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Finanzen, Staat, Digitalisierung & Demokratie

Interdisziplinäre Ringvorlesung / Citizen Lecture
Fortlaufend ab Montag, 22. April 2024, 18 Uhr
TU Darmstadt, Altes Hauptgebäude, Hochschulstr.1, Hörsaal 223
Zur Video-Aufzeichnung der Vorträge

Eine Veranstaltung des Fachbereichs 01 (Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) in Kooperation mit dem Diskursprojekt eFin & Demokratie am Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung

Das Verhältnis von Finanzwirtschaft auf der einen zu Staaten, insbesondere zu Demokratien, auf der anderen Seite wird unterschiedlich (re)konstruiert. Vorstellungen von der Effizienz der Kapitalmärkte befreien die Kapitalmärkte von Forderungen nach einer „gerechten“ Verteilung von Finanzmitteln. Die „Bändigung der Finanzmärkte“ ist hingegen eine Forderung, die etwa in den 1990er Jahren von der globalisierungskritischen Bewegung vertreten wurde. Beiden Ansichten gemein ist indes die implizite Annahme, Markt und Staat seien prinzipiell voneinander getrennt. Allerdings verkennt die Dichotomie von Markt und Staat das wechselbezügliche Verhältnis von Staaten und Finanzwelt.

Die Genese moderner Staatlichkeit führte zu einem deutlich steigenden Finanzbedarf der öffentlichen Hand, der nur teilweise mit Steuern und Gebühren gedeckt wird. Der Staat fragt deshalb vermehrt Kredite nach oder emittiert Anleihen auf den Kapitalmärkten. Zudem hat er sukzessive Zentralbanken etabliert, die als „lender of the last resort“ fungieren. Er ist also nicht nur Nachfrager, sondern auch ein gewichtiger Akteur auf den Kapitalmärkten. Und er gestaltet zugleich ihre Rahmenbedingungen.

Die Ausweitung der Finanzwirtschaft hängt sowohl mit der industriellen Revolution und der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsweisen als auch mit der zunehmenden staatlichen Tätigkeit zusammen. Aber um Informationsasymmetrien abzubauen, um Schwächere zu schützen, den europäischen Binnenmarkt zu stärken oder weitere Finanzkrisen zu vermeiden, setzt der Staat Finanzintermediären auch vielfach Grenzen oder gibt ihnen Regeln vor. Noch grundlegender lässt sich konstatieren, dass es kein einziges Finanzprodukt ohne eine rechtliche Grundlage gibt. Keine Aktie, keine Anleihe, kein Kredit und kein Derivat kommt ohne Rechtsnormen auf die Welt. Die Frage ist deshalb nicht die nach Markt oder Staat, sondern nach den Zusammenhängen und Ambivalenzen der Markt-Staat-Beziehung.

In einer Demokratie – zumal einer, in der Digitaltechnologien den gelebten Alltag prägen – stellt sich die Frage nach der Rolle der Finanzwirtschaft noch einmal mit besonderer Dringlichkeit, da diese einerseits als regulierungsbedürftig, andererseits als nur schwer regulierungsfähig gelten. Zudem kann die verstärkte Nachfrage nach Kapital auch zu einer gewissen Abhängigkeit des Staates von Kapitalmärkten führen und so die Durchsetzung demokratischer Forderungen erschweren. Die jüngere Diskussion hat auch das Verhältnis von Kapitalmärkten und Verteilungsfragen (wieder) aufgeworfen. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wie der Zielkonflikt zwischen Wohlstandsmaximierung auf der einen und einer chancengerechten Verteilung von ökonomischen Gütern auf der anderen Seite zu gestalten ist. Als dritte Kraft in diesem Spannungsfeld kommt mit der digitalen Transformation ein weiteres – nicht nur „technisches“ – Thema hinzu. Unter digitalen Vorzeichen sind heute sowohl Kapitalmärkte als auch Demokratien in elementarer Weise mit neuen Voraussetzungen der Kommunikation, der Wertschöpfung und auch des „klassischen“ Verständnisses von Währungen und Bezahlsystemen konfrontiert.

Die Veranstaltungsreihe ergründet das ambivalente Verhältnis von (digitalen) Kapitalmärkten und (digitaler) Demokratie sowie die Auswirkungen, die unter solchen Bedingungen sich fortentwickelnde Kapitalmärkte auf Verteilungsfragen haben. Sie rekonstruiert die Geschichte von Kapitalmärkten und Staaten – einerseits aus der Sicht der Wissenschaft, andererseits geht es auch um eine für Bürgerinnen und Bürger zugängliche Darstellung gegebener Realitäten – so umstritten, wie sie in früheren Zeiten waren und wie sie aktuell sind. Die Vorlesung leistet Beschreibungsarbeit, sie wirft die Frage auf, mit welchen Zielen und Mitteln (digitale) Kapitalmärkte reguliert werden (sollten) und behandelt den Themenkomplex Wohlstand und Verteilungsgerechtigkeit in einer digitalen Welt.

Programm

22.04.

Christoph Becker (Professor für Finanzmathematik und Stochastik, Darmstädter Institut für Statistik und Operations Research (DISO), h_da)

Das Finanzsystem und die Selbstbestimmung des Menschen

29.4.

Andreas Nastansky (Professor für Quantitative Methoden und Mathematik, HWR Berlin)

Risikoverbund zwischen Banken und Staaten im Euroraum

06.05.

Carola Westermeier (Akademische Rätin am Institut für Soziologie, Universität Gießen / aktuell ZEVEDI Young Investigator)

Digitales Geld als öffentliches Gut? Der digitale Euro als Finanz- und Sicherheitsinfrastruktur

13.05.

Jenny Preunkert (Professorin für Makrosoziologie, Universität Kassel)

Die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und die Gläubiger: Machtfigurationen auf den europäischen Kapitalmärkten

27.05.

Joseph Vogl (em. Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft/Medien, HU Berlin)

Privatisierung des Geldes

03.06.

Andreas Dombret (Vorstand der Deutschen Bundesbank, a.D., Honararprofessor, EBS, Wiesbaden)

Die 3 I’s – Invasion, Inflation & Interest Rates

10.06.

Lars P. Feld (Professor für Wirtschaftspolitik, Universität Freiburg, Persönlicher Berater des Bundesfinanzministers)

Ist die Schuldenbremse an allem schuld? Für und Wider ihrer Reform

17.06.

Jiajia Liu (PostDoc Researcher, International History and Politics, Universität Genf)

Financial Institutions in Shanghai (1840s-1910s)

24.06.

Marc Buggeln (Professor für regionale Zeitgeschichte und PublicHistory & Direktor der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History, Universität Flensburg)

Keine Demokratie ohne Steuern? Wandel der Gouvernementalität und soziale Gleichheit vom 18. Jahrhundert bis heute

01.07.

Andreas Fisahn (Professor für öffentliches Recht, Umwelt-und Technikrecht, Rechtstheorie, Universität Bielefeld)

Demokratische Selbstbestimmung und Finanzmärkte

08.07.

Thorsten Pötzsch (Exekutivdirekor Geschäftsbereich Wertpapieraufsicht, Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin))

15.07.

Jan Pieter Krahnen (em. Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung & Gründungsdirektor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE, Frankfurt)

Die unvollendete Bankenunion: Europa im Spannungsfeld von Marktintegration und nationaler Souveränität

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