zu oft unter Wert. Und wer weiß schon, worauf es ankommt, um einen guten Kredit zu bekommen, damit man sich beispielsweise ein Eigenheim leisten kann?
Finanzen sind kein Schulfach, was Anissa Brinkhoff sehr bedauert, auch wenn sich die Politik-und-Wirtschaft-Lehrer:innen Mühe geben, dem Thema einen adäquaten Raum in ihrem Unterricht zu geben. Dass es dennoch viele Leerstellen ob der Fülle an Unterrichtsinhalten gibt, ist klar – umso besser, wenn man einer Finanzjournalistin Löcher in den Bauch fragen kann, die sich auf Workshops und Podcasts zum Thema Finanzbildung spezialisiert hat.
Aber die Finanzsprache ist auch eine ganz eigene, die man erst einmal erlernen muss. Das wird teils durch ein Image der gestressten und überarbeiteten Wall Street Banker in Hollywood-Filmen noch erschwert, wie Anissa Brinkhoff deutlich macht: Die Finanzwelt scheint wie von einem anderen Planeten oder vielmehr ein eigenes Universum zu sein, in das man nur schwerlich Einblicke bekommen kann. Und wer hat schon Lust darauf, bei all dem in Filmen gezeigten Stress, der Arbeit am Limit, die gar bis zu Drogenkonsum führen kann, um funktionsfähig zu sein, wenn nicht im Extrem zum Selbstmord? Wie viele Freundschaften und Ehen scheitern in Filmen daran. Möchte man sich wirklich in so ein Arbeitsklima begeben?
Aber professionell in der Investmentbranche zu arbeiten, ist auch etwas anderes, als privat sein Geld anzulegen. Anissa Brinkhoff möchte nicht alle zu Bankern machen, sondern dafür sensibilisieren, dass es ein Thema ist, das uns alle betrifft. Nicht nur wenn wir im Finanzwesen arbeiten, sollte darüber geredet werden – Geld und die Art und Weise unseres Umgangs mit Finanzgütern geht uns alle etwas an. Wir kommen gar nicht drum herum. Und je früher wir uns Gedanken machen, desto mehr haben wir ganz buchstäblich davon.
Wieso ist Geld überhaupt wichtig?
Bei Geld denken die meisten zunächst an dadurch ermöglichten Konsum: Wenn ich viel Geld habe, kann ich mir das neuste iPhone, ein schickes Kleid oder einen Konzertbesuch leisten. Nicht nur für sogenannte Luxusgüter brauchen wir Geld in der (virtuellen) Tasche, auch zum Beispiel für unser Essen und um ein Dach über dem Kopf zu haben. Geld ermöglicht materiellen Wohlstand – aber auch noch viel mehr. Anissa Brinkhoff erzählt aus ihrem eigenen Leben und viele Schüler*innen konnten sich sichtbar damit identifizieren: Ihr waren früher Finanzen nicht wichtig, weil sie ihr Leben nicht nach materiellen Gütern ausrichten wollte. Aber schließlich kam sie dahinter, dass Geld mehr Kraft hat, das eigene Leben zu erleichtern und zu verändern: Geld bedeutet auch Freiheit. Die Freiheit, jederzeit seinen Job kündigen zu können, weil man genügend Rücklagen hat, um ohne Einkommen über die Runden zu kommen, bis man einen neuen gefunden hat. Die Freiheit, jederzeit seine Beziehung zu beenden, weil man von dem Partner bzw. der Partnerin nicht finanziell abhängig ist und sich eine eigene Wohnung leisten kann. Und selbst wenn man nicht im Luxus materieller Güter schwimmen möchte – wer strebt nicht nach einem solchen Luxus der Freiheit, sein Leben selbst in der Hand zu haben?
Fünf Finanz-Basics: Budgetieren, Kredite, Sparen, Investieren und Altersvorsorge
Griffig formuliert Anissa Brinkhoff fünf Finanz-Basics, die sie den Schüler:innen an die Hand geben möchte. Um nicht unerwartet am Ende des Monats ohne Geld dazustehen und sich auch mal etwas Teureres leisten zu können, ist Budgetieren das Mittel der Wahl. Viele Schüler:innen nicken, sie haben es nicht nur im Elternhaus und Unterricht kennengelernt, auch Influencer auf diversen Social-Media-Plattformen teilen ihre Tipps zum Budgetieren. Dass man nicht mehr ausgeben sollte, als man einnimmt, leuchtet ein. Doch wie viel sollte man monatlich auf die Seite legen? Klassischerweise benötigen wir die Hälfte unseres Gehalts für Fixkosten, so Anissa Brinkhoff, 30% sollten wir für variable Kosten einplanen und 20% können – und sollten – wir sparen oder investieren. Dass dies nur grobe Richtwerte sind, macht sie deutlich; rechnet aber auch vor, wie viel es ausmacht, wenn man monatlich spart oder investiert.
Worin liegt aber der Unterschied? Und was die Schüler:innen interessiert: Was ist ‚besser‘? Sollte man nicht lieber einfach sparen und sich nicht dem Risiko aussetzen, bei Investments das Geld zu verlieren? Anissa Brinkhoff stellt klar: Sparen bedeutet nicht, dass man sich in 10 oder 20 Jahren noch dasselbe von dem Geld leisten kann wie heute. Altersvorsorge mithilfe des guten alten Sparstrumpfs bringt bei der aktuellen Inflation nicht viel, wird den Schüler:innen bewusst. Private Vorsorge muss allerdings getroffen werden, zeigt Anissa Brinkhoff eindringlich: Die staatliche Altersvorsorge reicht nicht aus, erst recht nicht bei dem derzeitigen demographischen Wandel und unserem Rentenmodell, das auf Umlagefinanzierung fußt. Man kann nicht zu früh anfangen, sich um seine finanzielle Absicherung zu kümmern.
In was man investieren kann und soll, dazu gibt es kein Patentrezept. Anissa Brinkhoff warnt die Schüler:innen auch vor öffentlich, v.a. in sozialen Medien weit geteilten ‚Insider-Tipps‘ zu Kapitalanlagen: Wer hat denn etwas davon, dieses Wissen zu teilen, wenn es wirklich eine Goldgrube ist? Man sah förmlich, wie viele der Schüler:innen zu überlegen begannen. Ein wichtiges Ziel wurde durch den Vortrag erreicht: die Schüler:innen für das Thema Finanzen zu sensibilisieren und dieses als eine ständig anfallende, aber bewältigbare Aufgabe zu sehen.
Das Finanzsystem ist männlich – Frauen dürfen nicht abgehängt werden! Gender Pay Gap und Gender Pension Gap
Ein besonderes Anliegen ist Anissa Brinkhoff das Thema „Female Finance“. Nicht nur verdienen Frauen noch immer bei gleicher Qualifikation im gleichen Job durchschnittlich weniger als Männer – und das im Schnitt 18%. Auch leisten sie deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit, durch die sie selbst schlechter im Alter abgesichert sind. Zudem zahlt man im Mutterschutz nicht automatisch in die Rente ein – und eine Mutterschaft ist meist immer noch ein Karrierehemmnis. So beträgt die Gender Pension Gap derzeit sogar 40%. „Geld ist sexistisch und diskriminierend“, bringt es Anissa Brinkhoff abschließend auf den Punkt. Denn es sei von Männern für Männer geschaffen, Frauen müssen viel stärker mitbedacht werden – in Neuerungen im Finanzwesen wie der zunehmenden Digitalisierung, aber auch in der Wissensvermittlung in der Finanzbildung.
Daher recherchiert Anissa Brinkhoff auch im Rahmen des Mercator-Journalist in Residence-Programms am ZEVEDI für ihren Finanzpodcast „Finance & Feelings“, inwiefern Frauen bei der Digitalisierung des Finanzwesens mitbedacht werden.
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