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    Autor: Laura Grosser eFin-Blog Farbe: gelb

    Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

    Petra Gehring läutete die Ringvorlesung ein. Zur Eröffnung de Diskussion befasste sie sich mit dem moralischen Wertbegriff, dem ökonomsichen wie auch dem Begriff des Lebenswertes und deren Verhältnis zueinander.

    Auftakt der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“

    Ein Beitrag von Laura Grosser

    vom 25. Oktober 2023

    Den Auftakt zur öffentlichen Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“, einer Kooperation des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt mit eFin & Demokratie, machte deren Organisatorin Prof. Dr. Petra Gehring, Leiterin dieses Diskursprojektes, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung und Professorin für Theoretische Philosophie an der TU Darmstadt.

    Gehrings Vortrag „Werte zur Einführung“ bot einen ersten Überblick ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis von ökonomischem und moralischem Wertbegriff sowie dem des Lebenswertes. Dabei interessierte sie sowohl die historische Genese des Wertbegriffs wie auch daraus resultierende alltagsnahe Fragen der heutigen Zeit, die sie im Ausblick auf kommende Vorträge anderer Referent:innen andiskutierte. 
    Gehrings These lautet, dass die Geschichte des ökonomischen Wertbegriffs weiter zurückreiche als die des moralischen, ja die Rede vom moralischen Wert gar eine Antwort auf den ökonomischen Wertbegriff sei und der Begriff „Wert“ der Wirtschaft entspringe. Historisch datiert sie den Umbruch hin zu einer weitläufigeren Verwendung des Wertbegriffs im 19. Jahrhundert –als der Begriff des Wertes in eine Krise geriet. Zeichnete sich Wert zunächst durch seine bloße Tauschfunktion in einer Wirtschaft aus, die aufgrund guten Bodens und der Gnade Gottes floriere, so werde nun, da mit der Säkularisierung die Staatskunst und Arbeit als die hinter allen Werten liegende, wertschaffende Instanz ins Zentrum rücke, der Wert als ein produzierter wahrgenommen: seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte rücke mit in den Blick. „Der Wert hat aufgehört, Zeichen zu sein, er ist ein Produkt geworden“, zitiert Gehring Foucault. So setzen sich nun Anthropologie und Gesellschaftstheorien als Theorien der Produktion von Werten mit dem Begriff auseinander. Die Ökonomie beginne, mit nicht-ökonomischen Wissenschaftsfeldern ihre Begriffe zu teilen.

    Naturalismus und Materialismus prägen das philosophische Denken des 19. Jahrhunderts. Der Anfang der Moderne sei die große Zeit der Entwicklungslehren und Evolutionstheorien – auch in moralphilosophischen Debatten. Überleben erscheine als ein „Mega-Wert“, Kulturentwicklung werde als Wertentwicklung und „Selektion wie Evolution von Werten“ rekonstruiert. Diese Zeit sei auch die Blütezeit der Kritik moralischer Werte – Werttheorien sind allerdings, so Gehring, im 19. und 20. Jahrhundert weniger Moralkritiken als vielmehr „Fundierungsprojekte“..

    Als eine den modernen moralphilosophischen Diskussionen vorausgehende „Leuchtrakete“ bezeichnet Gehring Kant. Auf seine Unterscheidungen werde immer wieder, wenn auch teils kritisch, Bezug genommen. Prägend wirke nicht nur die Trennung der Moralität von den Sphären der Natur und der Ökonomie, sondern auch die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft. Auch die Einführung des Begriffs der (menschlichen) Würde als sich jeglichem Kalkül entziehender, unbedingter, absoluter Wert entgegen dem relativen Wert des berechen- und verrechenbaren Preises verdank sich Kant. Utilitaristische, pragmatistische wie auch Wert-Ethiken, die mit Größen wie „Wertgefühlen“ operieren, schlagen einen anderen Weg ein.

    Gehring mahnt, neben der ökonomischen und moralphilosophischen Sphäre nicht eine weitere zu vergessen: die des Lebenswertes. Er spiele im Fin de Siècle eine große Rolle, hier komme die Idee des positiven und negativen Lebenswertes auf und sei mehr als nur eine Vereinnahmung des ökonomischen oder moralphilosophischen Wert- bzw. Würdebegriffs. Hier werde der Wert vom Leben her gedacht: individueller Wert und Wert des Stammes werden subjektiv aus der je eigenen Perspektive oder objektiv vom Interesse der Gesellschaft aus bewertet und verrechnet. Es ergeben sich (sozialdarwinistisch gedachte) eugenische Forderungen, die auf der einen Seite moralisch Suizid und Euthanasie rechtfertigen und aus denen sich auf der anderen eine „Enhancement-Moral“ ergibt. So komme es im Ausgang des 19. Jahrhunderts also durchaus auch zu Mischungen der ökonomischen und moralischen Sphären des Wertbegriffs.

    Heutzutage lasse sich vor allem ein Wertepluralismus ausmachen, so Gehring. Verschiedene Werte stehen nebeneinander, es werden vor allem Teildiskussionen geführt, auch betreffs Wirtschaft und Wertschöpfung – es gebe keine Theorie des großen Ganzen mehr. Diskurse drehen sich um Konsum und Innovationen, nicht um Arbeit, sondern um Selbstüberschreitung und den aus verschiedenen Richtungen kritisierten Begriff der Umwelt. Mit Luhmann warnt Gehring vor der Beliebigkeit moralisch- und politisch-praktischen Handelns (wie auch die seiner Rechtfertigung), die aus dem Nebeneinander in einem „Markt der Werte“ resultiere und nur in entscheidungstheoretische Überlegungen münde.

    In der heutigen Zeit müsse man auch die Digitalisierung mit bedenken. Mit ihr dehne sich das Diskussionsfeld aus: Werte werden digital „tokenisiert“, es gibt automatisierte Bewertungssysteme und diverse angewandte Ethiken wie Digital-Ethik, KI-Ethik uvm. Die Notwendigkeit solcher Ethiken sieht man an den Chancen und Risiken, die mit der Digitalisierung einhergehen: von Vertrauensproblemen in Technik bzw. Digitalität über Nachhaltigkeitsberechnungen bis hin zu Entwertungsprozessen und Problemen mit Störpropaganda, die die Digitalisierung vereinfacht habe und in einem größeren Ausmaß ermögliche.

    Die einführende Vorlesung wirft bewusst viele Fragen auf, einige wurden in der Sitzung und im Anschluss andiskutiert, viele werden in den kommenden Vorträgen ausgeführt oder auf neue Weise aufgeworfen. Es sind Fragen, die in ganz unterschiedliche Richtungen allgemein und betreffs spezifischer Problemlagen gestellt werden können. Um nur einige zu nennen: Welche Rolle spielt der Wertbegriff in der Begründung unseres Handelns? In welchem Verhältnis stehen Werte zu Normen, zu handlungsleitenden Tugenden oder zu dem um einiges ambivalenteren Begriff der Idee, die sich ebenfalls durch ihre Wirkungsmacht auszeichnet, aber bis auf wenige Rehabilitationsversuche wie der Begriff des Wertes,  zumindest im Sinne einer neuen philosophischen Werttheorie,aus der Debatte verschwunden zu sein scheint? Inwiefern prägen Werte und Bewertungen unser Selbstverständnis? Wie werden wissenschaftlich fundierte Evaluationen konzipiert und Werte darin integriert, wie werden Auswahl und Gewichtung bestimmt? Welche Problematik besteht in der Berufung auf Werte? Ist Werteneutralität bzw. Wertefreiheit nur eine Illusion? Führt der diagnostizierte Wertepluralismus nicht notwendig in einen Relativismus – und, wie schon Nietzsche mutmaßte, in einen Nihilismus? Ist der Wert der Werte nicht selbst (Nietzsche folgend) in Frage zu stellen? Und wie werden Werte in der angewandten Ethik angesichts aktueller Problemlagen wie dem Klimawandel diskutiert?

    Der Vortrag war erst der Anfang einer spannenden Diskussion. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich in den kommenden Wochen die Vorträge dreizehn weiterer Professor:innen und langjähriger Forscher:innen anzuhören und mitzudiskutieren. Die öffentliche Ringvorlesung des Instituts für Philosophie findet traditionell in jedem Wintersemester mittwochs um 18 Uhr im großen Hörsaal statt. Zugleich ist die diesjährige Vortragsreihe eine Fortsetzung der „Citizen Lecture“ „Verstehen Sie Krypto“, die das eFin & Demokratie im Sommersemester 2022 organisiert hat. Wurde die vergangene vor allem von Praktiker:innen bespielt, geht die jetzige in wissenschaftlich-theoretische Tiefen. Das Programm der Ringvorlesung „Wert/Value/Valeur – Widerstreit zwischen Moral und Preis“ ist hier» zu finden, alle Vorträge sind auch hier» nachzuhören.

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    Laura Grosser
    arbeitet im Diskursprojekt eFin & Demokratie und promoviert in Philosophie an der TU Darmstadt.

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    Im Diskursprojekt eFin & Demokratie» beobachten und diskutieren wir den digitalen Wandel in Sachen „Geld“. Das Finanz- und Staatswesen wird davon ebenso erfasst wie unser aller Alltag und Miteinander. Unser Blog versucht, die Umwälzungen zu verstehen und die Debatte zu fördern - auch als Teil unserer Demokratie. Es schreiben Mitarbeiter:innen des Projekts und Gäste in freier und diverser Form darüber, was sie lernen und erforschen, was sie beunruhigt und was sie fasziniert. Wir freuen uns über Kommentare unter efin@zevedi.de.