Ein Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens
Ein Beitrag von Laura Grosser
vom 20. September 2023
Interessante Gespräche statt Belehrungen – das Kulturereignis „Markt des nützlichen Wissens und Nicht-Wissens“ mit dem Thema „Follow the Money. Von analogen Werten, digitalem Geld und der Bezifferung der Welt“, ist ein interaktives Format ganz eigener Natur. Und das nicht nur, weil dieses einmalige Event einer Kooperation von drei Häusern entspringt: ZEVEDI als Auftrags-, Stichwort- und Geldgeber (unter besonderer inhaltlicher Beteiligung des Diskursprojekts „eFin & Demokratie“), die Mobile Akademie Berlin mit Hannah Hurtzig, der Entwicklerin dieses Formats, als Kurator:innen und maßgeblich wie maßgebend an der genaustens arrangierten Durchführung beteiligt sowie als Austragungsort die Kulturstätte „Mousonturm“ in Frankfurt am Main.
Im Markt standen 90 Expert:innen mit ihrem Wissen zu Themen rund ums Geld und der Digitalisierung des Finanzwesens den ca. 300 Besucher:innen für Gespräche zur Verfügung – und scheuten auch nicht, in kritischer Reflexion die Grenzen ihres eigenen wie auch des Wissens ihres Fachgebietes deutlich zu machen. Denn aus diesem explizierbaren Nicht-Wissen kann man ebenso lernen; es wirft ein neues Licht auf das vorhandene (Fach-)Wissen und akzentuiert die notwendige Mannigfaltigkeit der Forschungs- und aus dem alltäglichen (Berufs-)Leben geschöpften Perspektiven, die in der Markt-Inszenierung durch die Vielstimmigkeit der Expert:innen repräsentiert wurden. Neben Ökonom:innen (Daniel Mertens) und Banker:innen (Claus George) saßen hier, um nur eine kleine Auswahl in Klammern zu nennen, Soziolog:innen (Barbara Brandl, Alexandra Keiner, Carola Westermeier, Moritz Hütten), Philosoph:innen (Petra Gehring), Jurist:innen (Jana Ringwald, André Alfes), aber auch Politiker:innen (Ina Hartwig, Bijan Kaffenberger, Jutta Ditfurth) und Kulturschaffende jeglicher Couleur. In allen Runden stand Autor Marcus Steinweg für Gespräche bereit, denen man sich in einer Dauersendung per Marktradio zuschalten konnte.
Wissenschaftliche Expertise trifft auf Stimmen derjenigen, die sich in den konkreten Feldern bewegen. Wie sieht unser Geld aus und wie wird es (in Form eines digitalen Euro) in Zukunft aussehen (Sebastian Siepen), wie einfach wird es handhabbar und welche Technologien werden sich dahinter verbergen (Jürgen Geuter)? Es wird über Verhandlungen gesprochen und selbst verhandelt, monetäre Theorien (Jan Greitens) und Bargeld (Brett Scott) diskutiert und Wirtschaftssysteme in Frage gestellt. Lieder über die Vorzüge des bedingungslosen Grundeinkommens werden mit Gitarre zum Mitsingen angestimmt und die Perspektive von Künstlern thematisiert, die sich von Auftragsarbeit zu Auftragsarbeit hangeln, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Bernadette La Hengst). Auch das Verlagswesen und die Nöte der Autorinnen und Autoren kommen im Markt zur Sprache (Karlheinz Braun). Armut, Schulden und damit verbundene Gerechtigkeitsfragen ist eines der Themen, die sich im Marktgeschehen über die Gespräche hinweg herauskristallisieren – wer ist wie betroffen, was könnte geändert werden? Hilft Ethik oder ist sie ein veraltetes Konstrukt? Über Glorifizierungen und Diskriminierungen wird diskutiert, sie logisch-systematisch und historisch eingeordnet.
Die Gesprächssituation ist inszeniert, man bewegt sich wie in einem Spielfeld oder blickt darauf: Der Markt ist als Theater in Szene gesetzt, es wird mit Kulissen, Geräuschen und Lichttechnik gearbeitet. Er bringt viele Funktionen des Internets in die analoge Welt: Mit einem Überangebot an Themen und Ansprechpartner:innen ist der Markt als Versammlung zugleich Vernetzungsmöglichkeit, um Kontakte herzustellen oder nur mal kurz etwas zu fragen, als auch Spielraum, um gestaltend, nämlich gesprächsführend zu wirken oder Gesprächen über das Marktradio so lange man möchte zu folgen oder wild zwischen ihnen herumzuschalten. Den Gesprächen selbst mangelt es aber nicht an Ernsthaftigkeit und Tiefsinn. Was man aus dem Markt zieht, wie man ihn für sich annimmt, ist jedem/r Besucher:in selbst überlassen: ob man sich der Atmosphäre des Theaters hingibt, sich treiben lässt von Gesprächseindrücken, sich auf einzelne Themen fokussiert und den Markt gezielt als Ort der Weiterbildung nutzt oder seinen Horizont in möglichst viele Richtungen erweitern möchte.
Das Besondere des Gesprächsformats: Hier geben nicht nur die Experten den Ton an. Viele Unterhaltungen starten mit der Frage, ob zunächst ein kleiner Vortrag gehalten werden soll oder man direkt mit Fragen des Gesprächspartners einsteigt. Die Gesprächsführung liegt immer in den Händen beider Partner, sodass sich für beide Seiten neue Erfahrungen gewinnen und Wissen schöpfen lassen. In 1:1-Unterhaltungen an 32 Tischen wird über je 30 Minuten in insgesamt 6 Runden die Köpfe zusammengesteckt. Eingeläutet und beendet von einem großen Gong vertiefen sich die Gesprächspartner schnell in ihr Thema, nicht selten beginnt es informell schon einige Minuten vorher und wird danach fortgesetzt. Eine von der Decke herabhängende Glühbirne leuchtet an jedem der in einem Carré in 4 Reihen gestellten kleinen Tische, verbreitet eine intime Atmosphäre und schottet die Gespräche zugleich vom Markttrubel ab.
Wie einzelne Inseln wirken die Tische, an denen sich je ein anderes Themenuniversum öffnet. Hostessen geleiten an die Plätze, informieren über die restlichen Minuten und kündigen auf beleuchteten Schildern für das Publikum an, dass für die nächste Gesprächsrunde die Buchungsschalter geöffnet sind. Als stille Beobachter:innen, jenseits und doch alles überblickend kann man von den Tribünen aus die einzelnen Gespräche beobachten und sich bei je acht Gesprächen über das Marktradio heimlich, still und leise hinzuschalten. Ein weiteres Gespräch wird live transkribiert und zum Mitlesen an die Wand projiziert. Immer wieder gehen Hostessen mit provokanten Aussageplakaten durch die Tischreihen. Der Markt setzt Impulse, stößt Gedanken und Diskussionen an. Und reizt es einen, selbst in ein Gespräch zu treten, kann man sich zu jeder der insgesamt sechs Runden erneut an den drei „Klient:innen-Check-In“-Counter für einen Euro einbuchen. Zur Abkühlung kann man sich entweder im Außenbereich an der Bar einfinden oder sein erhitztes Gemüt an der Beschwerdestelle beschwichtigen lassen, die selbst wie die Einbuchung ein Teil des Theatergeschehens ist. In einem gemütlichen Separée gibt es zudem „Second Hand Knowledge“ und Snacks. Im Gespräch mit drei Zehntklässlerinnen erfährt man mehr über die Arbeit zweier Marktexpertinnen. Die drei haben sich im Vorhinein mit der Oberstaatsanwältin für Cyberkriminalität Jana Ringwald als auch mit der Numismatikerin und Archäologieprofessorin Fleur Kemmers getroffen. In Zeltatmosphäre spricht man jetzt meist zu mehreren über deren Arbeit wie auch die Kenntnisse, Erfahrungen und Eindrücke der Jugendlichen.
Alles in allem ein spannender Abend und ein anregendes Wissensformat, das nah an der Schwelle zur Reizüberflutung operiert, wenn man möglichst vielen Gesprächen folgen wollte. Und für alle, die es verpasst haben oder noch etwas nachhören möchten: Das durch das Marktradio und die Transkription entstandene Audiomaterial wird im Archiv der Mobilen Akademie Berlin veröffentlicht. Im Entstehen begriffen ist auch eine Video-Dokumentation, die einige ausgewählte Expert:innen an diesem Abend begleitet und das Markt-Geschehen in allen seinen Dimensionen auffächert.
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